Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 25: Tino – November 2015 IV ----------------------------------- Nachdem wir die Finger in der Badewanne nicht voneinander hatten lassen können, hatte ich schon fast vermutet, dass es den Rest des Abends so werden würde, doch tatsächlich hatten wir uns gemeinsam in Bademantel auf der Couch gemütlich gemacht, er mit dem Rücken gegen meine Brust gelehnt. Während der Kamin knisterte, las ich ein Buch über Lagerwirtschaft – die einzige arbeitsbezogene Sache, die ich mir für das Wochenende erlaubte – und Isaac schrieb in dem kleinen Heft, das er immer bei sich zu führen schien. Obwohl ich ihn öfter damit sah, wenn wir gemeinsam einen ruhigen Abend verbrachten, wusste ich nicht, was darin stand. Er hatte anfänglich deutlich darauf geachtet, dass ich keinen Blick hineinwerfen konnte, daher hatte ich es später auch nie getan, selbst wenn sich mir wie jetzt die Gelegenheit geboten hätte. Wenn er es mir zeigen wollte, würde er es tun. Plötzlich seufzte Isaac leise und drehte den Kopf, so weit es ging, zu mir. »Tino?« Ich klemmte meinen Daumen zwischen die Seiten und schlug das Buch zu, um ihm zu zeigen, dass ich ihm zuhörte. Außerdem gab ich einen fragenden Laut von mir. Er tat dasselbe mit seinem Notizbuch, wobei er den Stift als Markierung nutzte. »Ist das hier wirklich okay für dich?« »Was meinst du?« Wohl kaum das Kuscheln auf der Couch, denn das taten wir auch in Boston oft. Den Urlaub? Aber den hatte ich ihm doch von mir aus angeboten. Er strich mit den Fingerspitzen über den Einband seines Hefts. Nur langsam drangen die Worte aus seinem Mund. »Das hier zwischen uns und die Richtung, in die es läuft. Ich frage mich, ob das für dich wirklich okay ist oder ob du das nur tust, weil du glaubst, mir etwas Gutes tun zu müssen oder so. Weil das musst du nicht.« Ich zog meine Hand unter seinem Mantel hervor und suchte nach meinem Lesezeichen. Das klang nach etwas, was ich in aller Ruhe mit ihm besprechen wollte. Nachdem ich das Buch vollständig zur Seite gelegt hatte, rutschte ich so, dass er eher seitlich mit der Schulter an meiner Brust lehnte und ich ihm halbwegs ins Gesicht sehen konnte. »Mach dir keine Gedanken. Ich genieße, was wir miteinander haben.« Unruhig wich er meinem Blick aus. »Sicher? Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir keine Beziehung wollen, und das meine ich noch immer so. Aber ich hab Angst, dass du dich durch meinen Wunsch nach Dates und meine häufige Anwesenheit bei dir in diese Richtung gedrängt fühlst. Ich weiß, wie scheiße sich sowas anfühlt, und will sichergehen, dass das tatsächlich in Ordnung ist. Ich will dir nicht meine Gefühle aufdrängen.« Ich strich leicht über seinen Rücken und ließ mir Zeit, meine Antwort zu überdenken. Ich wollte nichts sagen, was ihn erschreckte, aber gleichzeitig meinen Standpunkt so deutlich wie möglich machen. »Du drängst mir nichts auf. Nach vorhin freue ich mich umso mehr auf das, was du dir für das Date überlegst. Ich fand es wirklich schön, so Zeit mit dir zu verbringen.« »Und du hast nicht das Gefühl, dass es in eine Richtung geht, die wir eigentlich nicht wollen?« Der Gedanke, was Isaacs Frage im Umkehrschluss bedeuten konnte und welche Konsequenzen das hätte, stach in meiner Magengegend. Daher wollte ich diese Möglichkeit direkt aus dem Weg schaffen, bevor wir weitersprachen: »Hast du denn das Gefühl?« Er atmete mehrmals tief ein, zuckte dann mit den Schultern, schüttelte aber gleichzeitig mit dem Kopf. »Nein. Aber das verwirrt mich auch. Ich meine ... Dates? Romantische Spaziergänge? Das ist ... Sollte es mich nicht eigentlich stören, wenn wir doch keine Beziehung wollen, sondern Freunde bleiben? Aber es fühlt sich nicht so beengend und beängstigend an, wie es bei Toby und Roger war. Nicht, als würdest du ... mehr als das wollen.« Ich legte meine Hand in seinen Nacken und strich mit dem Daumen darüber. »Ich möchte auch nicht ›mehr‹, was auch immer das heißen soll. Es ist eher ... Wie erklär ich das ... Wie gesagt, ich genieße sehr, was wir haben. Alles davon, aber besonders, dass es mit dir so ... leicht ist. Wir waren uns von Anfang an einig und trotz der Gefühle gab es nie Probleme und das finde ich wirklich schön. Das mag egoistisch klingen – und vielleicht ist es das auch, keine Ahnung – aber ich will diese Gefühle. Ich will all das auskosten, weil es schön ist. Aber ich will nicht die Verantwortung, die mit verbindlichen, romantischen Beziehungen kommen. Ich freue mich über das, was wir haben, so lange wir das beide wollen und bin sicher traurig, wenn es irgendwann nicht mehr so ist, aber ich möchte im Moment weder mit dir zusammenleben, noch den Zwang haben, für dich da sein oder mit dir Zeit verbringen zu müssen, ich will keine gemeinsamen Anschaffungen machen oder gar mit dir ›alt werden‹. Versteh mich nicht falsch: Wenn sich irgendwas davon jemals für uns beide gut anfühlen sollte, dann bin ich gern dazu bereit. Aber im Moment ist es gut, wie es ist. Wir haben jeder unser eigenes Leben und lassen den jeweils anderen nur so weit hinein, wie wir es möchten.« Für einen Moment sah mich Isaac einfach nur überrascht an, bevor sich ein Lächeln auf seinen Lippen und Tränen in seinen Augen bildeten. Er schniefte, wischte sich mit der freien Hand über die Augen und vergrub dann sein Gesicht an meiner Brust. Etwas überfordert streichelte ich über seinen Rücken. War das jetzt eine gute oder schlechte Reaktion? War er wirklich so erleichtert? »Danke. Das habe ich wirklich gebraucht«, beantwortete er die Frage, ohne dass ich sie ausgesprochen hatte. »Ich hätte nicht gewusst, wie ich es ausdrücken sollte, aber ja, das hier ist genau das, was ich möchte.« Ich küsste Isaacs Stirn und drückte ihn dichter an mich. Vermutlich war es ihm nicht klar, aber es war beruhigend, dass es für solche Dinge das Gespräch mit mir suchte. Es brauchte viel Vertrauen, schließlich hätte ihn meine Antwort auch verletzen oder gar unser ganzes Verhältnis ändern können. Dennoch machte mich seine Antwort misstrauisch. Er wollte genau dasselbe ... Nicht, dass ich glaubte, dass er bewusst log, aber es fiel mir schwer, zu glauben, dass es so exakt übereinstimmte. Ich hatte viele solcher Beziehungen (gehabt). Nie, nicht ein einziges Mal, war so eine pauschale Aussage richtig gewesen, sondern immer ein Versuch, sich unterzuordnen, aus Angst, die eigenen Bedürfnisse könnten zu viel sein. Doch noch immer wusste ich nicht, wie ich damit am besten umging. Es erstmal so akzeptieren oder es direkt ansprechen? Vermutlich gab es darauf keine allgemeingültige Antwort und in Isaacs Fall ließ ich es so stehen. Eine Konfrontation hätte sicher zur Folge, dass er sich zurückzog. Bisher hatte es immer gut geklappt, ihn auf mich zukommen zu lassen. Es gab da jedoch eine Sache ... »Was meinst du mit beängstigend?« »Hm?« Er rutschte etwas von mir weg und sah mich direkt an. Den Kopf legte er dabei leicht schief und zog die Augenbrauen zusammen. »Was?« »Du sagtest, mit mir würde es sich nicht so beängstigend anfühlen wie mit Toby und Roger. Wie meinst du das?« Wenn es jemals eine gute Gelegenheit gab, von ihm zu erfahren, warum er sie zurückgestoßen hatte, dann jetzt. Zumal es mich alarmierte, dass er es als beängstigend beschrieb. Ich sah noch, wie er überlegend die Unterlippe zur Seite schob, bevor er sich wieder an mich lehnte. Ich ließ ihm die Zeit, die er offenbar brauchte, um erklärende Worte zu finden. »Ich habe Toby und Roger immer gesagt, was ich von ihnen möchte. Nicht so ausführlich wie mit dir, aber eben doch, dass ich keine feste Beziehung zu ihnen möchte. Ich weiß nicht, ob sie es nicht verstanden haben oder es ihnen nicht so ganz bewusst war, aber sie haben mich dennoch immer wieder in Situationen gebracht, in denen ich mich nicht mehr wohlgefühlt habe, die mir deutlich aufgedrückt haben, dass sie genau das aber von mir wollen. Ich glaub, sie haben gedacht, sie könnten mir so zeigen, dass es nicht so schlimm ist und ich das doch schon irgendwann wollen würde. Sie wollten mir nie etwas Schlechtes – das weiß ich – aber ich habe mich dennoch von ihrer Liebe erdrückt gefühlt. Irgendwann habe ich mich auch nicht mehr so wirklich getraut, ihnen meine zu zeigen, zumindest nicht absichtlich, weil ich Angst hatte, ihnen Hoffnungen zu machen. Darum bin ich auch ›weggerannt‹. Ich wusste irgendwann nicht mehr anders, wie ich aus diesem Kreislauf ausbrechen soll. Bei dir ist das anders. Nicht nur jetzt, wo ich weiß, dass du auch nicht mehr willst. Ich hab das Gefühl, dass dir meine Grenzen genauso wichtig sind wie deine; nicht nur beim Sex, sondern auch bei allem anderen. Ja klar, auch du hast schon Fehler gemacht – und ich auch – aber wir drehen uns dabei nicht im Kreis, du änderst wirklich etwas und machst nicht dasselbe wieder.« Zumindest versuchte ich das. Auch wenn es nicht immer so mühelos war, wie er es wahrzunehmen schien. Viel wichtiger war für mich jedoch die vollkommen neue Sicht auf das, was zwischen ihm und Toby und Roger geschehen war. Hatte ich mir zu viele Sorgen gemacht, ihm näherzukommen? Wie es schien, war das nicht ihr Problem gewesen, sondern dass sie seine Grenzen überschritten hatten. Ob das bewusst geschehen war oder nicht, spielte dabei keine Rolle. So sehr ich die Art, wie er sich von ihnen entfernt hatte, auch nicht gut hieß: Wenn ich bedachte, was er zuvor erlebt hatte, war es ein großer Schritt für ihn gewesen, seine Grenzen so zu verteidigen. »Ich weiß nicht, wie es genau bei euch drei war – und will mich da auch nicht einmischen – aber du machst es gut, mir zu sagen, wenn du etwas nicht möchtest oder ich zu weit gehe.« Isaac bog den Kopf nach hinten, um mich anzusehen. Ein schüchternes Grinsen lag auf seinen Lippen. Bevor er sich abwenden konnte, hauchte ich ihm einen Kuss darauf. Er sah dabei so süß aus, zumal sich seine Wangen leicht rot färbten. Er schlang einen Arm um meinen Hals und hinderte mich, mich zu schnell wieder zu entfernen. Aus dem kurzen, gestohlenen Kuss wurde eine längere, zärtliche Geste, nach der er sich zufrieden dichter an mich kuschelte. Trotz der folgenden, längeren Pause spürte ich, dass das Thema für ihn noch nicht ganz beendet war. Daher überraschte es mich auch nicht, als er wieder zu sprechen begann: »Darf ich dich noch etwas fragen?« Sanft strich ich mit den Fingern durch seine Haare. Er hatte sie nach dem Baden nicht gestylt, da war es ausnahmsweise okay. »Sicher. Solange du akzeptierst, wenn ich sie nicht beantworten möchte.« »Ja! Ja, natürlich«, beeilte er sich, zu sagen. »Dann frag«, forderte ich ihn freundlich auf. »Warum kannst du keine Beziehung führen?« Ich schmunzelte. »Ich habe nie gesagt, dass ich keine Beziehung führen könnte, sondern dass ich es nicht möchte. Und auch nicht gar keine Beziehung, sondern eine bestimmte Art von Beziehung: amatonormative, verbindliche romantische Beziehungen. Ich möchte mein Leben nicht einer Person – oder auch mehreren – verpflichten. Für mich funktioniert es nun mal mehr, jede zwischenmenschliche Beziehung einzeln zu definieren, als sie in ein Schema F zu drücken.« Isaac sah skeptisch zu mir auf. »Ja, aber ich meine, wie du dazu gekommen bist. Ich meine, du hast doch sicher nicht irgendwann gedacht: ›Hey, ich hab da keinen Bock drauf, ich mach was komplett anderes‹.« »Doch, eigentlich schon.« Ich verstand, dass es aus seiner Sicht einen bestimmten Auslöser gegeben haben musste, aber den gab es nun mal nicht. »Also mehr oder weniger. Ich hab früh gemerkt, dass Paarbeziehungen so für mich nicht funktionieren, und dachte dann auch, dass ich einfach nicht in der Lage wäre ›richtig‹ zu lieben. Weil ich das nicht so wirklich wahrhaben wollte und auch beim Auseinandersetzen damit, dass ich pan bin, bin ich dann darauf gestoßen, dass es eben nicht nur eine Möglichkeit gibt, menschliche Beziehungen zu definieren, und ich sehr wohl romantisch lieben kann. Mir liegt nur nicht die Art, von der andere gern hätten, dass ich es zeige.« Leise seufzend sackte Isaac etwas in sich zusammen und nickte. Ich konnte mir schon fast denken, was er dachte, dennoch fragte ich vorsichtig nach: »Was ist los?« »Denkst du auch, dass ich krank bin, weil ich es wirklich nicht kann?« Er sah nicht einmal auf. Ich atmete tief durch. Die Antwort darauf war nicht so einfach, wie er es sich vielleicht erhoffte. »Ich glaube nicht, dass du krank bist; außer du verstehst ›traumatisiert‹ als ›krank‹. Du hast wirklich schlimme Erfahrungen gemacht und die kannst du nicht einfach vergessen. Es ist normal, dass du alles dafür tust, sie nicht noch einmal zu machen. Wenn es sich für dich sicherer anfühlt, keine feste Partnerschaft einzugehen, dann bin ich der Letzte, der das verurteilt. Das heißt aber nicht, dass ich jede Art, wie du damit umgehst, gutheißen oder für gesund halten muss. Dennoch bist du selbst dafür verantwortlich. Wenn Drogen und durchzechte Nächte mit schnellen Bekanntschaften der Weg sind, den du gehen möchtest, dann kann ich dich nicht aufhalten. Aber ich werde dir auch nicht beim Untergehen zusehen.« Er zog die Beine an seinen Körper und schlang die Arme darum. Dabei rutschte er unbewusst etwas von mir weg. Ich wollte ihm über den Rücken streicheln, ließ es aber. Es wirkte nicht, als würde er das gerade wollen. »Ich will auch nicht den Moralapostel spielen. Du weißt selbst, dass ich nichts gegen spontane, sexuelle Begegnungen und Gras und Alkohol habe und beides gern konsumiere, wenn ich richtig abschalten will. Aber in einem Rahmen, den ich kontrollieren kann und der sich nicht auf mein restliches Leben auswirkt.« Isaac schwieg und da ich alles gesagt hatte, was ich dazu zu sagen hatte, wartete ich. Wenn er etwas dazu sagen wollte, dann würde er das tun, und wenn nicht, dann würde er anderweitig zeigen, dass er das Thema beenden wollte. »Ich weiß nicht, ob ich das mit dem Alkohol noch unter Kontrolle habe«, murmelte er nach einer Weile und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Der Inhalt seiner Aussage überraschte mich nur wenig, dafür umso mehr, dass er es sich – und vor allem auch mir – eingestand. Ich wollte mich ihm nicht aufdrängen, daher hielt ich ihm meine Hand symbolisch offen hin. »Wenn du etwas daran ändern möchtest und ich dir helfen kann, werd ich das tun.« Einen Moment sah er die Hand verwundert an, dann nahm er sie an und drückte sich wenig später wieder an mich. »Danke.« Zärtlich schlang ich die Arme um ihn. Ich hatte nicht die Hoffnung, dass sich direkt etwas änderte, aber wenn er es wollte, würde ich ihm helfen. »Ich will die Nähe, aber ich hab Angst vor dem, was da sonst noch mit reinkommt«, murmelte er nach einem Moment gegen meine Brust. Sanft strich ich über seinen Rücken. »Ich weiß. Es ist okay. Wir bekommen das zusammen so hin, dass du dich sicher fühlen kannst.« Nur leicht spürte ich das zögernde Nicken und quittierte es mit einem sanften Kuss auf den Kopf. Solange wir es weiterhin hinbekamen, über solche Dinge zu reden, war ich mir sicher, dass es irgendwie ging. Ich wollte ihm zeigen, dass es möglich war, zu lieben, ohne sich in vorgegebene Muster pressen zu lassen. Eine ganze Weile atmete er nur ruhig in meinen Armen und ich vermutete schon fast, dass er einfach eingeschlafen war, doch dann richtete er sich auf, drückte mir lächelnd einen Kuss auf die Lippen und widmete sich dann wieder seinem Heft. Ich setzte mich so hin, dass er sich wie vorher anlehnen konnte, und nahm selbst mein Buch wieder zur Hand. Lange würde ich nicht mehr machen, aber etwas wollte ich den Abend noch genießen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)