Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 31: Tino – Februar 2016 III ----------------------------------- Eher beiläufig warf ich noch einen Blick in den Spiegel. Es war vermutlich absolut egal, wie ich aussah, aber es gab mir wenigstens etwas Kontrolle über diese Situation, von der ich so gar nicht wusste, wie sie verlaufen würde. Nur eine Kleinigkeit, die ich noch tun konnte. Der andere Punkt war gewesen, Cátia im Vorfeld zu informieren, dass ich eventuell später anrufen würde, um mich aufbauen zu lassen, auch wenn ich nicht sicher war, ob ich es brauchen würde. Aber nach der letzten Begegnung mit Isaac – Samsa? Ich war mir nicht einmal sicher, ob es für ihn in Ordnung war, wenn ich ihn noch so nannte – hatte ich es definitiv gebraucht. Wenn er sich denn überhaupt traute, zu klingeln. Ich hatte ihn vom Wohnzimmerfenster aus gesehen, wie er aufs Haus zugegangen war, aber das war sicher schon zwei Minuten her. Unweigerlich lächelte ich bei der Vorstellung, wie er vor der Tür stand, mindestens genauso unsicher wie ich, und mit sich rang, ob es nicht besser war, einfach wieder zu gehen. Bräuchte er nicht sein Handy zurück, wäre er sicher nie wieder hergekommen. Und ich fühlte mich schlecht, diesen Umstand irgendwie auch auszunutzen. Dabei hatte ich es nie geplant. Vielleicht bildete ich es mir ein, aber selbst das Läuten der Glocke klang zögerlich. Sofort drückte ich auf den Öffner. Mir war es egal, ob er merkte, dass ich nervös gewartet hatte. Ich musste das nicht verheimlichen. Außerdem war er vermutlich eh viel zu beschäftigt mit sich, um einen Gedanken daran zu verschwenden. Sobald er mich sah, blieb er auf der Treppenstufe stehen. Für einen kurzen Augenblick konnte ich in seine Augen sehen, dann senkte er den Kopf und kam bis auf den Absatz hoch, wobei er noch immer so viel Abstand wie möglich hielt. Dieser Blick in seine Augen war so viel mehr, als bei unserem letzten Treffen, als ich nur seinen Hinterkopf sehen konnte. Er sah nicht gut aus, und doch war er einfach nur schön. »Hi. Hier.« Ich hielt ihm das Handy hin und er griff sofort danach. »Danke.« Er warf nur einen kurzen Blick darauf, wie um sicherzugehen, dass es wirklich seines war, dann steckte er es in seine Manteltasche. Seiner ganzen Haltung war anzusehen, dass er am liebsten direkt wieder rausgestürmt wäre. Dennoch rang er sich weitere Worte ab: »Wieso ist es bei dir?« »Ich wollte dich am Morgen nach der Party anrufen, um mit dir zu reden. Da ist aber eine vollkommen fremde Person rangegangen und hat mir erzählt, dass du bei ihnen geschlafen hast, am Morgen aber weg warst und dein Handy vergessen hast. Ich konnte sie überreden, es mir zu geben, damit ich es dir zurückgeben kann.« »Und warum hast du es nicht?« Verständlicherweise mischte sich etwas Wut in seine Stimme. Dennoch sah er noch immer mit hängenden Schultern zu Boden, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. »Weil ich nicht wusste, wie. Als ich es holen gefahren bin, hab ich gehofft, es dir geben zu können, wenn du in den nächsten Tagen wieder zu mir kommst. Da konnte ich noch nicht ahnen, dass ich beim Zurückkommen einen Brief von dir im Briefkasten finden würde.« Zu gern hätte ich gehabt, dass er mir ins Gesicht sah und erkannte, wie sehr er mich damit verletzt hatte. Doch er tat es nicht. Ob aus Angst genau davor, aus Scham oder Selbstschutz, konnte ich nicht sagen. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich wieder klar genug denken konnte, um auf die Idee zu kommen, ausnahmsweise zu nutzen, dass ich deinen Sperrcode kenne, und Toby oder Roger anzurufen, damit sie oder du das Handy bei mir abholen können. Aber der Akku war da schon tot und deine PIN kenn ich eben doch nicht. Glaub mir, wenn ich gekonnt hätte, hätte ich es dir irgendwie gegeben, ich hab sogar gesucht, ob ich irgendwo deine E-Mail-Adresse rausfinde, hab aber nur die von der Band gefunden und die kam wohl nicht durch. Ich hätte nicht gewusst, wie ich dich sonst noch erreichen sollte.« Für einen Moment hatte ich sogar darüber nachgedacht, zu einem seiner Konzerte zu gehen und es dort der Security zu geben oder so. Aber das hatte sich zu falsch angefühlt. Ich hatte genau gespürt, dass bei dieser Idee auch der Wunsch mitgespielt hatte, ihn wiederzusehen. Also hatte ich sie verworfen. Ich wollte ihm keine Angst machen, falls er mich im Publikum sah. Stattdessen hatte ich es jedes Mal mitgenommen, wenn ich ausgegangen war, in der Hoffnung, er lief mir zufällig über den Weg. »Ah. Ja, hast recht. Trotzdem danke.« Unbeholfen pendelte sein Kopf nach links und dann rechts, blickte kurz die Treppe hinab. »Dann Tschüss. Wir ... laufen uns sicher irgendwann über den Weg.« Er machte einen Schritt auf die Treppe zu und ich machte einen großen hinterher. Dann hatte ich mich wieder unter Kontrolle und blieb stehen. Dennoch musste ich fragen: »Isaac, bist du dir sicher? Willst du mich wirklich nicht mehr sehen?« Er blieb ebenfalls stehen. Für einen winzigen Augenblick hoben sich seine Schultern, sanken dann genauso schnell wieder nach unten. »Von mir aus musst du nicht gehen. Wir können auch darüber reden.« Keine Reaktion. Aber wenigstens lief er nicht weg. Ich atmete tief durch. »Wenn du möchtest, kannst du reinkommen, und wir reden über das, was passiert ist. Ich glaube, da gibt es einiges zu reden.« »Okay. Vorher lässt du mich eh nicht gehen.« Es war das lauteste, was ich heute von ihm gehört hatte. Mit wenigen Schritten war er fast an mir vorbei zur Tür herein. »Stopp!« Ich legte meine Hand gegen seine Brust, hielt ihn zurück. Nun sah er mich doch an. Angst, Unschlüssigkeit und Traurigkeit zeichneten sich in seinem Gesicht ab. Ruhig erklärte ich: »Du kannst jederzeit gehen. Ich werde dich nicht aufhalten. Weder jetzt noch später. Und ich werde dir auch nicht die Tür vor der Nase zuschlagen, wenn du es dir zu einem späteren Zeitpunkt doch anders überlegst.« Sein Blick wanderte auf meine Hand und kurz dachte ich daran, sie zurückzuziehen, doch er wirkte nicht, als würde sie ihn gerade stören. Leicht schüttelte er den Kopf. »Warum tust du das? Wie oft muss ich es noch vermasseln, bis du endlich merkst, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin und dir nicht guttue?« Jetzt sah er mich wieder an, wurde lauter. »Du kannst mir nicht eine Chance nach der anderen geben, egal wie sehr ich dich verletze! Du kannst nicht ständig für jeden Scheiß verständnisvoll sein, während ich dir einen Dreck zurückgebe!« Ich legte den Finger vor meinen Mund, um ihm zu bedeuten, leiser zu sein oder noch besser, kurz ganz innezuhalten. »Wenn du mich anschreien möchtest, kannst du das bitte in meiner Wohnung tun?« Er setzte sich in Bewegung, ging nicht weiter in die Wohnung hinein, als dass ich gerade so an ihm vorbeikam und die Tür schließen konnte. »Ich ... weiß gerade nicht, wo ich anfangen soll.« Mit einem leichten Kopfschütteln sah ich zu ihm runter. Vorsichtig legte ich beide Hände auf seine Oberarme. »Isaac, ich weiß, dass du dich nur negativ sehen kannst, aber du gibst mir genug zurück. Ich bin glücklich, wenn ich mit dir Zeit verbringe.« Er schnaufte abfällig. »Ja, ganz besonders, wenn ich dir mal wieder sage, dass ich dich nicht mehr sehen möchte. Oder wieder Stress mache wegen nichts.« »Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich dich auch bereits rausgeworfen.« Ich rang mir ein Lächen ab, um ihm klar zu machen, dass ich das nicht böse meinte. »Missverständnisse passieren und vielleicht reagieren wir beide manchmal etwas heftiger als angemessen. Aber das sehe ich nicht als Grund, warum du mir angeblich nichts zurückgibst. Und ganz ehrlich: Wir haben uns jetzt das zweite Mal gestritten. Das ist echt nicht viel. Und lieber streite ich mich mit dir über etwas, was uns wirklich wichtig ist, als zum Beispiel über das Abendessen.« Zweifelnd zog er die Augenbrauen zusammen. »Es ist nicht nur, dass wir heftiger reagieren ...« »Was ist es sonst?« Ich konnte mir keinen Reim auf alles das machen. Aber ich hatte bisher auch geglaubt, dass er ebenfalls glücklich mit dem war, was wir hatten. »Ich mache alles kompliziert ...« Er stieß einen verzweifelten Laut aus und drehte sich von mir weg. »Du machst es vor allem kompliziert, indem du mir nicht sagst, was los ist.« Ich musste mich zurückhalten, ihm nicht liebevoll über die Wange zu streicheln. »Was ist passiert? Warum wolltest du mich nicht mehr sehen?« Er zuckte mit den Schultern. »Ist doch egal. Es ändert nichts, dass es nicht funktioniert. Ich kann dir trotzdem nichts zurückgeben und bleibe kompliziert.« Seufzend sah ich auf ihn hinab. »Isaac ... ich würde dir wirklich gern helfen, aber das funktioniert nur, wenn du mit mir redest. Und so langsam bin ich wirklich überfragt, wie ich dir begreiflich machen kann, dass ich das hier möchte. Egal wie kompliziert du meinst, zu sein. Ob mir das, was du zurückgibst, genug ist, ist ganz allein meine Entscheidung.« Wieder zeigte sich deutlicher Zweifel in seinem Gesicht. »Wie kannst du dir so sicher sein?« Diesmal war das Lächeln absolut ehrlich und nicht nur zur Beruhigung. »Weil ich dich mittlerweile schon ein wenig kenne und weiß, wie du tickst. Ich weiß wie du bist, wenn alles in Ordnung ist, aber auch, wie du bist, wenn es dir nicht gut geht. Ich kann mit beidem und allem dazwischen umgehen. Ja, vielleicht ist es manchmal kompliziert, herauszufinden, wie du reagieren wirst. Aber das macht mir nichts aus.« Er atmete tief ein, lächelte gezwungen, nickte und machte dann einen Schritt nach hinten. »Aber ich bin mir nicht sicher.« »Nicht schlimm. Du kannst dir alle Zeit der Welt nehmen, dir das zu überlegen.« Wieder nickte er und sein Blick wanderte wortlos in Richtung der Tür, doch er bewegte sich nicht. Vorsichtig machte ich noch einen Schritt weg von der Tür, auch wenn er bereits vorher locker an mir vorbeigekommen wäre. »Du darfst jederzeit gehen, wenn du willst. Ich halte dich nicht auf.« »Ich will.« Langsam drehte er sich zur Tür, blieb jedoch weiterhin stehen. Eine Weile stand er nur steif da, bis er den Kopf senkte. Seine Stimme zeigte deutlich, dass ihm Tränen in den Augen standen. »Aber ich will auch, dass du mich in den Arm nimmst und mir sagst, dass alles gut wird.« Zum Glück sah er nicht, dass ich darüber schmunzeln musste. Sanft griff ich nach seiner Schulter und drehte ihn daran zu mir. Den anderen Arm legte ich um ihn. »Ich kann dir nichts versprechen, aber wir werden es versuchen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)