Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 28: Samsa – Januar 2016 ------------------------------- Die hämmernden, dröhnenden Kopfschmerzen und der schale Geschmack auf meiner Zunge rieten mir davon ab, die Augen zu öffnen. Allerdings war es so auch schwerer, herauszufinden, wo ich mich befand. Dass ich es auf Anhieb nicht mehr wusste, überraschte mich in Anbetracht dieser Umstände jedoch nicht. Wie war es überhaupt dazu gekommen? Ich hatte doch ... Die ersten Bilder einer Party, blinkende Lichter und der Eindruck von schwitzenden, tanzenden Menschen bildeten sich in meinem Kopf. Alles wogte und drehte sich. Der Schwindel breitete sich bis in meinen Magen aus. Bevor die Säure die Speiseröhre hinaufstieg, riss ich die Augen auf. Zum Glück hatte jemand mitgedacht und einen Eimer gut sichtbar in meine Nähe gestellt. Sobald sich mein Magen etwas beruhigt hatte, setzte ich mich an den Rand der ausgelegenen Matratze, auf der ich geschlafen hatte. Im abgedunkelten Raum konnte ich die Gestalt von zwei, vielleicht auch drei weiteren Personen ausmachen, die ebenfalls auf diversen auf dem Boden liegenden Schlafgelegenheiten lagen. Der Geruch meines Erbrochenen fügte sich wunderbar in die abgestandene Luft und ich war ehrlich dankbar, dass ich kaum etwas erkennen konnte. Ich war nicht einmal sicher, ob sich in einer der Ecken, in denen undefinierbare Haufen von Zeug lagen, nicht gerade etwas bewegt hatte. So konnte ich wenigstens nur raten, dass der Bezug der Matratze, sowie Decke und Kopfkissen in einem dunklen Ton gehalten waren. Wie war ich an diesem neuerlichen Tiefpunkt gekommen? Ich hatte doch das genaue Gegenteil erreichen wollen ... Ich konzentrierte mich wieder auf den Vorabend, schaffte es nach einer weiteren Welle der Übelkeit, das Bild in meinem Kopf zu stabilisieren. Es dauerte, bis ich die Bilder einem Club zuordnen konnte. Den Namen hatte ich vergessen, aber es war ein queerer Spot, den Tino mir empfohlen hatte, sollte ich mal keine Lust auf das Rainbow haben. Tino ... Ach fuck! Ich stöhnte schmerzvoll auf und fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Tino war schuld an meiner momentanen Situation! Nein, falsch. Ich war selbst schuld. Tino war lediglich der Grund für eine ganze Reihe unüberlegter Entscheidungen. Das Knarzen des Bodens, als sich eine der anderen Personen im Raum umdrehte, riss mich aus meiner Versenkung. Bevor ich noch länger nachgrübelte, wollte ich mir erstmal einen angenehmeren Ort suchen. Ich wusste zwar nicht, wer die anderen Menschen waren, aber ich legte auch keinen Wert darauf, es von ihnen zu erfahren. So leise es im Dämmerlicht ging, suchte ich meine Sachen zusammen und zog mich an, wurde dann schneller, als sich eine der Gestalten immer mehr regte und irgendwann die Augen aufschlug. Ihren Geräuschen entsprechend schob ich ihr den Eimer entgegen und machte mich aus dem Staub, solange sie beschäftigt war. Den Ausgang zu finden, war nicht schwer. Ich musste nur dem Türdurchgang folgen, durch den das wenige Licht ins Zimmer fiel und stand in einem Flur, von dem eine gefährlich knarzende Treppe nach unten führte. Im Erdgeschoss waren nicht alle Fenster dicht verrammelt und ich konnte sehen, dass es draußen gerade erst hell wurde. Das Chaos, das ich im schwachen Licht erkennen konnte, überzeugte mich vollends davon, dass nicht alle Geräusche im Haus von zweibeinigen Lebewesen verursacht wurden. Glassplitter knirschten unter meinen Stiefeln, als ich mich zur Haustür vorarbeitete, die leicht schief in den Angeln hing. Als ich endlich auf der anderen Seite stand, atmete ich tief durch. Der erste frische Atemzug erinnerte meinen Körper daran, dass er einiges an Giftstoffen loswerden wollte. Ich bezweifelte, dass es die toten Büsche unter den halb eingeschlagenen Fenstern interessierte, womit sie gegossen wurden. Ich sah mich um, doch die Gegend sagte mir absolut nichts. Dafür erkannte ich hinter den Fenstern der benachbarten Häuser die ersten Silhouetten erwachender Menschen. Bevor mich jemand entdeckte, entschied ich mich für eine zufällige Richtung und machte mich eilig auf den Weg. Irgendwann würde ich schon einen Ort erreichen, von dem aus ich den Weg nach Hause fand. Nach der Dusche ging es mir schon deutlich besser. Ich fühlte mich nicht mehr so dreckig und der Nebel in meinem Kopf hatte sich etwas gelichtet. Auch die Erinnerung an den Abend wurde dadurch klarer und obwohl ich mich nicht mehr genau an alles erinnerte, wurde doch eines deutlich: Ich hatte es versaut. So richtig versaut! Mal wieder. Ein Teil von mir wollte Tino die Schuld daran geben. Er hatte mich im Stich gelassen. Es war ihm vollkommen egal gewesen, was mit mir passierte. Er hatte einfach zugesehen. Doch ich wusste, dass ich von ihm etwas verlangte, das er mir nie versprochen hatte. Dennoch kam mir alles, was er über seine Gefühle für mich gesagt hatte, wie eine große Lüge vor. Wie konnte er behaupten, mich zu lieben, wenn ich ihm doch offensichtlich egal war? Ich riss mich aus der Starre, mit der ich seit sicher zwanzig Minuten vor dem offenen Schrank stand. Diese Gedanken brachten mich nicht weiter! Am besten setzte ich einen gewaltigen roten Haken unter die Sache, bevor es mich richtig in den Abgrund riss. Ich zog Klamotten aus dem Schrank und machte mich auf die Suche nach meinem Handy. Hoffentlich hatte Lance Zeit, mich etwas abzulenken. Bei der Gelegenheit könnten wir nach einem Geburtstagsgeschenk für Dave suchen, ich war schon wieder viel zu spät dran. Und je älter er wurde, desto schwerer wurde es, etwas Passendes zu finden. Mit jeder Tasche, die ich nach meinem Handy absuchte, wurde ich panischer. Es war nirgendwo zu finden und blieb auch nach einem zweiten Durchgang meiner Klamotten vom Vortag verschwunden. Dabei wusste ich ganz genau, dass ich es im Club noch gehabt hatte, weil ich Lance von dort eine Nachricht geschrieben hatte. Also musste es in dem Haus liegen. Fuck! Unruhig lief ich in der Wohnung auf und ab. Doch so sehr ich es auch drehte und wendete: Selbst wenn ich mich dazu entschließen konnte, noch einmal zu diesem Haus gehen, ich würde es nicht mehr finden. Ich war einfach in irgendeine Richtung losgegangen und so lange gelaufen, bis ich eine Bushaltestelle gefunden hatte. Daher konnte ich nur sagen, dass es sich irgendwo in Dorchester befand. Verdammte Scheiße! Mir ein neues Handy besorgen zu müssen, passte mir gerade gar nicht in den Plan. Hoffentlich konnte Lance mir etwas Geld leihen. Großartig! Während ich genervt das Haus verließ – in der Hoffnung, Lance zu Hause anzutreffen – konnte ich mich wenigstens davon überzeugen, dass ein neues Handy und eine neue Nummer mir den Schlussstrich unter Tino erleichtern würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)