Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 3: Toby – April 2001 I ------------------------------ Die Bässe wummerten und mit jedem neuen Takt warf sich der Körper in eine neue Pose. Noch nie hatte ich jemanden sich so präzise bewegen sehen. Wie ein Uhrwerk. Und doch so mühelos. Er bewegte sich nicht um sich zu zeigen, nicht um jemanden zu imponieren. Doch gerade das war es, was meinen Blick auf sich zog. Nicht, dass er das bemerkt hätte. Er war in seiner ganz eigenen Welt, in der es nur noch die Musik gab. Ein anderer Tänzer unterbrach das Schauspiel, als sie gegeneinanderstießen und der süße Kerl aus seiner Trance gerissen wurde. Sie tauschten nur ein paar wenige Worte, dann verließ er die Tanzfläche, verschwand hinter einer Traube aus Menschen aus meinem Blickfeld. Einen Teil meiner Aufmerksamkeit richtete ich auf Laura, die an unseren Tisch kam, um mit uns zu quatschen, bevor es richtig voll wurde, und unsere leeren Gläser mitzunehmen. Dennoch konnte ich nicht davon ablassen, nach dem kleinen Schwarzhaarigen zu suchen. »Hey, na, alles klar bei euch?« Laura war fantastisch. Wenn sie Schicht hatte, schaffte sie es immer, mit allen Stammkunden wenigsten kurzen Smalltalk zu halten. »Super. Und dir? Ist heute schon echt voll, oder?«, antwortete ich ihr. Meine beiden Begleiter würden wohl noch einen Moment brauchen, bis sie sich von einander lösten. »Ja, selbst für einen Samstag ist es echt voll. Aber ist ganz angenehm, dass mal wieder etwas mehr los ist.« »Ich glaube, das findet Toby auch.« Joanna zwinkerte mir grinsend zu. Berry, ihr Freund, lachte leicht. »Zumindest hat er wohl wen ins Auge gefasst.« Ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch und erwiderte scherzhaft: »Ist ja nicht so, als könnte man gerade viel mit euch reden, so wie ihr euch an den Lippen hängt.« Laura lachte und stapelte die Gläser. »Ich seh schon, bei euch ist alles beim Alten.« Ich bekam mit, dass Berry ihr etwas antwortete, doch ich hatte den Kleinen entdeckt und widmete mich lieber ihm. Jetzt, wo er saß, könnte ich ihn anders betrachten. Er wirkte jünger, weniger selbstsicher, als zuvor auf der Tanzfläche. Diese hatte er für sich eingenommen, sie dominiert, ohne es zu bemerken. Nach einigen Worten mit Ramon, dem zweiten Barkeeper an diesem Abend, sah er sich im Raum um. Obwohl er etwas unsicher wirkte, lag noch immer ein Hauch dieser einnehmenden Art in seiner Ausstrahlung. Erneut trafen sich für einen kurzen Moment unsere Blicke. Ich hatte eindeutig seine Aufmerksamkeit, war aber noch nicht sicher, ob sie gewollt war. Schließlich stürzte er eilig sein Getränk herunter und stürmte wieder auf die Tanzfläche. Noch für einen Moment sah ich zu ihm, dann lenkte mich Joanna ab, indem sie sich neben mich setzte und versuchte, meinem Blick zu folgen. Lachend half ich ihr: »Der Kleine mit dem Mantel und den langen, schwarzen Haaren.« Wieder einmal stellte ich fest, wie schwer es war, eine konkrete Person in einem Gothicclub zu beschreiben. Das hätte schließlich auf fast die Hälfte der Männer hier zutreffen können. »Da, auf der Tanzfläche.« »Der mit dem Pferdeschwanz? Echt?«, fragte sie verwundert, nachdem sie ihn wohl entdeckt hatte, und nun suchte auch Berry nach besagter Person. »Klar, warum nicht?« »Weil ... keine Ahnung, ich hätte nicht gedacht, dass so jemand dein Typ ist. Er ist sehr androgyn.« »Was soll ich sagen? Selbstsichere Twinks sind ziemlich hot.« Berry schüttelte skeptisch den Kopf und sah wieder zu uns. »Ich dachte ja eher, dein Typ wären breite Schränke wie du.« »Beides. Die Abwechslung macht’s.« Natürlich hatte Berry recht, meistens suchte ich mir durchtrainierte Männer in meiner Größe, aber ab und zu zogen eben auch mal andere meine Blicke auf sich. Joanna stand auf und setzte sich wieder auf ihren Stuhl neben Berry. »Und warum bist du dann noch hier und nicht auf der Tanzfläche?« »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er das wollen würde. Außerdem bin ich doch mit euch hier.« Solange ich nicht sicher war, würde ich ihn nicht anmachen. Und da er bisher nicht mehr meinen Blick gesucht hatte, ging ich eher davon aus, dass er kein Interesse hatte. »Hey, das ist deine Gelegenheit, rauszufinden, was der Twink möchte«, meinte Berry nach einer Weile, in der wir uns einfach unterhalten hatten, und deutete in Richtung der Toiletten. Tatsächlich stand dort der Schwarzhaarige und sah sich mal wieder um. Es war offensichtlich, dass er neu im ›Angel’s‹ war. Er hatte bis auf mit Roman, so weit ich das mitbekommen hatte, mit niemandem geredet. Auch wenn es Cliquen gab, so kannten sich die Stamm- und Gelegenheitsgäste doch untereinander und wirklich niemand musste den Abend allein verbringen. Ich beschloss, dass das, unabhängig davon ob er Interesse an mir hatte, auch auf ihn zutreffen sollte, rutschte etwas auf der Bank zur Seite und winkte ihm zu. Eher langsam und vorsichtig kam er zu uns an den Tisch. »Hallo. Ist da noch frei?« Oh, wohl doch nicht so selbstsicher? Oder hatten meine Blicke ihn doch verschreckt? »Klar, sonst hätte ich dir wohl kaum zugewunken. Ist wie jeden Samstag sehr voll. Aber man kennt sich hier, da ist es nicht schlimm sich neben jemanden anders setzen zu müssen. Nur dich kenn ich noch nicht. Bist du das erste Mal hier oder nur ein Gelegenheitsbesucher?« Ein wenig Smalltalk würde ihn hoffentlich auftauen. Er legte seinen Mantel ab. »Nein, ich bin das erste Mal hier. Hab den Club heute erst gefunden.« »Frischfleisch also. Willkommen«, grüßte Joanna ihn. Auch Berry musterte ihn nun genauer. »Sag mal, bist du nicht etwas jung für den Club?« »Ach quatsch, du kennst doch Miroslav. Der würde doch niemals Minderjährige hier reinlassen. Dafür ist er viel zu gewissenhaft.« Joanna schüttelte über ihren Freund den Kopf. »Und ein Bändchen hat er auch. Bist wohl ziemlich jung geblieben?« Ich fand es nicht gerade produktiv, dass meine Freunde in so empfingen. So verscheuchten sie ihn eher. Auch wenn Berry nicht ganz unrecht hatte. So aus der Nähe sah er ... Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. Erst jetzt bemerkte ich, dass sein Make-up um die Augen komplett verlaufen war. Vermutlich war er unterwegs in den Regen geraten. »Ist das eigentlich ein ganz neuer Look, den du da trägst?« Auch Berry und Joanna stiegen ins Lachen ein, als ich mir auf die Augen deutete, um ihm zu verdeutlichen, was ich meinte. Beschämt stammelte er etwas vom Regen und eilte dann mit einem schwarzen Make-up-Stift, den Joanna ihm aus ihrer Tasche reichte, zurück zur Toilette. Als ich ihm nachsah, tat er mir doch etwas Leid. Hoffentlich hatte er nicht das Gefühl, ich wollte mich über ihn lustig machen. Nun, ich würde schon einen Weg finden, mich zu entschuldigen. »Ich geh mal Getränke holen. Besondere Wünsche oder wie immer?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)