Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 24: Tino – November 2015 III ------------------------------------ Nach dem Essen schlug ich vor, noch etwas spazieren zu gehen. Natürlich hätten wir die Zeit auch im Hotelzimmer rumbekommen, uns wäre sicher nicht langweilig geworden, aber so konnten wir, sobald wir zurück waren, die große Badewanne voll ausnutzen und uns später vor den Kamin kuscheln. Ich hoffte zumindest, dass Isaac dazu Lust hätte. Wir waren nicht einmal zehn Minuten gelaufen, da rieb er die Hände aneinander und hauchte sich in die Handflächen. »Sollen wir eben zurückgehen, deine Handschuhe holen?« Wenn er jetzt schon fror, kamen wir nicht weit. Dabei wusste ich genau, wo ich ihn hinführen wollte. Wieder rieb er die Hände aneinander, vergrub sie in den Taschen seines Mantels. »Ich hab vergessen, welche einzupacken.« »Du fährst Ende November nach Maine und packst keine Handschuhe ein?« Er zuckte die Schultern und zog diese niedliche, beleidigte Grimasse, die er so gut beherrschte. »Ich dachte nicht, dass es schon so kalt ist.« Er hätte ja nur mal einen Blick auf den Wetterbericht werfen müssen ... Gut, vermutlich hatte er das einfach mit dem ganzen Stress verplant. Kam vor. Kurzentschlossen zog ich meinen linken Handschuh aus und hielt ihm den entgegen: »Hier.« Er zog ihn über, behielt aber die tiefe Skepsisfalte auf seiner Stirn. Er brachte nur ein halbes Lächeln zustande. »Du meinst, dann friert uns wenigstens jeweils nur eine Hand ab?« Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und griff nach seiner rechten Hand, verschränkte unsere Finger ineinander und schob dann beide Hände in meine Jackentasche. »Nein, so haben wir beide warme Hände.« Er biss sich auf die Unterlippe, seine Nasenspitze und die Bäckchen färbten sich noch roter, als sie es durch die Kälte eh schon waren. Als ich losging, drängte er sich noch dichter an mich als zuvor, lehnte für einen kurzen Moment seinen Kopf gegen meinen Oberarm. Verträumt sah ich zu ihm herunter. Er war so süß und ich genoss diese kleinen Momente der Nähe. Ich war wirklich froh, dass er von sich aus angesprochen hatte, dass er gern mehr Zweisamkeit hätte. Ich selbst hätte nicht gewusst, wie ich das ansprechen sollte. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich auf so etwas einließ, und an sich hatte ich wirklich kein Problem den Wunsch danach zu kommunizieren, aber mit ihm war das alles etwas komplizierter. Bei ihm hatte ich immer das Gefühl, vorsichtig sein zu müssen, wie nah ich ihm kam, weil er sonst zurückschreckte. Und dann gab es Momente wie diesen, bei denen er scheinbar völlig vergaß, wie nahe er mir war. Vor einigen Wochen hatte ich Isaacs – Es war wirklich eine Überraschung, dass er mir seinen ›richtigen‹ Namen gesagt hatte. Sehr schnell war mir bewusst geworden, wie viel Vertrauen er damit in mich setzte und das ihm das wirklich etwas bedeutete, auch wenn ich nicht genau verstand, was. Aber das war egal. Er hatte sich dazu durchgerungen und ich würde ihn hoffentlich nicht enttäuschen. Jedenfalls hatte ich Isaacs Freunde, Roger und Toby, vor einigen Wochen zufällig in einem Club getroffen. Wir hatten uns einfach nur etwas unterhalten und irgendwann hatten sie vorsichtig ausgelotet, wie ich zu Isaac stand. Für einen Moment hatte ich das mitgespielt, ihnen dann aber recht schnell gesagt, was Sache war. Weil ich neugierig war, stellte ich ihnen die Gegenfrage. Während Toby etwas gelächelt hatte und es bei der Aussage, sie hätten eine Affäre mit ihm gehabt, beließ, war sein Mann da deutlich offener gewesen. Er hatte erzählt, dass sie beide in ihn verliebt gewesen waren und durchaus gedacht hatten, sie wären in einer Art festen Beziehung mit ihm. Ziemlich frei heraus erzählten sie, was zwischen ihnen vorgefallen war und unter welchen Umständen ich Isaac kennengelernt hatte. Das schloss zumindest bei mir ein paar Lücken. Außerdem bestätigten mich ihre Erzählungen noch viel mehr in meiner Angst, ihn durch zu viel Nähe zurückzustoßen. Da ich es eh bevorzugte, offen zu kommunizieren, musste ich mir zumindest keine Gedanken machen, dass so ein Missverständnis wie mit ihnen aufkam. Isaac und ich hatten beide deutlich gemacht, welche Aspekte wir in unserer Beziehung zueinander wollten, auch wenn es mich kurz aus der Bahn geworfen hatte, als er mir gestand, dass er in mich verliebt war. Vermutlich war ich gar nicht so anders: Auch ich hatte kurz darüber nachgedacht, ob ich ihn deshalb zurückweisen musste. Im Nachhinein war ich wirklich froh, dass er es mir gesagt hatte. Sonst hätte ich ab einem gewissen Punkt ständig darüber gegrübelt. Dabei war das für unsere Beziehung nicht einmal relevant. Egal, wie es sich zwischen uns entwickelte: Ich hatte kein Interesse an einer traditionellen, romantischen Beziehung. Mir wurde bewusst, dass Isaac mich von unten herauf ansah und ich suchte seinen Blick. Er lächelte mich kurz an und senkte dann den Kopf, sah auf den Boden vor sich. »Alles in Ordnung?« Er nickte. »Ja. Du sahst nur so nachdenklich aus.« »Bin ich auch etwas. Das kommt beim Spazierengehen.« Ich drückte seine Hand etwas fester. »Stört dich das?« Er erwiderte den Druck. »Nein, gar nicht. Ich find das grad sehr angenehm.« Recht hatte er. Gemeinsam schweigen zu können war wirklich schön. Ob er ähnliche Gedanken hatte oder sich um das sorgte, was in Boston auf ihn wartete? Ich würde es wohl nicht erfahren. Zumindest würde ich nicht nachfragen, wenn er es nicht von sich aus ansprach. Dafür waren mir meine eigenen Gedanken zu intim, um auf eine Gegenfrage antworten zu wollen. Als wir an meinem Ziel ankamen, blieb Isaac von ganz allein stehen. Für einen Moment befürchtete ich aufgrund seines Blicks, er würde mir eine Standpauke halten wollen, doch dann zog er mich etwas dichter an den Rand des Abhangs, von dem aus man einen guten Blick auf die kleine Stadt hatte, in der auch unsere Unterkunft lag. Die Lichter bildeten einen schönen Anblick. Es waren durchaus noch andere Menschen hier, doch nicht allzu viele kannten den Weg hier hinauf und legten ihn um diese Zeit zurück. Nachdem er eine Weile schweigend den Ausblick genossen hatte, wandte er sich in meine Richtung, zog zweifelnd die Stirn kraus. »Du wusstest, wo du hinwillst, oder?« Gespielt unschuldig lächelte ich. »Ich hab diesen Ort entdeckt, als ich zum ersten Mal hier war. Ich hatte gehofft, dass es dir hier auch gefallen könnte.« Er nickte, lächelte nur leicht zurück, warf noch einmal einen Blick auf die Stadt. »Wärst du ohne unser Gespräch vorhin auch mit mir hier raufgekommen?« Ich machte einen halben Schritt auf ihn zu, stand nun direkt vor ihm und senkte etwas meinen Kopf. Mit der Hand, die bisher seine gehalten hatte, streichelte ich leicht über seine Wange. »Wenn dann erst morgen. Ich wäre nicht sicher gewesen, ob es für dich in Ordnung wäre. Ich hoffe, das ist okay?« Für einen Moment senkte er wieder den Blick, dachte wirklich für einen Moment nach. Gerade als ich meine Hand wieder zurückziehen und ihm etwas Platz geben wollte, sah er mir wieder in die Augen, legte seine Hand auf meine und streckte sich etwas. Zärtlich legte ich meinen Lippen auf seine, bewegte sie nur leicht. Mit dem zweiten Arm zog ich ihn dichter an mich. Mein Herz klopfte wie wild. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er intime, öffentliche Zärtlichkeiten so lange zulassen und sich auch noch dicht an mich drücken würde. Vielmehr hatte ich mit dem Gegenteil gerechnet. Dennoch kam es mir viel zu früh vor, als er etwas Spannung aus seinem Körper nahm und ich somit nicht nur seinen Körper nicht mehr an meinem spürte, sondern auch nicht mehr an seine Lippen kam. Trotzdem lächelte er und behielt auch meine Hand in seiner, auch wenn er sie von seiner Wange nahm. Eilig suchte er den Weg zurück in meine Jackentasche. Unsicher, wie es weitergehen sollte, sah ich ihn an. War das wirklich in Ordnung gewesen oder würde er es gleich bereuen, mir sagen, dass nie wieder zu tun. Unruhig schluckte ich. Isaac musste meine Unsicherheit bemerkt haben, denn sein Lächeln wurde breiter und er zog mich an dem Arm, der noch immer um seinen Oberkörper lag, etwas zu sich herunter und küsste mich noch einmal. Nur leicht, nur ganz flüchtig, aber genug, damit mein Herz wieder wild tanzte. »Danke. Es ist wirklich schön hier.« Erleichtert entließ ich die angestaute Luft aus meinen Lungen. Es war alles gut. Er drückte kurz meine Hand, dann bildete sich eine leichte Sorgenfalte auf seiner Stirn. »Außer du möchtest mir jetzt gestehen, dass du einen Dreier mit mir geplant hast.« »Was?! Nein.« Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Wie kam er darauf? Mal abgesehen davon, dass ich kein Interesse an Sex mit mehr als einer Person gleichzeitig hatte, kam mir dieser Gedanke absolut willkürlich vor. An so einem Ort hätte man sicher viel gestehen können, dass er ausgerechnet darauf kam, war merkwürdig. »Dann ist gut.« Er senkte den Blick, machte einen kleinen Schritt von mir weg. »Lass uns zurückgehen, es ist kalt.« Ich hielt seine Hand fest und kam auch seiner Aufforderung nicht nach. Etwas war los und ich wollte klären, was nach diesem schönen Moment so plötzlich zwischen uns stand. »Was meintest du? Wie kommst du darauf? Würdest du dir das wünschen, oder was? Ich ...« Mir fehlten die Worte, zu unerwartet kam dieser Stimmungswechsel. »Nein.« Er konnte mich noch immer nicht ansehen, dennoch klang seine Antwort ehrlich. Er druckste etwas herum, machte aber keine Anstalten, sich weiter von mir zu entfernen. Dann seufzte er. »Sorry, ich hab alles kaputt gemacht.« Vorsichtig deutete ich an, ihn in den Arm zu nehmen, und er nahm das Angebot an, indem er sich gegen mich drückte. »Ich musste nur plötzlich an meinen Ex denken und hatte das Gefühl, du könntest Hintergedanken haben, mit mir herzukommen, und die Situation ausnutzen wollen.« Ich drückte ihn fester an mich, hauchte einen Kuss auf seine Mütze, auch wenn er das sicher nicht bemerkte. »Wie kommst du da ausgerechnet auf einen Dreier?« Isaac flüsterte gegen meine Brust: »Weil er mir bei unserem ersten Spaziergang auch plötzlich gestanden hat, dass er einen Dreier für den nächsten Tag angeleiert hat und dabei angeblich nicht vorher darüber nachgedacht hat, ob das für mich überhaupt in Ordnung ist. Es war ... Es hat da auch geschneit und muss etwa um dieselbe Zeit gewesen sein.« Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Jedes Mal, wenn er von dem Typen erzählte, wurde es für mich unverständlicher. Ich musste mir aktiv in Erinnerung rufen, dass es sicher auch gute Zeiten zwischen ihnen gegeben hatte, sonst hätte Isaac sich nicht auf ihn eingelassen, aber solche Sachen machten mich fassungslos. Wie manipulativ war dieser Mensch gewesen? Da ich anders nicht damit umgehen konnte und die Stimmung nicht weiter kippen wollte, ließ ich meine Stimme sanft und etwas scherzhaft klingen, sagte aber dennoch die Wahrheit: »Keine Sorge, mein einziger Hintergedanke war, dich danach in die Badewanne und dann unter meine Decke vor den Kamin zu locken, um dich aufzuwärmen.« Er hob den Kopf, lächelte und küsste mich erneut leicht. »Das klingt gut. Schließt du mich dann auch so in deine Arme?« »Aber sicher. So oft du willst.« Ich ließ ihn los. »Dann lass uns mal zurückgehen, bevor du mir noch ganz erfrierst. Und mach dir keinen Kopf: Du hast gar nichts kaputt gemacht. Ich fand es immer noch schön, mit dir hier hochzukommen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)