Vogelfrei von lunalinn ================================================================================ Kapitel 9: Die Herkunft ----------------------- „Er ist schon recht lange weg.“ Aizawa brummte die Worte nur, während er mit Yagi in der Höhle saß, den Kopf auf die Knie gestützt und dem Knistern des Feuers, das sie mittlerweile errichtet hatten, lauschend. Irgendetwas beunruhigte ihn, doch er konnte selbst nicht genau benennen, um was es sich handelte. Nichts in ihrer Umgebung erweckte den Eindruck, dass sie in Gefahr waren. Die Pferde grasten draußen nicht weit entfernt und anhand des immer mal wieder leisen Schnaubens ging es ihnen wohl gut. „Ja“, stimmte Yagi ihm zu und gab ein Seufzen von sich. „Ich fürchte, dass er wütend auf mich ist.“ Aizawa schnaubte leise. „Er ist immer wütend.“ „Uhm…nun ja...oft, würde ich sagen“, meinte Yagi und kratzte sich an der Wange. „Aber er wird schon wieder zurückkommen.“ Warum ihm der Blondschopf dieses aufmunternde Lächeln schenkte, erschloss sich Aizawa nicht. Sollte Todoroki von irgendwas gefressen werden, würde das Yagi wohl mehr treffen als ihn. Er mochte den Kerl nicht mal. Dass er mit den beiden Männern noch reiste, lag viel mehr an der Harpyie als an seinen Weggefährten. Dieser Vogel hatte das Interesse in ihm geweckt, seit sie ihn das erste Mal getroffen hatten. Vielleicht weil er dem allgemeinen Bild widersprach, was die Menschen von Dämonen hatten. Nahm man diesen abscheulichen Wurm als Beispiel, konnte man es einem nicht verdenken. Und wenn Aizawa ehrlich zu sich selbst war, konnte er seinen Alltag nicht gerade als spannend bezeichnen, was also hatte er zu verlieren? Sein Leben vielleicht, aber mit der Angst kam er zurecht. Wer die Angst vorm Tod sein Leben bestimmen ließ, lebte auch nicht. Abgesehen davon wusste er immer noch nicht, was er von dem blonden Kerl neben sich halten sollte. Äußerlich ein Bär von einem Mann, mit Händen, die aussahen, als könnten sie Schädel mit Leichtigkeit zertrümmern – nun gut, sie sahen nicht nur so aus, wie er mittlerweile wusste. Dennoch war er kein hohler Muskelprotz, analysierte Situationen genauso wie sein rothaariger Freund – anders hätten diese beiden wohl auch nicht so lange überlebt. Yagi mit seinen himmelblauen Augen, seinen goldblonden Haaren und einer so positiven Ausstrahlung, dass einem davon schlecht werden konnte. Alles an ihm schrie nach einem Heiligen – und Aizawa wusste aus Erfahrung, dass Menschen sich gern so sahen, es aber nicht waren. Jeder hatte ein schmutziges Geheimnis, irgendein befleckendes Laster…und dann kam Yagi und sagte ihm, dass er noch Jungfrau war. Zur Hölle. Wie war das möglich? Vor allem mit dem Aussehen und dazu seinem Ansehen als Krieger…da warfen sich ihm die Frauen doch sicherlich haufenweise an den Hals? Aizawa war überzeugt davon, dass er wusste, nach welchen Regeln sich die Welt drehte. Yagi brachte mehr noch als der Dämon, Hawks, seine Überzeugung ins Wanken – und das konnte er nicht ausstehen. Nicht so sehr, wie er Todoroki nicht ausstehen konnte, aber es wurmte ihn doch. Sogar mit dem Dämon hatte Yagi verhandelt, um das Leben seines Kameraden zu retten. Sich an die Abmachung gehalten und ihn am Feuer sitzen lassen. Aizawa wusste, dass auch der Blonde kein gutes Gefühl dabei hatte, die Harpyie weiter zu jagen. Vor allem, nachdem Hawks nicht nur Todoroki, sondern auch eines seiner Kinder gerettet hatte. Falls das alles zu einem Plan gehörte, erschien es Aizawa doch recht viel Aufwand. Er hatte nicht viele Dämonen in seinem Leben getroffen – und ja, er war diesbezüglich nicht ganz ehrlich zu den beiden Kriegern gewesen. Warum auch? Es war oftmals besser, sich unwissend zu stellen. Jedenfalls waren die paar, die er getroffen hatte, ähnlich wie der Wurm gewesen und daher keine guten Beispiele. Seitdem er sich in diesem Waldstück niedergelassen hatte, war sein Alltag wirklich ruhig geworden, was ja nicht unbedingt schlecht sein musste. Eigentlich. „Seid unbesorgt, Aizawa-san“, riss ihn Yagis Stimme aus den Gedanken. „Er kann schon auf sich aufpassen.“ Was? Dachte der Blonde etwa, Aizawa wäre wegen Todorokis Verbleib so still? Als ob ihn das dermaßen beschäftigen würde. Er wünschte dem Mann nicht den Tod, da er schon anerkannte, dass dieser nicht nur schlecht war, aber so sehr am Herzen lag er ihm nicht. „Ich habe n-“ „Oh mein Gott, Enji!!“, rief Yagi in diesem Moment und sprang auf, als hätte ihn etwas gestochen. Aizawa blinzelte, folgte dann seinem Blick und erstarrte ebenfalls. Besagter Rotschopf schleppte sich soeben zu ihnen ans Feuer – und er war nicht allein. Über seiner Schulter hing doch tatsächlich die Harpyie, die Flügel schlaff herunterhängend und entweder bewusstlos…oder tot. Vermutlich wurde nicht nur Aizawa heiß und kalt bei diesem Anblick; hatte Todoroki die Harpyie etwa im Alleingang getötet? Sah er deswegen so mitgenommen aus? Weil sie sich einen harten Kampf geliefert hatten? Wobei er dafür zu glimpflich davongekommen zu sein schien. Mit einem flauen Gefühl im Magen sah er zu, wie Todoroki die Harpyie schwer atmend und seltsam vorsichtig ablegte. Da war so viel Blut… „Hast du ihn…ist er…ist er…?“, stammelte Yagi und man hörte das Entsetzen in seiner Stimme. „Lange Geschichte“, brummte Todoroki ausweichend, was in Aizawa die Wut schürte. „Erzählt sie uns nur“, knirschte er mühsam beherrscht. „Ich bin sicher, Ihr könnt es kaum erwarten, uns von Eurer Heldentat zu berichten.“ Er spie das Wort aus, als wäre es Gift, und meinte es auch genau so. Nur dank Hawks war Todoroki überhaupt noch am Leben. Wegen der Harpyie war sein Kind nicht in den Tod gestürzt. Und dieser hatte die Harpyie… „Bevor Ihr mich weiter mit Blicken zu töten versucht...“, knurrte Todoroki ihn an. „...macht Euch nützlich und seht nach ihm, bevor er verendet. Er hat einiges abbekommen und muss zusammengeflickt werden. Ich hab keine Ahnung, ob Dämonen verbluten können…“ Aizawa stockte, war nicht sicher, ob er sich gerade nicht verhört hatte. Was sollte er tun? Auch Yagi starrte seinen Freund an, als zweifelte er an dessen Verstand. „Enji, was hat das zu bedeuten?“, fragte er, während sich Aizawa neben Hawks kniete. Er drehte den Dämon vorsichtig auf die Seite, da er nicht wusste, wie dieser reagieren würde, wenn er wach wurde. Vielleicht würde er Panik bekommen und angreifen. Wäre ihm nicht zu verdenken. Er griff nach seinem Dolch, um die zerfetzte und blutgetränkte Kleidung vom Oberkörper zu entfernen, sodass er besser an die Wunde kam. „Der bescheuerte Vogel hat mir das verdammte Leben gerettet“, kam es widerwillig von dem rothaarigen Krieger. „Hat mich, warum auch immer, davor bewahrt, von so einem geschuppten Monstrum gefressen zu werden. Die Wunden…hat er also praktisch wegen mir. Ich konnte ihn nicht liegen lassen...oder ihn gar töten. Tse.“ Anscheinend steckte da ja doch gewisses Ehrgefühl in Todoroki. Wer hätte damit gerechnet, ging es Aizawa durch den Kopf, während er die Verletzung betrachtete. Eine tiefe Fleischwunde, die immer noch blutete. Das konnte er so nicht nähen, bloß abbinden, um die Blutung zu stillen. Wuchs so etwas bei Dämonen von allein zusammen? „Ich verstehe“, hörte Aizawa Yagi sagen, während er sich erhob, um etwas zum Reinigen und saubere Bandagen zu holen. „Das war die richtige Entscheidung, Enji.“ „Das werden wir noch sehen“, kam es skeptisch zurück. „Spätestens sobald er zu sich kommt und uns nachts in Stücke reißt. Ich hab gesehen, was er mit der Dämonin gemacht hat.“ „Er hat es jedoch getan, um dich zu beschützen, oder nicht?“, erwiderte Yagi sanfter. „Deine Wunden…war das auch diese Dämonin? Das könnte sich entzünden, also sieht Aizawa-san es sich vielleicht nachher auch mal an?“ Aizawa riskierte einen knappen Blick, ehe er sich wieder seinem hauptsächlichen Patienten zuwandte. Soweit er das erkennen konnte, hatte Todoroki bloß Schürfwunden und ein paar Kratzer am ganzen Körper verteilt, doch es sah nicht bedenklich aus. Solange die Dämonin nicht giftig war, würde auch die Schramme an dessen Kinn keine großen Folgen haben. „Die Dämonin? Das war der verdammte Vogel, als ich ihm erklären wollte, dass ich ihm helfen will. Da ist er durchgedreht.“ „Wer kann’s ihm verdenken“, brummte Aizawa und tunkte den Lappen in das Wasser seines Trinkbeutels. „Ihr wart bislang nicht unbedingt der Vernunft zugänglich.“ „Könnt Ihr einmal still sein und einfach nur tun, worum man Euch bittet?!“, zischte Todoroki ihn missgelaunt an. „Nein.“ Aizawa sagte es trocken, während er sich wieder dem verletzten Dämon zuwandte, die Haut grob vom Blut befreien wollte, ehe er sie verband. Er zuckte zusammen, als sein Handgelenk ohne Vorwarnung so fest umklammert wurde, dass er fürchtete, es würde brechen. Scharfe Klauen gruben sich in seine Haut und ihm brach im ersten Moment der Schweiß aus, weil er wusste, wie leicht er ihm die Arterien zerfetzen konnte. Sowohl Yagi als auch Todoroki griffen zu ihren Schwertern, doch Aizawa hob die freie Hand, ließ sie verharren. Hawks‘ weit aufgerissene Augen starrten ihn an, die Pupillen schlitzförmig, und er hörte dessen schweren Atem. Ruhig erwiderte er dessen Blick, bewegte sich nicht, um den anderen nicht in erneute Panik zu versetzen. „Es ist alles in Ordnung“, sprach er den Dämon an. „Ich werde dich vom Blut reinigen, die Blutung stillen und die Wunde verbinden. Danach schiene ich das, was vermutlich gebrochen ist, damit es wieder richtig zusammenwächst. Niemand wird dir etwas antun.“ Sekunden vergingen, in denen sich keiner regte, und auch Hawks blieb ganz still. Dann löste er die Klaue von seinem Handgelenk und schloss die Augen wieder. Es war seltsam, den Dämon so stumm zu erleben, doch das hieß wohl, dass er ziemliche Schmerzen haben musste. Als ihm jedoch auffiel, dass dieser zitterte, kam Aizawa der Gedanke, dass er vielleicht nur wachsam war. Dass er seine verbliebene Kraft sammelte, um im Ernstfall zuschlagen und sich befreien zu können. Aizawa atmete tief durch, ehe er einfach weitermachte, dabei jegliche Nervosität abzulegen versuchte. Vielleicht spürte Hawks diese ja? Natürlich hätte er auch nachhelfen können, damit dieser gar nicht erst angreifen konnte – aber was würde das für eine Vertrauensbasis schaffen? Davon abgesehen, dass die anderen beiden es mitbekommen würden, und das galt es unter allen Umständen zu vermeiden. Während er sich um den Dämon kümmerte, erzählte Todoroki ihnen nun ausführlicher, was genau passiert war. Anscheinend war er dem Tod dank Hawks gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Dass ihnen die Harpyie auch jetzt gefolgt war, wunderte Aizawa nicht wirklich, schien sie doch einen Narren an ihnen gefressen zu haben. Oder aber sie beide hatten denselben Grund, wenngleich das nicht erklärte, warum er diese Dämonin davon abgehalten hatte, einen seiner Jäger zu fressen. Eigentlich hätte ihm das gelegen kommen müssen – ebenso wie die Vergiftung. „…verstehe es nicht. Das ergibt keinen Sinn, oder?“, brummte Todoroki Yagi zu. „Ich weiß, Enji. Es ist gegen alles, was wir wissen. Gegen unsere Prinzipien…und trotzdem können wir nicht so tun, als sei es nie passiert.“ „Tse…musst du mir nicht sagen. Was meinst du, warum er hier ist? Unter anderen Umständen hätte ich ihm einen Bolzen zwischen die Augen geschossen. Apropos…ich muss noch mal zurück. Ich konnte nicht ihn und die Armbrust tragen. Davon abgesehen, dass ich wegen dieser ganzen Misere nichts zu essen mitgebracht habe.“ Aizawa musterte Hawks, den er inzwischen in ihre Decken gewickelt hatte, da er immer noch zitterte. Da seine Hose immer noch feucht und blutverschmiert gewesen war, hatte er ihm diese ausgezogen – das Oberteil war nicht mehr zu retten gewesen. Er wusste nicht, ob sich Dämonen verkühlen konnten, aber sicher war sicher, zumal er den nackten Körper direkt bedeckt hatte. Vorher hatte er dessen Flügel und Bein notdürftig mit stabilen Ästen und Bandagen geschient, ihn auf die Seite gedreht, sodass er auf seiner gesunden linken Hälfte lag. Ob Hawks wirklich schlief oder ohnmächtig war, vermochte Aizawa nicht zu sagen, doch es war ihm auch einerlei. Die Hauptsache war, dass er Ruhe bekam, um genesen zu können. „Bist du sicher, dass du schon wieder losziehen kannst? Ich sollte allein gehen“, meinte Yagi und blickte seinen Freund ernst an. „Schwachsinn“, murrte Todoroki ungehalten zurück. „Ich weiß genau, wo sie liegt, und außerdem fehlt mir nichts. Die paar Kratzer werde ich auch so überleben.“ „Nun gut“, bemerkte der Blonde zögerlich und wandte sich dann ihm zu. „Aizawa-san, meint Ihr, wir können Euch eine Weile mit dem Dämon allein lassen?“ Aizawa brauchte Todorokis verächtliches Schnauben nicht, um sich dessen sicher zu sein. Was glaubte Yagi eigentlich, wie er die Zeit seines Lebens ohne die zwei überlebt hatte? Er war kein Fräulein in Nöten, sondern wusste sich zu verteidigen – besser, als die beiden ahnten. „Geht“, antwortete er jedoch bloß. „Ich komme zurecht.“ Der Blondschopf strahlte ihn daraufhin zuversichtlich an, während sich Todoroki mit einem abfälligen Geräusch abwandte. „Dann lasst Euch nicht fressen.“ „Das kann ich nur zurückgeben“, lautete Aizawas monotone Erwiderung. Bevor der Krieger zu ihm herumfahren konnte, wurde er von seinem Freund aus der Höhle geschoben. Beinahe schade, doch Aizawa zuckte nur mit den Schultern und lehnte sich gegen die Wand in seinem Rücken. Dann würde er mal warten. „…sie wissen es nicht, huh?“ Aizawa war beinahe weggedöst, als ihn das Gemurmel des Dämons den Kopf heben ließ. Er rieb sich die brennenden Augen, warf diesem einen müden Blick zu. Dessen Stimme klang zwar kraftlos und er lag immer noch so da, wie er ihn platziert hatte, aber er fixierte ihn wachsam aus seinen bernsteinfarbenen Augen. Die Pupille war wieder etwas runder, sodass es sein Gesicht menschlicher wirken ließ – trotz der spitzen Ohren. „Sie wissen was nicht?“, fragte er, obwohl er sich innerlich anspannte. Hawks grinste schief. „Schon irgendwie witzig“, sprach er weiter. „Dabei hab ich euch ursprünglich nur deswegen an den Hacken geklebt. Weil ich dachte, wenn du mit ihnen reist…dann müsst ihr anders sein. Offener. Wenn ihr erstmal merkt, was ich für ein guter Kerl bin…aber na ja, daraus wurde ja nichts.“ Aizawa spürte sein Herz bei jedem weiteren Wort schneller in seiner Brust rasen. Seine Gedanken von zuvor wurden wieder präsenter, auch wenn es nur eine Spekulation gewesen war, so schien ein Funken Wahrheit darin zu stecken. „Mittlerweile denke ich…du weißt es nicht mal selbst, oder?“, fuhr Hawks fort und leckte sich die trockenen Lippen. „Du weißt, dass du diese Fähigkeiten hast…aber du weißt nicht, warum das so ist. Wette, dein Leben war ziemlich anstrengend. Dieses ständige Versteckspiel, damit keiner merkt, dass du nicht normal bist.“ Aizawas Miene verschloss sich bei den Worten, denn scheinbar las der Dämon in seinem Gesicht. Gerade wusste er nicht, was überwog. Neugierde oder die Angst. Ihm war die ganze Zeit klar gewesen, dass Hawks möglicherweise wahrnehmen konnte, was mit ihm nicht stimmte. Ein wenig hatte er es ja sogar darauf angelegt, als er ihn paralysiert und ins Wasser hatte stürzen lassen. Riskant, ja, aber ein Teil von ihm hatte Gewissheit erlangen wollen. „Keine Panik, Rotauge“, seufzte Hawks und kuschelte sich in die Decken. „Ich werde es Toshi nicht auf die Nase binden – oder gar unserem Hitzkopf. Bin ja kein Unmensch. Genau genommen bin ich überhaupt kein Mensch.“ Bei dem darauffolgenden Lachen verschluckte sich Hawks und spuckte Blut auf die Decke, sodass Aizawa alarmiert hochfuhr. Dass sich der Dämon dabei auch noch zusammenkrümmte, war garantiert kein gutes Zeichen. „Oh verdammt…“, krächzte dieser erstickt und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Diese…verdammte Sirene hat mich echt erwischt…aber ich werde es überleben. Hab eine gute Selbstheilung…wird bloß ein paar Tage dauern – aber deine Fürsorge war trotzdem nett. Ich schulde dir was. Oh, und sag das nicht den beiden Kriegern. Wenn der Hitzkopf denkt, ich sterbe eventuell in der Nacht weg, ist er vielleicht netter zu mir.“ Aizawa schnaubte, setzte sich aber wieder auf den Boden. „Vielleicht redest du mal weniger, wenn das in deinem Zustand so anstrengend ist“, riet er ihm trocken, woraufhin die Harpyie schuldbewusst grinste. „Aber dann kann ich dir ja gar nicht sagen, was du bist…“ Aizawa merkte, wie ihn dieses Spielchen zu nerven begann. Entweder der Dämon spuckte es aus oder er ließ es. Er würde sicher nicht darum betteln. Egal, wie sehr ihn die Frage quälte – und das tat sie seit Jahren. „Dann lass es eben“, knurrte er ungehalten, woraufhin Hawks abermals seufzte. „Du stehst nicht so auf Rätsel, oder? Na gut, dann eben auf die langweilige Tour“, meinte er fast schon enttäuscht. „In dir steckt Dämonenblut.“ Aizawa presste kurz die Lippen aufeinander, denn ja, es war naheliegend gewesen, aber es so zu hören…so endgültig…das war ein Schlag in den Magen. Er war also tatsächlich nicht menschlich. Nicht gänzlich zumindest…oder? „Also nicht nur. Du bist auch menschlich. Ich glaube, der Teil überwiegt sogar. Muss schon die zweite Generation sein, schätze ich, weil ich es kaum riechen kann. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, ist es mir beinahe entgangen. Als ich dir und Toshi davon am Feuer erzählt habe, von den hohen Dämonen, die sich mit Menschen paaren, da dachte ich, du würdest dich verraten. Aber du hast gar nicht reagiert, also bist du entweder ein guter Lügner oder…du hattest keine Ahnung. Letzteres, huh?“ Aizawa blickte ihn bloß matt an, wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Dass etwas mit ihm nicht stimmte, war keine Frage gewesen. Einen Dämon in der Familie zu haben, war jedoch noch mal etwas ganz anderes. Vor allem, da er seine Familie nicht kannte. Er wusste nichts über seine Herkunft. „…Letzteres“, stimmte er tonlos zu und Hawks‘ Lächeln wankte merklich. „Verstehe“, brummte er und sah wehmütig ins Feuer. „Du weißt auch nicht, wo du herkommst.“ Aizawa warf ihm einen langen Blick zu, nickte schließlich; anscheinend hatten sie noch eine Gemeinsamkeit. Keine, über die man sich freuen konnte, und das machte es bitter. Eine ganze Weile schwieg er und auch der Dämon sagte nichts, was ungewohnt für diesen war. Jedoch war er dann doch der Erste, der das Wort wieder ergriff. „Denkst du, sie werden mich töten?“, fragte er leise. „Ich meine, wenn sie wiederkommen. Vielleicht war das gerade nur das Adrenalin und wenn das nachlässt, kommen sie zur Besinnung.“ Aizawa blickte ihn einen langen Moment an, bevor er antwortete: „Du sprichst aus Erfahrung.“ Hawks lächelte freudlos. „Natürlich. Von euch Dreien bist du der Einzige, dem ich annähernd vertrauen kann – auch wenn ich mit den Verletzungen sowieso keine große Wahl habe.“ Das entsprach wohl der Wahrheit, wenn er sich ihr Gespräch von eben noch mal durch den Kopf gehen ließ. Immerhin wusste dieser, was er war, und wenn Todoroki davon erfuhr, stand er vermutlich als Nächster auf der Abschussliste. Bei Yagi war er sich diesbezüglich nicht sicher, aber wozu ein Risiko eingehen? Nein, davon musste keiner erfahren und er glaubte Hawks, dass dieser den Mund halten würde. „Ich denke, es geht hier um Ehrgefühl. Du hast ihm das Leben gerettet und zuvor schon das seines Sohnes. So wenig ich von ihm halte, so glaube ich nicht, dass er dich hinterrücks im Schlaf absticht. Er wird sich revanchieren wollen. Was danach geschieht, kann ich dir nicht sagen.“ Hawks nickte ganz langsam, schien darüber nachzudenken, ehe er wohl beschloss, dass das einleuchtend war. Bei dem Thema fiel ihm noch etwas ein. „Warum hast du ihm überhaupt geholfen?“, wollte er wissen. „Versteh mich nicht falsch, aber du wärst nicht in diesem Zustand, wenn du dich rausgehalten hättest.“ Ein Ausdruck von Verlegenheit huschte über die jugendlichen Züge des Dämons, als dieser herumdruckste und Aizawa damit vollkommen verwirrte. Was war denn nun los? Bevor er jedoch noch etwas sagen konnte, verschloss sich Hawks‘ Miene plötzlich und er senkte die Lider, vergrub die Nase unter der Decke. „…sollte schon reichen.“ „Du hast die Schafe gesehen. Das Vieh wird den Hirsch vermutlich komplett fressen.“ „Falls er wach ist und fressen kann. Seine Wunden sahen schrecklich aus.“ „Er ist ein Dämon. Wer weiß, wie schnell der heilt. Vergleiche ihn nicht mit uns.“ Aizawa lehnte sich wieder an die Wand, während die beiden Männer näher kamen und erst Hawks, dann ihn musterten. Ihre Beute hatten sie wohl direkt vor der Höhle liegen gelassen, schließlich würde er dort ausgenommen werden. „Scheinbar hat Euch der Dämon noch nicht gefressen“, kam es trocken von Todoroki, der seine Armbrust nicht ablegte. „Die Enttäuschung tut mir leid“, erwiderte Aizawa im selben Ton, woraufhin Yagi seufzte. „Bitte streitet nicht schon wieder“, mahnte er sie. „Aizawa-san, wir haben einen Hirsch erlegt. Wärt Ihr so freundlich, mir zur Hand zu gehen? Ich denke, Enji sollte sich ausruhen, nach allem…“ „Wie oft noch?“, grollte dieser ungehalten. „Mir fehlt nichts. Aber von mir aus, tut euch keinen Zwang an. Ich behalte die Bestie im Auge.“ Aizawa schnaubte leise. „Vielleicht sollte besser jemand den Dämon vor Euch schützen…“ „Macht Euch keine Sorgen, Aizawa-san. Enji und ich sind uns einig, dass Hawks bei uns bleiben wird, bis es ihm besser geht. Es wäre nicht richtig, jemandes Leben zu nehmen, wenn einem das eigene von diesem Jemand gerettet wurde.“ „Nenn das Monster nicht beim Namen“, knurrte Todoroki und setzte sich in einigem Abstand zur Harpyie ans Feuer. „Wir sind keine Freunde oder so ein Mist. Sobald er wieder fliegen kann, sucht er besser schnellstens das Weite.“ „Enji…“ „Ich hoffe, Euch fällt noch auf, was Ihr für einen Unsinn von Euch gebt“, bemerkte Aizawa kühl, kehrte dem Rothaarigen dann den Rücken, um mit Yagi hinauszugehen. Todorokis Fluchen ignorierte er dabei gekonnt, denn wie hieß es? Bellende Hunde bissen nicht? Zumindest war er nach wie vor sicher, dass Hawks heute Nacht nicht durch die Hände der beiden Männer sterben würde. Zumal er offensichtlich so klug war, sich bewusstlos zu stellen. Bei dieser spitzen Zunge konnte das nur von Vorteil sein. Während er den Hirsch ausnahm, spürte er Yagis Blick unangenehm intensiv auf sich ruhen. Anscheinend besaß Hawks ein sehr sensibles Gespür, sodass er nicht fürchten musste, dass einer der beiden ihr Gespräch mitangehört hatte. Dennoch fühlte er sich plötzlich unwohl, was zweifellos daran lag, dass er nun wusste, was mit ihm nicht stimmte. Verdaut hatte er es noch nicht, trotzdem es ja eigentlich nichts änderte. Seine Fähigkeiten besaß er seit Jahren, nun war ihm deren Ursprung bekannt. Nichts, was ihn aus der Bahn werfen sollte, auch wenn die alte Frage in ihm aufkeimte, was mit seinen Eltern geschehen war. Warum er bereits als Säugling in diesem Waisenhaus abgegeben worden war. Erfahren würde er es vermutlich nie. „Soll ich Euch nicht doch zur Hand gehen?“, hörte er Yagi fragen und schob die Gedanken beiseite. Aizawa, dessen Hände in den Gedärmen des Tieres steckten, schüttelte den Kopf, sich innerlich fragend, ob dieser wusste, wie falsch man solche Worte auffassen konnte. Wahrscheinlich nicht, wenn er an ihr Gespräch in jener Nacht dachte. Gott, was war los mit ihm? Diese Jungfrauen-Sache beschäftigte ihn eindeutig zu sehr. Es war nervig. „Schon gut. Ich mache das lieber allein“, gab er zurück. „Behaltet Ihr lieber Euren Freund im Auge.“ „Ihr könnt unseren Worten guten Gewissens Glauben schenken“, erwiderte Yagi ruhig. „Mittlerweile wisst Ihr doch, dass wir uns daran halten?“ Das konnte er nicht leugnen, auch wenn er es gerne getan hätte. Trotzdem er die beiden vor Hawks verteidigt hatte, wollte er ihnen gegenüber keine Zugeständnisse machen. Leider war er nicht so verbohrt, dass er dies unberechtigterweise tun konnte, weswegen er nur etwas Unverständliches brummte. Es reichte, um Yagi wieder zum Strahlen zu bringen – und Aizawa hasste es, dass er ihn nicht mal ansehen musste, um dies zu wissen. Man spürte es einfach. Wie konnte man so eine positive Ausstrahlung haben? „Na also!“, kam es gut gelaunt von dem blonden Hünen, so als hätte Aizawa überschwänglich bejaht. „Ich glaube, Ihr werdet langsam warm mit uns, nicht wahr?“ Oh Gott, nicht die Nummer. Sie waren sicher keine Freunde und Aizawa wusste nicht mal, nun da er das Rätsel um seine Fähigkeiten gelöst hatte, wie lange er mit den beiden noch reisen würde. Es kam darauf an, wie lange Hawks für seine Genesung brauchen würde. Allein würde er diesen nicht mit den beiden lassen. Zwar waren auch der Dämon und er selbst keine Freunde, aber er fühlte sich diesem ein Stück weit verbunden. Zumindest wollte er dessen möglichen Tod verhindern. „Wenn Ihr das glauben wollt.“ „Oh Aizawa-san…Ihr seid Enji manchmal wirklich nicht unähnlich.“ Das darauffolgende, laute Lachen ließ Aizawas Braue zucken und er rammte das Messer mit mehr Kraft als nötig in das Fleisch des Hirsches. Wie konnte er diesen Vergleich ziehen? Als ob er sich mit dem Rotschopf vergleichen lassen wollte. Es so offen zu leugnen, würde Yagi jedoch nur bestätigen. „Hn.“ „Ich bin jedenfalls froh, dass Ihr mit uns reist“, fuhr Yagi unbeirrt fort. „Ihr seid uns ein wertvoller Gefährte geworden.“ Die Wärme und Ehrlichkeit in der Stimme des blonden Kriegers trafen ihn an einem wunden Punkt, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Vielleicht lag es auch an dem, was Hawks ihm erzählt hatte. Möglicherweise machte es ihn emotionaler, als es normalerweise der Fall war. Oder aber er war zu lange allein unterwegs gewesen, sodass er sich nicht mehr erinnerte, wie es sich anfühlte, gewollt zu sein. Das letzte Mal…damals, als er und…doch, das war lange her. Zu lange und eigentlich hatte er sich vorgenommen, solch einen Fehler nie wieder zu begehen. Es war der Grund dafür, dass er sich in diesem Wald verschanzt und lieber mit einem Rudel Katzen zusammengelebt hatte. Jetzt saß er hier mit dem blonden Krieger bei ihrem Lager sowie dem Rotschopf samt Dämon in der Höhle und bereitete ihr Abendessen zu. Er wusste nicht, was skurriler war. Dass er nicht antwortete, schien Yagi nicht zu stören, denn er blieb einfach weiter bei ihm sitzen und beobachtete ihn mit diesem Lächeln, gegen das man nichts ausrichten konnte. Genau diese entwaffnende Freundlichkeit würde ihm vermutlich irgendwann zum Verhängnis werden…und das nicht zum ersten Mal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)