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Last Seed

Die letzte Hoffnung der Menschheit
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dies ist der komplett überarbeitete Prolog der Geschichte.
Eine Zeile mit Bindestrichen repräsentiert einen Seitenumbruch.
Viel Spaß damit. Komplett anzeigen

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Der Weg aus der Pandemie


 

Im Februar 2020 breitete sich das RAID-Virus (Rapid Arteria Instability Desease) über die Welt aus. Eine Krankheit, welche die Blutgefäße zersetzt und eine hohe Mortalitätsrate aufweist.

Während die Länder der Welt fieberhaft nach einem Impfstoff forschten befanden sie sich in einen Lockdown. Situationsbedingt kam es vermehrt zu trauter Zweisamkeit bei Paaren.

Derweil versank die Welt allmählich im Chaos...
 

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“Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt.”

(Alexander Gralla)
 

Liberty Bay, 17. Mai 2020
 

Sachte führte Damian die Gabel zu seinem Mund, während im Hintergrund leise der Fernseher lief. Aufgespießt auf dem Essbesteck befand sich der letzte Bissen eines vorzüglichen Mahls. Seine Frau Maria hatte sich ein weiteres Mal selbst übertroffen und so lähmte ein Geschmacksorgasmus seine Zunge. Er kaute besonders gründlich, denn er wollte es noch nicht runterschlucken. Es würde bedeuten, dass es dann wirklich vorbei war. Auch wenn sie nicht zu den verlierern der Krise gehörten, so war auch für sie ein so reichliches Essen eine Seltenheit geworden.

Mit dem Ausbruch von RAID änderte sich die Art und Weise, wie die Menschen lebten.

Aus Angst vor einer Ansteckung schnürte man sich Masken bis zum Ersticken ins Gesicht und hielt Abstand. Tagtäglich schürten die Medien die Panik und die Paranoia der Menschen durch neue Schreckensmeldungen von Virusmutationen weiter an und propagierten das Social Distancing. Nachbarn wurden dazu angestachelt den jeweils anderen als Feind zu betrachten und sich gegenseitig wegen jedem kleinsten Regelverstoß zu denunzieren. Haben Menschen Angst, werden sie zu Taten fähig, an die sie unter normalen Umständen nicht im Traum gedacht hatten.

Damian erinnerte sich nur zu gut an den Fall in der Carpenter Street. Eine Großfamilie ließ es sich nicht nehmen trotz Versammlungsverbot die Hochzeit des jüngsten Spross zu feiern. Durch Schmiergelder fanden sie tatsächlich einen Veranstalter, der das Risiko eingehen wollte, was mit einem Verstoß gegen die RAID-Verordnungen der Regierung einher ging. Dreihundert Personen waren anwesend, um der Eheschließung beizuwohnen. Irgendwie, es wurde nie geklärt wie genau, musste eine selbsternannte Bürgerwehr Wind davon bekommen haben. Vermutlich wurden sie von einem besorgten Bürger über die sozialen Netzwerke kontaktiert. Während das Brautpaar miteinander tanzte, wurde die Tür zum gemieteten Festsaal eingetreten und mehrere vermummte schwarze Gestalten mit Maschinenpistolen im Anschlag drängten hinein und begannen wild um sich zu schießen. Beim Eintreffen der Beamten glichen Braut und Bräutigam einem blutigen Schweizer Käse. Viele Gäste fanden ebenfalls den Tod. Die Eindringlinge sollen “Verreckt, ihr Mörder!” gerufen haben, wenn man den Aussagen einiger weniger Überlebenden glauben schenkte, welche sich auf den Boden geworfen und tot gestellt hatten.

Damian konnte dies nicht vergessen, da er als einer der ermittelnden Kriminalermittler das Ausmaß von Tod und Zerstörung mit eigenen Augen gesehen hatte. Nun schluckte er doch hinunter, da der Gedanke an das Massaker sowieso jeglichen Geschmack aus seinem Mund hinfort geschwemmt hatte. Desillusioniert erschlaffte sein Gesicht.

“Hat es denn geschmeckt?”, fragte Maria ihren trübe drein blickenden Gatten.

“Natürlich”, antwortete er.

“Aber du machst ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.”

“Wo denkst du hin. Wie könnte ich deine Kochkünste nicht würdigen?”

Maria lächelte ihrem Gatten mit geschlossenen Augen zu. “Das freut mich.” Doch ihren Kummer konnte sie nicht lange verbergen. Sie öffnete die Augen und starrte nun selbst ins Leere. Manchmal konnte selbst sie sich nicht mehr einreden, das alles gut wird.

Damian erhob sich und ging um den Tisch herum zu seiner Frau. “Was hast du denn, mein Schatz? War es heute wieder schlimm im Krankenhaus?”

Maria arbeitete als Krankenschwester auf der Intensivstation. Die Auswüchse der Pandemie erlebte sie mit eigenen Augen mit. “Es ist nichts!”

Damian schenkte ihr keinen Glauben. Ihr Körper sprach eine andere Sprache. Er fühlte sie zittern. “Du weißt, das du mir alles sagen kannst.”

“Das ist einfach furchtbar, was RAID mit einem Menschen macht!”, begann Maria sich ihrem Ehemann zu öffnen. “Heute kam ein kleines Mädchen auf die Intensiv. Sie hatte einen schweren Verlauf. Du weißt was das heißt.”

“Ja, mein Schatz.”

“Ich hatte gerade Dienst, als sie an RAID…” Maria war nicht imstande weiterzusprechen. Doch das war auch nicht notwendig.

“Ich weiß, das ist furchtbar.”

Zwar war er weder Pfleger noch Arzt, doch auch als Kriminalist musste er schon einmal mit ansehen, wie diese fürchterliche Seuche jemanden dahin rafft. Es gab immer wieder Menschen, die dem Gesundheitssystem misstrauen oder sich eine Behandlung nicht leisten können. Einmal musste er ein illegales RAID-Krankenhaus ausheben. Unzählige Menschen ohne Krankenversicherung hatten sich in die Hände von Scharlatanen begeben, welche behaupteten, sie könnten die Krankheit behandeln. Eine Heilung erfuhren sie jedoch nicht. Es war ein abscheuliches Siechtum, bis endlich der Tod eintrat. Es beginnt stets wie eine harmlose Grippe und verbreitet sich entsprechend. Die Infektion wurde hauptsächlich von Tröpfchen- und Schmierinfektionen bedingt. Zu beginn nistet sich der Virus als respiratorischer Erreger im Rachenraum ein und wandert später in die Lunge. Dort angekommen, beginnt er zu mutieren und die Blutgefäße anzugreifen, welche zum Organ hin und wieder weg führen. Ab diesem Moment breitet sich der RAID-Erreger unaufhaltsam im ganzen Körper aus und reproduziert sich massenhaft in den Zellwänden der Blutgefäße. Mit der Zeit greift der Virus alles an, was er irgendwie erreichen kann. Die Betroffenen bluten aus allen Körperöffnungen und versterben qualvoll unter Schmerzen, während sich ihr arterielles Gefäßnetz in die Nichtexistenz verabschiedet. Der so genannte schwere Verlauf. Patienten in diesem Stadium erhalten selbst in legitimen Krankenhäusern meist nicht einmal mehr palliative Behandlung, um Ressourcen für die zu sparen, welche noch eine Chance haben. In den sogenannten Heilpraxen, den illegalen Krankenhäusern, war nicht einmal die letzte Ölung drin. Damian und seine Kollegen legten eines von ihnen still, aber zu glauben, dass es das einzige seiner Art war, wäre naiv gewesen.

Auch für Patienten mit einem milderen Krankheitsbild war es keinesfalls ein Zuckerschlecken. Beinahe Täglich zeigten die Nachrichtensender Berichte über Menschen, welche RAID zwar überlebt, durch den Virus jedoch ganze Körperteile verloren hatten, da die Blutzirkulation nicht mehr funktionierte. Demenz oder Schlaganfälle traten ebenso häufig auf, wie auch Krebs. Um vor den katastrophalen Folgen einer Infektion zu waren, verpflichtete man Fernsehn und Rundfunk zur Ausstrahlung von informativen Werbungen, welche sich zum Ziel setzten, den Bürger zum richtigen Verhalten zu erziehen. Denn vorher hatte niemand gewusst, wie man sich richtig die Hände wäscht.

Auch die gerade laufende Sendung wurde von einem solchen Werbeblock unterbrochen. “Ich möchte vor allem meine Enkel schützen”, verkündete eine ältere Frau mit medizinischer Gesichtsbedeckung. “Darum trage ich solidarisch meine Mundnasenmaske.” Auf einmal öffnete sich die Tür des Raumes in dem die Frau saß und drei ebenfalls maskierte Kinder stürmten hinein. Sie setzten sich brav im Abstand von eineinhalb Metern auf die bereits vorplatzierten Sitzkissen, anstatt ihre Großmutter zu umarmen, wie es früher üblich gewesen wäre. Fast als wären sie Hunde und jemand hätte “Platz” gerufen. “Wenn es um das Leben meiner Familie geht, würde ich selbst Nachts im Bett Maske tragen.”

Damian registrierte den Werbespot und rollte genervt mit den Augen.

“Sei auch du ein Patriot im Dienst deines Landes!”, verkündete ein maskulin anmutender Sprecher im Anschluss. “Trage eine Maske und rette Amerika!”

Wie er diese stetigen Ermahnungen leid war. Damian griff nach der Fernbedienung, welche mitten auf dem Tisch lag und wollte den Fernseher abschalten, als nun auch der Werbeblock urplötzlich unterbrochen wurde, damit eine Nachrichtensprecherin die aktuellen Entwicklungen in Sachen Pandemie verkünden konnte. Aus irgendeinem Grund widerstand Damian dem Impulz, abzuschalten. “Wir unterbrechen das Programm für eine wichtige Sondermeldung”, eröffnete die Frau in der Flimmerkiste. “Dem australischen Pharmaunternehmen ViroTec ist ein bahnbrechender Durchbruch in der Bekämpfung der Pandemie gelungen. Es gibt einen Impfstoff! Ich wiederhole: Es gibt einen Impfstoff!”

Maria horchte auf und stellte ihr Zittern ein.

Damian wäre vor Schreck fast die Fernbedienung entglitten.

War es jetzt endlich vorbei?
 

~~~
 

Liberty Bay, 4. Juli 2020
 

In den vergangenen Monaten seit der Entdeckung des Impfstoffes, setzte die Amerikanische Regierung alles daran, so viele Impfdosen wie nur möglich zu akquirieren. Durch ihre immense finanzielle Macht gelang es den Vereinigten Staaten, den Markt fast vollständig leer zu kaufen. Die ersten zwei Monate produzierte das australische Pharmaunternehmen fast ausschließlich für Nordamerika. Es wurden Zweigstellen in den Staaten geschaffen, um noch schneller zu produzieren. Alles mit dem Ziel, sich am Tag der Unabhängigkeitserklärung erneut der Ketten zu entledigen.

Die Aussicht auf ein baldiges Ende der Maßnahmen, führte zum erstarken der nationalistischen Bürgerwehr, welche alles nur erdenkliche tun wollte, um die Bürger des großartigsten Landes der Welt zu beschützen. Im gleichen Atemzug wurden jedoch auch zweifelnde Stimmen laut. Die Impfgegner verbreiteten Theorien, wie die Injektion von Nanorobotern zur pausenlosen Überwachung der Bevölkerung. Tragischer Weise fielen diese Behauptungen auf fruchtbaren Boden. Durch die jahrelange Misswirtschaft der Regierung litten viele Menschen schon über ein Jahrzehnt unter Armut. Ein Fakt, der nach Außen hin geheim gehalten wurde. Als sogenannter Führer der Freien Welt durfte es keine Armut im eigenen Land geben. Die enttäuschten Massen der Abgehängten wandten sich der Versprechungen der Impfgegner zu. Dies spaltete das Land. Man saß auf einem Pulverfass und an diesem Tag würde es explodieren.

Damian wurde in der Zwischenzeit im Umgang mit schweren Waffen geschult, genauso wie viele seiner Kollegen. Er war eigentlich Kriminalkommissar und hätte sich niemals Träumen lassen, einmal in die Lage zu kommen, ein M960 führen zu müssen. Die Angst vor den sich immer weiter radikalisierenden Impfgegnern nahm jedoch die Oberhand und selbst die mobilisierte Nationalgarde schien nicht auszureichen. Aus diesem Grund musste praktisch jeder Polizeibeamter damit rechnen, zur Bewachung von Transporten oder Impfzentren eingeteilt zu werden. Und genau dazu war es nun gekommen. Damian legte seine schusssichere Weste an und schnallte den Gurt des Helms. Anschließend kontrollierte er das Gewehr und sicherte es.

Er war bereit.

Aber war er es wirklich?
 

Die schwer bewaffneten Beamten bezogen Stellung hinter den Straßensperren. Nur eine schmale Passage wurde frei gelassen, damit der Transporter mit den ersehnten Impfdosen das Jonas Memorial Krankenhaus erreichen konnte, welches ausgewählt wurde als erstes Impfzentrum zu fungieren. Liberty Bay glich einer Festung. Man musste jeden Moment mit einem Angriff rechnen. Das Warten auf den gepanzerten Wagen trieb alle Beteiligten in den Wahnsinn. Die schiere Spannung in der aufgeladenen Atmosphäre war fast greifbar. Damian spürte sein Herz schlagen und seine Atmung intensivieren.

Endlich bog das schwarze Gefährt um die Ecke.

Fast schon gemächlich bahnte sich der Fahrer seinen Weg durch die Straßensperren zur Destination seiner Lieferung.

Damian verblieb in Deckung, während einige seiner Kollegen begannen den Transporter zu umstellen und ihm den Rücken zu kehren, um ihn aus jeder erdenklichen Richtung zu schützen. Vorsichtig luden die Lieferanten die wertvolle Fracht aus und trugen sie in das Krankenhaus. Währenddessen hatte Damian die Straße fest im Blick. Allerdings schien der erwartete Angriff auszubleiben. Ungeachtet davon potenzierte sich die Anspannung in seinen Muskeln mit jeder Sekunde die verstrich. Bis dann tatsächlich etwas in die Straße einbog. Damian traute seinen Augen nicht. Es war ein weiterer schwarzer Panzerwagen. Er schien nicht allein verwirrt zu sein. Alle Anwesenden teilten dieses Gefühl, einschließlich dem Fahrer des eintreffenden Kraftfahrzeuges.

Plötzlich erschütterte ein gewaltiger Knall die gesamte Straße. Tausende Fenster der umliegenden Häuserschluchten zersprangen mit einem Mal. Es regnete Splitter. Der Druck der Explosion presste Damian und die anderen zu Boden. Ein ohrenbetäubendes Zischen überstrahlte alle anderen Geräusche. Verwirrt rollte sich Damian auf den Rücken und sah einen gewaltigen Feuerball, welchen er zweifellos niemals vergessen würde. Im nächsten Moment drangen die zuvor als Lieferanten getarnte Terroristen nunmehr mit Maschinenpistolen bewaffnet aus dem Eingang des unversehrten Erdgeschoss heraus und feuerten auf die verwirrten Beamten. Sie versuchten sich mit roher Gewalt den weg freizuschießen. Etwas musste nicht nach Plan verlaufen sein. Damian sah einzig die Blitze des Mündungsfeuers, während die kugelsicheren Westen seiner Kollegen durchschlagen und deren Innereien von Kugeln zerfetzt wurden. Er sprang geistesgegenwärtig auf die andere Seite der Straßensperre und entkam so dem sicheren Tod. Einige Sekunden später schlug eine Salve genau an der Stelle ein, an der er zuvor noch gelegen hatte.

Aus der Deckung heraus feuerte er zusammen mit den überlebenden Polizisten und Soldaten auf die Aggressoren.
 

Derweil schob Maria ihren Dienst. Glücklicherweise arbeitete sie in einem Krankenhaus am anderen Ende der Stadt. Aber auch von hier konnte man die Rauchsäule erkennen. Maria war gerade dabei einen Patienten zu pflegen, als sie die Schwaden am Horizont erspähte. Zufällig lief der Fernseher. Sofort wurde das Programm für eine Sondermeldung unterbrochen, welche von einem Angriff auf das Jonas Memorial durch Terroristen berichtete. Vor Schreck fiel Maria der Infusionsbeutel aus der Hand, welchen sie gerade eben wechseln wollte. “Damian!”, stieß sie voll des Horrors aus.
 

~~~
 

Liberty Bay, 16. August 2020
 

Der Anschlag auf das Jonas Memorial brannte sich tief in das kollektive Gedächtnis ein.

Es war nicht nur ein Angriff auf ein Krankenhaus, sondern auf die Menschlichkeit. In den folgenden Wochen wurden Verantwortliche und Unterstützer ausfindig gemacht und in einem Schnellverfahren zu langen Haftstrafen verurteilt, um die Wut und die Empörung der Bürger und den Hinterbliebenen der unzähligen Opfer zu befriedigen. In der Zwischenzeit eröffneten immer mehr Impfzentren, in denen der Impfstoff von ViroTec nach vorangegangener Verträglichkeitsprüfung an das Volk ausgegeben wurde.

Nach den Ereignissen am Jonas Memorial hatte Damian den Dienst quittiert. Zwar hatte sich sein Körper erholt, aber sein Geist lid noch immer. Er sah sich nicht mehr länger imstande dem Volk der Vereinigten Staaten zu Dienste zu sein.

Seine Frau Maria gehörte zur Gruppe der systemrelevanten Berufe. Als Krankenpflegerin erhielt sie nicht nur spezielles Training im Umgang mit Seuchenpatienten sondern gehörte auch zu den Glücklichen, welche für die erste Charge Impfstoff ausgewählt wurden. Geschützt durch dieses Wundermittel konnte sie den Dienst an der Gesellschaft fortsetzen. Nach einer weiteren anstrengenden Doppelschicht kehrte sie nach Hause zurück.

Damian hatte es sich nach Abschluss der Hausarbeiten auf der Couch gemütlich gemacht und scrollte durch die Jobanzeigen auf seinem Tablet. Nur weil er kein Staatsbediensteter mehr sein wollte, hieß das noch lange nicht, das er niemals wieder arbeiten und sich auf der faulen Haut ausruhen würde. Da in Amerika kein Ausbildungssystem wie in der alten Welt existierte, konnte praktisch jeder einen beliebigen Beruf nach einer kurzen Umschulung erlernen, solange es sich nicht um solche handelte, welche ein Studium voraussetzen. Automechatroniker - das sprang ihm sofort ins Auge. Erinnerungen an seinen verstorbenen Vater kamen auf. Früher schraubten sie oft zusammen an Oldtimern herum. Von den Schimpftiraden seiner Mutter, wenn sie von oben bis unten besudelt mit Maschinenöl ins Haus zurückkamen und den sauberen Fußboden verdreckten, taten ihm heute noch die Ohren weh. Er würde diese neue Tätigkeit sicherlich in betracht ziehen. Sicherheitshalber erstellte er ein Lesezeichen im Browser und legte anschließend das Tablet weg. “Du bist wieder da, mein Schatz?”, fragte er.

Maria legte ihre Sachen nieder und umarmte Damian.

Sie trug schon eine ganze Weile etwas mit sich herum. Bald schon würde sie deshalb nicht mehr arbeiten können. Vorsichtig führte sie ihren Mann, welcher ihr freudig entgegen gekommen war, zurück zur Couch und beide setzten sich auf das bequeme Möbelstück. “Ich muss dir etwas sagen”, eröffnete sie.

Damian bemerkte ihre Aufregung. “Was ist mit dir?”

“Weißt du, dass wir Abends schon lange keinen Wein mehr getrunken haben?”

“Möchtest du heute abend eine Flasche öffnen?”

“Nein, mein Schatz.” Maria ergriff Damians Hand und legte sie auf ihren Bauch. “Das wird leider auch in Zukunft ausfallen müssen.”

Damian verstand sofort und ein Lächeln zierte sein Gesicht.
 

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Am 24. Dezember 2021 wurde das letzte Kind geboren.

Das mysteriöse Phänomen der globalen Unfruchtbarkeit, das nur Menschen zu betreffen schien, wurde HIS - Human Infertility Syndrome - getauft.

~~~

Wir schreiben das Jahr 2037.

Nichts ist mehr, wie du es kennst.

Jahre der Unfruchtbarkeit haben große Teile der Weltbevölkerung verzweifeln lassen.

Die politischen Verhältnisse in der Welt haben sich vollkommen gedreht.

Menschen ohne Hoffnung sind unberechenbar!

Als nach 16 Jahren Sterilität das erste Kind geboren wurde, ist eine spezielle Gruppe Menschen in höchster Gefahr. Die so genannte Last Generation wird von den Regierungen erbarmungslos gejagt.

Allerdings sind diese jungen Menschen nicht so wehrlos, wie es scheint.

Viele von ihnen entdecken an sich übermenschliche Fähigkeiten, welche sie nutzen und sich gegen ihre Häscher zusammenschließen.

Sie sind die letzte Hoffnung der Menschheit...
 

Aufheulen


 

“Ihr Verzweifelnden! Wieviel Mut macht ihr denen, die euch zuschaun!”

(Friedrich Wilhelm Nietzsche)
 

Liberty Bay, 4. April 2036
 

Im Schatten der Großen Mauer gedieh das Leben fernab der harten und bösen Außenwelt. Die letzten sechzehn Jahre waren keinesfalls gnädig mit den Vereinigten Staaten oder dem Rest der zivilisierten Welt gewesen. Nach dem Ende der Pandemie schöpften die Menschen neue Hoffnung. Langsam erholte sich die Wirtschaft wieder und das Leben schien erneut gewohnte Pfade einzuschlagen. Doch etwas war anders als vor der Seuche. Anfangs war es nur ein Gerücht. Nein, es was noch weniger als das. Die Anzeichen ließen sich jedoch nicht ewig verbergen. Immer mehr Paare wunderten sich, dass sie trotz all ihrer Mühen nicht in der Lage schienen, ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Mit dem fehlenden Puzzleteil ihre Liebe zu vervollständigen. Keine einzige Frau auf Erden wurde mehr Schwanger. Das letzte Kind erblickte am 24. Dezember 2021 das Licht der Welt, wie ein bitterböses Weihnachtsgeschenk des Teufels.

Die Menschheit war steril geworden.

Mutlosigkeit. Abgeschlagenheit. Wut. Trauer.

All diese Begriffe, und noch viele mehr, trieben die Menschen in die Verzweiflung.

Fieberhaft begannen die Wissenschaftler mit ihren Experimenten. Auf der Suche nach Antworten führten sie Tierexperimente durch, welche jedoch vollkommen ohne Ergebnis blieben. Bis auf eins: Außer dem Menschen war keine andere Spezies betroffen. Als ob Mutter Natur sich dazu entschieden hätte, die größte Plage auf Erden auszurotten. Auch anschließende Versuche die Gebärmutter einer genetisch modifizierten Sau zu transplantieren, brachten keinen Erfolg.

Das Phänomen der globalen Unfruchtbarkeit wurde unter dem Namen Human Infertility Syndrome, kurz HIS, bekannt. Drei Worte reichten jedoch nicht ansatzweise aus, um die sich daraus ergebende Hoffnungslosigkeit zu erfassen.

Nichts ist unberechenbarer als die Verzweifelten.

Anfangs versuchten die Regierungen noch die Ordnung zu wahren, aber irgendwann quälte auch die Mächtigen der Gedanke, welchen Sinn es noch hatte, zu versuchen die Welt zusammen zu halten. In achtzig, neunzig, hundert Jahren bliebe von der Menschheit sowieso nur eine Erinnerung. Niemand könnte ihre großen Errungenschaften bewundern. Einzig ihre Städte, ihre Statuen, ihre Schiffe und all die anderen Schöpfungen würden stumm Zeugnis über das Vergangene ablegen. Weitere zweihundert Jahre und Pflanzen überwucherten jeden Wolkenkratzer. Nach tausend Jahren wären wohl nicht einmal sie mehr auszumachen. Über diese grenzenlose Verzweiflung entbrannte der dritte Weltkrieg. Der letzte große Konflikt der Menschheit, der ihren Untergang weiter beschleunigen sollte. Tausende fanden den Tod, als die Städte brannten. Die daraus resultierende Zerstörung der Welt wurde bekannt als der Niederfall.

Als wichtiger weltweiter Knotenpunkt im Finanzwesen blieb Liberty Bay als einer von wenigen Orten fast vollständig vom Krieg verschont. Selbst der Feind unterhielt hier unter falschen Namen seine Konten an der Wallstreet. Letztlich zerfiel, was den Krieg überdauerte, in eine Landschaft aus versprengten Stadtstaaten und Liberty Bay war einer von ihnen. Geschützt vor den Gefahren der Einöde durch die Große Mauer.

So zumindest hatte sie es in der Schule gelernt.

Merrill Sturm - Musikstudentin, achtzehn Jahre alt - konnte sich wirklich nicht beklagen. Sie wuchs behütet in einer wohlhabenden Familie auf und genoss eine gute Schulbildung. In einer Generation, von der man nichts mehr erwartete, verlor sie trotzdem nicht an Antrieb, sich stets neu auszuprobieren. Schon immer war sie viel kleiner und schwächer als Gleichaltrige, was sich bis zu jenem Tag auch nicht geändert hatte. Ihr makelloses Äußeres machte sie dennoch sehr beliebt beim männlichen Geschlecht. Die tiefblauen Augen und die feuerroten Haare weckten Gewiss bei so manchem primitiven Vertreter der Gattung Homo Sapiens lüsterne Fantasien, welchen sie in keinster Weise gerecht werden wollte. Da half es natürlich wenig, in knappen Outfits mit ihrer Band aufzutreten und über Geschlechtsverkehr und Drogenmissbrauch zu singen, da die wenigsten in der Lage schienen, Realität und Fiktion auseinander zu halten. Aber immerhin bescherte dieses Image ihr und ihrer Band stets volle Zuschauerränge. Auch wenn es Merrill lieber wäre, ihre meist männlichen Bewunderer kämen ihrer Stimme wegen. Das Image des bösen Mädchens war nichts weiter als eine Maske, welche sie nutzte, um ihre Zerbrechlichkeit zu verstecken.

Momentan saß sie auf ihrem Motorrad und war auf dem Weg zu ihrem nächsten Gig. Zwar bestand Helmpflicht, doch das Gefühl des Fahrtwindes, welcher ihre langen roten Haare umspielte, empfand sie als zu verlockend, um ihre verführerische Mähne unter einem Helm einzusperren und plattdrücken. Außerdem ersparte sie sich so den Einsatz eines Fön. Dennoch, wüsste ihre Mutter davon, sie würde nicht darauf warten, bis ihre Tochter einen Unfall baute, sondern sie umgehend mit ihren strafenden Blicken umbringen. Über Merrills Schulter hing der Gurt des Gitarrenkoffers, welchen sie durch den gefütterten schwarzen Bikersuit fast gar nicht spürte. Normalerweise war ihr diese Motorradkleidung viel zu warm, doch diese kühle Aprilnacht stellte eine Ausnahme von der Regel dar. Merrill trug unter ihr nichts außer ihrem Bühnenoutfit. Geschuldet der Tatsache, dass die Location in letzter Minute wechselte, war Eile geboten. Eigentlich wollten sie in der Turnhalle auf dem Campus spielen, aber der Präsident der Universität schob dem kurzfristig einen Riegel vor. So blieb ihr keine Zeit mehr und sie würde sofort nach ihrer Ankunft auf die Bühne müssen.

Ihre Fans warteten schon.
 

Ungeduldig stiefelte Benjamin Backstage auf und ab.

Die Band wartete auf ihre Frontfrau.

“Wo bleibt die denn schon wieder?!”, fragte er ungeduldig.

“Keine Ahnung”, antwortete Jennifer, die gerade an ihrer Bassgitarre herum zupfte und so ihre Stimmung prüfte, während die eigene immer angespannter wurde. “Vielleicht hat sie sich diesmal totgefahren.”

“Bloß nicht! Sie muss noch singen”, kommentierte Jonathan und klimperte dabei auf seinem Keyboard herum. Er hörte, wie die anderen ihre Witze rissen und stimmte mit ein, um keinen Verdacht zu erregen. Dabei machte er sich sorgen. Er kannte Merrills rücksichtslosen Fahrstil. Einmal saß er mit ihr auf dem heißen Ofen. Noch immer plagten ihn deshalb Albträume. Jennifers Gedanke war beängstigend realistisch.

Ihre Anwesenheit war dem Fakt geschuldet, dass sie in der Stadtmitte wohnten, während Merrill mit ihren Eltern in einem Anwesen auf einem Hügel nahe der Großen Mauer lebten. Sie war noch auf dem Weg zur Universität, als sie von der Verlegung erfuhr. Wegen der räumlichen Nähe des Sturm-Anwesens zu ihrer Bildungseinrichtung, machte sich Merrill erst relativ spät auf den Weg. Nun musste sie schnellstmöglich die halbe Stadt durchqueren.
 

Die Tür öffnete sich und die Anwesenden starten erwartungsvoll auf den Eintretenden. Es war allerdings nur Peter, ein Freund von Jonathan, und nicht Merrill, wie sie gehofft hatten. Seine Aufgabe war es, die Band zu managen. Ihm verdankten sie auch die schnelle Verlegung. Von Musik hatte er augenscheinlich nicht viel Ahnung, aber mit Verträgen und Social Media kannte er sich bestens aus.

“Ach der ist es bloß!”, quengelte Benjamin und begann nervös die Drumsticks aufeinander zu schlagen.

“Ich kann ja auch wieder gehen!”, reagierte Peter beleidigt.

“Wenn die hier aufkreuzt, dann sorge ich dafür, dass sie doch noch wächst!” Offenbar spielte Benjamin auf ihre geringe Körpergröße an.

Jennifer stellte ihre Gitarre beiseite und ging zu ihm hinüber. Sie packte ihn und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. “Halt die Klappe!”, forderte sie ihn anschließend zum Schweigen auf. Beide waren jetzt schon fast so lange zusammen, wie sie gemeinsam in der Band spielten. Das sich ihr Freund schnell künstlich aufregen musste, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte, war sie allzu gut gewohnt. Nach einem Kuss blieb er allerdings in der Mehrheit der Fälle anschließend still. Sie hoffte, dies würde einer von ihnen sein. “Peter”, fragte sie anschließend. “Weißt du vielleicht, wie lange Merrill noch braucht?”

“Also ich habe sie sofort angerufen”, erklärte sich der Bandmanager. “Sie sagte, sie würde ordentlich Gummi geben.”
 

Eine Ampel schlug auf rot um und zwang Merrill abzubremsen.

Ausgerechnet jetzt!

Unbeobachtet täte sie wahrscheinlich einfach weiterfahren, doch neben ihr wartete ausgerechnet ein Polizeifahrzeug. An ihnen vorbei zu brettern, wäre zu viel des guten. Sie grüßte Freundlich und hoffte, dass die Beamten so wenigstens über ihren fehlenden Helm hinweg sahen.

Sie hatte wohl Glück.

Während sie sehnsüchtig dem Moment herbei sehnte, wieder in die Eisen steigen zu können, nutzte sie die Gelegenheit sich umzusehen. Zu ihrer Linken befand sich ihre ehemalige Elementary School. Ihre Eltern legten Wert darauf, dass sie eben keinen Privatunterricht bekam, auch wenn sie sich den leisten konnten. Sozialer Kontakt ist vor allem in den ersten Lebensjahren wichtig und prägt für das ganze Leben. Inzwischen war die Schule allerdings verwaist. Aus ermangeln einer neuen Generation und zur Kostenreduktion hatte die Stadt sie schon vor Jahren als eine der letzten geschlossen. Wie viele Stunden verbrachte sie in diesem Gebäude, dessen Fenster nunmehr perforiert von Steinen da niederlagen, eingeworfen von nichtsnutzigen Halbstarken, die nicht wussten wohin mit ihrem Frust? In Momenten wie diesem wurde Merrill schmerzlichst bewusst, dass sie zu den letzten ihrer Art gehörte. Sie würde niemals Kinder haben. Und vielleicht wäre nicht einmal jemand übrig, um nach ihrem Tod um sie zu trauern.

Bevor sie sich weiter in diesen bedrückenden Gedanken verlieren konnte, schaltete die Ampel endlich auf grün und Merrill konnte weiter fahren.
 

Die Ausstöße des aufgeregten Publikums wurde immer lauter. Langsam aber sicher wollten sie sehen, wofür sie gekommen waren. Peter und die Bandmitglieder stand der Stress ins Gesicht geschrieben, als endlich das erlösende Knattern eines Motorrads zaghaft zwischen den Rufen der Anwesenden hindurch an ihre Ohren drang.

Die Tür sprang auf und eine in einen Bikersuit gehüllte Merrill betrat lächelnd die Backstage Area, als sei überhaupt nichts gewesen. Sofort stellte sie den Gitarrenkoffer ab und entledigte sich der Motorradkleidung.

Die Show konnte endlich beginnen.
 

Etwa zweihundert Leute füllten den Raum, welcher eigentlich für Parties und nicht für Konzerte ausgelegt war. Die meisten von ihnen studierten, es befanden sich jedoch auch ein paar ältere unter den Gästen. Es war nicht viel, doch jeder muss stehen lernen, bevor er in der Lage war zu rennen. Die Gäste tummelten sich vor der schwarzen Bühne, auf der das Schlagzeug bereits aufgebaut und ein Ständer schon mit dem Keyboard bestückt war. Inmitten den Instrumenten verband eine silbrig glänzende Stange Boden und Decke miteinander. Der Veranstalter betrat die Bühne, um den Act des Abends anzukündigen. Ein Mikrofon in seiner Hand sollte seine Stimme soweit verstärken, dass sie durch die Rufe der Anwesenden dringen konnte. “Ich bin stolz Ihnen heute diese junge Band vorzustellen!”, eröffnete der dicke Mann. “Machen Sie sich auf jede Menge Krach und auf schweres Metall gefasst! Applaus bitte für Bannkr-”

“Wir heißen Banshee!”, rebellierte Benjamin lautstark.

“Äh ja… Banshee, meine Damen und Herren!” Der Veranstalter klemmte das Mikrofon zwischen Daumen und Zeigefinger und begann in die Hände zu klatschen.

Das Publikum stimmte mit ein.

Unter dem erwartungsvollen Applaus betraten die Bandmitglieder die Bühne. Als letzte von ihnen kam Merrill, mit der Gitarre um den Hals und ausschließlich in ihr knappes Bühnenoutfit gekleidet, welches mehr entblößte als verhüllte. Die Männer im Publikum begannen sofort zu pfeifen, als sie sie sahen. Sowohl Oberteil als auch Unterteil waren schwarz und reflektieren das Scheinwerferlicht. Sie trug eine Hotpants aus Latex, welche perfekt an ihre sportliche Figur angepasst war. Ihr Oberteil bestand aus einem Korsett, das ihre schmale Oberweite so weit wie möglich in den Vordergrund rückte, und einer ausschließlich dekorativen aber sonst vollkommen sinnbefreiten Jacke, die bereits unter ihren Rippen abschloss aber dennoch Ärmel bis zu den Handgelenken hatte.

Merrill legte die Gitarre ab. Für den ersten Song brauchte sie sie nicht. Nun ergriff sie das Mikrofon und nahm es aus der Halterung. Anschließend begab sie sich zur Stange hinter ihr.

Das war das Signal für die anderen die Instrumente sprechen zu lassen.

Doch zuerst wandte sich Merrill an das Publikum, während sie sich an der Stange festhielt und nach hinten streckte. “Schön das ihr da seid!”, bedankte sie sich. “Wir haben einen neuen Song, den wir euch jetzt vorstellen. Er heißt ‘Sweet Delight’.” Die Anwesenden verstummten, denn sie waren so etwas braves von Banshee nicht gewohnt. Merrill richtete sich wieder auf. “Was ist denn mit euch los? Lasst euch nicht vom Titel abschrecken!” Sie zwinkerte dem Publikum zu. Danach riss die Hände nach oben und klatschte im Takt. Jetzt hatte sie die Aufmerksamkeit.

Die Band begann zu spielen. Jennifer stimmte mit der Bassgitarre ein, begleitet von Benjamin am Schlagzeug. Mehrere Abfolgen von Gitarrenriffs knüpften aneinander an, gelegentlich umschmeichelt von Jonathans Keyboard, bis die Musik wieder leiser wurde, damit Merrill anfangen konnte zu singen und sich gleichzeitig um die Stange zu winden, wie eine Würgeschlange um die hilflose Beute.

“There's a secret I've been keeping, a fire in my soul,

A love so deep and passionate, it's taken control.

My shy and tender lover, with eyes so pure and kind,

Tonight, my darling, let's leave our fears behind.”

Zwischen den Versen ertönten erneut die Instrumente und lange Haare - sowohl in der Band, als auch im Publikum - flogen wild umher, als die harten Riffs von heftigen Headbangs begleitet wurden. Das Spiel von Gitarre, Schlagzeug und Keyboard steigerte sich hin zum ersten Höhepunkt des Songs, dem Chorus. Merrill ließ es sich nicht nehmen, die Stange abzulecken und viele ihrer männlichen Bewunderer somit in den Wahnsinn zu treiben.

“I'm the flame that's burning, you're the spark that I desire,

In the quiet of this evening, let's set our hearts on fire.

I'll be the temptress, darling, you just hold me tight,

In the depths of our affection, we'll find our sweet delight.”

Spätestens jetzt waren die Gäste dem Song verfallen.
 

~~~
 

Nachdem Banshee noch drei andere Lieder spielte, war die Show wieder vorbei und die Bandmitglieder hatten sich nach einigen wenigen Autogrammen in die Backstage Area zurückgezogen. Merrill war gerade dabei ihre Gitarre in den Koffer zu legen, welcher auf einer Bank vor ihr lag. In gebeugter Haltung brachte sie ihr Instrument in dem Transportbehältnis unter. Sie ließ sich nicht vom Klopfen an der Tür irritieren, denn das war sowieso nur Peter. “Kann ich reinkommen?”, erkundigte er sich.

“Wir sind alle nackt und feiern eine Orgie!”, scherzte Benjamin.

“Halt die Klappe!”, tadelte Jennifer. “Du kannst reinkommen, Peter.”

Als er das Zimmer betrat, konnte Peter einen vorzüglichen Blick auf Merrills Hinterteil in ihrer knappen Hotpants genießen, während diese noch immer unbedarft in dem Gitarrenkoffer herum hantierte.

Jennifer registrierte seinen lüsternes Gaffen und kicherte.

Als das Instrument endlich verstaut war, presste die rothaarige Sängerin die Jacke ebenfalls in den Koffer hinein, bevor sie ihn verschloss und sich Peter zuwandte, welcher urplötzlich stramm stand, wie ein Soldat beim Morgenappell und auffällig an ihr vorbei sah.

“I-Ihr wart heute erste Sahne!”, lobte der Freizeitmanager. “Die Bude hat gebebt. Da blieb keine Friese ungeschüttelt.”

“Na das möchte ja auch sein”, meinte Jonathan.

“Euer neuer Song kam scheinbar am Besten an. Der Veranstalter hat übrigens das Geld rausgerückt. Nicht gerade wenig.” Peter fuchtelte mit einem Bündel Scheinen herum. “Zeit das Geld aufzuteilen.”

“Ich verzichte”, schlug Merrill aus. Dann griff sie ihren Bikersuit und schlüpfte hinein.

Benjamin verneigte sich gekünzelt vor der Rothaarigen. “Wie gnädig von Euch, Eure Hoheit”, spottete er.

“Sehe ich aus wie eine Prinzessin?!”, fuhr Merrill ihn daraufhin an.

“Für eine Person in diesem Raum schon”, stichelte Jennifer.

Peters Wangen verfärbten sich verräterisch.

“Es wäre halt unfair, weil ich nicht darauf angewiesen bin.” Merrill zog den Reisverschluss hinauf und hing den Gurt des Gitarrenkoffers über die Schulter. “Wisst ihr, ich bin total fertig. Und nach Hause fahren muss ich auch noch, ohne eine Massenkarambolage zu verursachen. Also bitte entschuldigt mich.” Sie ging an Peter vorbei zur Tür, drückte die Klinke hinunter und war auf und davon.

“Willst du ihr nicht nachgehen?”, fragte Jonathan.

Peter sah sich um, als seie jemand hinter ihm gemeint gewesen.

“Du musst schon die Initiative ergreifen. Von alleine wirft sie sich dir nicht an den Hals! Auch wenn sie das andauernd singt...”

Die schüchterne Reaktion des Managers zeugte davon, dass Jonathans Versuche ihm Mut zu machen, eher den gegenteiligen Effekt bewirkten.
 

Derweil löste Merrill das Schloss an ihrem fahrbaren Untersatz und schob das Gefährt in Richtung der Straße. Gerade als sie sich auf ihren Bock aufgeschwungen hatte und davon düsen wollte, sprang die Tür des Clubs auf und Peter stürmte ihren Namen rufend hinaus.

“Merrill, warte!”, rief er ihr zu.

Daraufhin setzte sie den Fuß wieder auf dem Boden auf und ließ ihn herankommen.

“Merrill!” Peter keuchte. Er war nicht gerade der sportlichste.

“Hab ich etwas liegen lassen?”, fragte die Rothaarige verwundert.

“Nein, nein.”

“Was ist denn los?”

“Ich muss dir etwas sagen!”

“Das du mir vorhin auf den Arsch geglotzt hast?”

Peter verschlug es die Sprache. Er musste sich ertappt fühlen.

“Entspann dich. Das haben alle anderen Kerle vorher auf der Bühne auch gemacht, als ich an der Stange getanzt habe. Das macht mir nichts aus. Ich provoziere es schließlich in so einem Aufzug.”

“D-Das meinte ich nicht.” Noch einmal atmete er durch. Sog Mut zusammen mit dem Sauerstoff in sich auf. “I-Ich wollte dich fragen, o-ob wir Mal ausgehen können.”

Damit hatte Merrill nun wirklich nicht gerechnet. Zwar wusste sie, dass sich Peter schon seit einiger Zeit schwer in sie verguckt hatte, doch sie hätte nie gedacht, dass er seine Schüchternheit überwinden und sie ansprechen würde. Um ehrlich zu sein, war sie ihm nicht abgeneigt. Er sah mit seinen schwarzen Haaren eigentlich ganz schnuckelig aus. Zu dick oder zu dünn war er auch nicht. Allerdings tat sie immer nur so tough. In Wirklichkeit war sie selbst schüchtern - zumindest immer dann, wenn es ans Eingemachte ging. Und jetzt wollte dieser Kerl mit ihr ausgehen!

“K-Klar”, antwortete sie, nach dem auch sie sich erst kurz fassen musste. “Komm! Spring auf!” Sie rutschte ein Stück nach vorn und bot Peter den Platz hinter ihr an.

Vorsichtig setzte er sich auf die Maschine.

“Halt dich gut fest! Ich will dich nicht von der Straße kratzen müssen!”

Der junge Mann umklammerte Merrills Taille und presste sich an den Gitarrenkoffer an ihrem Rücken.

Merrill spürte Peters Hände an ihrem Bauch. “Ich kenne da ein Diner. Es liegt auf dem Weg nach Hause. Ich lade dich ein.”

So war das ganz und gar nicht geplant! “Ich zahle!”, protestierte Peter. Auch wenn Merrill aus einer reichen Familie stammte, er war hier immer noch der Mann!

“Von mir aus.” Die junge Sängerin löste die Bremse und trieb das motorisierte Zweirad an. Sie hatte schon damit gerechnet, dass er den Gentleman heraushängen lassen würde. Dieses Diner, welches sie ausgesuchte, hatte viele günstige Angebote auf der Speisekarte. Das war ihre Art ihm entgegen zu kommen.

Wie ein Blitz schoss das Motorrad davon.

Während der Fahrt wurde Peters griff um Merrills Körper mit jeder Kurve fester, welche sie mit ihrem beängstigendem Fahrstil gerade so noch nahm. Aufatmen konnte er erst, als sie ihr Ziel erreichten, Merrill endlich anhielt und er sich davon Überzeugen konnte, das sie tatsächlich nicht gestorben waren.
 

~~~
 

Gemeinsam verließen sie den Diner, nachdem sie sich eine Stunde über die verschiedensten Themen unterhalten hatten. Merrill Gesicht zierte ein Lächeln. Sie hätte nie gedacht, dass sie jemanden freiwillig erzählen würde, dass sie nur zum Hard Rock fand, weil sie als Kind immer heimlich die alten Scheiben ihres Vaters angehört hatte. Auch nicht, das sie einmal eine von ihnen aus Versehen zerstört hatte. Eigentlich wollte sie sie ihrem Vater schon lange ersetzen, aber alte CDs von vor dem Niederfall waren schwer zu bekommen. Was sollte sie nun mit Peter machen, da er ihre Geheimnisse kannte? “D-Das war wirklich schön, Peter”, sprach sie.

“Wir sollten das wiederholen!”, meinte der Manager.

Merrill umarmte ihn und sah ihm in die Augen. “Vielleicht zeigst du mir beim nächsten Mal lieber dein Zimmer im Studentenwohnheim.” Bin ich eigentlich total bescheuert?, fragte sie sich schon im nächsten Moment, als ihr klar wurde, dass sie ihm gerade ungewollt in Aussicht gestellt hatte, mit ihm zu schlafen. Ihr würde sicher etwas einfallen, um ihren Hals aus der selbstgedrehten Schlinge zu ziehen.

“Nein, ich habe einen Mitbewohner, der andauernd Damenbesuch hat”, erklärte sich Peter. “Da würden wir bestimmt nur stören.”

Merrill atmete auf. Peter schien die Anspielung nicht verstanden zu haben. Glück gehabt. Und das schon das zweite Mal in dieser Nacht. Erleichtert löste sie sich von ihm. Das wäre ihr viel zu schnell gegangen. Sofort mit einem Kerl ins Bett zu springen war mehr etwas für die Persona, welche sie auf der Bühne verkörperte. Im echten Leben wollte sie einen Jungen zuerst richtig kennen lernen.

“Also, bis bald!”, sagte Peter als er um die Ecke abbog und ihr winkte.

Merrill erhob ebenfalls kurz die Hand und wandte sich anschließend ihrem Motorrad zu.

Plötzlich quietschten Autoreifen und sie vernahm einen Schrei.

Sie streifte den Gurt des Gitattenkoffers ab und ließ ihr Instrument neben ihrer Maschine zu Boden sinken. Ohne diesen Ballast war sie in der Lage schneller zu rennen. Der Hilferuf kam von um der Ecke und die Stimme klang wie die von Peter. Ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten, hechtete sie zur Quelle und beobachtete, wie sich ihr Date gegen zwei Männer zur Wehr setzte, die versuchten den jungen Mann in eine schwarze Limousine zu zerren. “Hey!”, schrie sie und stürmte auf die Übeltäter zu. Sie sprang einem der Männer auf den Rücken und prügelte auf sein Gesicht ein.

Peter gelang es sich loszureißen, indem er dem Mann der ihn festhielt einen Stoß mit dem Hinterkopf versetzte. Er ging ein Stück zurück, sodass er seinen Gegner im Blick hatte. Die Hände erhoben und zu Fäusten geballt, wartete er auf seinen nächsten Zug.

Derweil bekam Merrill den Ellenbogen des Entführers zu spüren, welchen er mehrfach heftig in ihre Seite stieß. Als Resultat konnte sie sich nicht mehr auf seinem Rücken halten. Er schnappte sie und warf sie auf die Motorhaube der Limousine. Merrill fing den Aufprall ab und wandte sich sofort wieder ihrem Gegner zu.

Die Scheibe in der Tür des Wagen wurde herunter gekurbelt und eine Hand reichte hinaus in die Nacht. Sie wurde verhüllt von einem schwarzen Handschuh hielt eine ebenso schwarze Pistole. Sie richtete die Waffe gen Himmel.

Peng!

Sofort unterbrachen alle Beteiligten den Kampf und starrten auf den Wagen.

Die Hand bedrohte nun abwechselnd Merrill und Peter. Durch ein Winkzeichen komplementierte die Person hinter der nur einen Spalt herunter gelassenen Scheibe die Handlanger, die beiden Jugendlichen zu ergreifen und in die Limousine zu bringen. Sofort wurde dem Befehl des Anführers Folge geleistet und Merrill und Peter in den Wagen gezerrt. Im Angesicht eines Pistolenlauf wagte keiner der Beiden noch Widerstand zu leisten.

Mit quietschenden Reifen setzte sich der Wagen in Bewegung.

Eine längere Zeit sprach niemand.

Merrill sah sich im Innenraum um. LED-Lampen leuchteten ihn gut aus. Vor ihr saß ein mittelalter Mann mit einer Waffe entgegen der Fahrtrichtung ihnen zugewandt. Neben ihm die beiden deutlich jüngeren Männer, welche Peter überfallen hatten. Zu den Füßen des einen Befand sich ein verdächtiger silberner Koffer. Leute mit einer Limousine entführen. Wo gab es denn so etwas? Für gewöhnlich würde man doch einen Kleintransporter einsetzen.

“Was guckst du denn so?!”, fragte einer der Handlanger erbost.

“Lass gut sein”, bewegte ihn der Mann mit der Pistole zur Zurückhaltung.

Merrill kam ein grauenhafter Gedanke. Vor einigen Wochen schnappte sie das Gerücht auf, dass die Organmafia junge Menschen einfängt und ausgeschlachtet, um mit den erbeuteten Organen das Leben von alten aber reichen Kunden zu verlängern. Stimmte es? Waren sie diesen Leuten ins Netz gegangen?”

“Mache lieber die Tests fertig!”

“W-Was für ein Test?”, fragte Peter verstört.

Doch er erhielt keine Antwort.

Der Handlanger kramte den Koffer unter seinem Sitz hervor und öffnete ihn. Darin befanden sich seltsame Röhrchen, Wattestäbchen und ein technisches Gerät, dessen Zweck durch den ersten Blick nicht klar wurde. Der Mann nahm sich ein Stäbchen und beugte sich zu Peter vor. “Mund auf!”, forderte er auf.

Angesichts der Waffe in der Hand des anderen, gehorchte Peter.

Der Mann fuhr mit dem Stäbchen im Mund des Studenten herum, bis sich die Watte mit seinem Speichel vollgesogen hatte. Anschließend steckte er es in eine Lösung.

“Teste auch das Mädchen!”, forderte der Boss der Entführer auf. “Sicher ist sicher.”

Dem wurde sofort Folge geleistet und Merrill erhielt die gleiche Behandlung. Auch ihre Probe wurde in ein Röhrchen mit einer Lösung getaucht. Inzwischen war Peters Probe bereit, also nahm sie der Mann und führte sie in das Gerät ein. Dafür war eine Aussparung in der Seite vorgesehen. Eine Nadel fuhr durch den Verschluss in die Substanz hinein und begann sie zu analysieren. Auf dem Bildschirm erschien nach kurzer Wartezeit ein Text, den Merrill auf dem Kopf stehend nicht entziffern könnte. Doch die anschließende Rotfärbung des Displays war eindeutig. “Boss, der Junge ist negativ.”

“Und was heißt das jetzt?”, fragte Peter.

Daraufhin richtete der Boss seine Waffe auf Peters Stirn und betätigte den Abzug. Das Projektil erwischte den jungen Mann genau zwischen den Augen und bohrte sich in seinen Schädel, nur um ihn augenblicklich auf der anderen Seite in Begleitung von Blut und Hirnmasse wieder zu verlassen. Die Heckscheibe färbte sich rot mit dem Innenleben von Peters Kopf. Er war augenblicklich tot.

Merrill riss erfüllt von Furcht und Schrecken die Augen auf und bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen. Hecktische Schnappatmung schnitt ihr jedes Wort ab. Sie wollte am Liebsten weinen, doch ihr ganzer Körper war vor Entsetzen über den Mord an Peter wie gelähmt.

Inzwischen hatte der andere auch die Probe von Merrill analysiert.

Diesmal leuchtete das Display grün auf.

“Wir haben einen Treffer!”, verkündete der Mann seinem Boss.

“Schau dich nur an, Kleines!”, sprach dieser daraufhin Merrill an. “Du hast Glück! Unsere Quellen deuteten auf den Jungen hin, aber scheinbar wurden wir falsch informiert. Du darfst deinen Beitrag zur Rettung der Menschheit leisten.” Er beäugte das Mädchen. Ihr hübsches Äußeres. “Ich bin mir sicher, dass so ein ausgezeichnetes Exemplar wie du, einen sehr hohen Preis erzielen wird.”

“W-Wieso haben Sie Peter einfach umgebracht?”, sprach die Rothaarige noch immer zitternd. “Brauchen Sie seine Organe nicht?”

“Organe? Wir brauchen den ganzen Menschen. Fruchtbare Menschen, wie dich. Ein sterilen Penner wie der da ist nutzlos!”

Fruchtbare Menschen? So etwas gab es nicht mehr. Nicht seitdem RAID über die Welt gezogen ist. Wer diese schreckliche Seuche überlebte, wurde durch sie unfruchtbar. Diese Leute waren verrückt!

“Entsorgt endlich diesen Müll!”, forderte der Anführer. Der Mann, welcher den Test durchgeführt hatte, verstaute den Koffer wieder unter dem Sitz. Anschließend stieß die Tür der Limousine auf und warf Peters Leiche bei voller Fahrt aus dem Wagen.

Merrill verspürte einen unerklärlichen Impuls und blickte auf der nicht von Hirnmasse und Blut verschmierten Seite durch die Heckscheibe. Der Anblick des toten Körpers, welcher sich unzählige Male überschlug, bis er endlich zur Ruhe kam, weckte etwas in ihr. Wie ausgewechselt wandte sie sich dem Mann mit der Waffe zu und attackierte ihn. Ein Schlag mit dem Griff der Waffe beförderte sie jedoch auf den Rücksitz zurück.

Benommen erhob Merrill ihre Stimme und schrie so laut sie konnte.

Dabei wurde sie stetig schriller.

Von einem Moment auf den anderen platzten die Scheiben und die Splitter flogen kreuz und Quer im Fahrgastraum umher. Die Insassen krümmten sich vor Schmerz. Blut lief aus ihren Ohren.

Aber Merrill schrie immer weiter, immer schriller.

Den Männern platzte fast der Schädel. Unter Qualen versuchten sie sich die Ohren zu bedecken, im aussichtslosen Versuch, das Geräusch, welches höchstwahrscheinlich gerade ihr Hirn verflüssigte, abzudämpfen und ihr Leid zu lindern.

Während ihres nicht enden wollenden Schreis, bemerkte Merrill nicht, das die Limousine immer wieder aus der Spur ausbrach, da auch der Fahrer betroffen war.

Mit zitterndem Arm zielte der Kopf der Entführer auf die junge Frau. Doch er war nicht in der Lage sie genau auszumachen. Es verschwamm alles vor seinen Augen. Zwei Schüsse lösten sich. Letztlich entglitt ihm die Waffe und er sackte mit blutenden Ohren zusammen, wie zuvor der Rest seiner Männer.

Der Fahrer verlor ebenfalls sein Bewusstsein und sein Kopf fiel auf das Lenkrad. Ein langgezogenes Hupen zeugte von seinem Zusammenbruch. Ein letztes Mal brach der Wagen aus der Spur aus und krachte gegen einen Laternenpfahl, welcher einen tiefen Eindruck in der Front der Limousine hinterließ. Durch den Aufprall löste der Airbag aus, drückte den Fahrer zur Seite geschleudert, wodurch das Hupen verstummte.

Dann wurde es totenstill.
 

FORTSETZUNG FOLGT...

Auf Messers Schneide


 

“Wer auf Messers Schneide steht, hat immer noch festen Boden unter den Füßen.”

(Andreas Brechstein)
 

Liberty Bay, In der Nacht zum 5. April 2037
 

Merrill spürte ein Gewicht auf ihrer Brust, das sie zu ersticken drohte. Panisch öffnete sie die Augen und entdeckte den Mann, welcher sie zuvor noch mit einer Waffe bedrohte, reglos auf ihr liegen. Desorientiert sah sie sich um. Noch immer befand sie sich in der Limousine. Das flackernde Licht einer LED-Lampe blendete sie. Ihre Augen fühlten sich an, als ob sie brannten und sie war benommen. Schützend hielt sie sich die Hand vor das Gesicht und wandte ihren Blick dem Mann auf ihr zu. Der Blutstrom aus seinen Ohren fiel ihr sofort auf. Vorsichtig ertastete sie seinen Hals, auf der Suche nach Lebenszeichen, fand jedoch keinen Puls. Er ist tot, dachte sie. Mit aller Kraft stemmte sie sich nun gegen das Gewicht des leicht übergewichtigen Erwachsenen und hievte sich unter ihm hervor. Erst befreite sie ihren Rumpf und zog anschließend ihre Beine nach. Nachfolgend tasteten weitere Blicke den Innenraum des havarierten Fahrzeuges ab, doch fanden nichts als Verderben. Auch die anderen beiden Männer schienen sich nicht mehr zu rühren. Sie teilten die gleichen Symptome. Ein von Schmerz entstelltes Gesicht und ebenfalls Blut aus den Ohren. Was ist passiert?, grübelte sie.

Der Schock blockierte ihre Erinnerung.

Merrill kroch über den Boden und prüfte ebenfalls bei den beiden jüngeren Männern den Puls. Wieder fand sie nichts. Wieso sind sie alle tot?”, versuchte sie zu erfassen.

Der Schwindel riss sie herum. Der Rothaarigen versagte die Kraft und ihre Arme knickten um. Sie raffte sich erneut auf und versuchte die Vergangenheit in ihrem Kopf zu finden. Es fühlte sich an, wie mit einer Harpune im Trüben zu fischen, ohne eine Ahnung zu haben, was man eigentlich suchte. Schlagartig traf sie die Erinnerung wie ein Blitz. Die Entführung. Ein Bild der Männer, welche sie in die Limousine zerrten, schoss ihr durch den Kopf. Der Mord. Sie musste daran denken, wie es vor ihren Augen aus Peters Hinterkopf förmlich explodiert war. Der Unfall. Männer, welche sich unter Qualen die Ohren zu hielten und jämmerlich vergingen. Und dann der Aufprall, welcher sie auf den Boden und einen der Entführer auf sie drauf schleuderte. Sie verstand nicht wie das möglich war, doch sie hatte diese Männer auf dem Gewissen.

Unter dem Wagen begann sich eine Lache zu bilden. Der übel riechende Treibstoff tropfte aus einer beschädigten Leitung heraus. Die Situation wurde gefährlich. Dämpfe stiegen auf und ein Funke genügte, sie zu entzünden.

Auf dem Boden entdeckte Merrill den merkwürdigen Apparat, welcher über Peters Schicksal und über das ihre entschieden hatte. Sie konnte ihn gerade noch ergreifen, bevor die Tür hinter ihr mit einer Brechstange aufgebrochen, sie an ihren Beinen gepackt und aus dem Gefährt gezerrt wurde. Den Griff fest umklammert zog sie dabei das Gerät mit hinaus. Ein Blick nach oben, vermochte keine Fragen zu beantworten. Alles verschwamm immer mehr vor Merrills Augen. Sie spürte, wie jemand Fremdes ihr das Gerät aus der Hand riss.

“Sie ist eine von uns”, sprach eine männliche Stimme.

Merrill spürte, wie ihre Beine angehoben und sie an ihnen von dem Wagen weggezogen wurde. Im nächsten Moment flog ein Funke und die Limousine ging in einen Feuerball auf. Allerdings setzte der Sängerin die Kopfverletzung zu, welche sie beim Aufprall erlitten haben musste. Die schon dunkle Nacht versank nun vollkommen in Schwärze. Kurz hörte sie noch Sirenen, doch dann driftete ihr Geist langsam ab.
 

~~~
 

Central Hospital, 3 Tage später
 

Gelangweilt tippte Detective Miller mit der Sohle auf den Boden. Das Klopfen seines Schuh lieferte sich einen Wettstreit mit dem Ticken der Uhr an der Wand. Schon seit einer Ewigkeit warteten er und sein Kollege auf eine Regung. Stunde um Stunde schoben sich schon die Zeiger des Zeitmessgerätes über das Zifferblatt. Doch die Patientin wachte einfach nicht auf. Genauso wie die Tage zuvor auch.

Miller wandte sich dem anderen Detective zu. “Ich glaube nicht, dass die heute noch aufwacht”, prognostizierte er. Er wollte wohl einfach nur nach Hause.

Der deutlich ältere Beamte - Detective Kent - saß zusammengesunken auf einem Stuhl und blätterte in einer Frauenzeitschrift herum, welche er auf dem Beistelltisch entdeckt hatte. Nach dem umblättern tat sich ihm ein interessantes Rezept auf. “Sag mal wusstest du, dass man Tortillas mit Dinkelmehl machen kann?”, fragte er seinen jüngeren Kollegen.

“Hörst du mir überhaupt zu?!”

“Entspann dich ein bisschen. Gib der Sache Zeit.”

“Sollten wir nicht lieber Verbrecher jagen?”

“Dazu gehört auch, die Zeugin zu vernehmen.”

Miller rollte genervt mit den Augen.

“Der Doc meinte, sie müsste jeden Moment aufwachen.”

“Das sagte er gestern auch schon. Und vorgestern. Zeit ist relativ.”

“Mein Gott, was die alles in Tortillas stecken!”, bemerkte Kent, als er über die verschiedenen vorgeschlagenen Füllungen laß und überhaupt nicht auf das Gequengel seines Kollegen einging.

“Kannst du mal mit deinen Tortillas aufhören?!”

“Du bist so schrecklich unentspannt!”

Miller hätte Kent wohl am liebsten angesprungen.

Als sich zaghaft der Kopf der jungen Frau bewegte, schien sämtlicher Frust verflogen und die Konzentration der beiden Männer wechselte sofort auf das Krankenbett.

“Sie wacht endlich auf!”, mutmaßte Miller.

Detective Kent schlug das Magazin zu und legte es auf den nebenstehenden Beistelltisch zurück. “Zeit unseren Job zu machen!”

Gemeinsam traten sie von der rechten Seite an ihre Zeugin heran.

Sie war eine hübsche Frau mit roten Haaren. Auf die beiden Männer wirkte sie noch sehr jung. Als ob sie gerade erst von der Highschool abgegangen war. Umso mehr drängte sie die Frage, was dieses Mädchen mit dem ausgebrannten Wagen zu schaffen hatte.
 

Merrill bewegte sachte den Kopf auf dem flachen Kissen. Das immerfort widerhallende Echo zweier Männerstimmen verfolgte sie bis in die traumlose Schwärze, in welcher sie die vergangenen Tage verbracht hatte. Erst waren es dumpfe Laute. Allmählich formten sie sich zu verständlicher Sprache. Worte, welche fortlaufend weniger Hall hinter sich her zogen.

Tortillas? Argumentieren sie etwa über Rezepte?

Auf einmal hörte sie die Schritte zweier näher kommenden Paar Herrenschuhe.

Vorsichtig öffnete sie die Augen.

Neonröhren hingen zwischen perfekt akkuraten Platten an der Decke. Im unteren Bereich ihres Sichtfeldes tauchten zwei Klumpen auf, welche sie als Köpfe interpretierte. Sie neigte ihren Kopf, um sie in ihrem Blickfeld zu zentrieren. Noch sah sie verschwommen, doch ihr Blick schärfte sich, bis sie die Gesichtszüge der Männer erkennen konnte. Dann wurde ihr klar, dass sie gar nicht wusste, wo sie sich befand. “Wo bin ich?”, fragte sie ihre Gegenüber.

“Im Central Hospital”, antwortete einer der Männer.

“Sie waren mutmaßlich in einen Unfall verwickelt”, kam der andere gleich zum Punkt.

“M-Moment mal, Unfall?” Merrill konnte es erst nicht fassen. “Wer sind Sie zwei überhaupt?”

“Ich bin Detective Kent”, stellte sich der ältere vor. “Und das ist Detective Miller”, setzte er fort und deutete dabei auf seinen Kollegen.

Erregt von der Aussage der Detectives, richtete sich die junge Frau auf. Als sie die Decke zurück schlug, enthüllte sie das ergraute Weiß der Krankenhauskleidung, das ihren Körper bedeckte. Es war durchsetzt von verwaschenen Stecknadelkopf großen blauen Punkten und der spröde Saum an Hals und an den Ärmeln reizte ihre Haut.

“Wir hätten ein paar Fragen”, kündigte Detective Miller an. “Fühlen Sie sich im Stande eine Aussage zu machen?”

Keine Antwort Seitens der rothaarigen jungen Frau.

“Wissen Sie vielleicht noch, in wessen Wagen sie sich befanden?”

Merrill berührte ihre Stirn. Ihren Kopf dazu zu bewegen, sich zu erinnern, war mindestens so Schmerzhaft wie Algebra. “Ich bin mit einem Jungen ausgegangen. Zuvor bin ich mit meiner Band aufgetreten. Nachdem ich mich von Peter verabschiedet hatte, wollte ich nach Hause fahren.”

“Peter ist der Name des Jungen?”, erkundigte sich der ältere Detective.

“Ja.”

“Gut, fahren Sie fort.”

“Ich sitze schon auf meinem Motorrad und will losfahren, da höre ich auf einmal Peter schreien. Ich hab alles stehen und liegen gelassen und bin hin gerannt. Zwei Männer haben versucht ihn in einen Wagen zu zerren.”

“Haben Sie die Polizei gerufen?”

“Nein, verdammt! Ihr kommt doch sowieso immer zu spät!”

Die Beamten sahen sie an, als spreche sie Klingonisch.

“Ich bin hin gerannt und wollte helfen. Dann hat man uns mit einer Waffe bedroht. Da sind wir dann in den Wagen eingestiegen.” Erneut kamen in Merrill die unangenehmen Bilder hoch, wie das Wasser in einer verstopften Toilette und versiegelten ihre Lippen. Ihr Blick wurde starr und die Stimme versagte ihr.

“Und was ist dann passiert?”, fragte nun der Jüngere ungeduldig. “Wie ist es zu dem Unfall gekommen? War es überhaupt einer?”

“Sein Kopf ist einfach so geplatzt!”, stieß die Zeugen aus.

“Wessen Kopf?”

“Peter! Sie haben ihn erschossen!”

“Die Leute, die Sie verschleppt haben?”

“Ja.”

“Wieso sich dann die Mühe machen, ihn zu entführen?”

“Ich weiß es nicht!”

“Wieso haben sie ihn getötet?”

“Weil ein rotes Licht geleuchtet hat.”

“Ein rotes Licht?” Miller wandte sich Kent zu. “Vielleicht sollten wir die Schwester rufen?”

“Bei Ihnen hat es nicht rot geleuchtet?”, mutmaßte Detective Kent.

“Nein.”

“Und deshalb hat man Sie nicht erschossen?”

“Ich weiß es nicht!”

“Was bedeutet dieses Licht?”

Merrill winkelte ihre Beine an und presste das Kinn zwischen die Knie. Dann legte sie die Arme schützend über ihren Kopf. Sie hoffte nur noch, dass diese Fragen aufhörten. Sie konnte die Erinnerung an diese Nacht nicht ertragen. Hautnah mitzuerleben, wie ein Mensch stirbt, war anders als im Fernsehen. Und dann war es auch noch jemand, den sie gut kannte. Warum konnten sie nicht einfach Verschwinden, diese Erinnerungen?

“Was bedeutet dieses Licht?!”, wiederholte Miller mit Nachdruck.

Merrill antwortete nicht.

“Antworten Sie mir!!” Miller war drauf und dran die Zeugin durchzuschütteln, und das hätte er auch bald getan, wenn sein Kollege ihn nicht ausgebremst hätte.

Endlich verließ die Sängerin die Fötusstellung und stierte ihrem Gegenüber in die Augen. Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln und kullerten die Wangen hinab. Sie zeugten von der Verzweiflung der jungen Frau. “Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung!”

Das erregte Funkeln ihrer Augen ließ den aufdringlichen Beamten zurück zucken.

Kent zog Miller zu sich ran und signalisierte ihm kopfschüttelnd, das er zu weit gegangen war. Sie war immerhin keine Verdächtige.

Noch nicht.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und ein Mann mit schwarzen Haaren und schlecht rasierten Wangen betrat den Raum. Er trug den weißen Kittel eines Arztes und hielt ein Klemmbrett in der linken Hand. Ein Stethoskop hing um seinen Nacken.

“Und wer sind sie, wenn ich fragen darf?”, fragte Detective Kent.

Der Mann schaute erst kurz verwundert. “Ich bin Dr. House”, antwortete er schließlich. “Ich möchte sie bitten zu gehen. Ich muss die Patientin untersuchen.”

Kent musterte ihn, als ob er ihm nicht abnehmen würde, ein studierter Mediziner zu sein. Trotz seines Drei-Tage-Bartes, ausgeprägter Oberaugenfalten und relativ hohem Haaransatz wirkte er nur mit viel Fantasie älter als zwanzig. “Darf ich fragen, wie lange Sie schon Arzt sind?”, ging er anschließend seinem Instinkt nach.

“Sie meinen, weil ich so jung aussehe? Das höre ich ständig. Aber ich bin in der Tat noch nicht lange Arzt. Meine Spezialgebiete sind Unfallchirurgie und Innere Traumata. Ich habe meine Examen drüben in meinem Zimmer hängen. Wenn Sie darauf bestehen sie zu sehen, dann hole ich sie.”

Der charismatische Blick des Schwarzhaarigen mussten den alten Hasen beeindrucken. Er schien bereit der Geschichte Glauben zu schenken. “Schon gut, das wird nicht nötig sein. Machen Sie ruhig ihre Untersuchung.” Er sah zu seinem Kollegen hinüber. “Los, komm. Wir gehen uns einen Kaffee holen.”

Im nächsten Moment waren die Beamten auch schon aus der Tür verschwunden.
 

Einige Zeit starrte Merrill in die Leere. Der Arzt fragte sich wahrscheinlich, ob alles mit ihr in Ordnung war. Dann atmete sie auf und brach ihr Schweigen. “Danke, Doktor.”

“Wofür?”, fragte dieser verwundert. “Ich habe doch noch nicht mal angefangen.”

“Danke, dass Sie mir diese Bullen vom Hals geschafft haben.”

Der Mediziner musste schmunzeln.

“Ich hätte diese Fragen nicht mehr viel länger ausgehalten!”

“Was haben die Polizisten denn gefragt?”

“Sie-” Merrill stockte. Die Stimme des Arztes kam ihr so bekannt vor. Wo hatte sie die schon einmal gehört? “Sie haben nur wegen des Unfalls gefragt.”

“Der Unfall…” House wandte sich dem Blatt auf seinem Klemmbrett zu. “Wie geht es Ihnen denn, Miss? Haben Sie noch Beschwerden?”

“Mir war eben noch etwas schwindlig, aber ich glaube jetzt geht es. Vielleicht weil mir keiner mehr Fragen stellt.”

Der Arzt sah wieder zu seiner Patientin. “Haben Sie denn etwas zu verheimlichen?”

“Herrgott, nein! Ich habe ihnen alles erzählt, an was ich mich erinnern kann.”

Auf einmal wurde der Blick des Halbgott in Weiß ernst. “Was haben Sie ihnen erzählt?”

“Ich wüsste nicht, was Sie das angeht. Sie sollen mich behandeln und nicht verhören.”

“Und damit würde ich gern beginnen.”

Die Ausstrahlung des Mannes erweckte Urvertrauen in der Rothaarigen, wie es sonst kaum einer vermochte.

“Ich frage rein aus Interesse. Um Sie behandeln zu können, muss ich so viel wie möglich wissen. Ich kann mich nicht nur auf das verlassen, was in Ihrer Akte steht.”

“Sie sind der Arzt.”

“Genau. Und man sollte auf seinen Arzt hören.”

“Wollten Sie mich nicht untersuchen?”

“Ähm...” Dr. House musterte die zierliche Frau vor sich. “Na klar. Machen Sie sich doch schon mal frei, damit ich Sie abhören kann.” Er spielte provokant an seinem Stethoskop herum und drehte dabei den Horchaufsatz umher.

Merrill gehorchte und wollte damit beginnen, sich zu entkleiden. Langsam entledigte sie sich der Krankenhauskleidung, doch noch bevor zu viel enthüllt wurde, sah sie den Arzt die Augen zusammen kneifen und zusammen zucken.

“Hast du einen Dachschaden?!!”

Es war so laut, das Merrill es auch hören konnte. Der Schwarzhaarige hielt sich das Ohr und erst jetzt erkannte sie, dass etwas im Hörorgan des Mannes zu stecken schien. Jemand anderes hatte ihm mit voller Lautstärke ins Ohr geschrien. Schnell schob sie die Kleidung wieder hoch. “Sie sind gar kein Arzt, habe ich nicht recht?”
 

Gierig hatte der Kaffeeautomat die Viertel Dollar verschlungen, doch bis jetzt noch keinen heiß ersehnten braunen Saft ausgespuckt. Wütend ließ Detective Miller seine Stiefel zum Ausdruck bringen, was er davon hielt.

Derweil stand sein Kollege Detective Kent mit einem Pappbecher in der Hand an einer viereckigen Säule lehnend und schlürfte zufrieden das Heißgetränk. “Sie haben doch gesagt, der Espresso funktioniert nicht”, erinnerte er.

“Ich weiß!”, reagierte der Kollege genervt. “Aber ich wollte einen! Verdammt!” Er legte mit einem finalen Faustschlag auf das niederträchtige Gerät nach und wandte sich anschließend von dem verfluchten Teil ab. Plötzlich begann der Automat jedoch zu arbeiten und braute einen Espresso, welcher sich in den Becher unter der Kaffeedüse ergoss. Allerdings gab sich die Maschine damit nicht zufrieden und die braune Brühe floss immer weiter, bis letztlich der Inhalt überlief und sich an der Außenwand herab auf den Boden ergoss.

Detective Kent konnte seine Schadenfreude kaum verbergen.

Miller, welcher sich der Maschine inzwischen zugewandt hatte, riss entrüstet die Arme in die Höhe. “Na großartig!”

Eilig stürmten ebenso einige Schwestern als auch Besucher herbei und versuchten mit Tüchern und Eimern den wildgewordenen Automaten in den Griff zu bekommen.

Gemütlich trank Detective Kent seinen Kaffee zu Ende und schlenderte anschließend seelenruhig hinter den Automaten, um den Stecker zu ziehen.

Daraufhin hatte der Spuk ein Ende.

Gemeinsam entfernten sich die Detectives, bevor sie noch dazu eingespannt wurden, ebenfalls die Sauerei aufwischen. Auf ihrer feigen Flucht liefen die Beamten einen anderen Arzt in die Arme. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf das Namensschild. Auf ihn stand fett gedruckt Dr. Gabriel House. Die Detectives sahen sich unvermittelt an. Ohne zu zögern wandten sie sich um und rannten zurück zum Zimmer der Zeugin.
 

Wie von Sinnen packte der vermeintliche Arzt das Bett, in welchem Merrill noch immer lag, und zerrte es von der Wand weg. Schwungvoll drehte er es, sodass es mit dem Kopfende zur Tür zeigte. Eine Leichtigkeit für ihn, dank seiner Muskeln und den Rädern auf denen das Gestell lastete.

Die junge Frau war von der plötzlichen Aktion zu überrumpelt und konnte nicht reagieren.

Mit der Wucht des Krankenbettes stieß der Schwarzhaarige die Tür auf und rammte den Schmutzwäschewagen einer Pflegekraft, die gerade auf dem Weg zum Fahrstuhl war, um ihre Lieferung in der Wäscherei abzugeben. “Alter, Hast du’n Schaden?”, rief ihm der empörte dunkelhäutige Mann entgegen, welcher sich nicht mehr hatte halten können und von den Füßen gerissen wurde.

“Sorry, Bruder!”, entschuldigte sich der Arzt. Doch er meinte es wohl nicht wirklich.

Das schien der stark Pigmentierte zu spüren und zeigte ihm den Mittelfinger. “Ich bin nicht dein Bruder, du Weißbrot!”

Hinter dem Gestürzten drängten just in jenem Moment die beiden Detectives Kent und Miller durch den Gang, welche offenbar den Braten gerochen hatten. “Stehen bleiben!”, forderte einer auf und zog seine Waffe.

“Fuck!” Der mutmaßliche Mediziner riss Merrills Bett herum in die entgegengesetzte Richtung und setzte sich mit samt seiner rothaarigen Fracht in Bewegung.

“Hey!”, rief ihm ein Polizist nach.

“Lassen Sie die Frau frei!”, verlangte der andere.

Während der wilden Fahrt umklammerte Merrill krampfhaft das Gestell ihres Krankenbettes und wusste nicht wie sie hätte hinunter springen können. “Was?! Wo bringen Sie mich hin?” Langsam hatte sie es satt, dauernd von irgendwem entführt zu werden!

“Stehen bleiben, oder ich schieße!” Detective Miller richtete seine Waffe auf den Rücken des Mannes.

“Nein!”, sein älterer Kollege drückte den Lauf nach unten. “Du könntest das Mädchen treffen, wenn du drauf los ballerst.”

Die Beamten entschieden sich stattdessen das Ziel zu verfolgen.

Am Ende des Ganges befand sich ein großes Fenster. Von ihm aus, gabelte sich der Weg nach links und rechts. Der jugendlich wirkende Mann riss abermals das Krankenhausbett herum und bog nach rechts ab. Dabei nutzte er die Gelegenheit durch das Fenster zu sehen. Ein flüchtiger Blick fiel auf den Parkplatz und seine Augen erspähten, wie sich ein paar schwarze Wagen zusammen fanden, aus denen ebenfalls schwarz gekleidete Personen ausstiegen. “Fuck!”, kommentierte der Schwarzhaarige wenig aussagend.

Weiter den Gang entlang stürmend, kreuzte er den Pfad einer Reinigungskraft. Er sah den randvollen Eimer und die sich ihm bietende Gelegenheit.

Die Putzfrau wich dem Krankenbett aus, doch der Schwarzhaarige ergriff den Eimer in ihrer Hand und warf ihn hinter sich auf den Boden. Wären die Frau noch erschrocken quiekte wie ein Ferkel auf der Schlachtbank, breitete sich die schmierig seifige Flüssigkeit schon auf dem gerade eben erst gesäuberten Grund aus.

Die beiden Detectives bogen erst jetzt um die Ecke und bemerkten die Falle nicht, die ihnen gestellt worden war. Sie ignorierten die Putzfrau und ihr heftiges Herumgefuchtel mit den Armen und tappten hinein. Auf dem rutschigen Boden verloren ihre Füße den Halt und wie in einer billigen Schmierenkomödie landeten die Männer schmerzhaft auf dem Boden der Tatsachen, als sie mit ihren Rücken aufschlugen.

Der falsche Arzt hatte dies wohlwollen mittels Blick über die eigene Schulter verfolgt und stieß mit dem Krankenbett die nächste Doppeltür auf.

“Lassen Sie mich endlich runter!”, befahl Merrill.

Ihn schien das jedoch wenig zu kümmern. Mit Zeige und Mittelfinger der linken Hand reichte er nach dem Gegenstand in seinem Ohr und drückte auf ihn. “Wir haben ungebetene Gäste! Finde uns einen Weg hier raus!”

“Ja ja”, antwortete die Stimme.

“Treppen und Aufzüge können wir vergessen!”

Die Stimme hüllte sich in Schweigen.

“Hey, ich bin am Arsch, wenn dir nichts einfällt!” Derweil rannte er immer weiter.

“Biege bei der nächsten Abzweigung in den linken Gang und renne bis ganz zum Ende.”

“Ja und dann?”

“Mach einfach!”

Der Schwarzhaarige gehorchte und tat wie ihm geheißen. Am Ende des Ganges sah er ein offenes Fenster. Es schien groß genug für einen Menschen.

“Spring da raus!”

“Bist du irre? Wir sind im sechsten Stock!”

“Mach einfach!”

Der junge Mann bremste das Bett ab und packte Merrill am Arm. Er schleifte sie unter Protest erbarmungslos an das Fenster heran und nachdem er selbst kurz durchgesehen hatte, versuchte er die Rothaarige gewaltsam aus dem Fenster zu drücken.

Merrill stemmte sich mit aller Kraft dagegen. “Hilfe!”, schrie sie.

Er wusste sich nicht weiter zu helfen, also versetzte er ihr kurzer Hand einen Schlag in den Nacken, der sie gerade lang genug benommen machte, dass er ihre Beine packen und die kleine Frau aus der Öffnung hieven konnte.

Merrill legte eine Punktlandung in einem Verpackungscontainer hin, welcher genau unter dem Fenster stand.

Der Schwarzhaarige sprang ihr nach. Sein Sturz wurde ebenfalls von dem Müll gebremst. Eiligst wühlten sich beide aus dem Container heraus. Sofort griff der Fremde die noch immer verwirrte Merrill und verhinderte so, dass sie davonlaufen konnte. Und weiter ging die wilde Flucht. Zumindest war das der Plan. Doch das Mädchen weigerte sich und setzte sämtlich ihr noch zur Verfügung stehende Kraft ein, sein Vorhaben zu durchkreuzen. “Mach keine Mätzchen!”, schrie er sie an. Doch das brachte nicht das erhoffte Resultat.

“Lass mich los, du Penner!”

“Victor!”, sagte der Fremde.

“Was?”

“Wenn wir schon per Du sind… Ich heiße Victor und nicht Penner! Victor Krueger.”

Merrill stellte ihr Zerren ein. Ein Entführer, der sich ihr mit vollem Namen vorstellte?

“Jetzt gewillt mir zuzuhören?”

Natürlich war sie das nicht. Doch was blieb ihr anderes übrig. Sie beschloss Victor seinen Teil aufsagen zu lassen.

“Ich bin hier, um dich zu retten!”

“Retten?! Vor was denn?”

“Der Regierung.”

Merrill brachte Victor gegenüber ihr Misstrauen vor, indem sie mit dem Zeigefinger auf ihre Stirn klopfte. “Was soll die Regierung von mir wollen?”

“Dafür haben wir jetzt keine Zeit! Hier sind überall Männer in Schwarz.” Wie auf ihr Stichwort sprinteten drei Männer in dunklen Anzügen um die Ecke. Einer von ihnen brüllte etwas in ein Funkgerät, was man aus dieser Entfernung allerdings nicht verstand. “Diese Typen da!” Er packte erneut Merrills Arm und zwang sie mit sich. “Komm mit, mein Auto steht gleich dort drüben.” Gemeinsam rannten sie in die entgegengesetzte Richtung los. Allerdings konnte Merrill nicht Schritt halten und stürzte über ihre eigenen Füße. Sie waren einfach zu kurz! Zwar erhob sie sich sofort wieder, doch sie hätten keine Chance den Verfolgern jetzt noch zu entkommen.

Plötzlich stellte sich Victor zwischen die anstürmenden Männer und Merrill und machte irgend etwas mit seinen Armen. Sie konnte es nicht richtig sehen, aber es sah aus, als ob sich Funken in Victors Händen sammeln würden. Der Schwarzhaarige formte beide Hände zu Krallen und bewegte sie abwechselnd übereinander. Dabei schien sich eine Ladung aufzubauen, welche den Funkenflug immer heftiger werden ließ. Anschließend streckte Victor beide Hände nach vorn weg und ein greller weißer Blitz schoss auf den mittleren der drei Verfolger zu. Beim Einschlag sprang jeweils ein Lichtbogen sofort auf die anderen beiden Männer über. Die Verfolger begannen zu zucken und zu zappeln und gingen zu Boden. Merrill wollte es nicht glauben, doch der Kerl hatte wahrhaftig einen Blitz aus seinen Händen geschossen.

Ihr versagten die Knie. “What the Fuck?! W-Wie ist das möglich?”, fragte sie hysterisch und nach Luft japsend. “Blitze! A-Aus den Händen?!”

“Wir haben dafür keine Zeit! Die haben ihre Freunde gerufen!”

Aus der gleichen Richtung wie schon zuvor stürmten weitere Männer in schwarzen Anzügen heran. Es waren dieses Mal gleich fünf an der Zahl. Sie interessierten sich kein Stück für ihre verletzten Kollegen und waren nur auf ihr Ziel fokussiert. Merrill schaute reflexartig zur anderen Seite des Krankenhaus und entdeckte auch dort vier Männer, welche ebenfalls auf sie zu kamen.

“Jetzt komm endlich!”, befahl Victor und zerrte sie schon wieder an ihr.

Merrill riss sich los und stieß seinen Arm weg. “Ich kann allein laufen!”

Glücklicherweise war es nicht mehr weit zum Auto. Victor kramte den Wagenschlüssel hervor und öffnete die Wagentüren aus der Ferne. Die Scheinwerfer eines Sportwagens blitzten kurz auf und bestätigten den Signaleingang.

“Steig ein!”, wurde Merrill im Befehlston aufgefordert, als sie das schneeweiße Gefährt endlich erreichten.

Sie entschied sich widerwillig dazu, diesem Victor zu gehorchen, da sie fürchtete sonst ebenfalls mit einem Stromschlag zu Boden geschickt zu werden, und stieg auf der Beifahrerseite ein.

Der Schwarzhaarige setzte sich hinter das Steuer und schnallte sich an. Er startete den Motor und trat das Gaspedal bis zum Anschlag. Die Reifen quietschen und drehten durch. Weißer Qualm stieg von ihnen auf und schwarzer Abrieb setzte sich auf dem Asphalt ab. Als die Reifen endlich ihren Grip fanden, schoss der Wagen wie ein Pfeil davon.

Doch die Männer in Schwarz bauten sich in Fahrtrichtung auf und erhoben ihre Pistolen.

“Runter!” Victor duckte sich selbst und drückte gleichzeitig seine Beifahrerin wider Willen nach unten.

Schüsse fielen und trafen Motorhaube und Windschutzscheibe.

Nichts sehend und in gebückter Haltung fuhr Victor einfach weiter, bis ein dumpfes Geräusch verkündete, dass er einen der Männer überrollt hatte. Er richtete sich wieder auf und konnte gerade noch verhindern in ein anderes Auto auf der Straße vor ihnen zu krachen, indem er das Steuer umriss und sowohl normale Bremse als auch Handbremse betätigte. Die linke Seite rammte jedoch das andere Fahrzeug. Als Folge davon brach der Seitenspiegel ab. “Fuck, der war erst kürzlich in der Werkstatt!”, fluchte Victor, während er das Pedal zum Metall presste. Er hatte Mühe, die Einflüsse des Aufpralls auf den Kurs des Wagens zu kompensieren und gleichzeitig wieder zu beschleunigen.

“D-Du hast ihn einfach überfahren!”, warf Merrill Victor vor.

“Wäre es dir lieber, sie hätten uns abgeknallt?”

Es war jedoch noch nicht vorbei!

Kaum hatte Victor sein Auto wieder stabilisiert, schwärmte der Gegner aus und mehrere Wagen fuhren vom Krankenhausparkplatz ab. Sie klebten dem weißen Sportwagen an den umgangssprachlichen Hacken.

Merrill lugte nach rechts in den verbliebenen Rückspiegel und sah in ihm die Reflektionen der Verfolger. “Und was jetzt?”, fragte sie obwohl sie nicht mit einer Antwort rechnete.

Einer der Wagen schloss zu ihnen auf und rammte die Heckstange.

Victor steuerte gegen.

Merrill drückte der Aufprall nach vorn und dann zur Seite. Sofort fiel sie in den Sitz zurück.

“Wie wäre es mit anschnallen?”, schlug Victor vor.

Ein weiteres Mal stieß der führende Verfolger mit ihnen zusammen.

Merrill erkannte, dass es kein so schlechter Vorschlag war und sicherte sich selbst mit dem Gurt. “Kannst du nicht dieses Blitzdings von vorhin machen?”, fragte sie anschließend.

“In Physik nicht aufgepasst, was? Wir sitzen in einem Auto. Das ist ein fucking faradayscher Käfig. Wenn ich das mache, springt der Blitz über und dann sind wir Grillgut.”

Victor reichte nach dem Mann in seinem Ohr. “Du musst uns noch mal helfen.”

“Dir ist nicht mehr zu helfen, Mann!”, plärrte die Stimme empört in seinen Gehörgang hinein. “Wieso sagst du ihr deinen richtigen Namen?”

“Damit sie mir vertraut.” Er sah kurz zu dem Mädchen auf dem Beifahrersitz. “Außerdem ist sie eine von uns!”

Merrill starrte Victor perplex an. Sie erinnerte sich an den Moment kurz nach dem Unfall, als sie jemand im letzten Moment aus der Limousine gezogen hatte. “Sie ist eine von uns”, hatte auch dieser Mann gesagt. Ihr fiel wie Schuppen von den Augen, dass Victors Stimme genau gleich klang. Er war ihr Retter in der Not gewesen und hatte sie aus dem Wagen gezogen. Daran bestand gar kein Zweifel.

“Wie du meinst. Hast du dich um die Papiere gekümmert?”

“Vaporisiert. Hast du die Kameras gehackt und die Bilder gelöscht?”

“Ist der Papst katholisch?”

Ein drittes Mal wurde der weiße Sportwagen von hinten hart rangenommen.

“Herr im Himmel, bitte erlöse uns von diesen Sündern!”

“Klar. Gott mag dich immerhin… irgend wie.” Die Stimme schwieg nur einen Moment, doch für Victor war es wie eine Ewigkeit. “Der Herr sagt, du sollst nehmen die nächste Kurve und mit dem Gas nicht geizen.”

“Kannst du den Gottesquatsch endlich lassen?”

“Jetzt mach einfach! Rasen wie ein Irrer kannst du doch.”

“Ach, halt die Fresse!”

Mit viel Gefühl und noch mehr Geschwindigkeit schoss der weiße Pfeil um die Kurve.

Zwei der Verfolger gelang es mitzuhalten. Der dritte Wagen schaffte es nicht, die Abzweigung zu nehmen, und krachte in einen geparkten Kleinwagen.

Auf der Beifahrerseite des führenden Wagen der Verfolger steckte ein Mann seinen Arm und seinen Kopf aus dem heruntergelassenen Fenster. In der Hand hielt er eine Pistole. Merrill kannte sich nicht mit Waffen aus, doch sie hatte sowieso nicht den Nerv dafür über den Waffentypen zu sinnieren, als sie die neue Bedrohung im Seitenspiegel sah. Dieser existierte allerdings nicht mehr viel länger, da ihn schon der erste Schuss zerstörte. Ein zweiter Treffer ließ die Heckscheibe zerspringen und weitere Schlugen in das Metall am Heck ein oder prallten von ihm ab. “Sie schießen auf uns!”, schrie die Rothaarige.

“Ich weiß!”

“Mach was!

“Ich arbeite dran!”

Vor ihnen hatte sich eine lange Straße aufgetan, welche von einer Zugstrecke geschnitten wurde. Es waren vielleicht noch dreihundert Meter zwischen ihnen und dem Bahnübergang.

“Du musst deinen Zug kriegen!”, ermunterte die Stimme in Victors In-Ear.

Und tatsächlich: Die roten Warnsignale sprangen abwechselnd an und aus, die Schranken begannen zu sinken, und das ikonische Warnsignal ertönte.

Victor gelang es, irgendwie noch mehr Geschwindigkeit aus dem Wagen herauszukitzeln, und das Gefährt weiter zu beschleunigen.

Der Zug war bereits sichtbar.

Merrill erkannte, was Victor im Sinne hatte. “Das ist nicht dein ernst!”, versuchte sie dem jungen Mann ins Gewissen zu reden. “Der Zug macht uns platt!”

“Immerhin bist du angeschnallt.”

Das war unmöglich. Der Typ konnte nicht so cool sein, wie er tat! Merrill wurde aus ihm nicht schlau. Doch was konnte sie schon tun? Die Tür aufmachen und hinaus springen war genauso wenig eine Option, wie ihm bei dieser Geschwindigkeit ins Steuer zu greifen. So blieb ihr keine andere Wahl als sich ihrem Schicksal zu fügen.

Nur noch wenige Meter.

Zug oder Sportwagen, wer würde dieses Rennen gewinnen?

Das weiße Geschoss erreichte den Übergang und der Sieger stand fest.
 

FORTSETZUNG FOLGT...

Die Unsterbliche


 

“Vergessen können ist das Geheimnis ewiger Jugend. Wir werden alt durch Erinnerung.”

(Erich Maria Remarque)
 

Liberty Bay, 8. April 2037
 

Mit voller Geschwindigkeit raste die Lok des Güterwagens auf den Übergang zu. Die Signalleuchten blinkten und erloschen im Wechsel. Mal das linke, mal das rechte Licht. Das Adrenalin in ihrem Blut ließ die Zeit für Merrill immer langsamer erscheinen. Die Abstände zwischen den Warntönen wirkten jedes Mal weiter voneinander entfernt. Dann erreichte der Sportwagen endlich den Übergang und zerstörte beide heruntergelassenen Schranken mit ihren Stoppschildern in der Mitte. Der weiße Pfeil schoss um Haaresbreite an der Lok vorbei und landete sicher auf der anderen Seite auf dem Asphalt. Kurz schwenkte der Wagen nach rechts und dann nach links aus. Dank Victors Fahrkünsten war die Maschine jedoch schnell wieder unter Kontrolle gebracht.

Derweil barsten die Splitter der Schranken weiter, als sie mit dem Triebfahrzeug des Gütertransport kollidierten.

Die Verfolger wurden jäh ausgebremst und mussten vor dem Güterzug klein beigeben. Die nicht enden wollende Phalanx aus Waggons zog an ihnen vorbei und nur durch die schmalen Lücken zwischen den Containern konnten die Häscher verfolgen, wie ihre Beute allmählich in der Ferne auf nimmerwiedersehen verschwand.
 

“Whooo!”, entwich Victor ein Freudenlaut. Er trommelte mit der flachen linken Hand auf das Lenkrad ein, während er weiter mit der rechten steuerte.

Merrill saß wie versteinert auf dem Beifahrersitz und war unsicher, ob sie sich vor Aufregung ins Hemd gemacht hatte oder nicht. Solch einen Stunt hätte sie niemals gewagt!

Der Kerl musste des Wahnsinns sein!

“Die sind wir los!”, verkündete Victor indes freudig.

Heute erfuhr Merrill, wie sich ihre Beifahrer fühlen mussten. “Und ich meine Schutzengel!”, kommentierte sie.

“Meine haben schon vor Jahren gekündigt.” Victor fluchte laut auf. “Scheiße! Die Karre sieht aus wie ein rollender Schrotthaufen!”

“So wie du fährst!”

“Witzig, Ruby!”

“Ich heiße Merrill!”

“Ruby passt aber besser zu deinen Haaren. Ich nenn dich ab sofort Ruby.”

“Du hast doch einen Schaden!”

Der Schwarzhaarige verlangsamte das Tempo des Wagens und brachte ihn am Straßenrand zum stehen.

“Wieso halten wir?”, fragte Merrill argwöhnisch.

Das schelmische Grinsen auf Victors Lippen reichte von einem Ohr bis zum anderen. Er öffnete das Handschuhfach und holte ein schwarzes Tuch heraus.

“Was hast du mit dem Ding vor?!”

Victor bedeckte Merrills Augen mit dem Halstuch, neigte ihren Kopf nach vorn und band es hinter ihrem Kopf zusammen. “Ich bringe dich zu meinen Leuten. Bis wir dir trauen können, solltest du aber nicht wissen, wo wir abhängen. Hab’ mal etwas Vertrauen.”

“Klar vertraue ich einem Kerl, der mich aus dem Krankenhaus entführt, einen Hang zum Suizid mit schnellen Autos hat und obendrein noch Blitze schießt!”

“Gut dass wir das geklärt haben, Ruby. Ich hatte schon befürchtet, dich ambulant betäuben und in den Kofferraum stopfen zu müssen.”

Ihrer Sicht beraubt, wollte Merrill nicht mal gegen den Kosenamen protestieren. Sie konnte nicht sehen, dass die Fahrt fortgesetzt wurde, allerdings spüren. Victor hielt nichts davon einen Wagen sanft zu beschleunigen. Nein, es musste gleich Vollgas sein, sodass die Reifen quietschten. Sie war sicher, dieser Typ hätte die Karre auch ohne die Verfolger in absehbarer Zeit zu Schrott gefahren. In ihrem Kopf ging die junge Frau mehrere mögliche Schreckensszenarien durch, was Victor und “seine Leute” mit ihr vorhaben könnten. Keines davon gefiel ihr, so beschloss sie zu versuchen, sich einzuprägen, wenn sie in eine Kurve einbogen und welche Richtung es war. Die nächste Gelegenheit zur Flucht wollte sie ergreifen. Dazu musste sie wissen, welche Weg sie kamen. Das hatte sie mal in einem alten Actionfilm gesehen. Ob das allerdings wirklich funktionierte, musste sie erst ausprobieren.

Nach einer Weile blieb der Wagen erneut stehen. Merrill wollte ihre Augen von dem Tuch befreien, wurde jedoch von Victor gestoppt. “Noch nicht!”

Sie vernahm ein Summen und daraufhin fuhr der Wagen weiter, allerdings nur im Schritttempo. Waren sie vielleicht in einer Tiefgarage?

Victor stieg aus und trat um die Motorhaube herum. Er öffnete die Tür auf der Beifahrerseite und löste den Gurt um Merrill. Sofort schnellte dieser zurück in seine Ruheposition neben dem Sitz. Vorsichtig half er der nichts sehenden Rothaarigen, den Wagen zu verlassen und geleitete sie durch eine Tür, deren Hälften offenbar mit Luftdruck bewegt wurden.

Schon nach wenigen Schritten fühlte Merrill keinen steinernen Boden, sondern stattdessen kaltes Metall unter ihren nackten Füßen.

Hinter ihr zischte abermals die vermeintliche Tür.

Endlich nahm Victor das Tuch von ihrem Gesicht und gab ihr so das Augenlicht zurück.

Was Merrill dann erblickte, erinnerte mehr an das Innere des Raumschiff Enterprise als an ein irdisches Gebäude. Ein Gang mit Rohrleitungen und blinkenden Lichtern an dessen Ende eine weitere automatische Tür darauf wartete, durchschritten zu werden.

“Wir sind da!”
 

Clinton Hill, Liberty Bay, 25. April 2033
 

Catherine Connery war gerade erst zarte zwölf. Für sie begann ein normaler Schultag, wie auch die Tage zuvor. Allerdings bedeutete das Wort “normal” für sie etwas anderes, als für die meisten Kinder in ihrem Alter. Früh am Morgen weckte sie nicht ihre Mutter Fiona. Stattdessen sah Catherine mit dem Klingeln ihres Weckers zuerst nach ihrer Mutter. Die Frau, die ihr das Leben schenkte, fesselte jede Nacht die Dialysemaschinen an das Bett. Qualen verlängernde Blutwäsche, statt erholsamer Schlaf, dominierten ihr Leben. Und Catherine konnte nur hilflos zusehen. Zwar stand ihre Mutter auf der Empfängerliste, doch um auf ihr nach oben zu rutschen, musste man im Stadtstaat Liberty Bay tief in die Tasche greifen. Und alles was Familie Connery bei sich vorfand, waren Löcher im Stoff. Die Schmerzen waren in den vergangenen Monaten schlimmer geworden und das Mädchen spürte jeden Morgen als erstes das Verlangen, sich zu allererst nach dem Zustand ihrer Mutter zu erkundigen.

Oft kam sie noch vor ihrem Vater Anton, welcher im Wohnzimmer schlief, da die Maschinen ihm den Schlaf raubten. Und irgendwer musste schließlich Buckeln und das Geld für die Familie verdienen.

Die Behandlung von Catherines Mutter war aufgrund einer Spätfolge einer überstandenen RAID-Infektion notwendig geworden. Der Virus infizierte damals ihr gesamtes Gefäßsystem und machte auch vor den Nieren nicht halt. Die vom Erreger ausgelöste akute Vaskulitis schädigte die Organe nachhaltig. Doch erst Jahre später machte sich dieser Effekt bemerkbar. Es fing an mit Schmerzen im Rücken. Später vergilbten die Augen und Fiona fühlte sich immer schwächer. Ein Arzt diagnostizierte schlussendlich Nierenversagen. Anfangs kam Fiona ins Krankenhaus, doch holte ihr Mann sie nach Hause zurück und mietete die Geräte für die Dialyse. Wenn seine Frau schon sterben musste, konnte sie es auch zuhause bei ihrer Familie tun, anstatt im Krankenhaus.

Catherine ließ den Kopf sinken. Sie wusste, dass sich ihr Vater stark verschuldete, um ihre Mutter am Leben halten zu können. Der Wind blies um ihren beschäftigten Kopf machte ihr zuvor akkurat gekämmtes brünettes Haar ganz liederlich. Selbst das Wetter ärgerte sie. Doch damit war es nicht allein. Catherine verstand sich nicht mit den Gleichaltrigen.

In der Schule hielt sie sich von den anderen Kindern fern. Früher hatte sie versucht, sich mit ihnen anzufreunden, aber sie stellte schnell fest, dass sie anders waren. Das sie nicht mit ihnen klar kam. Darum tat sie ihr möglichstes, ihnen aus dem Weg zu gehen.
 

Am Nachmittag kehre Catherine nach Hause zurück. Ihr Vater war noch nicht nach Hause gekommen. Offenbar musste er länger arbeiten. Eilig warf sie den Rucksack mit den verhassten Schulsachen in eine Ecke. Wozu musste sie überhaupt noch etwas lernen, wenn die Menschheit sowieso vor die Hunde ging? Doch das war erst Mal egal. Sie musste nach ihrer Mutter sehen. Während des Tages versuchte Fiona ihren Haushalt in den Griff zu bekommen und ein wenig zu schlafen, bevor ihr die nächste anstrengende Nacht an der Dialysemaschine bevorstand.

Als das Mädchen das Wohnzimmer betrat, vernahm es einen dumpfen Knall und ein lautes Scheppern.

“Ahhhrg!”, schrie die Stimme der Mutter. “Mrrrrrgh. Nein, verdammte Scheiße!”

Catherine hielt nichts mehr und sie stürmte die Küche. Dort angekommen, bot sich ihr der Anblick ihrer Mutter, welche halb auf dem Rücken lag, umringt von den Scherben einiger Teller. Neben ihr befand sich eine kleine Fußbank und die Tür des Hängeschrank stand noch offen. Aus der Öffnung blitzten weitere unversehrte Teller hervor.

“Oh Gott, Mum!”, gab Catherine entsetzt von sich und eilte zu der gestürzten Frau. “Geht es dir gut?”, fragte sie voller Sorge.

Langsam rappelte sich Fiona wieder auf. “Warum passiert das immer mir. Das Leben hat sich gegen mich verschworen!”

“Was ist passiert?”

“Ich wollte die Teller einräumen. Aber dann ist mir schwindelig geworden.”

“Mum, du musst das doch nicht machen!”

“Ich will nicht nur krank rumliegen!”

Catherine packte ihre Mutter und half ihr wieder auf die Beine. “Hast du dich verletzt?”

“Nein, ich glaube nicht. Es tut zumindest nicht mehr weh als sonst.”

Mit einem Seufzer geleitete Catherine ihre Mutter zum Sofa im Wohnzimmer.

Vorsichtig legte sich Fiona auf den bequemen Einrichtungsgegenstand.

“Du kannst mir nicht so einen Schreck einjagen!”, entrüstete sich Catherine, nun da für ihre Mutter nicht mehr die Gefahr bestand, aus den Latschen zu kippen. “Du bist krank! Du musst dich schonen!”

“Wofür? Damit ich etwas länger leiden kann?”

“Mum, sag bitte sowas nicht. Ich liebe dich doch.”

“Ich weiß.” Fiona schloss die Augen und versuchte etwas zu schlafen.

Es klingelte an der Tür.

Als ihre Mutter sich anschickte, sich zu erheben, stoppte Catherine sie. “Lass mal, ich geh schon.” Darauf schloss Fiona wieder die Augen und sank zurück auf die Couch.

Catherine trat vor die Tür.

“Ich bin es!”, rief ihr Vater von der anderen Seite.

Natürlich öffnete das Mädchen sofort und kam hinaus zu ihrem Vater.

Die Tür fiel ins Schloss.

Anton trat unverhofft zur Seite und ein drei Männer in Schwarz näherten sich ihr. Zwei von ihnen packten die überraschte Catherine an den Unterarmen und zerrten sie mit sich. Der dritte trug einen großen Metallkoffer bei sich.

Catherine versuchte sich zur Wehr zu setzen, doch als zwölfjähriges Mädchen hatte sie zwei ausgewachsenen Männern nicht viel entgegen zu setzen. “Hey, lasst mich los, ihr Schwanzlutscher!”, schrie sie sie verzweifelt an.

Allerdings ließen sich die Männer nicht davon beeindrucken.

Catherine warf einen Blick über die Schulter und musste mit Ansehen, wie ihr Vater das große silberne Behältnis entgegen nahm. “Mr. Connery”, sprach der Kofferträger. “Hier ist die vereinbarte Summe. Möchten Sie nachzählen?”

Entsetzt und Abgelenkt von dieser Szene bemerkte Catherine den in Chloroform getränkten Lappen nicht, welcher ihr im nächsten Moment ins Gesicht gedrückt wurde. Es fielen weitere Worte zwischen ihrem Vater und dem Fremden, doch sie zogen sich durch die Wirkung des Betäubungsmittels in die Länge und waren unverständlich. Dann verlor sie langsam das Bewusstsein.
 

Gegenwart
 

Merrill befand sich in einem kleinen Raum, welcher anmutete wie eine Kajüte auf einem Schiff. Ein kleines ovales Fenster verleitete sie zu diesem Gedanken. Es zeigte jedoch nicht den Ozean, sondern einzig Schwärze. Victor hatte sie hier abgeladen, zusammen mit einer Auswahl von Kleidungsstücken und war einfach gegangen. Er würde auf sie warten, hatte er zuvor noch gesagt. Sobald sie umgezogen und bereit sei, solle sie ihm über die Sprechanlage Bescheid geben. Sie war gelinde gesagt froh, die Krankenhauskleidung ablegen zu können. Sie saß nun auf einem Bett und betrachtete die Auswahl. Augenscheinlich schienen alle Sachen ihre Größe zu haben. Das traf sogar auf die Unterwäsche zu. Ein Umstand, den Merrill besonders interessant fand. Sie hatte Victor weder ihre Maße mitgeteilt, noch diese in irgendwelchen sozialen Medien verbreitet. Dieser Mann hatte offensichtlich eine gute Beobachtungsgabe.

Anstelle weiter darüber nachzudenken, entschied und bekleidete sie sich. Dabei fiel ihre Wahl auf eine schwarze Jeans, ein rotes ärmelloses Shirt und eine ebenfalls schwarze Lederjacke. Auf ihren Schultern könnte man die breiten Träger des schwarzen Sport-BH sehen, wären diese nicht von der Jacke bedeckt.

Endlich von diesem Fetzen befreit, war es Merrill nun möglich, sich voll und ganz auf ihre Umgebung einzulassen. Neben dem Bett, welches sich an der Wand mit dem kleinen Fenster befand, gab es noch einen Kleiderschrank neben einer Tür, welche in ein kleines Badezimmer führte. Außerdem stand neben der Eingangstür ein Schreibtisch mit einem Bürostuhl und einer silbernen Lampe. An der Decke waren verkleidete LED-Leuchten angebracht, die ein kaltes Licht abgaben. Durch die stählernen Wände, Boden und Decke erschien es gar frostig.

Da sie die übrigen Stücke nicht einfach so auf dem Bett liegen lassen wollte, öffnete Merrill den Kleiderschrank. In ihm gab es Fächer für Socken und Unterwäsche. Sie sortierte die nicht benutzten Höschen, Büstenhalter und Strümpfe in je einen von ihnen ein. Oben fand sie eine Stange mit Kleiderbügeln vor. Allmählich bestückte sie sie mit den übrigen Kleidungsstücken. Nach getaner Arbeit schloss sie die Türen. Als letztes faltete sie noch die Krankenhauskleidung ordentlich zusammen und legte sie auf den Schreibtisch. Jetzt fühlte sie sich bereit um nach Victor zu rufen.

Dieser ließ sich nicht lange bitten. Er geleitete Merrill in einen Raum, welcher sie erneut an das Raumschiff Enterprise erinnerte. Es wirkte wie eine Art Kommandobrücke. An den Wänden zeigten verschiedene Monitore blinkende Bildchen an, mit denen die Rothaarige nichts anzufangen wusste. Auf einer Seite des Raumes befanden sich außergewöhnlich viele von ihnen. Dort saß auch ein schüchterner junge, offenbar asiatischer Abstammung. Sein Gesicht wirkte blau, angestrahlt von den unzähligen Monitoren. In der Mitte des Raumes standen mehrere Leute um einen großen Tisch herum. Die Oberfläche des Tisches schien aus undurchsichtigem schwarzem Glas zu bestehen.

“Darf ich vorstellen: Merrill”, kündigte Victor an und schob seine Begleitung augenblicklich ein Stück nach vorn.

“Hey, betasch’ mich nicht!”, beschwerte sich diese.

“Das ist sie also?”, gab ein blondes Mädchen von sich. Sie besaß einen Körper, nachdem sich ein jeder Mann verzehren täte.

Merrill fühlte sich von ihren musternden Blicken wie durchbohrt.

“Du hast Recht, Jian. Sie ist echt niedlich.”

Der asiatische Junge sank peinlich berührt in seinem Stuhl zusammen.

Neben der Blonden standen noch zwei weitere Personen um den Tisch herum. Eine Frau mit ausdruckslosen Gesicht und ein Mann mittleren Alters.

Der Mann trat an Merril heran und reichte ihr die Hand. “Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Senorita Sturm”, begrüßte er sie. “Mein Name ist Miguel Rivera. Ich bin der Leiter dieser bescheidenen Einrichtung.”

Zurückhaltend nahm Merrill die Geste an. Er hatte einen festen, aber leicht schwitzigen Händedruck. Seine Zuvorkommenheit war ihr bis dahin unbekannt. Sie wusste nicht, wo sie Mr. Rivera einordnen sollte. Etwas an ihm kam ihr Spanisch vor.

“Einrichtung?”, fragte Merrill zynisch. “Sind hier alle so durchgeknallt, wie der da?” Sie deutete mit dem Daumen über ihre Schulter zu Victor, welcher noch immer hinter ihr stand. So versuchte sie ihre Unsicherheit herunterzuspielen.

“Nein, er ist der einzige bekloppte hier”, meinte die Blonde.

“Halt den Rand!”, forderte Victor.

“Was, wenn nicht?”

“Ich hab dir wohl zu lange nicht den Hintern versohlt.”

“Ach ja?! Komm ran auf einen Meter!”

“Vielleicht sollten ich Ihnen alle vorstellen”, unterbrach Rivera, um die Spannung aus der Situation zu nehmen. Es schien zu funktionieren und sowohl der Schwarzhaarige als auch das blonde Mädchen beruhigten sich. Rivera zeigte auf Victor. “Senior Krueger kennen Sie bereits.” Der Einrichtungsleiter wandte sich zu der anderen Streitpartei und deutete mit der Hand auf sie.

“Ich bin Mandy”, stellte sich die Blondine vor. Mandy winkte Merrill kurz zu.

Riveras Finger schwenkte zu dem Asiaten. “Der junge Mann dort ist Senior Cheng. Er ist etwas schüchtern, aber wenn es um die Missionsbetreuung geht, erkennt man ihn nicht wieder.” Zaghaft hob dieser den rechten Arm, welcher eine Prothese zu sein schien.

Merrill musste an den Dialog zwischen Victor und der lauten frechen Stimme aus dessen In-Ear zurück denken. Waren sie und dieses Häufchen Elend dort drüben etwa ein und dieselbe Person? Nein, das konnte nicht sein. “Was läuft eigentlich zwischen den zweien?”, erkundigte sie sich. “Haben die was miteinander laufen oder wieso sind die so nett zueinander?” Sie meinte offensichtlich Victor und Mandy.

“Ha ha, schlimmer”, kommentierte die Blondine. “Der Vollpfosten ist mein Bruder.

“Wir sind Zwillinge”, ergänzte Victor. “Zweieiig versteht sich.”

“Ich wollte auch nicht aus dem selben Ei entsprungen sein, wie du!”

“Hilfe, dann wäre ich auch ein Mädchen.”

“Hast du deshalb früher immer meine Kleider getragen?”

“Die familiäre Liebe zwischen euch ist echt herzerwärmend!”, kommentierte Merrill.

“Aber natürlich lieben wir uns!” Mandy trat an ihren Bruder heran und komplementierte Merrill gleichzeitig mit einem Hüftschwung beiseite.

“Immerhin sind wir Geschwister”, vervollständigte Victor und umarmte seine Schwester.

“Die Schönheit zu meiner Linken ist Senorita Cortez”, setzte Mr. Rivera fort. “Sie ist meine rechte Hand. Sollte ich nicht zu sprechen sein, Senorita Cortez hat immer ein offenes Ohr.”

Die soeben vorgestellte Frau rührte sich kein bisschen. Sie zeigte keine Regung, fast schon als ob sie eine Statue war.

“Senior Cheng, wie sieht es aus?” Mr. Rivera reichte den imaginären Redestock weiter. “Hat er sich schon gemeldet?”

“N-Noch nicht”, antwortete der Schüchterne.

“Das Team hat noch ein weiteres Mitglied”, erklärte der Leiter.

Wie auf ein Stichwort ploppte ein Kasten mit dem Foto eines dunkelhäutigen jungen Mann darin auf Jian Chengs Monitoren auf. Begleitet wurde er von einer Wellenanimation und einem eingängigen Klingelton, den man nicht so schnell aus dem Kopf bekam, selbst wenn man es wollte. Daraufhin klimperte der Asiate auf der Tastatur herum und im nächsten Moment wurde das Bild auf die Fläche des Tisches übertragen. Mit einem Fingertipp durch Mr. Rivera stoppten Vibration und Geräusch und der Rahmen weitete sich aus. Es handelte sich augenscheinlich um Internettelefonie.

“Wenn man vom Teufel spricht…”, meinte Victor.

“Ich geb dir gleich Gefrierbrand!”, erwiderte der Dunkelhäutige, welcher ihn offenbar klar und deutlich verstanden hatte. Daraufhin bemerkte er die Anwesenheit eines unbekannten Gesichts. “Wer ist denn das Mädchen?”

“Gut, dass Sie jetzt anrufen”, sprach der Leiter. “Das ist Senorita Sturm. Vielleicht möchten Sie sich ihr selbst vorstellen.”

“Guten Tag, Miss Sturm. Ich bin Lamar.”

“Du kannst mich Merrill nennen.”

“Gut.”

Mr. Rivera schmunzelte. “Was haben Sie uns zu berichten?”

“Ich wollte nur mitteilen, das das Paket zugestellt wurde.”

“Paket?”, fragte Merrill interessiert. “Liefert ihr auch Post aus?”

“Alles zu seiner Zeit”, trat Victor auf die Bremse.

“Ich erledige nun den nächsten Auftrag.” Lamar wollte gerade auflegen, hielt sich jedoch noch zurück. “Hat mich gefreut.” Dann legte er wirklich auf.

“So ist er.”, kommentierte Mandy. ”Sparsam mit den Worten.”

“Also”, ergriff Merril das Wort. “Das ist ja alles ganz nett. Aber warum bin ich hier?”

“Wir sind eine Organisation, die sich für die Rechte von jungen Menschen einsetzt”, erklärte Mr. Rivera. Er swipte auf der Tischoberfläche herum, woraufhin verschiedene Fenster mit Informationen erschienen. “Wie Ihnen bekannt ist, hat der RAID-Virus die Menschheit unfruchtbar gemacht. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Einige der letzten geborenen Kinder haben ihre Fruchtbarkeit behalten. Seit einiger Zeit kommt es vermehrt zu Teenager-Schwangerschaften unter dieser Gruppe. Regierungen und einflussreiche Leute haben davon Wind bekommen und nun sind diese Menschen Freiwild. Wir, Last Seed, wollen diesen Menschen helfen.”

“Klar. Was mich aber mehr interessiert ist, wieso hat Victor Superkräfte?”

“Der Virus hat das Genom der Kinder verändert. Jedes dieser Kinder hat ein besonderes Talent entwickelt.”

“Ach, wie die X-Men?”

“Wenn es Ihnen hilft sich die Sache vorzustellen, Ja. Wie die X-Men.”

“Sie sagten, sie sind hinter den letzten Kindern her. Diese Leute müssen 2020 bis 2021 geboren sein. Damit wären sie sechzehn Jahre alt. Ich bin achtzehn. Was zum Teufel wollten sie dann von mir?”

“Du hast ebenfalls veränderte Gene!”, mischte sich Victor ein.

Blitzartig kam Merrill der Gedanke an das Testgerät der Männer in Schwarz in den Sinn. “Aber das ist unmöglich!”

“W-Wir werden schon h-herausfinden, warum du d-diese Mutation hast”, versicherte Jian.

“Ich möchte Sie einladen, Teil unserer Organisation zu werden”, fuhr Mr. Rivera fort. “Es steht Ihnen jedoch frei zu gehen. Wir haben alle Spuren verwischt. Sie sollten Ihr bisheriges Leben unbehelligt fortführen können. Allerdings würde ich mich freuen, wenn Sie sich entschließen uns beizutreten.”

Merrill schüttelte den Kopf und ging langsam rückwärts. “Das ist doch alles Schwachsinn!”

Urplötzlich wurde sie von Mandy gepackt. “Hey, mein Bruder hat dir deinen süßen kleinen Knackarsch gerettet!”, sprach sie der Rothaarigen ins Gewissen. “Du bist ihm was schuldig!”

“Senorita Krueger, ich darf doch bitten!”, ermahnte der mittelalte Mann.

“Aber…”

“Wir zwingen niemanden!”

Widerwillig ließ Mandy Merrills Arm los und entfernte sich von ihr.

“Kommen Sie doch bitte wieder an den Tisch heran.”

Merrill erfüllte die Bitte. Sie sah Mr. Rivera in die Augen. “Und wie läuft das jetzt? Geben sie mir eine blaue und eine rote Pille?”

“So in etwa. Nur dass es in diesem Fall keine blaue Pille gibt. Was Sie hier erleben ist die Realität. Sie haben nur die Wahl so zu tun, als wüssten Sie von nichts oder für unsere Sache zu kämpfen. Egal was Sie tun, Sie können nicht mehr zurück und es gibt auch keine Matrix, die wir für Sie hacken können, damit alles wieder ist wie früher.”

Merrill schwieg. Sie konnte das alles noch nicht wirklich begreifen. “Ich kann das nicht einfach über den Zaun brechen!”

“Darum bitte ich Sie, bei der laufenden Mission zuzusehen. Dann können Sie sich Ihr eigenes Bild machen und dann eine Entscheidung treffen.”

Verwirrung machte sich in Merrills Herzen breit.

Was sollte sie tun?
 

Vergangenheit
 

Sie hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Ungezählte Tage waren vergangen, seitdem die Männer in Schwarz sie abgeholt hatten. Seither sah Catherine nichts anderes als an ihr herum doktorierende Männer in Laborkitteln und schwer bewaffnete Wachen.

Jedes Mal wenn sie die Augen öffnete, befand sie sich entweder in einer trostlosen Zelle oder, wie in diesem Moment, in einem Labor auf einem harten stählernen Tisch. Man hatte sie an den Handgelenken und den Knöcheln gefesselt und eine Doppelreihe von Gurten schnürte ihren Rumpf zusätzlich fest. Dazu kleidete man sie in einen blass-grauen Anzug, welcher einer Sträflingskleidung gleich kam. Auch dieses Mal stand ihr eine weitere Tortur bevor. Was war es dieses Mal?

Catherine sah sich im Raum um. Vor ihr befanden sich drei getönte Scheiben. Sie konnte nicht hindurch sehen, doch auf der anderen Seite studierten die Kittelträger die Ergebnisse und machten sich Notizen wie Schüler im Chemieunterricht. An der Decke hing eine Kamera, deren rotes Licht unter der Linse zeigte, dass die Aufnahme bereits gestartet war.

Die Tür öffnete sich und jemand schob einen metallenen Wagen mit einem orangenen Koffer darauf in den Raum.

Catherine hatte keine Zeit sich zu fragen, welche Grausamkeiten sie diesmal für sie vorbereitet hatten, als plötzlich der Tisch auf dem sie gefesselt worden war in eine aufrechte Position gebracht wurde.

Der Mann im weißen Kittel, dessen Gesicht von einer OP-Maske bedeckt wurde, öffnete den Koffer mit lautem klicken.

“Testen Sie zuerst B-1654!”, befahl eine Stimme aus den Lautsprechern.

Der Mann griff in den Koffer und präsentierte eine schwarze Handfeuerwaffe. Er fügte ein Magazin mit der eben genannten Nummer darauf ein und entsicherte die Waffe. Zögerlich richtete er die Pistole auf Catherine.

Angst stieg in dem Mädchen auf. Angst vor den bevorstehenden Schmerzen.

“Gegen Sie einen Schuss auf das Testsubjekt ab!”

Der Mann stockte. Er wollte scheinbar nicht auf ein zwölfjähriges Kind schießen.

“Machen Sie schon, oder wir testen Morgen an Ihnen!”

Widerwillig betätigte er den Abzug. Catherine hörte den Knall, spürte den Einschlag jedoch gar nicht mehr. Eine Fontäne aus Blut schoss aus der Eintrittswunde in ihrem Brustkorb. Das Projektil trieb durch ihre Eingeweide, machte vor dem stählernen Tisch nicht halt, durchschlug auch ihn und kam erst in der Apparatur dahinter zum stehen, welche dafür konstruiert war, Kugeln zu fangen. Catherines Kopf kippte schlaff zur Seite, bis das Kinn den Oberkörper berührte. Ihre rehbraunen Augen starrten kalt und tot ins Leere.

Der Schütze trat an den Körper heran und stocherte mit OP-Besteck in der Wunde herum, welche bereits begann sich zu schließen. Er gab seine Erkenntnisse zur Wirkung des Geschosses an seine Vorgesetzten weiter.
 

Nichts als Schwärze befand sich an jenem Ort, an dem sich Catherines Geist nun befand. Aber sie verspürte keine Angst. Dieser Ort war ihr nur zu vertraut. Unzählige Male hatte sie bereits die Experimente dieser Wissenschaftler durchlebt. Oder war vielmehr an ihnen zu Grunde gegangen, nur um anschließend zu erwachen, wie Jesus am dritten Tag nach der Kreuzigung. Die Schwärze erlaubte ihr eine Atempause zu nehmen, bis zu dem unvermeintlichen Punkt, an dem sie erneut in der gnadenlosen Realität die Augen öffnete und ihr Martyrium fortgesetzt wurde.

Es war soweit.

Catherine bereitete sich darauf vor, erneut Qualen zu leiden.

Im nächsten Moment kehre sie, einen tiefen Atemzug nehmend, von den Toten zurück. Verwirrt sah sie sich um. Sie befand sich wieder in ihrer Zelle. Immer wenn sie erwachte, fehlten ihr die Erinnerungen an ihre letzten Momente. Sie wusste nicht, wie oft sie dieses Mal für die Wissenschaft gestorben war.

Immerhin war es fürs erste ausgestanden!
 

Gegenwart
 

Lamar empfing ein GPS-Signal auf sein Navigationsgerät. Es zeigte einen beweglichen roten Punkt auf der Karte. Er war nicht weit entfernt. Sofort startete Lamar den Motor und nahm die Verfolgung auf.

Als er aufgeschlossen hatte, sah er einen kleinen Transporter. Sein Auftrag war es, dem Wagen zu beschatten und alle besonderen Vorkommnisse zu melden. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, blieb er auf Abstand.

Das verdächtige Fahrzeug führte ihn zu einem Krankenhaus. Zwei Männer trugen einen Gegenstand, welcher aussah wie eine Camping-Kühlbox, hinein in das Gebäude. Nach einigen Minuten kehrten sie ohne die Box aber dafür mit einem schwarzen Koffer zurück, stiegen in den Wagen ein und fuhren wieder los. Lamar folgte ihnen zurück bis zu dem Ort, von dem sie ihre Ladung bezogen.

Und wieder beobachtete er. Dieses Mal wurde zuerst der schwarze Koffer in das Gebäude getragen und anschließend kehrten sie mit einer neuen Kühlbox zurück und trugen sie in ihren Wagen. Lamar ließ sie jedoch davon fahren, ohne sie weiter zu verfolgen. Er konnte nun die der Mission zu Grunde liegende Vermutung bestätigen. Schnell rief er erneut in der Zentrale an. “Die Gerüchte scheinen wahr zu sein”, teilte er den anderen mit. “Sie liefern andauernd Kühlboxen aus, und erhalten Geldkoffer im Austausch dafür.”

“Alles klar!”, antwortete Jian. “Mandy und Victor werden sich darum kümmern. Verschwinde jetzt, bevor du noch entdeckt wirst!”
 

Vergangenheit
 

Jeder neue Tag hielt eine neue böse Überraschung für Catherine bereit.

Weiterhin achtete man auf ihre Gesundheit, gab ihr regelmäßig Essen und verhalf ihr zu einem einigermaßen gepflegten Äußeren. Allerdings zu einem fürchterlichen Preis. Immer wieder wurden grausame Experimente an ihr verübt. Anfangs schienen sie noch auf eine perverse Art Sinn zu ergeben, doch mit fortschreitender Zeit sah es mehr und mehr danach aus, als wollten die Wissenschaftler nur noch herausfinden, was nötig war, damit sie nicht wieder ins Leben zurückkehrte.

Inzwischen schrie sie nicht einmal mehr, wenn sie sie verletzten.

Sie hatte gelernt, den Schmerz auszublenden.

Sie hatte gelernt, ihre Menschlichkeit abzuschalten.

Sie hatte gelernt, den Tod nicht mehr zu fürchten.

Denn endgültig zu sterben, war ihr sowieso nicht vergönnt. Der Tod war ein Luxus, welcher ihr verwehrt blieb. Die Erinnerungen an ihre Familie waren das einzige, das sie bei Verstand hielt. Das unbändige Verlangen ihren Vater für all die Schmerzen büßen zu lassen, die sie wegen ihm erleiden musste, weil er sie an diese Leute verkaufte. Diese Rachegelüste geleiteten sie durch ihr Dasein als menschliche Laborratte und verhinderten, dass sie dem Wahnsinn verfiel. Oder vielleicht befeuerten sie es auch.

Eines schönen Tages hatten die weißen Teufel, wie sie ihre Peiniger inzwischen nannte, endgültig genug von ihr und verkauften sie kurzerhand weiter. Am Morgen schon fühlte Catherine, dass dieser Tag eine Veränderung brächte. Es stand außer Frage, dass es keine gute sein würde. Wie üblich erhielt Catherine ihre erste Mahlzeit. Doch dann gab man ihr eine Spritze und sie verlor das Bewusstsein.

Als sie wieder zu sich kam, erblickte sie einen Mann in einem grauen Anzug und einem Melone auf dem Haupt, welcher sich mit einem anderen unterhielt. Es war alles noch verschwommen und wie in Watte gepackt.

“Sie werden Ihre Kaufentscheidung nicht bereuen!”, beteuerte die Person außerhalb von Catherines Blickfeld.

“Es erscheint mir immer noch unbegreiflich, doch Ihr Videomaterial hat mich überzeugt”, meinte der Mann in grau.

“Sie dürfen das Testsubjekt gern selbst verletzen und Zeuge der Regeneration werden.”

“Nein, ich vertraue Ihnen. Sollten sie mich betrügen, finden Sie sich schneller am Grund des Hanson Rivers wieder, als sie Cosa Nostra sagen können.”

Dem Mädchen vielen die Augen für einen Moment zu.

Eine Stimme holte ihr Bewusstsein abermals aus der Traumwelt zurück. Sie öffnete die Augen und blickte dem Mann in Grau direkt in das eiskalte Antlitz.

“Du wirst viele Leben retten!”, sagte der Mann.

Dann verrichtete das Betäubungsmittel erneut seinen Dienst und ihr Geist driftete ab.
 

Gegenwart
 

Ein Krankenwagen befand sich auf dem Weg zum Krankenhaus.

“Findest du es nicht etwas unverschämt, was wir mit den Sanitätern gemacht haben?”, fragte Victor während er sich im Beifahrersitz lümmelte.

“Wieso?”, fragte seine Schwester. “Sie liegen doch nur mit Klebeband gefesselt und geknebelt unter irgendeiner Brücke rum.”

“Wieso darf ich nicht fahren?”

“Man, höre auf zu nerven. Wir brauchen die Karre intakt.”

“Was soll das denn jetzt heißen?”

“Frag deinen Sportwagen!”

Einem beleidigten bockigen kleinen Jungen gleich, wandte Victor den Blick von seiner Schwester ab hinaus aus dem Fenster auf der Beifahrerseite. So verblieben sie den Rest der Fahrt, bis sie das Krankenhaus erreichten.

Um kein Aufsehen zu erregen, fuhren sie mit dem Krankenwagen in die dafür vorgesehene Tiefgarage und nahmen den Personaleingang. Dank der gestohlenen Ausweise der Sanitäter, gelang dies Problemlos. Auf ihnen befand sich ein Name, ein Magnetband und ein QR-Code, welchen Jian bereits gehackt hatte.

Als sie unbeobachtet waren, meldeten sie sich bei der Emissionskontrolle.

“Der Igel ist im Bau”, gab Victor durch.

“Lass den Schwachsinn”, tadelte Jian.

“Ich mache doch nur Spaß!”

“Könntest du dich bitte auf die fucking Mission konzentrieren!”

“Wie sollen wir vorgehen?”, fragte Mandy.

“Ihr vermeidet Konfrontationen und schleicht euch in die IT-Zentrale ein. Dort stöpselt ihr dann den USB-Stick ein, den ich euch gegeben habe. Ich scanne das Netzwerk und dann werden wir schon herausfinden, wo sie ihre Quellen haben.”

“Du kannst es ruhig aussprechen! Ist doch klar, dass sie Organe verticken.”

“Wir wissen gar nichts! Jetzt macht gefälligst, was ich sage!”
 

In einem menschenleeren Flügel des Krankenhauses standen zwei Männer gemeinsam einsam an den beiden Seiten einer Doppeltür. Sie trugen dunkelgraue Anzüge und waren mit schallgedämpften Maschinenpistolen ausgestattet. Offensichtlich bewachten sie etwas.

“Hoffentlich kommt bald die Ablösung”, meinte einer. “Sofia macht heute abend Lasagne.”

“Danke, jetzt hab ich hunger!”, beschwerte sich der andere.

Es war eine trostlose Arbeit diese Tür zu bewachen. Ab und an kamen einige Ärzte und verschwanden für eine Weile in dem Raum hinter ihnen, nur um dann wieder herauszukommen und zu verschwinden. Natürlich mussten sie sich fragen, welches Geheimnis hinter diesen Türen verborgen lag. Allerdings gehörte es zu ihrem Credo die Befehle der Familie nicht in Frage zu stellen.

Auf einmal näherte sich ihnen jemand.

Es war nicht das übliche Ärzteteam sondern eine einzelne blonde Frau. Sie trug die Kleidung einer Krankenschwester, welche an der Oberweite arg spannte und mindestens zwei Nummern zu klein war. Misstrauisch beobachteten die Männer ihren Auftritt und ließen sie bis kurz vor die Tür heran kommen. “Wer sind Sie?”, fragte einer daraufhin.

“Ich soll die Patientin waschen”, behauptete die Frau.

“Patientin?!”

Die Blondine trat an den skeptischen Mann heran, bis dieser ihren Atem spüren konnte. “Habt ihr euch nie gefragt, was ihr da bewacht?”

Ihre Nähe war ihm offensichtlich unangenehm. “S-Selbst wenn, das geht mich nichts an!”

“Wir wissen nichts davon, dass Sie kommen”, sagte der andere.

“Bitte gehen Sie, bevor wir von unseren Waffen gebrauch machen!”

“Zu schade!”, entgegnete die Frau. Sie wandte sich ab und deutete an Folge zu leisten, nur um sich dann wieder umzudrehen und dem einen Wachmann einen Kuss zu geben.

Dieser begann plötzlich zu Husten und Wasser zu spucken.

Schockiert beobachtete der andere, wie sein Kollege zu Boden ging und offensichtlich von innen heraus ertrank. Er erhob seine Waffe und schoss auf die Krankenschwester. Die Kugel traf und der Körper der Frau löste sich in Wasser auf. Die Kleidungsstücke stürzten feut zu Boden, als sei die Frau niemals da gewesen. Verwirrt sah sich der Mann um und bemerke dabei nicht, wie ein Strom von Wasser um ihn herum floss und sich hinter ihm zum Körper der Frau verdichtete, welche nunmehr nackt war. Sie packte den Kopf des Mannes und drehte ihm mit einem abscheulichen Knacken den Hals um. Der leblose Körper stürzte zu Boden und lies sie nunmehr unverhüllt zurück.

Lässig trat die Frau an den Haufen mit der Kleidung heran und suchte nach etwas. Sie fand einen kleinen schwarzen Gegenstand und steckte ihn in ihr Ohr. “Die Wachen sind erledigt”, sagte sie. “Du kannst kommen!”
 

Gefesselt und abgeschirmt von der Welt, bekam die Person auf der anderen Seite der Tür nicht viel von dem Geschehen mit. Es handelte sich um eine junge Frau mit brünetten Haaren, welche schon seit langer Zeit nichts anderes als diesen Raum gesehen hatte. Von Zeit zu Zeit kamen die Weißen Teufel zu ihr und schnibbelten an ihr herum. Doch hauptsächlich verblieb sie hier. Einsam. Plötzlich wurden jedoch die Türen aufgestoßen und zwei Personen stürmten hinein. Ein Mann in Sanitäteruniform und eine Frau in der durchnässten Kleidung einer Krankenschwester. War es Zeit für eine weitere Operation?

Als die Eindringlinge die Sensoren von ihrem Körper entfernten und die Geräte so fälschlicherweise ihr Ableben bescheinigten, wurde ihr klar, dass etwas anders war als sonst. Die Fremden griffen je eine Seite des Bettes und begannen die Frau mit unbekanntem Ziel aus dem Zimmer zu schieben.

“Ich kann nicht glauben, dass ich schon wieder ein Mädchen aus einem Krankenhaus entführe!”, sprach der Mann.

“Vielleicht solltest du das zu deiner Berufung machen!”, entgegnete die Frau.

Unauffällig und dennoch eilig ging die Reise durch die Gänge das Krankenhaus. Ihr tun konnte den Verantwortlichen nicht verborgen geblieben sein. Noch schien jedoch niemand vom Personal Verdacht zu schöpfen. Für die Patientin war es zu unwirklich, um es zu begreifen. Waren tatsächlich Fremde gekommen, um sie zu entführen. Oder gar, um sie zu retten? War das Realität oder nur ein weiterer Wunschtraum?

In der Tiefgarage angekommen fasste sich der Mann an sein Ohr. “Wir haben sie”, sagte er. “Wir laden sie jetzt ein und bringen sie zum Safe House.”

Daraufhin taten die Fremden, wie angekündigt und verfrachteten sie in einen Krankenwagen. Während der Mann sich hinter das Steuer setzte, blieb die Frau bei ihr im Behandlungsraum des Krankenwagen und beäugte sie mitleidig. Die Patientin ertrug es nicht und schloss die Augen, in der Hoffnung, den Blicken ausweichen zu können. Doch sie wusste, dass sie immer noch da waren.

Derweil beschleunigte das Fahrzeug, als sie eine Hauptstraße erreichten.
 

FORTSETZUNG FOLGT...

Catherines Vendetta


 

“Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.”

(Klingonisches Sprichwort)
 

Liberty Bay, 8. April 2037

Irgendwo auf der Hauptstraße
 

Der Krankenwagen parkte auf dem Standstreifen der Hauptstraße. Die hinteren Türen waren geöffnet. Hin und wieder sauste ein Fahrzeug an ihm vorbei. Mandy saß auf der Kante mit beiden Beinen auf dem Boden und laß auf ihrem Tablet. Die hoch am Himmel stehende Sonne störte sie nicht beim studieren der Lektüre. Ihr Gerät war mit einem mattem Display ausgestattet, auf dem die Sonne nicht mehr als einen schwachen Schimmer hinterließ. Jian hatte die Datenbank des Krankenhauses angezapft und die Akte des Mädchens sicherstellen können, welches hinter ihr im Krankenwagen auf der Trage lag. Als Mandys Augen die Informationen aufnahmen und an ihr Gehirn weiterleiteten, konnte sie nicht begreifen, was sie da laß. Das Beschriebene war kaum zu ertragen. Wie konnte man dies einem Menschen nur antun? Noch dazu einem Kind!

“Hey, guck mal!”, hörte sie ihren Bruder Victor auf sich aufmerksam machen.

Erst reagierte die Blondine nicht doch dann tat sie ihm doch den gefallen.

Sofort stach das wohl geformte Sitzfleisch Victors ins Auge. Er hatte seiner Schwester den Rücken zugewandt, stand mit heruntergelassener Hose neben einem Busch und war mitten dabei sich zu erleichtern. “Guck mal, wie weit ich komme!”, prahlte er und spielte dabei auf die Urinspuren auf dem staubtrockenen Boden an, welche bis zu eineinhalb Meter von ihm weg reichten.

“Du bist eklig!” Mandy hatte ganz offensichtlich keine lobenden Worte übrig, die Leistung ihres Bruders zu würdigen.

“Wieso bist du so verklemmt?”

“Beeil dich gefälligst! Wir müssen das Mädchen abliefern!” Mandy fügte nach kurzer Pause im Scherz noch an, “Die Kundschaft wartet schon.” Als Victor dann begann, die Arme in die Seiten gestützt und mit seinen Hüften kreisend, freihändig zu urinieren, wurde es ihr zu bunt. Sie widmete sich wieder ihrer Lektüre.
 

Catherine wollte die Augen nicht mehr aufmachen. Zu groß war die Angst, es könnte sich als Traum herausstellen und sobald sie sie wieder öffnete, lag sie wieder einsam in einem dunklen Zimmer. So war es viel bequemer. Es hatte ihr erlaubt, von den mitleidigen Blicken der Frau zu fliehen, welche mit ihr im Behandlungsraum des Krankenwagen geblieben war.

Mit geschlossenen Augen, stellte sie sich schlafend. Zwar wirkte die schwere Medikamentierung durch das Krankenhaus noch etwas nach, dennoch war sie die ganze Zeit hellwach und bei klaren Verstand gewesen. Sie konnte jede Kurve spüren, die der Krankenwagen genommen hatte und auch, wie er zum stehen kam. Ein wenig neugierig wegen des abrupten Stopp der Fahrt war sie schon. Vorsichtig öffnete sie das rechte Auge einen Spalt. Nicht weit. Gerade genug, um die geöffneten Türen und die verschwommene Silhouette der blonden Krankenschwester zu sehen, welche ihr den Rücken zugewandt auf der Bodenkante saß und irgendetwas in der Hand hielt.

Catherine hörte die Stimme des Sanitäters, verstand jedoch die Worte nicht.

Die Krankenschwester bekundete daraufhin ihre Abneigung gegen seine Äußerungen.

Erneut erwiderte der Mann etwas, das Catherine nicht hören konnte.

Als die Krankenschwester dann davon sprach, ein Mädchen abzuliefern und dass die Kundschaft bereits warten würde, wurde der Brünetten ganz anders zu mute. Ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit und kroch wenig später hinauf bis in den Rachen und schnürte ihre Kehle zu. Diese Leute sind auch nicht besser, dachte sie.

Unmittelbar schossen Bilder in ihren Kopf.

Erinnerungen an einen schmerzhaften Tag vor ein paar Wochen.
 

Damals lag sie mit der Gewissheit in ihrem Krankenbett, im Zuge der nächsten Operation ein weiteres Mal misshandelt zu werden. Angesichts der ungezählten Eingriffe zuvor, bei denen ihr Organe entfernt und Körperteile abgetrennt wurden, schien ihr ein weiterer nicht mehr sonderlich ins Gewicht zu fallen. Schließlich würden ihre Wunden heilen und das Entfernte wieder nachwachsen, bis man sie abermals ausnahm, wie einen Fisch.

Und ihre Ängste sollten nicht unbegründet bleiben.

Die nächste Operation ließ nicht lange auf sich warten.

Das Personal stieß die Türen auf und betrat ihr Zimmer, um sie zu knebeln. Zusätzlich fesselte man sie mit Gurten an das Bett. Je zwei Gurte fixierten ihre Beine und ihren Oberkörper. Ihre Handgelenke wurden ebenfalls festgeschnallt und auch ihr Kopf erhielt die gleiche Behandlung. Sie konnte zerren und zappeln, wie es ihr beliebte, sie war außerstande sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Daraufhin schob man sie ohne weitere Umwege in den OP. Gefesselt und geknebelt war Catherine dem Tun der weißen Teufel hilflos ausgeliefert. Wieso betäuben sie mich nicht, fragte sie sich in jenem Moment. Der Gedanke an das Bevorstehende machte ihr schreckliche Angst.

Kaum angekommen, traten bereits Männer in hellblauen OP-Kitteln an sie heran. Der leitende Arzt bewegte die OP-Lampe, sodass sie Catherine unmittelbar ins Gesicht schien und sie blendete.

Reflexartig schloss sie ihre Augen, um den grellen Schein zu entgehen.

Aber das ließen sie ihr nicht durchgehen. Einer der Assistenten öffnete das Lid ihres linken Auges mit Gewalt.

“Wir sollten ihr eine Anästhesie verpassen”, meinte einer der anderen Beteiligten. Vermutlich hatte dieser Mann noch so etwas ähnliches wie ein Gewissen.

“Das geht nicht”, sprach der Arzt. “Der Empfänger der Spende verträgt die üblichen Betäubungsmittel nicht.”

Bei dem Wort “Spende” hätte sich Catherine am liebsten übergeben, doch der Knebel in ihrem Mund machte es ihr unmöglich.

”Was anderes haben wir nicht vorrätig”, vor der Chirurg fort. Daraufhin sah er seinen Handlanger bestimmend an. “Außerdem garantieren wir stets die beste Leistung für unsere Kunden. Wollen Sie eine Immunreaktion bei dem Empfänger verantworten?”

“Aber wir können sie doch nicht ohne Betäubung aufschneiden!” Die Abscheu in seiner Stimme war deutlich. “Das ist unmenschlich!”

“Für Menschlichkeit werden Sie nicht bezahlt!”, tadelte der Arzt. “Wenn Sie das nicht aushalten, können Sie gern gehen! Es gibt genug andere, die den Job machen wollen!”

“Ich meinte ja nur, Sie-”

“Halten Sie gefälligst die Klappe und reichen Sie mir das Skalpell!”

Ohne noch ein Wort des Widerstands von sich zu geben, befolgte der Assistent den Befehl des Arztes. Die Last des Geldes wog schwerer als sein Gewissen. Jeder Mensch hat nunmal seinen Preis.

Der Arzt nahm das Werkzeug entgegen und führte die Klinge an Catherines Augenhöhle.

Der Körper des brünetten Mädchens zitterte und bebte mit jeder Welle des Schmerzes. Der Knebel in ihrem Mund unterdrückte ihre entsetzlichen Schreie, welche sonst mit Leichtigkeit den Operationssaal in ein barbarisches Gruselkabinett verwandelt hätten.

Eilig hebelte der Chirurg den Glaskörper heraus und durchtrennte den Sehnerv.

Bis das Signal gekappt wurde, sendete ihr Auge weiterhin Bilder an Catherines Gehirn und steigerten das Grauen ins Unermessliche. Dann wurde es schwarz. Das Blut quoll aus ihrer nunmehr leeren Augenhöhle.

Der Assistent ließ das Augenlid los und behandelte die Wunde, um die Blutung zu stillen.

Catherine verfolgte mit dem hektisch zuckendem verbliebenen Auge das weitere Geschehen.

Vorsichtig legte der Chirurg das herausgeschnittene Sehorgan in einer kleinen Metallschale ab und wandte sich sogleich wieder der unfreiwilligen Spenderin zu. Derweil wurde die Schale von jemanden in einen anderen Raum gebracht.
 

Je mehr Catherine an ihre Erlebnisse dachte, desto unwohler fühlte sie sich. Und nun wollten diese Leute sie ebenfalls ausnutzen. Das durfte sie sich nicht gefallen lassen! Sie fühlte, wie die Wut in ihr aufstieg. Sie sah sich um. Irgend etwas hier musste dabei helfen können, um ihren Entführern zu entkommen, bevor es zu spät war! Prompt fand sie einen Gegenstand, der ihr als Waffe dienen konnte.
 

Stolz betrachtete Victor sein Werk. Es war ihm gelungen, seinen zwei Jahre alten Rekord zu brechen. Vorsichtig verstaute er das offene Denkmal in der Unterwäsche und zog anschließend den Hosenstall zu. Er hatte sich schon genug Zeit gelassen. Eigentlich verlangte das Protokoll nach einer Mission nicht anzuhalten, und sofort zurück zur Basis zu fahren. Doch seine Blase hätte die Fahrt auf keinen Fall überstanden. Seit seinem vierten Lebensjahr hatte er sich nicht mehr in die Hosen gemacht und gedachte nicht nun damit anzufangen. Erleichtert wandte er sich wieder dem Krankenwagen zu.

Im normalen Tempo näherte er sich dem Fahrzeug.

Seine Schwester saß noch immer auf der Kante des geöffneten hinteren Bereichs und stierte auf das Tablet in ihrer Hand.

Plötzlich traf sie ein silberner Gegenstand am Kopf. Die Blondine kippte scheinbar bewusstlos nach vorn in den Staub. Hinter ihr trat das Mädchen aus dem Wagen, welches sie zuvor aus dem Krankenhaus befreit hatten. In ihren Händen hielt sie ein OP-Tablett. Der Gegenstand aus Aluminium hatte eine deutliche Delle bekommen, welche in der Sonne glänzte. Entsetzt über ihre eigene Tat, ließ das Mädchen das zweckentfremdete OP-Tablett zu Boden fallen.

“Mandy!”, rief Victor entsetzt. “Hey! Finger weg von meiner Schwester!” Sofort eilte er seinem Fleisch und Blut zur Hilfe.

Die verwirrte Catherine rannte um den Wagen herum, öffnete die Fahrertür, und versuchte in den Wagen zu gelangen.

Victor konzentrierte noch beim Laufen die elektrische Energie in seinen Händen und feuerte sie auf das Mädchen ab. Allerdings verfehlte er, da sie sich rechtzeitig im Fahrzeug in Sicherheit brachte und die Tür schloss.

Kurz stoppte der schwarzhaarige junge Mann und überlegte, was er tun sollte. Das Mädchen verfolgen oder seiner Schwester helfen. Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Sich Gedanken zu machen, wie er das Mädchen aus der Fahrerkabine bekam, konnte er auch später noch. Mandy war erst einmal wichtiger.

Als Victor seine Schwester erreichte, rüttelte er an ihr und versuchte so, sie zu wecken. Mandy rührte sich nicht. Ängstlich prüfte er ihre Atmung. Sie war langsam und gleichmäßig. Offenbar war Mandy nur bewusstlos.

Derweil startete der Motor des Krankenwagens. Die Hinterreifen drehten sich und wirbelten den Staub der Straße auf. Das Fahrzeug setzte sich stockend in Bewegung und fuhr in leichten Schlangenlinien davon. Dabei schlugen die Türen unkontrolliert auf und zu. Entsetzt betrachtete Victor das Geschehen. Er hatte nicht erwartet, dass das Mädchen in der Lage wäre, den Krankenwagen zu steuern. Vielmehr sorgte er sich allerdings um seine Schwester. Sie brauchte dringend medizinische Hilfe. Sofort informierte er die Basis und schilderte die Situation.
 

~~~
 

Seit über dreißig Minuten trat Catherine bereits das Gaspedal erbarmungslos in das Metall des Fahrzeugbodens. Sie atmete hektisch und ihr Herz schlug bis zum Hals. Es war so unwirklich. Sie konnte nicht fassen, dass sie den Fremden entkommen war. Das sie jetzt endlich frei war. Was würde sie mit dieser neu gewonnenen Freiheit anfangen? Ihr schwebte bereits etwas vor...

Inzwischen hatte sie einen abgeschiedenen Teil der Stadt direkt hinter der großen Mauer erreicht. Hier gab es einige Einfamilienhäuser in schlechtem Zustand. Kaum ein Privatfahrzeug verirrte sich hier her, doch der Anblick eines Rettungswagens gehörte hier zum alltäglichen Bild. Blaulicht war der stetige Begleiter der Bewohner.

In der Nähe eines Hauses, dessen Wände aussahen wie eine Patchworkdecke, brachte sie den Krankenwagen zum stehen. Sie öffnete die Tür und stieg aus. Der warme Wind fuhr durch ihr gepunktetes Krankenhaushemd und ließ sie realisieren, dass sie so nicht mehr weiter herumlaufen konnte.

Im verwahrlosten Garten des “Anwesens” war eine Wäscheleine zwischen einem Baum und einem schiefen verrosteten Rest der zugehörigen Wäschestange gespannt. Darauf flatterten einige Kleidungsstücke im Wind. Catherine schlich sich heran und bediente sich, als ob die Sachen ihr gehören würden. Eine weißblaue Stone Washed Jeans und ein dunkelgrünes T-Shirt wechselten den Besitzer. Eilig flüchtete Catherine mit ihrem Diebesgut in den Krankenwagen, startete den Motor und scherte sich nicht mehr darum, ob es jemand gesehen hatte oder nicht.

In einer ruhigen Ecke hielt sie erneut und zog sich um.

Nachdem Catherine die Kleidungsstücke am Leibe trug, welche erstaunlicher Weise wie angegossen passten, war sie bereit für den nächsten Schritt. Jahre des Schmerzes und des aufgestauten Hasses zeigten ihre Wirkung. Dunkle Emotionen, welche sich nicht nur auf ihren verräterischen Vater beschränkten, keimten auf und entblößten ihre hässlichen Fratzen. Oft hatte sie über die Freiheit fantasiert. Und auch darüber sinniert, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Zeit genug dafür hatte sie gehabt. Die Männer in den Anzügen mussten irgendwie von ihren Fähigkeiten erfahren haben. Vielleicht von ihrem Kinderarzt, welcher sie nach einem Vorfall auf einer Schulexkursion untersuchte. Wie gerne hätte sie diesem Mann die Tür eingetreten und ihm ihre Meinung gesagt, doch leider hatte er ein paar Wochen bevor ihr Vater sie verkaufte bereits das Zeitliche gesegnet. Es hieß, es sei ein Unfall gewesen. So sicher war sie sich dabei jedoch nicht.

Jedenfalls war dieser Mediziner für sie nun unerreichbar.

Allerdings gab es neben ihrem Vater noch jemanden, dem sie die Schuld an ihrem Martyrium geben konnte. Ein Mädchen Namens Cheryl. Sie war hauptsächlich an dem Vorfall auf der Exkursion und den daraus resultierenden Folgen beteiligt. Catherine war bewusst, dass in vier Jahren viel passieren kann und sie sie zuerst aufspüren musste. Sie musste unbedingt in Erfahrung bringen, ob Cheryl immer noch bei ihren Eltern wohnte. Damals schon gab sie mit ihrem drei Jahre älteren Freund an, mit dem sie zusammen ziehen wollte.

Catherine suchte einen gemeinsamen Klassenkameraden auf. Ein häufchen Elend von einem Jungen. Einsam. Ohne Freunde. Auch in diesem Moment war er allein zuhause. Warum kümmerte sie nicht. Seine Eltern mussten sich bestimmt den Rücken krumm schuften. Catherine erinnerte sich. Ihr waren alle zuerst nur aus dem Weg gegangen und später hatten sie Angst, aber ihn verachteten schon immer alle. Vielleicht freute er sich deshalb so sie wiederzusehen. Es kam ihm nicht einmal seltsam vor, dass sie ihn nach all dieser Zeit aufsuchte. Ganz im Gegenteil. Sie spürte, wie er sich nach Konversation mit ihr verzehrte. Und wie er sie voll des Verlangens anstarrte. Einfach erbärmlich! Aber er war gerade gut genug, damit Catherine von ihm erfahren konnte, das Cheryl inzwischen tatsächlich bei ihrem Freund lebte. Und um den fein gearbeiteten Baseballschläger seines Vaters zu stehlen. Ein teures Stück. Es bestand aus Mahagoniholz und wurde bestimmt lange vor dem Krieg gefertigt. Der Junge machte keine nennenswerten Anstalten, sich zu wehren oder gar den Gegenstand zu vereidigen. Schon gar nicht nachdem er mit einem Schlag in die Magengrube außer Gefecht gesetzt war. Er hatte seinen Zweck übererfüllt. Von ihm erfuhr sie, wo sich Cheryl aufhielt und das war alles, was sie von ihm brauchte.

Zufrieden stieg Catherine mit ihrem neuen Schlagwerkzeug wieder in den Krankenwagen ein. Bald schon wollte sie den Schläger besudeln.
 

Victor wachte neben seiner Schwester. Die Ungewissheit über ihren Zustand, tat ihm in der Seele weh. Hätte er nicht herumgealbert und sich beeilt, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen. Mandy wäre es erspart geblieben, von dem Mädchen niedergeschlagen zu werden. Er wusste Bescheid über erste Hilfe bei dem Verdacht auf Gehirnerschütterung. Seine Jacke unter ihrem Nacken sollte ihren Kopf stützen. Momentan konnte er nicht viel mehr tun und war zum warten verdammt, bis sie endlich abgeholt würden.

Plötzlich spürte er eine zaghafte Regung.

Langsam kam Mandy wieder zu sich.

“Aua, mein Kopf”, beklagte sich die Blondine und hielt sich das genannte Körperteil.

“Kannst du aufstehen?”, fragte Victor und versuchte ihr dabei behilflich zu sein.

Vorsichtig richtete sich Mandy wieder auf.

“Wie geht es dir?”

Mandy verengte ihre Augen. “Wie geht es mir wohl, nachdem mir eine übergebraten wurde?” Während sie sich heftig gestikulierend über Victors Frage aufgeregte, wankte sie unsicher auf ihren Beinen umher. “Scheiße!”

Victor packte sie, sodass sie nicht stürzte. “Ich hab dich!”

“Danke.”

“Du musst unbedingt zu Dr. Mitchell, wenn wir wieder zurück sind.”

Im nächsten Moment hielt ein Wagen am Seitenstreifen. Es handelte sich um ein Cabrio und am Steuer saß Lamar. Nach Victors Hilferuf hatte er sich auf den Weg gemacht. In der Zwischenzeit waren unzählige Fahrzeuge an Victor und seiner bewusstlosen Schwester vorbei gebrettert, ohne auch nur die Anstalten zu machen nachzusehen, wieso da eine junge Frau auf dem Boden lag. Lamar eilte seinen Freunden entgegen und half Victor dabei, Mandy zu stützen und zum Wagen zu geleiten.
 

Cheryl saß vor ihrer Spiegelkommode und strich mit der Bürste durch ihre welligen dunkelblonden Haare. Den heute wollte sie ihr Freund Shawn ausführen. Sie waren jetzt fünf Jahre zusammen. Ein Grund zum feiern! Sie musste nur noch darauf warten, dass er nach Hause kommen würde. Derweil wurden ihre Haare mit jedem Streich geschmeidiger. Cheryl hatte sehr schöne Haare. Endlich zufrieden mit ihrer blonden Mähne, legte sie die Bürste beiseite und zog nun vorsichtig die Konturen ihrer Augenlider mit einem Eyeliner nach.

Sie wollte nicht nur für ihn, sondern auch für sich hübsch aussehen.

Als sie zufrieden mit ihrem Gesicht war, stand sie auf und ging zu ihrem Schrank, an dessen Türen Mannshohe Spiegel angebracht waren, in denen sie sich in Gänze bewundern konnte. Sie drehte sich mal in die eine, mal in die andere Richtung und bewunderte, wie das hübsche schwarze Kleid ihre Kurven umschmeichelte. Shawn hatte ihr diesen sündhaft teuren Hauch von einem Nichts gekauft. Da sie selbst noch zur Schule ging, hätte sie es sich niemals leisten können. Ihr Freund war allerdings ein paar Jahre älter als sie und hatte bereits einen Job. Zur Feier ihres fünfjährigen Jubiläums wollte sie ihm die Freude machen, es nach langer Zeit zu tragen. Auch wenn es so eng war, dass sie jedes Mal fürchtete, es könne reißen, wenn sie sich hinsetzte.

Ein Klingeln an der Tür kündigte die Ankunft Shawns an.

Er hatte versprochen heute früher von der Arbeit nach hause zu kommen.

Voller Vorfreude auf einen schönen Tag mit ihrem Freund, schnappte sich Cheryl die passend zum Kleid gefärbte Handtasche. Dieses Wunder der Physik. Winzig klein, doch in seinem inneren eröffnen sich unendliche Weiten. Eine vollständige Drogerie zum über die Schulter werfen. Als sie unten ankam, quälte sie sich in die abscheulichen Folterinstrumente aus ihrem Schuhschrank und öffnete die Tür.

Wie erwartet, stand Shawn im Türrahmen.

“Ich hab schon auf dich gewartet”, sagte Cheryl und sah ihn voller Erwartung an.

“Darf ich bitten”, antwortete der gut statuierte Mann und reichte ihr den Ellenbogen.

Cheryl hakte sich ein und verließ mit ihm zusammen das Haus.

Shawn hatte ihr nicht verraten, wo es hin geht, doch in Anbetracht, dass sie zu Fuß unterwegs waren, anstelle den Wagen in der Garage zu nutzen, konnte das Ziel nicht sehr weit von ihrem Haus gelegen sein. Cheryl genoss die Nähe ihres Freundes und schmiegte sich an ihn. Doch plötzlich stieß er sie weg.

Cheryl wusste nicht, wie ihr geschah, als es sie zu Boden riss und sie nur beiläufig das dumpfe Geräusch eines Aufpralls hörte. Sofort sah sie auf und versuchte die Situation zu erfassen. Mitten auf der Straße entdeckte sie Shawn. Er lag regungslos auf der Straße. Seine Gliedmaßen waren verdreht und aus seinem Mundwinkel lief Blut. Ohne Augen für etwas anderes, hetzte Cheryl zu ihm. Dabei brach der Absatz einer ihrer Schuhe ab, sodass sie das Gleichgewicht verlor und neben ihrem Freund auf der Straße landete. Sie beugte sich über ihn und erkannte, dass er sich mutmaßlich jeden Knochen im Leib gebrochen hatte. Das der Funke des Lebens in ihm erloschen war.

“Shawn!”, schrie sie der Verzweiflung nahe. “Nein!” Sie konnte die Situation nicht begreifen. Was war geschehen? Hatte ihn ein Auto erfasst? Cheryl wollte sich umsehen, doch noch bevor es dazu kam, traf sie etwas hartes am Kopf. Ein Schlag, welcher sie sofort außer Gefecht setzte. Als sie anschließend davon geschleift wurde, blieb die Handtasche auf der Straße zurück.
 

~~~
 

Mechanische Finger flogen über die Tastatur. Jian arbeitete konzentriert daran den Krankenwagen ausfindig zu machen. Er bemerkte erst gar nicht, dass er beobachtet wurde. Merrill stand neben ihm und sah ihm über die Schulter. Als er dies registrierte, zuckte er zusammen und Unsicherheit stieg in ihm auf. Er mochte es nicht, bei seinem Tun beobachtet zu werden. Und dann auch noch von einem Mädchen. Das war zu viel für sein kleines schüchternes Herz.

Entsetzt sah er sie an.

“Was hast du?”, fragte die Rothaarige.

“I-Ich-”, versuchte der Junge asiatischer Abstammung eine Antwort zu formulieren. “Ich s-suche den Krankenwagen.” Er stellte das Tippen ein, welches er zuvor im totalen Blindflug fortgeführt hatte, ohne auf Tastatur oder Monitor zu sehen. “I-Ich kann so n-nicht arbeiten!”

“Beeindruckend”, würdigte Merrill.

“W-Was?”

“Du kannst schüchtern stottern und gleichzeitig blind tippen.”

“Ich tippe h-halt gern. I-Ich müsste d-das eigentlich nicht.”

“Wie kommt’s?”

“M-Meine Mutation. Ich kann mit meinem G-Geist in elektronische Systeme eindringen. Die Prothese er-weitert meine Nerven. D-Damit geht es noch leichter.”

“Krasser Scheiß!”

“W-Wieso redest du mit mir?”

“Du erscheinst mir als der Vernünftigste.”

“D-Das du dich d-da nicht täuschst.” Jian wandte sich wieder Monitor und Tastatur zu und führte seinen Input fort. “I-Ich muss arbeiten!”

Merrill konnte sehen, wie er errötete. Der Arme war wirklich sehr schüchtern. “Wie willst du den Krankenwagen finden?”

“Ich bin b-bereits im System des Krankenhaus. Die haben ein System mit mehr Backdoors als es in ganz Liberty Bay Hinterhöfe gibt!” Jian beugte sich nach vorn, als wolle er in den Monitor hineinkriechen. “Hey, was haben wir denn da!”
 

Mandys Pupillen reagierten auf den Lichtreiz, welcher von der Diagnostikleuchte in der Hand von Dr. Mitchell ausging. Nachdem sie und Victor von Lamar abgeholt und zur Basis zurückgebracht wurden, ging es für die Blondine ohne Umwege in die Krankenstation. Egal, wie sehr sie beteuerte, dass es ihr wieder gut ging. Der Arzt leuchtete ihr in die Augen, um anhand der ausgelösten Reaktion darauf zu schließen, wie schwer das erlittene Schädeltrauma wirklich war. “Und Sie behaupten, es gehe Ihnen gut, Miss Krueger”, kommentierte Dr. Mitchell.

“Es ist nichts weiter”, behauptete die Blondine stur.

“Ausgeknockt hat sie dich”, erinnerte Victor, der Mandy nicht von der Seite weichen wollte. “KO in der ersten Runde.”

“Ach halt die Klappe! Du hättest auch flach gelegen.”

“Es hat aber dich erwischt.”

“Weil du unbedingt wildpinkeln musstest.”

“Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe.”

“Dann ist ja gut. Und jetzt will ich hier raus!”

“Du solltest nicht so unvernünftig sein”, ermahnte Lamar. Er befand sich ebenfalls im Raum, allerdings lehnte er etwas abseits an einer Wand und wirkte unterkühlt wie immer.

“Sie sollten auf ihn hören”, machte der Arzt deutlich. “Sie haben eindeutig eine Gehirnerschütterung. Sie bleiben erstmal hier und ruhen sich aus!”

“Na Großartig!” Das passte der Blondine gar nicht in den Kram. Sie wollte wieder hinaus und sich die entlaufene Catherine zur Brust nehmen.

Victor und Lamar empfingen ein Signal.

Alles was Mandy tun konnte, war mit großen Augen zuzuschauen, denn man hatte ihr den In-Ear bereits abgenommen.

“Wir haben verstanden”, bestätigte Lamar.

“Was ist los?”, fragte Mandy wissbegierig.

“Jian hat den Krankenwagen gefunden”, erklärte Victor. “Wir müssen los. Wer weiß was dieses Mädchen noch anstellt…” Er wandte sich zum gehen ab.

“Hey!”, verschaffte sich Mandy Aufmerksamkeit.

Victor sah über die Schulter.

“Versohle ihr für mich den Hintern!”

“Aber gern doch!”

“Und pass auf dich auf!”

“Klar!”

Mandy sah ihren Bruder zusammen mit Lamar den Raum verlassen. Nur zu gerne wäre sie mitgekommen. Aber sie war dazu verdammt das Bett zu hüten. Es schien auch ganz gut so. Mandy war noch immer schlecht. Und es stand außer Frage, dass nicht die Gehirnerschütterung, sondern die Abscheulichkeiten in Catherines Akte daran schuld waren.
 

Abrupt riss Cheryl die Augen auf, als ein kraftvoller Backenstreich auf die rechte Wange sie gewaltsam aus der Bewusstlosigkeit in das Reich der Wachenden zurückholte. Dabei drehte der Schlag ihren Kopf nach links, sodass das erste das sie sah, eine weiße Wand mit verschiedensten medizinischen Apparaten und Werkzeugen war.

“Wo... bin... ich?”, stammelte Cheryl Wortbrocken vor sich hin.

Sie wusste nicht mehr was passiert war, nur das ihr Kopf abscheulich weh tat.

Noch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, packte eine Hand ihren Unterkiefer und rückte ihren Kopf nach Rechts zurecht.

Cheryls Blick landete zuerst auf der Brust ihres Gegenübers. Angsterfüllt wanderten ihre Augen hinauf zum Hals und bald darauf kam das Antlitz in ihr Gesichtsfeld. Die junge Frau erschrak zu Tode, als sie die Person erkannte.

“Genug gepennt, du Schlampe!”, wurde sie von der Frau neben dem Bett angeschrien.

Cheryl versuchte sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, doch musste schnell feststellen, dass ihr dies nicht mehr möglich war. Sie befand sich auf einer Trage und war an Armen und Beinen mit Isolierklebeband gefesselt, welches an den Seitenstangen festgezogen war. Zusätzlich schränkten Gurte um Bauch, Ober- und Unterschenkel ihre Bewegungsfreiheit weiter ein. Sie zerrte und zappelte, doch es brachte ihr keinen Erfolg. Cheryl erkannte, dass sie einem Geist aus ihrer Vergangenheit ausgeliefert war. “Lass mich gehen, Catherine!”, forderte sie ihr Gegenüber auf.

“Du hast mir gar nichts zu befehlen!”, antwortete das brünette Mädchen und verpasste ihr gleich noch eine Schelle. “Gefällt dir das. Ungefähr so hat man mich immer gefesselt!”

Cheryl spürte ihre Wange brennen. Sie wollten dem Reflex nachgeben, die Hand auf die Schmerzquelle zu pressen, allerdings war diese leider gefesselt. “Was willst du von mir? Wieso bist du überhaupt hier?”

“Weil keiner es geschafft hat, mich vorher umzubringen.”

“Was hast du jetzt vor?”

“Ist das nicht offensichtlich?”

“Willst du mich umbringen?”

Ein irres Lächeln zierte Catherines Gesicht.

“Hey! Antworte mir!”

“Nicht sofort.” Die Brünette packte das schwarze Kleid der Blonden und zerriss es, sodass der gleichfarbige BH zum Vorschein kam. “Du sollst auch etwas davon haben.”

“Hast du mir nicht schon genug angetan?”

“Du Miststück weißt garnicht, was es heißt zu leiden! Wegen dir bin ich erst in den Fokus geraten. Du hast mich damals auf dem Schulausflug einen Abhang herunter geschubst und wolltest filmen, wie ich da unten verrecke! Und als ich dir diesen Gefallen nicht getan habe, hast du die Bilder meiner Heilung als Freak Show in den sozialen Netzwerken geteilt. Nur deshalb ist das überhaupt alles passiert!”

In Cheryl keimte der Hass auf. “Shawn hatte nichts damit zu tun!” Wegen ihrer billigen Rache musste Shawn also sterben! “Du hast es verdient!”, schrie sie. “Was auch immer sie mit dir gemacht haben, du hast es verdient, du Schlampe!”

Das war zu viel! Cheryl sollte diesen Satz schon bald bereuen. Catherine wühlte in einer Tasche, welche sie zuvor entdeckt hatte, und holte ein Gerät hervor. Dabei handelte es sich um einen Defibrillator. Die Bedienung dieser Geräte war ursprünglich nur Rettungssanitätern vorbehalten, aber die neusten Modelle sind einfach aufgebaut und dafür ausgelegt, auch von Laien bedient werden zu können. Aus diesem Grund wusste wohl auch Catherine, was sie zu tun hatte. Sie klebte die Paddles auf Cheryls Brust auf, als sie das Gerät dazu aufforderte.

Ihre Geisel versuchte unterdessen immer Verzweifelter, irgendwie aus der Situation zu entkommen.

Das Gerät diagnostizierte der Blondine beste Gesundheit und startete keinen automatischen Reanimationsvorgang. Cheryl erwartete jeden Moment einen Schlag, welcher aber niemals kam. Als Catherine immer ungeduldiger wurde, atmete sie erleichtert auf. Die Gefahr schien gebannt. Nicht ahnend, dass sie sich in falscher Sicherheit wiegte.

“Verdammtes Drecksteil!”

“Läuft wohl nicht nach Plan, was?”

Cheryl verging ihr Hohn, als es dem Racheengel gelang das Gerät zu bändigen. Der automatische Defibrillator war zusätzlich mit einem manuellen Modus ausgestattet, für den Fall, dass die Messung nicht möglich oder fehlerhaft ist. Dies nutzte Catherine nun zu ihrem Vorteil aus und versetzte Cheryl einen schmerzhaften Stromschlag, welcher ihre Muskeln unkontrolliert kontraktieren ließ, als er durch ihren Körper fuhr.
 

Von der Straße aus sahen Lamar und Victor den gestohlenen Krankenwagen in einer Seitengasse stehen. Vorsichtig parkten sie etwas abseits und verließen ihr Fahrzeug.

Der Krankentransporter stand augenscheinlich verlassen und mutterseelenallein in den Häuserschatten. Die hinteren Türen waren verschlossen, die Tür auf der Fahrerseite stand hingegen sperrangelweit offen.

Victor lud seine Fähigkeit auf, um jederzeit kampfbereit zu sein.

Lamar machte sich ebenfalls bereit, seine Kräfte einzusetzen.

“Hier ist niemand!”, verkündete der Schwarzhaarige als er in die Fahrerkabine sah.

“Wo kann sie sein?”, fragte Lamar.

“Ich habe keine Ahnung. Allerdings ist der Tank leer.”

“Darum hat sie das Fahrzeug aufgegeben.”

Victor sah sich die Vorderseite an. “Am Kühlergrill ist Blut!”

“Blut?”

Einer bösen Vorahnung nachgehend, begab sich Lamar zu Hinterseite des Fahrzeuges. Wie sie bereits vermutet hatten, waren die Türen verschlossen. Lamar überlegte: Warum sollte sie sich die Zeit nehmen, die Türen verschließen und erst dann die Flucht ergreifen? Wahrscheinlich hielt sich dahinter etwas verborgen. Er rüttelte an den Griffen. Doch dies brachte keinen Erfolg.

Victor ging um den Krankenwagen herum zu seinem Kollegen. “Hast du was gefunden?”

“Das wird sich gleich zeigen.” Der Dunkelhäutige legte eine Hand auf die Türschlösser auf. “Vorsicht!” Sofort breitete sich eine frostige Kälte in alle Richtungen aus. Wasser begann an den Scheiben der Türen zu kondensieren. Nach einer halben Minute nahm Lamar seine Hand wieder herunter und trat beherzt gegen das Schloss. Dabei wurde das Innenleben zerstört und die Türen sprangen auf.

“Du bist echt eine wahnsinns Frostbeule!”, lobte Victor.

Im Innenraum kam eine auf der Trage gefesselte Person zum vorschein.

Sofort betraten Lamar und Victor den Krankenwagen, um Hilfe zu leisten.

Es handelte sich nicht um die Gesuchte, sondern um ein blondes Mädchen in einem zerrissenen schwarzen Kleid. Ihr starrer Blick ließ sogar Lamar das Blut gefrieren. Sie hatte verschiedenste Blessuren an ihrem Körper und auf ihrer Brust klebten Paddles, an deren Rändern man verbrannte Haut erkennen konnte. Von ihnen ging ein Kabel aus, an dem ein Gerät zu hängen schien.

Vorsichtig hob Victor das Gerät auf und erkannte, dass es sich um einen Defibrillator handelte. Er schaltete es ab und entfernte anschließend die Paddles. Als keine Gefahr mehr bestand, fühlte er den Puls des Mädchens. Aus seinem getroffenen Gesichtsausdruck laß Lamar, dass ihr nicht mehr zu helfen war.

Er reichte nach seinem In-Ear-Kommunikator. “Lamar an Basis”, begann er zu sprechen. “Wir haben den Krankenwagen gefunden. Keine Spur von der Gesuchten. Dafür haben wir eine unbekannte Leiche.”
 

Catherine starrte gen Himmel. Ihre Hand lockerte sich. Die zuvor fest umklammerte Spritze entglitt ihr und fiel auf den Boden. Als die Droge ihre Wirkung entfaltete, sah sich die Brünette um. Zu ihrer Linken lag die Leiche eines Mannes. Sein Schädel geplatzt durch die Schläge des blutverschmierten Baseballschlägers, welcher nicht weit von ihm lag. Catherine wurde sich bewusst, dass sie schon zwei Menschen getötet hatte. Waren diese Drogen von ihm? Ihr war es egal. Alles was für sie zählte war, dass sie sich soeben den notwendigen Mut für den Endgegner in die Venen gejagt hatte.

Wankend erhob sie sich und ergriff den blutverschmieren Schläger.
 

~~~
 

Wie ein schlaffer nasser Sack hing Anton Connery in seinem Sessel. Sein Gesicht zierte ein ungepflegter Bart. Er trug nur eine Boxershorts und ein fleckiges Unterhemd. Seine Füße bekleideten alte Pantoffeln. Neben ihm auf dem Tisch befanden sich einige Bierdosen in unregelmäßiger Gruppierung. Die meisten Standen noch, aber zwei waren bereits umgefallen. Aus einer tropften die Reste dest Gerstensaftes auf die Keramikfliesen des Tisches. In einem einzigen Zug stürzte Anton den Inhalt einer weiteren Dose in seiner Hand hinter und stellte anschließend auch sie beiseite.

So ging es schon seit einigen Jahren.

Vor einigen Monaten beschloss sein Arbeitgeber sich Antons Unpünktlichkeit und den Alkoholgestank, den man eine Meile gegen den Wind riechen konnte, nicht mehr länger mit anzusehen und setzte ihn vor die Tür. Seitdem investierte er sein letztes Geld in noch mehr Bier. Jeden Tag, den er auf diese Weise verbrachte, quälten ihn diese Gedanken, welche er mit Alkohol zu betäuben versuchte. Die Lügen, die er erzählte und die Dinge, die er getan hatte. Aber alles was er auf diese Weise erreichte, war ein kurzer Moment des seligen Vergessens.

Bis es wieder an der Zeit war, eine weitere Kohle ins Feuer zu werfen.

“Kannst du mir mal mit der Wäsche helfen?”, rief seine Frau Fiona aus der ersten Etage hinab. “Der Korb ist wirklich schwer.”

Aber Ihr Mann reagierte nicht. Lieber öffnete er eine weitere Dose Bier und begann sich auch diese hinter die Binde zu kippen. Es folgte ein lauter Rülbser.

“Danke für deine Hilfe!”, tönte es einen Moment später von oben herab.

Eigentlich sollte sie dankbarer sein. Nur weil er handelte, hatten sie das Geld um auf dem Schwarzmarkt eine neue Niere zu erstehen. Natürlich konnte er ihr das so nicht sagen. Schon gar nicht, wofür er das Geld erhalten hatte. Nein, er musste die Lüge wahren.

Er verspürte ein dringendes Bedürfnis und hievte sich tatsächlich aus seinem Sessel empor. Langsam schleppte er sich zum Badezimmer, während es zwischen seinen Beinen immer stärker drückte. Er entschwand durch die Tür nur um den kleinen Raum zwei Minuten später erleichtert wieder zu verlassen. Natürlich ohne sich danach die Hände gewaschen zu haben. Er wollte gerade zurück in das Wohnzimmer gehen, um sich weiter zu betäuben, als es plötzlich an der Tür klingelte.

“Kannst du bitte wenigstens die Tür öffnen?”, bat ihn Fiona.
 

Der lang ersehnte Moment war endlich gekommen, als sich vor Catherine die Pforte zum Haus ihrer Eltern auftat. Dahinter kam eine erbärmliche Gestalt zum Vorschein, die Catherine bald nicht mehr wiedererkannt hätte.

Bei ihrem Anblick mit dem blutverschmierten Baseballschläger in den Händen, bekam es ihr Gegenüber mit der Angst zu tun und versuchte die Tür wieder zuzuschlagen.

Catherine ging dazwischen und schob sich mit aller Kraft in ihr Elternhaus hinein. Bei ihrem Eindringen schubste sie ihren Vater, sodass dieser durch die Wucht rückwärts taumelte und sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.

Catherine drang weiter ins Haus ein und erreichte ihren vor Angst gelähmten Erzeuger.

Fiona mühte sich mit der Wäsche die Treppe hinunter. Sie wollte sie draußen zum trocknen aufhängen. Im Eingangsbereich angekommen, ließ sie den Wäschekorb vor Schreck fallen ließ, als sie ihren Gatten auf den Boden liegend und ein bewaffnetes Mädchen, das aussah wie ihre Tochter, über ihm stehend sah. “Schatz!”, stieß sie aus. “Catherine?!”

Das brünette Mädchen war ebenso verwundert. “Mum!”, sagte sie und ließ den Schläger fallen. Sie hätte niemals geglaubt, diese Frau noch einmal lebend wiederzusehen.

Unterdessen besann sich der Vater und floh in ein anderes Zimmer.

“Mum! Du lebst noch?!” Tränen zierten ihre Augen.

“Catherine!”

Die Frauen fielen sich in die Arme.

“Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen.”, sprach die Tochter. “Du warst so krank... Wie ist das möglich?”

“Du hast mir doch deine Niere gespendet, bevor du auf das Internat gegangen bist, das dein Vater für dich ausgesucht hat.”

“Was?!”, kreischte Catherine entsetzt. “Klar. Du warst damals nicht bei Sinnen. Hat er dir das erzählt?!”

“Aber du hast mir doch immer geschrieben. Hast mir von den neuen Freunden berichtet, die du gefunden hast.”

“Ich habe dir nicht geschrieben!”

“Aber wo kamen diese Briefe her?”

Plötzlich kam Catherines Vater aus dem Zimmer zurück und stürmte mit einem Revolver bewaffnet auf sie zu. Er wollte anscheinend verhindern, das seine Tochter weiter sprach.

Sie reagierte sofort und versuchte ihm die Waffe abzunehmen. In dem daraus resultierenden Gerangel unterbrach ein lauter Knall die Schreie und die Rufe der anwesenden Personen. Während Catherine und Anton schockiert in ihre Richtung starrten, sackte Fiona getroffen zusammen.

“Mum!”, kreischte Catherine entsetzt.

“Fiona!”, brüllte der Gatte.

Catherine lockerte ihren Griff um den Revolver.

Ihr Vater sah nur noch seine verwundete Frau. Er nutzte die Schockstarre seiner Tochter aus und entriss ihr die Waffe. Noch bevor sie reagieren konnte, schoss er auf sie.

Bang! Bang! Bang! Bang! Bang! Click! Click! Click!

In der Aufregung trafen nur vier der fünf Kugeln ihr Ziel. Catherine wurde von der Wucht der Einschläge zu Boden gerissen und blieb regungslos liegen.

Anton ließ die nunmehr nutzlos gewordene Waffe fallen. Für einen Moment sah er auf seine Tochter herab. Wie das Blut aus ihren Wunden quoll. Er hatte sie getötet! Zumindest sah es danach aus. Als er wieder zur Besinnung kam, wandte er sich sofort seiner verletzten Frau zu und nahm sie in den Arm.

Der Geruch von Schießpulver breitete sich indes überall aus.

Fiona hustete Blut.

“Es tut mir leid!”, beteuerte Anton. “Es tut mir so leid! Das ist alles meine Schuld!”

Derweil kehrte das Leben in Catherines Körper zurück. Sofort stieg dieser unkontrollierbare Durst nach Gewalt in ihr auf. Sie sah sich um und ergriff den Baseballschläger, welcher direkt neben ihr lag. Noch bevor die Augen ihrer Mutter ihre Absicht verraten konnte, schlug Catherine schon gegen den Kopf ihres Vaters und schickte ihn so zu Boden. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, hockte sich Catherine über Anton und schlug zu.

Wieder und wieder.

Das dumpfe Geräusch der Treffer wandelte sich mehr und mehr zu dem eines Fleischklopfers, welcher ein Sontagsschnitzel maltretierte. Blut spritzte überall hin. Es besudelte ihr Gesicht, ihre Kleidung, traf sogar die umstehenden Möbel und die Decke. In ihrem Rausch stoppte Catherine nicht einmal, als vom Kopf ihres Vaters nichts mehr übrig geblieben war.
 

Pfeilschnell schoss ein Cabrio durch die Gassen der Stadt.

“Bist du dir sicher, dass es hier ist?”, fragte Lamar, während er sein In-Ear berührte.

“Ich bin sicher!”, antwortete Jian in dessen persönlichen abgesicherten Modus. Kaum konnte er sich hinter seinen Monitoren verstecken, war all seine Schüchternheit verflogen. “Das Mädchen, das ihr gefunden habt, hieß Cheryl und war mit dieser Catherine in einer Klasse. Sie hat sie in den Social Media geframed und ihre Heilkräfte bloßgestellt. Zwar haben unsere Freunde von der Regierung später versucht, die Videos zu entfernen, aber wenn etwas erst viral gegangen ist...” Er pausierte einen Moment. “Catherine hat Cheryl umgebracht. Und da der Arzt, der damals die Behörden informiert hatte, bereits verstorben ist, bleiben nur noch ihre Eltern übrig. Catherine wird sich bestimmt auch sie vornehmen. Immerhin haben sie sie verkauft.”

“Mit denen muss man kein Mitleid haben”, meinte Victor.

“Ich habe euch die Adresse von Catherines Elternhaus geschickt.”

“Wir sind auf dem Weg”, bestätigte Lamar kühl.

Bei ihrer Ankunft erkannten sie schon von weitem die offen stehende Haustür.

Achtsam näherten sie sich dem Eingang.

Von innen gelangte ein bitteres Wimmern nach außen.

Die beiden jungen Männer drangen in das Haus ein. Der Boden, die Wände und die Möbel waren alle bedeckt mit Blutstropfen. An der Wand lehnte eine Frau, welche offenbar an einer Schusswunde im Bauchraum verblutet war. Etwas weiter weg lag ein korpulenter Mann, dessen Schädel bis zur Unkenntlichkeit malträtiert worden war. Der verursachende Gegenstand fand sich nicht weit von ihm. Zwischen den zwei Leichen fanden sie die weinende Catherine vor, welche nicht einmal mehr auf sie reagierte.
 

FORTSETZUNG FOLGT...

Die Illusion der blauen Pille


 

“Nichts bewahrt uns so gründlich vor Illusionen wie ein Blick in den Spiegel.”

(Aldous Huxley)

 

Leonard Bernstein University

Liberty Bay, 14. April 2037

 

Langsam fanden sich die wissbegierigen Studenten im Hörsaal ein. Sie strömten von den Zugängen am oberen Ende der Zuschauerränge ein, welche in Stufen versetzt locker ein ganzes Stockwerk nach unten reichten, bevor die Bühne mit dem Podium des Dozenten begann. Die Sitzgelegenheiten auf den Abstufungen schmiegten sich halbkreisförmig aneinander. Links und rechts und in der Mitte führten jeweils Treppengänge bis auf die niedrigste Ebene. Noch waren viele der hölzernen Stühle hochgeklappt und warteten darauf, das Gesäß eines wissbegierigen jungen Menschen für die nächste Doppelstunde zu beherbergen. Abgesehen von den wenigen durch einige überpünktliche Studenten okkupierten Sitzen, hatten die Ankommenden freie Platzwahl und konnten aus den Vollen schöpfen.

Merrill Sturm befand sich ebenfalls innerhalb des Stroms der Wissbegierigen. Sie trug ein dünnes dunkelblaues Jäckchen und darunter eine weiße Bluse. Ihre kurze blaue Jeans wurde von dunkelroten Hosenträgern gehalten, die unter dem Jäckchen verschwanden. Sie trug außerdem Plateauschuhe und eine schwarze Leggins bedeckte ihre Beine.

Auf dem Plan stand eine Vorlesung zur Musikgeschichte, ein Modul welchem sie nicht im Geringsten irgend eine Freude abgewinnen konnte, das aber dennoch zu ihrem Studium dazu gehörte und bestanden sein musste, wenn sie sich weiter Hoffnungen auf den Bachelor machen wollte. Sie sehnte sich nach der Praxis. In die Saiten ihrer Gitarre zu hauen oder Kerlen mit ihrem Gesang den Kopf zu verdrehen, war eindeutig lustiger als trockene Theorie. Aber es half alles nichts! Und so kam es, dass sie eine Vorlesung über die Bedeutung und den Einfluss Ludwig van Beethovens auf die klassische Musik über sich ergehen lassen würde.

Gemächlich ließ sie sich mit der Masse die Stufen hinunter treiben und überlegte noch, in welcher Sitzreihe sie Platz nehmen wollte. Auf dem Boden neben ihr entdeckte sie ein zerknülltes Brotpapier. Irgendein Dreckschwein hatte seinen Müll nicht aufgeräumt! Sie blieb zum Ärgernis der Personen hinter ihr stehen, bückte sich und hob den Unrat auf. Anschließend richtete sie sich wieder auf und sah sich nach einem Papierkorb um. Ein paar Ebenen unter ihr erspähte sie einen, welcher an der Wand angebracht war. Aus ihm guckte eine hellblaue Mülltüte hervor. Merrill streckte sich, um wettzumachen was ihr an Körpergröße mangelte, und warf die Papierkugel über die Köpfe ihrer Mitstudenten. Einige neugierige Augenpaare folgten den Objekt bei seiner Reise durch den Raum. Im hohen Bogen traversierte die Papierkugel durch das Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch, das den meisten als Luft geläufig war, und legte eine Punktlandung in den Abfallbehälter hin.

Respektbekundungen einiger Studenten folgten.

Offenbar hatten sie es der kleinen schmächtigen Rothaarigen nicht zugetraut, aus dieser Entfernung den Mülleimer zu treffen.

Merrill ignorierte es und schob sich an den hochgeklappten sitzen vorbei, soweit ihr möglich war, damit die anderen nachrücken konnten. Sie konnte überall sitzen, warum also nicht in dieser Reihe? Ein bereits anwesender Student hinderte sie daran, weiter zu rutschen. Er saß genau in der Mitte der Reihe. Seine etwas unförmige Körperform machte es ihr unmöglich, sich an ihm vorbei zu zwängen, ohne ihm dabei unkomfortabel Nahe zu sein. Vermutlich entstand sein gigantischer Wohlstandsbauch aufgrund des exzessiven Genuss von Kartoffelchips, welche er auch in diesem Moment aus einer Tüte fummelte, die auf dem vom Vordersitz aufgeklappten Tisch ihren Platz neben seinem alten Laptop gefunden hatte. Massenweise stopfte er sich sein Junk Food in den mit Krümeln verklebten Mund.

Merrill setzte sich neben ihn.

Ein flüchtiger Blick auf seinen Monitor enthüllte, dass er sich nicht etwa auf die bevorstehende Vorlesung vorbereitet hatte, sondern sich stattdessen mit dem Browsergame “Mech Girl Wars” beschäftigte. Merrill wusste nicht viel über dieses Spiel. Allerdings sagte der Bildschirmausschnitt alles aus, was es darüber zu wissen gab. Man kontrollierte in diesem Spiel leicht bekleidete Manga-Mädchen, welche nicht nur gewaltige Oberweiten vorzuweisen hatten, sondern auch riesige Kampfroboter steuerten und sich mit anderen Pilotinnen maßen. Der eigentliche Kampf wurde rundenbasiert ausgetragen und durch die Kampfwerte und das richtige Einsetzen von sogenannten Mods - Spezialfähigkeiten - entschieden. Dem Ausdruck im Gesicht des jungen Mannes zu urteilen, erfreute er sich an dem, was er sah. Immer wenn eines seiner 2D-Mädchen eine Gegnerin besiegte, löste es eine Cutscene aus, in der es sich in aufreizenden Siegerposen räkelte.

Jedem das seine, dachte Merrill.

Desinteressiert sah sie weg.

 

Die monotone Stimme des Dozenten beschallte aus den an den Seiten des Hörsaals angebrachten Lautsprechern die anwesenden Studenten. Als ob das Thema Beethoven nicht bereits einschläfernd genug war, ließ die langsame Sprechweise des Mannes hinter dem Mikrofon Merrills Bewusstsein in die Traumwelt abdriften. Der Professor sprach erst seit höchstens fünfzehn Minuten, doch bei einem Thema, dass sie überhaupt nicht interessierte, kam es Merrill wie eine Ewigkeit vor.

“Und anhand dieser Exempel können Sie erkennen, dass Geschichte und Geschichtsschreibung mitnichten gleichzusetzen sind”, konkludierte der Professor aus seinen zuvor dargelegten Beispielen aus der europäischen Politik vor dem Niedergang, welche Merrill bereits wieder entfallen waren. “Bei der Biographie über Ludwig van Beethoven ist dies nicht anders. Oft haben die Autoren Klischee und Realität miteinander vermischt und so die Figur erschaffen, welche wir heute als einen der einflussreichsten Komponisten der Musikgeschichte kennen.”

Merrill war klar, dass sie sich lieber Notizen anfertigen sollte, doch dazu war sie bereits zu weit vom wachen Zustand entfernt.

“Es folgen nun drei Beispiele aus biographischen Werken über Beethoven oder solche in denen er wenigstens erwähnt wird.”

Der rothaarigen Studentin wurden die Augen immer schwerer.

“1881 beschreibt Julius Benedikt, ein ehemaliger Schüler von Weber, in seiner Biographie über seinen alten Lehrer einen Besuch bei Beethoven. Dabei zeichnet er ein groteskes Bild des Musikgenies. Ich zitiere: ‘Alles war in höchst ansprechendem Chaos. Notenblätter, Geld und Kleidung lagen auf dem Boden, das Bett ungemacht, zerbrochene Kaffeetassen auf dem Tisch, Das Piano geöffnet mit kaum einer Saite intakt und eingehüllt in Staub. Ich fand ihn in einem schäbigen alten Nachtgewand liegend. Aber Weber schrie erregt ‘Da bist du, du Teufelskerl!’”

Der Dozent pausierte kurz, bevor er mit dem zweiten Beispiel fortfuhr.

“Im Jahre 1856 berichtet Karl August Fahrenhagen von einem Besuch der damals sechsundsiebzigjährigen Bettina von Arnim. Sie offenbarte ihm, dass sie und Beethoven keinesfalls nur eine platonische Liebe verband, sondern dass er sie sogar heiraten wollte. Diese These stützt sich dadurch, dass Bettina möglicherweise die berüchtigte ‘Unsterbliche Geliebte’ aus einem berühmten Brief Beethovens an unbekannten Empfänger sei. Mehr dazu in den Unterlagen zur Vorlesung.”

Eine Seite in den Notizen wurde umgeblättert.

“1827 erhielt der todkranke Beethoven Besuch vom damals sechzehnjährigen Ferdinand Hiller und dessen Lehrer Johann Nepomuk Hummels. Er berichtet, sein Lehrer habe damals gesagt, ‘Welch Glück ist es, den größten Künstler des Jahrhunderts zu treffen, selbst wenn er im sterben liegt.’ Daraus können Sie eine tiefe Bewunderung Hummels’ gegenüber dem Leben und Schaffen von Beethoven entnehmen.”

Plötzlich entdeckte der Dozent etwas im Publikum, das ihm gar nicht gefiel. “Vielleicht möchten Sie bis zu diesem Punkt zusammenfassen”, sprach er daraufhin. “Die junge Dame, welche es sich so bequem auf dem Klapptisch gemacht hat. Ich spreche mit Ihnen!”

Sofort schoss Merrill erschrocken auf. “Ja… Ähm…”, gab sie verwirrt von sich. Verdammt, fügte sie in Gedanken an. Was hat der Kerl alles erzählt? Verloren sah sie zu ihren Sitznachbarn, doch weder der dicke Otaku auf der einen, noch die blonde Bohnenstange mit Hornbrille auf der anderen Seite hatten anständige Mitschriften, welche ihr aus der Patsche hätten helfen könnten.

“Haben wir letzte Nacht wieder zu lange gefeiert?”, fragte der Dozent provokant.

“Also, nein. Ich habe… alles gehört!”

“Wirklich?!”

Merrills Blick sank ertappt nach unten.

“Habe ich mir gedacht! Wenn Ihnen meine Vorlesung zu langweilig ist, wählen Sie doch ein spannenderes Studienfach.”

Merrill verfiel in Schnappatmung. “Das… wird nicht nötig sein!”

“Gut! Aber schlafen Sie gefälligst nicht in einer meiner Vorlesungen ein!”

“Ich werde mir Mühe geben!” Ihr Atem beruhigte sich wieder. Peinlich berührt wurde die Rothaarige noch kleiner als sie es ohnehin schon war. Das Gelächter der anderen Studenten verstärke diesen Effekt nur noch. Merrill versuchte für den Rest der Vorlesung all ihre Willenskraft zusammen zu nehmen und den Worten des Dozenten zu folgen, egal wie wenig sie dieses Modul interessierte. Und sie schaffte es tatsächlich wach zu bleiben.

 

Erschöpft sank Merrill auf die Bank in der schmalen Umkleide. Gerade eben endete einer ihrer bisher schlechtesten Auftritte. Nachdem die Veranstaltungen des Tages abgearbeitet waren, traf sie sich zusammen mit ihren Freunden Jennifer, Benjamin und Jonathan in einem kleinen Club. Sie wollten noch einmal auftreten. Das war der letzte Gig, den ihr verstorbener Manager Peter für “Banshee” an Land ziehen konnte. Doch es lief nicht so, wie es geplant war. Das sie fälschlicherweise als “Bandana” angelündigt wurden, war der geringste einer Reihe von Fauxpas. Benjamin brach bei einem Solo einer seiner Drumsticks, Jennifer rutschte auf der Bühne aus und zu allem Übel versang sich auch noch Merrill. Kein Wunder, dass die Gäste nicht besonders beeindruckt von der Darbietung waren. Nicht einmal die traditionelle Tanzeinlage an der eigens angebrachten Stange vermochte es mehr, das Blatt noch zu wenden.

Trübsal blasend blickte Merrill zwischen ihren Beinen auf den Fußboden.

Ihr war kalt.

Noch immer trug sie ihr knappes Bühnenoutfit, doch das war nicht der Grund für ihr frösteln. Eigentlich war die Umkleide gut geheizt. Zitternd seufzte sie in die Stille hinein.

“Ohne ihn ist es nicht mehr dasselbe”, brach Jonathan das Schweigen.

“Wem sagst du das?”, entgegnete Benjamin. “Seine Schüchternheit.” Er wandte sich Merrill zu. “Wie lange es gedauert hat, bis er dich endlich gefragt hat.”

Die Rothaarige entgegnete nichts.

“Halt die Klappe, du unsensibler Vollidiot!”, ermahnte Jennifer ihren Freund.

Benjamin besann sich seiner rudimentären Erziehung. “Ach, Scheiße! Tut mir Leid!”

Noch immer keine Reaktion der Frontfrau.

Merrill versank tiefer in Gedanken. Sie erinnerte sich zurück an den Tag vor über einer Woche, als man sie entführte und Peter ermordete. Ein Flashback des Autounfalls schoss ihr in den Kopf. Die schmerzverzerrten Gesichter ihrer Entführer, welche qualvoll zu Grunde gingen. Sie wollte nicht glauben, dass sie dafür verantwortlich war, auch wenn die anderen es ihr sagten. Sie und Superkräfte… So ein Quatsch mit Soße! Schon seit sie denken konnte, war sie immer kleiner und schwächer als gleichaltrige und jetzt auf einmal sollte sie zu den X-Men gehören und gegen Agenten in Anzügen kämpfen, die wahllos Leute umbrachten? Das wollte sie nicht akzeptieren. Das war zuviel für sie!

Aus diesem Grund ergriff sie den letzten Strohhalm.

Last Seed hatte alle Hinweise auf ihren Aufenthalt im Krankenhaus beseitigt. Die Akte stahl Victor und das Hacken des Servers übernahm Jian. Merrill schluckte die metaphorische blaue Pille und versuchte dieser vermeintlichen Fantasiewelt zu entfliehen. Als sie endlich ihre Maschine wieder hatte und sie sich in den Sitz schwingen konnte, war es tatsächlich fast wieder so wie früher. Mit einem entscheidenden unterschied: Peter war nicht mehr da. Auch sie hatte seine tollpatschige Art lieb gewonnen. Irgendwie war er süß. Sie war seinen Avancen nicht abgeneigt. Vielleicht wäre sie noch einmal mit ihm ausgegangen.

Ein weiterer Schock schoss durch ihre Großhirnrinde und brachte das Bild von Peters geplatzten Schädel und dem überall hinter ihm an der Heckscheibe klebenden Blut mit sich. Merrills Atmung wurde unregelmäßig. Beim Gedanken an Peters Ermordung kehrte die Angst in ihre Glieder zurück und erneut stieg Panik in ihr auf. Sie bedeckte ihr Gesicht mit ihren Handflächen und begann zu weinen.

Die Bandmitglieder wollten sie trösten.

Jennifer nahm ihre Freundin in den Arm und spürte sie zittern. “Ist schon gut”, sagte sie. “Lass es einfach raus!”

Merrill legte ebenfalls die Arme um Jennifer und begann sich an ihrer Schulter auszuweinen. Sie tat oft unnahbar und hart, aber im tiefsten inneren war es nur ein Schauspiel. Ein Versuch sich selbst Mut zu machen. Dieses Mal verfehlte es seine Wirkung.

“Wir sind bei dir!”

Merrill musste zwingend an die Lüge denken, welche sie ihren Freunden aufgetischt hatte, um ihre tagelange Abwesenheit zu erklären. So leicht wie ihre Eltern, machten es ihr ihre Freunde nicht. Sie erklärte ihnen, dass sie von irgendwelchen Drogenopfern ausgeraubt worden sei. Danach hätten sie sie beide windelweich geprügelt und dann ihnen das Geld abgenommen. Weil es ihnen nicht genug war, erschossen sie Peter. Von diesem Anblick und den eigenen Verletzungen sei sie dann ohnmächtig geworden und erinnere sich nur noch dran, im Krankenhaus aufgewacht zu sein.

Selbstverständlich sorgten sich ihre Freunde, allen voran Jennifer, dass man ihr noch mehr angetan haben könnte, doch Merrill beruhigte sie damit, dass man im Krankenhaus keine Hinweise auf Vergewaltigung oder dergleichen feststellen konnte.

Die anderen schienen diese Geschichte zu schlucken.

Natürlich bereite es ihr keinerlei Vergnügen, ihre Freunde zu belügen.

Aber was sollte sie sonst machen?

Ihnen die Wahrheit sagen?

 

Last Seed Operationsbasis

 

Catherine sah sich im Raum um. Er war klein und von quadratischem Grundriss. Die Wände schienen wie aus einem Guß und fügten sich fugenlos zusammen. An einer Wand befand sich eine große getönte Scheibe. Das alles kam ihr so unangenehm vertraut vor. Vermutlich beobachtete man sie von dort aus. Sie saß auf einem Bett und ihr gegenüber hatte eine ihr unbekannte Frau Platz genommen, welche zwar erwachsen wirkte, aber dennoch in ihrem Alter zu seien schien. Die Haare der Die Haare der Fremden wiesen den gleichen Farbton auf, wie ihre eigenen und sie trug ein graues Kostüm. Catherine starrte sie missmutig an.

“Ich bin Melanie Cortez”, stellte sich die Frau vor.

Catherine reagierte nicht darauf.

“Ich möchte dir helfen.”

Auch das war der Brünetten egal.

“Gut, dann werde ich dir etwas über dich erzählen”, kündigte Melanie an. Dabei sprach sie weder einigermaßen schnell noch besonders laut. Es war ihre besondere Art, eine Konversation zu führen. “Dein Name ist Catherine Connery. Du bist sechzehn Jahre alt und warst bis vor kurzem hospitalisiert.”

Wieder keine Reaktion von dem Mädchen.

“Dort hast du Organe gespendet”, ging Melanie auf Konfrontationskurs.

Catherine erwiderte die Aussage mit einem panischen Starren. “Man hat sie mir genommen!”, stellte sie klar. “Ich gehe dorthin nicht wieder zurück!”

“Schon gut!”, beruhigte Melanie. “Ich möchte mehr darüber wissen. Sagst du mir noch mehr?” Sie versuchte Catherine dazu zu bringen, sich ihren Dämonen zu stellen.

Als Lamar und Victor im Haus ihrer Eltern auf sie stießen, fanden sie sie blutüberströmt zwischen zwei Leichen. Im Bauch der Mutter klaffte eine Einschusswunde, an der sie eindeutig verblutete. Dem Vater wurde hingegen der Schädel eingeschlagen. Überall im Eingangsbereich des Hauses fand man Flecken von Blut und Hirnmasse. An den Möbeln, an der Decke und natürlich auch an Catherine. Zwar gab es Theorien, was sich zugetragen haben könnte, doch keine davon konnte bisher bestätigt werden. Die Aussage des Mädchens könnte dabei helfen das Geschehene zu verstehen, doch seitdem man sie als wimmerndes Häufchen Elend auffand, hatte Catherine kein einziges Wort mehr gesprochen.

Melanie war hier, um dies zu ändern.

Plötzlich verkrampfte sich das Mädchen. “Nein! Nein! Nein!” Ihre Augen weiteten sich und sie starrte imaginäre Löcher in die Luft.

Melanie legte eine Hand auf ihre Schulter.

Catherine erkannte die Geste als etwas anderes, als es von Melanie gedacht war. Eine Bedrohung. Ein Übergriff! Ihre Augen fixierten die fremde Hand auf ihrer Schulter. Sie gab keinen Laut von sich, sondern starrte einfach nur auf Melanies Hand.

“Ich will dir helfen!”, beteuerte die junge Frau. Als das keine Wirkung zeigte, versuchte sie etwas anderes. “Atme ruhig und zähle von zehn an rückwärts.”

Eine weitere Episode erschien vor Catherines geistigen Auge. Ein zwielichtiger Mediziner, ein Teufel in Weiß, zog eine Spritze auf und schob die Nadel unter ihre Haut. Angst stieg erneut in ihr auf. Sie glaubte, jeden Moment in den Operationssaal geschoben zu werden. “Zähle von zehn an rückwärts”, sprach der Teufel schließlich.

Ohne aus ihrer Imagination aufzuwachen, stürzte sich Catherine auf Melanie.

Diese versuchte sich zu wehren, doch die Kräfte der Brünetten waren unglaublich stark. Melanie war nicht im Stande, sich zu wehren und wurde von Catherine vom Stuhl geworfen und auf dem Boden festgehalten. Mit all ihrer Kraft stemmte sich Melanie gegen den Angriff, aber sie hatte keine Chance. Catherines legte ihre Hände um Melanies Hals und schnürte ihr die Sauerstoffzufuhr ab.

“Verrecke, du Schwanzlutscher!”, schrie Catherine wie von Sinnen. “Verrecke!”

Ganz offensichtlich sah sie in Melanie jemand anderen.

Der Mangel an Luft in ihren Lungen war fürchterlich. Sie konnte fühlen, wie ihr die Kraft schwand und die Welt langsam aus ihrer Reichweite entschwand. Sie spürte, wie ihr respiratorisches System versuchte, die letzte Luft aus ihren Lungen zu saugen und in den Blutkreislauf zu bringen. Gasaustausch gestaltete sich mit verschlossenem Kehlkopf allerdings schwierig und so begann sich Melanies gesamter Körper zu schütteln. Sie versuchte Catherines Armen irgendwie zu entkommen und zerkratzte sie während ihrer Anstrengungen. Ihre Beine zitterten und die Absätze ihrer Schuhe schlugen abwechselnd in schneller Abfolge auf dem Boden auf. Außerstande etwas gegen die Kraft ihres Gegenüber zu unternehmen, verlor sie schlussendlich den Kampf.

Hektisch atmend erhob sich Catherine und ging schockiert über sich selbst rückwärts, bis sie die Wand an ihrem Rücken fühlen konnte.

 
 

~~~

 

Die Verbindung riss ab.

Melanie erwachte nach Luft japsend aus ihrer Trance. Es fiel ihr schwer, mir nichts dir nichts zwischen Gedanken und Realität zu wechseln. Vor ihr saß die vollig geistesabwesende Catherine. Sie befanden sich noch immer in dem kleinen Beobachtungszimmer. Melanie hatte erneut versagt. Ihre Auftrag sollte es ein, in den Geist des Mädchens einzudringen und auf diesem Weg ihr Bewusstsein zu therapieren. Melanies Kräfte erlaubten ihr, das Unterbewusstsein eines Menschen zu betreten. Leider dauerte der Prozess lange und war zudem sehr störanfällig. Die Abwehrmechanismen einer fremden Psyche konnten eine schwierige Hürde darstellen. Sie besaß keine Fähigkeit, aus der man einen direkten Vorteil im Kampf ziehen konnte. Doch für diese Arbeit war sie wie geschaffen.

Seit ihrem Amoklauf vor einer Woche hatte sich Catherine in sich selbst zurückgezogen und war nicht mehr ansprechbar. Sie verweigerte jegliche Nahrungsaufnahme und schlief nicht mehr. Auf Dauer würde dieses Verhalten selbst bei der Unsterblichen zu unschönen Problemen führen. Verweigerung der Nahrungsaufnahme und der daraus resultierende Mangel an Nährstoffen, würde selbst ihren Metabolismus versagen lassen.

Deshalb mussten sie alles unternehmen, um zu Catherine durchzudringen.

Aber Melanie hatte versagt.

Jeder ihrer Versuche endete darin, von Catherine auf die eine oder andere Art umgebracht zu werden. Sie ließ wahrlich niemanden an sich ran. Glücklicherweise passierte dies nur in ihrem Unterbewusstsein.

Für den Moment gab Melanie auf.

Diese Fähigkeit einzusetzen, belastete sie mental sehr und sie benötigte unbedingt eine Pause. Sie gab das Signal und die Tür zum Raum öffnete sich. Noch immer mit einem beklemmenden Gefühl in ihrem Rachenraum, zog Melanie von Dannen.

 

Leonard Bernstein University

15. April 2037

 

Eine Unverschämtheit war das! Nachdem sie der Professor Tags zuvor mit seiner Vorlesung über Beethoven zu Tode langweilte, zielten heute fast alle seine Fragen auf sie. Fast immer stellte er Fragen zu seiner letzten Vorlesung. Wahrscheinlich um sich zu rächen. Er hatte es offenkundig noch nicht verwunden, dass sie bei seinen Ausführungen einnickte. Glücklicherweise vermochte Merrill alle seine Fragen beantworten.

Alles was ihr jetzt noch gelingen musste war, es sich bis zur nächsten Arbeit zu merken.

Es entsprach nicht den Tatsachen, dass sie die Werke der berühmten Komponisten nicht würdigte. Immerhin verdankte sie es ihnen, dass sie heute die Musik machten konnte, die ihr am Herzen lag. Sie fand Geschichte nur schon immer langweilig. Was in der Vergangenheit lag, war vergangen. Und für die Geschichte der klassischen Musik galt das Gleiche.

Irgendwie hatte sie das Bombardement von Fragen heil überstanden und konnte, zusammen mit den anderen Studenten, lebendig, ohne zu Tode gelangweilt zu sein, aus dem Hörsaal entkommen.

Nun benötigte sie etwas, um wieder munter zu werden.

Es zog sie zu einem Kaffeeautomaten. Sie fummelte in ihren Taschen und fand tatsächlich einen Quarter, den sie im Austausch für das heiße Gebräu in den dafür vorgesehenen Schlitz einführte. Umgehend rutschte ein Becher in den Entnahmebereich und wurde von einer doppelstraligen Düse mit der dunkelbraunen Flüssigkeit befüllt. Zucker gab es gratis in Tütenform dazu. Nach einer Weile war der Prozess abgeschlossen und die Rothaarige konnte ihren Kaffee aus dem Automaten entnehmen. Sie riss die lange schmale Zuckertüte mit den Zähnen auf und kippte ihren Inhalt in den Becher. Anschließend nutzte sie sie, um ihr Getränk umzurühren. An einem nahen Mülleimer entledigte sie sich ihr letztendlich. Mit dem Becher in der einen Hand und einem Hefter mit ihren Notizen in der anderen suchte sie nach einer geeigneten Stelle, den Kaffee in sich hineinzuschütten.

Auf ihrer Suche nach einer Sitzgelegenheit, verließ Merrill das Gebäude und betrat den Innenhof. An einem quadratischen Blumenbeet, in dessen Mitte ein Baum stand, fand sie eine freie Bank, auf der sie sofort Platz nahm, bevor noch jemand anders auf die Idee kam. Sie legte ihre Tasche und ihren Hefter neben sich ab und begann am Kaffee zu schlürfen.

Unvermittelt spieh sie das Gebräu wieder aus.

Der Becher landete postwendend im Mülleimer neben ihr.

Einfach widerlich!

Dieser Kaffee kostete nicht nur fünfundzwanzig Cent, er schmeckte auch so!

Angewidert schüttelte sich Merrill.

Dann kam sie ins grübeln. Eigentlich sollte sie dankbar sein, das sie sich über diesen ekelhaften Kaffee aufregen durfte. Nachdem ein Großteil der Welt in Trümmern lag, musste es sehr aufwändig sein, an Kaffeebohnen und all die anderen Luxusgüter zu kommen, die den Bewohnern von Liberty Bay das Leben erleichterten. Fast schon märchenhaft. Es zeigte, welche finanzielle Macht der Stadtstaat noch immer besaß.

Plötzlich klingelte Merrills Telefon. Es war kein Smartphone und schon gar kein High Tech Kommunikationsgerät, welche sie nur aus Erzählungen ihrer Eltern aus der Zeit vor dem Krieg kannte. Es war ein stinknormales Handy. Eins zum aufklappen. Moderne Technik war selbst in Liberty Bay nur schwer erschwinglich. Ganz spurlos ging der dritte Weltkrieg doch nicht an der Stadt vorbei.

Merrill klappte ihr Telefon auf und nahm das Gespräch an.

Am anderen Ende der Leitung war Jonathan. “Hey Merrill, ich hab Neuigkeiten!”, kündigte er an.

“Was gibt’s denn?” fragte Merrill nach.

“Ich weiß nicht, wie ich es am besten sagen soll…”

“Na hau schon raus!”

“N-Nagut!” Aus für Merrill unerfindlichen Gründen machte ihr Gesprächspartner auf einmal einen nervösen Eindruck. “I-Ich… Wir haben einen neuen Manager.”

Vor Entsetzen wurde ihr der Arm schwach und die Hand mit dem Telefon fiel auf ihren Schoß. Wieso fühlte sie sich auf einmal so getroffen? Sie sammelte ihre Gedanken. Vielleicht weil es war falsch war, Peter einfach so zu ersetzen? Andererseits, irgendwer musste es ja tun.

“Merrill?! Hey, Hallo?!”

Erst reagierte sie nicht auf die Rufe ihres Gegenübers.

“Haaaahlooohh?!”

Noch immer keine Rückmeldung ihrerseits.

“Bist du noch dran? HEY!!!”

Endlich besann sie sich und führte das Handy wieder an ihr Ohr. “Ja, ja. Bin dran.”

“Man, was ist denn los? Ich wollte schon auflegen.”

“Sorry.”

“Kannst du morgen abend?”

“Wieso?”

“Der neue Manager hat uns einen Spontanauftritt klar gemacht.”

“Ich weiß nicht. Irgendwie fühlt sich das-”

“-falsch an? Du, ich denke nicht, das Peter nicht wollen würde, dass wir wegen ihm nicht spielen. Wir müssen es tun. Für ihn!”

“Vielleicht hast du Recht.”

Merrill ließ sich die Adresse der Bar durchgeben, in der ihr Auftritt stattfinden sollte.

 

Forty-Two’s

Am Abend des darauffolgenden Tages

 

Wie schön es doch war, auf einer schweren Maschine durch die Stadt zu rasen. Das Glück der Welt lag wahrlich auf dem Sitz eines Motorrad. Wie immer genoss es Merrill den Fahrtwind durch ihre langen roten Haare wehen zu lassen. In ihre Bikerkluft gehüllt, raste sie in atemberaubendem Tempo durch die Straßen. Über der Schulter trug sie ihren vertrauten Gitarrenkoffer. Nachdem sie beschlossen hatte, ihr altes Leben weiter leben zu wollen, sorgten die Mitglieder von Last Seed dafür, dass ihr Gitarrenkoffer und ihr geliebtes Motorrad wieder in ihren Besitz gelangten. Unfassbar, das beide noch immer bei dem Diner standen und nicht gestohlen wurden. Merrill war auf dem Weg zum Forty-Two’s, einer sehr bekannten Bar, in der öfters Newcomer Bands auftreten. Manche schafften es tatsächlich in Liberty Bay halbwegs an Bekanntheitsgrad zu erlangen. Gar nicht mal so schlecht, dieser neue Manager. Merrill war schon gespannt. Er wollte zum Konzert kommen. Sie wollte sich ihre eigene Meinung bilden und ihn mit ihrem Urteil keinesfalls schonen. Auf ihrem Weg zur Bar ritt sie auf einer signifikant außergewöhnlichen grünen Welle. Das ermöglichte ihr, etwas langsamer zu fahren.

Merrill bog um eine Ecke und ihre Maschine kam zum stehen.

Die Rothaarige sah an der Hauswand neben ihr auf und entdeckte das Schild mit seinen Neonrörenschrift. Die Lichtquellen formten die Umrisse einer Vier, einer Zwei, eines Apostroph und eines kleinen S. Die Zeichen wirkten auf diese Weise wie fettgedruckt. Vor dem Eingang begehrte eine lange Schlange um Einlass in das Lokal. Die Türsteher ließen allerdings nur hinein, wer ein gepflegtes Äußeres vorweisen konnte. Merrill vertrödelte keine Zeit mehr und fuhr noch einmal ein Stück um das Gebäude, bis sie im Hinterhof ankam. Hier hielt sie an, stieg ab, sicherte das Motorrad und steckte den Zündschlüssel ein. An der Hintertür wartete bereits ein Verantwortlicher und geleitete sie hinein.

Sie trat in den Vorbereitungsraum ein.

Die übrigen Bandmitglieder waren zwar anwesend, allerdings fehlte vom groß angekündigten neuen Manager noch immer jede Spur. “Wo ist der Kerl?”, fragte Merrill ungeduldig.

“Schönen abend!”, zischte Jennifer.

“Sorry.” Merrill begab sich zur nächstgelegenen Bank und legte ihren Girarrenkoffer ab. “Ich bin halt neugierig.”

“E-Er hat mir vorhin geschrieben, dass er noch zu tun hat”, meldete sich Jonathan zu Wort. “Er will später nach unserem Gig vorbeischneien.”

“Der hat Nerven…”

“Was für ein scharfes Outfit trägst du heute?”, fragte Benjamin provokant und erntete dafür einen Stoß mit dem Ellenbogen von seiner Freundin.

Merrill nahm eine verführerische Pose ein und zog den Reisverschluss ihres Biker Suit, welcher bis zum Unterbauch reichte, zur Hälfte hinunter. Der tiefe Ausschnitt verriet, dass sie darunter nichts trug. So aufzutreten würde das männliche Publikum gewiss sofort in den Bann ziehen.

“Heute mal einfach?”, kommentierte Jennifer.

“Aber effektiv!”, ergänzte Jonathan, dem der Anblick des Dekoltee wahrlich gefiel.

Quod Erat Demonstrandum!

“Ich wäre jetzt gern der Biker Suit”, brabbelte Benjamin.

Ein weiterer Ellenbogenhieb folgte.

“Also dann”, sprach Jonathan, “lasst uns die Hütte abreißen!”

Merrill rollte mit den Augen. Den Spruch musste er wirklich jedes Mal bringen. Anstelle sich darüber aufzuregen, schnallte Merrill die E-Gitarre um den Hals und die Mitglieder von Banshee betraten die Bühne.

 

Fröhlich strahlend kehrten Merrill und die anderen nach ihrem Auftritt zurück in den Backstage-Bereich. Das Publikum war großartig. Wie üblich, flippten die männlichen Gäste vollkommen aus. Bei dem Gedanken, wo an ihrem Körper sie sich während ihrer Performance alles berührt hatte, stieg ihr nachträglich die Schamesröte ins Gesicht. Als sie sich zum Beispiel auf dem Rücken liegend auf drei nebeneinander aufgestellten Stühlen räkelte und überrücks in das Publikum schaute, konnten neugierige Augen gewiss weit blicken. Sie spürte, in dieser Nacht wieder die schmutzigen Fantasien von so manchen Mann bedient zu haben. Einzig, dass die Band erneut unter dem falschen Namen - diesmal “Behemoth” - angekündigt wurde, ärgerte sie.

Das entwickelte sich zu einem Running Gag.

Es war beinahe wie früher… 

Unter ihrem Biker Suit spürte Merrill die Nässe ihres Schweiß. Die Scheinwerfer über der kleinen Bühne erzeugten viel Hitze. Hätte sie eigentlich wissen müssen. Aber sie musste ihre Ausdünstungen noch bis nach Hause aushalten, denn sie hatte keine Wechselsachen bei sich. Nichts drunter zu tragen war unangenehmer, als sie es erwartete.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

Jonathan erbarmte sich, stand auf und öffnete.

Als ein ihr nur zu gut bekanntes Gesicht den Raum betrat, blieb Merrill die Spucke weg.

“Das ist unser neuer Manager”, stellte Jonathan vor. “Er heißt Victor.”

Es war tatsächlich dieser großgewachsene Freizeittransformator.

Merrill konnte es nicht fassen.

Victor erblickte die Rothaarige und grüßte sie sofort mit dem verhassten Kosenamen. “Hi, Ruby!”, sagte er und grinste sie keck an.

“Du!!!” Merrill konnte sich nicht mehr beherrschen. Sie packte Victor und schleifte ihn mit sich. Kaum zu glauben, aber der großegewachsene Mann mit den schwarzen Haaren ließ sie ohne Widerstand gewehren. Sie zerrte ihn durch den Backstage-Bereich und die gegenüberliegende Tür hinaus in die kühle Nacht.

“Kennen die sich etwa schon?”, wunderte sich Jonathan.

“Sex is in the air!”, begann Jennifer zu singen. “They will do it everywhere.”

“Ich dachte eigentlich, Merrill wäre für schmutzige Texte zuständig”, kommentierte Benjamin.

“Halt die Klappe!”

 

Wütend drückte Merrill den sichtlich amüsierten Victor gegen die Hauswand.

“Nicht so stürmisch, Fräulein Sturm!”, witzelte der Scherzkeks.

“Was willst du hier?!”, stellte die Sängerin ihn zur Rede. “Ich will mit dir und der ganzen Sache nichts zu tun haben!”

“Ach komm schon, das meinst du nicht so.”

“Lasst mich gefälligst in Ruhe!”

Plötzlich packte Victor beide Arme von Merrill und befreite sich aus ihrem Griff. Er drückte sie nun selbst energisch rücklings gegen ihren Willen an die Hauswand. Sein Gesicht kam dem ihren unkomfortabel nahe.

“Was soll das?”, tobte Merrill.

“Überleg es dir doch nochmal, Ruby.”

Die Sängerin wehrte sich gegen seinen Griff. “Finger weg von mir, oder ich trete dir in die Eier und serviere sie dir dann zum Dinner!”

Aus Angst um seine Kronjuwelen ließ Victor Merrill endlich los.

Was für ein aufdringlicher Kerl!

“Ich bin aus eigenem Antrieb hier”, versicherte Victor. “Die anderen wissen davon nichts.” Vorsichtig kam er Merrill wieder näher. “Ich will auf dich aufpassen, Ruby.”

“Ich verzichte!” Eine weitere Zornesfalte entstand auf ihrer Stirn. “Und nenne mich gefälligst nicht Ruby! Ich heiße Merrill.”

“Aber Ruby kann ich mir besser merken!”

“Dann lasse mal deinen Kopf untersuchen!” Merrill wandte sich ab, um in das Gebäude zurückzukehren, doch wurde durch eine Hand auf ihrer Schulter abrupt gestoppt. “Lass mich!” Wütend und bereit, ihm eine zu zimmern, wandte sich Merrill zu Victor um.

Dieser reichte ihr allerdings nur eine Karte mit Magnetstreifen und QR-Code. “Hier!”, sagte er nur. “Das weist dich als Gast aus.”

Dieser Kerl war wahrlich über alle Maßen unverschämt! Aufdringlicher als ein provisionsgeiler Versicherungsvertreter schwatzte er ihr dieses Stück Plastik auf. Und das schlimmste daran war, dass sie sich dabei ertappte, wie sie den Ausweis annahm und in der Brusttasche ihres Biker Suit verstaute. Anscheinend war es wirklich wahr: Wenn man nur dreist genug war, konnte man alles erreichen.

Victor lächelte zufrieden und wandte sich ab. “Übrigens”, sagte er noch im gehen. “Das war eine scharfe Vorstellung!” Dann entschwand er endgültig.

Er hatte es gesehen?! Merrill lief rot an und sah beschämt zu boden.

Dann wurde ihr klar, dass ihr das schlimmste noch bevor stand. Sie musste zurück zu den anderen und ihnen eine plausible Erklärung für ihr Verhalten auftischen.

 
 

~~~

 

Leonard Bernstein University

17. April 2037

 

Unauffällig betrat ein junger Mann die heiligen Hallen der Universität. Über seiner Schulter der Gurt eines Instrumentenkoffers. Mit seiner subtilen Ausstrahlung fügte er sich perfekt in die Umgebung ein. Er war bereits einmal hier für eine Aufnahmeprüfung. Die wundervollsten Klänge, welche sich ein Mensch nur vorstellen konnte, entsprangen seiner seit Generationen weiter vererbten Stradivari. Ausschließlich ein wahrer Tor wäre nicht sofort Feuer und Flamme für den Wohlklang seines Streichinstrument. Und dennoch wurde er abgelehnt. Heute war er hier, um die verantwortlichen Professoren mit den richtigen Argumenten von seinem Talent zu überzeugen.

 

Das Rauschen des Spülkastens kündigte davon, dass ihr Geschäft erfolgreich abgeschlossen war.  Ein Klicken entsperrte das Schloss der Tür. Eine sichtlich erleichterte Merrill verließ die Kabine. Während der Vorlesung fühlte sie sich mehr und mehr wie ein Staudamm, der in Begriff war überzulaufen. Dabei war diese Vorlesung tatsächlich mal interessant. Sie handelte von Kurt Cobain, Chester Bennington und weiteren großen Künstlern, welche diese Welt viel zu früh verlassen hatten. So sehr sie sich auch wünschte, den Ausführungen des Dozenten unterbrechungsfrei zu lauschen, eine Flutkatastrophe im Hörsaal war keine Option! Verdammte Soft Drinks! Nun trat sie an das Waschbecken heran und reinigte ihre Hände. Danach beugte sie sich nach vorn und inspizierte die aufgelegte Kosmetik im Close-Up. Alles schien in Ordnung zu sein.

Merrill hielt ihre Hände unter den automatischen Trockner, welcher sofort begann warme Luft auszustoßen. Wortwörtlich im Handumdrehen wurde die Feuchtigkeit von ihren Extremitäten geblasen. Anschließend verließ Merril die Damentoilette.

Wieder im Gang vernahm sie einen Schrei.

Um diese Zeit waren die Korridore leer. Die meisten Studenten lauschten ihren Vorlesungen. Die Neugier hatte die Rothaarige gepackt. Sie musste der Quelle des Schreis auf den Grund gehen und folgte dem Gang. Sie erklomm leise eine Treppe in die nächste Etage und musste sich sofort verstecken. Vorsichtig schaute sie um die Ecke und war sich nun sicher, sich nicht alles nur eingebildet zu haben. Sie sah einen jungen Mann - vermutlich Student - mit einem Geigenkoffer über der Schulter und einer Waffe in der Hand, welcher gerade einen anderen Mann - vermutlich ein Professor bedrohte. “G-Geben Sie mir noch eine Chance!”, forderte er. “Ich will nur noch ein einziges Mal vorspielen!”

Der Professor hatte die Arme in die Höhe gerissen und bekam kein Wort raus.

Hat der Typ ein Rad ab?!, dachte Merrill entsetzt.

Plötzlich hörte sie das verräterische Brummen eines Telefons.

Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es ihr eigenes war.

Der junge Mann schlug den Professor mit dem Pistolengriff nieder. “Wer ist da?!” rief er daraufhin aus.

Merrill sah zu, dass sie Land gewann. Sie rannte eiligst die Treppe hinunter, was mit ihren Plateauschuhen alles andere als leise von statten ging. Im langen Gang, in den sie eingebogen war, stellte sie der Verrückte mit der Waffe schlussendlich.

“Halt!”

Das Klicken der Sicherung veranlasste die Rothaarige die Hände hochzunehmen. Ihre Atmung war noch immer stark beschleunigt von ihrem Sprint. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Vorsichtig wandte sie sich dem Mann mit der Waffe zu. Ihre angsterfüllten Augen erreichten gefühlt die Größe von Untertassen, während sie sich dem Lauf des Tötungswerkzeugs gegenüber und der Gnade dieses Wahnsinnigen ausgeliefert sah.

“Wer bist du?”

“M-Merrill”, antwortete sie.

“Studierst du hier?”

“Ja.”

“Würdest du mir bitte zuhören?”

Fassungslos starrte die Rothaarige ihn an. Erst jetzt wurde ihr in all ihrer Panik wieder bewusst, dass er die ganze Zeit einen Geigenkoffer über der Schulter hängen hatte. Er wollte doch nicht wahrhaftig auf seinem Instrument spielen?! Das konnte nicht sein Ernst sein? Hatte er den Schuss nicht gehört?! “Ähm, klar! Warum nicht?!” Merrill zwang sich ein Lächeln auf. “Leg los!”

Tatsächlich nahm der Irre seine Waffe runter und steckte sie danach in die Hose, so wie man es in alten Actionfilmen stets vorgelebt bekam. Er setzte den Geigenkoffer ab, holte eine Stradivari samt Bogen heraus und begann zu musizieren.

Merrill wollte es nicht glauben.

Das Stück, welches er spielte, kam ihr bekannt vor. Beethoven. Nicht schon wieder Beethoven! Das konnte einfach nicht wahr sein. Als stalke sie dieser Komponist, obgleich er schon seit über zweihundert Jahren tot war.

Derweil vertiefte sich der offenkundig Geisteskranke in sein Spiel.

Merrill überlegte, ob sie versuchen sollte, ihn zu überwältigen oder wenigstens wegzulaufen. Sie entschied sich für letzteres. Vorsichtig ging sie Schritt für Schritt rückwärts, um nicht ungewollt seine Aufmerksamkeit zu erregen, und entfernte sich von dem jungen Mann.

Leider war er nicht so blöd, wie er durchgeknallt war. Er ließ den Bogen fallen und wollte nach seiner Waffe greifen.

Instinktiv begann Merrill zu schreien.

Es war der Todesschrei einer wahren Banshee!

Abscheuliche Laute, welche die Schaukästen an den Wänden zum bersten brachten. Unter Schmerzen ließ der verrückte Musiker nun auch die Stradivari fallen, welche auf dem harten Boden aufkam und auseinanderbrach. Er kauerte sich zusammen und versuchte seine Ohren zu bedecken. Der Schmerz in seinen Kopf, trieb ihn in den Wahnsinn. Als ihm dann schmerzlichst bewusst wurde, dass er seine Stradivari, das Erbstück seiner Familie, zerstört hatte, ergriff er nun doch seine Waffe. Die Schreie hatten inzwischen ihr Werk verrichtet und er konnte bereits nicht mehr klar sehen. Er richtete seine Pistole einfach dahin, wo er das kreischende Ungeheuer vermutete und drückte mehrmals ab.

Eine gewaltige Kraft riss Merrill zu Boden und unterbrach ihren Schrei.

Der unaussprechliche Schmerz in ihrer Schulter nagelte sie förmlich fest.

Es tat so schrecklich weh, dass sie nicht einmal mehr schreien konnte.

Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln.

Noch immer geplagt von einem schmerzenden Kopf, wankte der Verrückte mit der Knarre auf die am Boden liegende Merrill zu. Allmählich kehrte die Klarsicht zurück. Er baute sich vor ihr auf und richtete seine Waffe auf ihren Kopf. Sein Gesicht war von Hass und Pein gezeichnet. “Du verdammte Schlampe!”, brachte er unter Qualen hervor. “Ich mach dich kalt!”

Sein Finger verkrampfte sich um den Abzug.

 

FORTSETZUNG FOLGT..

Seifenblasen neigen zum platzen

“Wer vor seiner Vergangenheit flieht, verliert immer das Rennen.”

(Thomas Stearns Eliot)

 

Leonard Bernstein University, Liberty Bay

17. April 2037

 

Merrill starte dem Verrückten mit weit aufgerissenen Augen an. Der Schmerz der Schusswunde in ihrer Schulter fuhr in Wellen durch ihren gesamten Körper und lähmte sie. Aus dem pechschwarzen Loch am Ende des Laufes der Waffe würde schon bald das todbringende Projektil austreten, getrieben von den sich rapide ausdehnenden Gasen des entzündeten Schießpulvers, und begleitet von einem ohrenbetäubenden Knall. Es würde in Sekundenbruchteilen die kurze Distanz zu ihrem Schädel überbrücken. Sie wäre nicht einmal mehr imstande den Knall zu hören. Je nach Kaliber trieb es das Projektil entweder glatt durch ihren Kopf und in einer gewaltigen Sauerei auf der anderen Seite wieder heraus oder es würde auf seinem Weg durch ihre grauen Zellen an den Schädelinnenwänden abprallen und ihr Hirn in einen grotesken Flipperautomaten verwandeln.

Der Zeigefinger des Wahnsinnigen drückte allmählich gegen den Abzug.

Sie war völlig machtlos.

In der Regel hatte eine Handfeuerwaffe ein Abzugsgewicht von einem oder zwei Kilo. Wollte man schießen, musste man es auch wollen. Das leichte Zittern ihres Gegenübers verriet ihr, dass ihn wahrscheinlich noch Skrupel plagten, ein Leben zu beenden.

“Bitte”, presste sie unter ihren Schmerzen hervor. “Nicht!”

“Halt deine Schnauze!”, schrie der Verrückte. Der Griff um seine Waffe verfestigte und das Zittern intensivierte sich.

Derweil breitete sich Merrills Blut auf dem Boden unter ihr aus. Allmählich forderte der Verlust seinen Tribut und die Rothaarige spürte ihre Sinne davon driften. Mit etwas Glück verlor sie das Bewusstsein, bevor er sie erschoss.

“Waffe runter!”

Dumpf nahm Merrill eine ihr vertraute Stimme war.

Ihr Gegenüber riss die Waffe herum und gab einen Schuss in die Richtung ab, aus der die Aufforderung gekommen war.

Bevor sie endgültig das Bewusstsein verlor, hörte sie ein seltsames knisterndes Geräusch, gefolgt von einem Aufschrei und einem dumpfen Schlag.

 

Während er sie verfolgte, kam er sich vor, wie ein schäbiger Stalker, welcher nicht akzeptieren wollte, dass seine Angebetete ihn zurückgewiesen hatte. Merrill griff die Gelegenheit ihr normales Leben weiter zu führen beim Schopfe. Es stand ihm nicht zu, ihre Entscheidung in Frage zu stellen und ihr weiter nachzustellen. Dennoch musste er seinem Instinkt vertrauen. Dieser befahl ihm ein Auge auf das Mädchen zu werfen. Also folgte er ihr. Momentan hielt er sich im gleichen Gebäude auf, hatte jedoch eine ausreichend große Distanz zu ihr eingenommen, dass sie ihn nicht bemerkte.

Plötzlich wurde es hektisch.

Ein Schrei!

Er kam aus dem Stockwerk über ihm.

Victor begab sich zur Treppe, hielt jedoch inne, als ihm bewusst wurde, dass er Merrill viel zu nah gekommen war. Sie könnte ihn bemerken! Hastig suchte er nach einem geeigneten Versteck und fand es hinter einer großen runden Säule.

“Wer ist da?!”, rief jemand.

Bevor er befürchten konnte, aufgeflogen zu sein, kam das Objekt seines Interesses aufgelöst die Treppe hinunter gerannt, was ihr in ihrem Schuhwerk bestimmt nicht leicht fiel. Sie rannte an der Säule vorbei, hinter der sich Victor verbarg. Glücklicherweise ohne ihn zu bemerken. Ein junger Mann mit einer Waffe und einem Instrumentenkoffer auf dem Rücken verfolgte sie. Auch er nahm den Zuschauer hinter der Säule nicht war. Die Jagd kam schnell zu einem Ende, als Merrill von dem Bewaffneten eingeholt wurde. Victor wollte erst eingreifen, doch dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte: Der Mann steckte seine Waffe weg und nahm den Koffer von seinem Rücken. Aus ihm holte er eine Violine und einen Bogen hervor. Hat der Typ ein Rad ab?!, dachte Victor entsetzt.

Er wollte es nicht glauben.

Musik ertönte.

Das Stück kam ihm bekannt vor.

Natürlich!

Beethoven.

Als der Irre sich in sein Spiel vertiefte, wollte Merrill augenscheinlich die Gelegenheit zur Flucht nutzen, wurde jedoch auf frischer Tat gestellt und erneut mit der Waffe konfrontiert. Er war wohl doch nicht so blöd, wie er durchgeknallt war.

Bedroht begann Merrill zu schreien.

Abscheulicher Krach erfüllte das ehrwürdige Gemäuer der Leonard Bernstein University und ließ die Schaukästen an den Wänden bersten, in denen wahrscheinlich die besten Studentenarbeiten ausgestellt wurden. Victor wurde augenblicklich von Schmerzen geplagt und versuchte sie durch verschließen seiner Ohren abzumildern. Er kauerte sich hin und kniff die Augen zusammen.

Dann fiel ein Schuss.

Merrills Kreischen verstummte.

Erschrocken sah Victor auf, nur um Merrill auf dem Boden liegend und den durchgeknallten bewaffneten Musikanten auf sie zukommen zu sehen. Zu seinem Glück war Victor weit genug entfernt, das ihn die Auswirkungen des Schreis nicht so stark beeinflussten, wie diesen Campusschützen, welcher sichtlich benommen taumelte. Wenig später zeigte ein Pistolenlauf auf die Musikstudentin.

Sofort besann sich der Schwarzhaarige auf das Wichtige und eilte Merrill zur Hilfe. “Waffe runter!”, forderte er den Mann auf.

Dieser wandte sich ihm zu und feuerte seine Pistole ab.

Erneut hallte ein lauter Knall über den Campus.

Victor gelang es, sich rechtzeitig hinter einer Ecke in Sicherheit zu bringen, sodass das Projektil ihn knapp verfehlte und neben ihm in die Wand einschlug. Dabei sprengte es den Putz ab. Der Schwarzhaarige wollte seinem Gegner nicht die Gelegenheit geben, auf dumme Gedanken zu kommen und sich wieder Merrill zuzuwenden, also konzentrierte er die ihm zur Verfügung stehende elektrische Energie in seinen Händen. Blitzschnell sprang er aus der Deckung und entlud seine Ladung auf seinen Gegner. Dabei ertönte ein lautes Knistern, welches von der Umwandlung von Sauerstoff zu Ozon durch die elektrische Energie zeugte. Begleitet wurde es von einem Schrei und dem direkt danach folgendem Aufprall eines Körpers auf dem Boden. Victor bereitete eine weitere Salve in der rechten Hand vor und näherte sich vorsichtig den beiden am Boden liegenden Individuen. Mit einem beherzten Tritt kickte er die Handfeuerwaffe des Verrückten zur Seite als er sie erreichte.

Der Mann schien bewusstlos zu sein.

Der steht so schnell nicht mehr auf, honorierte Victor seine eigene Leistung und baute die Spannung zwischen seinen Fingern wieder ab. Ihm fiel eine Überwachungskamera in einer Ecke auf. Er sah sich um und entdeckte weitere. Na klasse!

Danach beugte er sich hinunter, um Merrills Puls zu fühlen.

Schwach, aber vorhanden.

Die Ausmaße der Blutlache unter ihrem Körper war bedrohlich.

Das Mädchen brauchte dringend Hilfe!

Aber ein Krankenhaus war keine Option!

Was wäre, wenn bei einem Routinetest festgestellt würde, dass ihre Gene verändert sind? Das riefe erneut die Agenten auf den Plan. Diese bissigen, Sonnenbrillen tragenden Kampfhunde der Organisation, welche jedem Befehl wie seelenlose Roboter gehorchten, egal wie abscheulich oder absurd dieser auch sein möge und ihren fantasielosen schwarzen Anzügen aus Massenproduktion. Auf noch eine Begegnung mit ihnen konnte Victor getrost verzichten. Und Merrill mit Sicherheit auch! Ihm blieb keine Wahl, er musste sie in die Basis bringen, auch wenn seine ungenehmigte Verfolgungsaktion dann auffliegen würde und er mit den Konsequenzen leben musste. Er ergriff das Mädchen und hob sie an. Die ist wirklich viel zu dünn, kommentierte er ihr Gewicht in Gedanken.

Eiligst trug er sie durch die totenstille Universität.

Nachdem Schüsse gefallen waren, sind die Protokolle für einen Amoklauf in Kraft getreten, mutmaßte er. Diese verlangten es, dass sich die Studenten zusammen mit anwesenden Dozenten in den Hörsälen und Praxisräumen einschlossen und die Polizei verständigten. Es bestand also nicht die Gefahr, dass sie hier in der Gegend herum springen und ihm jemand in die Quere kommen würde. Und die Polizei kam sowieso immer zu spät. Victor verließ die Universität und legte Merrill auf dem Beifahrersitz seines Sportwagens ab. Diesmal war es ein dunkelgraues Auto.

Victor startete den Motor. Danach schnallte er Merrill und anschließend sich selbst an. “Das du mir ja nicht stirbst!”, forderte er sie auf. Derweil ergoss sich Blut auf den Beifahrersitz. “Oh Gott, das geht nie wieder raus!”

Mit durchdrehenden Reifen fuhr der Sportflitzer an und schoss über den Parkplatz hinaus auf die Straße. Einzig schwarzer Gummiabrieb blieb auf dem Asphalt zurück.

Wenig später traf die Polizei ein.

Doch da war Victor schon über alle Berge.

 

Burges Bridge, Liberty Bay

 

Endlich konnte Lamar wieder einen freien Tag genießen. Der letzte lag schon viel zu lange zurück! Andauernd erfüllte Lamar irgendwelche Aufträge, bei denen es darum ging, als Mutanten aufgeflogene Letztgeborene in ein Safe House zu bringen oder selbige unauffällig zu beliefern. Eine wichtige Aufgabe, keine Frage! Aber er konnte das Lenkrad einfach nicht mehr sehen. Er brauchte eine Pause. Einen Tapetenwechsel. Als ihm ein Urlaubstag in Aussicht gestellt wurde, ergriff er die ‘Aus dem Gefängnis-Karte’. Das Ticket hinaus aus der Monotonie. Der freien Tag war bereits verplant. Er wollte seine Schwester Kayla besuchen. Leider musste er dazu auch Auto fahren... verdammt!

Kayla war die ältere. Zweiundzwanzig Jahre alt, kam aber nicht allein klar. Darum lebte sie im betreuten Wohnen. Mit sechs Jahren erkrankte sie während der weltweiten Pandemie an RAID, noch bevor es einen Impfstoff gab. Über die genauen medizinischen Details könnte Lamar keine Auskunft geben, würde man ihn danach fragen. Er war schließlich kein Mediziner. Aber er wusste, dass der Virus die Blutgefäße in Kaylas Gehirn angegriffen und so im Verlauf der Infektion mehrere Schlaganfälle verursacht hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass sie das überhaupt überlebte. Danken musste man dafür höchstwahrscheinlich dem experimentellen Heilmittel, dessen Wirkstoff auf einer modifizierten Variante eines bereits existierenden Medikaments gegen Ebola basierte. Leider vermochte es nicht den bereits angerichteten Schaden in Kaylas Gehirn ungeschehen zu machen. Ihre linke Gesichtshälfte war komplett taub, was für eine deutliche Sprache sicherlich nicht förderlich war. Zudem zog sie beim Gehen ein Bein nach und litt an Gleichgewichtsstörungen, weshalb sie meistens im Rollstuhl saß. Geistig war sie auf dem Stand eines Kindes stehen geblieben.

Der polierte Sportwagen drang in ihm unbekannte Gefilde ein.

Gewiss zog er unzählige neugierige Blicke auf sich.

Die Schlaglöcher im Asphalt waren so gigantisch, dass man befürchten musste, mit Haut und Haaren von ihnen verschlungen zu werden.

Man kam keine fünf Meter voran, ohne nicht ein Stück Müll oder gar schlimmeres auf der desolaten Fahrbahn zu entdecken.

Links und rechts säumten halb herunter gekommene Einfamilienhäuser die Straße. Viele von ihnen wiesen verblasste Farben, mit Holz verkleidete kaputte Fenster oder andere Makel auf. Wohlhabende Leute suchte man in dieser Gegend vergebens.

Der Wind streichelte durch das Geäst eines Baumes, welcher sich offenbar keine Blätter mehr leisten konnte, und bließ gleichzeitig eine Zeitungsseite über den Grund. Immer wieder hob das alte Käseblatt ab und landete.

Ein buckliger alter Mann mit langem weißen Bart wühlte in einem Mülleimer nach brauchbaren Gegenständen, welche er in den mutmaßlich aus einem nahen Supermarkt entwendeten Einkaufswagen zu verstauen gedachte, in dem er üblicherweise seine Schätze vor sich her schob. Tatsächlich entdeckte er eine Pfandflasche. Sein Transportbehältnis quoll schon über vor Plunder aber dafür fände er sicher noch einen Platz.

Langsam bewegte Lamar das Lenkrad seines Gefährts, wie es die Abzweigungen der Straße von ihm forderten. Bald erreichte er sein Ziel. Burges Bridge, W 135st Street. Das Haus in dem er aufgewachsen war und Kayla noch heute lebte, beaufsichtigt von einer Sozialarbeiterin. Sie sollte sicherstellen, dass Kayla keinen Unsinn anstellte und jeden Tag eine warme Mahlzeit zubereitet bekam. Heute würde die Frau keinen Finger krumm machen müssen. Wenn er schon einmal da war, dann konnte er das auch genauso gut selbst machen. Für das letzte lebende Mitglied seiner Familie schwang er gern den Kochlöffel. Die Leberzirrhose hatte die Mutter schon lange dahingerafft - den ganzen Tag Pizza und Bier gefiel dem Organ nicht besonders. Der Vater lebte zwar noch, für Lamar war er jedoch trotzdem gestorben. Der junge Mann hatte sich von seinem Erzeuger entfremdet - als bester Kunde der örtlichen Justizvollzugsanstalt konnte sein Vater schwerlichst an Geburtstagen mit Anwesenheit glänzen. Somit war es nur natürlich, dass Lamar versuchte zu bewahren, was an Familie noch übrig war.

Er fuhr den Sportwagen in die Einfahrt seines ehemaligen Elternhauses. Mit einem leisen Klicken löste er den Gurt und entfernte den Zündschlüssel. Dann entstieg er seinem Gefährt und benutzte die Fernbedienung, um zuerst das Dach zu schließen. Begleitet vom Summen des Getriebes, schloss sich das Autodach. Ein weiteres mal presste Lamars Daumen einem Knopf auf dem handlichen Gerät. Der Wagen bestätigte das Signal durch zweimaliges Aufleuchten der Blinker und einem sofort darauf folgendem Klicken. Lamar konnte den Wagen in dieser Gegend nicht offen stehen lassen - traurig aber wahr. Nachdem er die Schlüssel in der Hosentasche verstaut hatte, begab er sich zur Haustür.

Er klingelte.

Keine Reaktion.

Seltsam, dachte er. Ist Alicia einkaufen?

Alicia war der Name der Sozialbetreuerin. Lamar verstand sich gut mit der Frau. Vielleicht, weil sie ebenfalls Afroamerikanerin und in der Gegend aufgewachsen war. Jedenfalls hatte Alicia einen guten Charakter. Lamar hätte nicht jedem Dahergelaufenen seine Schwester anvertraut. Eigentlich konnte man sich immer blind auf sie verlassen. Da er sich vorher angekündigt hatte, war es ungewöhnlich, dass niemand anwesend zu sein schien.

Lamar kramte sein Schlüsselbund hervor und suchte den Wohnungsschlüssel. Zwar lebte er vorwiegend im Versteck, dennoch hatte er ihn noch nicht abgegeben.

Einmal drehte sich der Schließapparat, bevor er den Zutritt zum Haus frei gab.

Alicia pflegte stets doppelt abzuschließen, wenn sie das Haus verließ.

Böses ahnend schlich Lamar durch das Erdgeschoss. Er durchquerte den Flur, kam in die Küche und drehte sich um neunzig Grad. Der kalte Sog der offenstehenden Hintertür hatte ihn sofort in seinen Bann gezogen. Er trat an die Tür heran und musste feststellen, dass das Schloss aufgebrochen worden war. Kayla! Seine Gedanken kreisten nur noch bei seiner Schwester. Eiligst stürmte der die Treppe hinauf in das erste Obergeschoss, wo sich das Zimmer seiner Schwester befand.

Lamar warf sich durch die Tür hinein in die Finsternis. Rollos und Gardinen waren hinuntergezogen. Er zückte sein Handy und aktivierte die eingebaute Taschenlampe. Der Lichtkegel half ihm, seinen Weg durch den Raum zu bahnen, ohne zu stürzen. Endlich konnte er Licht hinein lassen. Als es das Innere erhellte, entdeckte Lamar Alicia geknebelt auf einem Stuhl sitzend. Sie wirkte bewusstlos. Vorsichtig entfernte Lamar den Knebel und löste die Fesseln. Danach rüttelte er vorsichtig an ihr. “Hey, Alicia!”, sprach er sie an. “Alles in Ordnung?”

Benommen öffnete die Frau die Augen.

“Was ist hier passiert?” Er schaute sich noch einmal um. Keine Spur von seiner Schwester oder ihrem Rollstuhl. “Wo ist Kayla?”

“Sie haben sie mitgenommen!”, brachte die Sozialarbeiterin hervor.

“Wer?”

“Ich weiß es nicht.”

Verzweifelt blickte Lamar ziellos umher, während die Angst um seine große Schwester sich allmählich in sein Innerstes hinein fraß. Er wollte sich nicht vorstellen, durch welche Hölle Kayla in diesem Moment vielleicht gehen musste.

Ein Klingeln verhinderte, dass er dazu Zeit fand.

Das Geräusch kam aus der Richtung von Alicia, welche noch immer auf dem Stuhl saß und augenscheinlich zu verängstigt war, darauf zu reagieren.

Lamar trat an die Sozialarbeiterin heran. Vorsichtig holte er das Mobiltelefon aus ihrer Jackentasche hervor. Ein Anruf von einer unbekannten Nummer. Er nahm das Gespräch an und führte das Handy an sein Ohr.

 
 

~~~

 

Operationsbasis von Last Seed

 

Doktor Mitchell hatte es sich zu Tisch mit einer Tasse Kaffee, der Tageszeitung und etwas Gebäck bequem gemacht. Als er die Schlagzeilen durch blätterte war er froh, endlich etwas Abwechslung vom tristen Alltagsgeschäft zu bekommen. Bis gerade eben erstickte er noch in Berichten über Routineuntersuchungen der jüngst Geretteten. Bevor man sie in Safehouses unterbrachte, musste herausgefunden werden, ob sie mit ihren Fähigkeiten eventuell eine Bedrohung für sich oder andere darstellen. Das gab es leider auch. Jeder Mediziner der Organisation wusste von dem traurigen Fall eines Jungen an der Westküste, welche sich vor einigen Jahren ereignete. Seine Mutation vermochte biologische Strukturen zu zersetzen. Blumen, die er berührte, verwelkten und Tiere mieden ihn instinktiv. Die dortige Niederlassung von Last Seed wurde auf ihn aufmerksam und brachte ihn sofort in ein Safehouse. Doch er konnte diese Fähigkeit nicht kontrollieren. Eines Tages intensivierten sich die Absonderungen seines Körpers derart, dass ein giftiges Gas entstand und außer ihm alle anderen Mutanten im Safehouse tötete. Diese Tragödie wurde in der Organisation bekannt als der San Franco Inzident. Seither wurde jeder zukünftige Bewohner eines Safehouse gründlichst durchgecheckt.

Der Mensch wird nur durch Desaster klug.

Inzwischen soll der Junge eine unfreiwillige neue Heimat in einer Isolationszelle irgendwo an der Westküste gefunden haben. Die Angestellten dieser Einrichtung können die Zelle nur noch in Schutzanzüge und Gasmaske gefahrlos betreten. Ein Umstand, der die Versorgung und Therapierung dieser traurigen Seele spürbar erschwert.

Es war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen in dieser Welt. Um das zu wissen, musste Mitchell nicht von Mord unt Todschlag im Stadtstaat oder von der Politik der Nachbarn lesen. Er legte die Zeitung beiseite.

Im Hintergrund desinfizierte eine Krankenschwester eines der Betten.

Das übrige medizinische Personal genoss genau wie der Doktor die Pause.

Erwartungsvoll führte Mitchell einen Keks zum Mund und wollte eben abbeißen, als sich die Türen zur Krankenstation öffneten. Erschrocken ließ Mitchell den Keks in die Kaffeetasse fallen. Das Heißgetränk schwappte über den Rand hinaus und veranstaltete eine Sauerei auf dem Tisch. “Was zum Teufel-”, schrie er erschrocken auf.

Victor stürmte die Krankenstation.

In seinen Armen hielt er ein bewusstloses Mädchen. Ihre Schulter blutete und ihr Gesicht war blass und farblos. “Schnell!”, forderte Victor noch bevor Mitchell fragen konnte, was eigentlich los ist. “Sie wurde angeschossen und hat viel Blut verloren!”

Ohne unnötige Fragen zu stellen, ließen Arzt und Personal alles stehen und liegen.

Victor legte das Mädchen auf eine der Liegen und überließ den Spezialisten das Feld.

 

“Sie haben was getan, Senior Krueger?”, echauffierte sich Miguel Rivera, als der Schwarzhaarige ihm beichtete, dass er Merrill heimlich verfolgt hatte.

Zu diesem Zeitpunkt waren neben ihnen noch Mandy und Jian in der Kommandozentrale anwesend. Während Mandy ihrem Bruder einen Blick zuwarf, welcher ihn anklagend fragen wollte, wie dumm man sein kann, schaute ihn der Asiate verständnisvoll an, als sich Victor versuchte vor seinem Teamleiter zu rechtfertigen.

“Ich hatte das irgendwie im Urin, dass ihr was passiert”, meinte er.

“Ja, urinieren ist deine Spezialität”, giftete die Schwester. Offenbar spielte sie auf den Vorfall an, bei dem sie wegen seiner walnussgroßen Blase anhalten mussten und so der mental instabilen Catherine die Flucht gelang.

Victor ließ sich nicht von Mandy irritieren. “Deshalb bin ich ihr gefolgt. Ein Teil von mir wollte sie beschützen.”

“Ich weiß auch schon genau welcher!”, kommentierte Mandy.

“Bitte unterlassen Sie diesen Zynismus, Senorita Krueger”, tadelte Rivera. “Ich würde es begrüßen, dem Herrn hier selbst den Hosenboden stramm ziehen zu können!”

“Ja ja, von mir aus!”

“In der Universität gab es einen Amoklauf”, fuhr Victor fort.

“Das wissen wir bereits.”

“Auch dass sie ihre Fähigkeit eingesetzt hat? Vielleicht haben die Überwachungskameras etwas aufgenommen. Wer weiß, wie lange es gedauert hätte, bis ihr das mitbekommen hätten, wenn ich nicht da gewesen wäre!”

“Herr Gott!”, rief Rivera aus. Er sah kurz zur Seite. “Senior Cheng! Bitte kümmern Sie sich um diese Unannehmlichkeit!”

“A-Alles klar!”, bestätigte der Asiate.

Nun wandte sich Rivera wieder Victor zu. “Das spricht Sie allerdings nicht davon frei, Seniora Sturms Wünsche und meine Befehle ignoriert zu haben!”

Als Victor versuchte, die Vorwürfe seines Vorgesetzten totzuschweigen, brach lautes Klimpern auf einer Tastatur die Stille. “Na warte, du Hurensohn!”, stieß Jian aus. Fast könnte man meinen, er kommentiere das Gespräch, anstatt seine Hacking-Tätigkeit. Weiteres Gehaue auf der Benutzer-Maschine-Schnittstelle folgte. “Orch... so eine süße Firewall! Ha, nimm das! Sieh, wie ich in dich eindringe!” Das Jian völlig aus seinem Charakter viel, wenn er sich auf etwas konzentrierte, war Victor nicht neu, also ignorierte er es. Die anderen taten es ihm gleich.

“Entschuldigen Sie”, beschwichtigte der Schwarzhaarige. “Aber ich musste tun, was ich für richtig hielt.”

“In your Face, Bitch!” Die grenzdebile Interaktion mit dem Eingabegerät verriet, dass Jian noch immer konzentriert bei der Arbeit war.

“Das wird Konsequenzen haben, Senior Krueger! Sie sind bis auf weiteres freigestellt!”

Victor ließ sich nicht davon beeindrucken und verließ die Kommandozentrale.

Ein energischer Druck auf die Eingabetaste rundete das Gewitter aus aufschlagenden Fingerspitzen ab. “Hacked into your gate!” Jubelnd sprang der Asiate kurz von seinem Stuhl auf und überkreuzte diabolisch lachend die Arme vor dem Gesicht. “Muhahahaha!” Sein seltsames Verhalten musste so ein Anime-Ding sein, denn niemand der Anwesenden begriff, was er damit bezweckte. “Und jetzt drehen wir die Zeit zurück!”

“Ich glaube er hat es geschafft”, interpretierte die Blondine.

Ein paar Klicks und aufploppende Fenster später und Jian kannte den Server der Universität wie seine Westentasche. “Komm schon, zeig mir deine schmutzige Unterwäsche!” Was er dort sah - oder vielmehr nicht sah - war sehr besorgniserregend. “Ähm! M-Mr. Raviera”, stotterte er zurück in seinem üblichen Selbst. “W-Wir könnten ein k-kleines Problem haben.”

“Was haben Sie gefunden”, hakte der mittelalte Mann nach.

“D-Die Bilder der Überwachungskamera in diesem Gang zeigen zur Zeit des Vorfalls... K-Keinen Vorfall...”

Schockiert starrten sowohl Mandy als auch Rivera zu Jian.

 

Leonard Bernstein University

 

Der Platz vor dem Eingang der Universität war genauso belebt, wie sonst auch. Nur das nun unzählige Männer in blauen Uniformen umher wuselten. Diese Szene glich einem Ameisenhaufen, auf dem irgend so ein dahergelaufener Rotzlöffel seine Blase entleert hatte. Das Blaulicht der geparkten Streifenwagen strahlte umher, während Detective Miller gelangweilt auf seinem Handy herum spielte, und bei einem relativ bekannten Tower Defence Game seinen grünen Daumen im Kampf gegen die verwesende Bedrohung unter Beweis stellte.

Ein weiterer Wagen kam vorgefahren.

Es handelte sich um einen blauen SUV.

Aus dem Auto stieg Detective Kent aus.

Doch von all dem bekam Miller nichts mit. Viel zu vertieft war er darin, die Effizienz der Photosynthese zu verbessern, damit er weitere Geschütztürme pflanzen konnte. Das Schicksal seines digitalen Vorstadtgarten lag immerhin in seinen Händen. Und er musste sich selbst beweisen, dass diese Hände fähig waren. Ihm fehlten nur noch wenige Punkte bis er seine eigene Highscore von vor ein paar Monaten endlich geknackt hätte. Immer wieder versuchte er es, war aber stets gescheitert.

Ein fester Druck auf seiner Schulter ließ ihn aufschrecken.

“Was geht, Alda!” Im neckischen Versuch jünger zu wirken als er war, lastete Kent die Hand auf seinem Kollegen.

Geschockt fuhr Miller auf. Er hatte noch nicht mit ihm gerechnet! Dabei entglitt ihm sein Handy. Einem Zirkuskünstler beim Jonglieren gleich, warf der jüngere Beamte das Mobiltelefon bei seinen hektischen Auffangversuchen immer wieder in die Luft. Unentwegt entwischte es seinem Zugriff wie ein findiger Verbrecher und er rannte nervöse Töne ausstoßend voran, nur auf das Gerät achtend, um es doch noch zu erwischen. Unglücklicherweise stolperte er über einen nicht vorhandenen Lufthuckel. Sein Handy entglitt ihm ein letztes mal und während Miller zu Boden ging, verabschiedete sich das Mobiltelefon im nächsten Wasserablauf unter einem Bordstein.

“Upps!”, kommentierte der ältere Detective.

“Mein Highscore!”, wehklagte Miller.

Kent wunderte sich, dass ihn der Verlust des Gerätes nicht so sehr zu schmerzen schien, wie die Tatsache, dass er seinen Spielstand eingebüßt hatte.

“Du Arschloch!”, tobte Miller nachdem er wieder aufgestanden war.

“Sorry!”, entschuldigte sich Kent.

In diesem Moment führten zwei andere Beamte den noch immer benommenen Schützen aus der Universität hinaus. Zuvor wurde er von Rettungssanitätern untersucht. Außer einer leichten Benommenheit aufgrund eines elektrischen Schlages schien er keinen Schaden davongetragen zu haben. Darum gaben die Ärzte grünes Licht den Tatverdächtigen abzuführen. Noch wussten Kent und Miller nich, welche haarsträubende Geschichte ihnen der abgelehnte Student in ein paar Stunden auftischen würde. Mutmaßlich hatte ihn jemand mit einem Taser betäubt, nachdem er um sich schoss und die Schaukästen zerschlug. Er stellte später jedoch die Behauptung auf, von einem Mann außer Gefecht gesetzt worden zu sein, welcher die Fähigkeit besaß, Blitze aus seinen Händen abzufeuern. Und die Schaukästen seien vom Kreischen eines Mädchens zerstört worden.

Der hatte doch eindeutig zu viele Comics gelesen.

Zweifelsfrei ein Fall für die Klapsmühle!

Doch momentan befanden sie sich in der Gegenwart. Die fantasielose Traumgeschichte dieses Spinners blieb ihnen vorerst erspart.

Inzwischen hatten Kent und Miller die Universität betreten. Der ältere musste sich unentwegt die Vorwürfe des jüngeren anhören. Ein Streifenpolizist führte sie zu der Stelle, an dem man den Amokschützen aufgefunden hatte. Die mysteriöse Blutlache, für die niemand eine Erklärung hatte, war nur schwer zu übersehen. Aber von wem stammte sie? Der Täter war unverletzt.

“Was ist das für Blut?”, fragte Miller den Polizisten.

“Keine Ahnung”, antwortete dieser. “Wir warten noch auf die Spurensicherung.”

“Das ist nicht gerade wenig”, stellte Kent fest. “Wer auch immer da geblutet hat, ist mindestens Bewusstlos bei der Menge.”

“Gibt es doch einen Verletzten?”

“Außer dem Professor mit der gebrochenen Nase haben wir niemanden gefunden”, versicherte der Polizist. “Und so viel geblutet hat der bestimmt nicht.”

“Wenn hier jemand durch die Gegend stolziert und dabei alles vollblutet, sollte das früher oder später jemandem auffallen”, meinte Detective Kent. “Miller!”, rief er seinem Kollegen zu. “Versuche den Verletzten zu finden.”

“Klar. Finde du mal mein Handy!”

“Hey, sorry. Woher soll ich wissen, dass du so schreckhaft bist?”

“Ach lass mich doch in Ruhe!”

Beleidigt machte Detective Miller auf der Ferse seines Männerschuhes kertmarsch und begab sich in Richtung des Ausgangs.

Detective Kent nahm abermals die Blutlache in Augenschein, nur um sich dann abzuwenden und seinen zurückkehrenden Kollegen anzusehen.

“Sag mal, was sind das denn für Typen?”, fragte Miller, während er sich wieder auf den Fundort der Blutspur zubewegte. Er deutete mit seinem Daumen über die Schulter auf die Männer hinter ihm. “Wie die Spusi sehen die nicht aus.”

Mehrere Gestalten in schwarzen Maßanzügen und mit dicken Sonnenbrillen bogen soeben in den Gang ein. Einer von ihnen trug einen Aluminiumkoffer bei sich. Unter den verdutzten Blicken der Detectives, welche sich fragten, zu welchem Geheimdienst diese Typen wohl gehörten, kamen sie näher und bauten sich alsbald um die Blutlache auf. Kent, Miller und der Streifenpolizist wurden unsanft abgedrängt.

Der Kofferträger öffnete seinen Behälter und gab das merkwürdige Gerät im inneren Preis. Auf der Deckelseite befanden sich einige Röhrchen, gefüllt mit durchsichtiger Flüssigkeit und Wattestäbchen für die Probenentnahme. Als sich der Mann darum kümmerte das Gerät hochzufahren, nahm ein Zweiter eines der Wattestäbchen und begann damit in der Blutlache herumzustochern.

“Hey, was machen Sie da!”,  beschwerte sich Detective Miller hitzköpfig. “Wer gibt Ihnen das Recht die Beweise zu-”

Der dritte Mann hielt ihm einen Ausweis unter die Nase, woraufhin der Kriminalbeamte ganz kleinlaut wurde.

Kent hingegen blieb gechillt, wie immer. Er hatte den Ausweis des Mannes schon erkannt, ohne genau hinzusehen. Es war nicht das erste Mal in seiner Karriere, dass Sonderbeauftragte der Regierung kamen und ihm einen Fall wegnahmen.

Inzwischen befand sich die entnommene Probe in einem Röhrchen und wurde von dem Gerät analysiert. Es dauerte nicht lange, bis das Ergebnis feststand. Der Hintergrund der Anzeige wechselte die Farbe zu einem Grünton. Die Männer in Schwarz sahen sich kurz an und packten danach ihre Sachen wieder zusammen.

Der Mann mit dem Koffer fasste sich mit der linken Hand an sein Ohr. “Der Ketchup ist sauer”, sagte er. Offenbar ein Code dafür, dass ihr Gerät Spuren von Mutationen im Blut festgestellt hatte. Doch das war den Polizisten unbekannt. Anschließend verließen die Männer den Ort des Geschehens, ohne auf die Fragen der Ermittler einzugehen.

“Was war das denn?” Fragend sah Miller seine Kollegen an. “Wollte der Pommes bestellen oder was?”

Dieses Gerät und der merkwürdige Test auf... Dinge. Irgendetwas klingelte da bei ihm. Na klar! Das Mädchen mit der seltsamen Geschichte! Konnte es sein, dass diese Fälle zusammenhingen? “Komm, lass uns Kaffee holen”, antwortete Kent trocken.

 

Operationsbasis von Last Seed

 

Ein unaufhaltsamer Prozess nahm seinen Lauf. Das Zwischenhirn setzte eine Kettenreaktion in Gang. Es veranlasste die Nervenzellen des Oberstübchen eine Flut an Hormonen zu erzeugen, welche das Bewusstsein aus seinem tiefen Schlaf erweckten. Die Empfindungen einer warmen Decke und einer harten Matratze breiteten sich über die Rezeptoren des Nervensystems aus. Ein stechender Schmerz strafte unbarmherzig eine übereilt hastige Bewegung.

“Aua!”

Instinktiv führte Merrill ihre Hand an die linke Schulter.

Die Erinnerung an die qualvolle Pain des derben Einschlags in ihren Körper plagte sie erneut. Wie das heiße Stück Metall rücksichtslos in ihren Körper eindrang und sie zu Boden riss. Das letzte was sie noch wusste war, wie sie hilflos am Boden lag und blutete, während sie die Augen nicht vom Lauf der Waffe eine Armlänge entfernt von ihr lassen konnte.

War sie tot? War das das Jenseits?

Quatsch, tadelte sie sich selbst. Dann täte mir nichts weh.

Zögernd öffnete sie ihre Augen.

Das kalte weißblaue Licht der Deckenleuchten tat ihr in den Augen weh.

Sie musste Blinzeln, bis sich ihre Sehorgane an die Helligkeit gewöhnt hatten.

Vorsichtig setzte sich die Rothaarige auf.

Sofort begann sie sich umzusehen. Die metallischen Wände und Türen - generell das gesamte sterile Ambiente - kamen ihr so unangenehm vertraut vor.

“Ruby?”, sprach sie jemand von der Seite an. “Du bist aufgewacht!”

Dieser ungeliebte Spitzname.

Das konnte nur einer sein.

Mit einem Blick der töten wollte, wandte sie sich in diese Richtung.

Neben dem Bett befand sich ein Stuhl. Auf ihm hatte dieser dreiste Kerl Platz genommen.

Victor!

“Ich heiße Merrill, verdammt!”, schrie sie ihn an.

Der Schwarzhaarige sprach zu jemand anderem außerhalb Merrills Sichtfeld. “Es geht ihr eindeutig gut, Doc”, verkündete er. Danach schenkte er ihr wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit. “Du hast Glück gehabt. Das war ne knappe Kiste.”

“Ich verstehe, warum Sie sie hierher gebracht haben”, sprach der andere. Merrill sah sich zu ihm um. Ein mittelalter Mann mit dreckig-blonden Haaren in einem weißen Arztkittel saß am anderen Ende des Zimmers semi-entspannt mit Kaffee und Gebäck. “Sie hatte viel Blut verloren. Man hätte ihr im Krankenhaus bestimmt auch eine Transfusion gegeben. Bei einer Kompatibilitätsuntersuchung wären ihre abnormalen Werte mit Sicherheit aufgefallen.” Im Jahr 2037 wurde in Krankenhäusern nicht einfach nur die Blutgruppe bestimmt, sondern mittels Gen-Schnelltest der geeignete Spender aus der Krankenhausdatenbank ermittelt. Dabei werden verschiedene Marker verglichen und Antikörper untersucht. Über ein statistisches Verfahren errechnet ein Computer dann die beste Option. Zwar war das keinesfalls mit einem vollwertigen DNA-Test zu vergleichen, doch die veränderten Abschnitte des genetischen Code würden der Maschine nicht verborgen bleiben. “Aus medizinischer Sicht war es jedoch grob fahrlässig!”

“Haben Sie ihn mal Autofahren sehen?”, spottete Merrill.

Victor steckte ihr die Zunge raus. “Bäh!”

Merrill erwiderte mit dem ausgestreckten Mittelfinger. Danach zog sie die Beine unter der Decke hervor und stellte sie auf dem Boden ab. Sie trug einen blauen Pyjama. Das man sie ohne ihre Zustimmung auszog, wurde offenbar zur Gewohnheit.

“Nicht so hastig, junge Dame!”, stoppte der Arzt. Er stellte Kaffee und Gebäck ab, stand auf und versuchte sie am Gehen zu hindern. “Ich muss Sie weiter beobachten!”

Merrills Blick fiel auf das prominent platzierte Namensschild an seiner Brust. Darauf stand “A. Mitchell”. Unbeeindruckt erhob sie sich vom Krankenbett. “Aus dem Weg!” Am liebsten hätte sie ihn zur Seite geschoben. Allerdings wäre sie nicht einmal ohne Schusswunde in der Schulter im Stande, einen ausgewachsenen Mann gegen dessen Willen zu bewegen. Darum entschloss sie sich, ihn und Victor zu umlaufen.

“Sie können doch nicht einfach so abhauen!”

Kurz wandte sie sich dem Mediziner um. “Sagt wer?” Danach setzte sie ihre wackelige Flucht fort. Das konnte einfach nicht wahr sein! Erst der Verrückte an ihrer Uni und jetzt war sie schon wieder hier. Das alleine wäre nur halb so wild, aber er war ja auch noch da. Wie sollte sie so ihr normales Leben zurück bekommen?

Sie musste hier raus! Umgehend!

Plötzlich fuhr ihr erneut der unsagbare Schmerz ihrer Schusswunde durch die Glieder.

Victor hatte zu ihr aufgeschlossen und lastete nun seine Hand auf ihrer Schulter. Es war nur leichter Druck, tat aber trotzdem höllisch weh.

Mit einer schwungvollen Drehung und der rechten Faust in seinem Gesicht, beantwortete sie seinen unverschämten Übergriff. “Nimm deine Pfoten weg, du Penner!”

Victor befühlte seine Lippe und musste feststellen, dass der Schlag der kleinen Frau gesessen hatte. “Aua!” Fassungslos sah er sie einen Moment an, bis er den Schock verdaut hatte, von einem schmächtigen Mädchen verhauen worden zu sein. “Du solltest ihn dir wenigstens eine Armschlinge anlegen lassen.”

“Ich brauche keine-” Abermals zuckte sie zusammen. “Aua!”

“Klar...”

Widerwillig ließ sich Merrill von Dr. Mitchell behandeln.

Victor befühlte unterdessen weiter die dicke Lippe, die er so oft so gern riskierte, und warf der Rothaarigen dabei zaghafte eindeutige Blicke zu.

 
 

~~~

 

Verlassenes Industriegelände

 

Die verfallene Ruine einer alten Fabrikhalle trotzte noch immer tapfer der Witterung, obwohl sie seit über zehn Jahren leer stand. Viele ihrer Fenster waren schon lange von irgendwelchen Vandalen eingeschlagen worden und ließen das Tageslicht in den Innenraum einfallen. Verkrusteter Schmutz an den Wänden offenbarte die Wege, über die der Niederschlag von der Schwerkraft getrieben vom Dach auf den Boden gelangte. Moos wuchs in der Richtung, aus welcher der Regen kam. Am letzten Rest des Gestells eines ehemaligen Beladungskran war ein Basketballkorb angebracht worden. Auch er hatte schon bessere Tage gesehen. Con nur noch einem der drei Bolzen gehalten, ließ ihn sein Eigengewicht in Schlagseite herabhängen. In einer gewaltigen Vertiefung auf dem einstigen Parkplatz entstanden nach Regenfällen oft knöcheltiefe Pfützen. Doch momentan handelte es sich nur um eine Ansammlung von staubigem vertrocknetem Schlamm.

Im Inneren der Halle sah es nicht viel besser aus. Das spärliche Licht offenbarte die gähnende Leere des Gemäuers. Früher produzierten hier schwere Maschinen, nun konnte man nur noch anhand der Schadstellen im Beton erahnen wo sie einmal standen.

Diesen Ort erwählte Darius Simmons für das Treffen.

Damals, als sie noch Kinder waren, spielten sie oft hier. Er verband viele schöne Erinnerungen mit diesem Ort - nicht nur seinen opulenten Afro von einst. Leider musste er viel zu schnell Erwachsen werden und mit seiner alten Schaumfrisur täte ihn niemand ernst nehmen. Später mauserte sich die alte Fabrik zur idealen Location für seine ominöse Deals. Darum erschien sie auch für das bevorstehende Geschäft mehr als geeignet.

Der junge afroamerikanische Mann und seine drei Begleiter warteten jetzt schon seit einer halben Stunde. Einer der Anderen ergriff das Wort. “Ähm, Boss?”, fragte er. Es war der einzige, dessen Haut keine übermäßig starke Pigmentierung aufwieß. “Glaubst du, dass der noch kommt?”

“Bist du blöd, Toast?!”, ging Darius ihn an. Um sich Gehör zu verschaffen, versetzte er ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. Das förderte bekanntlich das Denkvermögen! “Wir haben immerhin etwas was er will.”

Ein seltsames Geräusch erregte plötzlich die Aufmerksamkeit der Männer.

Einer von ihnen leuchtete mit einer Taschenlampe in die Richtung aus der es zu kommen schien. Es war die von innen verriegelte Tür. Luftfeuchtigkeit kondensierte zu einem eisigen Beschlag und begann sich auf der Oberfläche auszubreiten. Die Temperatur im inneren der Halle sank spürbar um mindestens drei Grad ab.

“Da ist er ja schon!”

Auf dem plötzlichen Kälteeinbruch erfolgte das Donnern eines Männerschuh mit schweren Sohlen, welcher immer wieder kinetische Energie auf das Schloss ausübte, bis es endlich nachgab. Die Tür sprang auf und gab einem von zuvor ungekannter Rage erfüllten Lamar den Weg frei. Wutschnaubend drang er in das Innere der Halle ein. “Wo ist Kayla?!”, stellte er die Anwesenden zur Rede.

Darius breitete einladend die Arme aus, wie zur Begrüßung eines alten Freundes, und setzte sein schönstes falsches Lächeln auf, während er immer näher kam. “Willkommen, Bruder!”, tönte er zynisch.

Lamar griff an seinen Hosenbund und offenbarte sein schlagkräftiges Argument: Seine Cigar F225, eine Kaliber .36 Pistole. Eine kleine Waffe, welche sich allerdings gut verbergen ließ. Er richtete sie auf den sichtlich überraschten Darius, welcher nicht damit rechnete. “Wo ist meine Schwester?!”, forderte Lamar erneut zu wissen.

Hastig zogen die übrigen Anwesenden ebenfalls ihre Waffen und richteten sie auf den Eindringling.

“Chill mal, Digga!”, versuchte Darius zu beschwichtigen.

Aber der Kahlrasierte dachte nicht im Traum daran sich zu beruhigen. “Halt’ deine dämliche Fresse!” Es ging hier um seine Familie. Da kannte Lamar weder gute Umgangsformen noch irgendeine Form von Zurückhaltung. “Wo ist Kayla?! Gib sie her oder ich verpasse dir feigen Schwanzlutscher ne Kugel!”

 

FORTSETZUNG FOLGT...

Entführt


 

“Wer den Feind umarmt, macht ihn bewegungsunfähig.”

(Nepalesisches Sprichwort)

 

Verlassenes Industriegelände

Liberty Bay, 17. April 2037

 

Staubpartikel glänzten in dem spärlich durch die eingeschlagenen Fenster der alten Fabrikhalle eindringendem Tageslicht. Es war die einzige Helligkeit in dem Gebäude, welches vollkommen verlassen seit Jahren den ausgegrabenen Pflastersteinen von einem nahen schmalen Fußweg und anderen Wurfgeschossen des üblichen randalierenden Klientel ausgesetzt war. Das Licht stach durch die Dunkelheit und wurde von den metallisch glänzenden Schusswaffen der Männer im Gebäudeinneren reflektiert.

Lamar richtete seine Waffe auf Darius, welcher Minuten zuvor auf dem Telefon der Sozialarbeiterin Alicia angerufen und die Behauptung aufgestellt hatte, seine Schwester in seiner Gewalt zu haben. Lamar wollte nun sein durchschlagendes Argument in Form einer Handfeuerwaffe einsetzen und ihn überzeugen, seine Schwester doch bitte gehen zu lassen.

Hinter dem selbst unbewaffneten Darius standen seine Gang. Seine Jungs versuchten ihrerseits mit ihren Waffen überzeugend auf Lamar einzuwirken. Da waren zum einen Levin und Noah. Brüder. Jeweils 19 und 17 Jahre alt. Ebenso wie Lamar und ihr Boss handelte es sich bei ihnen um Afroamerikaner. Eindeutig aus der Klischeestraßengang herausstechen tat Finn. Er war der einzige Weiße und ließ sich von den anderen meist herumkommandieren.

“Sei nicht so unentspannt, Nigger!”, beschwichtigte Darius.

“Du hast meine Schwester!”, klagte Lamar an. “Und Ich bin nicht dein Nigger!”

“Ich bin ein Nigger. Du bist ein Nigger.” Erneut breitete Darius für einen Moment seine Arme aus. “Wir sind alle Nigger!”

“Ähm, Boss!”, mischte sich Finn sein. “Ich bin kein-”

“Halt die Fresse, Toast!” Der Bandenchef wandte sich seinem Untergebenen mit scharfem Tonfall zu. “Wenn ich sage, du bist ein Nigger, dann bist du ein Nigger! Kapiert?!”

“O-Okay, Boss!”

Darius setzte seinen Weg zu Lamar fort. “Bruder!”, versuchte er es noch einmal.

“Ich bin auch nicht dein Bruder”, widersprach Lamar.

“Du bist eine harte Nuss… Erinnerst du dich nicht mehr an früher? Als wir noch gemeinsam für den alten Boss Pakete zugestellt haben.”

Dinge von A nach B bringen - darin war Lamar schon immer gut. Darius spielte auf etwas an, das er verdrängt und am liebsten vergessen hätte. “Höre auf zu labern! Rück meine Schwester raus!”

Unbeirrt kam Darius seinem Freund aus Kindertagen näher.

“Bleib stehen, sonst-”

“Sonst was? Du erschießt mich nicht! So dumm bist du nicht. Dann knallen dich meine Jungs ab. Und wer rettet dann Kayla?”

Das dreckige Grinsen auf Darius’ Visage lud Lamar förmlich dazu ein, das Magazin seiner Waffe in dessen hässlichen Grinsen zu entleeren. So gern er dieses verlockende Angebot auch wahrgenommen hätte, so musste er sich eingestehen, dass Darius Recht hatte. Er konnte es sich nicht erlauben, hier und jetzt sein Leben wegzuwerfen. Er spürte die Schweißperlen über seinen kahlen Schädel laufen.

“Nein, du drückst nicht ab.” Darius setzte seinen Monolog fort, als bezweckte er damit Lamar in eine Trance zu quatschen. Zwar besaß er keine derartige Fähigkeit, dennoch verfehlten die Worte nicht ihre Wirkung. “Wenn ich mich nicht in ein paar Minuten melde, verpasst Kai deiner Schwester eine Kugel.”

Kai. Ausgerechnet der! Lamar kannte ihn noch von früher. Er war absolut loyal gegenüber Darius und befolgte jeden seiner Befehle, ohne sie zu hinterfragen. Er war ein skrupelloser Bastard, welcher bestimmt keine Probleme damit hatte, sich an Behinderten zu vergehen. Sei es auf die eine oder auf die andere Art. Allmählich lockerte sich der angespannte Griff um Lamars Waffe und sein Arm begann abzusinken.

Sofort wurde die aufkommenden Zweifel von Darius bemerkt. Er griff nach der Waffe und die beiden jungen Männer rangelten um die Kontrolle des Tötungsinstruments. Währenddessen zielten die drei Handlanger nervös auf den eng umschlungenen Haufen Mensch. Wie sollte man da den richtigen anvisieren? Ein gezielter Stoß mit dem Ellebogen generierte genug Momentum zu Darius’ Gunsten, dass er Lamar die Waffe endgültig abnehmen und sich triumphierend über ihn erheben konnte.

Auf der anderen Seite des Laufs hatte es Lamar zuvor eindeutig besser gefallen. Im Angesicht der eigenen Waffe hob er die Hände und signalisierte so, dass er aufgab.

“Guter Junge”, lachte Darius und versetzte seinem Gegenüber einen Schlag mit der Unterseite des Pistolengriffs. Der Angriff setzte Lamar sofort außer Gefecht, sodass er sich bewusstlos auf dem verfallenen Betonboden der Halle wiederfand.

 
 

~~~

 

Operationsbasis von Last Seed

20. April 2037

 

Die letzten Tage hatte man Merrill nicht aus diesem Zimmer gelassen. Es war das gleiche, indem sie zuvor schon einmal gewesen war. Das gleiche Schiffsambiente wie zuvor, inklusive des Bullauges, das nicht weiter zeigte, als Schwärze. Sie hatte es sich vollständig bekleidet auf dem Bett bequem gemacht. Von ihm aus sah sie den Kleiderschrank und daneben die Tür zu einem winzigen Badezimmer, in dem sie sich fühlte, wie in einen Hamsterkäfig eingesperrt. Glücklicherweise gab es statt Einstreu und eines Hamsterrad ein Spülklosett, ein Waschbecken und eine Duschkabine. Unglaublich, wie viel man auf so wenigen Quadratmetern unterbringen konnte. Zuhause bei ihren Eltern war die Toilette allein größer als beide Räume zusammen. An der spartanischer Einrichtung hier hatte sie sich in den letzten Tagen endgültig sattgesehen. Langsam fragte sie sich, ob sie nicht doch eine Gefangene war, auch wenn Victor nicht müde wurde das Gegenteil zu behaupten, wenn er ihr zweimal täglich auf die Ketten ging. Er brachte stets etwas zu Essen mit, was die Sache wenigstens ein bisschen erträglicher machte.

Wenigstens hatte sie noch ihr Handy. Zwar gab es hier kein Netz - was für eine Überraschung - aber immerhin konnte sie die Uhrzeit sehen und sich mit Spielen die Langeweile vertreiben.

Eigentlich musste es gleich wieder soweit sein.

Ein weiterer Besuch von Victor stand bevor.

Als ob der Gedanke an seinem Namen ihn heraufbeschwor, wie eine mystische Zauberformel einen unheilvollen Geist, öffnete sich schon im nächsten Moment die Tür und er trat in das kleine Zimmer ein. Dieses Mal führte er kein Tablet mit sich, sondern zwei kleine Boxen mit einem großen grünen Drachen darauf. Verwundert sah ihn die Rothaarige an, als wolle sie ihn fragen, was er da mitgebracht hatte.

“Ich dachte Chinesisch wäre cooler als das Zeug, dass die hier kochen”, beantwortete Victor ihre Frage, ohne dass Merrill sie aussprechen musste. Er stellte die Nudelboxen auf dem kleinen Tisch ab und setzte sich erwartungsvoll auf einen der Stühle.

Merrill blieb auf dem Bett liegen und wirkte desinteressiert.

“Chinesisch ist nicht so dein Fall?” Ein Grummeln so laut, dass er es bis zu sich hören konnte, fungierte als ihre Antwort.

Endlich zeigte Merrill eine Reaktion und verließ die Schlafgelegenheit. “Ach gib her das Zeug! Ich hab Knast!”, tönte sie und setzte sich ihm gegenüber auf den anderen Stuhl.

Victor schob ihr eine der Nudelboxen zu. Danach machte er sich an der eigenen zu schaffen und entfernte die Packung mit den Holzstäbchen. Er öffnete das Behältnis und der Geruch von scharf gewürzter Soße erfüllte den Raum. Intelligent! Hier konnte man nicht lüften! Victor riss die Tüte auf, holte die Stäbchen heraus und trennte sie. Sogleich benutzte er das Essbesteck, stocherte in der Box herum und schob sich Nudeln in den Mund. Er sah, das Merrill noch nicht mit Essen angefangen hatte, saugte die weit aus seinem Mund heraus hängenden Nudeln ein und fragte mit hörbar vollem Mund: “Warum isst du nicht?”

“Bin ich eine Gefangene?”, fragte sie aus heiterem Himmel.

Victor starrte sie an, als ob sie ihn fragte, ob es den Weihnachtsmann wirklich gab.

“Ich darf seit drei Tagen nicht raus. Das klingt schon sehr nach Gefangenem.”

“Deine Schulter sollte erst mal abheilen”, erklärte Victor. “Die Polizei sucht überall nach jemanden mit einer Schussverletzung. Wir wollen vermeiden, dass man dich aufgreift und ein paar unangenehme Fragen stellt.”

“Ach so.” So richtig schlüssig klang das für sie nicht. Sie musste allerdings eingestehen, dass das Zeug, dass ihr von diesem Doktor Mitchell am ersten Tag gespritzt wurde, tatsächlich seine Wirkung nicht verfehlte und ihre Schulter inzwischen soweit abgeheilt war, dass sie die Armschlinge gar nicht mehr brauchte. Sie lag stattdessen im Kleiderschrank bei den Büstenhaltern - sie wusste einfach nicht wohin mit dem Ding.

“Sieht aber gut aus. Du kannst bestimmt bald wieder zurück. Es gibt da nur ein kleines Problemchen, was die Sache etwas verkompliziert. Wir haben dir das bisher nur nicht gesagt, um dich nicht zu beunruhigen.”

Während Victor redete und redete, öffnete Merrill Box und Stäbchenpackung und begann nun selbst die fernöstliche Kost mit ihr Eins werden zu lassen.

“Dir sind bestimmt schon die Kameras in deiner Universität aufgefallen. Während des… Vorfalls zeigen sie aber nichts als leere Gänge. Jian meint, da hat jemand das echte Material verschwinden lassen und stattdessen einen Loop eingespielt. Wir versuchen herauszufinden, wer das war. Mehr wissen wir leider nicht.”

“Aha.” Immer mehr Nudeln verschwanden in dem schlanken Mädchen.

Victor sah ihr beim Essen zu und lächelte dabei.

“Was grinst du so dumm?”, stellte Merrill ihn zur Rede.

“Ach nichts”, meinte er. “Schön wenn es dir schmeckt. Der Asiate um die Ecke hat Wucherpreise dafür verlangt. Kleines geldgeiles Backpfeifengesicht! Trotzdem, schön. Ich finde du solltest meins auch noch nehmen.”

“Hast du ein Rad ab?”

“Ein bisschen mehr auf die Rippen bekommen…”

Das war ihr auch noch nicht untergekommen. Ein Kerl, dreist genug ihr zu sagen, dass sie zu dünn sei. “Ich nehm’ gleich eins der Stäbchen und schieb es dir dahin, wo keine Sonne scheint!” Frechheit! Was konnte sie denn dafür, einen aktiven Stoffwechsel zu haben?

Schützend erhob Victor die Hände. “Ich mache doch nur Spaß!”

“Schon für dich. Ich nicht!” Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie wirkte auf einmal bedrückt, als ob ihr etwas unangenehm wäre.

Victor fiel das natürlich sofort auf. “Was guckst du so bedeppert? Musst du aufs Klo?”

“Nein, verdammt!” Merrill schlug auf die lächerliche Aussage des Schwarzhaarigen mit beiden Fäusten auf den Tisch und ließ so die Nudelboxen hüpfen. “Ich würde nur gern meine Mutter anrufen. Die Textnachricht vorgestern ist ein bisschen wenig.” Wortlos tagelang zu verschwinden wäre mindestens genauso verdächtig gewesen. Darum schlug Merrill vor, ihrer Mutter eine Nachricht zukommen zu lassen. Über ein virtuelles Netzwerk hatte Merrill auf ihren Account in den sozialen Netzwerken zugegriffen und ein paar Freunde erfunden, bei denen sie ein paar Tage bleiben wollte. Aber wirklich daran glauben, dass ihre Mutter diese Kröte geschluckt hatte, konnte sie auch nicht.

 

Verlassenes Industriegelände

 

Das schwere Stück Metall in ihrer Hand war Mandy fremd. Für gewöhnlich nutze sie entweder ihre Fäuste, ihre Fähigkeiten oder auch “alternative” Techniken, wie Mr. Rivera es gern bezeichnete, wenn sie ihr Äußeres für die Mission in die Waagschale warf. Da das letzte Lebenszeichen ihres Kameraden Lamar inzwischen schon drei Tage zurück lag und er seit zwei Tagen überfällig war, entschied ihr Vorgesetzter nach ihm zu suchen. Ohne einen Backup-Plan loszuziehen war jedoch viel zu gefährlich. Aus diesem Grund nahm sie nicht nur eine dicke Knarre mit, sondern auch zusätzlich zwei Komparsen vom Sicherheitspersonal mit noch dickeren Muskeln.

Das Signal von Lamars In-Ear konnte zu einem alten verkommenen Fabrikgebäude irgendwo tief in der Pampa zurückverfolgt werden. Allein schon beim Anblick dieser halben Ruine lief es der Blondine kalt den Rücken runter. Ein verfallenes Gemäuer kaum angestrahlt vom schummrigen Tageslicht des bewölkten Himmels und halb versunken in den Überresten des trüb tückischen Nebels eines Aprilmorgen, war der Stoff aus dem üble Albträume und blutrünstige Horrorfilme gewebt wurden.

Es verleitete Mandy sich einmal kräftig zu schütteln.

Das unwohle Gefühl verflog anschließend schnell. Möglicherweise half auch das Wissen, im Fall der Fälle zwei weitere Pistolen zur Verfügung zu haben. Ob Superkräfte oder nicht, sie war immer noch ein sechzehnjähriges Mädchen.

Besonnen schritt das Dreiergespann voran. Sie nutzten alle Objekte aus, welche ihnen Sichtschutz gewährten, bis sie die gewaltsam aufgebrochene eiserne Eingangstür erreichten. Während ihre Begleitung in das Innere eindrang, nahm Mandy die Beschädigungen an dem Schloss kritisch in Augenschein. Der Schließmechanismus des Schlosses war von einem sauberen Bruch zerstört worden. Anzeichen dafür, dass extreme Kälte am Werk gewesen sein musste. Das war Lamar, dachte sie.

Als die beiden Männer ihr zuriefen, dass es sicher war, betrat auch sie das Innere der Halle. Man konnte nur schwerlich etwas ausmachen.

Mandy nahm eine Taschenlampe zur Hilfe und suchte den Boden ab.

Von irgendwo hier kam das Signal des Kommunikationsgerätes.

Suchend bewegte sich der Lichtkegel der Taschenlampe über den Boden, bis etwas kleines schwarzes in ihm zum Vorschein kam. Sofort begab sich die Blondine zu dem Gegenstand und hob ihn an. Es handelte sich tatsächlich um einen In-Ear, wie er von Last Seed verwendet wurde. Mutmaßlich war er entweder aus Lamars Ohr gefallen, als er gekämpft hat, oder die Verantwortlichen für sein Verschwinden hatten das Gerät entdeckt und entfernt. Dass es augenscheinlich keine Schäden aufweist, war ein Indiz für das erste der beiden Szenarien. Mandy hob den In-Ear auf und steckte ihn ein. Danach griff sie nach dem in ihrem Ohr und erstattete Bericht an Mission Control.

 

Apartmentkomplex nahe Median Park

 

Viel mehr als die Wand anzustarren war Lamar in den letzten drei Tagen nicht übrig geblieben. Wenn vier Männer ausreichend lange in einer Zweizimmerwohnung zusammengepfercht werden, muss man irgendwann Geräusche und Gerüche wahrnehmen, von denen man zuvor nicht wusste, das Menschen überhaupt dazu in der Lage waren, diese zu erzeugen oder abzusondern. Seitdem er sich von Darius und dessen Stiefelleckern hatte überwältigen lassen, ließen sie ihren designierten kahlköpfigen Komplizen nicht mehr aus den Augen. Er brauchte seinen Jugendfreund nur lang genug nerven und Darius ließ Lamar kurz mit dessen Schwester Kayla sprechen, welche von Kai, dem einzigen nicht anwesenden Bandenmitglied, an einem ihm unbekannten Ort gefangen gehalten wurde.

Als er bewusstlos geschlagen wurde, musste er unbedingt auf die Seite fallen, in welcher sein In-Ear im Ohr steckte. Natürlich war das verdammte Ding herausgefallen und so Kommunikation mit Last Seed nicht möglich. Sein Handy hatte man ihm natürlich auch abgenommen. Er musste wohl schon dankbar sein, das keiner seiner Entführer das kleine schwarze Gerät auf dem Asphaltboden bemerkte. Wenn es zudem von niemanden unbewusst zertrampelt worden war, würden seine Freunde bald die alte Fabrik finden und zu dem Schluss kommen, dass ihm etwas zugestoßen sein musste.

Nur wie sollte ihm das in dieser Situation helfen?

Er benötigte dringend eine Möglichkeit, seine Verbündeten zu kontaktieren.

Zwar hatte er bereits versucht, heimlich das Handy eines unaufmerksamen Gangmitglieds zu benutzen, allerdings wurde dies bemerkt und er bezahlte seinen Vorstoß mit einem Schlag in die Magengrube. Darius mochte ihm früher nahe gestanden haben, doch inzwischen konnte er nichts mehr auf diese alte Freundschaft geben.

Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm die Grünanlagen des Median Park, eines großen rechteckigen Gartens, welcher auch als grüne Lunge von Liberty Bay angesehen wurde.

Etwas Ablenkung von der Situation wäre schon nicht schlecht.

Lamar entschied, sich direkt an das Fenster zu stellen und hinaus auf die sprießenden Blätter der erwachenden Bäume zu schauen. Dabei erinnerte er sich an den See mit der steinernen Brücke, auf der er als Kind immer Stand und die Wasservögel fütterte. War da nicht auch eine… Das könnte die Rettung sein! Lamar musste unbedingt herausfinden, ob sie sich immer noch an Ort und Stelle befand. In Gedanken verharrte er eine unbekannte Zeitspanne, bis es Darius sichtlich auf den Nerv zu gehen schien.

“Hast du nichts besseres zu tun, Diggah?!”, fragte der Bandenchef provokant.

“Tatsächlich nicht”, erwiderte Lamar. “Ich bin eingesperrt mit drei Kerlen und stinke mit ihnen um die Wette.”

Finn schreckte ertappt von seinem Laptop auf und schnüffelte unter den Achseln.

“Dein Gegaffe geht mir sowas von auf den Sack! Willst du in den Park?”

Das war leichter als erhofft. “Einfach mal den Kopf frei bekommen. Ich will etwas anderes als deine Ausdünstungen inhalieren.”

“Dann rauch mal was!”

“Ich ziehe frische Luft vor.”

“Alter, der Boss ist nicht dumm!”, zischte Levin giftig aus seiner Ecke. “Du willst doch nur abhauen und den Bullen stecken, was wir vorhaben?”

“Glaubst du echt, ich mache das?!”

“Nein, so dumm bist du nicht”, stellte Darius fest.

“Genau!”, schrie Levin in völlig überzogener Lautstärke und ohne die geringste vorangegangene Provokation. “Wenn du uns anscheißt, dann probiert Kai an deiner bekloppte Schwester aus, wie viele Kugeln in ihren hohlen Schädel passen!”

“Fick dich, du Penner!”

“Ruhig, Nigger! Ruhig!”, beschwichtigte Darius.

“Ich bin nicht dein Nigger!”

“Ja, man. Chill mal!” Darius setzte ein unbeschreibliches Grinsen auf. “Du willst also in den Park? Kannst du haben.” Er wandte sich Noah zu, welcher wie immer völlig ruhig sein eigenes Ding drehte. Ihm wahrsten Sinne des Wortes, denn er war drauf und dran, in einem handelsüblichen Stopfer gewöhnlichen Tabak und Marioanah zu einem Joint zu verarbeiten. “Noah, du passt auf ihn auf.” Darius näherte sich Lamar an und zeigte mit dem nackten Zeigefinger auf ihn. “Wenn du irgendeine dämliche Aktion machst, sag ich Kai, das er sich nicht mehr zurückhalten braucht. Klar?!”

“Klar!”

In Begleitung des Schweigsamen Noah verließ Lamar die überfüllte Wohnung. “Und wenn du ihn schon mal Gassi führst, Noah”, hörte er Darius seiner Begleitung noch nachrufen, “dann bring Gras mit! Hast ja schon fast alles weggeraucht!” Das täte ihm so passen, dass er sich daran beteiligte, Drogen zu beschaffen. Nein, Lamar hatte andere Pläne.

 

Nahe Nightyearn Street

 

Völlig blind ließ sich Merrill von Victor an einen ihr unbekannten Ort bringen. Obwohl ihre Augen verbunden waren und sie nicht sehen konnte, wie die Umgebung an ihr vorbei sauste, spürte sie doch jede Kurve, jedes Bremsmanöver und jede Beschleunigung, während Victor sich hinter dem Steuer des weißen Sportwagens austobte. Gewissermaßen war es glückselige Unwissenheit das nicht mit ansehen zu müssen.

“Wie lange willst du das Spiel noch treiben?”, fragte die Rothaarige den Fahrer. Sie bezog sich dabei auf ihre verbundenen Augen.

“Solange du nicht bei uns mitmachst, darfst du nicht wissen, wo das Versteck ist”, erklärte Victor. “Reine Vorsichtsmaßnahme!”

“Und wo bringst du mich hin?”

“Zu einer Telefonzelle?”

“Sowas gibt es noch?”

“Hast du in Geschichte nicht aufgepasst? Während des Krieges ist die Versorgung mit Mikrochips eingebrochen. Verständlich! Ich würde auch nicht mehr in das Land liefern, das mich mit Bomben bewirft. Das war damals das Ende der Smartphones. Die Dinger wurden einfach unbezahlbar. Darum hat man wieder angefangen, die alten Telefonzellen in Betrieb zu nehmen. Inzwischen gibt es wieder Handys, aber einige sind heute noch aktiv.”

“Aha”, sagte Merrill unbeeindruckt.

Victor kam nicht drumrum ihr Desinteresse zu bemerken. “Also eigentlich kommt das bei jeder gut an, wenn ich mein Wissen auspacke.”

“Solange das das einzige ist, was du auspackst!”

Ein breites Grinsen schlich sich auf der Visage des Schwarzhaarigen ein. “Du kleines versautes Singvögelchen.”

Merrill ignorierte seinen Kommentar.

Victor hielt die Konversation am laufen. “Also eigentlich schuldest du mir für deine Rettung noch ein Date.”

Jetzt glaubte sie sich verhört zu haben. “W-Was?!” Sie spürte, wie sie errötete und versuchte es zu überspielen. “V-Vielleicht in irgend so einem billigen B-Movie!”

“Weißt du, das Leben könnte genauso gut eine Geschichte sein, geschrieben von einem drittklassigen Hobbyautor, der sich für einen begnadeten Schriftsteller hält.”

“Das würde zumindest deine schlechten Sprüche erklären!”

“Ich will nur darauf hinaus, dass man niemals nie sagen sollte.”

“Mmph!” Merrill wandte ihre verbundenen Augen von Victor ab.

“Vor allem nicht bei dem, was dir entgehen würde.”

Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt?! Dieser eingebildete Fatzke! Wie groß konnte ein Ego sein? Bevor sie mit so einem Typen wie ihm ausginge, würde zuerst die Hölle zufrieren! “Sind wir endlich da?”, fragte sie anschließend. Wie weit konnte diese verdammte Telefonzelle bitteschön entfernt sein? “Du fährst mich doch nicht etwa stattdessen in irgendein Hotel, um über mich herzufallen?”

“Ach, das ist es also, was du wirklich willst!”, ärgerte Victor seine Beifahrerin. “Immerhin hätten sie da auch Telefone.”

Merrill war heilfroh, als ihr ihre übrigen Sinne verriten, dass Victor den frisch reparierten Sportflitzer endlich unfallfrei zum stehen brachte.

“Wir sind da!”

“Kann ich dann endlich die Augenbinde abnehmen?” Merrill wartete gar nicht erst auf eine Antwort und riss sich ungefragt das Stück Stoff vom Gesicht. Das erste, auf das ihr Blick fiel, war das versprochene öffentliche Telefon, welches an einem Laternenpfahl angebracht war. Allerdings gab es keine Kabine, wie man vielleicht bei der Bezeichnung ‘Telefonzelle’ vermutet hätte, sondern nur links und rechts je eine Plexiglasscheibe, in die kleine Löcher in der Form eines Telefonhörers gestanzt waren. Dann sah sie sich weiter um und erkannte nichts wieder. Sie war noch nie zuvor in diesem Teil der Stadt gewesen. Die Häuser waren zwar nicht heruntergekommen, wirkten aber als ob die letzte Renovierung lange vor dem Krieg gewesen wäre. “Hast du mich doch in die Pampa verschleppt?”

“Nein, nur ans andere Ende der Stadt”, verkündete Victor großspurig.

Die Laune des Rotschopfs wurde nicht besser. “Ich hab ein Handy. Anstatt es mir wegzunehmen, hättest du dir den Sprit für die Fahrt sparen können.”

“Dein Handy bleibt vorläufig abgeschaltet im Versteck. Befehl vom Rivera. Nicht das noch einer auf die Idee kommt, deine Koordinaten zu triangulieren, sobald wir ausgeflogen sind.”

Unbeirrt kramte Merrill in einer Hosentasche nach ein paar Geldstücken, welche sie extra für diesen Anruf mitgenommen hatte, und nahm den Hörer ab. Sie versenkte die erste Münze in dem öffentlichen Telefon. Das Geldstück fiel direkt durch die Maschine hindurch in die Wechselgeldschale. Mit einem genervten Murren auf den Lippen versuchte es Merrill erneut, kam jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis.

“Du solltest kein Falschgeld da reinschieben”, kommentierte Victor geistreich.

“Ach, halt die Klappe!”, fauchte Merrill zurück.

Eine Chance gab sie dem verdammten Ding noch. Der Quarter verschwand im Schlitz des antik anmutenden Gerätes und endlich drangen die Geräusche der in den Geldbehälter fallenden Münze aus dem Gehäuse nach außen und verhießen Merrill, dass sie endlich mit der Eingabe der Nummer beginnen konnte. Sie gab die Zahlen der Rufnummer ihres Elternhauses ein und wartete.

Das übliche Klingelzeichen drang an ihr Ohr.

Während sie wartete, sah sie Victor fordernd an. “Hau ab, das wird ein Privatgespräch!”, gab sie ihm zu verstehen, als er nicht Folge leistete.

“Die Privatsphäre wurde schon lange vor unserer Geburt abgeschafft”, konterte der Schwarzhaarige. “Wir können nicht riskieren, dass du uns hinterrücks in die Pfanne haust.”

“Ihr seid wirklich vertrauensselig.”

 “Müssen wir als Untergrundvereinigung, die sich mit Staat, Privatorganisationen und der Mafia gleichermaßen anlegt, auch sein. Außerdem machst du es uns nicht leicht.”

“Sorry, dass ich nicht einfach so mein altes Leben aufgeben und euphorisch bei den X-Men für Arme mitmachen will.”

Endlich nahm ihr Gegenüber das Telefon ab.

“O, Hallo Virgil”, grüßte Merrill den Mann am anderen Ende der Leitung. “Können Sie mir bitte meine Mutter geben?” Bei Virgil handelte es sich um den hauseigenen Butler. Merrills Eltern waren nicht einfach nur wohlhabend, sondern stinkreich. Der Bedienstete erfüllte ihren Wunsch und schon bald hörte Merrill die vertraute Stimme von Candice Sturm, ihrer Mutter. “Hallo, Mum!”, grüßte Merrill zurück.

“Schatz, wo treibst du dich nur rum?”, fragte die ehemalige Influencerin. Lange vor Merrills Geburt war sie eine Größe auf Videoplattformen und gab Schminktipps. Es war derart lukrativ, dass sie schon bevor sie ihren späteren Ehemann Harald kennenlernte, ein ansehnliches Auskommen durch Sponsoring einfuhr. “Wir haben uns solche Sorgen gemacht!” Die Stimme der Frau wurde mit jedem Wort aufgelöster. Man konnte die Angst um ihr Fleisch und Blut fast greifen. “An deiner Uni gab es einen Amoklauf! Und du bist seit Tagen nicht rangegangen.”

“Aber ich hab dir doch geschrieben.”

“Glaubst du die paar Worte reichen mir? Sag mir, wo bist du?”

Gestresst sah sie zu Victor, der einfach nur seinen Kopf schüttelte. “Ich bin bei Freunden”, log sie anschließend “Ich bin bei dem Amoklauf… g-gerade so davon gekommen. Ich musste mich erst von dem Schock erholen.”

“Wo wohnen deine Freunde? Ich schicke unseren Chauffeur, dass er dich abholt.”

“Mum, ich kann alleine Fahren!”

“Etwa auf diesem schrecklichen Motorrad, dass dir dein Vater unbedingt kaufen musste, obwohl ich gesagt habe, er soll das lassen?”

“Ja, genau das Ding!” Eigentlich stand ‘das Ding’ noch immer vor der Universität, aber das musste sie ihrer Mutter nicht unbedingt auf die Nase binden.

“Wann kommst du endlich wieder nach Hause?”

“Weiß nicht, ist gerade so spannend hier. Sie wollen mich am Liebsten gar nicht gehen lassen.” Merrill warf Victor einen vielsagenden Blick zu. “Die haben so ein Projekt am Laufen und wollen unbedingt, dass ich ihnen was singe.”

“Och, das ist ja toll. Hoffentlich darf deine liebe Mutter das auch mal hören.”

“Aber klar.” Merrill legte eine Kunstpause ein. “Sag mal, was macht Dad eigentlich?”

“Hat sich vergraben im Online Banking. Will sich wohl ablenken…”

“Also alles beim alten.”

“Willst du ihn auch sprechen?”

“Ne, lass ihn mal machen.”

“Okay.”

“Ich muss dann mal. Ciao, Mum!”

“Mach’s gut, mein Engel. Ich hab dich lieb!” Merrill beendete das Gespräch und hing den Hörer zurück in seine Halterung. Sie nahm sich einen Moment und atmete durch.

 

In schummrigen Licht saß eine Gestalt vor einem Monitor. Sie trug ein Headset. Die Finsternis verhüllte ihre Züge, sodass man nicht erkennen konnte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Der Unidentifizierbare fegte mit den Fingern über die Tastatur vor ihm. Ein Fenster erschien und wenig später startete eine Audioausgabe.

“Schatz, wo treibst du dich nur rum?” Die Stimme einer besorgten Mutter drang aus den Kopfhörern, drauf und dran dem eigenen Kind eine Standpauke zu halten. “Wir haben uns solche Sorgen gemacht!” Langsam aber sicher steigerte sie sich in einen schrillen Tonfall hinein. ”An deiner Uni gab es einen Amoklauf! Und du bist seit Tagen nicht rangegangen.”

Uneinsichtig antwortete die Tochter: “Aber ich hab dir doch geschrieben.” Sie hegte offenbar die Hoffnung, die halb hysterische Frau auf diese Weise zu beruhigen.

Keineswegs vermochte es eine einfache Textnachricht eine besorgte Mutter zu beruhigen. “Glaubst du die paar Worte reichen mir? Sag mir, wo bist du?”

Die Gestalt lauschte weiter interessiert dem Gespräch der beiden Frauen.

 
 

~~~

 

Operationsbasis von Last Seed

23. April 2037

 

Seitdem Lamar sich nicht mehr zum Dienst gemeldet hatte, waren schon fünf Tage ins Land gezogen. Die einzige Spur zu ihrem Kameraden, die Last Seed zur Verfügung stand, war der verlorene In-Ear Stecker, welcher Mandy und das Suchteam zu einer alten verlassenen Fabrikhalle in einem Industriegelände geführt hatte. Leider konnten aus dem Ort keine weiteren Schlüsse gezogen werden. Er stand in keiner Verbindung zu Lamar. Zumindest keiner, die der Organisation bekannt war.

Mr. Rivera gab den Befehl, die städtischen Überwachungskameras anzuzapfen.

Diese Systeme waren vieles, aber ganz sicher kein Beispiel für IT-Security. Ein offenes Einfallstor für jeden drittklassigen Hacker. Gegen eine ganze Horde von Computerspezialisten hatten sie erst recht keine Chance. Obwohl sie eine Gesichtserkennungssoftware über die Aufnahmen laufen ließen, bedeutete es trotzdem rund um die Uhr zu warten, bis die unterschiedlichsten Surveillance Feeds von der Software abgearbeitet waren. Mögliche Fehlidentifikationen der Sofware kosteten zusätzlich Zeit.

Zeit, die sie vielleicht nicht mehr hatten!

Jian war entschlossen den Prozess zu beschleunigen und öffnete ein Fach an der innenseite seines synthetischen Arms. Aus ihm entfernte er einen schmalen USB-Stick, welcher an einen PC angeschlossen eine Bluetooth-Schnittstelle bereitstellte, über die sich Jians Geist in die Welt des Cyberspace bewegen konnte. Bei dieser Prothese handelte es sich um eine Spezialanfertigung, angepasst an seine Hirnströme. Er nutzte seine Fähigkeiten und drang in den Computer und danach das Netzwerk ein. Vor seinem inneren Augen erschienen alle Videos gleichzeitig und er hatte es zuerst schwer, damit umzugehen. Er fühlte sich schier überwältigt vom Fluss der Informationen. Aber dann gelang es ihm doch noch, die Situation zu beherrschen, und er fand wonach er suchte. Augenblicklich schickte er einen Link an seinen Rechner und führte den Dismount seines Bewusstseins vom Computersystem aus. Dann begann er konventionell in die Tasten zu hauen.

“H-Hey, Leute!”, machte er auf sich aufmerksam. “Ich habe ihn gefunden.” Ein paar Befehle später war das Fenster mit dem Video auf den interaktiven Tisch in der Mitte des Raumes umgeleitet. Es zeigte Lamar, wie er an drei Tagen immer wieder an der gleichen Stelle auf einer steinernen Brücke stand. Die Hände hatte er über die Balustrade gelegt und er starrte wie besessen in die Kamera, welche wohl gegenüber an einem Baum angebracht war, so wie am Rand einige Zweige in den Bildausschnitt rutschten. Auf dem Video war auch jedes mal der gleiche Mann zu sehen, welcher nicht weit von Lamar stand und ihn nicht aus den Augen ließ. Er machte sich sehr verdächtig.

“Wer zum Teufel ist der andere Kerl?!”, dachte Mandy laut.

“Die Gesichtserkennung erkennt ihn nicht.”

“Und?”

“Da wir uns die Software der Polizei ‘ausgeborgt’ haben, ist er nicht vorbestraft.”

“Aber Lamar ist vorgestraft?”

“Scheinbar… Ist ja auch egal. Gucke mal genauer hin.”

“Hä?”

“S-Siehst du Lamars Hände?”, fragte Jian zurückhaltend.

Mandy befolgte den Rat und fixierte ihre Augen auf dem Bild. Sie bemerkte das die Zeigefinger von Lamars Hand unter den Rand der Balustrade zeigten. Diese Stelle war für den Mann hinter Lamar nicht einzusehen. “Ach so”, verstand die Blondine. “Das will er also sagen.”

 

Median Park

 

Inmitten des beschaulichen Median Park führte die steinerne Brücke über einen künstlich angelegten See. Ihre Baluster erhoben sich aus dem Fußlauf in eine bauchige Form und stützten den massiven Handlauf ab, welcher doppelt so dick war, wie sein Gegenstück am Boden. Eine ältere Frau lehnte auf einer Seite und fütterte einige der Gänse, welche im See unter der Brücke schwammen. Die gefiederten Gesellen hatten hier überwintert, da sie wussten, dass ihnen das Essen förmlich in den Schnabel geschwommen kam. Weitere Passanten nutzten die Brücke zum Überqueren des Gewässers. Eine Frau mit Kinderwagen in der einen und den bereits eigenständig stehenden Nachwuchs in der anderen Hand schaute dem gierigen schnappen der Vögel nach dem altem Brot zu.

Zuverlässig filmte die Überwachungskamera die Szenerie von einem Baum auf einer Insel aus, genau gegenüber der Brückenseite.

Mandy erreichte den Übergang über das Gewässer. Sie trug weiße Bluetooth-Ohrstecker. Einer von ihnen war in Wirklichkeit ein Kommunikationsgerät. Sie tat so, als wolle sie sich am Ohr kratzen, um auffällig die Übertragung einzuleiten. “Ich bin jetzt da”, gab sie ihren Verbündeten durch. “Ich versuche jetzt den In-Ear zu platzieren.”

“Habe verstanden!”, antwortete das selbstsichere Alter Ego Jians. “Deponiere das Gerät wie besprochen direkt gegenüber der Kamera.”

“Alles klar.”

Den ganzen Weg vom Eingang des Parks bis hin zur Brücke kaute Mandy schon auf einem

Kaugummi herum. Inzwischen war auch der letzte Rest Pfefferminzgeschmack aus ihm herausgepresst. Der Speichel in Mandys Mundflora hatte den Kaugummi in eine klebrige Masse verwandelt. Ein wichtiger Teil des Plans!

“Stehe ich richtig?”, fragte die Blondine.

“Nein, noch ein Stück weiter… weiter… weiter… halt. Perfekt!”

Um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, beugte sich Mandy über den Handlauf und stützte dabei ihre Ellenbogen auf ihm ab. Mit gesenktem Kopf wartete sie auf den richtigen Moment. Als dieser gekommen schien und sie niemand beobachtete, griff sie beherzt in ihren Mund und entfernte den Kaugummi. Danach klebte sie ihn unter der Kante des Handlaufes fest. Als nächstes griff sie in ihre Hosentasche und nahm einen der gewöhnlichen In-Ear heraus. Diesen mogelte sie nun ebenfalls unter den Handlauf und presste ihn hinein in die klebrige Masse. Sie verweilte noch einen Moment, um sicher zu gehen, und verließ anschließend die Brücke.

 

Etwa eine halbe Stunde später war es wieder an der Zeit für Lamars tägliche “Gassi-Runde”, wie Darius es abfällig bezeichnete. Wie auch schon die Tage zuvor, kam Lamar in Begleitung von Noah in den Park und bewegte sich sofort in Richtung der Brücke. Es war ihm egal, was die anderen über seine Angewohnheit dachten. Ganz besonders kalt ließen ihn die Sprüche von Darius, welche nur dazu gut seien konnten, ihn zu provozieren. Insgeheim hoffte er, dass seine Freunde bei Last Seed endlich verstanden hatten, was er von ihnen wollte. Vielleicht waren sie aber noch nicht einmal auf die Bilder der Überwachungskamera gestoßen, obwohl er so biometrisch korrekt wie auch nur möglich von der immer gleichen Stelle aus in das Aufnahmegerät hinein gaffte. Hoffentlich erwies sich wenigstens dieses mal eine kriminelle Vergangenheit als hilfreich…

Lamar stellte sich an die Balustrade und begann sein tägliches Ritual in die gut versteckte Kamera zu starren. Gleichzeitig tastete er unter der Kante des Handlaufes und bekam etwas klebriges zu fassen. Das widerliche Gefühl an seinen Fingerkuppen ließ ihm die Mundwinkel verrutschen. In dem Gemisch aus Kaumasse und Speichel klebte ein Gegenstand aus Plastik. An seiner Form erkannte Lamar sofort, worum es sich dabei handelte. Ging es eigentlich noch ekliger, schimpfte er im Geiste. Er machte sich bereit das Gerät aus dem Kaugummi zu pflücken und in seine Tasche zu stecken.

“Hey!”, sprach ihn Noah plötzlich von der Seite an. Er umklammerte den Handlauf der Balustrade mit beiden Händen und sah Lamar dabei in die Augen.

Äußerlich völlig ruhig aber innerlich leicht erschrocken, ließ der Kahlköpfige den in der Kaumasse klebenden In-Ear an Ort und Stelle verweilen, brach den Augenkontakt zu der Überwachungskamera allerdings nicht ab.

“Wieso starrst du eigentlich immer in den Baum?”

“Ich denke nach”, erwiderte Lamar. Unfassbar! Musste er ihn unbedingt jetzt anquatschen?! “Ich kann auch gern woanders hin schauen.” Er gab sich alle Mühe so genervt wie möglich zu klingen. Demonstrativ sah er über seine linke Schulter, wo am anderen Ende der Brücke noch immer die alte Frau stand und die Wildgänse mit ihrem alten trockenen Brot mästete.

“Ist ja schon gut!”, meinte Noah. “Nicht so frostig.” Er entfernte sich wieder von der Balustrade. Endlich konnte Lamar das Gerät ansich nehmen. Kurz wandte Noah sich von ihm ab, um zur gegenüberliegenden Seite zurückzukehren. Von dort aus konnte er seiner Meinung nach am bequemsten über Lamar wachen.

Den kurzen Moment, den sein Aufpasser nicht zu ihm sah, nutzte Lamar aus und pflückte den In-Ear aus seiner Kaugummihalterung. Umgehend ließ er ihn in seinem Ohr verschwinden - so eklig das ganze auch war.

Den Rest seines Ausflugs über hüllte er sich in Schweigen.

Nicht das es für ihn out of Character gewesen wäre.

 

Operationsbasis von Last Seed

 

Zurück im Versteck gab Victor Merrill ihr Augenlicht zurück, indem er ihr das zur Augenbinde umfunktionierte schwarze Halstuch abnahm. Zuvor hatte er sie durch etwas geführt, was Merrill für eine Tiefgarage hielt. Vermutlich der Ort, an dem die ganzen fetten Schlitten und heißen Öfen aufbewahrt wurden.

“Wieso hast du mich wieder hier her geschleppt?!”, wurde Victor von der Rothaarigen sofort konfrontiert.

“Du hast deiner Mutter doch gesagt, dass du noch etwas bei deinen ‘Freunden’ bleibst”, antwortete Victor unverständig.

“Das hab ich doch nur gemacht, damit sich meine Mum raushält!”

“Ach so?” Victor tat, als ob er sich das nicht schon gedacht hatte. “Egal. Jedenfalls gehst du jetzt erstmal wieder auf dein Zimmer.”

“Ich bin doch kein kleines Kind mehr!”

“Wir lassen dich bestimmt nicht frei rumlaufen, solange du nur zu Besuch bist. Und ich habe auch keine Lust, die ganze Zeit auf dich aufzupassen!”

 

Gebannt verfolgte das Team die Live-Übertragung.

Mandy war bereits wieder von ihrem Auftrag zurück und wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Übergabe ein voller Erfolg gewesen ist.

Inzwischen hatten sich sie, Mr. Rivera und Melanie bereits um den Smart Table im Zentrum des Raumes versammelt, als sich die Tür zur Kommandozentrale öffnete und Victor in Begleitung eines augenscheinlich mies gelaunten Rotschopf eintrat.

“Wieso hast du sie mitgebracht?”, fragte Melanie in ihrem üblichen, teilnahmslosen Tonfall. “Wir befinden uns in einer Operation.”

“Das geht schon in Ordnung”, meinte Mr. Rivera. “Wenn wir Seniora Sturm als unsere Verbündete wollen, sollten wir sie auch teilhaben lassen.” Er wandte sich Victor zu. “Das war bestimmt auch Ihr Gedanke, Senior Krueger.”

“Na aber klar”, behauptete Victor.

“Ist doch gar nicht wahr!”, grätsche Merrill dazwischen.

“Stimmt! Du hast rumgejammert, dass du nicht allein sein willst.”

“Was?!” Merrill ballte die Faust. “Frechheit!”

Der Schwarzhaarige beantwortete es mit einem frechen Grinsen.

Mandy beugte sich über den Tisch zu Melanie. “Empfängst du auch diese Schwingungen?”, scherzte sie.

Melanie sah sie ein wenig perplex an. “Als Psionikerin kann ich dir versichern, dass hier keine ‘Schwingungen’ oder dergleichen sind.”

“Spürst du nicht, wie es zwischen denen knistert?”

Jetzt verstand Melanie, was Mandy ihr sagen wollte. “Da es sich bei Schallwellen und Elektrizität in beiden Fällen um Formen der Energie handelt und Menschen instinktiv genetisch kompatible Partner suchen, wäre das bei ihnen nicht überraschend.”

“Man bist du verklemmt! Stehst du nachts eigentlich in einer Ladestation?”

Die Brünette mit der strengen Brille ließ das unkommentiert stehen. Sie war äußerst empfindlich für Emotionen und Gedanken anderer Menschen. Um sich selbst zu schützen, musste sie früh lernen, ihre eigenen Gefühle abzuschalten und sich hinter einer imaginären Mauer zu verstecken, um nicht aufgrund der Reizüberflutung wahnsinnig zu werden. Wenn nur noch rational an Sachverhalte heranzugehen bedeutete, dass sie verklemmt war, dann stand es nicht in ihrer Macht, diesen Umstand zu ändern.

“S-Seid mal still”, legte Jian den beiden Nahe. “Ich glaube die besprechen da gleich irgendwas.”

Victor legte seine Hand auf Merrills Rücken und schob sie gegen ihren Willen in Richtung des interaktiven Tisches. Das ging natürlich nicht ohne Protest ihrerseits von statten. “Hey!” Bereits auf dem Rückweg hatte sich Victor die Eckdaten durchgeben lassen. Er war auf dem laufenden und wusste, das Lamar offenbar von mindestens einem Mann gefangen gehalten wurde. Dank der Übertragung wurde diese Zahl inzwischen auf drei raufkorrigiert. Mit welchen Mitteln er zur Kooperation gezwungen wurde, sodass er sich das gefallen ließ, wusste Victor allerdings nicht.

Vielleicht würde dies gleich ans Tageslicht kommen.

 

FORTSETZUNG FOLGT...

Gefrierbrand


 

“Zum Reichtum führen viele Wege. Die meisten sind schmutzig.”

(Peter Rosegger)

 

Operationsbasis von Last Seed

Liberty Bay, 23. April 2037

 

Gebannt starrten die Teammitglieder - und jene, die es vielleicht noch werden würden - auf die Anzeige der gläsernen Oberfläche des Smart Table und lauschten der Sprachausgabe aus den Lautsprechern, welche Worte ausstieß, die den Raum eigentlich nicht verlassen sollten, in dem sie gesprochen wurden. Der In-Ear im Ohr von Lamar übertrug den tollkühnen Plan von Darius und seiner Gang.

Während Mandy, Melanie und Mr. Rivera ihren Ohren nicht trauten, zuckte Victor mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen, als Merrill ihm den Ellenbogen in die Seite stieß. Endlich hatte er verstanden und entfernte seine Hand von ihrem Rücken, auf dem sie von seinem vorherigen Schieben noch zurückgeblieben war.

Vom Nettigkeitenaustausch zwischen dem schwarzhaarigen Jungen und dem rothaarigen Mädchen bekam Jian nicht viel mit. Er saß an seinem Arbeitsplatz, umringt von 4K-Monitoren, wie in den wildesten Träumen eines jeden Profi-Gamer, und erledigte simultan mehrere Aufgaben. Dafür benötigte er den größten Teil seiner Konzentration. Das was da noch übrig blieb, investierte er darauf, der Übertragung zu folgen.

 

Median Park

Wenige Momente zuvor

 

Es war gar nicht möglich in Worte zu fassen, wie wenig Lamar darauf erpicht war, wieder zurück in die enge Zweizimmerwohnung zu müssen, wo er sich ausschließlich mit dem Versuch beschäftigen konnte, die eigenen Ausdünstungen unter dem Gestank der anderen Kerle zu erschnüffeln. Zwar gab es eine Dusche, doch keine frische Unterwäsche. Da er kein Cowboy aus dem Wilden Westen war, der nach dem Bad pflegte, zurück in die schmutzige Kleidung zu springen, unterließ er die Körperpflege gleich ganz. Wenn man ihn vor die Wahl stellte, ob er sich waschen solle und danach in gebrauchte Unterwäsche steigen solle oder er gleich dreckig bleiben konnte, entschied er sich für das weniger eklige. Er blieb dreckig. Zu seinen Ungunsten sahen das die anderen ähnlich.

Darum inhalierte er die schwach mit Abgas angereicherte Luft im Median Park so lange er es noch konnte.

Doch durchzuatmen beruhigte ihn kaum.

Genauso wenig half der Mann in seinem Ohr, welcher stetig mithörte.

Nach Tagen der Gefangenschaft war es Last Seed gelungen, ihm den unscheinbaren In-Ear-Stecker zukommen zu lassen. Er konnte nun nur noch hoffen, dass das Gerät in seinem Gehörgang niemandem auffiel und es seinen Zweck erfüllen konnte. Darius wurde niemals Müde von seinem tollen Plan zum ganz großen Geld zu berichten. Zur Abwechslung hatte es mal nichts mit Drogen zu tun - immer wieder mal was neues. Lamar plante ihn dazu zu bringen, die Einzelheiten noch einmal zu wiederholen, sodass es seine Kollegen von ihm aus erster Hand erfuhren.

Noah wurde es offenbar lästig, Lamar beim Löcher in die Luft starren zuzusehen. “Hey”, sprach er ihn daraufhin an.

Lamar hatte schon verstanden und folgte seinem Aufpasser ohne Widerstand zurück in den Apartmentkomplex.

 

Apartmentkomplex nahe Median Park

 

Die Tür zur Zweiraumwohnung öffnete sich und der strenge Geruch der menschlichen Ausdünstungen strömte Lamar entgegen. Jede einzelne Faser seines Körpers widersetzte sich dem Gedanken, zurück in dieses Dreckloch zu gehen. Er wäre der Erste, welcher sich freiwillig melden würde, den Ort zu entkernen, abzureißen und anschließend neu aufzubauen. Leider war ihm das als Gefangener nicht möglich und so musste er sich arrangieren. Doch noch bevor er einen Fuß vor den anderen setzte, wurde er schon von Noah durch den Türrahmen geschoben.

“Na, hat es Spaß gemacht, Diggah?”, wurde er auf sein Eintreten hin von einem provokant grinsenden Darius gefragt.

Lamar tat ihm nicht den Gefallen darauf einzusteigen und pflanzte sich stattdessen auf einen freien Platz auf der Couch und schlug die Arme über der Brust zusammen.

“Redest du nicht mehr mit mir, Nigga?”

“Wozu?”, entgegnete der Kahlköpfige. “Wir sitzen sowieso nur dumm rum.”

Darius schenkte ihm daraufhin einen irritierten Blick.

“Erst entführst du meine Schwester und erpresst mich mit ihr, damit ich dir bei dem Raub helfe und dann passiert tagelang nichts.” Lamar sah Darius direkt in die Augen. “Da könnte man fast glauben, das du auch nur eine feige Pussy bist.”

Daraufhin zeigte Darius mit dem Finger auf Lamar und kniff die Augen zusammen. “Guter Versucht, Diggah!”

So einfach ließ er sich wohl nicht provozieren.

Darius nahm die Hand herunter. “Wir sind die letzten Tage nicht nur im Park spaziert”, fuhr er fort und fixierte nun ebenfalls sein Gegenüber.

In der Tat verschwand öfters einer für eine gewisse Weile. Allerdings hatte man ihm natürlich außen vor gelassen.

“Die Vorbereitungen für unseren Besuch bei Capital Five sind fast abgeschlossen.”

“Solltest du mich nicht einweihen, wenn ich schon Komplize sein muss?”

“Du brauchst nur zu tun, was ich sage, wenn ich es sage!”

“Das ist mir nicht gut genug! Ich springe nicht auf Kommando von einer Brücke, nur weil du es befiehlst.”

“Dann freut es dich sicher, dass du nur durch den Kanal kriechen musst.”

Lamar war außerstande den Ekel zu verbergen, den diese Vorstellung in ihn auslöste.

“Aber wenn du drauf bestehst…” Nach diesen Worten trat Darius an eine Tasche heran und wühlte in ihr herum, bis er einen Stift aus ihr heraus holte. Mit ihm trat er an die nackte weiße Wand heran. “Dann erkläre ich es dir.” Dann begann er eine Art Straßenkarte zu skizzieren und schrieb einige Stichpunkte auf. “Wir knacken den Tresor der Capital Five Bankfiliale in der Warren Street. Warum gerade die? Weil unter ihr ein Abflusskanal entlang führt, der in die Bay of Liberty führt. Wir kommen von unten und hauen von unten wieder ab. Ist doch genial. Damit rechnet kein Bulle.”

“Musst du trotzdem erst durch den Stahlbeton.”

“Wir haben einen Presslufthammer und einen Schweißbrenner von einer Baustelle geklaut und Sprengstoff aus irgend einer Drogenküche beschafft. Erst entfernen wir das Gestein, dann bohren wir die Betonschicht an. Sobald der Stahl freiliegt, wird geschweißt. Wenn wir das Material genug geschwächt haben, zünden wir die Bombe.”

“Sehr unauffällig und subtil.”

“Finn wird zur Ablenkung einen Böller zünden. Einen großen. Einen illegalen.”

“Na super. Was hält euch noch ab?”

“Uns fehlen die Fluchtfahrzeuge. Finn hat bisher nichts gefunden, wo wir Jetskis beziehen können.”

“Du meinst klauen!”

“Ist doch egal!” Darius wandte sich dem einzigen Weißen im Raum zu. “Hast du endlich was gefunden, Toast?”

 

Operationsbasis von Last Seed

 

“Das ist Ihr Stichwort, Senior Cheng!”, rief Mr. Rivera aus. “Sorgen Sie dafür, dass sie genau dorthin gehen, wo wir sie erwarten.”

“Verstanden!”, bestätigte Jian und begann in die Tasten zu hauen.

“Sie haben seine Schwester”, rekapitulierte Mandy.

“Er hat mir nie gesagt, dass er überhaupt eine Schwester hat”, sagte Victor. “Aber dann ist auch klar, warum er so kopflos reagiert hat. Und warum er die Füße still hält.”

“Ich habs!”, verkündete der asiatisch stämmige Computerspezialist. “Ich sorge jetzt dafür, dass die Suchmaschine der IP unser Suchergebnis überträgt.” Der Aussage folgte noch mehr geklimper auf der Tastatur.

“M-Moment mal!”, schritt Merrill ein. “Ihr könnt denen frisierte Suchergebnisse schicken? Dann wisst ihr bestimmt auch, wo sie sich aufhalten!”

“I-Ich hab die IP schon lokalisiert.”

“Und warum unternehmt ihr dann nichts?!”

“Was sollen wir denn machen?”, fragte Victor provokant. “Uns aus Helikoptern abseilen, die Fenster einschlagen und alles kurz und klein ballern?”

“Ja! Nein! Ich meine, er ist doch einer von euch, verdammt!”

“Jetzt loszustürmen schadet mehr, als es nützt”, erklärte Mr. Rivera. “Wir werden zuerst versuchen, die Schwester von Senior Summers zu finden. Sie wird vermutlich an einem anderen Ort gefangen gehalten. Sobald sie dieses Druckmittel nicht mehr haben, können wir auch offensiver vorgehen. Um das Wohlergehen von Senior Summers müssen wir uns keine Sorgen machen. Schließlich wollen sie etwas von ihm.”

“Ab jetzt sollten sie immer zur ausgesuchten Vermietung verlinkt werden”, verkündete Jian nach getaner Arbeit.

“Sehr gut.” Rivera wandte sich Victor zu. “Sie werden sich dort umsehen, Senior Krueger”, orderte er anschließend. “Lassen Sie sich aber nicht erwischen.”

“Ich doch nicht!”, entgegnete der Schwarzhaarige selbstsicher.

“Ich schicke dir noch die Adresse”, sagte Jian.

“Alles klar!” Victor kehrte der Versammlung den Rücken und machte sich auf den Weg. Mit seinen Fahrgewohnheiten sollte er es problemlos vor den zu Observierenden zum Ort des Geschehens schaffen.

 

Jetski-Vermietung am Strand

 

Der Sportwagen rollte die letzten Meter aus, bevor er zum Stehen kam.

Es war die perfekte Beobachtungsposition auf den Strand. Man konnte von hier aus alles im Blick behalten und wurde dennoch nicht gleich entdeckt.

“Ich bin in Position”, gab Victor durch.

Die Maschinen von Interesse schwammen in Reihe und Glied im seichten Wasser wie eine blecherne Entenfamilie. Etwas weiter ab auf trockenem Grund befand sich ein Schuppen, in welchen sie mutmaßlich jede Nacht eingeschlossen wurden. Ein Mann ging zwischen den Jetskis auf und ab, während er offensichtlich auf Kundschaft wartete.

Eine ganze Weile geschah nichts interessantes.

Als Victor gerade begann sich zu fragen, ob es dafür wirklich notwendig gewesen war, einen neuen Rekord beim Missachten von Verkehrsregeln aufzustellen, tauchten drei schmierige Gestalten auf: zwei Dunkelhäutige und ein Weißer. Schon allein ihr Gang verriet Victor, dass diese Typen nichts Gutes im Schilde führen könnten. Wobei der hellhäutige Kerl mehr den Eindruck eines Mitläufers machte, der nur irgendwie zu den coolen Kids dazugehören wollte. Victor ließ seine Augen den Männern folgen. Ohne große Umwege begaben sie sich direkt zu den Jetskis und dem Mann, welcher sie zur Miete anbot.

Das mussten diese faulen Eier sein, die Lamar gefangen hielten!

Der Mann begann sofort sie in ein Gespräch zu verwickeln.

“Drei hässliche Entlein sind gelandet”, übertrug Victor an Mission Control.

“Ich hab dir gesagt, du sollst diese lächerlichen Codenamen unterlassen!”, fauchte ihn ein äußerst selbstsicherer aber genervter Jian durch seinen In-Ear ins Ohr.

“Sorry. Das war so verlockend.”

Derweil schien das Angebot des Vermieters, einem indianisch stämmigen Mann in achtziger Jahre Gedächtnis-Hawaiihemd und langen lockigen Haaren, einem der drei Besucher nicht besonders zu gefallen. Er regte sich auf, schrie und gestikulierte wild umher. Der zweite versuchte augenscheinlich ihn zu beruhigen. Leider erfuhr er vom Mitläufer wenig Unterstützung. So verwunderte es wenig, das die Saat der Eskalation erblühte und der cholerische Geselle den Vermieter schubste, was dieser ebenfalls mit einem Schubsen beantwortete. Die Lunte brannte lichterloh und die Faust des aggressiven Schwarzen streckte den Hawaiihemdträger nieder.

“Leute, hier gibt es gerade voll auf die Zwölf. Soll ich eingreifen?”

“Auf keinen Fall! Nur beobachten!”

“Na schön.”

Nachdem die vermeintliche Kundschaft kurz kraftvolle Worte austauschten, welche den ungeplanten Einsatz von Fäusten thematisierten, entschieden sie sich dazu, ihre Differenzen beiseite zu legen und den Niedergeschlagenen links liegen zu lassen. Sie rannten auf die Jetskis zu und jeder von ihnen setzte sich auf eines der Geräte. Die Motoren liefen an und die Männer setzten sich in Bewegung.

Victor zog den Zündschlüssel aus dem Schloss und sprang aus dem Wagen. “Die haben Jetskis geklaut und hauen ab!”, hielt er seine Leute auf dem Laufenden. Dabei stürmte er eiligst zu dem niedergeschlagenen Mann und untersuchte ihn. Der Treffer bewirkte einen KO in der ersten Runde, sonst fehlte ihm aber nichts. “Ich muss was tun!”, verkündete der Schwarzhaarige.

“Du kannst denen nicht einfach so hinterher fahren!”, echauffierte sich sein Mann im Ohr.

“Würde ich doch nie machen!”

“Aber klar würdest du!”

Victor entschied, dass er keine weitere Zeit verlieren durfte, schnappte sich selbst einen der Jetskis und schoss nun ebenfalls hinaus in die Bay of Liberty.

“Höre ich da einen Motor?”, fragte Jian entsetzt.

“Du träumst, Kollege.” Noch während er sprach, beschleunigte er das Wasserfahrzeug unter ihm, um doch noch mit den Flüchtigen aufzuschließen.

Diesmal schrie ihm eine andere Stimme ins Ohr. “Du lässt sofort den Scheiß sein!”, befahl ihm Mandy. “Was ist, wenn sie Waffen haben? Du bist auf dem Wasser. Da funktionieren deine Kräfte nicht!”

“Ach, was soll schon passieren?”, beschwichtigte er seine Schwester. Taub für jede weitere Belehrung, folgte er unbeirrt den flüchtigen Jetski-Dieben hinaus in die Bucht.

 

Die wilde Fahrt führte einmal um die kleine Insel im Zentrum der Bucht herum. Auf ihr befand sich der Sockel einer mächtigen Bronzestatue. Früher war sie das erste, was Siedler aus der alten Welt zu Gesicht bekamen, wenn sie ihr neues Leben in den Staaten begannen. In einem Land, das die Freiheit mehr schätzte als alles andere. Heute stellte sie nur eine verwitterte, von Seevögeln vollgekotete, Erinnerung dar, welche nicht einmal mehr als Touristenziel taugte. Wie auch, wenn sich kaum jemand eine Reise in den reichsten Stadtstaat an der Ostküste leisten konnte? Und wenn der Blick von der begehbaren Fackel noch so atemberaubend war.

Victor gelang es tatsächlich, die drei Gestalten einzuholen.

Er hielt jedoch Abstand, damit sie ihn nicht doch noch bemerkten.

Vorsichtig folgte er ihnen.

Sie führten ihn zu einem Abwasserabfluss, groß genug, dass man mit einem Jetski hinein fahren konnte. Nicht weniger als das taten sie und verschwanden in der Dunkelheit.

Victor erreichte den Zugang wenig später, blieb allerdings davor stehen.

“Ich denke, ich habe den Fluchtweg gefunden”, teilte er Misson Control mit. “Sie sind mit ihren Jetskis in einen Abwasserkanal reingebrettert.”

“Ich bestimme deine Position”, antwortete Jian.

Während er in die Tasten haute wie ein Wahnsinniger, schauten die anderen Anwesenden gebannt auf den Smart Table. Ihr Warten sollte sich auszahlen. Auf der Anzeigefläche erschien ein Stadtplan, über den eine Karte des Kanalsystem gelegt war. Auf dem Stadtplan markierte Jian die Capital Five Bankfiliale. Sie lag genau über jenem breiten Abwasserkanal, dessen Ausgang Victor so eben gefunden hatte.

“Die sind gar nicht mal so dumm”, kommentierte Mandy.

“Es ist genau, wie er gesagt hat”, meinte Melanie.

“Und jetzt? Ruft ihr die Bullen?”, erkundigte sich Merrill.

“Wir lassen sie machen?”, mutmaßte Victor über Funk.

“Exakt, Senior Krueger”, bestätigte der Gruppenleiter.

“Sie können die doch nicht einfach die Bank überfallen lassen?!”, tobte das rote Gewitter.

“Ruhig, Süße!”, versuchte Mandy sie zu beschwichtigen.

“Ich will mich aber nicht beruhigen!”

“Wir werden unseren Mann nicht in Gefahr bringen”, erklärte Rivera mit Engelsgeduld. “Die Polizei schalten wir erst dann ein, wenn es sicher ist.”

“Mhmm…” Seine Worte vermochten es nicht sie abzuholen. Sie empfand es als unverantwortlich, die Kriminellen einfach ihr Ding drehen zu lassen und schien nicht bereit, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.

 
 

~~~

 

Capital Five Bankfiliale

24. April 2037

 

Neben einem geöffneten Gullideckel parkte ein Van der Stadtreinigung. Schläuche und Kabel waren in die Finsternis herabgelassen worden. Das Fahrzeug stand seit mehreren Stunden hier direkt in Sichtweite der Bank und dennoch nahm niemand Notiz davon. Mutmaßlich glaubten die braven Bürger wohl, es handelte sich um einen wirklich sehr verdreckten Kanal.

Untertage war die Bande von Darius bereits zu Werke.

Den Van der Stadtreinigung hatten sie schon vor der Entführung Kaylas und der Zwangsrekrutierung Lamars entwendet. Etwas vor über einer Woche. Lamar war sichtlich überrascht, wie gut ausgearbeitet der Plan war und mit wie vielen Details er aufwartete. Zwar war ihm bewusst, dass Darius ein hinterhältiger kleiner Mistkerl war, aber so viel Raffinesse hatte er ihm nicht zugetraut. Auch wenn die Informationsbeschaffung höchstwahrscheinlich auf diesen Finn zurückgegangen war. Er ertappte sich kurzzeitig dabei, so etwas wie Bewunderung zu empfinden. Dieses Gefühl wurde aber schnell wieder vom Verlangen abgelöst, Darius seine Faust spüren zu lassen, dafür dass er sich an seiner Familie verging.

Leider musste das noch warten.

Während Noah die zuvor von Levin mit dem Presslufthammer freigelegten Stahlstreben im Beton mit dem Schweißbrenner bearbeitete, konnte der Kahlköpfige nur zusehen. Von diesen Handwerksarbeiten verstand er nichts und außerdem hatten sie sowieso nur einen Schweißbrenner akquirieren können. Zum Nichtstun verdammt, stellte er sich an die Kanalwand wo er niemanden im Weg herum stand.

Der Abwasserkanal führte in der Mitte Wasser und hatte links und rechts einen schmalen Weg, auf dem man sich bewegen oder auch schweres Gerät abstellen konnte.

Gefolgt von einem erleichterten Seufzer stellte Noah die Arbeit ein und riss sich die Schweißerbrille vom Gesicht. “Weiter komme ich nicht, Boss!”, kommunizierte er dem Anführer. “Jetzt muss der Sprengstoff ran.”

Kontrollliebend wie er war, musste Darius sich zuerst selbst die angebohrte Stelle ansehen, bevor er den nicht anwesenden Finn anrief. “Hey, Toast”, sprach er. “Halt deinen Knallfrosch bereit.”

Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern.

 

Der verwaiste Ausgang des Kanalsystem sah in den letzten Tagen mehr Verkehr als ein Hafenbordell beim Matrosenlandgang. Auch jetzt ließ man ihn einfach nicht in Frieden in die Bay of Liberty auslaufen. Das Geräusch eines Motors verzerrte das monotone Rauschen des Meeres und die gelegentlichen Rufe der Seemöwen, als Victor mit einem Jetski zum Ausgang des Abwasserkanals fuhr. “Ich bin in Position”, meldete er.

 

Einraumwohnung nahe Median Park

 

Wie es ihn ankotzte, dass er nicht bei der Action dabei war. Anstatt ihn an forderster Front einzusetzen und die verdammte Bank einfach zu stürmen, hatte Darius ihn dazu verdammt auf diese unterbelichtete Tusse aufzupassen, während er seinem Smart Ass Plan nachging. Und er durfte sie nicht einmal anfassen. Das kotzte ihn fast noch mehr an. Wie gern hätte er sie schreien gehört. Aber Kai hatte noch nie die Befehle von Darius in Frage gestellt und er wollte heute auch nicht mehr damit anfangen.

Die Einraumwohnung befand sich nur wenige Blocks von dem Ort entfernt, in dem die anderen seit Tagen aufeinander hockten. Wenn Lamar, dieser Wichser, das gewusst hätte, hätte es für ihn bestimmt kein halten mehr gegeben. Wäre bestimmt sehr unterhaltsam gewesen, seiner Schwester genau in dem Moment, indem er die Tür eintritt, um sie zu retten, eine Kugel in den Kopf zu jagen.

Ein flüchtiges böses Grinsen machte sich auf Kais Gesicht breit.

Aber was nicht war, das war leider nicht.

Das Mädchen, auf das er aufpassen sollte, war ganz ruhig. Sie hatte auch keine andere Wahl, da er sie gefesselt und geknebelt hatte. Wenigstens musste sie so aufhören, sich über den Zustand der Wohnung auszulassen. Behindert, aber zetern und meckern konnte das Miststück wie jede andere Frau auch. So schlimm sah es nun wirklich nicht aus! Auf dem Boden lagen zwar ein paar alte Pizzaschachteln neben halb abgegessenen Tellern von undefinierbaren Speisen - überbleibsel längst vergangener Tage - und gelegentlich kroch ein längliches schwarzes Insekt über den Boden. Aber immer wenn Kai eins dieser hartnäckigen Biester zu Gesicht bekam, die anscheinend jedes Gift überlebten, zertrampelte er es. Was sich die Bekloppte überhaupt darüber aufregte. Das war eine ganz normale Junggesellenwohnung!

Bei den ganzen Schachteln überkam ihn der Hunger.

Kai wurde bewusst, dass er seit dem Vortag schon nichts mehr gegessen hatte. Er verbrachte seine Zeit damit, Löcher in die Luft zu starren. Unglaublich! Es verlangte ihm nach einer schönen Pepperonipizza, also bestellte er sich eine. Der Typ am anderen Ende der Leitung musste mindestens so behindert sein, wie seine Geisel, denn er begriff einfach nicht, dass er ihm gefälligst extra Chilli drauflegen sollte. Letztlich schaffte er es doch, seine Bestellung abzugeben und musste nun warten.

Sein Blick fiel auf Kayla.

Sie würde ihm nicht schon wieder jeden Bissen Essen abgucken! Er ergriff den Stuhl, an dem er sie gefesselt hatte, und zog diesen unter ihrem stummen Protest in das Badezimmer. Er stellte sie zwischen Waschbecken und Toilette und schloss die Badtür. Erleichtert atmete er auf. Auf die Idee hätte er schon viel früher kommen können!

Wenig später klingelte es an seiner Tür.

Endlich, dachte er. Die Pizza!

Er kramte ein paar zerknitterte Scheine zusammen, welche er nicht gerade zum einsaugen illegaler Substanzen brauchte, und begab sich an die Tür, um die Bestellung entgegenzunehmen. Er lugte durch den Türspalt und erspähte eine süße Blonde. Sie trug ein Cappy mit dem Firmenlogo der Pizzeria und die Pizzapackung auf dem linken Arm. Eigentlich machte er sich nicht so viel aus weißen Mädels, aber die war echt ein Hingucker! Am liebsten hätte er sie in seine Wohnung gezerrt und ihr gezeigt, warum schwarze Männer viel besser im Bett sind, als Weißbrote. Leider hätte er dann wohl nie wieder eine Pizza in dem Laden bestellen können und das war es ihm jetzt auch nicht wert. “Moment!”, sagte er und entriegelte die Tür. “Das macht noch mal wie viel?”

 

Schon als sich die Tür öffnete und sie einen ersten Einblick auf die Zustände an diesem Ort erhaschte, wurde es Mandy speiübel. Überall lagen alte Pizzapackungen oder anderer Unrat herum. Ein absolut widerlicher Ort, selbst wenn man nicht tagelang hier gefangen gehalten wurde. Es wurde Zeit, dass sie etwas unternahm.

Während der dunkelhäutige Typ ihr gegenüber seine verranzten Scheine sortierte, nutzte sie seine Unachtsamkeit, um ihn zu überraschen. Die Pizzaschachtel fiel und die Blondine drängte den Mann in seine Wohnung hinein. Ein Schlag ins Gesicht, womit er offensichtlich nicht gerechnet hatte, brachte ihn zu fall. Er stürzte auf einen mit Unrat vollgestapelten Tisch, welcher unter seinem Gewicht sofort zusammenbrach.

“Wo ist sie?”, verlangte Mandy zu wissen.

Der Kerl versuchte sich aufzurappeln. “Süße, ich wollte nur eine Pizza!”, behauptete er.

“Rede keine Scheiße! Wo ist Kayla!”

Jetzt ging ihm offenbar ein Licht auf. “Ach, bist du SEIN Snow Chick?”

“Ich bin von niemanden das Snow Chick!”

“Das ist echt schade”, meinte der mutmaßliche Entführer. “Du bist so heiß, da würde ich gern für die Schneeschmelze sorgen.”

Mandy spürte erneut ihren Magen rebellieren.

Der Ekel war so groß, dass ihr für einen Moment entging, dass ihr Gegner nach irgend etwas unter sich tastate. Als es ihr endlich auffiel, war es schon zu spät. Er zog eine Pistole aus dem Unrat hervor und richtete sie auf sie. “Und jetzt werden die Karten neu gemischt, Schätzchen!” Sein widerliches Grinsen war Jenseits von ekelhaft.

Der Gefahr bewusst, hob Mandy schnell die Hände an.

Der Entführer stand unterdessen seelenruhig auf, während er sie weiter mit seiner Bleispritze bedrohte. “Und jetzt machst du dich mal schön nackig!”, forderte er anschließend.

Unfassbar! Der hatte Nerven!

Ungeduldig fuchtelte er mit der Knarre herum. “Na los!”

“Na schön. Wie du willst.” Nach diesen Worten zerlegte Mandy ihren Körper in seine Wasserform. Nass und durchgeweicht fielen ihre Kleidungsstücke zu Boden, während von ihr augenscheinlich nicht die geringste Spur übrig blieb.

An dem Dunkelhäutigen ging dies nicht spurlos vorbei. “Was ist das jetzt für eine kranke Scheiße?!”, rief er aus.

Der musste gerade reden!

Nervös drehte er sich immer wieder um, auf der Suche nach der verschwundenen Pizzabotin, doch er konnte sie nirgends ausmachen. Allmählich stellte er seine hektischen Bewegungen ein. Er senkte seinen Waffenarm und stellte seine geistige Gesundheit in Frage. Konnte das wirklich gerade passiert sein?

Hinter ihm nahm Mandy wieder Gestalt an.

Nackt, denn ihre Kleidung lag schließlich noch immer in der Mitte des Raumes.

Bevor ihr Gegner begriff, was mit ihm geschah, entwaffnete sie ihn. Die Handfeuerwaffe fiel zu Boden und noch im gleichen Moment bedeckte Mandy die Atemwege des Entführers und würgte ihn in die Bewusstlosigkeit. Vorsichtig legte sie den Körper des Mannes ab und kniete sich vor ihm hin, den Rücken zur Tür zugewandt.

Genau in diesem Moment ertönte das Kläffen irgend eines Pinschers. Eine alte Dame kam an der noch immer offenstehenden Eingangstür vorbei und ihr rattengroßer Handtaschenköter wollte gar nicht mehr aufhören zu bellen.

Entsetzt sah Mandy über ihre Schulter.

Das eine Fremde sie nackt sah, war alles andere als angenehm. 

Die ältere Frau beäugte das nackte Mädchen, welches über ihrem Nachbarn kniete. “Mhph!”, gab sie die Nase rümpfend von sich. “Diese jungen Leute von heute. Fallen übereinander her und machen nicht mal die Tür zu!” Nach diesen Worten zog die Frau ihre noch immer kläffende Töle vom Wohnungseingang weg. Anschließend griff sie nach dem Türknauf und schloss die Tür von außen. “Komm, mein Kleiner”, hörte Mandy sie noch sagen. “Wir gehen jetzt zu deinem Lieblingsbaum.”

Mandy verlor keine weitere Zeit und bekleidete sich wieder.

Keinesfalls hatte sie vergessen, warum sie hier war. Mit dem Typen im Reich der Träume, hinderte sie nun nichts mehr daran, nach Kayla zu suchen. Sie ließ ihren Blick schweifen. Dieses verdreckte Loch von einer Wohnung konnte nicht mit so vielen möglichen Verstecken für eine Person aufwarten. Noch bevor Mandy weiter überlegen konnte, hörte sie ein schwaches Wimmern aus dem Badezimmer. Sofort öffnete sie die Tür und fand Kayla gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl vor. Umgehend befreite sie sie.

“Danke”, sagte Lamars Schwester mit deutlich hörbarem Sprachfehler. “Der böse Mann hat mich mitgenommen.”

Eine erwachsene Frau, die wie ein kleines Kind sprach. Die Gangster hatten keine Probleme damit, eine Behinderte für ihre Zwecke zu missbrauchen. Mandy ekelte das bald noch mehr an, als dieser Ort hier. “Keine Angst! Ich bring dich weg.” Daraufhin geleitete sie sie aus dem Gebäude hinein in ihr Fahrzeug. Nachdem beide angeschnallt waren, startete sie den Motor. “Ich habe Kayla da rausgeholt”, gab sie noch an Mission Control weiter, bevor sie das Gaspedal durchtrat.

 

Capital Five Bankfiliale

 

Unter der Bank war inzwischen alles verkabelt. Vier Gestalten in orangenen Westen der Stadtreinigung krochen aus ihrem Loch und brachten den nötigen Sicherheitsabstand zwischen sich und die Sprengladung. Darius stand am nähsten dran, gefolgt von Levin und Noah. Lamar stand am weitesten entfernt. Wahrscheinlich hätte er einfach abhauen können, doch ihm war klar, dass er diese Möglichkeit nicht hatte. Seine Schwester war ein gewichtiges Faustpfand und solange ihm niemand sagte, dass sie nicht mehr in der Gewalt dieser Verbrecher war, musste er wohl oder übel weiter mitspielen.

“Wer will den Knallfrosch zünden?”, fragte Darius die anderen Bankräuber und fuchtelte dabei äußerst unprofessionell mit dem Zünder herum.

Die anderen antworteten nicht, da sie viel zu viel Angst davor hatten, dass er wohlmöglich verfrüht die Explosion auslöste.

“Na gut, dann eben nicht!” Mit der freien Hand kramte Darius sein Handy hervor und wählte eine Nummer auf Kurzwahl.

Am anderen Ende wurde abgenommen. “Jo!”, meldete sich Finns Stimme.

“Halt den Böller bereit, Toast!”, orderte der Bandenchef.

 

In einer Gasse kauerte Finn vor dem illegalen Feuerwerkskörper. Es war ein massives Stück Pyrotechnik. Vielleicht hätten sie damit auch die Bank aufsprengen können. Die Gasse, welche Finn ausgesucht hatte, würde den Knall akustisch verstärken und direkt auf die Bankfiliale lenken. Perfekt! Er wartete noch auf das Kommando seines Bosses, mit welchem er gerade telefonierte.

“Tue es!”, sprach Darius.

Finn gehorchte und zückte sein Feuerzeug. Er entzündete die Lunte und nahm danach die Beine in die Hand. Er wollte nicht mehr in der Nähe sein, wenn das Ding hoch ging. “Zwölf Sekunden, Boss!”, brüllte er in sein Handy und verließ die Gasse.

 

Im Kanal zählte Darius die Sekunden.

Genau im rechten Moment betätigte er den Auslöser.

Das Signal entzündete den Sprengsatz und ein mächtiger Rums verkündete den freigelegten Weg zum Reichtum, gefolgt von einer Wolke von Schutt, welche die Anwesenden husten ließ.

 

Auf der Straße hallte der Knall des Kanonenschlag mehrere Viertel weit. Auf diese mexikanischen Knallfrösche war Verlass! Nicht nur, dass sie hochgradig illegal und gefährlich waren, nein sie fabrizierten auch mindestens so viel Krach, wie man von ihnen erwartete. Mehrere Hunde wurden von der Explosion aufgeschreckt und kläfften ohne Unterlass. Ebenso regten sich ungezählte Stadtbewohner auf. Sie empörten sich über den Idioten, welcher mitten am Tag einen Kanonenschlag zünden musste. Sogar eine Alarmanlage eines Autos ging aus unerfindlichen Gründen los.

 

Derweil legte sich der Staub im Kanal.

Darius und die anderen traten an das Loch in der Wand heran. “Auf geht’s, Niggers!”, kommandierte der Anführer seine Handlanger, zu denen sich Lamar bedauerlicherweise auch zählen musste. Nacheinander krochen sie hinein, der Beute entgegen.

 

Ein von seiner Position noch immer gut hörbarer Knall signalisierte Victor, dass der Raub im vollem Gange war. Kurz zuvor hatte er die Information erhalten, das Kayla befreit war. “Ich gehe rein!”, meldete er dem Teamleiter. Dann startete der Schwarzhaarige den Motor des Jetskis, auf dem er saß, und fuhr hinein in den dunklen Kanal. Einzig ein paar schwache Wartungsleuchten wiesen ihm den Weg durch die Finsternis. Ihr schein spiegelte sich im ungeklärten Abwasser der Metropole und Victor wollte gar nicht wissen, was da alles in der Brühe vor sich hin schwamm. Unbeirrt steuerte er sein Wasserfahrzeug weiter gerade aus, bis er von weitem die anderen Jetskis erkennen konnte.

Er stoppte den Motor und vollzog das Kunststück einer hundertachtzig Grad Drehung in diesem engen Kanal, bevor er abstieg und sich trockenen Fußes auf den Seitenweg schwang. Es wäre nicht nur hinderlich nass zu werden, weil dann seine Fähigkeiten nicht funktionierten, in diesem Kanal wäre es zudem absolut eklig gewesen! Sofort zückte er sein Handy und beleuchtete die Umgebung mit der Taschenlampenfunktion. Staub, Schutt und letztlich schweres Gerät und ein Loch in der Wand.

Hier war er richtig.

 

Der große und mächtige Tresor, wie er standardmäßig von der Capital Five Bank in ihren Filialen verwendet wurde, war ein unzerstörbares Bollwerk. Die kreisrunde Tür aus einem Meter dicken Stahl wurde von den kompliziertesten Verschlusssystemen geschützt und die Siliciumcarbid verstärkten Wände würden sicherlich einen mittleren Atomschlag überleben. Würden sie nicht, aber diese Legende war weit verbreitet und hielt sich hartnäckig. Auch Dave, der Wachmann, glaubte an sie. Er stand beeindruckt vor dem majestätischen Gebilde. Dieses Monstrum war unknackbar, da war er sich sicher. Der entspannteste Job, den ein Angestellter von einem Sicherheitsdienst sich nur wünschen konnte. Ihn brachte auch der Knall von eben nicht aus der Ruhe. Ganz sicher irgend so ein Idiot, der dachte, Sylvester wäre im April. Keine Gefahr!

Was war das?

Dave war es so, als habe er eine Stimme aus dem inneren des Tresors vernommen. Ungläubig lauschte er, konnte aber nichts hören. Schnell tat er es als seine lebhafte Fantasie ab. Wie soll auch jemand da rein kommen. Das war absurd!

Dave wusste leider nicht um den schwerwiegenden Konstruktionsfehler des Tresormodells, das es verwundbar für Attacken von unten machte.

 

Im Inneren waren die Räuber bereits zu Werke.

“Los, mach sie auf!”, befahl Darius.

Seine Worte richteten sich an Lamar, welcher sogleich - wenn auch widerwillig - an die Schließfächer heran trat und seine Fähigkeit einsetzte. Binnen Sekunden gefroren die Schließvorrichtungen und ein beherzter Schlag mit der Brechstange genügte nun, um sie zu zertrümmern, sodass sie Geld, Schmuck und Dokumente freigaben.

Lamar sah hilflos dabei zu, wie Levin und Noah alles was sie in die Finger bekamen in dunkelgrüne Sporttaschen stopften. Es war ihnen offenbar völlig egal, was sie klauten. Irgendeinen Wert würde es schon haben. Finn würde ihn später schon beziffern.

“Was trödelst du denn rum?”, konfrontierte ihn Darius.

“Sorry!” Umgehend setzte Lamar das Einfrieren der Schlösser fort.

Unscheinbar lugte ein mit schwarzen Haaren bedeckter Kopf aus dem in den Boden gesprengten Loch hervor. Victor wartete auf den richtigen Moment. Als keiner im Raum in seine Richtung sah, war dieser gekommen. Er erhob sich aus dem Loch und ging hinter einem Handwagen in Deckung. Er beobachtete, wie Lamar durch Handauflegen jedes Schloss sinnlos machte und war mal wieder leicht beeindruckt von seinem eiskaltem Freund. Dann entschied er, dass er genug gesehen hatte.

Mit einem gequälten Schrei ging Levin zu Boden.

Noch bevor Noah begriff, was da gerade abging, trauf auch ihn der Schlag.

Als Darius seine beiden Handlanger zusammenbrechen sah, tat er das in seinen Augen einzig richtige und richtete seine Waffe auf Lamar, welcher nur etwa einen Meter von ihm entfernt stand. “Was soll die verfickte Scheiße, Nigger?!”, forderte er Lamar auf, Klartext mit ihm zu reden.

Victor begriff, dass er die falschen Leute schlafen geschickt hatte, und trat aus seinem Versteck hervor. In seiner Hand konzentrierte sich bereits die nächste Ladung Elektrizität. “Willst du echt auf die harte Tour herausfinden, ob du schneller schießt, als der Blitz?”, fragte er den Kriminellen provokant.

Seinen Blick auf Victor fixiert, fragte Darius Lamar: “Wer hat dir erlaubt, deine Freaks zur Party mitzubringen?” Plötzlich spürte er, dass die Waffe in seiner Hand immer kälter wurde. Er sah sich zu Lamar um, der eine Hand auf die Pistole gelegt hatte.

“Ich brauche keine Erlaubnis”, entgegnete der Kahlköpfige.

Das kalte Stück Metall in seiner Hand brannte, woraufhin Darius es fallen ließ. Die Waffe schlug auf dem Boden auf und zerbrach in Einzelteile. Die extrem niedrige Temperatur, der sie ausgesetzt war, hatte das Metall spröde gemacht, weshalb sie den Sturz aus über einem Meter Höhe nicht überstand. Darius hielt seine Hand. Die Stellen, welche mit der Waffe in Kontakt gekommen waren, zeigten Zeichen von akuter Unterkühlung.

“Hey!”, machte Lamar auf sich aufmerksam.

Darius sah ihn mit Schmerz entstelltem Gesicht an, nur damit ein Faustschlag seines unfreiwilligen Komplizen ihm noch mehr Schmerzen bereiten konnte.

Lamar schüttelte seine Hand. “Das wollte ich schon seit Tagen machen!”, kommentierte er die Talfahrt des Bandenchefs.

Victor schloss seine Hand zur Faust und brachte die sprühenden Funken zum schweigen.

Gemeinsam fesselten sie Darius, Levin und Noah neben ihrer Beute.

“Ihr habt euch ganz schön viel Zeit gelassen”, tadelte Lamar.

“Halt die Klappe!”, echauffierte sich Victor gekünzelt. “Sei froh, dass wir überhaupt gekommen sind.”

“Ihr kommt doch ohne mich nicht klar!” Sein schelmisches Grinsen war fast ansteckend. “Wir sollten jetzt die Bullen rufen.”

“Stimmt. Die können den Rest erledigen.”

Nachdem sie Jian über Funk instruierten, anonym die Polizei zu verständigen, stiegen Lamar und Victor gemeinsam durch das Loch im Boden in den Kanal herab und besetzten je einen der vier Jetskis, welche noch immer im Abwasser bereit standen. Lamar war erleichtert, als er von Victor erfuhr, dass es seiner Schwester gut ging und sie in Sicherheit war. “Der vierte Jetski ist von dir, oder?”, erkundigte er sich anschließend.

“Genau”, bestätigte Victor.

“Vier Leute, drei Jetskis. Dieser Penner!” Wütend ballte Lamar die Hand zur Faust. “Er hätte mich einfach meinem Schicksal überlassen, nachdem er hatte, was er wollte.”

“Ruhig, Großer!” Victor musste lachen. “Sonst taust du noch auf.”

“Am Liebsten würde ich nochmal rein gehen und ihm noch ein paar Zähne korrigieren.”

“Ich hab eine bessere Idee.” Der Motor unter Victor begann zu arbeiten.

Lamar startete ebenfalls.

Hintereinander fuhren sie den Kanal entlang, bis er sie in die Bay of Liberty führte.

“Was ist denn deine Tolle Idee?”, wollte Lamar wissen.

Victor beschleunigte. “Mal sehen, wer zuerst die Bucht durchquert!”

Ein Schwall von aufgeschäumten klaren Küstenwasser spritzte Lamar von oben bis unten nass, als sein Freund verfrüht startete. “Du willst mit mir um die Wette fahren?! Na warte!” Auch er beschleunigte.

Die beiden leisteten sich eine wilde Fahrt, direkt um die zentrale Insel der Bucht, bevor sie bei Victor's Wagen an Land gingen.

 
 

~~~

 

Operationsbasis von Last Seed, Botanik

25. April 2037

 

Merrill ließ die Arme über dem Geländer des Fußweges baumeln. Er führte ein Stockwerk über dem Boden einmal um den Innenraum herum und gewährte Blick auf den Baum im Zentrum des mehrere Stockwerke hohen Raumes. Sie war auf Erkundungstour mit dem Besucherausweis, der ihr von Victor zugesteckt worden war. Merrill war ehrlich überrascht, hier so einen Ort zu finden. Das passte so gar nicht zu dem sonst so kalten und sterilen Ambiente des Verstecks. Die LED-Lampen bestrahlten das Gewächs mit einem dem Sonnenschein nachempfundenen Licht und regten das Wachstum an. Auch gab es mehrere Blumenkästen mit verschiedensten Pflanzen, die ebenfalls gediehen. Im Hintergrund ertönte klassische Musik in angenehmer, kaum wahrnehmbarer Lautstärke.

Merrill fragte sich, wer dieses Paradies zu verantworten hatte.

Plötzlich öffnete sich hinter ihr eine Tür.

Die Rothaarige rollte mit den Augen und machte sich bereit, eine ganz bestimmte Nervensäge mit dem ihr bestmöglichen zickigen Verhalten zu vertreiben, bis sie eines besseren belehrt wurde.

“Hey, Süße!”, grüßte die Stimme von Mandy.

Zum Glück, die Vernünftigere der beiden!

Merrill atmete auf.

Mandy stellte sich neben sie an das Geländer und mimte ihre Haltung mit den Armen schlapp über ihm hängend. “Gefällt es dir hier?”

“Schon”, antwortete Merrill zaghaft. “Nicht so kalt wie sonst überall. Weißt du, wer diesen Garten hier angelegt hat?”

“Klar. Aber das würdest du mir sowieso nicht glauben.”

“Wenn du das sagst.”

“Hast du drüber nachgedacht, bei uns einzusteigen?”, kam die Blondine zum Punkt.

“Bist du deshalb hier? Um mich das zu fragen?”

“Dann müsste ich zumindest nicht mehr alleine rumzicken.”

Merrill lächelte. “Ich habe es wohl dieses Mal übertrieben?”

“Es hätte wohl jeder so reagiert.” Mandy legte ihren Arm über Merrills Schulter. “Für dich ist das alles neu, Süße.” Die Blondine klimperte vertrauenserweckend mit den Lidern.

“Danke.”

Mandys Hand rutschte langsam Merrills Rücken herunter.

Entsetzt schreckte die Rothaarige hoch, als Mandy ihr einen Klapps auf den Hintern gab. Entgeistert sah sie sie an.

“Vergiss aber nicht, dass wir diesen Hintern gerettet haben.” Offenbar hatte Mandy keine Probleme damit, Merrill mit ihrer Verwirrung allein zu lassen. Mit einem breiten Grinsen verschwand sie aus der Tür, durch die sie zuvor eingetreten war.

 

FORTSETZUNG FOLGT...

Kopfkino


 

“Alles was man vergessen hat, schreit im Traum um Hilfe.”

(Elias Canetti)
 

Catherines Beobachtungszimmer, Last Seed

Liberty Bay, 27. April 2037
 

Melanie wusste nicht mehr, wie lange sie bereits hinter der getönten Scheibe stand und das regungslos auf dem Bett liegende Mädchen beobachtete. Ein Schauspiel, das sich seit mehreren Wochen unverändert abspielte. Jeder Versuch der Kontaktaufnahme mit Catherine - sei es konventionell oder auf geistiger Ebene - war gescheitert. Sie hatte sich vollkommen von der Welt abgeschottet. Auch wurde jegliche Nahrungsaufnahme verweigert, was das medizinische Personal dazu zwang, das Mädchen künstlich zu ernähren. An Catherines Kopf war eine Haube mit Drähten angebracht, womit ihre Hirnströme gemessen wurden.

Melanie schluckte den rapide abgesonderten Speichel herunter.

Die Erinnerungen an ihre Versuche, mit dem Verstand des Mädchens in Verbindung zu treten, endeten allesamt in einem Desaster. Sie bekam das Gefühl, je mehr sie versuchte, es zu erzwingen, desto aggressiver wurden die Selbstschutzmechanismen von Catherines Verstand. Dennoch konnte sie es sich nicht leisten, hier aufzugeben! Sie musste einen Weg finden, in das mentale Gefängnis einzudringen, in das sich Catherine eingesperrt hatte.

“Bei diesen Werten müsste sie bei Bewusstsein sein!”, exklamierte einer der Neuropsychologen. Auf seinem Display erschienen die völlig normal ausschlagenden Kurven von Catherines EEG, die er sich in Bezug auf ihren Zustand absolut nicht erklären konnte.

Für Melanie und die anderen schienen diese Werte keine Überraschung zu sein.

“Haben Sie nicht die Akte gelesen?”, fragte ein anderer Mediziner. Es handelte sich um Dr. Barber und er war der Verantwortliche.

Der Mann war schnell für einen Kollegen eingesprungen, welcher krankheitsbedingt ausgefallen war, und hatte das Dokument nur partiell studiert. “Ich habe es nur schnell überflogen”, entschuldigte er seine Nachlässigkeit. “Für mich klang es wie ein ganz normaler Fall von Koma.”

“Dann lesen Sie sie jetzt!”

“Ich erspare es Ihnen”, erklärte Melanie. Ihre Stimme klang kalt und teilnahmslos, wie immer. “Sie wurde jahrelang gefangen gehalten und schwer misshandelt. Man hat ihre Fähigkeit zur Regeneration schonungslos ausgebeutet und ausgenutzt, dass sie selbst die schwersten Verstümmelungen ihres Körpers heilen kann. Stellen Sie sich mal vor, wie es ist, immer wieder getötet zu werden und danach ins Leben zurückzukehren, nur damit alles wieder von vorn losgeht. Als wir sie befreit haben, ist sie durchgedreht und hat eine Spur aus Leichen hinterlassen. Würden Sie unter den Umständen noch aufwachen wollen?”

Erstaunt sah der Neue die junge Frau an. “Woher wissen Sie das alles.”

“Ihre Akte haben sie offenbar auch nicht gelesen”, sprach der andere Arzt. “Sie ist Psioniker. Das macht ihr Hirn mindestens genauso spannend, wie das der Patientin.”

Melanie reagierte kein bisschen auf diesen Versuch, einen Scherz zu machen.

“Psioniker bauen eine mentale Barriere gegen jegliche Gefühle auf”, ergänzte der unlustige Witzbold im Arztkittel seriös. “Sonst würden sie andauernd von den Gefühlen von anderen übermannt werden.”

Die Brünette verzog äußerlich keine Miene. Wieso glauben Psychologen immer zu wissen, was in uns vorgeht?, dachte sie. Während sich die beiden Männer weiter unterhielten, schritt Melanie zur Tür des Beobachtungsraumes.

“Was haben Sie vor?”, stellte sie der Neuropsychologe zur Rede.

“Ich werde noch einmal versuchen, Kontakt aufzunehmen”, antwortete Melanie.

Die Tür öffnete sich und sie schritt zur Tat.
 

Trainingsraum
 

Zur gleichen Zeit öffnete sich andernorts ebenfalls eine Tür.

Victor geleitete Merrill hindurch.

Während der gut gebaute Schwarzhaarige seine Bauchmuskeln unter einem weißen T-Shirt mit lustigem Motiv versteckte und nur die ausgeprägten Waden unter seiner lockeren kurzen Hose seinen Fitnesszustand erahnen ließen, blieb bei Merrills schwarzes Yoga-Outfit wenig Raum für Spekulationen über ihre Proportionen übrig. Sie hatte sich ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Beide trugen Schuhe einer nach einer Gottheit benannten Marke.

Victor ließ sie voran gehen und neigte den Kopf zur Seite, als er die Gelegenheit nutzte, ihre Schokoladenseite zu begutachten. Das glänzende Material der Leggins schmiegte sich verlockend jeder Bewegung ihres Sitzfleisches an. An diesem Körper gab es eindeutig kein einziges Gramm Fett zu viel!

Merrill erfasste indes den quadratischen Raum, dessen Boden mit passgenau aneinander gereihten Matten ausgelegt war. Die stählernen Wände wurden ebenfalls bis zu einer Höhe von zwei Metern mit eben jenen Matten bedeckt. In den Ecken fanden sich Ständer, die verschiedene Gerätschaften aufbewahrten, sowie weitere Gegenstände. Von der Decke strahlte das gleiche kalte weiße Licht herab, wie überall sonst in diesem Komplex.

Sie wandte sich wieder Victor zu.

Dieser tat, als habe er ihr nicht die ganze Zeit auf den Hintern geglotzt.

Vergeblich.

“Hast du dich satt gesehen?”, stichelte die Rothaarige. Sie war so oft Blicken von anderen Männern ausgesetzt, dass sie einen sechsten Sinn dafür entwickelt hatte. Sie wusste die ganze Zeit, wo seine Augen waren.

Da half nur die Flucht nach vorn. “Ist auch ein echter Blickfang”

“Freut mich, dass er dir gefällt”, erwiderte Merrill zynisch. “Hab ich auch viel Arbeit reingesteckt.” Noch einmal sah sie sich um und meinte daraufhin: “Nett hier. Fast wie bei meinem Yogi. Nur… grauer.”

“Du gehst zu einem echten Yogi?”

“Man muss schließlich was dafür tun, dass andere etwas zu glotzen haben.” Merrill sah Victors T-Shirt an. “Kann ja nicht jeder deine Trainingsmethode nutzen.” Sie spielte eindeutig auf den Schriftzug des Kleidungsstück an. Auf Brusthöhe befand sich eine Cartoon-Darstellung eines überschäumenden Maß Hopfensmoothie mit der Unterschrift ‘Bier formte diesen Körper’.

“Dein Yogi haut bestimmt niemanden auf die Zwölf.”

“Nein, aber manche schreien trotzdem vor Schmerzen.''

Victor ging provokant an Merrill vorbei, baute sich in der Mitte des Raumes auf und verschränkte die Arme. “Du weißt, warum wir hier sind?”

“Wahrscheinlich nicht um als Schlange den Morgen begrüßen…”

“Nein, Yoga-Übungen stehen nicht auf dem Stundenplan.”

“Muss ich hier etwa auch die Schulbank drücken?”

“So in etwa. Deine einzige Verteidigung ist dein Schrei. Leider macht der keinen Unterschied zwischen Freund und Feind. Deshalb werde ich dir ein paar Griffe zur Selbstverteidigung zeigen."

“Aha?”

“Gelenkigkeit ist dabei ein Vorteil.” Victor zwinkerte ihr vielsagend zu.

Merrill neigte gelangweilt den Kopf. “Und jetzt?”

“Versuche mich anzugreifen”, wurde sie von Victor herausgefordert.

“Ich kann dich nicht einfach grundlos schlagen.”

“Ach wirklich? Streng dich an, Ruby!”

“Na schön!” Wie sie es hasste, wenn er sie Ruby nannte. ”Du bettelst förmlich darum!” Die Rothaarige setzte sich in Bewegung und ballte die rechte Hand zur Faust. Sie versuchte einen gezielten Schlag in dem Grinsen ihres Gegenübers zu landen.

Kurz bevor sich die Wucht ihres Angriffes entfalten konnte, neigte sich Victor zur Seite und drückte ihre Faust mit beiden Händen von sich. Noch bevor sie darauf reagieren konnte, stand er schon neben ihr und verpasste ihr einen Stoß in die Kniekehle, welcher sie umgehend aus dem Gleichgewicht brachte und zu Boden stürzen ließ. Im nächsten Moment hatte sich Victor schon auf sie geworfen und presste seinen Unterarm gegen ihr Schlüsselbein, um sie bewegungsunfähig zu machen.

Merrill spürte Victors Atem in ihrem Gesicht.

Pfefferminz.

“So schnell wurdest du bestimmt noch nie flachgelegt”, kommentierte er ihre Unkenntnis.

“Halt die Klappe und geh runter von mir!”

Victor reagierte verzögert. “Sorry, ich wollte den Moment noch etwas genießen.” Er ließ von ihr ab und half ihr beim Aufstehen. “Jeder sollte die Handgriffe wenigstens einmal aus der Sicht des Flachgelegten sehen.”

Merrills Wunsch, es Victor heimzuzahlen, wuchs und gedieh.

“Hast du mitbekommen, was ich gemacht habe?”

“Nicht wirklich”, gestand sie sich ein. “Es war zu schnell. So schnell wie du auf mir lagst, konnte ich gar nicht gucken.”

“Ja, das höre ich öfter.”

Merrill gab dem Impuls nach, Victor eine zu Pfeffern.

Leider wehrte er ihren Schlag grinsend ab.

Daraufhin legte sie mit der anderen Hand nach.

Auch dies wehrte der Schwarzhaarige ab.

“Mrrrrrrr!”, stieß Merrill frustriert aus und wandte sich ab.

Victor seufzte. “Lass mich es dir zeigen.”
 

Zwei Stunden später.

Die Geräusche von aufeinander folgenden dumpfen Schlägen erfüllten den Trainingsraum. Merrill hatte vor diesem Tag noch nie die Worte Krav Maga gehört, aber es hatte sie schon überzeugt. Die wichtigsten Grundtechniken dieses Kampfsports kannte sie in der Theorie bereits alle. Sie ließen sich in wenigen Monaten verinnerlichen. Praktisch jeder konnte schnell Fortschritte erzielen, anders als beispielsweise bei den traditionellen asiatischen Kampfsportarten, wo es Jahre dauerte, die einzelnen Handgriffe zu perfektionieren. Kein Wunder, dass sich Krav Maga schon vor dem Niedergang bei den Militärs dieser Welt großer Beliebtheit erfreute. Natürlich würde Merrill noch weiter trainieren müssen, um Kraft und Präzision der Techniken zu verbessern. Aber zwei, drei Dinge konnte sie aus dieser Begegnung mitnehmen.

Durchgeschwitzt stand Merrill Victor gegenüber. Im Gegensatz zu ihr, wirkte er noch immer fit wie ein Turnschuh.

“Alter, wie kannst du nur so eine Ausdauer haben?”

“Das ist das Geheimnis meines Erfolges beim anderen Geschlecht.”

Merrill rollte einmal mehr genervt mit den Augen. Wie of sie dies an diesem Tag schon getan hatte, war ihrer Erinnerung längst entfleucht. Diese anzüglichen Anspielungen langweilten die Rothaarige nur noch.

“Du lernst echt schnell”, lobte der Schwarzhaarige die Fortschritte.

“W-Wenn mich etwas in-teressiert, ist das i-immer so”, meinte die Gelobte außer Atem.

“Ist das so?”

“Klar! Die Aussicht, dir eine reinzuhauen, spornt mich so richtig an!”

“Perfekt! Lust auf noch eine Runde?”

“Nicht dein Ernst, oder?”

“Wo ist die Euphorie von eben hin?”

“Aufgesogen von meinen klitschnassen Klamotten.”

“Wir können ja mal Duschen gehen.”

“Vergiss es!”

“Dann geht auch noch eine Runde!”

Widerwillig fügte sich Merrill.

Bald darauf prallten Extremitäten aufeinander. Der Kampf mochte für den ungeübten Beobachter einigermaßen ausgeglichen wirken, das aber nur, weil Victor sich in Wahrheit zurückhielt, um Merrill nicht zu überfordern. In seiner Vorsicht vernachlässigte der Schwarzhaarige jedoch seine Deckung und erlaubte es seiner Gegnerin, ein paar schmerzhafte Schläge zu landen. Einem Reflex gleich, befreite er sich mit einem fortgeschrittenen Technik aus der unangenehmen Situation. Dabei versetzte er Merrill einen Tritt in den Unterleib.

Weiße Punkte sehend taumelte die Rothaarige rückwärts und hielt sich den Bauch. “Du verdammter Mistkerl!”

“Scheiße!” Sofort eilte Victor zu ihr, die Entschuldigung schon auf den Lippen. “Hey, es tut mir-”

Plötzlich erfasste Merrill die Wut. Wie von einer Sturmflut ließ sie sich mitreißen. Sie hob den Kopf und gab einen stummen Schrei von sich. Anstatt eines Lautes, breitete sich eine sichtbare Druckwelle von ihrem Mund aus, welche Victor erfasste und durch die Luft wirbelte, bis die Wandverkleidung ihn bremste. Wie ein Stein plumpste er anschließend auf die Bodenmatten. Er stützte sich auf allen Vieren, bis er wieder aufstehen konnte.

Ungläubig sah Victor die offensichtlich ebenfalls verwirrte Merrill an.

Die starrte derweil Löcher in die Luft und versuchte, sich einen Reim auf das Geschehene zu machen. “War ich das?”, brachte die Rothaarige hervor.

Victor war plötzlich nicht mehr in der Stimmung, das Geschehen zu kommentieren.
 

Jians Zimmer
 

Das Licht der Monitore tauchte den dunklen Raum in ein kühles Blau.

Wenn es etwas gab, was Jian an der Informatik hasste, dann war es das Debugging von Software-Fehlern. Zu seinem Glück konnte er diese Arbeit von seinem Raum aus vornehmen und die Tür hinter sich fest verschließen. Keine anderen Menschen, die seine Konzentration beeinträchtigten oder sinnbefreite Fragen stellten. Seine Finger flogen wie üblich über die Tastatur, während er angestrengt arbeitete. Einsam und verlassen, ruhte die Mouse auf ihrem Pad und bedeckte notdürftig die nicht jugendfreien Bestandteile des aufgedruckten Hentai-Motivs. Zwar hätte er seine Fähigkeiten einsetzen können, um den Fehler zu finden, doch dies forderte immense Konzentration. Daher zog er vor, das Problem auf die altmodische Weise zu identifizieren und zu beseitigen.

Die Organisation erhielt Feeds von heimlich ausgespähten oder von Informanten zugespielten Daten. Die schiere Menge an Informationen machte es unmöglich, diese Feeds manuell durch das Personal überprüfen zu lassen. Deshalb setzte die IT eine künstliche Intelligenz ein, welche eingehende Daten zuerst auf Relevanz prüfte, bevor sie bei einem menschlichen Mitarbeiter ankam. Dafür verwendete diese KI komplexe Regelsätze, welche sich selbständig erweiterten. Auf diese Art lernte die Maschine dazu. Einer der Datenfeeds enthielt jedoch eine Kopie eines alten Arcade Game, das für seine süchtig machenden Eigenschaften berüchtigt war. Nun versuchte die KI aus irgendeinem Grund, die zufällig generierten Level bis zum Ende durchzuspielen, was nicht möglich war, da diese mit steigendem Schwierigkeitsgrad endlos weiter erzeugt wurden.

Es war an Jian herausfinden, wie man der KI unter bestimmten Konstellationen austrieb, eine Software durch durchprobieren aller Möglichkeiten zu erschließen. Eine Funktion, die für gewöhnlich ein Grundbestandteil des Algorithmus zum finden von Informationen war, bei alten Retro Games sich allerdings als kontraproduktiv erwies.

Verdammter Scheißdreck, fluchte der asiatische Computernerd in Gedanken.

Das Regelset war eindeutig formuliert, von fehlerfrier Logik und auch sonst absolut perfekt. Und dennoch… Jede Änderung, die er in den letzten Stunden machte, verschlimmerte entweder das Problem oder sorgte dafür, dass die Analyse der Medien den Algorithmus gar nicht mehr anwandte.

Er benötigte dringend eine Pause!

Vielleicht sollte er die eine Seite besuchen und etwas… Dampf ablassen.

Daraus wurde leider nichts.

Wie bestellt, erschien eine Notification in der rechten unteren Ecke des Bildschirms.

Jian wechselte den Tab.
 

~~~
 

Catherines Beobachtungszimmer
 

Die Hektik der Neurologen strahlte in den Raum ab wie ein übertakteter Heizpilz auf Crystal Meth in der glühenden Caldera eines Vulkans und wurde Bestandteil der bedrückenden, Knochen zermalmenden Atmosphäre. Klar war es gefährlich, was sie vorgehabt hatte. Natürlich hätte man Bedenken deutlicher äußern müssen. Aber mit diesem Resultat hatte niemand gerechnet. Die Männer starrten in Unglaube auf die Ausgaben ihrer Geräte. Während sie sich noch fragten, wie lange sie das Geschehene vom Zirkulieren abhalten konnten, öffnete sich die Tür hinter ihnen.

Jian sah sich um. Man konnte förmlich spüren, etwas war ganz und gar nicht nach Plan gelaufen. Und dazu war es nicht einmal notwendig, Psioniker zu sein.

Die Ärzte wandten sich dem Ankömmling mit erwartungsvollen Gesichtern zu.

Sie waren von ihrer Machtlosigkeit gezeichnet.

Hinter ihnen eröffnete die große Scheibe aus Spezialglas einen Einblick in den Teil des Raumes, den die Observanten beobachteten. In ihm lag Catherine. Sie trug eine mit Sensoren bestückte Haube. Jian hatte von ihr gelesen, sie aber noch nie in Natura gesehen. Fast wäre es ihm ergangen, wie zuvor der künstlichen Intelligenz, und er hätte seinen Blick nicht von der schlafenden Schönheit abwenden können. Dass ihrem zarten Äußeren so viel Gewalt innewohnen sollte….

Neben dem Mädchen saß Melanie auf einem Stuhl. Sie trug ebenfalls eine Kappe mit Sensoren. Ihr Arm war ausgestreckt und die Hand ruhte auf Catherines Stirn. Völlig regungslos verharrte sie in dieser Position.

Fragend sah Jian wieder zu den Ärzten und bemerkte, dass die Instrumente verrück zu spielen schienen. Auf der einen Ausgabe verzeichneten sie nur rudimentäre Aktivität und auf dem anderen zuckten die Messkurven des EEG wild durch- und ineinander. “W-Was ist hier los?”, fragte Jian verwirrt.

“Wir hätten ihn nicht heimlich anpingen sollen”, murmelte einer der Anwesenden.

Der leitende Neuropsychologe trat hervor. “Wir versuchen seit Wochen dieses Mädchen zu wecken”, erklärte Dr. Barber. “Bisher ohne jeden Erfolg.” Er deutete durch die Scheibe auf Melanie. "Ms. Cortez wollte versuchen, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Doch dann ist das hier passiert. “ Er lenkte Jians Aufmerksamkeit auf die Monitore. “Wir können uns das nicht erklären. Seit sie mit der Patientin Verbindung aufgenommen hat, hat sie sich kein Stück bewegt. Wir haben sie ebenfalls an ein EEG angeschlossen. Wenn man das so sieht, könnte man denken, sie sei hirntot. Dafür sind Catherines Hirnströme seither extrem chaotisch. Das ergibt alles keinen Sinn.”

“W-Was soll ich da machen?”

“Wir dachten, Sie als Psioniker wissen vielleicht Rat.

“Ich arbeite mit Maschinen und Compuntern und keinen G-Gehirnen!”

“H-Haben Sie den Vorfall gemeldet?"

“Bisher nicht. Haben Sie vielleicht eine Idee?”

“Eine Geistesverschmelzung!”, spekulierte Jian unangebracht euphorisch.

“Geistesverschmelzung?” Dem Neuropsychologen fror das Gesicht ein. “Sie machen Witze. Ist das Ihr Ernst?!”

“Haben Sie eine bessere Idee?”

“Das sind unwissenschaftliche Fantasien!”

“Aber wir kommen nicht weiter”, mischte sich ein anderer Arzt ein. “Sie bestanden darauf, ihn zu Rate ziehen, anstatt es zu melden.”

Der führende Mediziner seufzte. “Sie haben Recht…” Unwillig wandte er sich wieder dem Obernerd unter den anwesenden Nerds zu. “Mr. Cheng. Vielleicht können Sie mehr als nur Popkultur Referenzen beisteuern.”

“S-Soll ich sie mir mal a-ansehen?”

"Lassen Sie sich nicht aufhalten.”

Jian öffnete die Tür und trat auf die andere Seite der Glasscheibe. Hinter ihm schloss sich umgehend die Tür. Er begab sich zu Catherine und Melanie.

Die Ärzte beobachteten hinter der Sicherheit gewährenden Spezialglasscheibe.

Zögerlich stand Jian vor der sitzenden Melanie. Er betrachtete ihre Erscheinung mit den wie zur Meditation geschlossenen Augen. Unschlüssig, was er tun sollte, streckte er die linke Hand aus und berührte mit ihr ihren Kopf. Seine Erfahrungen beschränkten sich eigentlich auf den Umgang mit künstlichen Systemen, doch da z.B. neuronale Netze nach dem Vorbild eines menschlichen Gehirns geschaffen worden waren, konnte es nicht so anders sein. Er war sich sicher, nicht an die mentalen Fähigkeiten von Melanie heranreichen zu können, wenn es um Systeme aus Fleisch und Blut ging, doch er musste es einfach versuchen.

Er konzentrierte sich und suchte nach dem Bewusstsein.

Nichts.

Er konnte Melanie nicht finden.

Wo war sie?

Lag tatsächlich eine Art Geistesverschmelzung vor?

Fragend sah er in den von dieser Seite aus getönten Spiegel. Er brauchte die Menschen dahinter nicht zu sehen, um sich ihre Reaktionen vorzustellen. Trotz des Resultats seiner Suche, war er noch nicht bereit, aufzugeben. Wenn Melanie nicht in diesem Kopf war, dann vielleicht tatsächlich in dem anderen. Er zog seine Hand zurück und trat stattdessen an Catherine heran. Vorsichtig setzte er erneut die linke Hand ein. Er legte sie auf die Stirn der Brünetten und begann die Suche nach Melanies Bewusstsein.

Beunruhigende Eindrücke begannen seinen Geist zu fluten.

So viel Angst und Schmerz emittierten aus der Tiefe von Catherines Verstand, dass es ihn beinahe übermannte. Er war nicht geübt darin, sich vor Emotionen zu verschließen. Maschinen besaßen so etwas nicht. Ungeschützt trafen ihn die Wellen von schrecklichen Empfindungen wie eine tosende Brandung und begannen ihn unter ihrer schier endlosen Kraft zu zermalmen.

Wenn Melanie dies jedes mal durchmachte, wenn sie in den Geist von jemandem eintrat, dann verdiente sie eindeutig jedermanns Respekt!

Jian konnte hinter den ihm gnadenlos entgegen strömenden Relikten von unverarbeiteter Agonie und dem Verlangen, sich einem hemmungslosen Tötungsrausch hinzugeben, noch etwas anderes spüren. Es war fast nicht auszumachen, doch es war eindeutig da. Er musste die Kraft überwinden, die ihn davon abhielt, näher zu kommen.

Fast automatisch legte er die rechte Hand auf Catherines Kopfhaube, direkt neben Melanies Hand, und begann sich nun gleichzeitig mit den Messinstrumenten zu verbinden.

Zahlen und Werte erschienen.

Das Bild wurde klarer.

Der Sturm beruhigte sich.

Tief in einem schwarzen Ozean aus Schmerz und Einsamkeit lag eine kleine, unscheinbare Insel. Auf ihr stand ein großes Gebäude. Es handelte sich um ein vielstöckiges Haus mit großen Glastüren und einem Helikopterlandeplatz auf dem Dach. Vor der Konstruktion gab es einen Parkplatz mit Rettungswagen und anderen Fahrzeugen. Jian erkannte diesen Ort. Zwar war das eine oder andere Detail verändert - eindeutig dem geschuldet, dass es zu einem Teil aus Erinnerungen und zum anderen Phantasie bestand - doch es handelte sich eindeutig um das Krankenhaus, aus dem Catherine zuvor von Mandy und Victor befreit worden war.

Jian konzentrierte sich auf diese Position und von einem Moment auf den anderen verließ er den Vortex aus Emotionen und fand sich in einem anderen Ort wieder.
 

Von Außen gab Jian für die Anwesenden ein Bild des Schreckens ab. Er schluchzte und weinte bitterlich. Sein Gesicht war verzerrt vom Schmerz eines anderen und seine Augen durchzogen von blutroten Adern. Die Erkenntnis, dass sich das Geschehene mit ihm wiederholte - nur schlimmer - zwang sich ihnen auf. Wahrscheinlich würde er bald Melanies Schicksal teilen. Die hilflosen Zuschauer kämpften mit der Entscheidung, dem Spektakel weiter untätig zuzusehen oder einzugreifen und es abzubrechen.

Gerade als sie entschieden, es zu stoppen, bewegte sich Jians rechter Arm.

Kaum dass die Hand die Sensorkappe berührte, veränderten sich die Anzeigen der Monitore. Sie zeigten keine Hirnströme mehr an, stattdessen stellten sie nur weißes Rauschen dar. Derweil entspannten sich die Gesichtszüge des Jungen und er stellte das Weinen ein. Was immer er gerade tat, es schien zu funktionieren.

Die Ärzte beschlossen, ihn gewähren zu lassen. Dennoch informierten sie endlich ihre Vorgesetzten über die Lage.
 

Ein konstantes Summen tönte in Jians Kopf, unterbrochen von einem unregelmäßigen Klicken. Er spürte die Kälte der Umgebung auf seiner Haut, obwohl er wusste, dass er sich nicht in der Realität, sondern im Kopf von Catherine befand. In ihrer Seelenwelt, wenn man es als solche bezeichnen wollte. Der Geruch von billigem PVC und beißenden Reinigungsmitteln lag in der Luft. Sachte öffnete er seine imaginären Augen. Allmählich gaben die Lider die Sicht auf die Umgebung frei. Er befand sich in einem langen Gang, dessen Boden eine Marmorimitation bedeckte, welche den PVC-Gestank verursachte. Die Wände waren weiß angestrichen und wirkten doch heruntergewirtschaftet. An beiden Seiten des Gangs befanden sich Handläufe. Vereinzelt standen verdreckte Pflegebetten mit schmutzigen Bettpfannen an den Wänden. Die Decke war mit Plastikkacheln verkleidet. Einige von ihnen wurden ihrer Halterung entrückt oder fehlten ganz. In regelmäßigen Abständen unterbrachen Neonröhren das Muster, welche die Ursache des lauten Summen zu sein schienen. Periodisch flackern einige von ihnen.

Jian verfolgte das seltsame Gefühl, nicht allein zu sein.

Er wandte sich immer wieder um, auf der Suche nach einer Entität, die ihn aus den Schatten beobachtete, fand jedoch nichts. Der Gang dieses Horrorkrankenhaus schien endlos zu sein. Trotz Deckenbeleuchtung tauchte er an beiden Enden in die finsterste Schwärze ein, die man sich vorstellen konnte. Was hinter ihr lag, vermochte Jian nur zu mutmaßen.

Ein kalter Hauch streifte seinen Nacken und riss ihn aus seinen Überlegungen. Wie eine unangenehme Präsenz und ein unheilvolles Omen, ließ es ihm Angst und Bange werden. Er konnte förmlich spüren, wie dieser Ort versuchte, sich seines Verstandes zu bemächtigen.

Ein Mark und Bein erschütterndes Kreischen erfasste das Krankenhaus, gefolgt von dem Schmerz erfüllten Weinen eines Mädchens.

“Hallo?!”, rief er in die Finsternis vor sich.

Keine Reaktion.

Jian fühlte Herzschlag und Puls seines realen Körpers ansteigen. Die Transpiration seiner Schweißdrüsen rann in Bächen an seinem Gesicht herunter. Plötzlich vernahm er schnelle Schritte hinter ihm und wandte sich ihnen zu. “Wer ist da?!”

Nichts.

Seine Frage blieb unbeantwortet.

Jian wusste nicht weiter.

Die Deckenbeleuchtung begann unkontrolliert zu flackern.

Einer Ahnung folgend, wandte sich Jian abermals um. Aus der Finsternis des Ganges leuchtete eine nicht identifizierbare Lichtquelle in seine Richtung. Das kalte Weiß bestrahlte die Silhouette einer menschlichen Gestalt.

Für einen Wimpernschlag verschwand sämtliches Licht.

Sofort danach kehrte es wieder.

Die Silhouette war ihm nun um einiges näher gekommen.

Das gleiche Schauspiel wiederholte sich.

Wieder verkürzte sich der Abstand zu der Gestalt.

Noch einmal.

Inzwischen trennte sie nur noch wenige Meter von Jian. Erst jetzt war es ihm möglich, ihre Einzelheiten auszumachen, da ihn noch immer die Lichtquelle blendete. Es handelte sich um eine Frau. Vermutlich eine Krankenschwester. Dieser Schluss drängte sich anhand ihrer Kleidung auf, deren Merkmale er schwach erkennen konnte.

“Hallo?”

Das Spiel mit der Beleuchtung wiederholte sich ein weiteres Mal.

Als das Licht wiederkehrte, waren sowohl die Frau als auch die Lichtquelle in der Ferne verschwunden.

Jian machte eine Kehrtwende und bereute dies sofort.

Direkt vor ihm stand die Krankenschwester und offenbarte ihm ihr verzerrtes Äußeres. Die Frau - wenn man dieses Ding als eine solche bezeichnen wollte - schien vollkommen verdreht. Ihr Kopf war ihm abgewandt, sodass er das hintere Deckhaar sah, ihr Torso zeigte jedoch zu ihm. Unter der Hüfte folgte eine weitere Windung ihres Körpers, sodass alles, was bei einem Menschen hinten sein sollte, nun vorn war, während der Rest um hundertachtzig Grad in die falsche Richtung zeigte.

Was wollte dieses Gräuel von ihm?

“Chiangshi”, rief Jian verängstigt, da ihn die Erscheinung an diese Art von bösen Geist aus der chinesischen Folklore erinnerte. Ein Zombie, der die Lebensenergie seiner Opfer konsumiert, indem er ihre Körperteile frisst.

Ängstlich ging er langsam rückwärts.

Begleitet von markerschütternden Knacken und Brechen, rückten sich die verdrehten Körperteile der entarteten Krankenschwester zurück in ihre natürlichen Positionen. Schwarze Leere starre Jian an, da wo eigentlich Augen sein sollten. Die Kreatur streckte ihre Arme aus und versuchte, ihr Gegenüber zu packen. Kurz bevor ihr es gelang, durchstieß eine große, mit Klauen bewehrte Hand die Finsternis hinter ihr und ergriff sie. Bohrte ihre Krallen tief in ihr Fleisch, sodass ihr Blut aus den Wunden quoll und auf dem Boden auftropfte. Die Kreatur riss ihren Mund auf und protestierte mit gurgelnden Lauten, wärend noch mehr roter Saft austrat. Daraufhin zerrte sie die Hand in die endlosen Weiten des Ganges. Auf dem Boden verblieb eine Spur aus Blut, welche dampfende Löcher in das PVC äzte.

Jian, der sich derweil vor Schreck auf den Hosen gesetzt hatte, rutschte einige Meter rückwärts, bis er sich aufrichten und in die entgegengesetzte Richtung rennen konnte. Wo dieser Gang hinführte, war ihm herzlich egal. Hauptsache weg von diesem Grauen!
 

“Das ist nicht real!”, sprach sich der Asiate unentwegt Mut zu, als er den nicht enden wollenden Korridor entlang rannte. “Das ist nicht real!” Er wollte es solange wiederholen, bis er es endlich glaubte. “Ich bin im Kopf eines anderen. Das ist nicht real!” Ob es ihm gelingen würde, nachdem was er eben gesehen hatte, war fraglich.

“Gehe in ein Zimmer!”, befahl ihm aus heiterem Himmel eine vertraute Stimme. Sie schien von überall gleichzeitig zu kommen.

Verunsichert blieb Jian stehen. “Melanie? B-Bist du das?”, fragte er.

“Wir haben keine Zeit!”

“Melanie?”

“Ja, ich bin es.”

Diese teilnahmslose Stimme war unverkennbar.

“Wo bist du?”

“Keine Zeit! Geh in ein Zimmer! Dort können sie scheinbar nicht rein.”

“Wer?”

“Die Krankenschwestern.”

“Wieso nicht? Das ergibt keinen Sinn. Sollen die nicht die Kranken pflegen?”

“Es muss keinen Sinn ergeben. Tue es einfach.”

Jian folgte der Anweisung und öffnete die nächstgelegene Tür. Er durchschritt sie und schloss sie umgehend hinter sich ab. Danach sah er sich in dem Raum um. Er befand sich in einem luxuriösen Einzelzimmer. Nicht weit von ihm stand eine Kommode. Er umklammerte sie und wuchtete den Einrichtungsgegenstand unter Einsatz all seiner Kräfte vor die Tür, durch die er das Zimmer soeben erst betreten hatte, nur um sich etwas sicherer fühlen zu können. “Wo bist du?”, fragte er Melanie anschließend.

“Ich weiß es nicht genau”, antwortete die Psionikerin. “Wieso bist du hier? Ich dachte, du kannst nur in Maschinen eindringen?”

“St-Streng genommen ist auch der Mensch nur eine Maschine”, erklärte Jian.

“Bitte beantworte meine Frage.”

“Die Ärzte haben wohl Panik bekommen, als keine Hirnaktivität von dir zu messen war. D-Du hast es also wirklich getan? Eine Geistesverschmelzung. Warum hast du das gemacht?”

“Die mentale Barriere dieses Mädchens schien unüberwindbar. Ich bin von Außen nicht an sie herangekommen. Sie hat mich immer wieder aus ihrem Kopf rausgeschmissen. Deshalb habe ich eine etwas drastischere Maßnahme ergriffen und mich vollständig in ihren Verstand begeben. So kann sie mich nicht so einfach abstoßen."

“Bist du vollkommen bescheuert?!” Jian verfiel allmählich in sein Mission Operator Alter Ego, während er mit ihr sprach. “Weißt du, wie gefährlich das ist, was du da machst, du blöde Kuh? Was ist, wenn du nicht mehr zurück findest?”

“Du hast doch das gleiche gemacht.”

“Ich bin hier, um dich zurückzuholen, verdammt! Also wo bist du?”

“Ich bin hier noch nicht fertig!”

“Rivera wird das gar nicht-”

“Sei mal bitte leise.”

“Ich bin ganz bestimmt nicht leise.”

“Halt deine verdammte Fresse!”, übertrug sie ihm mit energischer Stimme.

Die ungewohnte Ausfälligkeit schockierte Jian genug, dass er tatsächlich inne hielt.

“Hier ist etwas…”

“Melanie?”

“Es hat mich gefunden!”

“Was hat dich gefunden?”

“Ich muss hier weg! Ich melde mich wieder.”

“Melanie!”

Jian rief wieder und wieder ihren Namen.

Aber er erhielt keine Antwort mehr.

Er überlegte, was er hier noch tun konnte.

Plötzlich wurde er von einem lauten Poltern von irgendwo hinter der Tür aus seinen Gedanken herausgerissen. Was immer es war, es kam näher. Ohne einen Fluchtweg entschloss er sich, die Suche nach Melanies Bewusstsein für den Moment aufzugeben. Er sammelte seine geistige Kraft und konzentrierte sich darauf, diesen Ort zu verlassen.

Im nächsten Moment öffnete er in der Realität die Augen und sah sich alsbald der nächsten unangenehmen Situation ausgesetzt.
 

~~~
 

Trainingsraum
 

Skeptisch beäugte Merrill das Geschehen. Victor war fleißig zu Werke gegangen, nachdem der erste Schock ausgestanden war. Unter den Geräten des Trainingsraums befanden sich drei Trainingspuppen. Victor trug sie zusammen und stellte sie in einer Reihe nebeneinander im Abstand von etwa einem halben Meter auf. Bei diesen Objekten handelte es sich prinzipiell um einen künstlichen menschlichen Oberkörper, der auf einer biegsamen, widerstandsfähigen Säule angebracht war und durch einen breiten Sockel Standfestigkeit verliehen bekam. Dennoch erinnerten diese Dinger Merrill an das letzte Mal, als sie stundenlang in einer Boutique verbrachte.

“So, das war die letzte”, verkündete der Schwarzhaarige seltsam stolz, nachdem die letzte Trainingspuppe in Position gebracht worden war.

“Was wird das, wenn's fertig ist?”, erkundigte sich Merrill nach dem Sinn dieser Scharade.

“Ich möchte, dass du versuchst, diese Druckwelle zu erzeugen. Wenn du das hinbekommst, wäre das echt ein Mehrgewinn.” Er setzte sein übliches schelmisches Grinsen auf. “Und ich will nicht nochmal als Ziel herhalten.”

“Echt schade!”

Victor ging zur Seite und sah Merrill erwartungsvoll an.

“Und jetzt?”

“Leg los.”

“Einfach so?”

“Ähm… ja.”

“Willst du nicht irgendeine lange Rede halten, wie ein alter Kung Fu Meister in einem Martial Arts Film?”

“Hatte ich eigentlich nicht vor. Aber wenn du darauf bestehst…” Der Schwarzhaarige atmete ein und aus und sprach dann mit dramatischer Stimme weiter. “Meine Schülerin, konzentriere dich! Gehe in dich und finde dich selbst. Sammele dein Ki und konzentriere dich auf die Aufgabe vor dir.”

“Du bist so ein Spinner!”

“Und als Bezahlung verlange ich deine Unterwäsche!”

Merrill sah Victor skeptisch an.

“Jian hätte das verstanden…”

Als ob sie die Anspielung auf den Herrn der Schildkröten aus Dragonball nicht verstanden hätte… Das war einfach nur nicht witzig!

Scheiß drauf, dachte sie.

Merrill brachte sich vor der ersten Trainingspuppe in Stellung. Sie versuchte, sich an das Gefühl der Wut zu erinnern, welches der ersten Anwendung ihrer neuen Fähigkeit vorausgegangen war. Merrill öffnete den Mund und begann zu schreien.

Ein schmerzhaft vertrautes Kreischen zwang Victor in die Knie, während er sich verzweifelt die Ohren zuhielt.

Als Merrill es bemerkte, stellte sie sofort das Schreien ein. “Entschuldigung!”

“Verdammt, hast du ein Organg!”, kommentierte der Schwarzhaarige ihren Misserfolg, nachdem er wieder aufgestanden war. “Mir klingeln immer noch die Ohren.''

Das konnte doch einfach nicht wahr sein?!

Wieso klappte es nicht?

Merrill wandte sich wieder der Puppe zu.

Das detailbefreite schwarze Latexgesicht starrte sie an, als wolle es sie verhöhnen.

Jetzt bist du fällig, drohte sie dem leblosen Objekt in Gedanken.

Sie startete einen zweiten Versuch. Diesmal funktionierte es. Anstelle von sich gleichmäßig ausbreitendem, ohrenbetäubendem Lärm, schoss eine örtlich begrenzte Druckwelle auf das Trainingsgerät zu und brachte es zu Fall.

“Yes!”, freute sich Merrill, während sie mit geballten Fäusten freudig gestikulierte.

Victor verbuchte dies als Erfolg seiner herausragenden Fähigkeiten als Lehrer und grinste selbstzufrieden.
 

Riveras Büro
 

Die Atmosphäre war mindestens so ungemütlich wie die Laune von Miguel Rivera.

Die Ärzte, welche Catherine zugeteilt waren, hatten dies bereits zu spüren bekommen. Welche langfristigen Konsequenzen ihr Alleingang haben sollte, hatte er noch nicht entschieden. Experimente, die Personal mit einschlossen, hatten ausnahmslos über seinen Schreibtisch zu wandern. Insbesondere, wenn es sich dabei um Ausflüge in psychisch instabile Gehirne handelte! Er hatte sich dazu entschieden, die Übeltäter vorerst vom Dienst zu suspendieren, bis ihm etwas besseres eingefallen war.

Nun lag die Aufgabe, den Scherbenhaufen zu beseitigen, welche seine Untergebenen hinterlassen hatten, in seinen Händen. Jetzt hatte er die Verantwortung für zwei komatöse Frauen, anstelle von einer.

Und was er mit dem Jungen machen sollte, war ihm auch noch nicht klar.

“Wieso haben Sie bei der Sache mitgemacht, Senior Cheng?”, wollte er von seinem Gegenüber wissen.

Während es sich Rivera in seinem Schreibtischstuhl mit ledernem Bezug, Kopfstütze und Armlehnen bequem machte, saß Jian auf einer hölzernen Sitzgelegenheit. Fast als sei er ein unartiger Schüler und ins Büro des Direktors bestellt worden.

“Dr. Barber hat mich gebeten, sofort zu ihm zu kommen”, erläuterte Jian. “D-Da ich bei meinem Problem nicht weiter kam, w-war mir die Abwechslung gerade Recht.” Urplötzlich riss er die Hände wie zur Verteidigung hoch. “Ich habe das nicht als Spaß betrachtet. Ich wollte wirklich helfen. U-Und woher sollte ich wissen, dass Sie diese Aktion nicht genehmigt haben?”

“Sie haben gar nicht darüber nachgedacht, stimmt’s?”, mutmaßte Rivera.

Jian seufzte. “Das stimmt...”

“Können Sie mir erklären, was mit Senorita Cortez geschehen ist?”

“Sie ist i-in den Kopf von dieser Catherine eingedrungen. Ich habe das Gleiche gemacht.”

“Sie haben mit Catherine Kontakt aufgenommen?”

“Nein. Mit Melanie. Ich bot ihr m-meine Hilfe an. Ich hatte aber das Gefühl, dass sie meine Hilfe gar nicht will. Obwohl dort alles voll ist mit Monstern…”

“In Catherines Kopf?”

“Ja. Ein V-Verteidigungsmechanismus. Wie ein Virenscanner. Greift alles an, was eindringt. Ähm… denke ich zumindest.”

“Können Sie einschätzen, ob Senorita Cortez Erfolg haben wird?”

“Wenn Sie mich fragen, kann sie froh sein, wenn sie da wieder herausfindet."

Rivera atmete durch. Sein Blick fiel auf seinen Zigarrenkasten, welcher außer Sichtweite seines Besuchs in einem Fach unter der Tischplatte lag. Jetzt könnte er durchaus eine vertragen. Oder zwei. Aber das war ungesund und er wollte aufhören. “Und wenn Sie wieder da rein gehen und ihr helfen?”

Jians Augen weiteten sich bei dem Gedanken an die Schrecken, die er in Catherines Kopf gesehen hatte. “S-Sie wollen, dass ich da wieder reingehe?”

“Ich kann einen anderen finden, wenn es zu viel für Sie ist.”

Jian fasste einen Entschluss. “Das wird nicht nötig sein!” Das war die Gelegenheit, dem Team aktiv zu helfen. “Ich mache es!”

Überrascht zog Rivera die Augenbraue hoch.
 

Begleitet von weiterem medizinischen Personal, war Jian zurück in den Beobachtungsraum gegangen und erneut in Catherines Seelenwelt eingetreten. Der Schmerz und die Emotionen wurden bald zur Gewohnheit. Mit zunehmender Exposition entwickelte er mehr Toleranz. Es war trotzdem kein Spaziergang im Park und eine Qual, wieder zu dem Ort vorzudringen, an dem er zuvor gewesen war.

Als es ihm endlich gelungen war, gab es von den Geräuschen von vorhin keine Spur.

Welch Glück!

Der Gestank des PVC und das Klicken der flackernden Neonröhren blieb ihm jedoch nicht erspart. Der Boden war übersät mit Müll und alten Zeitungsblättern, auf denen nur unverständliches Gekrakel stand. Gelegentlich fand sich das eine oder andere verdreckte Pflegebett. Eine Weile wandelte Jian durch den endlosen Korridor. Was sollte er auch sonst tun? Umkehren und in die entgegengesetzte Unendlichkeit hineinlaufen?

Wie in einem Traum verloren Zeit und Raum hier ihre Bedeutung.

Er wusste nicht, wie lange er umhergeirrt war.

Nur das dieses verdammte Summen der Neonröhren ihn wahnsinnig machte!

Plötzlich hörte er etwas.

“Melanie?”, rief er in die Dunkelheit.

Keine Antwort.

“Catherine?”

Stille.

Ein angestrengtes Atmen näherte sich schnell.

Dazu sein unüberlegtes Rufen zu bereuen, fehlte Jian jetzt die Zeit. Er wusste nicht, was auf ihn zukam, aber er wollte nicht riskieren, dass es ihn erreichte.

Eilig entfernte er sich von der Geräuschquelle.

Die unbekannte Kreatur kam im raschen Tempo näher. Das schwere Atmen wandelte sich in schmerzverzerrtes Stöhnen und blinde Raserei um.

Jian erinnerte sich, dass Melanie sagte, dass die Krankenschwestern nicht in die Zimmer konnten. Vielleicht galt das auch für diese Kreatur. Er brach aus der Spur aus und warf sich gegen eine Tür zu seiner Linken, an der er hektisch rüttelte. Doch sie war fest verschlossen und rührte sich kein Stück. “Geh auf, du Drecksteil!”, fluchte er.

Die Schimpftirade stoppte abrupt, als etwas aus der Dunkelheit hervor geschossen kam und Jian spürte, wie sich ein glitschiger Tentakel um seinen Fuß wickelte. Das Monster zerrte an seinem Bein und brachte ihn zu Fall.

“Hilfe!”, schrie er. Aber wer sollte ihm helfen?

Verzweifelt versuchte er, sich dagegen zu stemmen, in die Finsternis gezogen zu werden.
 

FORTSETZUNG FOLGT…

Geistige Erlösung


 

“Das Gewissen ist eine Wunde, die nie heilt und an der keiner stirbt.”

(Friedrich Hebbel)

 

Catherines Unterbewusstsein

 

Die Kreatur zerrte unaufhörlich an seinen Beinen.

Gottseidank hatte Jian zuvor noch den Handlauf erreicht.

Nun klammerte er sich daran, als ob sein Leben daran hängen würde.

Zuvor war er sich der Realität noch bewusst und dass all dies nicht echt sein konnte.

Aber die abscheulichen Bilder, die er hier sah, fraßen sich Buttersäure gleich in seinen Verstand hinein. Die Angst bemächtigte sich seines Denkens. Je mehr er sich in seiner Panik verlor, desto mächtiger wurde die Kreatur. Das Gefühl, dass ihm sein Bein abgerissen wurde, intensivierte sich. Er spürte, wie sich die Sehnen und Muskeln von den Knochen lösten, obwohl er an diesem Ort keine physische Gestalt besaß.

Die Schrauben, welche den Handlauf bis zu diesem Moment mit dem Mauerwerk dahinter verbanden, begannen allmählich dem Zug nachzugeben. Begleitet von Staub und abgesplitterten Putz, entfernte sich der Handlauf immer weiter von der Wand.

Jian wollte nicht gefressen werden!

Oder was auch immer dieses Ding mit ihm tun wollte.

Plötzlich gab der Handlauf nach.

Er hielt dem letzten Ruck des Tentakel nicht mehr stand.

Mit lautem Knall fiel er zu Boden.

Ebenso Jian.

Vergeblich versuchte er sich am billigen PVC-Boden festzukrallen.

Er brauchte eine Waffe!

Was für eine war völlig egal.

Sein Verstand übernahm gerade noch rechtzeitig die Kontrolle über die übermächtige Angst, als ihm der Gedanke kam, dass er in Catherines Seelenwelt wahrscheinlich nicht nur über sich selbst, sondern auch über andere Dinge bestimmen könne.

Er stellte sich vor, dass er in seiner künstlichen Hand ein Messer hatte. Im gleichen Moment registrierten die Sensoren der Prothese, welche die Nerven einer Hand aus Fleisch und Blut ersetzten, ein Signal, welches darauf hindeutete, dass etwas gehalten wurde. Ohne auch nur hinzusehen, beugte sich Jian zu seinem Bein und stieß in den monströsen Tentakel hinein, woraufhin eine Blutfontäne aus der entstandenen Wunde schoss.

Er hielt tatsächlich das Messer in der Hand, an das er gedacht hatte.

Dabei handelte es sich um das hunderte Dollar teure Sushimesser seines Vaters. Es bestand aus rostfreiem Edelstahl und setzte auch von dem ekligen Lebenssaft dieser mentalen Projektion keine Flecken an. Es war von der japanischen Marke Sakanai, welche auf eine über vierhundert Jahre lange Tradition zurückblickte. Jians Familie führte ein asiatisches Restaurant und dieses Küchenwerkzeug war ihr größter Schatz. Generationen von Cheng hatte es bereits gute Dienste geleistet, seitdem es Jians Urgroßvater einst auf einer Japanreise erstand.

Und nun diente es Jian als Waffe gegen die Kreatur.

Auch wenn es eigentlich gar nicht wirklich hier war.

Die vermeintliche Präsenz dieses Messers reichte aus, um Jian die Zuversicht wiederzugeben. Noch einmal stach er auf den Tentakel ein, bis dieser ihn endlich freigab.

Sofort sprang er auf und rannte los.

Doch plötzlich fühlte er unter seinen Füßen keinen Grund mehr und stürzte durch den Boden hindurch, als ob dieser urplötzlich seine feste Form verloren hätte.

 

Last Seed, Cafeteria

 

Gedankenversunken schwenkte Lamar die Tasse in seiner Hand umher und beobachtete die Reflektion der Deckenlampe in seinem Kaffee.

“Willst du ihn kalt werden lassen?”, fragte ihn eine Frauenstimme.

Lamar war so in Gedanken versunken, dass er es erst gar nicht mitbekam.

“Geht auch einfacher”, setzte die Stimme neben ihm fort. “Nimm gleich Eiskaffee.”

Erst jetzt zeigte der Dunkelhäutige eine Reaktion und wandte sich ihr zu.

Es handelte sich um Mandy.

“Hi!”, sie winkte ihm verspielt zu.

"Ach, du bist das”, reagierte Lamar.

“Du guckst so bedeppert. Was ist denn los?” Mandy sah sich auf dem Tisch um und erspähte einen geöffneten Umschlag und einem aufgefalteten Brief direkt daneben. Es wirkte sehr offiziell. Ganz offensichtlich war dieses Schreiben der Grund für Lamars Abwesenheit.

Lamar bemerkte, dass die Blondine auf den Brief schielte. Er faltete ihn zusammen und stopfte ihn sorgsam zurück in den Umschlag.

“Wusste gar nicht, dass die Post hier herkommt."

“Tut sie auch nicht”, erklärte Lamar. “Von Zeit zu Zeit hole ich die Post von da ab, wo ich offiziell gemeldet bin. War wieder jede Menge Müll drin. Werbung, Sektenpamplete, das Übliche eben.”

“Sektenpamplete?”

“Frag nicht.” Lamar legte den Briefumschlag auf die Tischplatte. “Und diese Vorladung war auch dabei. Die Polizei will mich zu Darius und seiner Gang befragen. Und ich weiß nicht, ob ich da mitspielen soll.”

“Mach es!”, sprach Mandy bestimmend.

Lamar sah sie an, als erwarte er eine Erklärung.

“Wenn du da nicht hingehst, ziehst du unnötig Aufmerksamkeit auf dich.”

“Hmm…” Da hatte sie Recht.

“Wenn wir einwas nicht gebrauchen können, dann dass die Bullen an einem von uns kleben wie Fliegen am Arsch einer Milchkuh.”

“Wirklich sehr bildhafte Sprache.”

“Nein, im Ernst. Geh hin.” Mandy zuckte mit den Schultern. “Was soll schon passieren? Erstmal bist du ein Zeuge. Halte den Kopf unten und das bleibt auch so.”

“Na gut…”

“Wann ist der Termin?”

“In einer Stunde.”

 

Catherines Unterbewusstsein 

 

Der Aufprall war hart und unangenehm.

Verwirrt krabbelte Jian auf dem Boden herum, bis er sich endlich traute, aufzustehen.

Eingeschüchtert von dem Sturz, ließ er seinen Blick schweifen.

Erneut fand er sich in einem dieser Gänge wieder. Der billige PVC-Boden stank noch immer nach beißendem Bleichmittel. Die Dämpfe des Reinigers stiegen ihm in die Nase und gaben ihm das Gefühl, dass sich seine Schleimhäute langsam zersetzten. Die ehemals weißen Wände waren vergilbt und verdreckt und der Putz bröckelte stellenweise von ihnen herab. Etwa auf Hüfthöhe befand sich auch hier wieder ein Handlauf, der aber an einigen Stellen bereits abgefallen war. Alte Zeitungen und verschiedenste Krankenhausutensilien, wie beispielsweise Mundnasenmasken oder zerflederte Einweghandschuhe, lagen überall verstreut. Versiffte Pflegebetten standen vereinzelt herum und wurden vom kalten Licht der Neonröhren beschienen, deren extrem lautes Surren Jian bald wahnsinnig machte.

Wenigstens flackern sie nicht, dachte Jian.

Mit einem lauten Klicken versagte eine der Deckenbeleuchtungen kurz den Dienst, nur um sofort danach wieder anzuspringen.

Zu früh gefreut!

Er wollte das Familienerbstück wieder an sich nehmen, doch von dem Messer war weit und breit keine Spur. War es nicht mit ihm durch den Boden gefallen?

Links, Rechts und vor ihm ging jeweils ein schummrig beleuchteter Gang ab. Hinter ihm befand sich jedoch ein solides Mauerwerk.

Ein Quietschen trat allmählich  aus dem monotonen Summen der Neonröhren hervor.

Jian wandte sich ihm zu.

Es drang vom Ende des mittleren Ganges an sein Ohr. Gebannt sah er hin und hoffte, dass sein Verursacher nicht schon wieder eines dieser Monster war.

Seine Geduld wurde belohnt, als ein alter Rollstuhl mit verbogenen Rädern am Ende des Ganges, wie von Geisterhand angetrieben, ganz langsam vorbei eierte. Dort hinten mussten weitere Gänge abgehen, aber sein Bauch sagte ihm, dass er da besser nicht hingehen sollte.

Jian spürte sein Herz klopfen.

Unglaublich, dass nach all dem dieser Rollstuhl ihm noch Angst machte.

Er verspürte das Bedürfnis, sich an der Wand hinter ihm anzulehnen, um einmal kurz durchatmen zu können. Er gab seinem Verlangen nach und starrte nacheinander in die Dunkelheit links und rechts von ihm. Von seiner Position aus konnte er wunderbar alles im Blick behalten. Egal mit welcher bösen Überraschung dieser Ort aufwarten wollte. Wenn irgend etwas kam, würde er es sehen.

Plötzlich durchstießen links und rechts von ihm zwei menschlich anmutende Arme die Wand hinter ihm und umklammerten ihn. Dabei wurde die Mauer kein Stück beschädigt. Es war, als glitten die Extremitäten durch sie hindurch. Noch bevor Jian die Gelegenheit zum Schreien hatte, wurde er durch die Wand hindurchgezogen.

 
 

~~~

 

29. Polizeirevier

 

Das war einfach nicht zu glauben!

Sie hatten ihn tatsächlich in einen schummrig ausgeleuchteten Raum mit spärlicher Möblierung gesetzt, dessen einzige Lichtquelle von einer uralten Lampe aus dem letzten Jahrhundert bereitgestellt wurde.

Typisch für solche Leute, die auf die Frage, wie viel Klischee sie haben wollen, stets nur mit “Ja” antworten…

Und dann besaßen sie auch noch die Frechheit, ihn warten zu lassen.

Lamar wollte ihnen noch fünf Minuten geben und dann wieder gehen.

Das war jetzt fünfzehn Minuten her.

Doch dann endlich: Ganz unverhofft klapperte der Türknauf, drehte sich ein Stück und gab dann den Weg für den Polizeibeamten frei, welcher nun auch endlich die Güte hatte, hier aufzuschlagen. Großartig!

Wie gut, dass Lamar immer cool blieb!

Der Mann trug einen beigen Trenchcoat und einen Melone, unter dem er mutmaßlich seine Glatze versteckte - hielt sich wohl für Kommissar Maigret oder dergleichen. In aller Seelenruhe schlenderte der Mann an den Tisch und dachte nicht im Traum daran, damit aufzuhören, Lamars Zeit unnötig zu verschwenden. “Wie ich sehe, hast du es dir bequem gemacht”, eröffnete der Polizeibeamte das Gespräch.

Bequem… aber sicher doch!

Der Stuhl war das unergonomischste Sitzgerät, das man sich nur vorstellen konnte.

Lamar verkniff sich diesbezüglich einen Kommentar.

“Bist nicht der gesprächige Typ, was?”

Wann hatte er es ihm eigentlich erlaubt, ihn zu duzen?

“Dann fangen wir mal an. Ich bin Detective Fuller. Du weißt, wie das läuft, Junge. Ist ja schließlich nicht dein erstes Mal bei uns.”

Musste er ihn daran erinnern… Lamar strafte ihn mit einem verkühltem Blick ab.

“Der Name ist Lamar Summers. Du bist 16 Jahre alt. Geboren am 19. Juli 2021. Stimmt das so weit?" Der Ermittler wartete einen Moment, bevor er das Offensichtliche aussprach. “Natürlich. Steht alles schon in unseren Akten.”

Lamar fand es schade, dass er nicht allein durch Blickkontakt einfrieren konnte. Aber vielleicht konnte man das irgendwie erlernen.

“Guck nicht so, ich muss das Protokoll befolgen.”

Auf der Hitliste der Dinge, die er nicht mochte, kamen Bullen gleich nach Waffen.

“Vorab muss ich dich belehren, dass du die Aussage verweigern kannst.”

Würde Lamar wirklich gern, aber jeder Depp wusste, dass die Polizei dann erst Recht hellhörig wurde. Also wollte er es über sich ergehen lassen.

“Wie du der Vorladung entnehmen kannst, haben wir Fragen Betreffs eines Überfalls auf eine Capital Five Filiale vor ein paar Tagen. Bei der Befragung der Verdächtigen ist dein Name gefallen.”

Das Darius ihn nun mit in die Scheiße ziehen wollte, überraschte Lamar gar nicht.

“Wir fanden die mutmaßlichen Täter unter äußerst merkwürdigen Umständen vor. Weißt du vielleicht etwas darüber?”

So wenig es ihm zusagte, musste Lamar nun doch auf sein Gegenüber eingehen, wenn er hier unbeschadet herauskommen wollte. “Nein”, antwortete er knackig kalt.

“Das ist schon seltsam, da alle von ihnen behaupten, du hättest sie verarscht. Seist allein mit dem Geld abgehauen.”

Das war offensichtlich ein Trick. Die Beute hatten Lamar und Victor damals neben der gefesselten Verbrecherbande zurückgelassen. Dieser Fuller wollte ihn mit Wissen aus der Reserve locken, das nur jemand haben konnte, der vor Ort war. Den Trick kannte Lamar schon. War - wie von Fuller angemerkt - schließlich nicht das erste Mal. “Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Mann.”

“Wir haben leider noch nicht herausgefunden, wer dir geholfen hat.”

“Haben Sie nicht gerade behauptet, ich sei allein mit dem Geld abgehauen? Wo kommt denn auf einmal der andere her?”

Mit Widerworten hatte Fuller nicht gerechnet.

“Kriegen Sie mal ihre Story klar, Alter.”

Seine Schnippigkeit schien dem Polizeibeamten gar nicht zu schmecken. Nervös schaute Fuller auf seine silberne Armbanduhr, als warte er auf etwas.

 

Catherines Unterbewusstsein 

 

Jian schrie wie am Spieß. Selbst als er auf der anderen Seite der Wand angekommen war, hörte er nicht damit auf. Durch eigentlich stabiles Mauerwerk hindurch gezogen zu werden, als sei dieses gar nicht existent, passierte einem schließlich nicht alle Tage. Dass er hinter sich die Präsenz von irgendetwas anderem spüren konnte, dass ihn fest an sich gepresst hatte, machte es auch nicht viel besser.

“Kannst du endlich mal still sein”, echauffierte sich eine ihm wohlbekannte Stimme.

Die Arme ließen von ihm ab und die Person hinter ihm trat einen Schritt zurück.

Jian drehte sich um und erblickte ein vertrautes Gesicht.

“D-D-Du…”, stammelte er.

“Ich glaube, ich bekomme einen Hörsturz", sprach sein Gegenüber und rieb mit einer Hand auf dem rechten Ohr.

Es war Melanie.

“Du bist hier!”

“Endlich hab ich dich gefunden”, sprach sie. “War gar nicht so einfach. Aber nachdem ich begriffen hatte, wie dieser Ort funktioniert, war es einfach, den Kreaturen auszuweichen.”

“Du bist den Kr-Kreaturen ausgewichen?”, wunderte es den Asiaten. “Wie?”

“Hier ist nichts real. Wenn man das erst verinnerlicht hat, dann kann man den Raum zu seinem Vorteil ausnutzen und sogar durch Wände gehen!”

“Was sind das eigentlich für Viecher?”

“Das sind Kognitionen.”

“Was für Dinger?”

“Die Psyche eines Menschen reagiert auf Eindringlinge mit Verteidigungsmaßnahmen. Das kann alles mögliche sein. Bei ihr manifestiert sich ihre Abwehrhaltung in diesem Horror-Krankenhaus und den verzerrten Bildern, die sie von den Ärzten und den Schwestern hat. Ihr Unterbewusstsein spürt, dass wir in ihrem Kopf sind, und will uns mit diesen schrecklichen Bildern vertreiben. Stelle es dir wie ein Antiviren-Programm vor.”

“Ahh!” Jetzt konnte er etwas damit anfangen. “Aber wieso kannst du dann durch die Wände gehen? Sollen sie dich nicht aufhalten?”

“Das klappt nicht bei allen”, fuhr Melanie mit der Erklärung fort. “Nur bei denen, die dunkler aussehen als die anderen.”

“Wie ein Glitch in einem Computerspiel.”

“Bei den dunkleren Wänden scheint Catherines Kontrolle zu schwinden.”

“Wo bin ich hier eigentlich?” Jian sah sich um. Erst jetzt bemerkte er die Regale voll mit Kisten und die verschiedenen Reinigungsutensilien.

“Hier sind wir sicher.”

“In einer Besenkammer?”

“Es gibt Orte, an denen Catherines Kognition schwächer ist. Das hier ist einer davon. Ich vermute, sie hat noch nie so einen Raum in einem Krankenhaus von innen gesehen. Deshalb kann sie es sich nicht vorstellen und meine Vorstellung einer Besenkammer hat sich stattdessen hier manifestiert. Und deshalb können die Kreaturen hier nicht rein.”

“Du hast den Raum hier gemacht?” Jian stand dem argwöhnisch gegenüber. Zwar hatte er das Messer seines Vaters herbeirufen können, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand so viel Kontrolle über diesen Ort haben könnte.

“Glaubst du mir nicht?”, bemerkte Melanie seine Skepsis. “Warte kurz.” Sie schloss die Augen. Im nächsten Moment lösten sich die Strukturen um sie herum vollkommen auf und boten Platz für einen malerischen Strand mit weißem Sand, hohen Palmen und einem atemberaubenden Blick hinaus aufs Meer. Melanie öffnete ihre Augen wieder. “Siehst du.”

“K-Kann ich das auch?”

“Versuche es doch. Stell dir den Ort vor, an dem du jetzt gern wärst.”

Jian schloss die Augen.

Erneut löste sich die sie umgebende Substanz auf und machte Platz für einen dunklen Raum, dessen einzige Lichtquelle ein paar Computermonitore waren.

Jian öffnete die Augen.

“Cool!”, stieß er aus und zog dabei die beiden O in die Länge.

Melanie überraschte nicht, dass Jian an seinen Arbeitsplatz dachte. Schließlich machte er fast nichts anderes, als vor einem Bildschirm zu sitzen.

“Das ist unglaublich!"

“Mal langsam mit den jungen Pferden! Das klappt nur an solchen Orten.”

“Aber wir können durch Wände gehen!” Jian wollte seine Euphorie gar nicht mehr zügeln. ”Das heißt, wir können nach Catherine suchen.”

“Das können wir.” Die Brünette zwang sich ein Lächeln auf. Die Emotionen anderer in der realen Welt zu blockieren war anstrengend. Sich an einem Ort aufzuhalten, dessen Substanz einzig aus Gefühlen gewebt wurde, war wie einen Berg ohne Sauerstoffflasche zu erklimmen. Und nun strömte zusätzlich die Euphorie ihres Teamkollegen ungefiltert auf sie ein. Sie wusste nicht, wie lange sie das noch aushielt.

 

29. Polizeirevier

 

Nachdem der Detective immer wieder die gleichen Fragen in veränderter Formulierung mit ihm durchgegangen war, reichte es Lamar so langsam. Er kam sich vor wie auf einem Kinderkarussell, von dem er nicht mehr absteigen konnte. Die Suggestivfragen des Beamten drehten sich einem interstellaren Himmelskörper gleich um ihre eigene Achse. Das dieser Fuller andauernd auf seine Uhr sah, machte ihn zusätzlich nervös.

“Das führt nirgendwo hin!”, protestierte Lamar und schlug beide Handflächen auf die Tischplatte auf. “Mir reicht's! Ich gehe!” Die Beine des Stuhls, von dem er sich erhob, verursachten ein lautes kratzendes Geräusch, als er aufstand. Mit Leichtigkeit füllte es die Leere des kleinen Raumes aus.

“Wir sind hier noch nicht fertig!”, protestierte der Beamte.

“Wir sind fertig!”, entgegnete Lamar. “Ich bin als Zeuge hier. Ich habe das Recht, jeder Zeit zu gehen.” Und genau das tat er nun.

Detective Fuller wusste, dass er keine rechtliche Handhabe hatte, den Jungen festzuhalten. Nervös sah er erneut auf seine Uhr. Hatte er genug Zeit für sie herausgeschlagen?

 

Derweil durchquerte Lamar das Revier im zügigen Schritt.

Hier wurde genug von seiner Zeit verschwendet!

Er wollte schnell durch den Haupteingang verschwinden und in sein Auto steigen.

Als er die Lobby erreichte, fiel sein Blick auf eine lautstark protestierende Schlange von Angestellten, die Kraftausdrücke fluchend vor einem Kaffeeautomaten standen, welcher seinen Dienst versagt hatte. Es veranlasste ihn, einen Moment inne zu halten und dem Schauspiel beizuwohnen.

Gerade als er sich sattgesehen hatte und seinen Weg fortsetzen wollte, drangen Männer und Frauen in schwarzen Anzügen, ungesund blasser Haut und bleichen Haartönungen durch die Eingangstüren am anderen Ende der Lobby ein.

“Oh Shit!”, fluchte er. “Jetzt geht das schon wieder los.”

Er wusste genau, was das bedeutete. Agenten der Agentur waren gekommen. um ihn zu holen. Schnell zählte er eins und eins zusammen und ihm wurde klar, warum der Bulle nervös auf die Uhr sah und seine Fragen nur darauf abzielten, ihn festzuhalten.

Lamar vollführte eine hundertachtzig Grad Drehung auf dem Absatz seines Schuhes und versuchte unauffällig zu verschwinden. Er musste schnell einen anderen Ausgang finden! Mit dieser Menge an Agenten würde er niemals allein fertig werden, sein Backup wäre niemals rechtzeitig hier und seinen fahrbaren Untersatz konnte er jetzt auch abschreiben.

Aus Mangel an Alternativen entschied er sich, den Weg zurückzugehen, von dem aus er gekommen war.

Als er um die Ecke bog, begrüßte ihn eine Faust direkt ins Gesicht.

Sie gehörte dem zuvor nervösen Detective Fuller, auf dessen Antlitz sich nunmehr eine Mixtur aus Verzweiflung und Wut abzeichnete.

Lamar schüttelte den Schock des Schlages ab und stellte sicher, dass der Laufbursche der Agentur keinen weiteren Treffer landen würde. Den zweiten Schlag wich er blitzschnell aus und packte daraufhin den Arm des Polizeibeamten und verdrehte ihn auf dessen Rücken - wurde Zeit, dass das mal jemand mit einem Bullen machte!

Detective Fuller riss sich los, doch bekam umgehend seine eigene Medizin zu schmecken, als ihn die geballte Faust Lamars erwischte.

Dieser nutzte die Desorientierung seines Gegners aus, packte ihn und stieß ihn mit voller Wucht gegen die nächste Wand, was dem Mann die Nase brach und seinen bescheuerten Hut vom Kopf stieß. Der Beamte taumelte und ging anschließend zu Boden.

Leider war das Spektakel weder den anderen Beamten noch den Agenten unbemerkt vorbeigegangen. Alle stürmten auf Lamar zu. Die Polizisten wollten ihrem Kollegen gegen den vermeintlich übergriffigen Schwarzen mit dem ellenlangen Vorstrafenregister zur Seite stehen. Die Agenten hingegen interessierten sich nur dafür, Lamar in ihre schmierigen Finger zu bekommen, um wer weiß was mit ihm zu tun.

Keiner dieser Parteien wollte Lamar in die Hände fallen.

Er sah nur den einen Ausweg, dem Gang weiter zu folgen.

Zwischen einer Zierpflanze und einem Mülleimer stand ein Wasserspender mit seiner typischen bauchigen Flasche. Das kam Lamar wie gerufen. Er umklammerte das Plastikgefäß und entriss es seiner Halterung. Danach verteilte er das Wasser auf dem Boden und warf anschließend die Wasserflasche achtlos weg. Er hockte sich hin und legte beide Hände auf die Flüssigkeit. Mit dem Einsatz seiner Kräfte bildete sich ein dünner, durchsichtiger Eisfilm, den man im ersten Moment übersehen würde.

Die Schritte kamen immer näher.

Lamar richtete sich auf und rannte weiter.

Hinter ihm zeigte die gelegte Falle Wirkung. Die ersten Verfolger stürmten unachtsam um die Ecke, rutschten sofort aus und stürzten. Lamar war sich sicher, dass es ihm einen gewissen Vorsprung verschaffen würde.

Auf seiner Flucht riss Lamar eine mit Akten beladene Sekretärin um. Sie drehte sich wie ein Kreisel, bevor ihr von einem viel zu kurzem Rock bedecktes Hinterteil auf dem steinernen Boden landete und die Dokumente herabrieselten, wie das Laub im Herbst.

Das tat Lamar zwar leid, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen.

Ein anderer Beamter hatte es beobachtet und versuchte, ihn aufzuhalten.

Lamar stieß auch ihn bei Seite und rannte weiter.

Inzwischen holten die ersten Verfolger auf, die es über das Eis geschafft hatten.

Der Beamte schloss sich der Jagd an.

Wenn das so weiterging, würde bestimmt bald das ganze Revier an seinen Hacken kleben, wie stinkende Hundeexkremente.

Plötzlich kamen ihm Gestalten in Anzügen vom anderen Ende des Ganges entgegen.

Was sollte er tun? Er war umzingelt.

Geistesgegenwärtig entschwand Lamar durch eine offene Tür in ein leeres Büro und verschloss die Tür hinter sich. Er lehnte an der Wand, um kurz zu verschnaufen und nachzudenken. Ihm gegenüber ein Schreibtisch samt Stuhl und dahinter mannsgroße Panoramafenster, durch die Lamar einen majestätischen Baum erspähen konnte, der auf dem Parkplatz des Revieres stand. Nicht weit von Lamar stand ein großer weißer Schrank. Sofort ergriff er das Möbelstück und zerrte es über den grauen Teppich vor die Eingangstür. Einen Moment später warfen sich bereits die ersten Körper gegen das Brett, um es aus den Angeln zu heben.

 

Mandy saß in ihrem Wagen auf dem Beifahrersitz und vertrieb sich mit ihrem Handy die Zeit. Zwar hatte der Niedergang den technischen Standard um dreißig Jahre zurückgeworfen, aber den sozialen Medien konnte nicht mal dies den Todesstoß versetzen. Bei den erschreckend gefährlichen Versuchen einiger Mädchen Aufmerksamkeit zu erringen, konnte sie nur den Kopf schütteln.

Plötzlich signalisierte der Mann in ihrem Ohr mittels Piepen, dass ein Gespräch einging.

Mandy drückte auf ihren In-Ear.

“Ich könnte hier ein bisschen Hilfe gebrauchen”, ertönte Lamars Stimme, begleitet von dumpfen Schlägen auf irgendeine hölzerne Oberfläche.

“Was geht denn bei dir ab? Ist gerade Gefängnisausbruch?”, erwiderte sie im Spaß.

“Ha ha!” Lamars verkühlter Stimme entnahm sie, dass er das gar nicht lustig fand. Und prompt erfuhr sie den Grund dafür. “Die Vorladung war eine Falle! Ich habe hier gerade voll die Agentenschwemme!”

“Ach du Scheiße! Ich komme sofort.”

Mandy beendete das Gespräch und schwang sich auf den Fahrersitz. Zum Glück hatte sie sich bereit erklärt, ein paar Straßen weiter zu warten, falls die Dinge aus dem Ruder liefen. Mit Betätigen des Startknopfes startete der Motor des Sportwagens. Sie verstaute ihr Handy im Handschuhfach und mittels Bleifuß, der ihren männlichen Kollegen in nichts nachstand, beschleunigte sie das Fahrzeug. Quietschend rangen die Räder einen Moment um den nötigen Halt, bevor Mandy davon sauste und nur schwarzen Gummiabrieb zurückließ.

 

Die konstanten, dumpfen Schläge gegen die Tür ließen Lamar nicht vergessen, dass er sich nur etwas Zeit erkauft hatte. Er musste hier aus. Und das schnell!

Das Fenster rückte in den Fokus. Es eröffnete den Blick auf den Parkplatz des Polizeireviers. Er schnappte sich den Bürostuhl und begann auf das Panoramafenster einzuprügeln. Es hatte der Krafteinwirkung wenig entgegenzusetzen und zersprang in tausend Scherben, die nach außen herunter rieselten.

Die Stöße gegen die verschlossene Tür wurden stärker.

Nachdem Lamar die scharfkantigen Scherben am Rand beseitigt hatte, sprang er aus dem Fenster. Da er sich im Erdgeschoss befand, war das nicht annähernd so verrückt, wie die ganze Situation, in der er sich befand. Lamar rollte sich elegant ab, als er auf dem Asphalt des Parkplatzes aufkam.

In diesem Moment gab die Tür endgültig nach und der vor ihr aufgestellte Schrank fiel zusammen mit allen Akten und Ziergegenständen um.

Einige der Verfolger folgten ihm und sprangen ebenfalls aus dem Fenster.

Aber Lamar war schneller als sie.

Der Kahlköpfige kletterte über das verschlossene Eisentor, als ein Sportwagen mit Affenzahn auf der anderen Seite in einer Drehung zum Stehen kam. Am Steuer saß eine ihm wohl vertraute Blondine mit hochgeschobener Sonnenbrille in den goldenen Haaren.

“Ich hörte, du hast ein Taxi bestellt”, kommentierte sie ihr eigenes Erscheinen.

Wortlos stürmte Lamar auf das Fahrzeug zu und sprang auf dem zu ihm zeigenden Beifahrersitz. “Du hast dir Zeit gelassen, Mandy”, meinte er.

“Halt die Klappe und schnall dich an!”, giftete sie zurück.

Lamar gehorchte.

Mandy trat das Gaspedal durch und der Sportwagen schoss davon.

Die Polizeibeamten und die Agenten konnten nur hilflos mit ansehen, wie ihr Ziel ihnen durch die Lappen ging.

 
 

~~~

 

Catherines Unterbewusstsein 

 

Jian und Melanie gelangten durch einen dunkleren Teil in der Wand in einen anderen Bereich des Krankenhaus, in dem sie zuvor noch nie gewesen waren. Eine Tatsache, die leicht daran auszumachen war, dass dieser Teil der Anlage besonders verzerrt und surreal wirkte. Wände erschienen für einen Moment, nur um wieder in der Nichtexistenz zu verschwinden. Das laute Surren der Neonröhren war noch immer allgegenwärtig. An einigen Stellen strahlte ihr Schein ohne zugehörige Lichtquelle, scheinbar aus dem Nichts heraus. Fast wie in einem Computerspiel, in dem eine Zone nicht vollständig geladen war. Je weiter Jian und Melanie in den Raum hinein sahen, desto mehr wurde das spärliche Licht von der Finsternis verschlungen. In der Ferne des gigantischen Raumes konnten sie eine Struktur erspähen, wenn sie gerade keine Wand verdeckte.

“S-Sind wir da?”, fragte Jian unsicher.

“Von hier habe ich Catherine gespürt”, antwortete Melanie.

“Wo kann sie sein?” Der Asiate lenkte die Aufmerksamkeit auf das Gebilde in einiger Distanz. “Ist sie vielleicht da?”

Melanie fixierte das Objekt. “Ich-”, sagte sie und kauerte sich auf einmal hin. “Ich-” Ihre Atmung wurde unregelmäßig und sie begann zu schluchzen. Tränen quollen aus ihren Augen. “Ich spüre Traurigkeit. Unfassbare, endlose Traurigkeit.” Eine beklemmende Enge schnürte der Brünetten die Kehle zu. Die ungefilterten Emotionen, die von dem Ding in weiter Ferne emittierten, durchdrangen ihren mentalen Schild mit Leichtigkeit, wie Neutrinos sämtliche bekannte Materie.

Jian fühlte sich hilflos. Seine psionischen Kräfte waren für Gefühle bei weitem nicht so empfänglich wie jene von Melanie. Zwar fühlte er auch die Traurigkeit, aber nicht in dem Maße wie seine Kollegin. Er wusste wirklich nicht, was er tun sollte.

Derweil steigerte sich Melanie immer tiefer in bitterliches Wehklagen hinein.

Jian hockte sich neben sie und nahm sie in den Arm. “Beruhig dich”, versuchte er ihr zuzusprechen. “Das sind nicht deine Gefühle.”

“I-Ich w-weiß”, brachte Melanie unter atemberaubenden Weinen hervor. “Aber ich k-kann es nicht abblocken.” Ihre Schreie des emotionalen Schmerzes eines anderen waren so intensiv, man musste es im ganzen Komplex hören. “Ich kann nicht mehr!”

Jian drückte sie fester.

“Diese Schuld.” Melanie raufte sich mit weit aufgerissenen Augen die Haare. “Sie gibt sich die Schuld am Tod des einzigen Menschen, den sie geliebt hat. Sie sieht keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Sie wünscht sich, zu sterben. Aber nicht einmal das ist ihr möglich.”

Plötzlich packte Jian beide Unterarme von Melanie.

“Was machst du da?”, fragte sie irritiert.

“Ich helfe dir.” Daraufhin schloss er seine Augen und konzentrierte sich fest auf etwas. Noch bevor Melanie protestieren konnte, war sie auch schon verschwunden.

Jians Hände ballten sich zu Fäusten, wo zuvor Melanies Arme gewesen waren. Hatte er das Richtige getan? Verdammt, er wusste nicht mal, wie er das gemacht hatte. Woher sollte er dann wissen, ob er richtig gehandelt hatte? Seine Instinkte übernahmen die Kontrolle und er benutzte seine Fähigkeiten wie im Autopilot und schickte Melanies Verstand dahin zurück, wo er hingehörte.

Vorsichtig stand er auf.

Er sah sich um und erst jetzt dämmerte es ihm, dass er allein war.

Völlig allein an diesem von allen guten Geistern verlassenen Ort.

Was blieb ihm jetzt noch anderes übrig, als weiter vorwärts zu gehen?

Geschickt umschritt Jian die Stellen an denen in regelmäßigen Abständen Mauerteile erschienen und wieder in einer Wolke aus Partikeln verpufften. Mit sinkender Entfernung konnte Jian endlich erkennen, um was es sich bei dem Objekt handelte, auf das alle Fluchtlinien in diesem Raum zuliefen.

Die Dunkelheit gab den Blick auf das Objekt frei. Ein schwarzer Käfig mit den Maßen von ungefähr drei mal drei mal fünf Metern füllte die Mitte dieses Ortes. Von oben aus der Decke hing ein verdrehter Strang aus Drähten herunter, welcher sich um die Gitterstäbe wickelte und unzählige alte Röhrenfernseher mit Strom versorgte. Einige von ihnen zeigten Mangels eines Bildes Schneegrieß. Andere waren über chaotisch angeordnete Scart-Kabel an Videorecorder angeschlossen und zeigten verschiedene Szenen. Inmitten des Käfigs kauerte eine erbärmliche Gestalt mit langem dunklem Haar, die das Gesicht vollständig bedeckte.

Für einen Moment fürchtete Jian, jetzt auch noch gegen Sayako kämpfen zu müssen.

Aber die kroch sonst aus dem Fernseher heraus…

Die Gestalt drehte den Kopf zu ihm. Jian seufzte erleichtert, als er erkannte, dass nur Catherine in dem Käfig eingesperrt war.

“Mach, dass es aufhört!”, forderte sie ihn auf.

Erst jetzt sah sich Jian an, was die Geräte eigentlich zeigten. Auf einem Bild lag eine Frau auf dem Boden mit einer stark blutenden Schusswunde. Auf einen anderen sah er einen männlichen Körper und die blutigen Reste eines Kopfes. Daneben lagen einige Spritzen - mutmaßlich irgendein berauschender Schmutz.

“Ich will nicht mehr!” Catherine begann wie wild zu zappeln und sich an den Haaren zu zerren, genau wie Melanie zuvor.

Jian tat das aus seiner Sicht einzig Richtige und stürmte zu den Videorekordern. Einem nach den anderen stöpselte er aus, sodass auch die angeschlossenen Fernseher nur noch Schneegrieß anzeigten.

Nachdem er den dritten Fernseher ausgestöpselt hatte, hörte Jian ein lautes, angsteinflößendes Brüllen. Trotzdem machte er einfach weiter.

“Der Doktor kommt”, sprach Catherine verängstigt.

 

Beobachtungszimmer

 

Melanie erwachte mit einem tiefen Atemzug aus ihrem komatösen Zustand. Es war, als müsste sie die Luft von Stunden mit einem Mal einsaugen. Sie benötigte einen Moment, um zu realisieren, dass sie sich wieder in der Realität befand. Der Anblick von Jian, der mit nach innen gerollten Augen neben ihr stand, half dabei gewiss.

Sofort sprangen die Mediziner von ihren Stühlen auf und stürmten in den Beobachtungsraum. Sie konnten ihren Geräten nicht mehr trauen und mussten sich mit eigenen Augen von dem Lazeruswunder überzeugen, das soeben passiert war. Aus ihrer Sicht war Melanie seit Stunden hirntot gewesen.

“Dieser verdammte Idiot!”, beschwerte sich die Brünette ungewohnt emotinal, während die Ärzte sie umschwärmten, wie ein Schwarm Wespen ein offenes Marmeladenglas.

 

Catherines Unterbewusstsein

 

Die Dunkelheit wurde erneut von einem entsetzlichen Gebrüll zerrissen. Eine Gestalt bewegte sich aus den Schatten auf den Käfig im Zentrum des riesigen Raumes zu. Sie war so groß, dass sie selbst unter der sechs Meter hohen Decke nur gebückt voran kam. Als sie von dem schwachen Licht illuminiert wurde, enthüllte sich ihre groteske Hässlichkeit. Sie besaß einen entarteten humanoiden Körper, aus dem überall Tentakel sprießten, wie bei einem Ungeheuer aus einem Roman von H. P. Lovecraft.

Demonstrativ brüllte die Kreatur Jian an. An der Stelle, welche vermutlich den Kopf darstellen sollte, präsentierte sie ein Sammelsurium an scharfen Zähnen.

Einer der Tentakel schnellte nach vorn und stieß Jian vom Käfig weg.

Jian rappelte sich auf und positionierte sich erneut vor den Gittern.

Die Kreatur reagierte, indem sie ihn mit einem weiteren Tentakel traf und in die andere Richtung schleuderte. Danach trat sie an den Käfig heran und verband sorgsam die Videorecorder wieder mit den Röhrenfernsehern. Der Schneegrieß verschwand und das Programm wurde fortgesetzt.

Catherine krümmte sich erneut unter seelischen Schmerzen.

Jian verstand die Absichten der Kreatur. Sie wollte sicherstellen, dass Catherines Leiden fortgesetzt wurde. Er stand wieder auf und konzentrierte sich darauf, eine Waffe in die imaginäre Welt zu rufen. Das Familienerbstück materialisierte sich in seiner rechten Hand. “G-Geh weg von ihr!”, forderte er anschließend das Monster auf.

Das ließ sich jedoch nicht beirren und stöpselte weiter die Geräte zusammen.

Jian fasste sich ein Herz und stürmte auf die Kreatur zu. In wilden Hieben ließ er das Gräuel die Klinge spüren.

Wieder stieß ihn die Kreatur weg. Diesmal mit einer solchen Wucht, dass er mehrere Meter weit durch die Luft flog, bevor er auf dem Boden aufkam. Dabei wurde Jian das Messer aus der Hand geschlagen. Es rutschte über den Boden und verschwand in der Dunkelheit. Die jüngste Provokation wollte das Scheusal nicht unbeantwortet stehen lassen und schenkte Jian seine volle Aufmerksamkeit. Sein markerschütterndes Brüllen beflügelte Ängste, während die rasiermesserscharfen Zähne das Neonlicht reflektierten.

Bisher war Jian gut damit gefahren, sich stets vor Augen zu halten, dass all dies nicht real ist. Dass er sich im Kopf von Catherine befand. Doch wie sehr er es auch versuchte, bei diesem Ding schien es nicht zu funktionieren. Was soll ich nur tun?, fragte er sich verzweifelt, während die Kreatur sich weiter näherte. Dann kam ihm eine Idee. Was wäre, wenn er stattdessen fest daran glaubte, dass alles hier echt war? Dass an diesem Ort jeder Gedanke eine feste Form bekommt? Zähneknirschend zwang er sich, aufzustehen.

Er ergriff die Brille, welche auf wundersame Weise noch immer auf seiner Nase thronte, und warf sie in einer lässigen Bewegung von sich. “Es gibt nur eine Regel!”, sprach er zu der Kreatur. Im gleichen Moment formte sich ein Gebilde in seiner Hand. Ein Lichtblitz enthüllte eine riesige Waffe. Dabei handelte es sich um das ikonische Schwert des Titelhelden eines alten JRPGs. “Lege dich nicht mit dem Otaku an!” Jian stellte sich vor, wie die Energie des entfesselten Extasebalken durch seinen Körper schoss.

Irritiert verharrte das Monster.

Jian stieß sich vom Boden ab und vollführte die Spezialattacke, die er so oft auf seiner Konsole dem Spielercharakter befohlen hatte. Streich um Streich zerlegte er die Kreatur, bis nach dem fünften nur noch groteskes Hackfleisch verblieb, aus dem widerwärtige Säfte austraten und den PVC-Boden verätzten.

Jian hielt inne und betrachtete zutiefst fasziniert, wozu seine lebhafte Fantasie ihn an diesem Ort befähigte. Einmal konnte auch er sich wie ein Held fühlen!

Das nächste Ziel seiner entfesselten Aggressionen wurde der Käfig, indem Catherine gefangen gehalten wurde. Funken sprühten, als er die Fernseher und Videorecorder zerteilte und die Show ein für allemal beendete. Danach musste der Käfig selbst dran glauben. Als alles zerstört war, besann sich Jian der Realität und Schwert und Superkräfte verschwanden.

Inmitten der Reste ihres Gefängnisses hockte Catherine und sah ihn mit großen Augen an. Um sie und Jian herum lösten sich die Strukturen auf und flossen ineinander, bis sich beide am Eingang des Krankenhauses wiederfanden.

Jian streckte Catherine die Hand aus. “K-Komm!”, forderte er sie auf.

Die Brünette ergriff seine Hand.

Gemeinsam durchschritten sie den Eingang und gingen in den strahlend sonnigen Tag hinein, dem die Finsternis weichen musste.

 

Beobachtungszimmer

 

Nach der obligatorischen Untersuchung, ob auch wirklich alles mit ihr in Ordnung war, verblieb Melanie im Beobachtungsraum und ließ ihren versteift stehenden Kollegen nicht aus den Augen. Sie hatte verstanden, warum Jian das getan hatte. Die Emotionen waren zu viel für sie geworden. Eine große Hilfe wäre sie ohnehin nicht gewesen. Allerdings empfand sie es als übergriffig von ihm, gegen ihren Willen aus Catherines Kopf rausgeschmissen zu werden wie ein Besoffener aus der Disco.

Wie zum Teufel hatte er das überhaupt angestellt?

Diese Frage musste sie sich wohl oder übel für später aufheben.

Mit Sorge betrachtete sie Jian.

Lange warten ließ er sie nicht. Ohne Vorwarnung schloss er die Augen und wurde schlaff. Die Beine knickten ihm weg und er fiel zu Boden.

Das Schlimmste befürchtend, eilte sie zu ihm.

Einen Moment später öffnete sich die Tür und medizinisches Personal drängte in den Beobachtungsraum hinein.

Zur Beruhigung aller kam Jian schnell wieder zu sich und konnte aufstehen.

“Geht es dir gut?”, fragte Melanie.

“I-Ich denke schon”, antwortete Jian. “Nur ein paar Kopfschmerzen.” Sofort wandte er seine Aufmerksamkeit Catherine zu. “Was ist mit Catherine?” Er drängte an ihr Bett heran. “Catherine?”, sprach er ihr zu.

Melanie und die anderen hielten sich vornehm zurück.

Jian betrachtete die Schlafende erwartungsvoll.

 

Catherine spürte die auf sie gerichteten Blicke, obwohl ihre Augen noch geschlossen waren. Zaghaft öffnete sie sie einen Spalt. Die Helligkeit blendete sie. Das Licht prasselte gnadenlos auf ihren optischen Nerv ein. Ihre Augen waren so lange geschlossen, dass sie sich erst wieder daran gewöhnen mussten, ihren Dienst zu verrichten.

Jemand rief ihren Namen. “Catherine!”

Etwas Verschwommenes war dem Licht im Weg.

Catherine wartete, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnten.

Zunehmend enthüllte sich das Gesicht eines Jungen. Offenbar ein Asiate. Sie wusste genau, sie hatte ihn noch nie gesehen. Dennoch waren ihr seine Züge so vertraut. Sie empfand ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und der Zuneigung für diesen Typen. Wieso? Wer war er? Welche Signifikanz hatte er für sie?

Es war so verwirrend!

“Catherine, du bist wach”, sprach der Junge euphorisch.

Sie fragte sich, woher er ihren Namen kannte.

Waren sie sich doch schon einmal begegnet?

Sie fasste den Mut, sich aufzusetzen und umzusehen. Unzählige Gestalten standen um sie herum und löcherten sie mit ihren Blicken. Zumindest wirkte es zuerst so. Dann wurde ihr bewusst, dass sich außer ihr nur fünf Personen in diesem Raum befanden. Der asiatische Junge, ein brünettes Mädchen, das sehr erwachsen wirkte und drei Typen in weißen Kitteln. Alle wirkten so erleichtert und glücklich. Etwa weil sie aufgewacht ist?

Dennoch fühlte sie Unbehagen. Vor allem die Männer in Weiß weckten alte Ängste. Sie wollte fliehen, aber konnte nicht. Vor ihr die Fremden und hinter ihr die Wand. Aber da war dieses Gefühl von Wärme und Zuversicht, das sie immer dann verspürte, wenn sie den Jungen ansah. Catherine hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Sie beugte sich zu ihm hin und schlug ihre Arme um seinen Rücken. Dann legte sie den Kopf auf seine Brust und schloss die Augen. Wie gruselig und angsteinflößend dies alles auch sein mochte, sie spürte, dass sie bei diesem Jungen sicher war.

 

FORTSETZUNG FOLGT...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Namen und Handlungen sind frei erfunden und so weiter... ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Vorlesung in diesem Kapitel basiert auf einer echten Vorlesung.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=wZ9Z81924DA Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (34)
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Von:  Regina_Regenbogen
2022-08-19T20:23:43+00:00 19.08.2022 22:23
Jian macht Sushi!!! XD XD XD Yes!
Ich finde die Beschreibung dieses Horror-Krankenhauses super! Man ist mitten drin.

>Wenn irgend etwas kam, würde er es sehen.
Zu früh gefreut...

😂😂😂😂Herrlich die Klischees bei der Polizei!

Die Beschreibung, dass es Catherines Kognitionen sind und alles drum herum, finde ich genial! 😃 Mir tut nur Melanie aufgrund ihrer Fähigkeiten leid.

Haha, cooler Trick von Lamar! 😁
Puh, spannend, auch wenn ich ja gerade besonderes Interesse an Catherines Seelenwelt habe. Lamar und Mandy sind ein tolles Team. :D

Waaaah, Jian, du bist toll! Dass er Melanie rauswirft und allein weitergeht! Und so süß, wie er die Fernseher ausstöpselt. Es ist zu spannend zum Kommentieren, sorry.
XD XD XD XD "Leg dich nicht mit dem Otaku an!" Ich liebe es!!!! 😍 Jian, du BIST ein Held! 💖💖💖💖
Oh, so süß, wie er sie rettet! 😍
Oooooooooooooh!!!!!!!!! Mein Shipper Herz ist glücklich!!!!! 😍😍😍😍😍 Hach! Schöner geht ja wohl nicht! 🥰🥰🥰 (ノ◕ヮ◕)ノ*:・゚✧\(@^0^@)/(´▽`ʃ♡ƪ)
Von:  Regina_Regenbogen
2022-07-15T22:16:25+00:00 16.07.2022 00:16
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll! Und im Nachhinein ist das Zitat noch viel geiler!
Also, beginnen wir doch bei Victor und Ruby. Ja, auch wenn Victor ein Idiot ist, ich bin seiner Meinung, was den Namen anbelangt. XD Und zu deiner Frage: Ja, das ist definitiv sexuelle Belästigung. :'D Aber Ruby geht ziemlich locker damit um. XD Das T-Shirt von Victor. Er ist einfach so ein herrlicher Depp. Seine Scherze sind so dumm. XD Ich sollte nicht darüber lachen. XD Aber dafür kann man dann auch drüber lachen, wenn er von Ruby eins auf die Mütze kriegt.

Woah! Die ganze Story um Catherine und ihre Abwehrmechanismen!
Und dass dann auch noch Jian dazu kommt! 😍😍😍 Er ist ja mein heimlicher Favorit. Ich shippe ihn jetzt schon mit Catherine! XD Wie er in ihre Seelenwelt eingedrungen ist und das Ganze, was dort passiert! Die Bilder und die Bedeutung dahinter! So cool! 😍😍😍 Ich liebe es! Erinnert mich an Destiny Seelenwelt, nur in richtig böse. XD
Ich finde es so genial, dass Jian nicht nur mit Systemen, sondern auch mit Menschen eine Verbindung herstellen kann! 😍 Und die Beschreibung, was da auf ihn einprasselt von Catherines Seite und wie das von außen aussieht. Das war auch von beeindruckend. Der Horror in diesem Horror-Krankenhaus war genial umgesetzt, wie in einem Horrorfilm.
Haha und vorher dieses Spiel-Problem der KI! XD XD XD Wie kommst du nur auf so geniale Ideen! Und dazu dann der Vergleich zu der KI, als Jian Catherine sieht. Das passte sehr viel besser als im ersten Moment vermutet, denn er verliert sich ja auch in ihrem System.
Aaaah, ich bin so gespannt, wie es weitergeht!!!!!
Der Titel passt auch perfekt, wirklich großes Kino hier! 💖
Antwort von:  totalwarANGEL
16.07.2022 00:33
Na was soll man zu so einem schönen Kommentar noch hinzufügen?

> Und zu deiner Frage: Ja, das ist definitiv sexuelle Belästigung. :'D
Na gut, dann werde ich seine Anmachen zukünftig etwas entschärfen. In die Richtung soll das nicht abdriften. Lustiger Idiot mit Matchozügen, (erstmal) mehr nicht. Aber es gibt eine Erklärung, warum er so ist, wie er ist. Habe nur noch keinen Platz für die Erklärung gefunden.

> Und dass dann auch noch Jian dazu kommt!
Er ist der einzige, der noch nicht besonders viel Screen Time hatte.
> Er ist ja mein heimlicher Favorit.
Victor hat es definitiv bei dir verschissen, was? ^^

> Die Bilder und die Bedeutung dahinter!
Ich wollte schon lange etwas in die Richtung machen. Ich freue mich schon darauf, den Rest zu schreiben.
Antwort von:  Regina_Regenbogen
16.07.2022 00:53
>> Und zu deiner Frage: Ja, das ist definitiv sexuelle Belästigung. :'D
>Na gut, dann werde ich seine Anmachen zukünftig etwas entschärfen. In die Richtung soll das nicht
>abdriften. Lustiger Idiot mit Matchozügen, (erstmal) mehr nicht. Aber es gibt eine Erklärung,
>warum er so ist, wie er ist. Habe nur noch keinen Platz für die Erklärung gefunden.
So war das nicht gemeint! Da ich auch wirklich nicht davon ausgehe, dass er wirklich viel Erfahrung mit Frauen hat, sondern nur eine sehr große Klappe, sehe ich ihm das eh nach. Dass er sie als Arzt verkleidet gebeten hat, sich freizumachen, war da übergriffiger. 😂 Noch ein Grund, dass ich Jian mag.
Allgemein gilt, sexuelle Belästigung ist es dann, wenn die angesprochene Person es als solche empfindet. Merrill wirkt eher genervt, wobei ihre Reaktion schon darauf hindeutet, dass sie die Belästigung darin wahrnimmt. Ich denke, dass dieser Zug ja auch zu Victor und seiner Charakterentwicklung gehört. Bisher haben wir ihn auch nur Merrill gegenüber so erlebt, das lässt die Interpretation zu, dass er halt denkt, so ginge Flirten. 😂

>> Und dass dann auch noch Jian dazu kommt!
>Er ist der einzige, der noch nicht besonders viel Screen Time hatte.
Du weißt doch, ich steh auf Nerds. XD

>> Er ist ja mein heimlicher Favorit.
>Victor hat es definitiv bei dir verschissen, was? ^^
Nein, ich liebe Victor! Er ist so ein herrlicher Idiot! 💖 Und ganz ehrlich, bei einer Frau wie Merrill braucht es jemanden, der sie in den Wahnsinn treibt. XD Ich bin ja, um ehrlich zu sein, immer auf Victors Seite, aber pscht, als Feministin sollte ich das wohl nicht sein. XD XD XD Aber wie gesagt, ich denke nicht, dass er tatsächlich so mit Frauen umgeht, wie er es proklamiert. So quasi eine nach der anderen, Hauptsache flachgelegt. Er ist halt ein hormonaufgepumpter Jugendlicher und gerade gegenüber Merrill macht er erst recht einen auf große Klappe, weil er auf sie steht. Und sie macht ja den Eindruck, als wäre sie voll die Männerfresserin mit ihren sexy Bühnenauftritten, da denkt er wohl, dass er besonders machomäßig auftreten muss, um diese Frau zu beeindrucken.

>> Die Bilder und die Bedeutung dahinter!
>Ich wollte schon lange etwas in die Richtung machen. Ich freue mich schon darauf, den Rest zu
>schreiben.
😍Und ich freue mich darauf, den Rest zu lesen!
Von:  Tasha88
2022-04-18T11:06:30+00:00 18.04.2022 13:06
Hey :)

So, bin endlich zum Lesen gekommen.
Zu Beginn war ich ehrlich gesagt etwas überfordert, da ich nicht mehr genau wusste, was zuvor passiert war (teilweise zumindest) und dann wurde es mal wieder richtig spannend 😍
Die Banküberfall Aktion und die anschließende Rettung war super.

Liebe Grüße 🤗
Antwort von:  totalwarANGEL
18.04.2022 21:00
Richtig spannend? Mir selbst haben meine letzten 4 Kapitel eher weniger gefallen.
Antwort von:  Tasha88
18.04.2022 21:03
Ach, zu Beginn habe ich das Kapitel auf mehrere Anläufe gelesen, da doch wenig Zeit war 😅 und dann ab dem Banküberfall konnte ich das Handy nicht mehr weg legen.
Hast du schon eine Ahnung, wie viele Kaps es werden sollen?
Antwort von:  totalwarANGEL
19.04.2022 00:50
Nö. Das steht nicht fest.
Was passieren soll allerdings in etwa schon.
Von:  Regina_Regenbogen
2022-02-25T23:46:03+00:00 26.02.2022 00:46
Yay! Endlich Zeit zum Lesen! 😍

Haha, Victor und Merrill, herrlich wie liebevoll sie miteinander umgehen.
Bei deiner Beschreibung des Raums und des Computers kann ich mir das richtig gut vorstellen. Ja, da ich mir Orte selten gut vorstellen kann, muss ich das extra erwähnen...

Mann, Lamar, wasch die scheiß Unterwäsche doch einfach! XD

Sorry, dass ich nicht viel schreibe, will wissen wie es weitergeht und mir fallen keine tollen Kommentare ein.

Haha, ich liebe Victor und Jian in der Kombi.

"das rote Gewitter" XD XD XD Fräulein Sturm

Ich liebe es, wenn du die Sichtweise von Nebencharakteren wie diesem Kai einbaust. XD

XD XD XD XD Arme Mandy. Die Alte mit dem Köter! XD

Ach wie süß, Victor und Lamar sind auch schöne Kumpel.

Mandy hat auch keine Hemmungen. 😂😂😂

Ein wunderbar unterhaltsames Kapitel! Ich hatte meinen Spaß. 😁 Danke dafür! 😘
Antwort von:  totalwarANGEL
26.02.2022 01:31
> Haha, Victor und Merrill, herrlich wie liebevoll sie miteinander umgehen.
Merrill mag ihn. Sie weiß es nur noch nicht.
Victor weiß mehr über sie, als sie selbst.
Das kann noch spannend werden. ;)

> Sorry, dass ich nicht viel schreibe, will wissen wie es weitergeht und mir fallen keine tollen Kommentare ein.
Ich wünschte manchmal, mir würde weniger einfallen.

> Mann, Lamar, wasch die scheiß Unterwäsche doch einfach! XD
Da er einen Reinlichkeitsfimmel hat und sich schnell ekelt (hoffentlich ist das durch wiederholtes herumhacken auf den Zustand der Wohnung und die Gerüche auch gut rüber gekommen), hätte er das sicher gemacht, wenn es in der Drecksbude eine Waschmaschine gegeben hätte.

> Die Alte mit dem Köter! XD
Ja, das ist mir beim Schreiben spontan eingefallen.
Du meintest mal, du magst Old School Gags.
Ich mag sie auch. ;)

> Mandy hat auch keine Hemmungen.
He he he. :D
Überleg mal, wer ihr Bruder ist. ;)

> Ein wunderbar unterhaltsames Kapitel!
Ich hab auch so das Gefühl, das die letzten paar Kapitel zu harmlos waren.
Das muss ich unbedingt ändern. (ง '̀-'́)ง
Mehr Aktion und Leichen, wie in den ersten 4 Kapitel.
> Ich hatte meinen Spaß.
Na das ist doch schön.
Antwort von:  Regina_Regenbogen
26.02.2022 01:52
😂😂😂 Zumindest wissen wir es. Merrill, du hast da kein Mitspracherecht 🤣🤣🤣

Ich bin froh, dass dir immer so viel einfällt. 😄

Ich meinte, in der Dusche waschen. Ja, man kann Sachen auch in nem Waschbecken waschen, werden dann nur scheiße hart beim Trocknen. 😂
Ja, die Geruchsbeschreibungen waren sehr lecker. 😂

😍 Oh ja! Old School Gags liebe ich! Trägt total zum Wohlgefühl bei. 😂

😂 Oh ja, und es bleibt in der Familie. 🤣 Sexuelle Belästigung gehört bei den Kruegers zum guten Ton.

😱 Noooo. Mann, ich brauche etwas heile Welt. 😂
Von:  Regina_Regenbogen
2021-12-12T14:20:33+00:00 12.12.2021 15:20
😍😍😍 Ooooh! Ich liebe das Zitat!!!
Und du glaubst nicht, wie sehr ich mich jetzt darauf freue, das Kapitel ganz entspannt zu lesen, bevor ich wieder andere Aufgaben zu erledigen habe. 😂

Die Beschreibung mit dem Licht ist schon mal sehr atmosphärisch. :D
XD XD XD XD XD Finn!!!! "Ähm, Boss! Ich bin kein..." XD XD XD Wie geil.

Na danke, jetzt hab ich Hunger auf Chinesisch. XD
XD XD XD Victor! Du Trottel, sag einer Frau doch nicht, dass sie keine für dich perfekte Figur hat. XD XD XD
Oh Mann, Victor, dein Charme ist unübertreffelich. "Musst du aufs Klo?"

Ich finde es cool, jetzt nicht nur Lamar mal einzeln zu erleben, sondern nun auch Mandy. :D

Coole Info mit dem Krieg und den Telefonzellen. :D
XD Merrills Kommentar zu Victors Ding.
Wie süß, dass sie schüchtern wird, weil Victor ein Date will. Im Übrigen, Victor, du Depp, eine Rettung gibt dir nicht Recht auf ein Date! XD
Der Spruch mit dem Leben und dem Schriftsteller! Ich liiiiiiieeeeeebee es!!!!!! 😍😂
XD XD XD Oh mein Gott, das Wortgefecht ist wunderbar!!!! XD XD XD XD
Ich feiere Victors Selbstbewusstsein.
XD XD XD Victors dumme Sprüche! Ich liebe das!
X-Men für Arm!!! Yes! XD

Okay, unheimlicher Typ, der Telefonate belauscht. Klingt nach einem Verdächtigen für die Überwachungskamera-Sache.

:O :O :O Jian ist so cool!

XD Wunderbar, wie eklig Lamar das Ganze findet.

Melanies "genetisch kompatible Partner"! Herrlich! XD XD XD XD XD XD
Ach cool in einem kurzen Abschnitt mehr über Melanie zu erfahren.

Ein sehr unterhaltsames Kapitel! :D
Ach, langsam wachsen mir die Charaktere echt ans Herz. Ich bin schon sehr gespannt, wie es weitergeht.
Und die Sticheleien zwischen Merrill und Victor sind einfach herrlich. XD Und ich kann nicht oft genug erwähnen, wie sehr ich deinen Humor liebe! Außerdem schreibst du immer auf eine Weise, dass man sich das Ganze wundervar vorstellen kann. ^^
Antwort von:  totalwarANGEL
12.12.2021 16:02
> Na danke, jetzt hab ich Hunger auf Chinesisch. XD
Ist nie verkehrt und sehr gesund.

> Oh Mann, Victor, dein Charme ist unübertreffelich.
Ja, er ist ein bisschen wie Vitali. Nur cooler.

> Wie süß, dass sie schüchtern wird, weil Victor ein Date will.
Du weißt doch, ich hab einen Fabel für solche Charaktere.
> Im Übrigen, Victor, du Depp, eine Rettung gibt dir nicht Recht auf ein Date! XD
Was, echt? Das wird jetzt aber sein Weltbild zerstören!

> Der Spruch mit dem Leben und dem Schriftsteller! Ich liiiiiiieeeeeebee es!!!!!!
Na ja, es IST eine Geschichte von einem drittklassigen Hobbyautor. Also von daher...

> XD XD XD Oh mein Gott, das Wortgefecht ist wunderbar!!!!
Echt? Ich hab beim schreiben gedacht "Also Erik und Ariane können das besser".

> :O :O :O Jian ist so cool!
Psssss! Verrate ihm das nicht.

> XD Wunderbar, wie eklig Lamar das Ganze findet.
Also ich würde das auch eklig finden, mir etwas ins Ohr zu stecken, wo Speichel von jemand anderem dran ist.
Du nicht?

> Ein sehr unterhaltsames Kapitel! :D
Danke.
> Und ich kann nicht oft genug erwähnen, wie sehr ich deinen Humor liebe! [...]
Danke, danke!

Ich selbst fand das Kapitel so mediocre.
Aber wenn es dir Spaß gemacht hat, hat es sich gelohnt. ;)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
12.12.2021 17:44
>> Oh Mann, Victor, dein Charme ist unübertreffelich.
>Ja, er ist ein bisschen wie Vitali. Nur cooler.
Er ist einfach nur deutlich selbstsicherer und von sich überzeugter als Vitali. In der ersten Version von BD, in der Serena und Vitali sehr viel weniger sensibel und schüchtern waren, war Vitali tatsächlich Victor sehr ähnlich und hat dauernd Serena angeflirtet. XD Heute würde er sich das nicht mehr trauen.

>> Im Übrigen, Victor, du Depp, eine Rettung gibt dir nicht Recht auf ein Date! XD
>Was, echt? Das wird jetzt aber sein Weltbild zerstören!
Ich als Weltenzerstörer? Gefällt mir.

>> Der Spruch mit dem Leben und dem Schriftsteller! Ich liiiiiiieeeeeebee es!!!!!!
>Na ja, es IST eine Geschichte von einem drittklassigen Hobbyautor. Also von daher...
Wer hat die Klassen eingeteilt?

>> XD XD XD Oh mein Gott, das Wortgefecht ist wunderbar!!!!
>Echt? Ich hab beim schreiben gedacht "Also Erik und Ariane können das besser".
Victor hat mit seinen lockeren Sprüchen ja auch mehr Ähnlichkeit zu Vitali als zu Erik. 😂 Und Merrill ist auch mehr Zicke und will Victor nur eins reinwürgen. Ariane und Erik haben eine ganz andere Dynamik, weil Ariane wegen ihrem Stolz beweisen will, dass sie intelligent ist, während Merrill gar nicht erst auf die Idee käme, sich vor dem Blödmann Victor zu beweisen. 😂😂😂

>> :O :O :O Jian ist so cool!
>Psssss! Verrate ihm das nicht.
Ich finde die Idee, dass er eine eigene Yandere kriegt, immer besser. XD

>> XD Wunderbar, wie eklig Lamar das Ganze findet.
>Also ich würde das auch eklig finden, mir etwas ins Ohr zu stecken, wo Speichel von jemand
>anderem dran ist.
Das ist doch der Speichel von Mandy. Ich dachte, bei ihr würden sich Männer freuen, wenn es zum Flüssigkeitsaustausch kommt. XD XD XD

>Aber wenn es dir Spaß gemacht hat, hat es sich gelohnt. ;)
Hat es! 😘
Von:  Regina_Regenbogen
2021-12-03T20:37:47+00:00 03.12.2021 21:37
Haha, cooler Spruch. So wahr.
Sehr appetitliche Beschreibung. XD
Haha, Victor, du Stalker!
"Er war wohl doch nicht so blöd, wie er durchgeknallt war." XD Sehr guter Satz.
Wenn du von Campus sprichst, ist mein Hirn verwirrt, weil sie doch grade in einem Gebäude sind. 😂
"Blitzschnell" Haha. XD
"Diese bissigen, Sonnenbrillen tragenden Kampfhunde der Organisation, welche jedem Befehl wie seelenlose Roboter gehorchten, egal wie abscheulich oder absurd dieser auch sein möge und ihren fantasielosen schwarzen Anzügen aus Massenproduktion." Wieso muss ich jetzt an Politiker und Pharmaindustrie denken? XD XD XD
"Die ist wirklich viel zu dünn" - Jetzt bin ich verwirrt, einmal wird gesagt, dass sie so mit ihren Reizen spielt, jetzt ist sie so dünn. Wonder-Bra sei Dank! XD XD XD
Mann, Junge, kannst du nicht irgendwas auf die Wunde drücken und zubinden?! Die verblutet! Zieh doch dein T-Shirt zu diesem Zweck aus, hätte ich kein Problem mit. XD

"Schön" beschrieben, wie arm und heruntergekommen die Gegend ist.
Es ist interessant, mal mehr von Lamar zu erfahren. Von ihm hatte ich bisher das facettenloseste Bild. :'D Ich warte übrigens immer noch auf die Charaktervorstellungsseite, für den Fall, dass ich wieder alles durcheinanderbringe. xD
Ich bin übrigens baff, woher die immer die geilen Schlitten haben.
Deine Beschreibungen gefallen mir sehr, weil du mehrere Sinne ansprichst.
Ah, das ist spannend. 🙈

Oh Mann, echt frustrierende Geschichte mit dem Jungen und seiner "Fähigkeit".
Haha, die Streitereien zwischen den Geschwistern sind herrlich. XD
Ich liebe Jian! XD XD XD
XD Jian ist so lustig.

Miller! XD XD XD
Oh nein, der arme Miller. XD Aber eine zirkusreife Vorstellung.

Ich finde "Ruby" auch viel besser, klingt doch viel besser. XD

Okay, ich bin gespannt, was es mit der Entführung von Kayla auf sich hat. Ich fürchte ja, dass Darius Lamar verkauft hat, den offensichtlich kennt er Lamars Kräfte. 🙈

Antwort von:  totalwarANGEL
03.12.2021 22:25
> einmal wird gesagt, dass sie so mit ihren Reizen spielt, jetzt ist sie so dünn.
Er findet sie dünn. Das ist seine subjektive Ansicht. ;)
Sie ist schon dünn, aber das heißt nicht, dass sie nichts zu bieten hat. ;)

> Ich fürchte ja, dass Darius Lamar verkauft hat, den offensichtlich kennt er Lamars Kräfte.
Er will zwar Profit aus ihm schlagen, aber nicht so.
Eigentlich braucht er sogar seine Hilfe für etwas.
Antwort von:  Regina_Regenbogen
03.12.2021 22:30
>Er findet sie dünn. Das ist seine subjektive Ansicht. ;)
Jetzt mag ich ihn noch mehr. XD XD XD

>Er will zwar Profit aus ihm schlagen, aber nicht so.
>Eigentlich braucht er sogar seine Hilfe für etwas.
Aha!
Von:  Tasha88
2021-11-10T13:34:30+00:00 10.11.2021 14:34
Hallo :)

endlich mal wieder ;)

ich stand zu Beginn ein wenig auf dem Schlauch und dachte erst, es wäre vielleicht ein Rückblick, doch dann hast du es ja aufgeklärt ;)

Ich finde es gut, dass Peter nicht in Vergessenheit gerät und alle Mitglieder von Banshee an ihn denken. Ach ja (auch wenn mein Kommi chronologisch nicht passt) - bei dem neuen Manager habe ich mir schon gedacht, dass da Viktor auftauchen wird :D schön, recht zu haben ;)

und Melanie - da war ich einen Moment wirklich schockiert, aber zum Glück war es nur geistig und nicht wirklich, dass sie getötet wird. Catherine tut mir leid, auch wenn sie wirklich irre ist >.< aber was erwartet man auch?

UNd dann das Ende des Kapis ... oh Gott ..
aber auch hier bin ich davon ausgegangen, dass Merrill schreien wird - immerhin ist das ihre Kraft ...
sie ist eben doch auf die anderen angewiesen ... einfach um zu lernen, mit dem allen umzugehen ...

jetzt bin ich gespannt, wann es irgendwann einmal weiter gehen wird ;)

Liebe Grüße
Antwort von:  totalwarANGEL
10.11.2021 21:33
Vielen Dank, vielen Dank.
Tatsächlich schreibe ich gerade an der Geschichte weiter.
Ich werde versuchen mich etwas zu beeilen. ;)
Von:  Tasha88
2021-10-23T06:34:12+00:00 23.10.2021 08:34
Oha, als Catherine dreht wirklich durch. Ganz verdenken kann ich es ihr nicht, sie musste jahrelang leiden...
Tatsächlich dachte ich eher, okay, dafür, dass die fast jeden Tag operiert wurde und gequält, eingesperrt war, ist die ganz schön fit, wenn sie so viele Leute umbringt...
Aber man hat es ja fast vermutet, dass sie so durchdrehen wird 😅
Bis zum nächsten 😉
Antwort von:  totalwarANGEL
23.10.2021 11:24
Es ist ja geplant, das Catherine "sozialisiert" wird und dem Team beitritt.
Fragt man sich nur, wie sie das schaffen wollen. :D
Von:  Tasha88
2021-10-23T06:22:32+00:00 23.10.2021 08:22
Hallo mach 500 Jahren. Entschuldige bitte, ich wollte schon viel früher weiter lesen und kommentieren 🙈

So, nun taucht also Catherine auf. Ich bin gespannt. Tatsächlich könnte ich mir vorstellen, dass sie böse wird, mach jahrelanger Gefangenschaft und den Sachen, die mit ihr gemacht wurden...

Und Organverkäufe, der tobak nimmt weiter zu.

Und ich mag sie wilde Gruppe von last Generation :) da hast du ein tolles Repertoire von Charakteren erschaffen :)

Bis zum nächsten hoffentlich nicht mehr so lange
Liebe Grüße
Antwort von:  totalwarANGEL
23.10.2021 11:23
> Hallo mach 500 Jahren.
So "oft" wie ich daran weiter schreibe, passt das schon.

> Und Organverkäufe, der tobak nimmt weiter zu.
Warum kleckern, wenn man klotzen kann.

Es wird bestimmt noch wilder werden.
Antwort von:  Tasha88
23.10.2021 11:30
Ich mag die aussage - warum kleckern, wenn man kotzen kann 👍😂
Das merke ich mir 😉
Von:  Tasha88
2021-10-05T12:33:34+00:00 05.10.2021 14:33
Hallo :)
leider hat es ein wenig gedauert, bis ich dazu kam, weiter zu lesen und zu kommentieren.
Also das Kapitel, jetzt wurde es wirklich richtig spannend.
Die Detectivs zu Beginn mochte ich schon irgendwie, und dann Dr. House - also da musste ich richtig lachen. ..ähm ja, dann machen sie sich mal frei XD
und Victor ist also einer der ihren ... es bleibt spannend ;)

Liebe Grüße
Tasha
Antwort von:  totalwarANGEL
05.10.2021 17:19
Einer von ihren was? :D
Antwort von:  Tasha88
05.10.2021 17:47
Ich sage ja, es bleibt spannend 😁
Oder hab ich es falsch gelesen bzw jetzt im Kopf? "sie gehört zu uns? "
Antwort von:  totalwarANGEL
05.10.2021 19:16
Ne ne, passt schon.
Da hab ich wohl zu viel in die Aussage hineininterpretiert.
Ja, spannend bleibt es. ;)
Viel Spaß noch.


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