Bird of Paradise von Dudisliebling ================================================================================ Kapitel 8: Hoffnung ------------------- 8. (Yosuke) Ich hatte einen Fehler gemacht. Schon wieder. Hatte ich denn durch Kusuri gar nichts gelernt? Das ich behutsamer mit meinen Freunden sein sollte? Sie nicht verschreckte, wenn mich die Lust überkam? Es hörte sich an, als wäre ich ein unbezwingbarer Teenie, der sich nicht im Zaum zu halten wusste. Ich war erwachsen, alt genug, wenn man es so bemerken konnte. Warum machte ich dann immer noch alles falsch? Siakoh, glitt sein Name durch meine Gedanken, als ich nun oben in meinem Bett lag, den Ellenbogen über meine Augen gelegt hatte und mich in Dummheit und Selbsthass suhlte. Wieso hatte ich ihn nur küssen müssen?, rügte ich mich und dachte an den Geschmack seiner weichen Lippen, die ich zum ersten Mal gekostet hatte. Seine warme, leicht raue Zunge, die sich um meine schlang und mehr wollte. Unachtsam und voller Gier auf die Liebe, nach der ich mich von anderer Seite aus sehnte, hatte ich ihn auf die Bühne gedrückt, mich fast auf ihn gelegt und gezeigt, zu was ich im Stande wäre. Was ich ihm geben könnte. Wenn er nicht wäre. Kusuri. Bei diesen Worten schmerzte mir mein Herz. Er war alles für mich und würde es immer sein. Mein ganzes Sein hatte sich auf meinen einstigen Freund geprägt. Ich wollte nur ihn, mit Haut und Haar. Die Hexe der Zeit, Byorigaku, hatte mir auch noch ins Ohr geflüstert, dass ich nur auf den richtigen Moment zu warten hatte, um ihn zurückzugewinnen. Ich setze alle meine Hoffnung und Geduld dafür ein. Gab einfach alles und verletzte die, die mir mittlerweile sehr lieb und teuer geworden waren. Ich wusste von Siakohs Gefühlen für mich und nutze diese ab und an schamlos aus. Deshalb hatte es heute wohl auch geknallt. Endlich konnte man sagen, denn es wurde Zeit. Wir mussten diese Sache klären und ich sagte ihm, wie ich fühlte. Dabei schnitt ich verbale Wunden in sein Herz und konnte förmlich zusehen wie es brach. Warum hatte ich das nur getan? Warum hatte ich mich an ihn geklammert wie ein Baby an seine Mutter? Weil er mir die Last nahm. Er war für mich da, wenn der Kummer und die Einsamkeit mich übermannten. Siakoh war der Einzige gewesen, der so lange Zeit bei mir geblieben war, obwohl wir uns zuvor kaum kannten. Natürlich, der Krieg verband so manche Männer zu Lebensfreunden. Aber bei uns war es doch ganz anders. Es schien, als würde er wissen, wie ich mich fühlte. Ich hatte ihn nie danach gefragt, aber ich glaube, auch er wurde einmal verlassen. Nicht nur von Manolo, als dieser gestorben war und ich zwei Tage mit dieser Gewissheit kämpfte und nicht gewusst hatte, wie ich es Sia beibringen sollte. Es musste jemand anders gewesen sein. „Egal!“, seufzte ich meine Überlegungen beendend. „Ich muss mich entschuldigen!“, nahm ich mir vor und schwang mich aus dem Bett. Sicher wäre er noch unten und würde die Wut beim Aufräumen rauslassen. Wenn Sia schlecht gelaunt war, putze er wie eine Furie. Doch diesmal nicht. Ich kam in den leeren Saal unserer Bar und sah mich einmal komplett um. Meine Nase war schlecht zu gebrauchen, da hier alles nach ihm roch. Er legte das Parfum noch immer auf, welches ich ihm vor so langer Zeit einmal empfohlen und aus Dank geschenkt hatte. Als er auch in den sanitären Räumen nirgends zu finden war, auch nicht auf mein Rufen reagierte, kroch in mir eine ungeahnte Panik hinauf. Es war dieselbe Panik, die ich damals verspürt hatte, als ich Kusuri nicht mehr neben mir fand. Damals hatte ich zwar geahnt, dass dies passieren könnte, dass er vielleicht einige Tage oder Wochen brauchte um sich seiner Gedanken klar zu werden. Aber nun, da ich wusste, dass aus diesen Tagen und Wochen, Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte werden konnten, konnte ich nicht ruhig bleiben. Meine Beine trugen mich durch das ganze Haus und suchten nach einer frischen Fährte. Doch nirgends fand ich etwas. Also lief ich zur Tür und als ich den Griff packte, erkannte ich seinen Geruch am Frischesten. Er war gemischt mit Salz. Das gab mir Gewissheit, dass er fort, hinaus gegangen war und auch das er weinte. Wegen mir. Ich hatte ihn also so sehr verletzt? Nach meinem kurzen Zögern lief ich los und verlor seinen Geruch recht schnell aus der Nase. Die Umgebung war von einem Festival verseucht, das an diesem Abend zusammen mit einem Zirkus aufgestellt worden war. Überall roch es nach Benzin und Motoren die noch für Wärme sorgten, wenn die Menschen in ihren Wagons schliefen. „Siakoh!“, rief ich laut in die Dunkelheit, doch er hörte mich nicht. Etwas in mir brach und ich begann zu hecheln und zu keuchen. Mein Herz raste plötzlich und ich drohte umzukippen. Ein heftiger Schock schüttelte mich durch und mühsam schaffte ich es nach Hause zurück. Ich sperrte alles ab, verbarrikadierte mich in seinem Raum und roch an einem Kissen, das ihm gehörte. Ob es Heuchelei war? Sicherlich. Denn ich hatte ihn von mir weggestoßen. Ich hatte ihm Hoffnungen gemacht, wo es keine gab. Und nun? Nun war ich wieder allein. Drei Tage betrank ich mich hoffnungslos, machte fast die ganze Bar leer. Wartete auf Siakohs Rückkehr und gab am Ende auf. Er hatte mich verlassen, das musste ich akzeptieren. Warum ich dies nicht auch bei Kusuri gekonnt hatte, war mir ein Rätsel seit mein Kopf im Nebel des Alkohols versank. Als ich am vierten Tag, verkatert, aber nüchtern aufwachte, stopfte ich alle meine Kleidung, etwas Geld und meine Erinnerungsstücke in einen Rucksack und verließ das Manolos. Ich brach alles ab, weil ich mich auf das konzentrieren wollte, was mir nach alledem geblieben war. Die Hoffnung und Sehnsucht auf Kusuri, der mein Herz bei sich hatte. Mit der Cessna flog ich in mehreren Etappen nach Japan zurück und kehrte bei einer alten Bekannten ein. „Musstest du mit diesem Ding meinen ganzen Garten so verwüsten?“, schimpfte sie, als ich aus meinem kleinen Flieger ausstieg und sie grimmig musterte. „Gibt es eine Eingrenzung der Wartezeit?“ „Oh, heute kommst du ja direkt auf den Punkt, Yosuke.“, bemerkte sie, als ich an ihr vorbeistampfte und in ihr traditionelles Anwesen ging. „Ich habe genug Scheiße durch und brauche endlich ein Datum. Ein Ende aus diesem ewigen Kreis, der sich immer und immer wiederholt.“ „Liebeskummer? Armer kleiner Wolf.“, maulte die Frau mit dem violetten Haar und kam mir ganz nah. Ihre Hände schlangen sich um meine Hüften und sie schob ihren vollen Busen an meine Brust. „Ich kann dir helfen!“, bot sie an. „Lass das!“, befahl ich und schob ihre Arme von mir. „Ich will nur einen! Also schau endlich nach ob ich ihn bald wiedersehen kann!“ „Tze. Sowas Langweiliges.“, jaulte sie auf und rollte die schneeweißen Augen. „Na los, Byorigaku.“, knurrte ich sie an und sie geriet in Bewegung. „Is ja gut!“, schimpfte sie und ging in einen Raum, in dem sie immer verschwand, wenn sie eine größere Frage mit der Zeit zu klären hatte. Ich ließ mich an der Wand dieses Raumes niedersinken und verschloss die Augen. Wann würde ich endlich am Ende ankommen? Mein Glück finden? Es vergingen einige Tage, in denen ich mit Byorigaku trank. Sie musste auf ein Zeichen warten und ich wurde immer ungehaltener. Ich hielt es nicht mehr aus. War zwischen meiner Schuld und der Erlösung hin und her gerissen. Wieso musste ich so leiden und ließ auch die anderen leiden? Vielleicht hätte ich diese Erde nie betreten sollen, dachte ich nun so oft am Tage, das ich mich fast dazu entschloss, es einfach zu beenden. Ich brachte nicht nur mir Unglück, sondern auch so vielen anderen. Kusuri, Siakoh… ich hatte die Liebe gar nicht verdient. So dachte ich und setze die Schnapsflasche ein weiteres Mal an die Lippen. Ich würde mich besinnungslos trinken. Vielleicht würde mich das endlich erlösen. Doch bevor ich einen weiteren Schluck nehmen konnte, schob Byorigaku ihre Hand auf die Flasche und drückte sie hinab. „Dass du einmal so tief sinken würdest, hätte ich nie geglaubt.“, wisperte sie und ich ergriff ihr Kinn. Grob presste ich meine Finger auf ihren Kiefer und blickte in ihre ruhigen und gelassenen Augen. Diese Ruhe und die Gewissheit, dass sie die Einzige auf der Welt war, die noch einsamer war als ich es je sein könnte, ließen mich brechen. Meine Augen brannten, meine Finger zitterten und ich wendete den Blick ab. „Verzeih mir die Grobheit.“, brachen sich die Worte aus meinem Mund, als ich die Reue so tief in mir spürte, wie nie zuvor. „Noch 50 Jahre, Yosuke.“, hörte ich sie sagen und riss die Augen auf. Ich hob meinen Kopf und erfasste ihr lächelndes Gesicht. „Dann wirst du Kusuri wiedersehen können und ihr werdet euch nie mehr trennen.“ „Bist du dir da sicher?“, fragte ich atemlos. Konnte es wirklich wahr sein, dass sie mir nun endlich das Ende voraussagte, auf das ich so lange gewartet hatte? Welches ich so herbeisehnte? „Ja.“ Lächelte sie. Nun packte ich sie bei den Armen und zog sie in meine. Ich drückte ihren Kopf an meine Schulter und begann wie ein Kind zu weinen. Die Tränen rannten wie Bäche über meine Wangen und ich spürte wie der Felsen in meiner Brust zu bröckeln begann. Ich schämte mich in diesem Moment keine Stärke zeigen zu können. Aber ich war am Ende. „Gott, Yosuke!“, schollt mich die Hexe und umarmte mich doch liebevoll, gab mir Halt. Es vergingen 50 Jahre, drei Monate und 24 Tage, als endlich der Moment gekommen war. Ein nachtblauer Anzug war erwählt worden, dazu ein weißes Hemd. Das gelbe Band zog ich doppelt um mein Handgelenk. So viele Jahre hatte es mich begleitet, durch diese Hölle meines Lebens. Oft hatte ich auch an Siakoh gedacht, hoffte, dass er nun endlich jemanden gefunden hatte, der ihn so liebte, wie er es verdiente. Die Welt war offener geworden, hatte sich auch unseresgleichen geöffnet und uns akzeptiert. Jeder durfte lieben, wen er zu lieben gedachte. Als ich meine Krawatte band dachte ich darüber nach, wo er nun wohl war? Sicher in einem warmen Land, indem es viel Wald und Bäume gab. Er hatte die ruhigen Plätze der Erde immer genossen. Das war mir aufgefallen als wir seinerzeit an den Stränden oder Flüssen gesessen hatten und es genossen hatten, frei zu sein. Oh, Siakoh. Ich hoffe dich irgendwann einmal wiederzusehen und mich dafür zu entschuldigen, was ich dir angetan hatte. Und ebenso wollte ich ihm zeigen, dass die Liebe immer einen Weg fand, egal wie lange es dauern mag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)