Kigan von QueenLuna (– The crime scene of Gotamo City –) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Kapitel 8 Krachend schlug die Tür gegen die alte Backsteinmauer meines Büros. Erschrocken sah ich von den Unterlagen, die ich gestern aus Frau Sumidas Wohnung mitgenommen hatte, auf, zu den beiden Eindringlingen, die gerade in mein Büro gestürmt kamen. Ich hatte das Gefühl, die Situation schon einmal erlebt zu haben. Nur waren die Umstände andere gewesen. Obwohl Rina auch dieses Mal wenig begeistert von dem spontanen und unsanften Eintreten der beiden war und kurz anschlug, ließen sich Hara und Andou nicht einschüchtern und fielen dafür synchron in die Besuchersessel. Ich war fast versucht, sie auf die offenstehende Tür hinzuweisen, doch als mein Blick auf ihre Gesichter traf, unterließ ich es lieber und stand selbst auf, um sie zu schließen. Rina lotste ich leise zu ihrem Körbchen zurück, ehe ich unaufgefordert drei Gläser auf dem Schreibtisch abstellte und dazu je eine Flasche Wasser und Wodka. Zum Kaffee kaufen war ich bislang nicht gekommen. Schweigend setzte ich mich wieder hin und beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während ich den Wodka einschenkte. Ich hatte das Gefühl, den könnten wir alle zeitnah gebrauchen. „Was für eine Scheiße!“, durchschnitt schließlich Andou die Stille. Von seinem sonst recht lockeren Auftreten war nicht mehr viel übrig. Mit einem finsteren Gesichtsausdruck, den ich bei ihm bisher noch nie gesehen hatte, starrte er auf die Tischplatte, schien sie direkt durchbohren zu wollen. Und sein Partner stand ihm da in nichts nach. „Streifendienst!“ Das Wort spie er mir regelrecht entgegen, als wäre ich dafür verantwortlich. Demonstrativ schob ich ihm eins der Gläser hin, das er in einem Zug leerte und sich anschließend schüttelte. Mir brannte schon vom Zuschauen die Kehle, weshalb ich nur vorsichtig an meinem Glas nippte und auf weitere Erklärungen wartete. „Was Dai sagen will, ist, dass wir vom Fall des vermissten Terachi Shinya abgezogen wurden und wir uns auch generell nicht mehr mit den Angelegenheiten um die Hanedas befassen dürfen.“ Auch wenn Hara ruhig sprach, die weißen Knöchel seiner linken Hand, mit der er sein Glas umklammerte, verrieten ihn. Ich befürchtete fast, dass er es zerbrechen wollte. „Und dann geben sie ihn auch noch an Shiroyama weiter, der eh keinen Finger krümmen wird!“ Im Nu war sein Glas ebenfalls leer, was ich mit erhobenen Augenbrauen registrierte. Da war die Kacke wirklich am Dampfen. Schnaubend schenkte ich ihnen nach, ehe ich mich im Stuhl zurücklehnte und sie aufmerksam ansah. „So und nun bitte nochmal von vorn.“ Jetzt sah Andou mir zum ersten Mal direkt in die Augen und fuhr sich frustriert stöhnend mit den Fingern durch die Haare. „Der Chief hat heute Morgen alle Akten einsammeln lassen und uns in den Streifendienst versetzt. In die Nordstadt.“ Die Nordstadt? Das lag von hier ausgesehen am anderen Ende von Gotamo City. Na, wenn das mal kein Zufall war. „Und scheinbar hat er alles hinterrücks einem Kollegen übergeben, obwohl er zu uns meinte, es gäbe nichts mehr zu ermitteln und wir sollen es ruhen lassen.“ Andou ließ seine Haare los, die nun dezent von seinem Kopf abstanden. Unter anderen Umständen hätte ich vermutlich geschmunzelt, heute nicht. „Aber ich hab's nicht richtig mitbekommen“, fügte er etwas ruhiger hinzu und warf seinem Partner einen Blick zu. „Einer von der Nachbarabteilung hat's erzählt.“ „Wenn das stimmt, kotz ich!“ Wobei Hara gerade so aussah, als würde er lieber etwas zerschlagen statt sich zu erbrechen. Auffordernd schob ich ihnen die Gläser erneut zu, vielleicht brachte sie das wenigstens etwas runter. Es verstrichen noch einige Minuten, bis sich die beiden so weit abgekühlt hatten, um wenigstens einigermaßen klar denken zu können. Die Gewitterwolken um ihre Köpfe waren verschwunden, nur die Frustration und Verbitterung waren geblieben. Und der Wunsch ihrem Chief gehörig in die Eier zu treten. Bei diesen Worten von Hara war sogar so etwas wie ein kurzes Grinsen über Andous Gesicht gehuscht. „Und nun? Was habt ihr vor?“ Ich wollte es nicht zugeben, aber eine gewisse Anspannung machte sich in mir breit, als ich daran dachte, dass sie den Fall wirklich ruhen lassen könnten. Beziehungsweise alles hinwerfen würden. Auch unsere Zusammenarbeit, denn gerade war ich mehr denn je auf ihre Unterstützung angewiesen, insbesondere was die Sache mit Frau Sumida betraf. Ich war wenig optimistisch, auch alleine etwas erreichen zu können, wenn die Polizei offensichtlich kein Interesse an Nachforschungen hatte und dicht machte. Denn als nichts anderes sah ich die Versetzung der beiden an. Sie sollten nicht tiefer graben. Ob mit dem Fall jetzt wirklich ein anderer beauftragt wurde oder nicht, blieb dahingestellt. Ich kannte die Gerüchteküche auf dem Revier noch aus meiner Zeit. Da gönnte keiner dem anderen auch nur ein kleines bisschen was. Von daher blieb ich diesbezüglich erstmal skeptisch. Es würde sich für uns sowieso damit nicht viel ändern. Mit einem Mal sah Hara eine Spur angriffslustiger aus, während er mich mit langen Blicken maß. „Weitermachen! Jetzt erst recht. Takayamas Meinung, ob der Fall abgeschlossen ist oder nicht, ist fürn Arsch! Solange dieser Terachi nicht wieder auftaucht, gebe ich keine Ruhe. Einfach aus Prinzip nicht. Und bei der alten Frau bleiben wir auch dran.“ Als sein Partner zustimmend murrte, konnte ich ein erleichtertes Lächeln nicht unterdrücken. Ich wusste doch, dass die beiden Feuer hatten, aber nun war ich wirklich froh, dass ich mit meiner Einschätzung richtig gelegen hatte. Da trat eine gewisse Sturheit in Haras Worten zutage, die ich nur zu gut von mir selbst kannte. „Aus Prinzip ist immer gut.“ Beinahe feierlich erhob ich mein Glas und prostete ihnen zu, ehe ich die klare Flüssigkeit hinunterstürzte. Es brannte widerlich im Hals, aber das war es wert. „Ich geh davon aus, ihr habt für heute Feierabend?“ Auf ihr bekräftigendes Nicken fuhr ich fort: „Dann würde ich vorschlagen, wir machen hiermit weiter.“ Ich schob einen Teil von Frau Sumidas Unterlagen in die Mitte des Schreibtisches und verteilte die Fotos obendrauf. Je schneller wir damit durch waren, desto besser. Aus irgendeinem Grund hatte ich das untrügliche Gefühl, dass die Fälle entfernt miteinander zu tun hatten. Oder warum sollte sich der Chief in alles einmischen, mit dem Andou und Hara zu tun hatten, und sie gleich noch ans andere Ende der Stadt verbannen? Ich konnte Takayama viel unterstellen, aber ich wusste noch von früher: Ganz blöd war er nicht. Und wer wusste schon, ob nicht doch jemand davon Wind bekommen hatten, dass die beiden momentan mehr mit mir zu tun hatten als üblich? Ich glaubte nicht an Zufälle und diese Versetzung war definitiv keiner. Vielleicht waren sie auch bei der Beerdigung gesehen worden. Wie dem auch sei – wir mussten weitermachen. Einfach aus Prinzip. Außerdem hoffte ich insgeheim, dass sie die Arbeit vorübergehend von ihrem Ärger ablenken würde, denn aktuell konnten sie sowieso nichts an der Versetzung ändern. Während sich jeder einen kleinen Stapel schnappte, informierte ich sie über alles, was ich im Laufe des Tages bezüglich Frau Sumida herausgefunden hatte. Was leider nicht so viel war, wie ich mir gewünscht hatte. „Egal, wie oft ich mir die Fotos anschaue, ich erkenne darauf niemanden. Gut, außer mich selbst.“ Ich wedelte mit einem beinahe drei Jahre alten Foto, das mich mit Frau Sumida im Café zeigte. Ehe mich die Erinnerungen einholen konnten, legte ich es zur Seite. „Es sind immer verschiedene Leute drauf, unterschiedliche Orte, nichts mit Wiedererkennungswert. Hintendrauf ist nichts notiert. Leider.“ „Und in den Unterlagen stand auch nichts Relevantes? Familie? Angehörige?“ Hara langte nach einem der oberen Blätter und überflog es flüchtig, während sein Kollege stirnrunzelnd auf die Zettel in seiner Hand starrte. „Nein. Zum einen kann ich mich nicht erinnern, dass sie jemals etwas in die Richtung erwähnt hat, zum anderen war nichts zu finden. Das einzig Interessante war bisher das Kaufzertifikat für ihr Café und einige ehemalige Arbeitsverträge, die teilweise aber schon über fünfzig Jahre zurückliegen. Warum auch immer sie die aufgehoben hat.“ Ich fischte zwischen den Zetteln nach meinen Notizen und lehnte mich seufzend im Stuhl zurück. „Angefangen hat sie anscheinend mal bei der Post und hat sich später als ‚Mädchen für alles‘ bei diversen Familie verdingt.“ Über die Stirn reibend überflog ich die lückenhafte Liste. „Vor gut dreißig Jahren ist sie dann als Kindermädchen von Familie zu Familie gezogen. Die letzte Anstellung hat sie anscheinend vor fünfzehn Jahren begonnen, bis sie das Café eröffnet hat.“ Mit erhobenen Augenbrauen sah ich von den Notizen auf und blickte zu Hara, der etwas ratlos wirkte. „Wenigstens wissen wir schon mal, dass sie mit diversen Leuten zu tun hatte. Standen Namen dazu?“ „Teils ja, teils nein. Einige der Verträge sind schon so sehr verblasst, dass kaum noch etwas darauf zu erkennen ist.“ „Nun gut. Und was haben wir noch?“ „Nicht viel. Vereinzelte Quittungen, Einzahlungen und ähnliches. Der Großteil wurde garantiert von euren Kollegen mitgenommen.“ „Gut möglich.“ Seufzend ließ Hara den Kopf nach hinten auf die Lehne fallen und fuhr sich durch die schwarzen Haare. „Ach, ist doch Mist. Ich hab das Gefühl, das bringt alles nichts. Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Da suchen wir doch ewig und schlussendlich war's ein willkürlicher Raub und die haben nur Bargeld gesucht!“ Ich musste ihm leider recht geben, denn das Gefühl war in den letzten Stunden auch immer wieder in mir aufgekommen. Doch ich wollte nicht glauben, dass Frau Sumida ihr Leben nur für einen schnöden Raub hatte lassen müssen. Danach hatte es an jenem Tag einfach nicht geklungen, wenn ich mir ihre Worte richtig in Erinnerung rief. Da war etwas gewesen, das nicht nach Zufall geklungen hatte und überhaupt – „Ich glaube, ich hab da was“, unterbrach Andou unsanft meine Gedankengänge. Haras Kopf zuckte hoch, er sah seinen Partner überrascht an. „Was meinst du?“ Andou rutschte etwas umständlich an den Schreibtisch heran, die unheilvollen Geräusche, die der alte Sessel dabei von sich gab, ignorierend, und legte seinen kleinen Stapel darauf. „Ich weiß nicht, ob es etwas mit der Sache zu tun hat und ob es überhaupt stimmt, aber das hier sagt mir was. Hab gerade nur eine Weile gebraucht, um draufzukommen.“ Ein verschmitztes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, als er auf den oberen Zettel deutete. Mein Herz machte einen holprigen Satz. Es war der kleine Zettel, der vor einer gefühlten Ewigkeit plötzlich in meinem Büro aufgetaucht war und den ich völlig verdrängt hatte. Er musste sich in dem ganzen Chaos, das auf meinem Schreibtisch herrschte, zwischen die anderen Blätter gemogelt haben. „Ich kenne eine Bar, mit dem Namen Inosan im Ostteil der Stadt. Also, wenn mich nicht alles täuscht.“ Ernsthaft? Anscheinend sprachen unsere Blicke Bände, denn Andou ergänzte mit einem schiefen Grinsen: „Ist etwas her, dass ich dort gewesen bin.“ Hara reagierte als Erster, auch wenn sein „Aha?“ eher belustigt klang. Der Osten, besser bekannt als das in den letzten Jahren deutlich gewachsene Rotlichtviertel Sarita.Da brauchte man kein großes detektivisches Gespür, um sich vorzustellen, um was für eine Art Bar es sich dabei handelt. Ich musste mich zusammenreißen, nicht darüber zu lachen, wie nah ich mit meiner ersten, spontanen Idee zu dem ominösen Zettel gelegen hatte. „Was hast du denn dort getrieben?“ Andous Zögern war nicht zu übersehen, auch wenn sein Grinsen sich hielt. „Ermittlungsarbeit?“ „Ohne mich?“ „Ähm… ja?“ Ich konnte mir ein amüsiertes Schnauben nicht verkneifen, während ich dem Gespräch der beiden folgte. Was auch immer Andou für Ermittlungen in dieser Gegend betrieben hatte, im Moment waren sie für unseren Fall nicht relevant, auch wenn sein Partner das wohl anders sah. „Okay, Andou. Danke erstmal für den Tipp.“ Ich nahm den Zettel an mich und sah ihn mir noch einmal genauer an. „Die Sache ist die, dass der Zettel nicht zu Frau Sumidas Unterlagen gehört und mir nur aus Versehen da hineingerutscht ist.“ „Oh, okay.“ „Aber er ist letzte Woche unter meiner Bürotür durchgeschoben worden.“ Ich blickte in zwei ebenso überfragte Gesichter. Blöd, dass der einzige Hinweis, mit dem wir eventuell etwas anfangen konnten, nichts mit der eigentlichen Untersuchung zu tun hatte und wieder in eine andere Richtung führte. Es konnte sogar sein, dass auf dem Zettel nicht einmal die Bar gemeint war. Es war zum Haare raufen. „Schade. Hätte ja ein Hinweis sein können.“ Mit zusammengekniffenen Lippen starrte Andou auf den Zettel in meiner Hand, als könnte er ihm so sein Geheimnis entlocken. „Wobei ich mich dann frage, was das soll.“ Das war die Frage, die mich seit dem Auftauchen des Zettels beschäftigte. Schulterzuckend holte ich meine Zigaretten aus der Schreibtischschublade, bot den beiden ebenfalls welche an, ehe ich mir eine in den Mundwinkel klemmte. „Wir sollten den Zettel vorerst Zettel sein lassen und noch einmal die Fotos und Unterlagen durchgehen. Vielleicht stoßen wir doch auf etwas Hilfreiches.“ * Nach einer halben Stunde war mein Büro derart vom Zigarettenqualm vernebelt, dass ich das Fenster öffnen musste. Aber wenigstens half die Mischung auf Nikotin und frischer Luft, unsere Gehirnzellen so weit auf Touren zu bringen, um noch einige Informationen zu entdecken. Scheinbar gab es irgendwo in Frau Sumidas Umfeld eine Verwandte – unklar welchen Grades – was ich bei meinen ersten Sichtungen der Unterlagen vollkommen überlesen hatte. Aber mehr stand da auch nicht und ob die uns weiterhelfen konnte, war fraglich, selbst wenn wir herausfinden würden, ob und wo sie lebte. Nun ja, aber besser als nichts. Mittlerweile qualmten nicht mehr nur die Zigaretten, sondern auch unsere Köpfe, aufgrund der vielen Details, die dennoch alle so nebensächlich erschienen und uns keine heiße Spur lieferten. Eine wahre Suche nach der Nadel im Heuhaufen, welcher nicht einmal vollständig war, wenn wir davon ausgingen, dass die Bullen einen Teil mitgenommen hatten. Schnaufend lehnte ich mich zurück und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. Allmählich brauchte ich eine Pause und Rina wohl auch, denn obwohl sie die ganze Zeit in ihrem Korb gelegen hatte, wirkte sie unruhig. Sie wollte raus. Vielleicht konnte ich kurz mit ihr eine Runde gehen und Andou und Hara hier lassen, wenn sie denn wollten. Ich öffnete die untere Schreibtischschublade, um Rinas Leine daraus hervorzuholen, als ich mitten in der Bewegung stockte. Mein Blick fiel auf einen kleinen Block mit Blumenmuster, den ich gestern Abend frustriert wie ich war, dort hineingeworfen hatte, um mich gegebenenfalls später erneut damit zu beschäftigen. Und den ich völlig vergessen hatte. Ich Idiot! Denn jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Ich glaube, ich ziehe meine Aussage von vorhin zurück“, murmelte ich. Verständnisloses Schweigen antwortete mir. „Der eventuelle Bar-Zettel hat doch etwas mit Frau Sumida zu tun.“ Auf welcher langen Leitung hatte ich eigentlich wieder einmal gestanden? Über mich selbst den Kopf schüttelnd, holte ich den Block hervor und legte ihn demonstrativ neben den ominösen Zettel, damit die anderen Beiden wussten, was ich meinte. „Den hab ich gestern in ihrer Wohnung gefunden.“ Sie brauchten nicht halb so lange bis zur Erkenntnis wie ich. Die Muster darauf waren gleich. Selbst die Ecke, die dem Zettel fehlte, passte zu dem Schnipsel am Blockrand. „Ich behaupte jetzt tollkühn, dass die Gute dir damit etwas sagen wollte.“ Das Schmunzeln war in Andous Gesicht zurückgekehrt, als er die Zigarette im überquellenden Aschenbecher ausdrückte und den Zettel erneut an sich nahm. „Es bleibt zwar die Frage, was genau und warum sie nicht noch mehr darauf geschrieben hat, aber hey! Ich wollte schon lange mal wieder nach Sarita.“ * Die sanften Bässe drangen durch die marode Fassade bis auf die andere Straßenseite zu mir und schienen mich regelrecht zu sich locken zu wollen. Wäre da nur die Musik gewesen, hätte ich beinahe geglaubt, vor einem der wenigen, normalen Clubs der Stadt zu stehen. Allerdings befanden die sich ganz woanders und die düstere Fassade des Gebäudes, in dem sich die Bar befand, wirkte vielmehr so, als würden dahinter diverse Gangs ihre monatlichen Treffen veranstalten. Und der wenig einladende Eindruck wurde auch nicht von der eintretenden Dunkelheit gemindert. Das konnte ja was werden. Eigentlich hatte mein ursprünglicher Plan vorgesehen, mich ungesehen unter die Gäste zu schmuggeln und mich unauffällig umzusehen. Allerdings waren in der ganzen Zeit, in der ich hier stand und den Eingang beobachtete, erst eine handvoll Männer hineingegangen. So viel zum Thema ‚unauffällig umsehen‘. Ich ärgerte mich fast darüber, dass ich alleine nach Sarita hatte fahren müssen, um einen Blick auf unseren bisher einzigen Anhaltspunkt zu werfen. Andou und Hara waren just heute zu ihrem ersten Streifendienst verdonnert worden und damit war unser ursprünglicher Plan, gemeinsam die Bar zu inspizieren, hinfällig und ewig aufschieben wollten wir das Ganze auch nicht, da wir sowieso keine anderen Hinweise hatten. Misstrauisch beäugte ich das rötlich leuchtende Schild der Bar. Die kunstvoll geschwungenen Letter machten ihrer Bedeutung alle Ehre und hätten allerdings viel mehr zu einem kleinen, niedlichen und „unschuldigen“ Café gepasst. Einem wie Frau Sumidas beispielsweise. Kopfschüttelnd stieß ich mich von der Hauswand ab, an der ich eine Weile gelehnt und mit mir gerungen hatte, ob ich wirklich hineingehen sollte, und schlenderte langsam auf den Eingang zu. Während ich nach außen hin versuchte, möglichst gelassen zu wirken, war ich innerlich bis in die Haarspitzen gespannt darauf, was mich hier erwartete. Inzwischen war ich fest davon überzeugt, dass der ominöse Zettel eindeutig von Frau Sumida stammte. Wir waren gestern noch auf einige Unterlagen mit ihrer Handschrift gestoßen und jetzt, nachdem uns einmal die Vermutung gekommen war, von wem der Zettel stammte, war die Ähnlichkeit der Schriften nicht mehr zu übersehen. Blieb noch die Frage, was sie mir mitteilen wollte. Ob sie ihren Tod erahnt hatte und deshalb nur in Eile ohne nähere Erklärungen „Inosan“ darauf gekritzelt hatte, blieb ebenfalls eine Mutmaßung. Aber immerhin hatte sie noch Zeit gehabt, zu meinem Büro zu gehen und ihn unter der Tür durchzuschieben. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Fragen taten sich auf. Ich konnte nur hoffen, dass Andous Idee, sie könnte wirklich diesen Ort hier gemeint haben, sich nicht als falsch herausstellte. Sonst stünden wir wieder am Anfang. Der Typ, der neben dem Eingang stand, war so hoch und breit wie ein Schrank und machte nicht den Eindruck, als sei er neuen Gästen sonderlich wohlgesonnen. Himmel, worauf hatte ich mich da eingelassen? Ich wusste nicht mal, um was für eine Art Bar es sich wirklich handelte. Andou hatte nur gemeint: „So eine typische Bar eben.“ Danke auch! Das konnte in dieser Gegend alles und nichts bedeuten. Vom Bordell, über Mafia-Treff zu einer gewöhnlichen Kneipe oder Diskothek war vieles vorstellbar. Ich setzte ein möglichst neutrales Gesicht auf, als ich vor dem Schrank stehen blieb und seine Musterung über mich ergehen ließ. Seine Augen schienen etwas länger als gewöhnlich auf den dunklen Linien meiner Hände zu verweilen. Doch anscheinend machte ich den richtigen Eindruck, denn wenige Sekunden später bekam ich ein Nicken und die Tür wurde für mich geöffnet. Sekunden später musste ich alle Erwartungen, die ich an diesen Ort gehabt hatte, über Bord werfen und mich neu sortieren. Unmittelbar hinter dem Eingang folgte ein kurzer Gang, der in einen weitläufigen Raum endete. Grelle Lichter irrten umher, malten diffuse Lichter an Wände und Decke, der Bass dröhnte in den Ohren und ließ meinen Brustkorb vibrieren. Wo bitte war ich hier gelandet? Auf den ersten Blick schien es ein gewöhnlicher Club zu sein. Es waren mehr Leute da, als ich gedacht hatte. Allerdings tanzte niemand, wie es sonst der Fall bei solchen Veranstaltungen war – es gab nicht einmal ansatzweise etwas, das wie eine Tanzfläche aussah. Dafür verteilten sich überall im Raum runde Tische, mit breiten Sesseln daran, die wesentlich komfortabler aussahen als die in meinem Büro. Das fanden anscheinend auch die überwiegend männlichen Gäste, denn fast jeder der Tische war besetzt. Hier und da lagen Spielkarten und Münzen darauf, nur erleuchtet von den kleinen Lampen, die jeweils über der Mitte der Platten angebracht waren. Es war seltsam und ich wurde nicht schlau aus diesem Laden. Es wirkte, als hätte sich jemand nicht entscheiden können, ob er lieber eine Spielhalle oder eine Diskothek eröffnen wollte. Irgendwie war es eine Mischung aus beidem und obendrauf mit ein wenig Mafia-Flair garniert. Und dazu kamen noch die leicht bekleideten Damen, die umhergingen und den Gästen Getränke brachten und somit einen Hauch Verruchtheit mit sich brachten. Ein echt seltsamer Laden, der überraschenderweise all meine Ideen, die ich dazu gehabt hatte, in sich vereinte. Langsam machte ich mich auf den Weg quer durch den Raum zum Tresen, hinter dem sich gut gefüllte Regale mit diversen Flaschen auftürmten. Was auch immer Andou unter einer „Bar“ verstand – das hier war definitiv keine gewöhnliche. Vielleicht war er auch einfach zu lange nicht hier gewesen. Lautlos schnaubend ließ ich mich auf einem der Hocker nieder und gab dem Barkeeper ein Zeichen. Auf diese Reizüberflutung brauchte ich erstmal etwas Härteres. Wo sollte ich denn bitte hier anfangen, etwas Brauchbares rauszufinden? Den Barkeeper brauchte ich sicher auch nicht fragen, ob er Frau Sumida kannte. Während ich auf meinen Whiskey wartete, sah ich mich weiter im Raum um. Rechts und links neben der Bar gingen weitere Durchgänge ab und soweit ich bei dem mir am nächsten erkennen konnte, standen dahinter Roulette-Tische. Vermutlich sah es in dem anderen Raum ähnlich aus. Also definitiv eine Spielhölle. Das machte sich auch in den Getränkepreisen bemerkbar. Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte ich auf den unscheinbaren Schnipsel neben meinem Whiskey und überlegte, ob ich nicht doch eine Brille bräuchte. Doch auch nach mehrmaligem Blinzeln änderten sich die Zahlen darauf nicht. Da konnte ich nur hoffen, dass der Whiskey diese horrende Summe wert war. Widerwillig und mit zusammengepressten Lippen schob ich dem Barkeeper das Geld über den Tresen und überlegte gleichzeitig, ob ich das Ganze nicht Andou und Hara in Rechnung stellen sollte. Als Betriebsausflug sozusagen. Wenigstens schmeckte der erste Schluck so, wie es der Preis versprach. Das war definitiv ein edlerer Tropfen, als ich zu Hause in meinem Schrank stehen hatte. Er brannte nur leicht im Hals und hatte einen angenehm torfigen Geschmack. Na ja, man gönnte sich ja sonst nichts. Über den Rand meines Glases hinweg musterte ich unauffällig die übrigen Gäste. Es wunderte mich, dass der Türsteher mich reingelassen hatte, denn man musste mich nicht einmal genau anschauen, um zu erkennen, dass ich hier nicht reinpasste. Abgesehen davon, dass ich keinen Anzug oder eine teuer aussehende Armbanduhr trug, hatte ich auch keinen Gorilla von Mann im Schlepptau, der wohl zur allgemeinen Grundausstattung eines Jeden gehörte. Allmählich konnte ich mir denken, was das für Gäste waren. Und je länger ich mich umsah, desto dubioser wirkte alles auf mich. Warum hatte Frau Sumida gewollt, dass ich hierherkam? Das machte doch gar keinen Sinn. An einigen Tischen wurden Münzen und Scheine getauscht und ich bezweifelte stark, dass es sich dabei um Spielgeld handelte. Ich sollte zusehen, dass ich austrank und ging, bevor noch jemand bemerkte, dass ich nicht zu den üblichen Stammgästen gehörte. Anlegen wollte ich mich mit keinem von denen. Während ich betont entspannt an meinem Glas nippte, um keinen falschen Eindruck zu erwecken, verfolgte ich aus den Augenwinkeln das Geschehen. Dubios war gar kein Ausdruck. Was hier abging, kratzte nicht mal mehr am Rande der Legalität. Wobei es mir eigentlich egal sein konnte. Ich wollte schließlich nur wissen, was ich hier sollte. Aber dennoch – der frühere Polizist in mir machte sich bemerkbar. Schöne Scheiße. Warum hatte ich ausgerechnet alleine herkommen müssen? Mein Blick blieb an einem Mann hängen, der langsam zwischen den Tischen umherging. Ich wusste nicht warum, aber irgendetwas an der Art wie er sich im Raum bewegte, stach mir ins Auge. Er wirkte nicht wie ein normaler Gast. Nein. Es schien, als würde er überall dazugehören und dennoch außen vor sein. Unbewusst setzte ich mich gerader hin, während mein Blick ihm folgte. Er trug einen dunklen Anzug, der sich nicht groß von denen der anderen unterschied. Trotz der anstrengenden Lichtverhältnisse hier drinnen meinte ich einige dunkle Muster und Linien an seinem Hals auszumachen, teils vom Hemdkragen verdeckt. Die hellen Haare waren streng zurückgekämmt und legten so die kurzgeschorenen Seiten frei. Dennoch alles keine Gründe, um ihn so direkt zu beobachten, wie ich es im Augenblick tat. Zwielichtig aussehende Typen gab es hier immerhin zuhauf. Nein. Es war sein düsterer und dennoch direkter Blick, mit dem er die Leute bedachte, jedes Detail erfasste – die Art, wie er umherging und dabei alles gleichzeitig zu überwachen schien. Als gehörte ihm der Laden. Ich konnte mir nicht helfen, doch das unweigerliche Gefühl von Bedrohung machte sich in mir breit, je näher er kam und das, obwohl er mich noch gar nicht bemerkt hatte. Mit dem Kerl war sicher nicht zu spaßen und da musste er nicht einmal einen dieser Gorillas an den Fersen kleben haben. Ich sollte wirklich gehen und das nächste Mal Andou mitnehmen. Der war schließlich schon mal hier gewesen. Plötzlich sah er auf, direkt in meine Richtung. Ich konnte gar nicht schnell genug wegschauen, da hatte er mich schon bemerkt und war stehengeblieben. Seine dunklen Augen schienen sich direkt in meine zu bohren, während ich unbewusst in meiner Bewegung einfror. Ich fühlte mich wie das Kaninchen vor der Schlange. Doch sofort aufzuspringen und zu gehen, wäre albern gewesen und alles andere als unauffällig. Besonders wenn ich vorhatte, noch einmal wiederzukommen. So zwang ich mich sogar zu einem kurzen Nicken in seine Richtung, ehe ich mein inzwischen leeres Glas auf dem Tresen abstellte. Er sah mich weiterhin an, selbst als er eine Zigarre aus der Innentasche seines Anzugs zog und sie sich fast schon provokativ in den Mundwinkel klemmte und anzündete. Es hatte etwas gefährlich Herausforderndes an sich, sodass mir ein Schauer über den Rücken rann, als ich aufstand. Dieser Mann hatte mich nicht nur bemerkt, sondern er würde mich ohne Zweifel wiedererkennen, sollte ich hier noch einmal auftauchen. Und ob das gut war, bezweifelte ich. Den wollte ich nicht zum Feind haben. Ich spürte seine Augen auch noch auf mir, als ich den Ausgang erreichte. Erst draußen bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten. Deshalb kam mein erster Atemzug auch mehr einem Japsen gleich. Ich nickte dem Türsteher flüchtig zu, trat ein paar Meter zur Seite und entzündete mit fahrigen Fingern eine Zigarette. Ich brauchte Nikotin. Himmel, warum brachte mich so etwas aus der Ruhe? Das war doch nur irgendein komischer Kerl in einem seltsamen Laden – das Wort ‚Bar‘ wollte ich gar nicht erst denken. Kein Grund sich so aus der Fassung bringen zu lassen – selbst wenn ihm der Laden gehörte. War ich schon so sehr aus der Übung? Ich musste definitiv nochmal her, denn der ganze Besuch hatte nichts gebracht, außer der Erkenntnis, dass sich das Inosan am Rande der Legalität befand und eben keine normale Bar war. Mit einem Mal wurde die Eingangstür neben mir heftig von innen aufgestoßen und drei breitschultrige Männer, die der Statur des Türstehers in nichts nachstanden, kamen lautstark fluchend herausgestürmt. „So eine verfluchte Scheiße! Drecksschuppen! Dass der Arsch uns von seinem Zweiten rauswerfen lässt! Der kann was erleben! Wenn wir dem Boss das berichten, dann macht der ihm die Hölle heiß!“ Zeternd überquerten sie die Straße, ohne sich umzusehen, und hielten auf einen dunklen Wagen zu. Sekunden später fuhr er mit quietschenden Reifen an und raste davon und ließ mich erstarrt zurück. Diese Stimme. Das war doch - Nachwort Und nun? Was sagt ihr? Gab's Überraschungen? Ist alles so eingetreten wie vermutet? Beziehungsweise gibt es überhaupt Vermutungen?^^ Ich verspreche, wir nähern uns allmählich der Hälfte. Feedback wäre wie immer großartig und hilfreich! Liebe Grüße Luna Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)