Libertalia von -Kiara ================================================================================ Kapitel 1: Die Karte -------------------- Grübelnd saßen der Kapitän, sein Vize und die beiden Offiziere über das vergilbte Papier gebeugt. Um die notwendige Ruhe zu gewährleisten hatten sie sich in die Kapitänskajüte zurückgezogen und starrten dort gewiss seit gut einer Stunde auf die unverständlichen Zeichen hinab. „Was sollen diese ganzen Namen, Symbole und Zahlen?!“, stieß der Kapitän aus und raufte sich die roten Haare. „Ich glaube, das ist ein Rätsel, Boss“, beschwichtigte Lucky Lou, welcher ihm gegenübersaß. Dieser erntete einen müden Blick seines Kapitäns. „Ach, wirklich.“ Frustriert lehnte er sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. „Man kann Schatzkarten auch unnötig kompliziert gestalten.“ Die eine Seite der Karte bildete einen groben Ausschnitt der Grand Line ab. Sie zeigte jede noch so kleine Insel auf dem Weg von Alabasta bis hin zum großen Kontinent, der Red Line. Als Seekarte allein hätte sie von großem Nutzen sein können, wären die Maßstäbe nicht völlig durcheinander gewesen. Der erste Maat Ben Beckman hatte sich bereits zu Anfang die Mühe gemacht, die vor ihnen liegende Karte mit ihrem eigenen Fundus abzugleichen und sie als völligen Quatsch abgetan. Die Ränder waren verziert mit allerhand Zahlen und Buchstaben, welche dem Raster augenscheinlich so etwas wie Ordnung zuteilen sollten. Die andere Seite war vollbeschrieben mit Namen und scheinbar zusammenhangslosen Zahlen, außerdem Symbole von denen sie weder Hand noch Fuß ableiten konnten. „Sonst verkauf sie auf der nächsten Insel halt an den Meistbietenden“, schlug Yasopp vor. „Wenn der auch nichts mit der Karte anzufangen weiß, haben wir in jedem Fall Gewinn gemacht.“ „Und wer weiß, vielleicht erbeuten wir sie irgendwann in der Zukunft ja dann noch einmal“, donnerte Lou lachend. Shanks seufzte missmutig. „Sang- und Klanglos aufgeben ist aber auch langweilig. Wo bleibt denn da der Spaß?“ Sein Blick fiel erneut auf die Karte. „Hat denn wirklich keiner von euch eine Idee?“ Gelassen blies Ben Beckman einen Schwall Rauch aus. Er hatte seine Teilnahme bei diesem Rätselraten bewusst minimalistisch gehalten. „Meinte die Kleine nicht mal, dass sowas voll ihr Ding sei?“ „Stimmt! Wo ist sie eigentlich?“ Shanks hatte die junge Piratin seit dem gestrigen Abend nicht mehr gesehen. „Sie liegt im Krankenzimmer“, informierte Yasopp mit einem Schulterzucken. „Übergibt sich wohl schon den ganzen Tag.“ Betreten ließ der Kapitän die Schultern sinken. Davon hatte er gar nichts mitbekommen. Sollte er nach ihr sehen? Als Kapitän musste er sich doch schließlich nach dem Wohlergehen seiner Crew erkunden. „Sei unbesorgt, Boss. Schwanger wird sie schon nicht sein“, versuchte Lou seinen Kapitän aufzumuntern, erheiterte damit aber hauptsächlich sich selbst und Yasopp, welcher ebenfalls schelmisch anfing zu grinsen. „Ist wahrscheinlich nur verkatert. Sie hat gestern ordentlich gebechert“, vermutete Beckman fachmännisch und unterband somit weitere Sticheleien. „Jau, sie hat sich auf einen Trinkwettbewerb eingelassen“, erinnerte sich Yasopp. „Und ihn gewonnen!“ „Erstaunlich, wenn man bedenkt, was sie für ein Leichtgewicht ist“, nickte Shanks anerkennend. „Jedenfalls wäre es keine gute Idee, wenn sie auf die Karte kotzt“, warf Lou ein. Es folgte betretene Zustimmung der anderen drei anwesenden Piraten. Shanks kannte das folgenschwere verkaterte Gefühl nach einer durchzechten Nacht nur zu gut. Mit ihm war dann auch nicht mehr viel anzufangen, von nachdenken ganz zu schweigen. „Vielleicht wäre morgen ein besserer Tag. Und wenn ich dieses Gekrakel noch länger anschauen muss, krieg ich ebenfalls bald Kopfschmerzen. Ich sage, wir machen Schluss für heute und genehmigen uns ein Bier!“, entschied der Kapitän und erhob sich von seinem massiven hölzernen Armsessel. „Ich bin gespannt, wann wir den berühmten Spruch ‚Nie wieder Alkohol‘ zu hören kriegen“, schmunzelte Beckman. „Hoffentlich gar nicht. Angetrunken ist sie so anschmiegsam.“ Ein unverhohlenes Grinsen huschte über das Gesicht des Kapitäns. „Hatte sie dich nicht abgewiesen, Boss?“, hakte Yasopp nach und hob argwöhnisch die Augenbraue. „Wenn sie kuscheln möchte, werde ich sie doch nicht davon abhalten. Ein Gentleman schweigt und genießt.“ Für diese Aussage erntete der Rothaarige spöttisches Gelächter von seinen Offizieren, die sich kaum die Mühe machten ihr Amüsement in irgendeiner Art zu verbergen. „Du und Gentleman?“ „Bleib lieber bei der Piraterie.“ Achtsam wanderte die Karte zurück in eine der Schreibtischschubladen. Ihre Rätsel sollten ein anderes Mal ergründet werden. Vor dem verdienten Feierabendbier wollte sich der Kapitän allerdings von dem Wohlergehen seines verkaterten Crewmitglieds überzeugen. Glücklicherweise musste er gar nicht den Weg zum Krankenzimmer antreten. Kaum hatten sie die Türe zum Quartier hinter sich geschlossen, stieß Yasopp seinem Boss in die Seite. „Sieh mal“, bedeutete er mit einem Nicken zur kleinen Piratin, welche kauernd auf den Stufen zum Poopdeck saß. „Herrje“, seufzte der Rothaarige, bat seine Offiziere darum, schonmal den Alkohol aus dem Lager zu holen, und schritt anschließend zum Patienten hinüber. Kiara starrte apathisch auf ihre nackten Füße und hob den Blick erst, als er direkt vor ihr zum Stehen kam. „Das letzte Mal, dass es mir so schlecht ging, hab‘ ich vergammelten Fisch gegessen. Aber der hat mir wenigstens keine Kopfschmerzen bereitet“, nuschelte sie. Ein fast mitfühlendes Lächeln huschte über seine Lippen. „Höre ich da etwa Reue?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ach, ich hab‘ gekriegt, was ich wollte. Das ist dann halt der Preis, den ich dafür zahlen muss.“ „Und jetzt sitzt du hier.“ „Japp. Der Doc meinte, frische Luft würde mir guttun. Mein Magen sieht das allerdings anders.“ „Es hilft, wenn du den Wellengang beobachtest. Setz dich doch nach oben, da hast du einen besseren Blick auf das Meer“, bot Shanks ihr an. „Aber das ist dein Platz“, protestierte sie kraftlos. „Und der kennt sich mit Katern aus. Komm mit, ich wollte mich da eh gerade hinsetzen.“ Kiara hatte sich schon länger gefragt, wie es auf dem Poopdeck aussah. Vom Mittschiff aus konnte man Palmenblätter erkennen, wie sie im Wind wogen. Daher hatte sie sich immer einen kleinen Garten vorgestellt, war sich aber nie sicher, wie man einen solchen auf einem Schiff verwirklichen konnte. Auf des Kapitäns Geheißes, erklomm sie unbeholfen die restlichen Stufen und musste daraufhin feststellen, dass es doch pragmatischer war, als ihre romantische Vorstellung. Nichtsdestotrotz hatten fünf Palmen auf dem Poopdeck ihren Platz und neben einem bequemen breiten Sessel direkt unter dem Mast, standen mehrere kleine Ottomanen herum. Da es demnächst dämmern sollte, hatten sie die Segel eingeholt und den Anker ausgeworfen, sodass nichts den Ausblick auf das eindrucksvolle Panorama trübte, welches sich nun vor ihr erstreckte. Entspannt ließ sich der Rothaarige in die dicken Polster des Sessels fallen. Von dort hatte er einen guten Blick auf die unteren Decks, den Horizont und ihm wurde immer Schatten gespendet. Bald würden sie für längere Zeit an einer Winterinsel vor Anker liegen. Bis sie in die kälteren Gefilde kamen, wollte er die Sonne noch einmal ordentlich genießen. „Hier treibst du dich also sonst herum?“, fragte Kiara staunend und schob einen der hockerartigen Kissen näher an den Rothaarigen, um seine freie Armlehne zu nutzen. Wie geraten, versuchte sie sich auf die ruhige See zu konzentrieren, um sich von ihrem flauen Magen und dicken Schädel abzulenken. „Jedenfalls bei schönem Wetter“, bestätigte Shanks ihre Frage. Aufmerksam erkannte er aus den Augenwinkeln, dass sein Vize und die beiden Offiziere mit ein paar Krügen und Fässern die Treppe erklommen. „Hier lassen sich Kater ganz gut vertreiben.“ Er grinste zur Piratin an seiner Seite. „Ist es dein erster?“ „Ja, wir hatten sonst nur Hunde“, erwiderte Kiara trocken. Der Spruch kam so unerwartet, dass Shanks laut auflachen musste. „Die sind auch nicht so eigenwillig, das verstehe ich.“ Kiara schnaufte. „Meinst du. Meine Mutter hat die komischsten Tölen angeschleppt. Alles perfekte Wachhunde – meistens. Aber ansonsten… der eine war faul, hat sonst nichts auf die Reihe gekriegt und lag ständig im Weg, der danach war groß und stark, aber dumm und störrisch. Hat mich im Affentempo an der Leine quer über die Insel geschliffen.“ Gequält beobachtete sie, wie die Alkoholfässer auf den Planken abgestellt wurden. Der Anblick allein reichte aus, damit sich ihr Magen wieder von selbst umdrehen wollte. „Dann hättest du auf ihm reiten sollen“, schlug Yasopp amüsiert vor und reichte ihr eine Flasche mit klarer Flüssigkeit. „Ist Wasser, also trink ordentlich, ja?“ Dankend nahm sie die Buddel entgegen. „Ich glaube, dafür bin ich nicht Rodeo-erprobt genug.“ Nachdem sie daran scheiterte den Korken mit bloßen Händen zu lösen, biss sie kurzerhand hinein und zog ihn mit den Zähnen aus dem engen Hals. Das laute Ploppen war eine Genugtuung. Kiara hatte gar nicht gemerkt, wie durstig sie war und leerte die halbe Flasche an einem Stück. „Aber ja, waren sehr gute Wachhunde“, fuhr sie nach einem erleichterten Seufzen fort. „Konnten alles erschnüffeln, was meiner Mutter gehörte und irgendwelche Gäste aus dem Haus entwenden wollten.“ Mittlerweile hatten es sich der Vize-Kapitän und die Offiziere ebenfalls auf dem Poopdeck gemütlich gemacht und schenkten sich Bier in die großen Krüge. „So etwas wie das gute Silberbesteck?“ „Ja oder Schmuck. Oder das Schatzkartenteil von Urgroßvater. Das wurde ständig versucht zu stehlen.“ Bei dem Wort wurden die Piraten natürlich hellhörig. „Ein Schatzkartenteil?“ „Ja, die Karte einer Insel, die mein Urgroßvater vor langer Zeit gemacht und aufgeteilt hat.“ Lucky Lou nahm einen ordentlichen Bissen von seiner Fleischkeule. „Klingt nach der Legende von Big Whoop“, schmatze er beim Kauen. Mit einem Mal richtete sich Kiara auf und ihre Augen fingen schier an zu leuchten. „Richtig. Der größte Schatz aller Zeiten. Ein Schatz, so wertvoll, so gut versteckt, dass er die Träume jedes gestandenen Piraten heimsucht!“ Sie sankt wieder zurück und räusperte sich zurückhaltend. „Also, heimgesucht hat. Schließlich wurde er gefunden. Vor einer ganzen Weile schon.“ „Davon hab‘ ich gehört. So ein Typ mit total komischem Namen ist damit quasi überall hausieren gegangen. Erzählte immer, dass er ein mächtiger Pirat sei.“ Kiara nickte eifrig. „Guybrush Threepwood.“ „War das nicht auch der, über den du an deinem ersten Abend hier erzählt hast. Der zu dieser Affeninsel gesegelt ist?“, versuchte sich Shanks zu erinnern. „Genau, das ist er! Ich hab‘ mir seine Logbücher so häufig durchgelesen, dass ich sie in- und auswendig kann.“ Beckman zündete sich routiniert eine frische Zigarette an, wobei er die Flamme des Streichholzes anschließend in seiner Faust erstickte. Shanks erkannte, dass die Piratin wieder etwas bleicher um die Nase wurde, als die Rauchwolke in ihre Richtung vorbeizog. „Und, wie ist er an das Kartenteil gekommen?“, fragte Beckman gelassen. Kiara erinnerte sich an die Zeilen im Logbuch, aber auch an die Erzählung ihrer Mutter. Sie schürzte die Lippen. „Er hat… nett gefragt?“, formulierte sie es vorsichtig. Die Wahrheit war, dass er es geschafft hatte, ihre Mutter so dermaßen wütend zu machen, dass sie das Papier aus dem Fenster warf. „Es ist kompliziert.“ „Also hat er sie rumgekriegt“, vermutete der Rothaarige fachmännisch. Der Rest pflichtete ihm bei. „Erst erhält man Zutritt zum Herz einer Frau und dann zu ihrer Schatztruhe.“ „Hey!“, fuhr Kiara sie an. „Verzeihung. Man redet so nicht über Mütter“, wandte Yasopp aufrichtig reuevoll ein. „Richtig“, nickte Shanks nachgiebig. „Diese ganze Big Whoop Legende hatte damals, als sie anfing, für ordentlich Piratenzuwachs im South Blue gesorgt“, erinnerte sich Beckman. „Und tatsächlich haben viele Inseln davon profitiert, weil sie mit den Piraten gehandelt haben. Dadurch sind einige Leute sehr reich geworden.“ „Aber das versucht die Weltregierung schon seit Jahren einzudämmen. Die größten Anlaufplätze hat sie schon aufgelöst, zum Beispiel Isla Jambalaya“, ergänzte Lou, welcher gebürtig aus dem South Blue stammte und sich noch gut an die Veränderungen und die ganzen Marineschiffe erinnerte. „Das hab‘ ich auch mitgekriegt! Jambalaya Island war mal der Hafen für die ganzen verlorenen Seelen, mit Kneipen und Freudenhäusern an jeder Ecke – und jetzt sieht es da aus wie geleckt. Mit Familienrestaurants und Kaffeehäusern. Es ist echt – He, Moment mal!“ Nicht nur bei Kiara war der Groschen gefallen, denn die anderen Piraten starrten sie ebenfalls an, als sei ihnen ein Licht aufgegangen. Der Kapitän rieb sich den allmählich dichter werdenden Kinnbart. „South Blue also“, murmelte er abwägend. „Sagtest du nicht, du wärst Richtung Süden gefahren? Wie bist du dann auf die Grand Line gekommen?“ „Durch den Calm Belt, wohl bemerkt.“ Tatsächlich war Kiara nach mehreren Tagen reifer Überlegung zu einer Antwort auf die Frage gekommen, wie sie mitten im Nirgendwo gelandet war. „Das mag vielleicht erstmal komisch klingen, aber ich glaube, es hat etwas mit Voodoo zu tun.“ Stirne wurden ungläubig in Falten gelegt und Augenbrauen skeptisch zusammengezogen. Natürlich klang es im ersten Moment unglaubwürdig. Immerhin war ihre Antwort wortwörtlich ‘Hexerei‘ und aus dem Mittelalter waren sie nun deutlich raus. „Da war dieser Nebel durch den ich gefahren bin, der hat mich total müde gemacht. Und das hat mich daran erinnert, dass es in dem Logbuch doch auch diese komische Suppe gab, die einen wie von Geisterhand nach Monkey Island lenkt. Vielleicht war das also extra mächtiger Mojo-Nebel, um so eine schnelle Ankunft auf die Grand Line zu versichern?“ Die Piraten sahen sich eine Weile gegenseitig ratlos an und zuckten dann mit den Schultern. Wenn es Teufelsfrüchte und Haki gab, warum sollte Schwarze Magie dann nur ein Märchen sein. „Das wäre eine Erklärung, schätze ich“, ließ Shanks etwas unsicher verlauten. Er hätte selbst die Vermutung, dass sie vom Himmel gefallen ist, für plausibel gehalten. Wenn er eins in seinem Leben gelernt hatte, dann dass auf der Grand Line alles möglich war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)