Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 10: Eloy – Juli 2014 ---------------------------- Nervös sah ich mich auf der kleinen Wiese um. Nach dem offiziellen Teil schien sich die Anspannung bei allen außer mir langsam zu legen. Sogar Maxime hatte sich beruhigt und lachte sogar ehrlich über einen Witz von Walter, obwohl Peter nicht im Geringsten von der skeptischen Miene abwich, mit der er Mats Vater auch bei ihrem letzten Zusammentreffen begegnet war. Auch die restliche Trauergemeinde stand in kleineren Grüppchen zusammen, wobei sich unerwartete Kombinationen ergaben. Wie Tobys und Rogers Begleitung, die sich zu Mats übrigen Bandmitgliedern gesellt hatte. Oder Toby selbst, der sich mit Mats Anwalt wie mit einem alten Bekannten unterhielt, während sein Mann etwas abwesend daneben stand und den Blick immer wieder zwischen Peter und ihrer Begleitung hin und her gleiten ließ. Sehr offensichtlich hatte nicht nur ich sehr deutliche Instruktionen von Mat erhalten. Nicht nur hatte ich die Person, die er als »Loverboy« in seinem Handy eingespeichert hatte – und die sich mir dann im Gespräch als Isaac vorgestellt hatte – zu seiner Beerdigung einladen sollen, sowohl über einen Anruf als auch zur Sicherheit noch einmal über Toby und Roger, sondern er hatte auch immer wieder sehr nachdrücklich wiederholt, sollte er die Einladung annehmen, niemals, unter gar keinen Umständen Peter mit ihm allein zu lassen. Doch so beharrlich Mat mit dieser Forderung auch war, zu den Gründen schwieg er sich aus. Und ich kannte ihn gut genug, nicht mehr als einmal danach zu fragen. Roger schien die Aufgabe sogar noch direkter zu nehmen als ich, denn als sich Peter von Walter abwandte und in die Richtung seiner Band bewegte, stieß er seinen Partner mit dem Ellenbogen an. Sofort schaltete dieser und gemeinsam gingen sie zu ihrem Begleiter. »Eloy? Wie geht es dir?« Darauf hoffend, dass Toby und Roger auch weiterhin ihren Freund im Blick hatten, erlaubte ich es mir, meine Aufmerksamkeit voll auf Walter zu richten. Erschöpft seufzte ich und fuhr mir mit der Hand über die Augen, während ich mich ihm zuwandte. Ich hatte keinen Grund, meinen Schwiegervater anzulügen. »Erschöpft. Die letzten Tage waren etwas ... viel.« Verstehend nickte er und griff kurz tröstend an meinen Unterarm. »Verständlich. Egal wie gut ihr alles vorbereitet habt, es blieb sicher noch vieles, was sich erst hinterher regeln ließ. Aber eigentlich wollte ich wissen, wie es dir emotional geht.« »Es geht. Ich hatte es schlimmer erwartet. Aber ich wusste ja auch, dass es kommen würde.« Mitleidig lächelte er. »Du musst dich nicht zusammenreißen, Junge.« Überfordert lachte ich. Manchmal war es zu offensichtlich, woher Mat seine gute Menschenkenntnis hatte. »Ich weiß, Walt. Aber im Moment geht es wirklich. Erfahrungsgemäß kommt der wirklich harte Schlag, wenn der erste Stress vorbei ist.« Von unten herauf sah mich Walter skeptisch an. »Erfahrungsgemäß?« »Mat ist nicht mein erster ... Partner, den ich beerdigen muss.« Für einen kurzen Moment schweiften meine Gedanken ab, doch ich holte sie schnell wieder zurück. Jetzt gerade war nicht die Zeit dafür. »Nur diesmal darf ich auch zeigen, wie wichtig er für mich war.« Walter lächelte nachsichtig und tätschelte mir noch einmal den Unterarm. Für einen Moment schwiegen wir und ich nutzte die Gelegenheit, nach den anderen Gästen zu sehen. Peter unterhielt sich mit Mr. Bowser und Carla, während ihr Mann Maxime bespaßte. Caroline war zu Hause bei ihrer Mutter, deren Anwesenheit bei seiner Beerdigung Mat nachdrücklich untersagt hatte. Toby und Roger standen mit dem Rücken zu den anderen und schirmten damit Isaac ab. Dass Walter seinen Rollstuhl etwas drehte und nun direkt auf Mats Grab sah, lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn, noch bevor er erneut sprach. »Ich bin nicht sicher, ob das der richtige Zeitpunkt ist, aber, nun, wann sonst: Mat hatte gesagt, er hätte seinen Zweitnamen streichen lassen ...« »Ah, hm, ja.« Ich konnte mir ein trauriges Schmunzeln nicht verkneifen. Mat hatte wie immer getan, was er für richtig hielt, ohne die Notwendigkeit zu sehen, andere davon zu unterrichten. »Hatte er ursprünglich auch. Aber nachdem ihr euch das erste Mal getroffen hattet, hat er sich sofort dran gemacht, herauszufinden, ob und wie er ihn wieder eintragen lassen kann. Ihr habt wohl darüber geredet und er war der Meinung, der Name sei dir wichtig gewesen. Zumindest meine Vermutung. Er hat es mir nicht erklärt. Ehrlich gesagt hab ich aber auch nicht wirklich nachgefragt.« Diesmal war es Walter, dessen Blick etwas abwesend wirkte. Nach einem Moment fragte er: »War er immer so?« »So was? Eigensinnig? Ja, sehr.« »Auf andere bedacht. Ich habe ihn nie darum gebeten, den Namen wieder anzunehmen, oder habe ihm das Streichen übelgenommen. Er war mir wichtig, aber ich hatte auch vollstes Verständnis, dass er ihn wegen seiner Erfahrungen nicht wollte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass er ihn wieder annehmen würde oder auch nur mit dem Gedanken spielt. Ich kann es mir nur so erklären, dass er es für mich gemacht hat.« Mit einem schweren Seufzen nickte ich. »Ja, so war Mat. Immer. Ich kannte ihn nicht anders. Er hat andere immer über sich selbst gestellt. Dein Sohn war ein großartiger, viel zu guter Mensch.« Walter lachte bitter. »Nur, dass ich nicht viel dazu beigetragen habe.« Um keine unangenehme Stille aufkommen zu lassen, fragte ich: »Warum war es dir so wichtig, dass Mat den Namen trägt? Ich finde ihn ehrlich gesagt auch nicht so gut gewählt. Es ist ... ein Mädchenname.« Die Frage bewirkte genau das Gegenteil dessen, was ich erreichen wollte. Walter sah für eine ganze Weile mit weit entferntem Blick auf das Grab seines Sohnes. Dann ließ er den Kopf hängen und sah auf seine Hände. »Mat ist nicht mein erstes Kind, das ich überlebe. Jennifer war der Name, den seine Mutter und ich für seine Schwester ausgesucht hatten. Weil sie ihn nicht tragen konnte, habe ich mich entschieden, dass Mat ihn ebenfalls tragen sollte. Sie hat kein Grab, es gibt keine Aufzeichnungen über sie, das war damals bei Neugeborenen nicht üblich – ich weiß nicht einmal, was mit ihrer Leiche geschehen ist – also sollte er das lebende Andenken an seine Zwillingsschwester sein. Und ich hab es bis letztes Jahr nicht einmal geschafft, ihm von ihr zu erzählen. Ich hab ihn immer für zu jung gehalten und dann ...« Ich legte dem alten Mann, der seine gesamte Familie überlebt hatte, eine Hand auf die Schulter. »Jetzt hat sie ein Grab.« Ich war sicher, das war Mats Intention gewesen. Nicht einmal Totsein erlaubte er sich nur für sich selbst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)