Last Seed von totalwarANGEL (Die letzte Hoffnung der Menschheit) ================================================================================ Kapitel 4: Catherines Vendetta ------------------------------ “Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.” (Klingonisches Sprichwort) Liberty Bay, 8. April 2037 Irgendwo auf der Hauptstraße Der Krankenwagen parkte auf dem Standstreifen der Hauptstraße. Die hinteren Türen waren geöffnet. Hin und wieder sauste ein Fahrzeug an ihm vorbei. Mandy saß auf der Kante mit beiden Beinen auf dem Boden und laß auf ihrem Tablet. Die hoch am Himmel stehende Sonne störte sie nicht beim studieren der Lektüre. Ihr Gerät war mit einem mattem Display ausgestattet, auf dem die Sonne nicht mehr als einen schwachen Schimmer hinterließ. Jian hatte die Datenbank des Krankenhauses angezapft und die Akte des Mädchens sicherstellen können, welches hinter ihr im Krankenwagen auf der Trage lag. Als Mandys Augen die Informationen aufnahmen und an ihr Gehirn weiterleiteten, konnte sie nicht begreifen, was sie da laß. Das Beschriebene war kaum zu ertragen. Wie konnte man dies einem Menschen nur antun? Noch dazu einem Kind! “Hey, guck mal!”, hörte sie ihren Bruder Victor auf sich aufmerksam machen. Erst reagierte die Blondine nicht doch dann tat sie ihm doch den gefallen. Sofort stach das wohl geformte Sitzfleisch Victors ins Auge. Er hatte seiner Schwester den Rücken zugewandt, stand mit heruntergelassener Hose neben einem Busch und war mitten dabei sich zu erleichtern. “Guck mal, wie weit ich komme!”, prahlte er und spielte dabei auf die Urinspuren auf dem staubtrockenen Boden an, welche bis zu eineinhalb Meter von ihm weg reichten. “Du bist eklig!” Mandy hatte ganz offensichtlich keine lobenden Worte übrig, die Leistung ihres Bruders zu würdigen. “Wieso bist du so verklemmt?” “Beeil dich gefälligst! Wir müssen das Mädchen abliefern!” Mandy fügte nach kurzer Pause im Scherz noch an, “Die Kundschaft wartet schon.” Als Victor dann begann, die Arme in die Seiten gestützt und mit seinen Hüften kreisend, freihändig zu urinieren, wurde es ihr zu bunt. Sie widmete sich wieder ihrer Lektüre. Catherine wollte die Augen nicht mehr aufmachen. Zu groß war die Angst, es könnte sich als Traum herausstellen und sobald sie sie wieder öffnete, lag sie wieder einsam in einem dunklen Zimmer. So war es viel bequemer. Es hatte ihr erlaubt, von den mitleidigen Blicken der Frau zu fliehen, welche mit ihr im Behandlungsraum des Krankenwagen geblieben war. Mit geschlossenen Augen, stellte sie sich schlafend. Zwar wirkte die schwere Medikamentierung durch das Krankenhaus noch etwas nach, dennoch war sie die ganze Zeit hellwach und bei klaren Verstand gewesen. Sie konnte jede Kurve spüren, die der Krankenwagen genommen hatte und auch, wie er zum stehen kam. Ein wenig neugierig wegen des abrupten Stopp der Fahrt war sie schon. Vorsichtig öffnete sie das rechte Auge einen Spalt. Nicht weit. Gerade genug, um die geöffneten Türen und die verschwommene Silhouette der blonden Krankenschwester zu sehen, welche ihr den Rücken zugewandt auf der Bodenkante saß und irgendetwas in der Hand hielt. Catherine hörte die Stimme des Sanitäters, verstand jedoch die Worte nicht. Die Krankenschwester bekundete daraufhin ihre Abneigung gegen seine Äußerungen. Erneut erwiderte der Mann etwas, das Catherine nicht hören konnte. Als die Krankenschwester dann davon sprach, ein Mädchen abzuliefern und dass die Kundschaft bereits warten würde, wurde der Brünetten ganz anders zu mute. Ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit und kroch wenig später hinauf bis in den Rachen und schnürte ihre Kehle zu. Diese Leute sind auch nicht besser, dachte sie. Unmittelbar schossen Bilder in ihren Kopf. Erinnerungen an einen schmerzhaften Tag vor ein paar Wochen. Damals lag sie mit der Gewissheit in ihrem Krankenbett, im Zuge der nächsten Operation ein weiteres Mal misshandelt zu werden. Angesichts der ungezählten Eingriffe zuvor, bei denen ihr Organe entfernt und Körperteile abgetrennt wurden, schien ihr ein weiterer nicht mehr sonderlich ins Gewicht zu fallen. Schließlich würden ihre Wunden heilen und das Entfernte wieder nachwachsen, bis man sie abermals ausnahm, wie einen Fisch. Und ihre Ängste sollten nicht unbegründet bleiben. Die nächste Operation ließ nicht lange auf sich warten. Das Personal stieß die Türen auf und betrat ihr Zimmer, um sie zu knebeln. Zusätzlich fesselte man sie mit Gurten an das Bett. Je zwei Gurte fixierten ihre Beine und ihren Oberkörper. Ihre Handgelenke wurden ebenfalls festgeschnallt und auch ihr Kopf erhielt die gleiche Behandlung. Sie konnte zerren und zappeln, wie es ihr beliebte, sie war außerstande sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Daraufhin schob man sie ohne weitere Umwege in den OP. Gefesselt und geknebelt war Catherine dem Tun der weißen Teufel hilflos ausgeliefert. Wieso betäuben sie mich nicht, fragte sie sich in jenem Moment. Der Gedanke an das Bevorstehende machte ihr schreckliche Angst. Kaum angekommen, traten bereits Männer in hellblauen OP-Kitteln an sie heran. Der leitende Arzt bewegte die OP-Lampe, sodass sie Catherine unmittelbar ins Gesicht schien und sie blendete. Reflexartig schloss sie ihre Augen, um den grellen Schein zu entgehen. Aber das ließen sie ihr nicht durchgehen. Einer der Assistenten öffnete das Lid ihres linken Auges mit Gewalt. “Wir sollten ihr eine Anästhesie verpassen”, meinte einer der anderen Beteiligten. Vermutlich hatte dieser Mann noch so etwas ähnliches wie ein Gewissen. “Das geht nicht”, sprach der Arzt. “Der Empfänger der Spende verträgt die üblichen Betäubungsmittel nicht.” Bei dem Wort “Spende” hätte sich Catherine am liebsten übergeben, doch der Knebel in ihrem Mund machte es ihr unmöglich. ”Was anderes haben wir nicht vorrätig”, vor der Chirurg fort. Daraufhin sah er seinen Handlanger bestimmend an. “Außerdem garantieren wir stets die beste Leistung für unsere Kunden. Wollen Sie eine Immunreaktion bei dem Empfänger verantworten?” “Aber wir können sie doch nicht ohne Betäubung aufschneiden!” Die Abscheu in seiner Stimme war deutlich. “Das ist unmenschlich!” “Für Menschlichkeit werden Sie nicht bezahlt!”, tadelte der Arzt. “Wenn Sie das nicht aushalten, können Sie gern gehen! Es gibt genug andere, die den Job machen wollen!” “Ich meinte ja nur, Sie-” “Halten Sie gefälligst die Klappe und reichen Sie mir das Skalpell!” Ohne noch ein Wort des Widerstands von sich zu geben, befolgte der Assistent den Befehl des Arztes. Die Last des Geldes wog schwerer als sein Gewissen. Jeder Mensch hat nunmal seinen Preis. Der Arzt nahm das Werkzeug entgegen und führte die Klinge an Catherines Augenhöhle. Der Körper des brünetten Mädchens zitterte und bebte mit jeder Welle des Schmerzes. Der Knebel in ihrem Mund unterdrückte ihre entsetzlichen Schreie, welche sonst mit Leichtigkeit den Operationssaal in ein barbarisches Gruselkabinett verwandelt hätten. Eilig hebelte der Chirurg den Glaskörper heraus und durchtrennte den Sehnerv. Bis das Signal gekappt wurde, sendete ihr Auge weiterhin Bilder an Catherines Gehirn und steigerten das Grauen ins Unermessliche. Dann wurde es schwarz. Das Blut quoll aus ihrer nunmehr leeren Augenhöhle. Der Assistent ließ das Augenlid los und behandelte die Wunde, um die Blutung zu stillen. Catherine verfolgte mit dem hektisch zuckendem verbliebenen Auge das weitere Geschehen. Vorsichtig legte der Chirurg das herausgeschnittene Sehorgan in einer kleinen Metallschale ab und wandte sich sogleich wieder der unfreiwilligen Spenderin zu. Derweil wurde die Schale von jemanden in einen anderen Raum gebracht. Je mehr Catherine an ihre Erlebnisse dachte, desto unwohler fühlte sie sich. Und nun wollten diese Leute sie ebenfalls ausnutzen. Das durfte sie sich nicht gefallen lassen! Sie fühlte, wie die Wut in ihr aufstieg. Sie sah sich um. Irgend etwas hier musste dabei helfen können, um ihren Entführern zu entkommen, bevor es zu spät war! Prompt fand sie einen Gegenstand, der ihr als Waffe dienen konnte. Stolz betrachtete Victor sein Werk. Es war ihm gelungen, seinen zwei Jahre alten Rekord zu brechen. Vorsichtig verstaute er das offene Denkmal in der Unterwäsche und zog anschließend den Hosenstall zu. Er hatte sich schon genug Zeit gelassen. Eigentlich verlangte das Protokoll nach einer Mission nicht anzuhalten, und sofort zurück zur Basis zu fahren. Doch seine Blase hätte die Fahrt auf keinen Fall überstanden. Seit seinem vierten Lebensjahr hatte er sich nicht mehr in die Hosen gemacht und gedachte nicht nun damit anzufangen. Erleichtert wandte er sich wieder dem Krankenwagen zu. Im normalen Tempo näherte er sich dem Fahrzeug. Seine Schwester saß noch immer auf der Kante des geöffneten hinteren Bereichs und stierte auf das Tablet in ihrer Hand. Plötzlich traf sie ein silberner Gegenstand am Kopf. Die Blondine kippte scheinbar bewusstlos nach vorn in den Staub. Hinter ihr trat das Mädchen aus dem Wagen, welches sie zuvor aus dem Krankenhaus befreit hatten. In ihren Händen hielt sie ein OP-Tablett. Der Gegenstand aus Aluminium hatte eine deutliche Delle bekommen, welche in der Sonne glänzte. Entsetzt über ihre eigene Tat, ließ das Mädchen das zweckentfremdete OP-Tablett zu Boden fallen. “Mandy!”, rief Victor entsetzt. “Hey! Finger weg von meiner Schwester!” Sofort eilte er seinem Fleisch und Blut zur Hilfe. Die verwirrte Catherine rannte um den Wagen herum, öffnete die Fahrertür, und versuchte in den Wagen zu gelangen. Victor konzentrierte noch beim Laufen die elektrische Energie in seinen Händen und feuerte sie auf das Mädchen ab. Allerdings verfehlte er, da sie sich rechtzeitig im Fahrzeug in Sicherheit brachte und die Tür schloss. Kurz stoppte der schwarzhaarige junge Mann und überlegte, was er tun sollte. Das Mädchen verfolgen oder seiner Schwester helfen. Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer. Sich Gedanken zu machen, wie er das Mädchen aus der Fahrerkabine bekam, konnte er auch später noch. Mandy war erst einmal wichtiger. Als Victor seine Schwester erreichte, rüttelte er an ihr und versuchte so, sie zu wecken. Mandy rührte sich nicht. Ängstlich prüfte er ihre Atmung. Sie war langsam und gleichmäßig. Offenbar war Mandy nur bewusstlos. Derweil startete der Motor des Krankenwagens. Die Hinterreifen drehten sich und wirbelten den Staub der Straße auf. Das Fahrzeug setzte sich stockend in Bewegung und fuhr in leichten Schlangenlinien davon. Dabei schlugen die Türen unkontrolliert auf und zu. Entsetzt betrachtete Victor das Geschehen. Er hatte nicht erwartet, dass das Mädchen in der Lage wäre, den Krankenwagen zu steuern. Vielmehr sorgte er sich allerdings um seine Schwester. Sie brauchte dringend medizinische Hilfe. Sofort informierte er die Basis und schilderte die Situation. ~~~ Seit über dreißig Minuten trat Catherine bereits das Gaspedal erbarmungslos in das Metall des Fahrzeugbodens. Sie atmete hektisch und ihr Herz schlug bis zum Hals. Es war so unwirklich. Sie konnte nicht fassen, dass sie den Fremden entkommen war. Das sie jetzt endlich frei war. Was würde sie mit dieser neu gewonnenen Freiheit anfangen? Ihr schwebte bereits etwas vor... Inzwischen hatte sie einen abgeschiedenen Teil der Stadt direkt hinter der großen Mauer erreicht. Hier gab es einige Einfamilienhäuser in schlechtem Zustand. Kaum ein Privatfahrzeug verirrte sich hier her, doch der Anblick eines Rettungswagens gehörte hier zum alltäglichen Bild. Blaulicht war der stetige Begleiter der Bewohner. In der Nähe eines Hauses, dessen Wände aussahen wie eine Patchworkdecke, brachte sie den Krankenwagen zum stehen. Sie öffnete die Tür und stieg aus. Der warme Wind fuhr durch ihr gepunktetes Krankenhaushemd und ließ sie realisieren, dass sie so nicht mehr weiter herumlaufen konnte. Im verwahrlosten Garten des “Anwesens” war eine Wäscheleine zwischen einem Baum und einem schiefen verrosteten Rest der zugehörigen Wäschestange gespannt. Darauf flatterten einige Kleidungsstücke im Wind. Catherine schlich sich heran und bediente sich, als ob die Sachen ihr gehören würden. Eine weißblaue Stone Washed Jeans und ein dunkelgrünes T-Shirt wechselten den Besitzer. Eilig flüchtete Catherine mit ihrem Diebesgut in den Krankenwagen, startete den Motor und scherte sich nicht mehr darum, ob es jemand gesehen hatte oder nicht. In einer ruhigen Ecke hielt sie erneut und zog sich um. Nachdem Catherine die Kleidungsstücke am Leibe trug, welche erstaunlicher Weise wie angegossen passten, war sie bereit für den nächsten Schritt. Jahre des Schmerzes und des aufgestauten Hasses zeigten ihre Wirkung. Dunkle Emotionen, welche sich nicht nur auf ihren verräterischen Vater beschränkten, keimten auf und entblößten ihre hässlichen Fratzen. Oft hatte sie über die Freiheit fantasiert. Und auch darüber sinniert, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Zeit genug dafür hatte sie gehabt. Die Männer in den Anzügen mussten irgendwie von ihren Fähigkeiten erfahren haben. Vielleicht von ihrem Kinderarzt, welcher sie nach einem Vorfall auf einer Schulexkursion untersuchte. Wie gerne hätte sie diesem Mann die Tür eingetreten und ihm ihre Meinung gesagt, doch leider hatte er ein paar Wochen bevor ihr Vater sie verkaufte bereits das Zeitliche gesegnet. Es hieß, es sei ein Unfall gewesen. So sicher war sie sich dabei jedoch nicht. Jedenfalls war dieser Mediziner für sie nun unerreichbar. Allerdings gab es neben ihrem Vater noch jemanden, dem sie die Schuld an ihrem Martyrium geben konnte. Ein Mädchen Namens Cheryl. Sie war hauptsächlich an dem Vorfall auf der Exkursion und den daraus resultierenden Folgen beteiligt. Catherine war bewusst, dass in vier Jahren viel passieren kann und sie sie zuerst aufspüren musste. Sie musste unbedingt in Erfahrung bringen, ob Cheryl immer noch bei ihren Eltern wohnte. Damals schon gab sie mit ihrem drei Jahre älteren Freund an, mit dem sie zusammen ziehen wollte. Catherine suchte einen gemeinsamen Klassenkameraden auf. Ein häufchen Elend von einem Jungen. Einsam. Ohne Freunde. Auch in diesem Moment war er allein zuhause. Warum kümmerte sie nicht. Seine Eltern mussten sich bestimmt den Rücken krumm schuften. Catherine erinnerte sich. Ihr waren alle zuerst nur aus dem Weg gegangen und später hatten sie Angst, aber ihn verachteten schon immer alle. Vielleicht freute er sich deshalb so sie wiederzusehen. Es kam ihm nicht einmal seltsam vor, dass sie ihn nach all dieser Zeit aufsuchte. Ganz im Gegenteil. Sie spürte, wie er sich nach Konversation mit ihr verzehrte. Und wie er sie voll des Verlangens anstarrte. Einfach erbärmlich! Aber er war gerade gut genug, damit Catherine von ihm erfahren konnte, das Cheryl inzwischen tatsächlich bei ihrem Freund lebte. Und um den fein gearbeiteten Baseballschläger seines Vaters zu stehlen. Ein teures Stück. Es bestand aus Mahagoniholz und wurde bestimmt lange vor dem Krieg gefertigt. Der Junge machte keine nennenswerten Anstalten, sich zu wehren oder gar den Gegenstand zu vereidigen. Schon gar nicht nachdem er mit einem Schlag in die Magengrube außer Gefecht gesetzt war. Er hatte seinen Zweck übererfüllt. Von ihm erfuhr sie, wo sich Cheryl aufhielt und das war alles, was sie von ihm brauchte. Zufrieden stieg Catherine mit ihrem neuen Schlagwerkzeug wieder in den Krankenwagen ein. Bald schon wollte sie den Schläger besudeln. Victor wachte neben seiner Schwester. Die Ungewissheit über ihren Zustand, tat ihm in der Seele weh. Hätte er nicht herumgealbert und sich beeilt, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen. Mandy wäre es erspart geblieben, von dem Mädchen niedergeschlagen zu werden. Er wusste Bescheid über erste Hilfe bei dem Verdacht auf Gehirnerschütterung. Seine Jacke unter ihrem Nacken sollte ihren Kopf stützen. Momentan konnte er nicht viel mehr tun und war zum warten verdammt, bis sie endlich abgeholt würden. Plötzlich spürte er eine zaghafte Regung. Langsam kam Mandy wieder zu sich. “Aua, mein Kopf”, beklagte sich die Blondine und hielt sich das genannte Körperteil. “Kannst du aufstehen?”, fragte Victor und versuchte ihr dabei behilflich zu sein. Vorsichtig richtete sich Mandy wieder auf. “Wie geht es dir?” Mandy verengte ihre Augen. “Wie geht es mir wohl, nachdem mir eine übergebraten wurde?” Während sie sich heftig gestikulierend über Victors Frage aufgeregte, wankte sie unsicher auf ihren Beinen umher. “Scheiße!” Victor packte sie, sodass sie nicht stürzte. “Ich hab dich!” “Danke.” “Du musst unbedingt zu Dr. Mitchell, wenn wir wieder zurück sind.” Im nächsten Moment hielt ein Wagen am Seitenstreifen. Es handelte sich um ein Cabrio und am Steuer saß Lamar. Nach Victors Hilferuf hatte er sich auf den Weg gemacht. In der Zwischenzeit waren unzählige Fahrzeuge an Victor und seiner bewusstlosen Schwester vorbei gebrettert, ohne auch nur die Anstalten zu machen nachzusehen, wieso da eine junge Frau auf dem Boden lag. Lamar eilte seinen Freunden entgegen und half Victor dabei, Mandy zu stützen und zum Wagen zu geleiten. Cheryl saß vor ihrer Spiegelkommode und strich mit der Bürste durch ihre welligen dunkelblonden Haare. Den heute wollte sie ihr Freund Shawn ausführen. Sie waren jetzt fünf Jahre zusammen. Ein Grund zum feiern! Sie musste nur noch darauf warten, dass er nach Hause kommen würde. Derweil wurden ihre Haare mit jedem Streich geschmeidiger. Cheryl hatte sehr schöne Haare. Endlich zufrieden mit ihrer blonden Mähne, legte sie die Bürste beiseite und zog nun vorsichtig die Konturen ihrer Augenlider mit einem Eyeliner nach. Sie wollte nicht nur für ihn, sondern auch für sich hübsch aussehen. Als sie zufrieden mit ihrem Gesicht war, stand sie auf und ging zu ihrem Schrank, an dessen Türen Mannshohe Spiegel angebracht waren, in denen sie sich in Gänze bewundern konnte. Sie drehte sich mal in die eine, mal in die andere Richtung und bewunderte, wie das hübsche schwarze Kleid ihre Kurven umschmeichelte. Shawn hatte ihr diesen sündhaft teuren Hauch von einem Nichts gekauft. Da sie selbst noch zur Schule ging, hätte sie es sich niemals leisten können. Ihr Freund war allerdings ein paar Jahre älter als sie und hatte bereits einen Job. Zur Feier ihres fünfjährigen Jubiläums wollte sie ihm die Freude machen, es nach langer Zeit zu tragen. Auch wenn es so eng war, dass sie jedes Mal fürchtete, es könne reißen, wenn sie sich hinsetzte. Ein Klingeln an der Tür kündigte die Ankunft Shawns an. Er hatte versprochen heute früher von der Arbeit nach hause zu kommen. Voller Vorfreude auf einen schönen Tag mit ihrem Freund, schnappte sich Cheryl die passend zum Kleid gefärbte Handtasche. Dieses Wunder der Physik. Winzig klein, doch in seinem inneren eröffnen sich unendliche Weiten. Eine vollständige Drogerie zum über die Schulter werfen. Als sie unten ankam, quälte sie sich in die abscheulichen Folterinstrumente aus ihrem Schuhschrank und öffnete die Tür. Wie erwartet, stand Shawn im Türrahmen. “Ich hab schon auf dich gewartet”, sagte Cheryl und sah ihn voller Erwartung an. “Darf ich bitten”, antwortete der gut statuierte Mann und reichte ihr den Ellenbogen. Cheryl hakte sich ein und verließ mit ihm zusammen das Haus. Shawn hatte ihr nicht verraten, wo es hin geht, doch in Anbetracht, dass sie zu Fuß unterwegs waren, anstelle den Wagen in der Garage zu nutzen, konnte das Ziel nicht sehr weit von ihrem Haus gelegen sein. Cheryl genoss die Nähe ihres Freundes und schmiegte sich an ihn. Doch plötzlich stieß er sie weg. Cheryl wusste nicht, wie ihr geschah, als es sie zu Boden riss und sie nur beiläufig das dumpfe Geräusch eines Aufpralls hörte. Sofort sah sie auf und versuchte die Situation zu erfassen. Mitten auf der Straße entdeckte sie Shawn. Er lag regungslos auf der Straße. Seine Gliedmaßen waren verdreht und aus seinem Mundwinkel lief Blut. Ohne Augen für etwas anderes, hetzte Cheryl zu ihm. Dabei brach der Absatz einer ihrer Schuhe ab, sodass sie das Gleichgewicht verlor und neben ihrem Freund auf der Straße landete. Sie beugte sich über ihn und erkannte, dass er sich mutmaßlich jeden Knochen im Leib gebrochen hatte. Das der Funke des Lebens in ihm erloschen war. “Shawn!”, schrie sie der Verzweiflung nahe. “Nein!” Sie konnte die Situation nicht begreifen. Was war geschehen? Hatte ihn ein Auto erfasst? Cheryl wollte sich umsehen, doch noch bevor es dazu kam, traf sie etwas hartes am Kopf. Ein Schlag, welcher sie sofort außer Gefecht setzte. Als sie anschließend davon geschleift wurde, blieb die Handtasche auf der Straße zurück. ~~~ Mechanische Finger flogen über die Tastatur. Jian arbeitete konzentriert daran den Krankenwagen ausfindig zu machen. Er bemerkte erst gar nicht, dass er beobachtet wurde. Merrill stand neben ihm und sah ihm über die Schulter. Als er dies registrierte, zuckte er zusammen und Unsicherheit stieg in ihm auf. Er mochte es nicht, bei seinem Tun beobachtet zu werden. Und dann auch noch von einem Mädchen. Das war zu viel für sein kleines schüchternes Herz. Entsetzt sah er sie an. “Was hast du?”, fragte die Rothaarige. “I-Ich-”, versuchte der Junge asiatischer Abstammung eine Antwort zu formulieren. “Ich s-suche den Krankenwagen.” Er stellte das Tippen ein, welches er zuvor im totalen Blindflug fortgeführt hatte, ohne auf Tastatur oder Monitor zu sehen. “I-Ich kann so n-nicht arbeiten!” “Beeindruckend”, würdigte Merrill. “W-Was?” “Du kannst schüchtern stottern und gleichzeitig blind tippen.” “Ich tippe h-halt gern. I-Ich müsste d-das eigentlich nicht.” “Wie kommt’s?” “M-Meine Mutation. Ich kann mit meinem G-Geist in elektronische Systeme eindringen. Die Prothese er-weitert meine Nerven. D-Damit geht es noch leichter.” “Krasser Scheiß!” “W-Wieso redest du mit mir?” “Du erscheinst mir als der Vernünftigste.” “D-Das du dich d-da nicht täuschst.” Jian wandte sich wieder Monitor und Tastatur zu und führte seinen Input fort. “I-Ich muss arbeiten!” Merrill konnte sehen, wie er errötete. Der Arme war wirklich sehr schüchtern. “Wie willst du den Krankenwagen finden?” “Ich bin b-bereits im System des Krankenhaus. Die haben ein System mit mehr Backdoors als es in ganz Liberty Bay Hinterhöfe gibt!” Jian beugte sich nach vorn, als wolle er in den Monitor hineinkriechen. “Hey, was haben wir denn da!” Mandys Pupillen reagierten auf den Lichtreiz, welcher von der Diagnostikleuchte in der Hand von Dr. Mitchell ausging. Nachdem sie und Victor von Lamar abgeholt und zur Basis zurückgebracht wurden, ging es für die Blondine ohne Umwege in die Krankenstation. Egal, wie sehr sie beteuerte, dass es ihr wieder gut ging. Der Arzt leuchtete ihr in die Augen, um anhand der ausgelösten Reaktion darauf zu schließen, wie schwer das erlittene Schädeltrauma wirklich war. “Und Sie behaupten, es gehe Ihnen gut, Miss Krueger”, kommentierte Dr. Mitchell. “Es ist nichts weiter”, behauptete die Blondine stur. “Ausgeknockt hat sie dich”, erinnerte Victor, der Mandy nicht von der Seite weichen wollte. “KO in der ersten Runde.” “Ach halt die Klappe! Du hättest auch flach gelegen.” “Es hat aber dich erwischt.” “Weil du unbedingt wildpinkeln musstest.” “Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe.” “Dann ist ja gut. Und jetzt will ich hier raus!” “Du solltest nicht so unvernünftig sein”, ermahnte Lamar. Er befand sich ebenfalls im Raum, allerdings lehnte er etwas abseits an einer Wand und wirkte unterkühlt wie immer. “Sie sollten auf ihn hören”, machte der Arzt deutlich. “Sie haben eindeutig eine Gehirnerschütterung. Sie bleiben erstmal hier und ruhen sich aus!” “Na Großartig!” Das passte der Blondine gar nicht in den Kram. Sie wollte wieder hinaus und sich die entlaufene Catherine zur Brust nehmen. Victor und Lamar empfingen ein Signal. Alles was Mandy tun konnte, war mit großen Augen zuzuschauen, denn man hatte ihr den In-Ear bereits abgenommen. “Wir haben verstanden”, bestätigte Lamar. “Was ist los?”, fragte Mandy wissbegierig. “Jian hat den Krankenwagen gefunden”, erklärte Victor. “Wir müssen los. Wer weiß was dieses Mädchen noch anstellt…” Er wandte sich zum gehen ab. “Hey!”, verschaffte sich Mandy Aufmerksamkeit. Victor sah über die Schulter. “Versohle ihr für mich den Hintern!” “Aber gern doch!” “Und pass auf dich auf!” “Klar!” Mandy sah ihren Bruder zusammen mit Lamar den Raum verlassen. Nur zu gerne wäre sie mitgekommen. Aber sie war dazu verdammt das Bett zu hüten. Es schien auch ganz gut so. Mandy war noch immer schlecht. Und es stand außer Frage, dass nicht die Gehirnerschütterung, sondern die Abscheulichkeiten in Catherines Akte daran schuld waren. Abrupt riss Cheryl die Augen auf, als ein kraftvoller Backenstreich auf die rechte Wange sie gewaltsam aus der Bewusstlosigkeit in das Reich der Wachenden zurückholte. Dabei drehte der Schlag ihren Kopf nach links, sodass das erste das sie sah, eine weiße Wand mit verschiedensten medizinischen Apparaten und Werkzeugen war. “Wo... bin... ich?”, stammelte Cheryl Wortbrocken vor sich hin. Sie wusste nicht mehr was passiert war, nur das ihr Kopf abscheulich weh tat. Noch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, packte eine Hand ihren Unterkiefer und rückte ihren Kopf nach Rechts zurecht. Cheryls Blick landete zuerst auf der Brust ihres Gegenübers. Angsterfüllt wanderten ihre Augen hinauf zum Hals und bald darauf kam das Antlitz in ihr Gesichtsfeld. Die junge Frau erschrak zu Tode, als sie die Person erkannte. “Genug gepennt, du Schlampe!”, wurde sie von der Frau neben dem Bett angeschrien. Cheryl versuchte sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, doch musste schnell feststellen, dass ihr dies nicht mehr möglich war. Sie befand sich auf einer Trage und war an Armen und Beinen mit Isolierklebeband gefesselt, welches an den Seitenstangen festgezogen war. Zusätzlich schränkten Gurte um Bauch, Ober- und Unterschenkel ihre Bewegungsfreiheit weiter ein. Sie zerrte und zappelte, doch es brachte ihr keinen Erfolg. Cheryl erkannte, dass sie einem Geist aus ihrer Vergangenheit ausgeliefert war. “Lass mich gehen, Catherine!”, forderte sie ihr Gegenüber auf. “Du hast mir gar nichts zu befehlen!”, antwortete das brünette Mädchen und verpasste ihr gleich noch eine Schelle. “Gefällt dir das. Ungefähr so hat man mich immer gefesselt!” Cheryl spürte ihre Wange brennen. Sie wollten dem Reflex nachgeben, die Hand auf die Schmerzquelle zu pressen, allerdings war diese leider gefesselt. “Was willst du von mir? Wieso bist du überhaupt hier?” “Weil keiner es geschafft hat, mich vorher umzubringen.” “Was hast du jetzt vor?” “Ist das nicht offensichtlich?” “Willst du mich umbringen?” Ein irres Lächeln zierte Catherines Gesicht. “Hey! Antworte mir!” “Nicht sofort.” Die Brünette packte das schwarze Kleid der Blonden und zerriss es, sodass der gleichfarbige BH zum Vorschein kam. “Du sollst auch etwas davon haben.” “Hast du mir nicht schon genug angetan?” “Du Miststück weißt garnicht, was es heißt zu leiden! Wegen dir bin ich erst in den Fokus geraten. Du hast mich damals auf dem Schulausflug einen Abhang herunter geschubst und wolltest filmen, wie ich da unten verrecke! Und als ich dir diesen Gefallen nicht getan habe, hast du die Bilder meiner Heilung als Freak Show in den sozialen Netzwerken geteilt. Nur deshalb ist das überhaupt alles passiert!” In Cheryl keimte der Hass auf. “Shawn hatte nichts damit zu tun!” Wegen ihrer billigen Rache musste Shawn also sterben! “Du hast es verdient!”, schrie sie. “Was auch immer sie mit dir gemacht haben, du hast es verdient, du Schlampe!” Das war zu viel! Cheryl sollte diesen Satz schon bald bereuen. Catherine wühlte in einer Tasche, welche sie zuvor entdeckt hatte, und holte ein Gerät hervor. Dabei handelte es sich um einen Defibrillator. Die Bedienung dieser Geräte war ursprünglich nur Rettungssanitätern vorbehalten, aber die neusten Modelle sind einfach aufgebaut und dafür ausgelegt, auch von Laien bedient werden zu können. Aus diesem Grund wusste wohl auch Catherine, was sie zu tun hatte. Sie klebte die Paddles auf Cheryls Brust auf, als sie das Gerät dazu aufforderte. Ihre Geisel versuchte unterdessen immer Verzweifelter, irgendwie aus der Situation zu entkommen. Das Gerät diagnostizierte der Blondine beste Gesundheit und startete keinen automatischen Reanimationsvorgang. Cheryl erwartete jeden Moment einen Schlag, welcher aber niemals kam. Als Catherine immer ungeduldiger wurde, atmete sie erleichtert auf. Die Gefahr schien gebannt. Nicht ahnend, dass sie sich in falscher Sicherheit wiegte. “Verdammtes Drecksteil!” “Läuft wohl nicht nach Plan, was?” Cheryl verging ihr Hohn, als es dem Racheengel gelang das Gerät zu bändigen. Der automatische Defibrillator war zusätzlich mit einem manuellen Modus ausgestattet, für den Fall, dass die Messung nicht möglich oder fehlerhaft ist. Dies nutzte Catherine nun zu ihrem Vorteil aus und versetzte Cheryl einen schmerzhaften Stromschlag, welcher ihre Muskeln unkontrolliert kontraktieren ließ, als er durch ihren Körper fuhr. Von der Straße aus sahen Lamar und Victor den gestohlenen Krankenwagen in einer Seitengasse stehen. Vorsichtig parkten sie etwas abseits und verließen ihr Fahrzeug. Der Krankentransporter stand augenscheinlich verlassen und mutterseelenallein in den Häuserschatten. Die hinteren Türen waren verschlossen, die Tür auf der Fahrerseite stand hingegen sperrangelweit offen. Victor lud seine Fähigkeit auf, um jederzeit kampfbereit zu sein. Lamar machte sich ebenfalls bereit, seine Kräfte einzusetzen. “Hier ist niemand!”, verkündete der Schwarzhaarige als er in die Fahrerkabine sah. “Wo kann sie sein?”, fragte Lamar. “Ich habe keine Ahnung. Allerdings ist der Tank leer.” “Darum hat sie das Fahrzeug aufgegeben.” Victor sah sich die Vorderseite an. “Am Kühlergrill ist Blut!” “Blut?” Einer bösen Vorahnung nachgehend, begab sich Lamar zu Hinterseite des Fahrzeuges. Wie sie bereits vermutet hatten, waren die Türen verschlossen. Lamar überlegte: Warum sollte sie sich die Zeit nehmen, die Türen verschließen und erst dann die Flucht ergreifen? Wahrscheinlich hielt sich dahinter etwas verborgen. Er rüttelte an den Griffen. Doch dies brachte keinen Erfolg. Victor ging um den Krankenwagen herum zu seinem Kollegen. “Hast du was gefunden?” “Das wird sich gleich zeigen.” Der Dunkelhäutige legte eine Hand auf die Türschlösser auf. “Vorsicht!” Sofort breitete sich eine frostige Kälte in alle Richtungen aus. Wasser begann an den Scheiben der Türen zu kondensieren. Nach einer halben Minute nahm Lamar seine Hand wieder herunter und trat beherzt gegen das Schloss. Dabei wurde das Innenleben zerstört und die Türen sprangen auf. “Du bist echt eine wahnsinns Frostbeule!”, lobte Victor. Im Innenraum kam eine auf der Trage gefesselte Person zum vorschein. Sofort betraten Lamar und Victor den Krankenwagen, um Hilfe zu leisten. Es handelte sich nicht um die Gesuchte, sondern um ein blondes Mädchen in einem zerrissenen schwarzen Kleid. Ihr starrer Blick ließ sogar Lamar das Blut gefrieren. Sie hatte verschiedenste Blessuren an ihrem Körper und auf ihrer Brust klebten Paddles, an deren Rändern man verbrannte Haut erkennen konnte. Von ihnen ging ein Kabel aus, an dem ein Gerät zu hängen schien. Vorsichtig hob Victor das Gerät auf und erkannte, dass es sich um einen Defibrillator handelte. Er schaltete es ab und entfernte anschließend die Paddles. Als keine Gefahr mehr bestand, fühlte er den Puls des Mädchens. Aus seinem getroffenen Gesichtsausdruck laß Lamar, dass ihr nicht mehr zu helfen war. Er reichte nach seinem In-Ear-Kommunikator. “Lamar an Basis”, begann er zu sprechen. “Wir haben den Krankenwagen gefunden. Keine Spur von der Gesuchten. Dafür haben wir eine unbekannte Leiche.” Catherine starrte gen Himmel. Ihre Hand lockerte sich. Die zuvor fest umklammerte Spritze entglitt ihr und fiel auf den Boden. Als die Droge ihre Wirkung entfaltete, sah sich die Brünette um. Zu ihrer Linken lag die Leiche eines Mannes. Sein Schädel geplatzt durch die Schläge des blutverschmierten Baseballschlägers, welcher nicht weit von ihm lag. Catherine wurde sich bewusst, dass sie schon zwei Menschen getötet hatte. Waren diese Drogen von ihm? Ihr war es egal. Alles was für sie zählte war, dass sie sich soeben den notwendigen Mut für den Endgegner in die Venen gejagt hatte. Wankend erhob sie sich und ergriff den blutverschmieren Schläger. ~~~ Wie ein schlaffer nasser Sack hing Anton Connery in seinem Sessel. Sein Gesicht zierte ein ungepflegter Bart. Er trug nur eine Boxershorts und ein fleckiges Unterhemd. Seine Füße bekleideten alte Pantoffeln. Neben ihm auf dem Tisch befanden sich einige Bierdosen in unregelmäßiger Gruppierung. Die meisten Standen noch, aber zwei waren bereits umgefallen. Aus einer tropften die Reste dest Gerstensaftes auf die Keramikfliesen des Tisches. In einem einzigen Zug stürzte Anton den Inhalt einer weiteren Dose in seiner Hand hinter und stellte anschließend auch sie beiseite. So ging es schon seit einigen Jahren. Vor einigen Monaten beschloss sein Arbeitgeber sich Antons Unpünktlichkeit und den Alkoholgestank, den man eine Meile gegen den Wind riechen konnte, nicht mehr länger mit anzusehen und setzte ihn vor die Tür. Seitdem investierte er sein letztes Geld in noch mehr Bier. Jeden Tag, den er auf diese Weise verbrachte, quälten ihn diese Gedanken, welche er mit Alkohol zu betäuben versuchte. Die Lügen, die er erzählte und die Dinge, die er getan hatte. Aber alles was er auf diese Weise erreichte, war ein kurzer Moment des seligen Vergessens. Bis es wieder an der Zeit war, eine weitere Kohle ins Feuer zu werfen. “Kannst du mir mal mit der Wäsche helfen?”, rief seine Frau Fiona aus der ersten Etage hinab. “Der Korb ist wirklich schwer.” Aber Ihr Mann reagierte nicht. Lieber öffnete er eine weitere Dose Bier und begann sich auch diese hinter die Binde zu kippen. Es folgte ein lauter Rülbser. “Danke für deine Hilfe!”, tönte es einen Moment später von oben herab. Eigentlich sollte sie dankbarer sein. Nur weil er handelte, hatten sie das Geld um auf dem Schwarzmarkt eine neue Niere zu erstehen. Natürlich konnte er ihr das so nicht sagen. Schon gar nicht, wofür er das Geld erhalten hatte. Nein, er musste die Lüge wahren. Er verspürte ein dringendes Bedürfnis und hievte sich tatsächlich aus seinem Sessel empor. Langsam schleppte er sich zum Badezimmer, während es zwischen seinen Beinen immer stärker drückte. Er entschwand durch die Tür nur um den kleinen Raum zwei Minuten später erleichtert wieder zu verlassen. Natürlich ohne sich danach die Hände gewaschen zu haben. Er wollte gerade zurück in das Wohnzimmer gehen, um sich weiter zu betäuben, als es plötzlich an der Tür klingelte. “Kannst du bitte wenigstens die Tür öffnen?”, bat ihn Fiona. Der lang ersehnte Moment war endlich gekommen, als sich vor Catherine die Pforte zum Haus ihrer Eltern auftat. Dahinter kam eine erbärmliche Gestalt zum Vorschein, die Catherine bald nicht mehr wiedererkannt hätte. Bei ihrem Anblick mit dem blutverschmierten Baseballschläger in den Händen, bekam es ihr Gegenüber mit der Angst zu tun und versuchte die Tür wieder zuzuschlagen. Catherine ging dazwischen und schob sich mit aller Kraft in ihr Elternhaus hinein. Bei ihrem Eindringen schubste sie ihren Vater, sodass dieser durch die Wucht rückwärts taumelte und sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Catherine drang weiter ins Haus ein und erreichte ihren vor Angst gelähmten Erzeuger. Fiona mühte sich mit der Wäsche die Treppe hinunter. Sie wollte sie draußen zum trocknen aufhängen. Im Eingangsbereich angekommen, ließ sie den Wäschekorb vor Schreck fallen ließ, als sie ihren Gatten auf den Boden liegend und ein bewaffnetes Mädchen, das aussah wie ihre Tochter, über ihm stehend sah. “Schatz!”, stieß sie aus. “Catherine?!” Das brünette Mädchen war ebenso verwundert. “Mum!”, sagte sie und ließ den Schläger fallen. Sie hätte niemals geglaubt, diese Frau noch einmal lebend wiederzusehen. Unterdessen besann sich der Vater und floh in ein anderes Zimmer. “Mum! Du lebst noch?!” Tränen zierten ihre Augen. “Catherine!” Die Frauen fielen sich in die Arme. “Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen.”, sprach die Tochter. “Du warst so krank... Wie ist das möglich?” “Du hast mir doch deine Niere gespendet, bevor du auf das Internat gegangen bist, das dein Vater für dich ausgesucht hat.” “Was?!”, kreischte Catherine entsetzt. “Klar. Du warst damals nicht bei Sinnen. Hat er dir das erzählt?!” “Aber du hast mir doch immer geschrieben. Hast mir von den neuen Freunden berichtet, die du gefunden hast.” “Ich habe dir nicht geschrieben!” “Aber wo kamen diese Briefe her?” Plötzlich kam Catherines Vater aus dem Zimmer zurück und stürmte mit einem Revolver bewaffnet auf sie zu. Er wollte anscheinend verhindern, das seine Tochter weiter sprach. Sie reagierte sofort und versuchte ihm die Waffe abzunehmen. In dem daraus resultierenden Gerangel unterbrach ein lauter Knall die Schreie und die Rufe der anwesenden Personen. Während Catherine und Anton schockiert in ihre Richtung starrten, sackte Fiona getroffen zusammen. “Mum!”, kreischte Catherine entsetzt. “Fiona!”, brüllte der Gatte. Catherine lockerte ihren Griff um den Revolver. Ihr Vater sah nur noch seine verwundete Frau. Er nutzte die Schockstarre seiner Tochter aus und entriss ihr die Waffe. Noch bevor sie reagieren konnte, schoss er auf sie. Bang! Bang! Bang! Bang! Bang! Click! Click! Click! In der Aufregung trafen nur vier der fünf Kugeln ihr Ziel. Catherine wurde von der Wucht der Einschläge zu Boden gerissen und blieb regungslos liegen. Anton ließ die nunmehr nutzlos gewordene Waffe fallen. Für einen Moment sah er auf seine Tochter herab. Wie das Blut aus ihren Wunden quoll. Er hatte sie getötet! Zumindest sah es danach aus. Als er wieder zur Besinnung kam, wandte er sich sofort seiner verletzten Frau zu und nahm sie in den Arm. Der Geruch von Schießpulver breitete sich indes überall aus. Fiona hustete Blut. “Es tut mir leid!”, beteuerte Anton. “Es tut mir so leid! Das ist alles meine Schuld!” Derweil kehrte das Leben in Catherines Körper zurück. Sofort stieg dieser unkontrollierbare Durst nach Gewalt in ihr auf. Sie sah sich um und ergriff den Baseballschläger, welcher direkt neben ihr lag. Noch bevor die Augen ihrer Mutter ihre Absicht verraten konnte, schlug Catherine schon gegen den Kopf ihres Vaters und schickte ihn so zu Boden. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, hockte sich Catherine über Anton und schlug zu. Wieder und wieder. Das dumpfe Geräusch der Treffer wandelte sich mehr und mehr zu dem eines Fleischklopfers, welcher ein Sontagsschnitzel maltretierte. Blut spritzte überall hin. Es besudelte ihr Gesicht, ihre Kleidung, traf sogar die umstehenden Möbel und die Decke. In ihrem Rausch stoppte Catherine nicht einmal, als vom Kopf ihres Vaters nichts mehr übrig geblieben war. Pfeilschnell schoss ein Cabrio durch die Gassen der Stadt. “Bist du dir sicher, dass es hier ist?”, fragte Lamar, während er sein In-Ear berührte. “Ich bin sicher!”, antwortete Jian in dessen persönlichen abgesicherten Modus. Kaum konnte er sich hinter seinen Monitoren verstecken, war all seine Schüchternheit verflogen. “Das Mädchen, das ihr gefunden habt, hieß Cheryl und war mit dieser Catherine in einer Klasse. Sie hat sie in den Social Media geframed und ihre Heilkräfte bloßgestellt. Zwar haben unsere Freunde von der Regierung später versucht, die Videos zu entfernen, aber wenn etwas erst viral gegangen ist...” Er pausierte einen Moment. “Catherine hat Cheryl umgebracht. Und da der Arzt, der damals die Behörden informiert hatte, bereits verstorben ist, bleiben nur noch ihre Eltern übrig. Catherine wird sich bestimmt auch sie vornehmen. Immerhin haben sie sie verkauft.” “Mit denen muss man kein Mitleid haben”, meinte Victor. “Ich habe euch die Adresse von Catherines Elternhaus geschickt.” “Wir sind auf dem Weg”, bestätigte Lamar kühl. Bei ihrer Ankunft erkannten sie schon von weitem die offen stehende Haustür. Achtsam näherten sie sich dem Eingang. Von innen gelangte ein bitteres Wimmern nach außen. Die beiden jungen Männer drangen in das Haus ein. Der Boden, die Wände und die Möbel waren alle bedeckt mit Blutstropfen. An der Wand lehnte eine Frau, welche offenbar an einer Schusswunde im Bauchraum verblutet war. Etwas weiter weg lag ein korpulenter Mann, dessen Schädel bis zur Unkenntlichkeit malträtiert worden war. Der verursachende Gegenstand fand sich nicht weit von ihm. Zwischen den zwei Leichen fanden sie die weinende Catherine vor, welche nicht einmal mehr auf sie reagierte. FORTSETZUNG FOLGT... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)