Last Seed von totalwarANGEL (Die letzte Hoffnung der Menschheit) ================================================================================ Kapitel 1: Aufheulen -------------------- “Ihr Verzweifelnden! Wieviel Mut macht ihr denen, die euch zuschaun!” (Friedrich Wilhelm Nietzsche) Liberty Bay, 4. April 2036 Im Schatten der Großen Mauer gedieh das Leben fernab der harten und bösen Außenwelt. Die letzten sechzehn Jahre waren keinesfalls gnädig mit den Vereinigten Staaten oder dem Rest der zivilisierten Welt gewesen. Nach dem Ende der Pandemie schöpften die Menschen neue Hoffnung. Langsam erholte sich die Wirtschaft wieder und das Leben schien erneut gewohnte Pfade einzuschlagen. Doch etwas war anders als vor der Seuche. Anfangs war es nur ein Gerücht. Nein, es was noch weniger als das. Die Anzeichen ließen sich jedoch nicht ewig verbergen. Immer mehr Paare wunderten sich, dass sie trotz all ihrer Mühen nicht in der Lage schienen, ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Mit dem fehlenden Puzzleteil ihre Liebe zu vervollständigen. Keine einzige Frau auf Erden wurde mehr Schwanger. Das letzte Kind erblickte am 24. Dezember 2021 das Licht der Welt, wie ein bitterböses Weihnachtsgeschenk des Teufels. Die Menschheit war steril geworden. Mutlosigkeit. Abgeschlagenheit. Wut. Trauer. All diese Begriffe, und noch viele mehr, trieben die Menschen in die Verzweiflung. Fieberhaft begannen die Wissenschaftler mit ihren Experimenten. Auf der Suche nach Antworten führten sie Tierexperimente durch, welche jedoch vollkommen ohne Ergebnis blieben. Bis auf eins: Außer dem Menschen war keine andere Spezies betroffen. Als ob Mutter Natur sich dazu entschieden hätte, die größte Plage auf Erden auszurotten. Auch anschließende Versuche die Gebärmutter einer genetisch modifizierten Sau zu transplantieren, brachten keinen Erfolg. Das Phänomen der globalen Unfruchtbarkeit wurde unter dem Namen Human Infertility Syndrome, kurz HIS, bekannt. Drei Worte reichten jedoch nicht ansatzweise aus, um die sich daraus ergebende Hoffnungslosigkeit zu erfassen. Nichts ist unberechenbarer als die Verzweifelten. Anfangs versuchten die Regierungen noch die Ordnung zu wahren, aber irgendwann quälte auch die Mächtigen der Gedanke, welchen Sinn es noch hatte, zu versuchen die Welt zusammen zu halten. In achtzig, neunzig, hundert Jahren bliebe von der Menschheit sowieso nur eine Erinnerung. Niemand könnte ihre großen Errungenschaften bewundern. Einzig ihre Städte, ihre Statuen, ihre Schiffe und all die anderen Schöpfungen würden stumm Zeugnis über das Vergangene ablegen. Weitere zweihundert Jahre und Pflanzen überwucherten jeden Wolkenkratzer. Nach tausend Jahren wären wohl nicht einmal sie mehr auszumachen. Über diese grenzenlose Verzweiflung entbrannte der dritte Weltkrieg. Der letzte große Konflikt der Menschheit, der ihren Untergang weiter beschleunigen sollte. Tausende fanden den Tod, als die Städte brannten. Die daraus resultierende Zerstörung der Welt wurde bekannt als der Niederfall. Als wichtiger weltweiter Knotenpunkt im Finanzwesen blieb Liberty Bay als einer von wenigen Orten fast vollständig vom Krieg verschont. Selbst der Feind unterhielt hier unter falschen Namen seine Konten an der Wallstreet. Letztlich zerfiel, was den Krieg überdauerte, in eine Landschaft aus versprengten Stadtstaaten und Liberty Bay war einer von ihnen. Geschützt vor den Gefahren der Einöde durch die Große Mauer. So zumindest hatte sie es in der Schule gelernt. Merrill Sturm - Musikstudentin, achtzehn Jahre alt - konnte sich wirklich nicht beklagen. Sie wuchs behütet in einer wohlhabenden Familie auf und genoss eine gute Schulbildung. In einer Generation, von der man nichts mehr erwartete, verlor sie trotzdem nicht an Antrieb, sich stets neu auszuprobieren. Schon immer war sie viel kleiner und schwächer als Gleichaltrige, was sich bis zu jenem Tag auch nicht geändert hatte. Ihr makelloses Äußeres machte sie dennoch sehr beliebt beim männlichen Geschlecht. Die tiefblauen Augen und die feuerroten Haare weckten Gewiss bei so manchem primitiven Vertreter der Gattung Homo Sapiens lüsterne Fantasien, welchen sie in keinster Weise gerecht werden wollte. Da half es natürlich wenig, in knappen Outfits mit ihrer Band aufzutreten und über Geschlechtsverkehr und Drogenmissbrauch zu singen, da die wenigsten in der Lage schienen, Realität und Fiktion auseinander zu halten. Aber immerhin bescherte dieses Image ihr und ihrer Band stets volle Zuschauerränge. Auch wenn es Merrill lieber wäre, ihre meist männlichen Bewunderer kämen ihrer Stimme wegen. Das Image des bösen Mädchens war nichts weiter als eine Maske, welche sie nutzte, um ihre Zerbrechlichkeit zu verstecken. Momentan saß sie auf ihrem Motorrad und war auf dem Weg zu ihrem nächsten Gig. Zwar bestand Helmpflicht, doch das Gefühl des Fahrtwindes, welcher ihre langen roten Haare umspielte, empfand sie als zu verlockend, um ihre verführerische Mähne unter einem Helm einzusperren und plattdrücken. Außerdem ersparte sie sich so den Einsatz eines Fön. Dennoch, wüsste ihre Mutter davon, sie würde nicht darauf warten, bis ihre Tochter einen Unfall baute, sondern sie umgehend mit ihren strafenden Blicken umbringen. Über Merrills Schulter hing der Gurt des Gitarrenkoffers, welchen sie durch den gefütterten schwarzen Bikersuit fast gar nicht spürte. Normalerweise war ihr diese Motorradkleidung viel zu warm, doch diese kühle Aprilnacht stellte eine Ausnahme von der Regel dar. Merrill trug unter ihr nichts außer ihrem Bühnenoutfit. Geschuldet der Tatsache, dass die Location in letzter Minute wechselte, war Eile geboten. Eigentlich wollten sie in der Turnhalle auf dem Campus spielen, aber der Präsident der Universität schob dem kurzfristig einen Riegel vor. So blieb ihr keine Zeit mehr und sie würde sofort nach ihrer Ankunft auf die Bühne müssen. Ihre Fans warteten schon. Ungeduldig stiefelte Benjamin Backstage auf und ab. Die Band wartete auf ihre Frontfrau. “Wo bleibt die denn schon wieder?!”, fragte er ungeduldig. “Keine Ahnung”, antwortete Jennifer, die gerade an ihrer Bassgitarre herum zupfte und so ihre Stimmung prüfte, während die eigene immer angespannter wurde. “Vielleicht hat sie sich diesmal totgefahren.” “Bloß nicht! Sie muss noch singen”, kommentierte Jonathan und klimperte dabei auf seinem Keyboard herum. Er hörte, wie die anderen ihre Witze rissen und stimmte mit ein, um keinen Verdacht zu erregen. Dabei machte er sich sorgen. Er kannte Merrills rücksichtslosen Fahrstil. Einmal saß er mit ihr auf dem heißen Ofen. Noch immer plagten ihn deshalb Albträume. Jennifers Gedanke war beängstigend realistisch. Ihre Anwesenheit war dem Fakt geschuldet, dass sie in der Stadtmitte wohnten, während Merrill mit ihren Eltern in einem Anwesen auf einem Hügel nahe der Großen Mauer lebten. Sie war noch auf dem Weg zur Universität, als sie von der Verlegung erfuhr. Wegen der räumlichen Nähe des Sturm-Anwesens zu ihrer Bildungseinrichtung, machte sich Merrill erst relativ spät auf den Weg. Nun musste sie schnellstmöglich die halbe Stadt durchqueren. Die Tür öffnete sich und die Anwesenden starten erwartungsvoll auf den Eintretenden. Es war allerdings nur Peter, ein Freund von Jonathan, und nicht Merrill, wie sie gehofft hatten. Seine Aufgabe war es, die Band zu managen. Ihm verdankten sie auch die schnelle Verlegung. Von Musik hatte er augenscheinlich nicht viel Ahnung, aber mit Verträgen und Social Media kannte er sich bestens aus. “Ach der ist es bloß!”, quengelte Benjamin und begann nervös die Drumsticks aufeinander zu schlagen. “Ich kann ja auch wieder gehen!”, reagierte Peter beleidigt. “Wenn die hier aufkreuzt, dann sorge ich dafür, dass sie doch noch wächst!” Offenbar spielte Benjamin auf ihre geringe Körpergröße an. Jennifer stellte ihre Gitarre beiseite und ging zu ihm hinüber. Sie packte ihn und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. “Halt die Klappe!”, forderte sie ihn anschließend zum Schweigen auf. Beide waren jetzt schon fast so lange zusammen, wie sie gemeinsam in der Band spielten. Das sich ihr Freund schnell künstlich aufregen musste, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte, war sie allzu gut gewohnt. Nach einem Kuss blieb er allerdings in der Mehrheit der Fälle anschließend still. Sie hoffte, dies würde einer von ihnen sein. “Peter”, fragte sie anschließend. “Weißt du vielleicht, wie lange Merrill noch braucht?” “Also ich habe sie sofort angerufen”, erklärte sich der Bandmanager. “Sie sagte, sie würde ordentlich Gummi geben.” Eine Ampel schlug auf rot um und zwang Merrill abzubremsen. Ausgerechnet jetzt! Unbeobachtet täte sie wahrscheinlich einfach weiterfahren, doch neben ihr wartete ausgerechnet ein Polizeifahrzeug. An ihnen vorbei zu brettern, wäre zu viel des guten. Sie grüßte Freundlich und hoffte, dass die Beamten so wenigstens über ihren fehlenden Helm hinweg sahen. Sie hatte wohl Glück. Während sie sehnsüchtig dem Moment herbei sehnte, wieder in die Eisen steigen zu können, nutzte sie die Gelegenheit sich umzusehen. Zu ihrer Linken befand sich ihre ehemalige Elementary School. Ihre Eltern legten Wert darauf, dass sie eben keinen Privatunterricht bekam, auch wenn sie sich den leisten konnten. Sozialer Kontakt ist vor allem in den ersten Lebensjahren wichtig und prägt für das ganze Leben. Inzwischen war die Schule allerdings verwaist. Aus ermangeln einer neuen Generation und zur Kostenreduktion hatte die Stadt sie schon vor Jahren als eine der letzten geschlossen. Wie viele Stunden verbrachte sie in diesem Gebäude, dessen Fenster nunmehr perforiert von Steinen da niederlagen, eingeworfen von nichtsnutzigen Halbstarken, die nicht wussten wohin mit ihrem Frust? In Momenten wie diesem wurde Merrill schmerzlichst bewusst, dass sie zu den letzten ihrer Art gehörte. Sie würde niemals Kinder haben. Und vielleicht wäre nicht einmal jemand übrig, um nach ihrem Tod um sie zu trauern. Bevor sie sich weiter in diesen bedrückenden Gedanken verlieren konnte, schaltete die Ampel endlich auf grün und Merrill konnte weiter fahren. Die Ausstöße des aufgeregten Publikums wurde immer lauter. Langsam aber sicher wollten sie sehen, wofür sie gekommen waren. Peter und die Bandmitglieder stand der Stress ins Gesicht geschrieben, als endlich das erlösende Knattern eines Motorrads zaghaft zwischen den Rufen der Anwesenden hindurch an ihre Ohren drang. Die Tür sprang auf und eine in einen Bikersuit gehüllte Merrill betrat lächelnd die Backstage Area, als sei überhaupt nichts gewesen. Sofort stellte sie den Gitarrenkoffer ab und entledigte sich der Motorradkleidung. Die Show konnte endlich beginnen. Etwa zweihundert Leute füllten den Raum, welcher eigentlich für Parties und nicht für Konzerte ausgelegt war. Die meisten von ihnen studierten, es befanden sich jedoch auch ein paar ältere unter den Gästen. Es war nicht viel, doch jeder muss stehen lernen, bevor er in der Lage war zu rennen. Die Gäste tummelten sich vor der schwarzen Bühne, auf der das Schlagzeug bereits aufgebaut und ein Ständer schon mit dem Keyboard bestückt war. Inmitten den Instrumenten verband eine silbrig glänzende Stange Boden und Decke miteinander. Der Veranstalter betrat die Bühne, um den Act des Abends anzukündigen. Ein Mikrofon in seiner Hand sollte seine Stimme soweit verstärken, dass sie durch die Rufe der Anwesenden dringen konnte. “Ich bin stolz Ihnen heute diese junge Band vorzustellen!”, eröffnete der dicke Mann. “Machen Sie sich auf jede Menge Krach und auf schweres Metall gefasst! Applaus bitte für Bannkr-” “Wir heißen Banshee!”, rebellierte Benjamin lautstark. “Äh ja… Banshee, meine Damen und Herren!” Der Veranstalter klemmte das Mikrofon zwischen Daumen und Zeigefinger und begann in die Hände zu klatschen. Das Publikum stimmte mit ein. Unter dem erwartungsvollen Applaus betraten die Bandmitglieder die Bühne. Als letzte von ihnen kam Merrill, mit der Gitarre um den Hals und ausschließlich in ihr knappes Bühnenoutfit gekleidet, welches mehr entblößte als verhüllte. Die Männer im Publikum begannen sofort zu pfeifen, als sie sie sahen. Sowohl Oberteil als auch Unterteil waren schwarz und reflektieren das Scheinwerferlicht. Sie trug eine Hotpants aus Latex, welche perfekt an ihre sportliche Figur angepasst war. Ihr Oberteil bestand aus einem Korsett, das ihre schmale Oberweite so weit wie möglich in den Vordergrund rückte, und einer ausschließlich dekorativen aber sonst vollkommen sinnbefreiten Jacke, die bereits unter ihren Rippen abschloss aber dennoch Ärmel bis zu den Handgelenken hatte. Merrill legte die Gitarre ab. Für den ersten Song brauchte sie sie nicht. Nun ergriff sie das Mikrofon und nahm es aus der Halterung. Anschließend begab sie sich zur Stange hinter ihr. Das war das Signal für die anderen die Instrumente sprechen zu lassen. Doch zuerst wandte sich Merrill an das Publikum, während sie sich an der Stange festhielt und nach hinten streckte. “Schön das ihr da seid!”, bedankte sie sich. “Wir haben einen neuen Song, den wir euch jetzt vorstellen. Er heißt ‘Sweet Delight’.” Die Anwesenden verstummten, denn sie waren so etwas braves von Banshee nicht gewohnt. Merrill richtete sich wieder auf. “Was ist denn mit euch los? Lasst euch nicht vom Titel abschrecken!” Sie zwinkerte dem Publikum zu. Danach riss die Hände nach oben und klatschte im Takt. Jetzt hatte sie die Aufmerksamkeit. Die Band begann zu spielen. Jennifer stimmte mit der Bassgitarre ein, begleitet von Benjamin am Schlagzeug. Mehrere Abfolgen von Gitarrenriffs knüpften aneinander an, gelegentlich umschmeichelt von Jonathans Keyboard, bis die Musik wieder leiser wurde, damit Merrill anfangen konnte zu singen und sich gleichzeitig um die Stange zu winden, wie eine Würgeschlange um die hilflose Beute. “There's a secret I've been keeping, a fire in my soul, A love so deep and passionate, it's taken control. My shy and tender lover, with eyes so pure and kind, Tonight, my darling, let's leave our fears behind.” Zwischen den Versen ertönten erneut die Instrumente und lange Haare - sowohl in der Band, als auch im Publikum - flogen wild umher, als die harten Riffs von heftigen Headbangs begleitet wurden. Das Spiel von Gitarre, Schlagzeug und Keyboard steigerte sich hin zum ersten Höhepunkt des Songs, dem Chorus. Merrill ließ es sich nicht nehmen, die Stange abzulecken und viele ihrer männlichen Bewunderer somit in den Wahnsinn zu treiben. “I'm the flame that's burning, you're the spark that I desire, In the quiet of this evening, let's set our hearts on fire. I'll be the temptress, darling, you just hold me tight, In the depths of our affection, we'll find our sweet delight.” Spätestens jetzt waren die Gäste dem Song verfallen. ~~~ Nachdem Banshee noch drei andere Lieder spielte, war die Show wieder vorbei und die Bandmitglieder hatten sich nach einigen wenigen Autogrammen in die Backstage Area zurückgezogen. Merrill war gerade dabei ihre Gitarre in den Koffer zu legen, welcher auf einer Bank vor ihr lag. In gebeugter Haltung brachte sie ihr Instrument in dem Transportbehältnis unter. Sie ließ sich nicht vom Klopfen an der Tür irritieren, denn das war sowieso nur Peter. “Kann ich reinkommen?”, erkundigte er sich. “Wir sind alle nackt und feiern eine Orgie!”, scherzte Benjamin. “Halt die Klappe!”, tadelte Jennifer. “Du kannst reinkommen, Peter.” Als er das Zimmer betrat, konnte Peter einen vorzüglichen Blick auf Merrills Hinterteil in ihrer knappen Hotpants genießen, während diese noch immer unbedarft in dem Gitarrenkoffer herum hantierte. Jennifer registrierte seinen lüsternes Gaffen und kicherte. Als das Instrument endlich verstaut war, presste die rothaarige Sängerin die Jacke ebenfalls in den Koffer hinein, bevor sie ihn verschloss und sich Peter zuwandte, welcher urplötzlich stramm stand, wie ein Soldat beim Morgenappell und auffällig an ihr vorbei sah. “I-Ihr wart heute erste Sahne!”, lobte der Freizeitmanager. “Die Bude hat gebebt. Da blieb keine Friese ungeschüttelt.” “Na das möchte ja auch sein”, meinte Jonathan. “Euer neuer Song kam scheinbar am Besten an. Der Veranstalter hat übrigens das Geld rausgerückt. Nicht gerade wenig.” Peter fuchtelte mit einem Bündel Scheinen herum. “Zeit das Geld aufzuteilen.” “Ich verzichte”, schlug Merrill aus. Dann griff sie ihren Bikersuit und schlüpfte hinein. Benjamin verneigte sich gekünzelt vor der Rothaarigen. “Wie gnädig von Euch, Eure Hoheit”, spottete er. “Sehe ich aus wie eine Prinzessin?!”, fuhr Merrill ihn daraufhin an. “Für eine Person in diesem Raum schon”, stichelte Jennifer. Peters Wangen verfärbten sich verräterisch. “Es wäre halt unfair, weil ich nicht darauf angewiesen bin.” Merrill zog den Reisverschluss hinauf und hing den Gurt des Gitarrenkoffers über die Schulter. “Wisst ihr, ich bin total fertig. Und nach Hause fahren muss ich auch noch, ohne eine Massenkarambolage zu verursachen. Also bitte entschuldigt mich.” Sie ging an Peter vorbei zur Tür, drückte die Klinke hinunter und war auf und davon. “Willst du ihr nicht nachgehen?”, fragte Jonathan. Peter sah sich um, als seie jemand hinter ihm gemeint gewesen. “Du musst schon die Initiative ergreifen. Von alleine wirft sie sich dir nicht an den Hals! Auch wenn sie das andauernd singt...” Die schüchterne Reaktion des Managers zeugte davon, dass Jonathans Versuche ihm Mut zu machen, eher den gegenteiligen Effekt bewirkten. Derweil löste Merrill das Schloss an ihrem fahrbaren Untersatz und schob das Gefährt in Richtung der Straße. Gerade als sie sich auf ihren Bock aufgeschwungen hatte und davon düsen wollte, sprang die Tür des Clubs auf und Peter stürmte ihren Namen rufend hinaus. “Merrill, warte!”, rief er ihr zu. Daraufhin setzte sie den Fuß wieder auf dem Boden auf und ließ ihn herankommen. “Merrill!” Peter keuchte. Er war nicht gerade der sportlichste. “Hab ich etwas liegen lassen?”, fragte die Rothaarige verwundert. “Nein, nein.” “Was ist denn los?” “Ich muss dir etwas sagen!” “Das du mir vorhin auf den Arsch geglotzt hast?” Peter verschlug es die Sprache. Er musste sich ertappt fühlen. “Entspann dich. Das haben alle anderen Kerle vorher auf der Bühne auch gemacht, als ich an der Stange getanzt habe. Das macht mir nichts aus. Ich provoziere es schließlich in so einem Aufzug.” “D-Das meinte ich nicht.” Noch einmal atmete er durch. Sog Mut zusammen mit dem Sauerstoff in sich auf. “I-Ich wollte dich fragen, o-ob wir Mal ausgehen können.” Damit hatte Merrill nun wirklich nicht gerechnet. Zwar wusste sie, dass sich Peter schon seit einiger Zeit schwer in sie verguckt hatte, doch sie hätte nie gedacht, dass er seine Schüchternheit überwinden und sie ansprechen würde. Um ehrlich zu sein, war sie ihm nicht abgeneigt. Er sah mit seinen schwarzen Haaren eigentlich ganz schnuckelig aus. Zu dick oder zu dünn war er auch nicht. Allerdings tat sie immer nur so tough. In Wirklichkeit war sie selbst schüchtern - zumindest immer dann, wenn es ans Eingemachte ging. Und jetzt wollte dieser Kerl mit ihr ausgehen! “K-Klar”, antwortete sie, nach dem auch sie sich erst kurz fassen musste. “Komm! Spring auf!” Sie rutschte ein Stück nach vorn und bot Peter den Platz hinter ihr an. Vorsichtig setzte er sich auf die Maschine. “Halt dich gut fest! Ich will dich nicht von der Straße kratzen müssen!” Der junge Mann umklammerte Merrills Taille und presste sich an den Gitarrenkoffer an ihrem Rücken. Merrill spürte Peters Hände an ihrem Bauch. “Ich kenne da ein Diner. Es liegt auf dem Weg nach Hause. Ich lade dich ein.” So war das ganz und gar nicht geplant! “Ich zahle!”, protestierte Peter. Auch wenn Merrill aus einer reichen Familie stammte, er war hier immer noch der Mann! “Von mir aus.” Die junge Sängerin löste die Bremse und trieb das motorisierte Zweirad an. Sie hatte schon damit gerechnet, dass er den Gentleman heraushängen lassen würde. Dieses Diner, welches sie ausgesuchte, hatte viele günstige Angebote auf der Speisekarte. Das war ihre Art ihm entgegen zu kommen. Wie ein Blitz schoss das Motorrad davon. Während der Fahrt wurde Peters griff um Merrills Körper mit jeder Kurve fester, welche sie mit ihrem beängstigendem Fahrstil gerade so noch nahm. Aufatmen konnte er erst, als sie ihr Ziel erreichten, Merrill endlich anhielt und er sich davon Überzeugen konnte, das sie tatsächlich nicht gestorben waren. ~~~ Gemeinsam verließen sie den Diner, nachdem sie sich eine Stunde über die verschiedensten Themen unterhalten hatten. Merrill Gesicht zierte ein Lächeln. Sie hätte nie gedacht, dass sie jemanden freiwillig erzählen würde, dass sie nur zum Hard Rock fand, weil sie als Kind immer heimlich die alten Scheiben ihres Vaters angehört hatte. Auch nicht, das sie einmal eine von ihnen aus Versehen zerstört hatte. Eigentlich wollte sie sie ihrem Vater schon lange ersetzen, aber alte CDs von vor dem Niederfall waren schwer zu bekommen. Was sollte sie nun mit Peter machen, da er ihre Geheimnisse kannte? “D-Das war wirklich schön, Peter”, sprach sie. “Wir sollten das wiederholen!”, meinte der Manager. Merrill umarmte ihn und sah ihm in die Augen. “Vielleicht zeigst du mir beim nächsten Mal lieber dein Zimmer im Studentenwohnheim.” Bin ich eigentlich total bescheuert?, fragte sie sich schon im nächsten Moment, als ihr klar wurde, dass sie ihm gerade ungewollt in Aussicht gestellt hatte, mit ihm zu schlafen. Ihr würde sicher etwas einfallen, um ihren Hals aus der selbstgedrehten Schlinge zu ziehen. “Nein, ich habe einen Mitbewohner, der andauernd Damenbesuch hat”, erklärte sich Peter. “Da würden wir bestimmt nur stören.” Merrill atmete auf. Peter schien die Anspielung nicht verstanden zu haben. Glück gehabt. Und das schon das zweite Mal in dieser Nacht. Erleichtert löste sie sich von ihm. Das wäre ihr viel zu schnell gegangen. Sofort mit einem Kerl ins Bett zu springen war mehr etwas für die Persona, welche sie auf der Bühne verkörperte. Im echten Leben wollte sie einen Jungen zuerst richtig kennen lernen. “Also, bis bald!”, sagte Peter als er um die Ecke abbog und ihr winkte. Merrill erhob ebenfalls kurz die Hand und wandte sich anschließend ihrem Motorrad zu. Plötzlich quietschten Autoreifen und sie vernahm einen Schrei. Sie streifte den Gurt des Gitattenkoffers ab und ließ ihr Instrument neben ihrer Maschine zu Boden sinken. Ohne diesen Ballast war sie in der Lage schneller zu rennen. Der Hilferuf kam von um der Ecke und die Stimme klang wie die von Peter. Ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten, hechtete sie zur Quelle und beobachtete, wie sich ihr Date gegen zwei Männer zur Wehr setzte, die versuchten den jungen Mann in eine schwarze Limousine zu zerren. “Hey!”, schrie sie und stürmte auf die Übeltäter zu. Sie sprang einem der Männer auf den Rücken und prügelte auf sein Gesicht ein. Peter gelang es sich loszureißen, indem er dem Mann der ihn festhielt einen Stoß mit dem Hinterkopf versetzte. Er ging ein Stück zurück, sodass er seinen Gegner im Blick hatte. Die Hände erhoben und zu Fäusten geballt, wartete er auf seinen nächsten Zug. Derweil bekam Merrill den Ellenbogen des Entführers zu spüren, welchen er mehrfach heftig in ihre Seite stieß. Als Resultat konnte sie sich nicht mehr auf seinem Rücken halten. Er schnappte sie und warf sie auf die Motorhaube der Limousine. Merrill fing den Aufprall ab und wandte sich sofort wieder ihrem Gegner zu. Die Scheibe in der Tür des Wagen wurde herunter gekurbelt und eine Hand reichte hinaus in die Nacht. Sie wurde verhüllt von einem schwarzen Handschuh hielt eine ebenso schwarze Pistole. Sie richtete die Waffe gen Himmel. Peng! Sofort unterbrachen alle Beteiligten den Kampf und starrten auf den Wagen. Die Hand bedrohte nun abwechselnd Merrill und Peter. Durch ein Winkzeichen komplementierte die Person hinter der nur einen Spalt herunter gelassenen Scheibe die Handlanger, die beiden Jugendlichen zu ergreifen und in die Limousine zu bringen. Sofort wurde dem Befehl des Anführers Folge geleistet und Merrill und Peter in den Wagen gezerrt. Im Angesicht eines Pistolenlauf wagte keiner der Beiden noch Widerstand zu leisten. Mit quietschenden Reifen setzte sich der Wagen in Bewegung. Eine längere Zeit sprach niemand. Merrill sah sich im Innenraum um. LED-Lampen leuchteten ihn gut aus. Vor ihr saß ein mittelalter Mann mit einer Waffe entgegen der Fahrtrichtung ihnen zugewandt. Neben ihm die beiden deutlich jüngeren Männer, welche Peter überfallen hatten. Zu den Füßen des einen Befand sich ein verdächtiger silberner Koffer. Leute mit einer Limousine entführen. Wo gab es denn so etwas? Für gewöhnlich würde man doch einen Kleintransporter einsetzen. “Was guckst du denn so?!”, fragte einer der Handlanger erbost. “Lass gut sein”, bewegte ihn der Mann mit der Pistole zur Zurückhaltung. Merrill kam ein grauenhafter Gedanke. Vor einigen Wochen schnappte sie das Gerücht auf, dass die Organmafia junge Menschen einfängt und ausgeschlachtet, um mit den erbeuteten Organen das Leben von alten aber reichen Kunden zu verlängern. Stimmte es? Waren sie diesen Leuten ins Netz gegangen?” “Mache lieber die Tests fertig!” “W-Was für ein Test?”, fragte Peter verstört. Doch er erhielt keine Antwort. Der Handlanger kramte den Koffer unter seinem Sitz hervor und öffnete ihn. Darin befanden sich seltsame Röhrchen, Wattestäbchen und ein technisches Gerät, dessen Zweck durch den ersten Blick nicht klar wurde. Der Mann nahm sich ein Stäbchen und beugte sich zu Peter vor. “Mund auf!”, forderte er auf. Angesichts der Waffe in der Hand des anderen, gehorchte Peter. Der Mann fuhr mit dem Stäbchen im Mund des Studenten herum, bis sich die Watte mit seinem Speichel vollgesogen hatte. Anschließend steckte er es in eine Lösung. “Teste auch das Mädchen!”, forderte der Boss der Entführer auf. “Sicher ist sicher.” Dem wurde sofort Folge geleistet und Merrill erhielt die gleiche Behandlung. Auch ihre Probe wurde in ein Röhrchen mit einer Lösung getaucht. Inzwischen war Peters Probe bereit, also nahm sie der Mann und führte sie in das Gerät ein. Dafür war eine Aussparung in der Seite vorgesehen. Eine Nadel fuhr durch den Verschluss in die Substanz hinein und begann sie zu analysieren. Auf dem Bildschirm erschien nach kurzer Wartezeit ein Text, den Merrill auf dem Kopf stehend nicht entziffern könnte. Doch die anschließende Rotfärbung des Displays war eindeutig. “Boss, der Junge ist negativ.” “Und was heißt das jetzt?”, fragte Peter. Daraufhin richtete der Boss seine Waffe auf Peters Stirn und betätigte den Abzug. Das Projektil erwischte den jungen Mann genau zwischen den Augen und bohrte sich in seinen Schädel, nur um ihn augenblicklich auf der anderen Seite in Begleitung von Blut und Hirnmasse wieder zu verlassen. Die Heckscheibe färbte sich rot mit dem Innenleben von Peters Kopf. Er war augenblicklich tot. Merrill riss erfüllt von Furcht und Schrecken die Augen auf und bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen. Hecktische Schnappatmung schnitt ihr jedes Wort ab. Sie wollte am Liebsten weinen, doch ihr ganzer Körper war vor Entsetzen über den Mord an Peter wie gelähmt. Inzwischen hatte der andere auch die Probe von Merrill analysiert. Diesmal leuchtete das Display grün auf. “Wir haben einen Treffer!”, verkündete der Mann seinem Boss. “Schau dich nur an, Kleines!”, sprach dieser daraufhin Merrill an. “Du hast Glück! Unsere Quellen deuteten auf den Jungen hin, aber scheinbar wurden wir falsch informiert. Du darfst deinen Beitrag zur Rettung der Menschheit leisten.” Er beäugte das Mädchen. Ihr hübsches Äußeres. “Ich bin mir sicher, dass so ein ausgezeichnetes Exemplar wie du, einen sehr hohen Preis erzielen wird.” “W-Wieso haben Sie Peter einfach umgebracht?”, sprach die Rothaarige noch immer zitternd. “Brauchen Sie seine Organe nicht?” “Organe? Wir brauchen den ganzen Menschen. Fruchtbare Menschen, wie dich. Ein sterilen Penner wie der da ist nutzlos!” Fruchtbare Menschen? So etwas gab es nicht mehr. Nicht seitdem RAID über die Welt gezogen ist. Wer diese schreckliche Seuche überlebte, wurde durch sie unfruchtbar. Diese Leute waren verrückt! “Entsorgt endlich diesen Müll!”, forderte der Anführer. Der Mann, welcher den Test durchgeführt hatte, verstaute den Koffer wieder unter dem Sitz. Anschließend stieß die Tür der Limousine auf und warf Peters Leiche bei voller Fahrt aus dem Wagen. Merrill verspürte einen unerklärlichen Impuls und blickte auf der nicht von Hirnmasse und Blut verschmierten Seite durch die Heckscheibe. Der Anblick des toten Körpers, welcher sich unzählige Male überschlug, bis er endlich zur Ruhe kam, weckte etwas in ihr. Wie ausgewechselt wandte sie sich dem Mann mit der Waffe zu und attackierte ihn. Ein Schlag mit dem Griff der Waffe beförderte sie jedoch auf den Rücksitz zurück. Benommen erhob Merrill ihre Stimme und schrie so laut sie konnte. Dabei wurde sie stetig schriller. Von einem Moment auf den anderen platzten die Scheiben und die Splitter flogen kreuz und Quer im Fahrgastraum umher. Die Insassen krümmten sich vor Schmerz. Blut lief aus ihren Ohren. Aber Merrill schrie immer weiter, immer schriller. Den Männern platzte fast der Schädel. Unter Qualen versuchten sie sich die Ohren zu bedecken, im aussichtslosen Versuch, das Geräusch, welches höchstwahrscheinlich gerade ihr Hirn verflüssigte, abzudämpfen und ihr Leid zu lindern. Während ihres nicht enden wollenden Schreis, bemerkte Merrill nicht, das die Limousine immer wieder aus der Spur ausbrach, da auch der Fahrer betroffen war. Mit zitterndem Arm zielte der Kopf der Entführer auf die junge Frau. Doch er war nicht in der Lage sie genau auszumachen. Es verschwamm alles vor seinen Augen. Zwei Schüsse lösten sich. Letztlich entglitt ihm die Waffe und er sackte mit blutenden Ohren zusammen, wie zuvor der Rest seiner Männer. Der Fahrer verlor ebenfalls sein Bewusstsein und sein Kopf fiel auf das Lenkrad. Ein langgezogenes Hupen zeugte von seinem Zusammenbruch. Ein letztes Mal brach der Wagen aus der Spur aus und krachte gegen einen Laternenpfahl, welcher einen tiefen Eindruck in der Front der Limousine hinterließ. Durch den Aufprall löste der Airbag aus, drückte den Fahrer zur Seite geschleudert, wodurch das Hupen verstummte. Dann wurde es totenstill. FORTSETZUNG FOLGT... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)