Vogelfrei von lunalinn ================================================================================ Kapitel 3: Der Dieb ------------------- Als sie den Weg runter ins Dorf zurücklegten, fiel es Enji immer noch schwer, seine Wut zu zügeln. Vor allem, da er wusste, dass Toshinori gar nicht so Unrecht hatte. Es mochte stimmen, der komische Kauz schuldete ihnen keine Loyalität sowie er keine Erfahrungen mit Dämonen aufweisen konnte – aber gerade wegen Letzterem hätte er auf sie beide hören sollen. Er mochte den Kerl mit seiner respektlosen Art ohnehin nicht. Was bildete sich dieser eigentlich ein? Schließlich waren sie hoch angesehene Krieger, die sich um die Belange der Menschen kümmerten. Sie waren ehrenvolle Männer, während dieser zwielichtige Kerl regelrecht unbedeutend war. Dessen offensichtliche Abneigung gegen sie beide ärgerte ihn über alle Maßen…und noch mehr die Tatsache, dass Toshinori dies hinnahm. So war dieser schon immer gewesen – viel zu nett, viel zu höflich. Es kam selten vor, dass sein Freund aus Kindertagen aus der Haut fuhr – wenn es jedoch geschah, konnten einem die Unglücklichen leidtun. Seine Gedanken kehrten zu dem Dämon zurück, welcher ihnen abermals entkommen war. Der groteske Anblick des Wesens bei der Jagd…auf welche Weise es den Hirsch getötet hatte…ein wahres Monster. Diese Klauen waren zum Töten geschaffen, gaben den Opfern keine Chance, zu entkommen. Der auf den ersten Blick hübsche, gefiederte Jüngling hatte in diesem Moment sein wahres Gesicht gezeigt. So wie damals…und es bestärkte ihn nur zusätzlich darin, dass sie das Richtige taten. Seine Narbe begann wieder so unangenehm zu pochen, sodass er sich kurz darüber rieb. Sie würden das Ding zur Strecke bringen. Es für die Menschen unschädlich machen, so wie die anderen vor dieser Kreatur. Im Dorf selbst wurde ihre Ankunft mit großer Freude begrüßt, auch wenn die hoffnungsvollen Gesichter einen bitteren Beigeschmack mit sich brachten; schließlich hatten sie den Dämon nicht erlegt. Er überließ es Toshinori, den Menschen die Situation zu erklären und sie zu beschwichtigen, während er selbst sich dem Ältesten zuwandte, welcher die Verantwortung für die Leute trug. Dieser bedeutete ihm, ihm zu folgen, was Enji auch tat, nachdem er einen kurzen Blick in Richtung Aizawa geworfen hatte. Dieser stand abseits von ihnen, lehnte an einer Hütte und beobachtete alles mit ausdrucksloser Miene. Wie er gesagt hatte, schienen die Leute zwar über ihn zu tuscheln, aber sie duldeten ihn offensichtlich. Er schüttelte innerlich den Kopf über den zwielichtigen Mann, ehe er dem Dorfältesten folgte. „Ihr konntet den Dämon also leider nicht erlegen“, stellte dieser betrübt fest, als sie außer Hörweite waren. „Es…handelt sich doch um einen…nicht wahr?“ Enji schnaubte leise. „In der Tat…und nein. Bedauerlicherweise ist uns dieses Monster entkommen, bevor wir ihm den Gnadenstoß geben konnten…doch macht Euch keine Sorgen. Wir werden nicht eher ruhen, bis wir seinen Kopf haben.“ Der Älteste nickte langsam, sah ihn jedoch fest an. „Wir vertrauen Euch, Todoroki-sama…habt Dank, dass Ihr und Euer Kamerad euch der Sache annehmt. Dass Ihr beide unverletzt seid, bezeugt Eure Stärke.“ Die Lobpreisung war sicherlich nett gemeint, doch Enji musste zugeben, dass dies am Dämon lag. Dieser hatte ja lieber feige die Flucht ergriffen, als sich ihnen zu stellen, von daher nahm er das Lob eher unwillig an. Einen falschen Eindruck wollte er nicht vermitteln, weswegen er nicht dagegen sprach. „Wie dem auch sei…Ihr könnt uns helfen, indem uns Eure Fischer Netze zur Verfügung stellen. Stabile Netze nach Möglichkeit, um den Dämon festzuhalten. Da er geflügelt ist, ist es schwer, ihn einzufangen.“ Der alte Mann strich sich durch seinen weißen Bart, nickte dann. „Natürlich. Ich weiß nicht, ob die Netze stabil genug sein werden…aber wir werden Euch in jeglicher Hinsicht unterstützen. Ich sehe, was ich tun kann…bis dahin, fühlt Euch weiterhin als unsere Gäste und ruht Euch aus.“ „Habt Dank.“ Enji neigte kurz den Kopf, bevor er sich wieder zu Toshinori gesellte, welcher sich anscheinend mit den Dorfkindern beschäftigte. Jedenfalls stand eine kleine Gruppe von drei Jungen und zwei Mädchen vor ihm und alle blickten ihn mit glänzenden Augen an. „Erzählt uns eine Geschichte!!“ „Ja! Wir wollen eine Geschichte von Euren Heldentaten hören!!“ Toshinori rieb sich den Nacken, lächelte schief, doch es war klar, dass er die Bälger nicht abweisen würde. Sein Freund war auch bei seinen eigenen Kindern sehr viel beliebter, als es Enji selbst war. Wundern sollte es ihn wohl nicht, schließlich war er allgemein kein so geselliger Mensch wie Toshinori. Ihm fehlte es an Feingefühl. Das war Tatsache… „Eine Geschichte…ah! Da fällt mir doch ein…damals, als Enji und ich an einer alten Ruine vorbeikamen, da ereignete sich Folgendes…“ Gut, den konnte er wohl erstmal vergessen. Enji bedeutete ihm, dass er schon mal in die Taverne gehen würde, woraufhin Toshinori ihm kurz zunickte, sich dann aber wieder den Kindern zuwandte. Kurz zögerte Enji, schaute aber schließlich in Richtung Aizawa, welcher den Blonden mit nachdenklichem Blick betrachtete. „Passt es nicht in Euer Bild, das Ihr von uns habt?“, fragte er spöttisch, woraufhin Aizawa eine Braue hob. „Gewöhnt Euch dran…er ist wirklich so freundlich, wie er tut. Ich weiß, schwer nachvollziehbar.“ Aizawa schwieg einen Moment, zuckte dann aber mit den Schultern. „Er ist mir sympathischer, als Ihr es seid“, gab er unumwunden zu, woraufhin Enji schnaubte. „Gleichfalls“, bemerkte er trocken, besann sich aber. „Der Älteste spricht mit den Fischern. Wir sollen uns in der Taverne niederlassen und warten – ich könnte mir zwar angenehmere Gesellschaft vorstellen, aber von mir aus könnt Ihr mich begleiten.“ „…großzügig“, kommentierte Aizawa dies tonlos und schob die Hände in die Taschen seiner Hose. Enji entgegnete nichts mehr darauf, sondern wandte sich einfach um. Mit gewisser Selbstzufriedenheit stellte er fest, dass ihm der Dunkelhaarige folgte. Nach dem dritten Schälchen Sake fühlte er sich innerlich schon etwas ruhiger. Er warf einen Seitenblick auf Aizawa, welcher neben ihm an der Bar saß und sich ebenfalls nicht zurückhielt. Anscheinend vertrug der Mann was, wenn er so zulangte. Nun, das wäre dann die erste sympathische Eigenschaft des Waldläufers, wie er für sich feststellte. Nach und nach füllte sich die Taverne mit mehr Menschen, hauptsächlich Männern, und es wurde lauter um sie herum. Am Ende eines langen Tages verspürte wohl der ein oder andere das Verlangen danach, sich ein bisschen gehen zu lassen. Enji konnte es ihnen nachempfinden, auch wenn er kein Händler, Bauer oder dergleichen war. Das Leben als Krieger war auch nicht immer einfach gewesen, vor allem in seinen jüngeren Jahren. Toshinori und er hatten eine ganze Menge Dreck fressen müssen, um sich ihr Ansehen zu verdienen. Da spielte es keine Rolle, ob man, wie in Enjis Fall, der Sohn eines Kriegers war oder nicht. Lehrjahre waren wohl niemals Herrenjahre. „Ihr gedenkt, über Nacht zu bleiben?“ Enji warf dem Dunkelhaarigen einen knappen Blick zu, ehe er nickte. „Ist das ein Problem für Euch?“, fragte er zurück. „Falls dem so sein sollte…keiner zwingt Euch, weiter mit uns zu reisen, falls Ihr es Euch anders überlegt. Ihr wärt nicht der Erste, der vor einem Dämon kapituliert.“ Aizawas rechter Mundwinkel zuckte mit einem Anflug von Spott nach oben, was nicht ganz zu seinem sonstigen, monotonen Verhalten passen wollte. „Wollt Ihr mich loswerden?“, erwiderte er und orderte mehr Sake. „Keine Sorge. Ich tue nie etwas, das ich nicht will…schon gar auf den Wunsch irgendwelcher hohen Herren. Ich bin neugierig, was weiter passieren wird…also komme ich mit Euch.“ „Huh…der Dämon scheint Euch nicht zu schrecken“, brummte Enji, der schon anderes erlebt hatte. Auf die Frage, ob er ihn loswerden wollte, ging er nicht ein. Eigentlich war es ihm recht egal, was der andere Mann tat, solange er nicht wieder unverschämt wurde oder sie beide behinderte. „Ehrlich gesagt…schrecken mich die meisten Menschen mehr als dieser Dämon“, gab Aizawa zurück. „Schlechte Menschen sind einfacher zu beseitigen als eine geflügelte Bestie“, meinte Enji bloß, woraufhin Aizawa ein verächtliches Schnauben von sich gab. „Schlechte Menschen kommen einfacher mit ihren Taten davon, nicht wahr? Man muss sie nur gut rechtfertigen.“ Dagegen konnte Enji nicht einmal etwas sagen, auch wenn es ihn ärgerte. Es stimmte schon, was er da von sich gab…und unweigerlich fragte er sich, zu welcher Kategorie er selbst wohl gehörte…mit all seinen Fehlern. Fehler, die er Aizawa natürlich nicht unter die Nase reiben würde. Das ging diesen nichts an. „Ihr könnt einem wirklich die Stimmung versauen“, brummte Enji und kippte ein weiteres Schälchen. Aizawa setzte schon zu einer Antwort an, als es draußen plötzlich lauter wurde. „Was zur Hölle…?!“, knurrte Enji, als Schreie ertönten, und knallte den Sake auf den Tresen. Er stürmte hinaus, Aizawa in seinem Rücken, als der Geruch von Verbranntem in seine Nase stieg. Draußen liefen die Dorfbewohner hektisch umher und die Ursache fand sich auch direkt. Jemand hatte eine der Hütten angezündet, woraufhin die Leute hektisch Eimer mit Wasser holten, um das Feuer zu löschen. In der finsteren Nacht loderten die Flammen in einem grellen Orange empor, tauchten die Umgebung in flackerndes Licht. Eine Gruppe von gut zwanzig Männern, einige davon auf Pferden und allesamt bewaffnet, schien das Dorf zu bedrohen. Toshinori hatte bereits sein Schwert gezogen, hielt gleich drei von ihnen in Schach, während die anderen auf die übrigen Menschen losgingen, sie niederschlugen und in ihre Hütten einfielen. Enji knirschte mit den Zähnen, als ihm bewusst wurde, dass das Dorf von Banditen überfallen wurde. Er entdeckte bereits einige regungslose Menschen, die in ihrem Blut lagen. Fluchend zog auch er sein Schwert und wetzte los, um eine am Boden liegende Frau davor zu bewahren, erschlagen zu werden. Er zögerte nicht, dem Mann das Schwert durch die Brust zu treiben, welcher Blut spuckte und zitternd zusammensackte. Wer eine wehrlose Frau angriff, hatte es nicht besser verdient. Er fuhr herum, rammte dem Mann, der ihn von hinten angreifen wollte, die Faust ins Gesicht und hoffte, dass er ihm den Kiefer gebrochen hatte. „Verdammtes Pack!“, grollte er zornig. Aus den Augenwinkeln sah er etwas an sich vorbeizischen, zuckte zusammen, als er den Windzug nahe an seiner Wange spürte. Ein Pfeil, wie er wenig später erkannte. Von Aizawa geschossen, der den Bogen noch in der Hand hielt, der Blick entschlossen. Enji verpasste seinem blutenden Gegner einen festen Tritt, ehe er kurz hinter sich sah, wo ein anderer Angreifer am Boden lag – der Pfeil steckte tief in seinem Auge. Enji schnaubte leise, denn ihm war klar, dass der Dunkelhaarige ihn soeben davor bewahrt hatte, verletzt zu werden. Sicher hätte er sich nicht töten lassen…aber er hätte vielleicht Schaden genommen. Dabei hasste er es, in der Schuld eines anderen zu stehen. Noch dazu in Aizawas, den er nicht ausstehen konnte. Er knirschte mit den Zähnen, ehe er sich abwandte, um sich die übrigen Männer vorzunehmen – darüber ärgern konnte er sich später noch. Jetzt mussten sie diese Leute beschützen! Toshinori schien jedenfalls keine Hilfe zu brauchen, riss gerade einen der Banditen am Bein von seinem Pferd herunter, als würde dieser nichts wiegen, und schlug ihn nieder. Dann tauschte er kurz einen Blick mit ihm, wandte sich aber sofort dem nächsten zu. Vermutlich hatte das Gesindel die Nacht nutzen wollen, um unbeobachtet in der Nacht ins Dorf einzufallen, wo niemand mit einem derartigen Überfall rechnete. Ihr Pech, dass sie es nun mit ihnen zu tun bekamen. „Scheiße!! Rückzug!!“, schrie einer von ihnen, vermutlich der Anführer, und riss an den Zügeln seines Pferdes. Aizawas Pfeil traf ihn ins ungeschützte Bein, sodass er erschrocken aufschrie, was wiederum dessen Pferd zum Scheuen brachte. Kaum dass er zu Boden fiel, sich hektisch aufrichten wollte, war er schon von den wütenden Menschen des Dorfes umringt, die mittlerweile Mistgabeln und Fackeln geholt hatten. Die Schreie des Mannes verklangen in der Nacht, als sie auf ihn einstachen…und auch seine restlichen Männer, die in der Unterzahl waren, fanden schnell ihr Ende. Es war vorbei. Glücklicherweise hatte das Feuer nicht zu viel Schaden angerichtet, es war bei der einen Hütte geblieben. Sie halfen den Menschen, ihre Toten zu begraben, während sich um die Verletzten gekümmert wurde. Eigentlich hätte ihr Abend bedeutend ruhiger enden sollen, aber na ja…das konnten sie jetzt wohl vergessen. Er ließ den Nacken knacken, streckte sich etwas, ehe ihm Aizawas Blick auffiel, welcher an der hölzernen Wand einer Hütte lehnte. Es war wohl, wie Toshinori gesagt hatte – im Zweifelsfall war er auf ihrer Seite. Dennoch gefiel es ihm nicht, in der Schuld des Mannes zu stehen. „Hn. Wenn Ihr eine Entschuldigung oder Dank erwartet, muss ich Euch enttäuschen. Ich hätte das auch allein geschafft“, brummte er angefressen, was Aizawa jedoch nicht kommentierte. Stattdessen zuckte er mit den Schultern und verschwand dann in Richtung Taverne, wobei sich Enji fragte, ob er dort wohl genau wie sie ein Zimmer mieten würde. Der seltsame Kauz schien sich ja weiterhin an ihre Fersen heften zu wollen. „Das ist wirklich schrecklich…“ Er drehte sich zu Toshinori um, welcher betrübt zu den trauernden Dorfbewohnern sah. Einige der Frauen hatten ihre Männer und Kinder ihre Väter verloren. „Wären wir nicht vor Ort gewesen, wären noch mehr Menschen tot“, brummte er bloß, denn warme Worte waren nicht seine Stärke. Sein blonder Kamerad nickte, blickte nachdenklich zu den Menschen, denen sie geholfen hatten. „Ich weiß. Trotzdem wünschte ich, ich hätte sie eher bemerkt…und nicht erst, als die Hütte brannte. Ich war durch die Kinder abgelenkt und hatte die Umgebung nicht mehr im Blick…wäre ich aufmerksamer gewesen, hätten wir sie vielleicht alle retten können.“ Enji schnaubte. „Du wärst eigentlich bei uns gewesen…und nicht hier draußen. Also hättest du sie in dem Fall noch später bemerkt. Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Das hilft auch keinem.“ Toshinori lächelte bitter, nickte aber zu seinen Worten. Die Reaktion seines Kameraden wunderte ihn nicht; es war dessen Art, sich für solch vermeintliches Versagen verantwortlich zu fühlen. Es war nicht so, dass es Enji egal war…doch Vorwürfe brachten nichts. Besonders in solch einer Situation nicht. „Komm…Aizawa ist schon zurück zur Taverne. Nachher lässt er dir nichts vom Sake übrig.“ Toshinori seufzte leise, folgte ihm aber. Sie wussten beide, dass der blonde Hüne nur selten Alkohol trank. Von wegen Kontrolle behalten und so ein Kram. Dennoch…es gab Momente, in denen konnte ein Schälchen Sake nicht falsch sein…und wenn er sich Toshinoris betrübte Miene so ansah, durfte es ruhig eins mehr als sonst sein. Am nächsten Morgen waren sie schon früh auf den Beinen. Nachdem sie die Gelegenheit genutzt hatten, ein Bad zu nehmen und ordentlich zu essen, packten sie ihr Hab und Gut für die Weiterreise zusammen. Was sie beide wunderte, war die Tatsache, dass eine der Satteltaschen verschwunden war. In dieser hatten sich ein Kompass, ein Messer sowie einige Flaschen gefüllt mit Sake und einige Münzen befunden. Es war ärgerlich und er fragte sich, ob jemand den Tumult genutzt hatte, um sie zu bestehlen. Den Dörflern traute er solch eine Dummheit eigentlich nicht zu…und außerdem hätten sie doch dann alles gestohlen? Es war seltsam, doch den Ärger, wie selbst Enji zugeben musste, nicht wert…auch wenn das mit dem Kompass wirklich bitter war, doch so hatte Aizawa zumindest einen weiteren Nutzen für sie. Sie würden zu Pferde einen Abstecher zum angrenzenden See machen, um die Netze abzuholen, die ihnen auf Geheiß des Dorfältesten gestellt werden würden, und sich danach direkt wieder auf die Jagd nach dem Dämon machen. „Alles in Ordnung, Aizawa-san?“, riss ihn Toshinoris Stimme aus den Gedanken und er wandte sich um. Der Angesprochene blickte die Pferde mit Missbilligung an, schien sich diesen auch nicht mehr als nötig nähern zu wollen. „Ich werde zu Fuß reisen“, kam es knapp von diesem, woraufhin Enji grinsen musste. „Sagt bloß, Ihr könnt nicht reiten?“, fragte er spöttisch nach und schloss den Riemen der Satteltasche. „…“ Das darauffolgende Schweigen war wohl Antwort genug und es amüsierte Enji, ganz im Gegensatz zu Toshinori, der die Stirn runzelte. Dann aber hellte sich dessen Miene auf und er tätschelte seinem Apfelschimmel den Kopf, was die Stute gutmütig hinnahm. „Keine Sorge, Aizawa-san! Morgenstern hier ist eine ganz Liebe und so robust wie ein Kaltblüter! Ihr wiegt ja sicher nicht so viel, da könnt Ihr für eine Weile hinter mir aufsitzen!“ Aizawa starrte ihn an, als glaubte er, dass dies ein schlechter Scherz sei. Da Toshinori ihn aber regelrecht anstrahlte, musste er diese Hoffnung wohl begraben. „Ich-“ „Widersprecht nicht und tut, was er sagt“, ranzte Enji ihn an und stieg auf seinen Fuchs. „Er wird sich ohnehin nicht davon abbringen lassen.“ Aizawa funkelte ihn finster an, doch wie Enji es vorhergesagt hatte, stieg sein blonder Kamerad in den Sattel und hielt dem Dunkelhaarigen auffordernd die Hand hin. Dieser wirkte alles andere als begeistert, doch bei dem strahlenden Lächeln war er machtlos, sodass er diese schließlich annahm. „Einen Fuß in den Steigbügel und dann hoch mit Euch!“, meinte er euphorisch grinsend, während dessen Pferd die Ruhe selbst war. Aizawa tat es schweigend, keuchte aber erschrocken auf, als der Hüne ihn mit einem plötzlichen Ruck hochzog und er dadurch beinahe von der anderen Seite wieder runterfiel. Mehr aus Reflex klammerte er sich an Toshinori fest, welcher ihn gut gelaunt über seine Schulter hinweg ansah. „Na also! Und schon sitzt Ihr im Sattel! Gut festhalten, ja?“ Er grinste breit und tätschelte dann Morgensterns Hals, welche ein leises Brummen von sich gab. Man sah Aizawa an, wie unwohl er sich fühlte, und eine gewisse Genugtuung darüber konnte sich Enji nicht verkneifen. Vor allem, als Toshinori die Zügel ergriff und sein Pferd antrieb, welches wie von Sinnen lospreschte…und damit ihr Begleiter abermals fast herunterfiel. Infolgedessen presste sich dieser wie eine zweite Haut an seinen Vordermann und Enji wettete darauf, dass Aizawa leise fluchte. Tja, Morgenstern war eben wie ihr Besitzer… Als sie am See ankamen und Aizawa abstieg, taumelte dieser ein wenig, wirkte zittrig. Pferde waren diesem wohl wirklich nicht geheuer, wenn man ihn sich so ansah. „Seid Ihr in Ordnung, Aizawa-san?“, fragte der blonde Hüne besorgt und stieg ebenfalls von seinem Pferd. Dieser nickte nur still, auch wenn er immer noch blass um die Nase war. Für jemanden wie Enji, der mit Pferden aufgewachsen war und schon früh mit dem Reiten angefangen hatte, war dies unverständlich, aber wer wusste schon, aus welchem armen Kaff Aizawa stammte. Vielleicht gab es dort nicht mal Pferde? Fragen würde er sicherlich nicht. Er stieg von Feuersturm herunter, welcher ihm einmal durchs Haar schnaubte, sich aber ansonsten ruhig verhielt. Sein Pferd war im Gegensatz zu Toshinoris launischer – und er hatte schon mehr als einmal gehört, wie gut dieses zu ihm passte. Nun, leugnen konnte er das leider nicht, jedoch war das Tier in jeder noch so brenzligen Situation gefasst, besaß scheinbar Nerven aus Stahl, was gerade bei einer Dämonenjagd von Vorteil war. Die Fischer schienen sie schon zu erwarten, sodass sie die Pferde in der Nähe des Stegs anbanden und zu ihnen herübergingen. Das Sonnenlicht spiegelte sich im klaren Wasser des Sees wider, in dessen Mitte sich eine kleine grüne Insel befand. Die hölzernen Boote lagen am Ufer, an welchem Schilf und Moos wuchsen, waren jedoch zusätzlich am Steg festgemacht. Es wirkte regelrecht idyllisch, sodass es Enji nicht wunderte, dass die Menschen hier einige Hütten errichtet hatten, vermutlich permanent hier lebten. „Ihr müsst die edlen Herren sein, die uns angekündigt wurden?“, begrüßte sie einer der Männer und neigte ehrfürchtig den Kopf. „Wir haben die Netze, die wir entbehren können, für Euch zusammengetragen…jedoch…seht selbst…“ Sowohl Enji als auch Toshinori stutzten, als sie zu den Netzen geführt wurden, welche allesamt zerrissen waren. Die Löcher so groß, dass diese nichts mehr gefangen halten würden, und sie zu flicken, würde wohl einiges an Arbeit in Anspruch nehmen…wenn man sie nicht besser neu knüpfte. Er schnaubte leise, sah zu dem Mann, der sie hergeführt hatte und offensichtlich betrübt über den Schaden war. „Das Werk der Banditen? Sind sie auch hier eingefallen?“, erkundigte er sich, woraufhin der Mann zögerte. „Wir sind nicht sicher. Es muss geschehen sein, als wir das Feuer sahen und zum Dorf liefen, um zu helfen. Keiner von uns hat etwas mitbekommen und-“ Er hielt inne, als sich Aizawa zu den Netzen kniete und das Material betrachtete, ehe er die zerrissenen Stellen mit den Fingern nachfuhr. Er zog eines der Netze auseinander und nun sah man die riesigen Löcher noch besser. „…das war keine Klinge“, brummte er nachdenklich. „Und mit bloßen Händen schaffen es die wenigsten Menschen…“ Er verstummte, scheinbar in seinen Gedanken versunken, und Enji ahnte, worauf er hinauswollte. Das konnte doch nicht sein…oder? Andererseits hatten sie in der vorletzten Nacht offen am Feuer darüber geredet und… „Oh~ habe ich euch euren hübschen, kleinen Plan versaut? Das tut mir aber leid…“ Sie fuhren synchron herum, als die bekannte Stimme ertönte und gleichzeitig das schrille Wiehern der Pferde sowie die panischen Schreie der Fischer. „Ich muss zugeben, mit ein bisschen Glück wäre die Idee gar nicht mal so schlecht gewesen. Ich habe euch ja tatsächlich durch die Bäume verfolgt und na ja…einmal nicht aufgepasst und zack! Mitgehangen, mitgefangen, huh?“ Der Dämon lachte über seinen eigenen Witz, während er über dem See schwebte, wobei seine Flügel unablässig schlugen. Durch die Sonnenstrahlen leuchtete sein rotes Gefieder regelrecht, sodass es noch auffälliger wirkte. Belustigt funkelte er sie aus seinen unmenschlichen Augen an, streckte dann eine mit scharfen Klauen besetzte Hand aus, in der er etwas aus braunem Leder hielt. Die vermisste Satteltasche – und bei der Erkenntnis wurde Enji übel. „Wie bist du unbemerkt ins Dorf gekommen, Kreatur?!“, rief er, während die Fischer merklich zurückwichen. Der Dämon grinste noch breiter, griff in die Tasche und holte den Kompass heraus, drehte diesen geduldig in seinen Krallen. „Das war gar nicht so schwierig…ihr wart ja abgelenkt vom Überfall dieser Typen. Also bin ich durchs Fenster und hab mich etwas umgesehen. Hab gleich am Geruch erkannt, welches euer Zimmer ist. Sowas ist ein Klacks für mich…ups!“ Er ließ den Kompass wie aus Versehen fallen, wo er in den Tiefen des Sees verschwand. „Ihr spielt mit dem Feuer, Dämon“, kam es ruhig von Toshinori, der seine Armbrust zog. „Ach, tue ich das? Ihr habt mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich machen kann, was ich will. Ihr glaubt mir nicht, ihr wollt mich töten…warum mir also keinen Spaß mit euch erlauben? Upsi…“ Die Goldmünzen landeten eine nach der anderen im Wasser, wobei die Harpyie ein betroffenes Gesicht machte. „Ich bin aber auch ein Tollpatsch…“ „Du wagst es, uns zu veralbern?!“, zischte Enji zornig und zog ebenfalls seine Armbrust, doch der Dämon lachte bloß. „Na gut, ich merke schon, ihr seid nicht zu Scherzen aufgelegt – seid ihr irgendwie nie. Muss ein ziemlich tristes Leben sein, so ohne Humor…“, plapperte er weiter und wich spielend leicht einem der Bolzen aus, welcher im See versank. „Ihr verschwendet eure Munition…aber hey, nur weiter so…kommt mir ja nur zugute. Also…wo war ich? Ach ja…tristes Leben, humorlos…“ Der Dämon sah von einem zum anderen, ehe er die Tasche packte und einfach umdrehte, um sie über dem See auszukippen. Genau vor ihren Augen. Er führte sie mit voller Absicht vor und das auch noch vor den Fischern. Am liebsten hätte Enji dem vermaledeiten Federvieh den Hals umgedreht, doch dieser war zu weit entfernt. Sie würden ihn so nur schwer erwischen können…und das wurmte ihn ungemein. „Tja…selbst schuld. Ich bin eigentlich ganz umgänglich, aber ihr habt mich angeschossen und mir mein Mittagessen versaut. Da bin ich wirklich nachtragend, wisst ihr? Keiner lässt sich gern das Essen madig machen…“ Er schnalzte mit der Zunge und warf dann die Satteltasche einfach in den See. „Also zahl ich es euch zurück und ihr könnt nichts dagegen tun. Heh…ist ein scheiß Gefühl, oder? Tja und mit euren Spielzeugen könnt ihr mich hier nicht vom Himmel holen – dazu bin ich zu schnell. Letztens war einfach ein ungünstiger Moment, aber hier…gerade jetzt…ich könnte euch im Sturzflug packen und euch jeden Knochen brechen, während ich euch die Eingeweide aus euren zappelnden Körpern reiße…uh, ihr würdet quieken wie die Schweine.“ Er funkelte sie belustigt an, machte aber keine Anstalten, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Das war beim letzten Mal auch so gewesen…er drohte, aber griff nicht an. Was war das für eine List? Oder nährte er sich von der Angst der Menschen? Bei den Fischern funktionierte es jedenfalls, denn einige von ihnen rannten schreiend davon. „Aber ich tu’s nicht…weil ich ein nettes Vögelchen bin. Also sag ich es euch noch mal…geht einfach. Verschwindet aus meinem Wald und ich bleibe von nun an brav.“ Enji knirschte bei dem Angebot mit den Zähnen, denn es machte ihn unfassbar wütend. Wie der Dämon so tat, als seien sie auf dessen Gnade angewiesen…niemals. Er hob abermals die Armbrust, zielte auf den Vogel, welcher leise seufzte. „Narren…“, brummte er und spreizte die Flügel. „Wenn ihr es n-“ Ein plötzlicher Ruck ging durch den Körper des Dämons, dann erstarrte er und…klatschte bewegungslos vom Himmel. Direkt in den See…wo er eine Weile nicht mehr hochkam. Stille legte sich über den Ort und er sah von Toshinori zu Aizawa – bei welchem er innehielt. Bildete er sich das seltsame Glimmen in dessen Augen ein? Er blinzelte einmal, nur um zu erkennen, dass es beim nächsten Wimpernschlag verschwunden war. Die Miene ihres Begleiters war so ausdruckslos wie eh und je. Verunsichert wandte sich Enji wieder ab, denn in dem Moment tauchte der Dämon wieder auf und paddelte sichtlich angestrengt zur Insel, wo er sein nasses Gefieder schüttelte. Der Blick der Kreatur wanderte von einem zum anderen, dann schnaubte sie und verschwand zwischen den Bäumen. „Wir sollten weiter“, hörte er Aizawa sagen. „Die Fallen haben sich erledigt. Somit hält uns hier nichts mehr, nicht wahr?“ Enji verengte die türkisfarbenen Augen, während er Aizawa eindringlich musterte. Das eben…hatte das etwas mit diesem zu tun? Doch eine plausible Erklärung wollte ihm nicht einfallen. „Aizawa-san hat Recht, Enji. Bis wir die Insel erreicht haben, kann der Dämon sicher wieder fliegen und uns entkommen – was auch immer da gerade passiert ist. Mh…vielleicht haben ja sogar Dämonen sowas wie…Schwächeanfälle? Wir sollten ihm jedenfalls besser in den Wäldern auflauern“, stimmte Toshinori zu. Enji schnaubte nur, weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Schwächeanfälle? Er glaubte es kaum. „…gut“, meinte er jedoch bloß, wobei er den Dunkelhaarigen immer noch fixiert hielt. Er würde diesen wohl in nächster Zeit besser im Auge behalten. Irgendwas ging da eindeutig nicht mit rechten Dingen zu… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)