Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 46: Roger – Juni 2019 IV -------------------------------- Die Türklingel, sowie Diego und Chico, die auf die morgendliche Störung reagierten, rissen mich aus dem Schlaf. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mich anzuziehen, sondern ging nur mit Boxershorts zur Tür. Vor der Tür stand Ricky mit roten und vor Ärger zusammengekniffenen Augen und wollte sich an mir vorbeidrängen, als ich sie öffnete. Mit einer Hand hielt ich ihn auf. »Was willst du hier?« »Ich will mit Toby reden.« Ihm war klar, dass er keine Chance gegen mich hatte, deshalb versuchte er, wenigstens an mir vorbei in die Wohnung zu sehen. »Toby hat dir gestern geschrieben, dass wir dich erstmal nicht sehen möchten«, erinnerte ich ihn so emotionslos wie möglich. Dass er trotzdem hier auftauchte, machte mich wütend; gleichzeitig wollte ich ihn in den Arm nehmen, denn es hatte ihn offensichtlich getroffen. »Deshalb will ich mit ihm reden!« Ricky wurde deutlich lauter, jedoch nicht laut genug, um die Schlafzimmertür zu übertönen, die Toby öffnete und wieder schloss. Diesmal schrie er in genau diese Richtung: »Nach einem halben Jahr hab ich verdammt nochmal mehr verdient als eine scheiß feige Nachricht!« Toby tauchte neben mir auf und schob mich leicht zur Seite. An Ricky gerichtet sagte er: »Komm rein.« Wütend sah ich meinen Mann von der Seite an, machte aber Platz. Ich hatte gedacht, wir wären uns einig gewesen. Ihnen voran ging ich ins Wohnzimmer, damit niemand auf falsche Ideen kam, wo das Gespräch stattfinden würde. Diego lief sofort auf Ricky zu, sein ganzer Körper wackelte vor Freude. Chico dagegen lag äußerlich entspannt auf seiner Decke, beobachtete uns aber sehr genau. Aus Gewohnheit nahm Ricky Diego auf den Arm und knuddelte ihn, während er Toby zum Esstisch folgte. Als ich mich dazusetzte, sah er mich zweifelnd an. »Ich wollte eigentlich nur mit Toby reden.« »Die Entscheidung wurde von uns beiden getroffen«, erklärte ich ruhig, stand aber nochmal auf, um die Kaffeemaschine anzustellen. Ich war nicht einverstanden, dass Toby sich auf das Gespräch einließ, aber wenn, dann brauchte ich einen Kaffee. »Was soll das? Warum könnt ihr, wenn irgendwas nicht so gelaufen ist, wie ihr euch das vorgestellt habt, nicht gleich mit mir reden, sondern schickt mir eine Nachricht, sobald ich zu Hause bin? Kein Anruf, kein ›Komm nochmal vorbei, wir müssen reden‹. Nein, eine verkackte Nachricht, in der ihr mich abschießt! Ich hatte mehr von dir erwartet, Toby.« Zum Ausdruck seiner Enttäuschung schüttelte Ricky langsam den Kopf. Toby sah kurz versichernd zu mir, bevor er antwortete: »Wir haben festgestellt, dass es uns unangenehm ist, wenn du uns zu nahe bist. Deshalb wollten wir etwas Abstand.« »What?!« Nun sah Ricky vor allem mich an. »Du hast den Dreier vorgeschlagen! Du hast gefragt, ob ich Lust darauf hätte, und mir versichert, dass es in Ordnung wäre! Und jetzt ziehst du sowas ab?!« »Die Entscheidung haben Roger und ich zusammen getroffen«, erinnerte Toby noch einmal ruhig, klang dabei aber schon leicht gereizt. Aber vermutlich hörte Ricky das nicht einmal heraus. Eher noch machte ihn das noch wütender. Er sprang auf und setzte den erschrocken zappelnden Diego auf dem Tisch ab, von dem aus ich ihn auf den Boden hob. Währenddessen funkelte mich Ricky an. »Wenn du ein Problem mit mir hast und mich loswerden willst, dann hättest du das anders sagen können. Dafür hättest du mich nicht von einem Dreier überzeugen müssen! Was du hier abziehst, ist unterste Schublade!« »Ricky!« Das letzte Mal, dass ich Toby hatte laut werden hören, war lange her. Der Schreck fuhr durch meinen ganzen Körper. Und auch Ricky erstarrte. Sofort wurde Toby wieder ruhig und sachlich. »Glaubst du wirklich, Roger würde so etwas durchziehen, nur um dich hinterher zu verletzen? Glaubst du wirklich daran?« Ricky sah kurz zu mir und zuckte dann niedergeschlagen mit den Schultern. »Was weiß ich. Was soll ich denn glauben, wenn ihr mir erst so ein Angebot macht und mich dann absägt?« Ich erwiderte Tobys fragenden Blick mit einem kurzen Nicken. Ich hatte nicht erwartet, dass unsere Abweisung Ricky so fertig machen würde. Toby stand auf und nahm ihn in den Arm. Schon Augenblicke später hatten sich Rickys Hände in Tobys Schultern verkrallt und es war leises Schluchzen zu hören. Ich kümmerte mich weiter um den Kaffee, brachte die Kanne und drei Tassen auf den Tisch und sah nach Diego und Chico. Chico war noch immer äußerst wachsam, putzte aber auch Diego, der sich neben ihm auf der Decke zusammengerollt hatte. Scheinbar machte die Unruhe Chico nicht wirklich etwas aus. Ich wandte mich wieder zu Toby und Ricky, beobachtete eine Weile, wie Toby versuchte, Ricky zu beruhigen, dabei jedoch nur mäßig Erfolg hatte. Je länger ich Ricky so sah, desto mehr brach es mir das Herz. Nicht, weil mich seine Worte wirklich verletzten, dafür waren sie viel zu abwegig, sondern weil es mir deutlich machte, wie richtig meine Einschätzung der Situation gewesen war und mich gleichzeitig an den Konsequenzen zweifeln ließ, die ich daraus gezogen hatte. Ich brauchte noch etwas, doch dann überwand ich mich und ging zu Toby und Ricky, legte meine Arme vorsichtig von hinten um Ricky. Entschuldigend hauchte ich einen Kuss auf seine Schulter. »Es tut mir leid.« Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass es Ricky so mitnehmen würde. Er schniefte noch einmal und machte sich dann aus unserer Umarmung frei. Aus der Küche holte er sich ein Küchentuch, mit dem er sein Gesicht trocknete. Sobald er sich beruhigt hatte, sah er von dort aus traurig zu uns herüber. »Warum? Ich versteh es nicht. Ich dachte, es wäre für euch auch schön gewesen. Ich dachte sogar, ihr könntet auch wollen, dass das ... enger wird.« Bei Rickys letztem Satz hüpfte mein Herz aufgeregt. Das war ganz sicher nicht das, was ich in der momentanen Situation hören wollte. Ich zog Toby sanft wieder zum Tisch, setzte mich und deutete auf den Stuhl, auf dem Ricky zuvor gesessen hatte. Erst nachdem er saß, antwortete ich: »Wir haben das schonmal durch, eine weitere Person so weit in unsere Beziehung zu lassen. Und das lief nicht gut.« »Dieser Isaac, oder?« Sowohl Toby als auch ich sahen ihn überrascht an. Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir Ricky gegenüber Isaac jemals erwähnt hätten. Er rang sich ein leichtes Lächeln ab. »Gelegentlich hat jemand von euch gesagt, dass er ihn gesehen hat, und das schien euch wichtig zu sein, aber irgendwie auch immer schwierig. Ich hab einfach nur geraten.« »Ja, er ist ... war ... ist uns wichtig. Wir haben ihn sehr weit in unsere Beziehung gelassen und«, Toby versicherte sich kurz, dass es in Ordnung war, weiterzuerzählen, »hätten uns beide gewünscht, dass er ein fester Bestandteil wird. Dass es oft uneindeutig hin und her ging, hat fast unsere Beziehung zerstört.« »Mehrmals«, ergänzte ich murmelnd. Isaac hatte nie bemerkt, wie sehr es uns entzweite, wenn er sich wieder und wieder auf uns einließ, nur um uns dann zurückzustoßen. Wut, Selbst- und gegenseitige Vorwürfe hatten Isaac nicht erreichen können, also hatten sie sich auf uns entladen. Nicht immer offensichtlich, nicht immer mit voller Wucht, doch auch kleine Stiche bluten. Ricky machte lediglich ein Geräusch, das ausdrückte, dass er uns verstanden hatte. Erst nachdem er alle Tassen mit Kaffee gefüllt und Toby und mir jeweils eine hingeschoben hatte, nickte er nachdenklich. »Ich denke, ich versteh, warum es deshalb für euch schwierig ist. Aber nicht, warum das so plötzlich kommt. Okay, ja, ich hätte auch sagen können, welche Hoffnungen mir euer bisheriges Verhalten gemacht hat, aber mit allem drum und dran war für mich eigentlich klar, dass es nicht um einen One-Night-Stand ging; dann hättet ihr euren Move schon vor Monaten machen können, dafür hätte es kein langes Warten gebraucht. Und selbst wenn ihr hinterher festgestellt habt, dass es nicht das war, was ihr euch erhofft habt, sehe ich nicht, warum das rechtfertigt, mich komplett abzusägen, ohne mir auch nur die geringste Erklärung dafür zu geben.« Rickys Stimme wurde mit jedem Worte intensiver und am Ende standen ihm erneut Tränen in den Augen. Hilfesuchend sah Toby zu mir. Doch bevor ich Worte finden konnte, sprach Ricky schon weiter: »Stattdessen tut ihr das, weil? Keine Ahnung, irgendein Typ euch enttäuscht hat und ich jetzt aus irgendeinem Grund genau dasselbe tun muss?« »Nein, ja ...« Seufzend verschaffte ich mir etwas Zeit, meine Gedanken zu ordnen. »Ich denke nicht, dass auch nur einer von uns dir unterstellen wollte, uns absichtlich verletzen zu wollen oder uns zu schaden. Würden wir auch Isaac nicht unterstellen. Es ist eher ... Du bist ihm so verdammt ähnlich; zumindest dem, wie wir ihn zuerst kennengelernt haben. Klar, die Angst, dass es genauso endet, ist da und alles andere als klein, aber zumindest ich hab auch das Gefühl, dass wir unbewusst versuchen könnten, mit dir etwas zu kompensieren, was wir mit ihm nicht haben konnten. Das will ich dir nicht antun.« »Roger hat Recht. Das wäre dir gegenüber nicht fair, weil wir dich immer mit ihm vergleichen würden«, stimmte Toby mir zu, nachdem er bereits zu meinen letzten beiden Sätzen bekräftigend genickt hatte. Zweifelnd hatte Ricky die Augenbrauen zusammengezogen. »Das ... ich weiß nicht, was da passiert ist, und ich hab auch nicht das Gefühl, dass es gerade der Ort und die Zeit ist, danach zu fragen, aber das kann ich so nicht nachvollziehen. Ich sehe keinen Sinn darin, da an der Vergangenheit festzuhalten. Ja, vielleicht würde ich es in eurer Situation anderes sehen, aber für mich stellt sich das recht einfach da: Mögt ihr mich? Wolltet und wollt ihr das, was geschehen ist, und noch kommen könnte mit mir? Nicht mit ihm, sondern mit mir? Wenn ja, dann sehe ich keinen Grund, sich mit irgendwelchen Dingen aufzuhalten, die irgendwann mal mit einer vollkommen anderen Person geschehen sind. Ich werd nicht plötzlich zu ihm werden, ich werd mich auch nicht dazu drängen lassen, etwas zu tun oder nicht zu tun, nur weil er es getan hat. Ich bin mein eigener Mensch und das ist alles, was ihr akzeptieren müsst.« Betreten schwiegen Toby und ich. Die Antwort war für mich sehr eindeutig und dennoch stellte es sich für mich nicht ganz so einfach dar. Meinem Mann schien es nicht anders zu gehen. Ricky sah noch einmal auffordernd zwischen uns hin und her, dann hob er hilflos die Hände und ließ sie wieder sinken. »Ich ... Ich glaub, ich hab nichts mehr dazu zu sagen. Wenn das eure Gründe sind, mich abzusägen, okay. Ich kann sie nicht nachempfinden, aber ich kann sie akzeptieren. Auch wenn es schade ist. Ich hab euch echt gern.« Für einen Moment wirkte es, als wollte Ricky noch etwas ergänzen, doch er schüttelte stattdessen den Kopf, trank den letzten Schluck aus seiner Tasse und stand auf. »Warte, wir bringen dich noch zur Tür.« Toby folgte ihm und ich kam der Aufforderung meines Mannes ebenfalls nach. Außerdem forderte ich die Hunde auf, uns zu begleiten, damit Ricky auch ihnen Tschüss sagen konnte. Während Toby und ich betreten schweigend dastanden, verabschiedete sich Ricky herzlich von Chico und Diego. Erst als er damit fertig war und es nicht weiter hinauszögern konnte, stand er genauso unschlüssig vor uns. Dann endlich war es Toby, der sich dazu durchringen konnte, etwas zu tun. Er griff Ricky am Oberarm und streichelte mit dem Daumen kurz darüber. »Gib uns etwas Zeit darüber nachzudenken, okay?« Rickys Gesichtsausdruck wirkte unzufrieden, doch es lag keine Ablehnung in seiner Gestik, als er Tobys Hand mit seiner eigenen von seinem Arm abstreifte. Nach einem kurzen, unschlüssigen Schulterzucken hob er die Hand und drehte sich dann um, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)