Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 38: Eloy – Januar 2017 III ---------------------------------- Ich balancierte das Tablett auf der einen Hand, während ich mit der anderen an der Zimmertür klopfte. »Maxime, machst du bitte auf?« Es dauerte eine Weile, dann öffnete er die Tür, verschwand aber sofort wieder im Inneren des Zimmers, ohne mich angesehen zu haben. Ich folgte ihm und stellte das Essen auf die Kommode neben dem Schreibtisch, da dieser gerade schräg gestellt war. Auf einer Holzkiste setzte ich mich Maxime gegenüber, ließ den Blick grob über den Spielteppich gleiten, auf dem ein halbgebauter Legokran stand. »Tut mir leid, dass ich vorhin böse war«, murmelte Maxime. Dabei drehte er sich auf seinem Stuhl leicht hin und her und starrte auf seine Hände. »Kommt nicht mehr vor.« Indem ich leicht über seine Schulter streichelte, brachte ich ihn dazu, mich doch anzusehen. Ich lächelte leicht. »Ist in Ordnung; wenn es wirklich nicht mehr vorkommt. Das Wochenende war nicht einfach für dich. Ich hätte auch nicht gewollt, dass du und Caro das so erfahren.« Es traten Tränen in seine Augen und er sah schnell wieder weg. »Du darfst nicht mit Leonardo zusammen sein.« Ich atmete tief durch. Ruhig und sachlich mit ihm reden, hatte mir Noemí geraten. Maxime war zwar noch ein Kind, aber dennoch in der Lage, ein Gespräch zu führen. »Maxime, das kannst du nicht entscheiden. Leonardo und ich haben uns sehr gern und wir verbringen gern Zeit miteinander.« Verärgert verschränkte er die Arme vor der Brust und sah mich trotzig an. »Aber Leonardo ist unser Freund! Du kannst ihn uns nicht einfach wegnehmen.« »Ich nehme euch Leonardo nicht als Freund weg. Er bleibt doch trotzdem auch euer Freund. Und ihr seht ihn dann noch viel öfter.« Absolut nicht überzeugt schüttelte er den Kopf. »Nein! Wenn Leonardo dein Freund ist, dann kann er nicht mehr unser Freund sein. Dann ist er für uns auch ein Erwachsener. Und er kann kein Erwachsener und unser Freund sein. Das war bei dir auch so! Du warst dann auch nicht mehr unser Freund.« Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich verstand, was er mir in seinen Worten mitteilen wollte, während er mich mit trotzig vorgeschobener Unterlippe ansah. Dabei wurde mir vor allem eines bewusst: Ich konnte ihm nicht widersprechen. Er hatte recht. Wenn ich mit Leonardo zusammen war, dann war er nicht länger ein Freund der Familie, mit dem sie den ganzen Tag Quatsch machen konnten, sondern eben mein Partner. Er würde irgendwann unweigerlich auch für ihre Erziehung mit verantwortlich sein, wenn es mit uns ernster wurde. Dass Maxime darauf so extrem reagierte, war nur verständlich: Er hatte Angst, einen Freund zu verlieren. Ich seufzte. Der Zeitpunkt war wirklich alles andere als ideal. Ich würde sehen, dass ich für ihn zeitnah einen Termin bei seiner Psychologin bekam, damit er noch einmal mit einer unbeteiligten Person über das Wochenende reden konnte. Das würde ihm hoffentlich helfen. »Ach, bichito¹ ... es tut mir leid. Das ist wirklich nicht mein Ziel.« Ich strich mit dem Daumen über seine Schulter und bot mit einer Geste an, ihn in den Arm zu nehmen, was er jedoch nicht annahm. »Willst du mit Leonardo darüber reden, dass du Angst hast, ihn als Freund zu verlieren?« Er schniefte und zuckte mit den Schultern. »Er will doch trotzdem lieber dein Freund sein.« »Leonardo kann unser beider Freund sein. Nur weil wir uns lieben, mag er dich nicht weniger. Wenn er euch nicht gern hätte, dann wäre ich auch nicht mit ihm zusammen. Du und Caro, ihr seid mir sehr wichtig und kommt für mich immer an erster Stelle. Was ich eigentlich sagen will: Ich kann nicht versprechen, dass sich nichts für euch ändert, das wird es. Aber das wird nicht von heute auf morgen passieren.« Und sicher nicht so stark wie es bei mir und ihnen der Fall gewesen war. Wir hatten uns kaum gekannt, ich war nur der Mann ihres Patenonkels gewesen, der ab und zu mal einen Nachmittag etwas mit ihnen unternommen hatte, und plötzlich hatte ich mich Vollzeit um sie gekümmert. Leonardo kannten sie seit dieser Zeit, hatten immer viel mit ihm zu tun gehabt, er hatte mir immer bei ihrer Betreuung geholfen. Selbst wenn er ihnen ebenfalls irgendwann ein Ersatzvater werden sollte, war die Umstellung nicht so groß. »Kannst du dir das gar nicht vorstellen? Ich meine, dass Leonardo mein Freund ist.« »Wohnt Leonardo dann hier?« Unweigerlich musste ich schmunzeln. So weit waren wir noch bei weitem nicht in unserer Beziehung, aber für Kinder lief die Welt wohl so schnell. »Zumindest haben wir das noch nicht geplant. Ich würde das auch nicht ohne euch entscheiden.« Sie waren Kinder, aber es war dennoch auch ihr Zuhause. »Aber Leonardo wird sicher öfter hier sein als vorher.« »Aber dann macht ihr etwas zusammen ...« Ich streichelte erneut über seine Schulter. »Eigentlich dachte ich, dass wir dann alle zusammen etwas machen können. Wäre das nicht viel schöner?« Er sah halb hoch und es bildete sich trotz der feuchten Augen ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen, als er nickte. Ja, doch, ich konnte mir das auch sehr gut vorstellen. Wir hatten das zwar schon oft gemacht, aber es wäre doch etwas anderes, da hatte Maxime recht. Wir würden es als Familie machen. Nicht, dass ich Leonardo, Toby und Roger nicht schon lange dazu zählen würde. Gelegentlich nannten die Kinder die letzteren beiden auch Onkel. Aber vielleicht half es Maxime, diesen Gedanken auch für ihn auszusprechen. »Dann müssen wir auch nicht mehr fürs Familienticket lügen, wenn wir irgendwohin fahren.« Er kicherte kurz und wischte sich dann mit dem Unterarm über die Augen. »Wäre das nicht irgendwie cool? Wenn Leonardo nicht nur unser Freund wäre, sondern auch noch Teil unserer Familie?« »Schon irgendwie.« Noch immer leicht verunsichert sah er mich nur halb an. »Aber wenn Leonardo dann richtig streng wird?« »Hm ... das glaube ich nicht. Aber vielleicht solltest du darüber mit ihm reden?« Ich hielt es wirklich für eine gute Idee, dass Maxime Leonardo direkt sagte, was seine Ängste waren. Ich hatte das Gefühl, er würde ihm viel mehr glauben als mir, dass die Veränderungen nicht so schlimm und drastisch waren, wie er sich das gerade ausmahlte. »Na gut ...« Vorsichtig strich ich über seine Haare. »Geht es dir mittlerweile besser?« Er nickte und lehnte sich leicht gegen meine Hand. Ich stand auf, nahm die Zweite dazu und küsste ihn auf den Scheitel. »Soll ich dann mal schauen, ob Caro ihn gehen lässt, damit ihr ein wenig reden könnt? Und du frühstückst in der Zeit?« »Ich hab nicht viel Hunger.« »Versprichst du mir, es trotzdem zu versuchen? Wenigstens den Kakao?« Sofort glitt sein Blick zum Tablet und er nickte. Lächelnd fuhr ich seinen Schreibtisch in die Horizontale und stellte das Essen darauf. Natürlich hatte ich nur sein Lieblingsessen draufgepackt, da mir schon klar war, dass er wenig Appetit hatte. Trotzdem wollte ich wenigstens ein wenig Essen in ihn reinbekommen. »Gracias, Eloy.« Seine Hände griffen nach meinem Arm und er drückte sich dagegen. Ich legte den zweiten um ihn und meinen Kopf leicht auf seinen. »De nada, bichito. Ich hab dich lieb und möchte, dass es dir gutgeht. Ich bin sicher, das wird alles viel schöner, als du es dir gerade vorstellen kannst.« Für einen Moment beunruhigte mich die Ruhe im Rest der Wohnung, als ich aus Maximes Zimmer kam, doch ein kurzer Blick durch die offene Tür von Carolines Zimmer offenbarte mir, dass sie dicht neben Leonardo am Boden saß und beide sehr vertieft in einen Faden waren, den sie immer wieder um ihre Finger wickelten und dann darüber zogen. »Was macht ihr?« »Leonardo zeigt mir stricken!«, erklärte Caroline begeistert und zog an dem verflochtenen Faden, der von den Fingern hing, um es mir zu zeigen. Dabei rutschte das ganze Gebilde von ihrer Hand. Enttäuscht sah sie darauf. »Oh! Jetzt ist es kaputt.« »Nein, du kannst einfach weiter machen. Moment, ich helf dir.« Leonardo beugte sich zu ihr rüber und half ihr, alles wieder auf den Fingern zu positionieren. »So, siehst du.« Begeistert nickte sie und sah dann wieder zu mir auf. »Machst du auch?« Ich bemühte mich, einen neutralen Gesichtsausdruck zu behalten. Sie musste nicht wissen, dass ich von dem Konzept nicht gerade überzeugt war. »Ich muss kurz mit Leonardo reden, dann komm ich zu dir.« Sie gab einen zustimmenden Laut von sich, klemmte die Zunge zwischen die Lippen und koordinierte den Faden wieder über ihre Finger. »Alles in Ordnung mit Maxime?«, fragte Leonardo, sobald er mit mir im Flur stand und ich Carolines Tür angelehnt hatte. »Ja. Er braucht wohl noch eine Weile, um sich daran zu gewöhnen. Er hat ein wenig Angst vor der neuen Situation und würde gern auch mit dir reden.« »Okay.« Leonardos Stimme verriet, dass er dabei unsicher war. »Aber er ist jetzt nicht ... keine Ahnung, wütend auf uns?« Ich zuckte mit den Schultern. »Nein, ich glaub nicht wirklich wütend, auch wenn es so aussieht. Eher wirklich Angst, weil er glaubt, du könntest nicht mehr sein Freund sein, wenn wir zusammen sind.« »Oh.« Mit wohl derselben Erkenntnis, wie ich sie zuvor hatte, wischte er mit der Hand über seinen Nacken. »Ich hab ihm schon erklärt, dass das alles nicht so schnell geht, wie er das wohl glaubt. Aber wenn es nach seinem Gefühl geht, dann würdest du wohl morgen hier einziehen und übermorgen heiraten wir.« Leonardos Wangen färbten sich rot und er wich für einen Moment meinem Blick aus. Was hätte ich dafür gegeben, nun seine Gedanken lesen zu können ... Ich griff nach seiner Hand und streichelte mit dem Daumen über seinen Handrücken. »Maxime würde sicher auch gern von dir noch einmal hören, dass sich nicht plötzlich alles ändert und du auch noch immer sein Freund bleibst. Und ich weiß, dass wir noch lange nicht so weit sind, aber: Ich möchte durchaus, dass du mein Partner bist und damit auch zu unserer Familie gehörst, aber ich möchte dir nicht aufzwingen, den Kindern auch ein Elternteil zu sein. Äh ... Können wir darüber vielleicht irgendwann nochmal in Ruhe reden?« Verlegen lächelte er. »Ja, bitte.« Gut. Ich merkte nämlich, dass ich mich da in eine Sackgasse geredet hatte und mir selbst nicht so ganz sicher war, was ich wollte. Das gab mir noch etwas Zeit, mir darüber im Klaren zu werden. Ich hauchte einen Kuss auf seine Wange. »Ich geh mir dann mal zeigen lassen, wie man strickt.« »Wenn du das gemeistert hast, zeige ich dir, wie es mit Nadeln geht.« Er grinste und zwinkerte mir zu, bevor er sich umdrehte, um zu Maxime zu gehen. Ich dagegen atmete einmal tief durch, erinnerte mich daran, dass ich es für Caroline tat und zwang mir dann ein Lächeln auf, bevor ich zurück zu ihr ins Zimmer ging. »Dann zeig mir mal, wie du strickst.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)