Vogelfrei von lunalinn ================================================================================ Kapitel 5: Die Heimkehr ----------------------- Als Enji wach wurde, erinnerte er sich kaum noch an das, was zuvor passiert war. Er fühlte sich ausgelaugt und seinen Kopf pochen, als hätte er einen über den Durst getrunken. Sein Hals war rau und trocken, sodass er reflexartig husten musste. Die Sonnenstrahlen blendeten ihn unangenehm und er schloss die Augen wieder, hob den Arm, um sich über diese zu reiben. Er wusste noch, dass sie gegen einen wurmartig aussehenden Dämon gekämpft hatten. Hatten sie ihn bezwungen? Natürlich, sonst würde er ja nicht mehr unter den Lebenden weilen, nicht wahr? Vorsichtig setzte er sich auf, denn sein gesamter Körper fühlte sich eigenartig, beinahe fremd an. Er warf einen müden Blick auf seinen rechten Oberarm, der bandagiert worden war. Hatte ihn das Monstrum etwa verletzt? Auch daran fehlte ihm die Erinnerung, aber es musste wohl so gewesen sein. Hatten sich Toshinori und Aizawa um ihn gekümmert? Tse…falls ja, war er ihnen wohl eine Last gewesen. Unangenehm. Er ließ den Blick über seine Umgebung schweifen, wo der tote Riesendämon immer noch unberührt lag. Die Feuerstelle, an der er geruht hatte und in drei Decken gewickelt worden war, war verloschen. Er hielt inne, als er in der Hütte ein leises Scheppern hörte, und drehte den Kopf in die Richtung. Anscheinend waren die beiden im Inneren, er hörte sie reden – wenn auch nur Bruchstücke. „…nicht richtig...“ „…bewusst, dass…reden wir nicht mehr darüber.“ „…Fehler…“ „…Mission…versteht doch…“ „…sehe das anders…“ „…Ihr seid jung…irgendwann…werdet Ihr nachvollziehen können, wieso wir-“ Toshinori verstummte, blieb im Türrahmen stehen, als er bemerkte, dass er wach war. Scheinbar hatte dieser ihm Wasser und etwas zu essen bringen wollen, denn er hatte beide Hände voll. Erleichterung zeichnete sich auf dem Gesicht seines Freundes ab – hatte es so schlimm um ihn gestanden? Wenn er sich dermaßen kräftig fühlte, konnte er das nicht recht glauben, aber Toshinori neigte ja des Öfteren zur Übertreibung. „Enji, du…es geht dir besser?“, fragte dieser und eilte an seine Seite. Der Rothaarige schnaubte aufgrund der, aus seiner Sicht, überzogenen Reaktion. „Ich habe zwar keine Ahnung, was passiert ist, da dich das anscheinend so überrascht – aber ja. Es geht mir besser.“ Hörbar atmete Toshinori aus, lächelte jedoch schief. „Der Dämon hat dich verwundet…am Arm und…die Wunde war wohl infiziert und…deswegen…bist du ohnmächtig geworden. Du hattest starkes Fieber und…Aizawa-san hat dir einen Sud zubereitet. Es hat wohl…geklappt.“ Jetzt verdankte er seine schnelle Genesung auch noch dem kauzigen Kerl? Das wurde ja wirklich immer schlimmer. Grimmig blickte er eben jenen, welcher soeben im Türrahmen auftauchte, an. „Ihr seid wohl nicht so leicht tot zu kriegen“, kam es trocken von diesem. „Natürlich nicht!“, ranzte er zurück. „Hn…was auch immer Ihr getan habt, ich fühle mich gut genug, um nicht mehr hier herumliegen zu müssen!“ Toshinori seufzte. „Übertreib es nicht gleich, ja? Dein Körper ist geschwächt…also trink und iss erst einmal etwas. Dann sehen wir weiter, hm?“ Obwohl es Enji nicht passte, nahm er den Becher mit Wasser an und gab seinen Widerstand fürs Erste auf. Es brachte ja doch nichts, sich der – ungewollten – Fürsorge seines Freundes zu widersetzen. Dafür kannte er diesen zu lange. „…und wie gehen wir jetzt weiter vor? Habt ihr euch schon Gedanken gemacht?“, brummte er schlecht gelaunt, woraufhin Toshinori sichtlich zögerte. Das konnte nur heißen, dass es ihm nicht gefallen würde. Sein Freund faltete die großen Hände ineinander, während sich auch Aizawa zu ihnen setzte. Ob dieser wohl bereits im Bilde war? War es darum gegangen, als die beiden diskutiert hatten? Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Toshinori zu, welcher nun das Wort ergriff. „Nun, wir sind alle angeschlagen von dem Kampf gegen den Wurmdämon. Mein Bein ist vermutlich verstaucht, der Schwellung nach zu urteilen. Aizawa-san hat kaum noch Pfeile, die Bolzen sind gebrochen…und unsere Schwerter sind in einem furchtbaren Zustand, was wohl am Gift des Dämons liegt. Die Fischer werden uns so schnell keine Netze zur Verfügung stellen, wenn sie denn überhaupt wirksam sind. Wir brauchen bessere Waffen, wenn wir siegreich gegen die Harpyie sein wollen.“ Enji konnte dessen Ausführungen nur zustimmen, aber er ahnte, dass es da einen Haken gab, weswegen er abwartete. „…dein Landsitz ist nur einen Tagesritt von hier entfernt.“ In dem Moment verstand Enji die Zurückhaltung und seine Miene verschloss sich. Sicherlich war dies die einfachste Lösung, denn dort hätten sie die Ressourcen für wirksame Waffen gegen einen geflügelten Dämon. Das angrenzende Dorf besaß eine gute Schmiede und viele Händler kehrten dort ein, um ihre Geschäfte zu abzuwickeln. Ohne eine bessere Ausrüstung würde ihnen der Dämon immer wieder entkommen…es gab da nur zwei Probleme. Erstens würden sie den Dämon damit weiter walten lassen, wie es ihm beliebte, und sei es auch nur für einige Tage…und zweitens mied er seinen Landsitz die meiste Zeit über aus guten Gründen. Andererseits musste er hin und wieder vorbeischauen, um nach dem Rechten zu sehen – das war seine Pflicht. Innerlich seufzte er, nickte dann aber. „Nun gut. Wenn du meinst, dass du den Ritt mit deinem Bein schaffst…“, bemerkte er noch, woraufhin Toshinori schief lächelte. „Es wird schon gehen. Zur Not wird mir Aizawa-san sicher helfen, nicht wahr?“ Der Angesprochene stutzte merklich, als er genannt wurde, sah verwirrt auf. „Uhm…“ „Keine Sorge!“, redete Toshinori einfach weiter. „Ich bringe Euch das Reiten schon noch bei! Es ist gar nicht so schwer und Morgenstern ist ein wirklich geduldiges Tier!“ „Ah…“ Die mangelnde Begeisterung hielt seinen Freund nicht davon ab, weitere von Morgensterns Vorzügen zu erwähnen, doch Enji hörte nur noch nebenbei zu. Der Gedanke an sein sogenanntes Zuhause sorgte nicht gerade für Freude bei ihm. Am besten bereitete er sich schon mal mental vor, damit er sich zusammenreißen konnte – gerade Aizawa sollte nichts von seinen Problemen erfahren. Es reichte schon, dass Toshinori oberflächlich Bescheid wusste. Tatsächlich brauchten sie am Ende fast zwei Tage, um sein Anwesen zu erreichen. Seltsamerweise strotzte Enji regelrecht vor Kraft, kaum dass sie losgeritten waren. Während Toshinoris Bein mehr Probleme als gedacht machte, hatte er das Gefühl gehabt, er hätte die ganze Nacht durchreiten können. Es irritierte ihn zwar, doch im Endeffekt schob er es auf das Adrenalin, das der Dämon wohl in ihm freigesetzt hatte. So ein lebensbedrohlicher Kampf konnte einem vor Augen führen, wie leicht es vorbei sein konnte. Trotzdem musste er Rücksicht auf die anderen beiden nehmen, die mit ihm nicht mithalten konnten – was ihm von Aizawa den ein oder anderen Kommentar eingebracht hatte. Sei es drum, sie hatten es schließlich hergeschafft und das war die Hauptsache – auch wenn es ihn immer noch ärgerte, dass sie weiterreisten, ohne den Dämon vorher erlegt zu haben. Sobald sie Vorräte und Waffen aufgestockt hatten, würden sie dies nachholen, so viel war sicher. Schon von Weitem konnte man die hohen Mauern sehen, die um sein Anwesen gezogen waren, um dieses entsprechend zu schützen. Aus der Entfernung konnte man lediglich die mit Schilfrohr verkleideten Dächer ausmachen. Enji stieg von seinem Pferd, als sie sich dem Tor näherten, an dem wie immer zwei Wachposten standen. Es wunderte ihn nicht, dass sie einen Moment brauchten, um ihn als ihren Herrn zu erkennen – es war Fakt, dass er nicht oft hier einkehrte. Genau genommen waren seine Besuche mehr Pflicht als alles andere…und der letzte auch schon wieder ein halbes Jahr her. Dies war vermutlich der Grund dafür, dass sie sein Gesicht so unhöflich anstarrten. Seine lange Abwesenheit…und die Narbe, die sich über die linke Seite zog. Bei seinem letzten Besuch war diese schließlich noch nicht da gewesen. Er straffte die Schultern, während er auf sie zuging, woraufhin sie eilig den Kopf neigten. „Herr…Ihr seid zurück…“ „Willkommen! Wir haben nicht mit Euch gerechnet…sonst hätten wir der Herrin Bescheid gesagt und-“ „Nicht nötig“, schnitt Enji ihnen knapp das Wort ab. „Lasst meine Kameraden und mich hinein. Die Reise war lang und anstrengend. Und ruft jemanden, der sich um die Pferde kümmert.“ Erst jetzt schienen sie Toshinori und Aizawa zu bemerken und neigten ebenfalls demütig den Kopf, ehe sie das Tor für sie öffneten. Enji drückte einem von ihnen, Kido, Feuersturms Zügel in die Hand und betrat dann nach langer Zeit wieder den Grund und Boden, auf dem er selbst aufgewachsen war. Das Todoroki-Anwesen lag inmitten eines kunstvoll angelegten Gartens mit groß gewachsenen Ahorn- und Kirschbäumen, welche bald blühen würden. Der Weg zum Haus, in dessen Mitte sich ein rechteckiger Innenhof befand war von verschiedenen Blumen und Sträuchern umgeben. Er hielt inne, als er Stimmen und Lachen aus der Nähe vernahm, und drehte den Kopf in besagte Richtung. Nur ein paar Sekunden später tobten zwei seiner Kinder über die Brücke, die über dem mit Seerosen und Schilf geschmückten Teich zu seiner Linken verlief. Als sie ihn erkannten, stockten sie merklich, klammerten sich an das Geländer der Brücke und sahen sie misstrauisch an. Enji nahm es mit einem unangenehmen Stich in der Brust wahr, wenn er es sich auch nicht anmerken ließ. Stattdessen machte er ein paar Schritte auf sie zu, bis sie in Reichweite waren. „Begrüßt man so seinen Vater?“, knurrte er vorwurfsvoll. „Natsuo, Fuyumi…kommt her und sagt unseren Gästen guten Tag!“ Der Junge zog eine Schnute, was deutlich machte, dass es ihm nicht passte, während sich das Mädchen beschämt auf die Lippen biss, ehe sie ihn anstieß und am Arm mit sich zog. „Ach, lass doch, Enji…sie haben gerade so schön gespielt“, hörte er Toshinori hinter sich sagen und warf ihm einen finsteren Blick über die Schulter zu. „Sie haben sich zu benehmen…also halt dich raus“, erwiderte er ungehalten, woraufhin der Blonde verstummte. Er vernahm das unterschwellige Funkeln in Aizawas dunklen Augen, doch wenigstens behielt er einen Kommentar für sich. Vor seinen Kindern ließ er bestimmt nicht seine Autorität untergraben. Er sah zu den beiden, die unsicher vor ihm stehen blieben, herunter, wobei ihm auffiel, dass vor allem Natsuo wieder ein Stück gewachsen war. Von der Statur her kam er eindeutig nach ihm, auch wenn er erst zehn Jahre alt war – doch das helle Haar hatte er ebenso wie seine Schwester von ihrer Mutter. Fuyumi musste mittlerweile dreizehn sein…und Enji graute es davor, dass sie bald zur Frau werden würde. Mit ihrem hübschen Gesicht, den großen, grauen Augen und ihrem sanften Wesen würde sie sicherlich bald den ein oder anderen Verehrer vor der Tür stehen haben – ein schrecklicher Gedanke. „Willkommen zurück, Otou-san“, murmelte sie mit einem wackligen Lächeln und neigte den Kopf vor ihm. Sein Blick blieb für einen Moment an der blumenförmigen Spange, die ihre weißen Haare mit den roten Strähnen zierte und die gut zu ihrem rosafarbenen Yukata passte, hängen. Natsuo schaute ihn immer noch voller Trotz an, während er mit verschränkten Armen neben seiner Schwester stand. Anscheinend würde sich sein Sohn lieber die Zunge abbeißen, als ihm ein nettes Wort zukommen zu lassen. Er wusste, dass dieser ihm immer noch nachtrug, was passiert war. Ganz verübeln konnte er es ihm nicht. „Und herzlich willkommen, Toshi und…uhm…“, kam sie ins Stocken und sah Aizawa fragend an. „Aizawa“, brummte dieser nur, wohingegen Toshinori das Mädchen anstrahlte. „Du bist ja eine richtige kleine Dame geworden, Fuyumi-chan! Und so hübsch wie deine Mutter.“ Seine Tochter lächelte ein bisschen verlegen, doch zweifellos freute sie sich über das Kompliment. Enji hasste es, dass sein langjähriger Freund so viel besser mit seinen Kindern umgehen konnte als er selbst. Er versuchte ja, einen Draht zu ihnen zu bekommen…aber er hatte zu viel in der Vergangenheit falsch gemacht, als dass es so einfach hätte sein können. „Und dieser junge Mann da ist wohl Natsuo-kun? Wenn du weiter so wächst, holst du deinen Vater ja bald ein!“, wandte er sich an seinen Sohn, der krampfhaft nicht zu zeigen versuchte, dass es ihm schmeichelte. „Hn…kann sein…“, brummte er ausweichend, woraufhin Enji schnaubte. „Sieh ihn an, wenn er mit dir redet“, meinte er ernst, ehe er sich umsah. „Wo ist eure Mutter?“ „Sie ist mit Shouto bei der Schaukel…“ Enji nickte bloß und ging dann an ihnen vorbei, um seine Frau aufzusuchen. Er hörte noch, wie Toshinori sich erneut an die beiden wandte, mit ihnen plauderte und Aizawa miteinbezog. Es ärgerte ihn zwar, doch vielleicht war es besser, wenn er erstmal allein mit seinem Weib sprach. Wie Fuyumi gesagt hatte, fand er Rei und ihren Jüngsten bei der Schaukel, die er einst für seinen Erstgeborenen hatte anbringen lassen. Sie war immer noch so hübsch wie am Tag ihres Kennenlernens, schien kaum gealtert zu sein. Beim Anblick des warmen Lächelns, das die Lippen seiner Frau zierte, wurde ihm flau im Magen. Vermutlich, weil sie ihm nicht einmal mit solch ehrlicher Zuneigung begegnet war. Eine Weile beobachtete er sie dabei, wie sie Shouto anschubste, woraufhin dieser lachte und noch höher schaukelte. Seine zweifarbigen Haare flogen durch den Wind, seine Augen, das eine grau, das andere türkisfarben, leuchteten...er war schon wieder gewachsen. Fünf Jahre…und obwohl er versuchte, seine Fehler nicht zu wiederholen, wusste er nicht, ob es reichen würde. Fuyumi fürchtete ihn, Natsuo verabscheute ihn…und Touya…war eine andere Geschichte. Er verdrängte die deprimierenden Gedanken und räusperte sich vernehmlich, woraufhin Rei den Blick hob und auch Shouto stockte. Während sein Sohn verwirrt dreinsah, wirkte seine Frau regelrecht erschrocken über seine Anwesenheit. Die plötzliche Spannung war greifbar, sodass Shouto die Schaukel anhielt und unschlüssig zu seiner Mutter sah. Diese schluckte, legte ihm die Hand auf die Schulter, während sie ihn immer noch ansah, als stünde ein Dämon vor ihr. Vielleicht wäre ihr dies ja sogar lieber gewesen. Enji überwand die wenigen Schritte zwischen ihnen, woraufhin sie die schmalen Schultern straffte. „Du…bist zurück“, lautete ihre leise Begrüßung. „Wir haben nicht mit dir gerechnet, sonst…hätten wir…dir…“ „Einen besseren Empfang geboten?“, unterbrach er sie schroff. „Lass gut sein, Weib. Ich lege keinen Wert darauf.“ Sein Blick glitt zu seinem Sohn, welcher nun neben seiner Mutter stand, sich an ihrer Hand festklammerte. Wie sie ihn alle ansahen, als wäre er ihr Feind…es weckte den Zorn in ihm, doch er unterdrückte ihn. Gerade, als er seinen Sohn zurechtweisen wollte, wie er es bei den anderen beiden getan hatte, sah dieser ihn stirnrunzelnd an. „…was ist mit deinem Gesicht passiert?“, fragte er und Enji stockte ebenso wie seine Frau. Auf eine solch direkte Frage war er nicht vorbereitet, wusste auch zunächst nicht, was er darauf erwidern sollte. Wenn er Shouto jetzt wegen seines respektlosen Verhaltens anfuhr, würde dieser sich bald ebenso vor ihm zurückziehen wie seine anderen Kinder. Es war schwer, den Mittelweg zu finden. Er atmete durch und kniete sich dann vor seinen Sohn, um auf Augenhöhe zu sein. „Ein Dämon hat versucht, mich zu töten. Wie du siehst, hat er versagt…mir jedoch diese Narbe hinterlassen“, erklärte er beherrscht. „Hn…das nächste Mal begrüßt du mich aber erstmal, bevor du mir so eine Frage stellst, verstanden?“ Shouto blinzelte kurz, nickte dann aber brav. „Ist gut. Entschuldigung, Otou-san…und willkommen zuhause.“ Enji brummte zufrieden und fuhr ihm durch die zweifarbigen Haare, ehe er sich erhob. „Gut…und jetzt geh zu deinen Geschwistern. Toshinori ist da…er freut sich bestimmt, dich zu sehen, hm?“ Shouto zögerte merklich, warf einen schnellen Blick zu seiner Mutter, doch als diese ihm zunickte, löste er sich von ihrer Hand und verschwand um die Ecke. Enji erhob sich wieder, musterte seine Frau für einen Moment, bevor er die Stimme erhob. „Wir werden einige Tage bleiben, um Vorräte und Ausrüstung aufzustocken. Lass zwei Zimmer vorbereiten – wir haben diesmal einen Einsiedler im Schlepptau. Heute Abend will ich das Onsen benutzen…und es soll ein ordentliches Mahl geben.“ Rei sah ihn nicht an, während er sprach – und er hasste es. Er hasste es, dass sie ihm nicht mal ein bisschen Aufmerksamkeit schenkte. Ihm irgendwie zu signalisieren gab, dass es ihr etwas bedeutete, dass er zurück war. Und wenn es bloß Enttäuschung gewesen wäre, dass der Dämon ihm nicht den Kopf von den Schultern getrennt hatte – diese absolute Monotonie in ihrem Gesicht machte ihn zornig. Dieser leere Blick. „Hast du verstanden?“, fragte er jedoch nur mit mühsamer Beherrschung. „Ja“, murmelte sie tonlos. „Ich kümmere mich darum.“ Ihm fielen die dunklen Schatten unter ihren Augen erst jetzt auf, was darauf schließen ließ, dass sie immer noch Probleme mit dem Schlafen hatte. Vermutlich war es schlimmer geworden, seitdem Touya… Er biss sich auf die Lippe, kehrte ihr dann lieber den Rücken, anstatt nachzufragen. Sie redeten ohnehin kaum miteinander, es würde nichts bringen. „Und sieh zu, dass das zweite Schlafzimmer ebenfalls bereit steht. Ich werde dort nächtigen.“ Mit diesen Worten ging er, bevor er ihre Erleichterung noch mitbekommen konnte. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er Fehler gemacht hatte. Dass er die Hauptschuld an alldem trug. Das Beste, was er tun konnte, war, Rei den Abstand, den sie benötigte, zu gewähren. „…und dann hat Aizawa-san dem Dämon einen Bolzen mitten ins Maul geschossen! Das Monstrum gab einen fürchterlichen Schrei von sich und fiel zu Boden! So, dass euer Vater und ich die Bestie erklimmen und ihm unsere Schwerter mitten ins Herz treiben konnten! Doch dann…wir rühmten uns schon des Sieges, als plötzlich wieder Bewegung in die Kreatur kam…und sie beinahe euren Vater erwischte! Glücklicherweise konnte er ausweichen…und wir griffen den Dämon erneut mit vereinter Kraft an, um ihn letztendlich zu bezwingen!“ Enji nippte an seinem Sake, während er seine drei Kinder beobachtete, wie sie alle drei mit offenen Mündern an dem niedrigen Tisch saßen und Toshinoris Erzählungen lauschten. Sie schienen sogar das Essen darüber zu vergessen, sodass der Wildschwein-Eintopf unberührt vor ihnen stand. Kurz überlegte er, ob er etwas sagen sollte, doch dann ließ er es. Wenn sich seine Kinder schon mal von seinen Heldentaten beeindrucken ließen, wollte er dies lieber nicht unterbinden – auch wenn die hauptsächliche Euphorie wohl eher von Toshinori geschürt wurde. Dieser betonte seine Worte, um ihnen Spannung zu verleihen, und benutzte die Stäbchen in seiner Hand, um damit zu gestikulieren – was sich ebenfalls absolut nicht gehörte. Sogar Rei, welche neben ihm saß, musste über seinen blonden Kameraden schmunzeln. Wenigstens war die Stimmung so etwas lockerer, schien doch sonst ein Damoklesschwert über ihnen zu schweben. „Hat Otou-san daher die Narbe?“, kam es aufgeregt von Shouto, woraufhin Enji schnaubte. Toshinori derweil lächelte schief, ehe er verneinte. „Das ist eine andere Geschichte…und wenn euer Vater es erlaubt, erzähle ich sie euch morgen.“ „Darf er, Otou-san?!“ Enji stockte, als er in die leuchtenden Kinderaugen sah, wohingegen die anderen beiden eher zurückhaltend waren. Doch auch sie schienen die Geschichte hören zu wollen, sodass er leise seufzte. „Von mir aus…“ Sein Blick glitt kurz zu Aizawa, der all dem still beiwohnte, was Enji jedoch lieber war, als sich einen spitzfindigen Kommentar wegen seiner Verletzung anhören zu müssen. Vielleicht hielt sich der Einsiedler aber auch nur zurück, weil er sich hier in seinem Haus befand. „Und es ist keiner von euch verletzt worden?“, fragte Natsuo skeptisch. „Wenn der Dämon so stark war?“ „Nun, euer Vater wurde am Arm verwundet, als der Dämon seine scharfen Krallen nach ihm ausstreckte - doch natürlich kann so eine Wunde euren Vater nicht niederstrecken. Mich erschlug die Bestie beinahe mit ihrem mächtigen Körper. Ich hatte Glück, dass sie lediglich mein Bein erwischt und nicht all meine Knochen zermalmt hat. Ohne Aizawa-sans Hilfe wären wir aber mit unseren Wunden nicht so leicht davon gekommen – er kennt sich mit Heilkräutern sehr gut aus!“ War ja nicht zu fassen, was sein Freund da für Lobeshymnen verteilte – auch wenn es ja nicht gelogen war. „Seid Ihr eine Hexe?“, rutschte es Natsuo heraus und ließ Aizawa damit stutzen. Enji konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, auch wenn es natürlich über alle Maßen unverschämt war, jemandem so etwas zu unterstellen. Dennoch…Aizawa mit seinen langen, struppigen Haaren und den blutunterlaufenen Augen…noch dazu im Wald lebend und mit Kräutern hantierend…das passte zusammen. Wobei sich seine Laune trübte, als er an den Vorfall von neulich denken musste… „…wenn dem so wäre, täte ich besser daran, es niemandem zu erzählen“, erwiderte der Einsiedler bloß und zuckte mit den Schultern. „Meint ihr nicht?“ Kurz herrschte Stille am Tisch und den Kindern schien plötzlich unwohl zu sein. Zumindest so lange, bis Toshinori dem dunkelhaarigen Mann auf die Schulter schlug und dieser dadurch seine Schüssel mit Eintopf über dem Tisch verteilte. „Aizawa-san macht bloß Spaß! Er wirkt vielleicht etwas düster, aber er hat das Herz am rechten Fleck! Er ist uns ein treuer Kamerad auf unserer Reise gewesen…Ihr braucht also keine Angst vor ihm zu haben!“ Aizawa schnaubte bloß, während er wehmütig auf die Reste in seiner Schüssel sah. „Hn.“ „Außerdem gehört es sich nicht, Leuten so etwas vorzuwerfen, Natsuo“, brummte Enji in Richtung seines Sohnes, welcher schmollend seinem Blick auswich. Toshinori lächelte schief, ehe er sich an seine Frau wandte, welche noch kein Wort gesagt hatte. „Wie ist es dir denn so ergangen, Rei? Der Garten sieht übrigens traumhaft aus – ich freue mich schon darauf, wenn die Kirschblüten blühen!“ Rei wirkte zuerst irritiert, dass sie angesprochen wurde, lächelte aber, als sie sich gefangen hatte. Beiläufig fiel Enji auf, dass sie kaum gegessen hatte. Er fragte sich, ob dies an seiner Anwesenheit lag…oder an den allgemeinen Umständen. Sie sah weniger ausgemergelt aus als bei seinem letzten Besuch. „Danke, ich…kümmere mich selbst darum“, murmelte sie. „Mit Hilfe der Gärtner, aber…es ist eine schöne Aufgabe.“ Sie umging seine Frage danach, wie es ihr ging, aber das wunderte Enji nicht. Sie gärtnerte also selbst? Solange sie die Kinder und die Verwaltung dabei nicht vernachlässigte, sollte es ihm recht sein. Er musste sich darauf verlassen können, während er unterwegs war. „Das glaube ich dir!“, erwiderte Toshinori mit einem offenen Lächeln. „Na ja, mich würde niemand in seinen Garten lassen…ich bin da zu grobmotorisch, fürchte ich.“ Er rieb sich den Nacken und zuckte dann mit den breiten Schultern, woraufhin Reis Lächeln eine Spur wärmer wurde. „Es ist gar nicht so schwer…und die Kinder helfen mir oft, nicht wahr?“ „Ja! Okaa-san sagt, dass ich demnächst mein eigenes Beet anlegen darf!“, kam es stolz von Fuyumi und sie sah erwartungsvoll von Toshinori zu ihm. Oh. „Uhm…das ist…ich werde es mir ansehen, wenn es fertig ist“, sagte er rasch, was sie zum Strahlen brachte. Zum Glück hatte seine Tochter ein recht sonniges Gemüt…er wollte wirklich nicht der Grund dafür sein, dass sie traurig war. Nicht schon wieder. „Was sind denn deine Lieblingsblumen, Fuyumi-chan?“, erkundigte sich Toshinori freundlich und hielt das Gespräch damit am Laufen. Während seine Tochter ihm aufzählte, welche Blumen sie mochte, ließ er sich von Rei noch etwas Sake nachschenken. Diese wirkte ein bisschen gelöster als noch zuvor, wobei ihre Anspannung zweifellos an ihrem Besuch lag. Einerseits bitter, andererseits sollte er wohl froh sein, dass nicht die altbekannte Stille herrschte, weswegen er größtenteils zuhörte… Nach dem Essen begaben sie sich zu dritt in das Onsen, welches hinter seinem Anwesen lag. Bei dem Gedanken an ein heißes Bad, das sie schon eine ganze Weile nicht mehr genossen hatten, hob sich seine Laune direkt. Sie entkleideten sich, wuschen sich rasch mit kaltem Wasser, ehe sie das mit hohen Bambuswänden umrahmte Onsen betraten. Nur ein größerer Spalt blieb offen, gab den Blick auf einen kleinen Zengarten frei. Enji atmete durch, kaum dass er das Handtuch abgelegt und sich in das Steinbecken hatte sinken lassen. Das hier war nicht mit den kalten Seen zu vergleichen, in denen sie sich sonst notdürftig wuschen. Manchmal bot man ihnen ein erhitztes Bad im Zuber an, doch mit seinem Onsen konnte dies nicht mithalten – vor allem da in diesem bequem sechs Leute Platz nehmen konnten. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und warf dann einen Blick zu den anderen beiden, die sich ebenfalls hineinsetzten. So dürr, wie er gedacht hatte, war Aizawa gar nicht. Sicher, kein muskulöser Hüne wie sie beide, doch er wirkte drahtig…und nicht weniger vernarbt als sie beide. Die langen, nassen Haare hatte er sich mit einem Band hochgebunden – und irgendwie wirkte er ohne das ganze Gestrüpp in seinem Gesicht eine Spur jünger. Enji wandte sich ab, bevor ihm noch Interesse an dem Waldläufer unterstellt wurde. Er hörte Toshinori wohlig seufzen, während sich auch dieser ausstreckte und entspannt zurücklehnte. „Das ist herrlich…“, hörte er ihn sagen. „Wir sollten öfter herkommen, Enji.“ Der Rothaarige ahnte, dass er dabei nicht unbedingt die Annehmlichkeiten des Onsen meinte, es aber nicht so direkt vor Aizawa sagen wollte, dennoch ärgerte es ihn. Toshinori wusste Bescheid, wenn auch nicht im genauen Detail, und sollte ihn mit seinen Ratschlägen verschonen. „Wir reisen weiter, sobald wir erledigt haben, wozu wir hergekommen sind“, erwiderte er schroff, woraufhin der Blonde ihm einen langen Blick aus seinen blauen Augen zuwarf. „Enji…ich denke, die Kinder-“ „Freuen sich, dass du sie mit deinen Geschichten begeisterst. Ich weiß“, fuhr er seinem Freund dazwischen, was diesen verstummen ließ. „Mich sehen sie lieber von Weitem oder noch besser – gar nicht. Also reisen wir in spätestens zwei Tagen ab.“ Er ignorierte dessen betroffene Miene, wandte den Blick stur in Richtung Zengarten. Warum hatte der andere auch damit anfangen müssen? Er hatte sich gerade entspannen wollen, aber natürlich kam das Thema auf. Was wusste Toshinori schon? Dieser hatte keine eigenen Kinder, nicht mal eine Frau…geschweige denn, dass er… „Das wird ja nicht von ungefähr kommen…“ Enji verengte die Augen, als Aizawa es tatsächlich wagte, seinen Kommentar dazuzugeben – und dabei sah er ihn nicht mal an, sondern unter halbgeschlossenen Lidern ins klare Wasser. „Seid Ihr sicher, dass Ihr, als Außenstehender, über mich und meine Familie urteilen wollt?“, fragte er mit warnendem Unterton. „Ich urteile nicht. Ich beobachte“, erwiderte Aizawa knapp. „Und wenn Ihr jedes Mal gleich so aggressiv werdet, wenn man Euch anspricht, wundert mich gar nichts mehr.“ Enji spürte das Feuer des Zorns in seiner Brust auflodern; wie sie ihn alle belehren wollten. Dabei wussten sie gar nichts. „Ich sah keine Frau in Eurer schäbigen Hütte, Aizawa – nur eine Schar von Katzen. Was mich ebenfalls nicht verwundert, wenn man Euch näher kennenlernt.“ Er hatte sich eine bissige Entgegnung erhofft, doch stattdessen wagte es der andere zu…grinsen. Keines, das seinem Gesicht schmeichelte. Es wirkte eher unheimlich…gar bedrohlich? Nicht, dass er sich vor dem undurchsichtigen Waldschrat gefürchtet hätte. „Ihr denkt also, dass ich in meiner Hütte lebe, weil ich keine andere Wahl habe? Da kann ich Euch beruhigen…es war meine freie Entscheidung, die Menschen zu meiden und die Tiere vorzuziehen. Davon abgesehen habt Ihr aber Recht…ich wäre wohl wirklich kein passabler Ehemann für eine Dame.“ Enji runzelte die Stirn bei den viel zu ehrlichen – und gleichgültigen – Worten, denn anscheinend reizte Aizawa seine Provokation nicht im Geringsten. „Was zur-“ „Nun ist es aber gut“, mischte sich Toshinori ein. „Wir sind doch nicht hier, um uns gegenseitig anzufeinden, nicht wahr? Enji, es tut mir leid. Ich wollte dir nichts vorschreiben, aber…ich denke, du solltest wirklich öfter hier sein. Wenn es irgendwie hilft…kann ich auch mit Rei reden.“ Es war gut gemeint, das war Enji bewusst…dennoch fühlte es sich an, als würde der andere ihn ständig an seine Unzulänglichkeiten erinnern. Als wäre er besser als er selbst. Vielleicht war er das sogar – und der Gedanke machte es noch schlimmer. Dennoch biss er innerlich die Zähne zusammen, um nicht aus der Haut zu fahren. Er durfte sich diese Blöße nicht geben, weswegen er sich zusammenriss. „Nein. Ich rede morgen selbst noch mal mit ihr und…schon gut. Lass es einfach gut sein und...konzentrieren wir uns darauf, diese Harpyie zur Strecke zu bringen. Dazu sind wir schließlich hier. Es ist schändlich genug, dass wir das nicht gleich erledigen konnten.“ Da er in diesem Moment wütend ins Wasser sah, entging ihm der Blick, den Toshinori mit Aizawa tauschte. Als er wieder aufsah, nickte sein Freund langsam. „Ja…das…stimmt. Wir sollten uns wahrlich dem…Dämon widmen.“ Warum auch immer das so unsicher klang. Aber gut, Toshinori besaß ein weiches Herz und vielleicht glaubte er auch jetzt noch, dass dieser Vogel gar kein so übler Kerl war. Von Aizawa fing er gar nicht erst an, doch dieser schwieg zu dem Thema, sodass Enji einfach fortfuhr, weiter ihren nächsten Feldzug zu planen. Weil dies Priorität hatte und Leben retten würde…und ihn von seiner familiären Situation ablenkte, aus der er keinen Ausweg sah. Aber das mussten die beiden nicht wissen und ganz bestimmt würde er keine Einmischung dulden. Das hier war sein Problem. Damit würde er allein fertig werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)