🎁Twenty four days before christmas 🎄 von Helier ================================================================================ Kapitel 12: Weihnachtstraditionen --------------------------------- Wutschnaubend riss Lioba die Schublade ihres Schreibtisches auf. Mit einer eindeutigen Geste landete das Gestrüpp darin, dann wurde sie zugeknallt. Sie hatte ihrem Vater ausdrücklich gesagt, er sollte keine bestellen. Als sie dann heute Morgen als erstes im Verlag angekommen war, um a die Jahresendbesprechung vorzubereiten, hatte die junge Frau die Mistelzweige entdeckt. In der Deko, die schon überall für die Party hing, waren sie unauffällig platziert worden. Sie hatte es sich gespart, beim Floristen anzurufen. Sie wusste, dass dies kein Fehler war. Helier hatte sie bestellt, nur um sie zu ärgern, da war Lioba sich sicher. Gerne würde sie ihren Vater dafür einen Kopf kürzer machen, aber nicht heute, wenn alle Mitarbeiter da waren. Das Hühnchen würde sie die Tage unter vier Augen mit ihm rupfen. Jetzt ging sie in den Konferenzraum, um die Besprechung vorzubereiten. Danach würde die Weihnachtsfeier im Untergeschoss des Verlags stattfinden, wo es einen Raum genau für sowas gab, den sie heute als erstes inspiziert hatte. Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Sie hatte das vorgefunden, was sie erwartet hatte, im Gegensatz zu ihrem Vater. Helier trudelte als zweites ein. Mit fragendem Gesicht betrat er den großen Konferenzraum. „Guten Morgen.“, begrüßte Lioba ihn und lächelte, obwohl sie ihm lieber ins Gesicht gesprungen wäre. „Morgen, Liebes. Sag mal, warst du schon unten im Raum?“ „Nein. Wieso, stimmt was nicht? Ist die Deko nicht so, wie wir sie bestellt haben?“. Ihr Vater zögerte. „Nein, nein. Alles schon wie jedes Jahr. Wollte nur wissen, ob du es dir auch schon angeschaut hast?“. Von wegen. Ihm fehlten die Mistelzweige, das konnte er aber nicht sagen, sonst würde Helier sich verraten. „Alles fertig für die Besprechung?“ „Ja. Laptop und Beamer laufen, Kaffee ist fertig, Donuts und Muffins stehen bereit. Fehlen nur noch die Mitarbeiter. Aber die haben auch noch eine halbe Stunde Zeit.“ „Dann genießen wir noch einen Moment die Ruhe? Kaffee, Liebes?“ „Gerne, Dad.“ Die Jahresendbesprechung lief ab wie jedes Jahr. Ihr Vater und sie bedankten sich bei allen für ihre tolle Arbeit, es wurden Kennzahlen besprochen und neue Buchprojekte vorgestellt. Aber eigentlich saßen die alle auf heißen Kohlen, da sie nur auf eins warteten: Den Beginn der Weihnachtsfeier. Der krönende Abschluss des Jahres. Zum Glück war Helier niemand, der lange schwafelte. Nach gut zwei Stunden gingen sie alle gemeinsam runter in den „Festsaal“, wie er betitelt wurde. Man musste schon sagen, die Deko haute einen dieses Jahr wieder mal um. Es war nicht kitschig, es war einfach weihnachtlich. Es hingen Girlanden aus Tannengrün an den Wänden, die mit Lichterketten umwickelt waren. Auf den Tischen standen Gestecke aus Christsternen und Steckpalmen. In einer Ecke prangte ein Weihnachtsbaum, der in Rot geschmückt war. Darunter standen die Präsentkörbe, für jeden Mitarbeiter einen. Es wurde Sekt verteilt, damit sie alle gemeinsam anstoßen konnten. „Auf Weihnachten und auf einen feuchtfröhlichen Abend“, prostete Helier allen zu. Gläser klirrten, es wurde gelacht und dann entstand Stille, da sie alle an ihren Gläsern nippten. „Bevor wir zum festlichen Teil übergehen, werden wir uns erstmal stärken. Haut rein, das Buffet kann geplündert werden.“ Dies ließ sich niemand zweimal sagen. Der ganze Verlag schien sich gleichzeitig zum Bufett aufzumachen. Gesittet. Die Tische waren nicht mit einer Sitzordnung versehen, jeder konnte sich hinsetzen, wo er wollte. Zu Beginn sammelten sich die Abteilungen meist geschlossen an einem Tisch, später waren sie alle kunterbunt im Raum verstreut. Lioba setzte sich neben Seth, den Leiter der Personalabteilung. Die beiden kannten sich seit der Uni und waren privat befreundet. Mit Vorzügen. Helier saß bei den Grafikern. Die Geräuschkulisse im Raum änderte sich von wildem Geschnatter zur gefräßigen Stille. Nachdem sich alle rund gegessen hatten, kam der spaßige Teil. Die Abteilungen führten ihre „Weihnachtsdarbietungen“ vor, die sehr kreativ waren. Die IT hatte das Krippenspiel umgeschrieben. Nun lag ein Tablet statt eines Babys in der Krippe und die drei Könige kamen ganz bestimmt nicht mit Weihrauch, Gold und Myrre. Die Grafiker hatten die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens als Bilderpräsentation neu aufgelegt. Im Stil des Verlags, daher war die Geschichte viel blutiger und ging nicht ganz so gut aus wie im Original. „Das könnten wir doch nächstes Jahr auf den Markt bringen“, schlug Helier seiner Tochter vor, die derselben Meinung war. Die Finanzabteilung legte einen Schuldenplan für den Weihnachtsmann dar und die Personalabteilung hatte sich mit dem Arbeitsrecht für Elfen befasst. Die Lektoren waren die letzten an der Reihe, sie gaben einen Sketch zum Besten, in dem sie Wunschzettel Korrektur lasen. Das ganze Programm dauerte bestimmt gut zwei Stunden, was sich nicht so anfühlte. Dafür amüsierten sie sich alle viel zu sehr und tranken dabei kräftig. Die Kellner waren auf Zack. Kaum war das Glas geleert, wurde es schon ausgetauscht oder aufgefüllt. Nach dem Programm begann die Band zu spielen, doch das war nicht alles. Auch die Ehepartner und Lebensgefährten der Mitarbeiter trafen ein, ebenso die Autoren des Verlags. Die Party war für alle gedacht. Jedenfalls bei denen, die in einer Beziehung waren. Lioba holte sich gerade ein neues Glas Rotwein, als ihre Mutter neben ihr auftauchte. Lilith begrüßte ihre Älteste liebevoll und verschwand dann zu ihrem Mann. Die Schwarzhaarige nahm einen großen Schluck von ihrem Rotwein. Ihre Wangen glühten. Die Menge des Alkohols hatte eine wärmende Wirkung und eine leicht benebelnde dazu. Die ganzen Paare, um sich zu sehen, war einfach frustrierend. Sie wollte keine Beziehung, doch an Festen wie Weihnachten zog das „Alleinsein“ sie trotzdem runter. Ab und an. „Na, ganz alleine heute Abend?“ Zusammenzuckend sah die junge Frau zur Seite, um sich gleich darauf ein Augenrollen zu verkneifen. Dylan Miles. Perfekte sitzende blonde Haare, leuchtend braune Augen, charmantes Lächeln, sodass sie ihm am liebsten vor die Füße gekotzt hätte. Das konnte sie aber nicht, denn er war Autor im Verlag. Seine Bücher verkauften sich gut, weshalb sie ihn nicht vergrätzen durfte. „Das gleiche könnte ich Sie fragen. Heute keinen weiblichen Fan dabei, der Sie anhimmelt?“ Zum Glück verstand er es nie, wenn sie ihn höflich angriff. Er fand es eher charmant. Idiot. Auch jetzt lachte er charmant und stellte sich noch näher an die junge Frau heran. „Ich hatte gehofft, Sie hier zu treffen.“ „Damit ich Sie anhimmle?“ Und wieder affiges Gelächter. Mit einem genervten Blick zur Seite trank die Schwarzhaarige schnell ihr Glas aus. Sie musste hier weg, bevor der Heini noch näher kam. Dylan wollte etwas erwidern, doch schnell stellte Lioba ihr leeres Glas auf die Theke und entschuldigte sich. Sie müsste mal wohin. Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie aus dem „Festsaal“. In der sicheren Frauentoilette atmete sie erstmal tief durch. Dylan Miles hatte von Anfang an Interesse an ihr gezeigt. Aber es war unprofessionell, mit „Kunden“ in die Kiste zu steigen. Außer sie waren heiß, charmant und man konnte einfach nicht anders. Das traf auf den eingebildeten Affen nicht zu. Wenn sie schon mal hier war, konnte sie auch direkt für kleine Mädchen gehen. Je länger sie weg war, desto höher war die Chance, dass Miles im Gespräch mit jemand anders verwickelt war. Hände waschen, danach noch einen Blick in den Spiegel und die Lippen nach ziehen. Nicht für den Affen, für sich. Lioba machte sich gerne schick. Erhobenen Hauptes verließ sie die Frauentoilette und erstarrte. „Da sind Sie ja endlich. Ich dachte schon, Sie hätten sich davongeschlichen.“ Der Lackaffe stand auf dem Flur, direkt vor der Toilette. Er hatte wirklich auf sie gewartet. Das konnte doch nicht sein?! „Was…“ „Lassen wir die Floskeln. Wir wissen beide, dass zwischen uns die Wunderkerzen knistern. Lassen wir es zu. Ich erzähle es auch niemandem. Ich weiß, dass Sie nichts mit Autoren im Verlag anfangen sollen, aber ich kann schweigen wie ein Grab.“ Langsam, mit ekelhaftem erregtem Blick kam Miles auf Lioba zu. Sie konnte nicht weg. Die Toilettentür im Rücken, nach vorne hin kein Ausweg. „Ich habe etwas mitgebracht.“ Ruckartig hob der Lackaffe eine Hand. Darin einen Zweig. Lioba starrte auf das Gestrüpp über sich. „Tradition darf man nicht brechen“, hauchte Miles und spitze schon die Lippen. Sie trafen weiche warme Haut, die aber keine Lippen waren. Lioba hatte ihm zwei Finger auf die kussbereiten Lippen gelegt. „Das ist kein Mistelzweig. Das ist eine Stechpalme.“ Langsam wanderte ihr Blick von dem Zweig, zum verdutzten Gesicht des Mannes. „Das verwechseln ziemlich viele Menschen. Schade, aber aus der Tradition wird wohl nichts.“ Breit lächelnd mit zuckenden Schultern, schob die junge Frau den Lackaffen mit den Fingern an dessen Lippen zurück und eilte davon. Miles ließ sie auf dem Flur stehen. Mit eiligen Schritten erklomm Lioba die Treppen. Sie wollte gerade nicht zurück auf die Party. Sie brauchte einen Moment, in der Hoffnung, dass Miles endlich ging, oder sich ein anderes Opfer suchte. Erleichtert seufzend schloss sie die Bürotür hinter sich. Die Tischlampe erleuchtete den Raum spärlich. Erschöpft sank der Frauenkörper in den Bürostuhl. Warum gab es so viele Idioten auf der Welt? Wie sollte man da eine anständige Beziehung finden, wenn man eine wollte? Die Augen geschlossen, genoss Lioba die Ruhe, bis ein Klopfen an der Tür ertönte. Fragend schaute zu dieser. Miles konnte es nicht sein, er hatte keinen Zutritt zu diesen Räumlichkeiten. Die Tür öffnete sich. Seth lehnte sich an den Türrahmen und schaute die junge Frau schmunzelnd an. „Hast du das mitbekommen?“ Er nickte, sein Grinsen wurde noch breiter. „Dieser Idiot“, fauchte Lioba und schüttelte sich angewidert. „Komm wieder mit auf die Party, wir trinken uns noch einen.“ Lioba wollte sich erheben, stoppte aber in der Bewegung. Ihre Schublade. Langsam wanderten die Augen zu dem Mann, der darauf wartete, dass sie mit ihm kam. Die Schublade wurde geöffnet. Zarte Finger holten einen der Mistelzweige hervor, die zuvor dort versteckt wurden. „Seth?“ Lioba hielt den Mistelzweig über sich. Aufreizend hatte sie sich in ihrem Stuhl zurückgelehnt. Man konnte nicht genau sagen, auf welchen Teil ihres Körpers der Mistelzweig gerichtet war. „Hast du Lust auf eine Weihnachttradition?“ Der Schwarzhaarige lächelte, trat aus dem Türrahmen und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)