Maskenball von blackNunSadako ================================================================================ Kapitel 1: Porzellan --------------------   ⌈ Facetten des Irrsinns – Der Wahnsinn hat einen Namen: 'Das Puppenhaus' unter Leitung von Don Quichotte de Flamingo   Artikel recherchiert und geschrieben von Absalom   Sie haben den Verstand verloren in dieser verrückten Welt. Die schlimmste Generation, die die Menschheit je hervorgebracht hat. Monster in Menschengestalt. Auf den Pfaden der D-monen schreitend. Unzählige Horrorgeschichten werden über sie erzählt. Die Wahrheit ist viel entsetzlicher. Unvorstellbare Grausamkeiten, die hinter den verschlossenen Türen der Hochsicherheitsanstalt zum Schweigen gebracht werden. Um ihre Opfer weiß nur der Tod selbst. Niemals dürfen diese Abtrünnigen auf die Bevölkerung losgelassen werden. Der selbsternannte Held Don Quichotte de Flamingo verspricht eine sichere und glückliche Zukunft für Dress Rosa. Aber kann man ihm trauen? Dunkel munkelt man, dass er einer von ihnen ist... ⌋     „Das wird so cool~!“, platzte es aus Shachi heraus. Mit funkelnden Augen besah er sich den Zeitungsartikel, auf dem mein verstörter Blick ruhte, dann zu ihm wechselte. „'Cool'?“, wiederholte ich ungläubig, „das ist kein verdammter Zoobesuch!“ Ahnungslos blinzelte er mich an. „Ich weiß. Es ist viel besser!“, wackelte er mit seinen Augenbrauen. „Die Anti-Helden waren schon immer cooler!“ Dem Comic-Freak war nicht mehr zu helfen.   Warum hab ich mich bloß von ihm dazu überreden lassen? Zivildienst in einer Klapse! In der allerschlimmsten!   „Peng?“, stupste Shachi mich mit seinem Zeigefinger an meinem gelben Kappenschirm an. Ein Lächeln prangte auf seinen Lippen. „Danke, dass du mitkommst.“ Mist. Sein überzuckerter Honigblick zieht immer. Seufzend rang ich mich zu einem Grinsen durch. „Kein Ding“, legte ich ihm meine Hand auf sein orangenes Haar, verstrubbelte es. „Große Brüder sind schließlich dafür da, um auf ihre kleineren aufzupassen.“   Seine Augen hellten sich auf, strahlten mich in all ihrer penetranten Heiterkeit an. „Ich werde dich heldenhaft beschützen!“ Natürlich wirst du das... Wie bei dem Fussel unter dem Bett, vor dem ich dich retten musste, weil du ihn für ein Ungeheuer gehalten hast.   Ein greller Schrei ließ uns aufschrecken. „Hast du das gehört?“, fragte ich Shachi und schluckte. Unsere Augen wanderten von der Zeitung, die mir der Starkwind aus den Händen riss, zu dem großen Stahltor, vor dem wir standen.   Riesige Mauern umschlossen das gigantische Gebäude, das auf der Spitze von Dress Rosa empor ragte. Der Umriss eines prunkvollen Schlosses verwehrte den Blick auf die Anstalt, die sich hinter der schmuckvollen Fassade befand. Der Eigentümer hatte einen echt grotesken Geschmack, einen Hang zu Größenwahn und Perfektion. Über den hohen Schlosstürmen schwebten dunkle Wolken wie ein Grauschleier, der etwas vor der Außenwelt verstecken wollte. Eine unsichtbare Kraft herrschte machtvoll über das Territorium, wie eine zweite Mauer, die jegliches Leben ausgrenzte. Die schwere Luft wirkte beklemmend und abschreckend.   Ich will hier weg. Noch bevor ich angekommen bin.   „Shachi?“, drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Dorthin, wo er nicht mehr stand. Wo-? Er betätigte die Klingel. Vehement malträtierte sein Finger den Knopf, der ein grausiges Kratzgeräusch ertönen ließ. Beinahe klang es wie ein verzerrtes 'Fu~Fu~'-Lachen. „Hallooo?“, rief Shachi dem Tor zu. „Ist jemand Zuhause?“ „Keiner da“, schnappte ich mir seinen Arm und zog ihn mit mir. Nichts wie weg von hier! Doch ließ mich etwas in meiner Bewegung anhalten. Die dumpfe Stimme aus dem Lautsprecher. „Tretet ein.“ Folgend dem Öffnen des schweren Doppeltors, das ein dröhnendes Beben verursachte. Wir sind sowas von geliefert.   Innerlich überlegte ich mir meine letzten Worte. Shachi zerrte mich überschwänglich durch das Tor, dem ich verabschiedend nachsah. Mein Blick auf die Sonnenblumenfelder gerichtet, auf die Freiheit, auf alles, von dem ich Abschied nehmen musste. Eine böse Vorahnung überkam mich. Ich würde hier nicht mehr rauskommen. Meine letzten Worte: „Nicht ohne meine Kappe!“ Mein gepolsterter Anker, an dem ich mich festhielt, je eine Hand in den azurblauen Seitenstoff gekrallt. Und die fremde Stimme erschrak mich fast zu Tode.   „Nun seid ihr einer von uns. Tragisch.“ Da wusste jemand, wie er einem Hoffnung machen konnte. Eine echt freundliche Begrüßung. Hinter meinem Kappenschirm musterte ich den Kerl, der uns so herzlich in Empfang nahm. Seine silbernen Augen hatten etwas Beunruhigendes in sich. Das Schmunzeln auf seinen Lippen war noch viel Beängstigender. Als wollte es dein Herz fressen.   „Huhu~“, grüßte Shachi ihn fröhlich und winkte ihm energisch, obwohl er direkt vor ihm stand. „Wie schön, dich kennenzulernen!“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue erwiderte der Typ kühl; „Es ist mir keine Freude.“ Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen: Die Freundlichkeit in Person. „Trafalgar Law.“ Knapp und kalt seine Bekanntmachung. Wie wir hießen, wollte er gar nicht wissen, drehte uns den Rücken zu und schritt die Treppen zum Schlosseingang herauf. Hinter dem zweiten Mauerring das Herrenhaus erkennbar – Das Asylum. Im Gegensatz zu dem pompösen Außenbild, was der Palast ertrügte, schien das Herrenhaus veraltet und verwahrlost. Ein schauriger Anblick.   Je näher wir dem Hauptgebäude kamen, desto weniger Leben schien existent. Die wenigen Pflanzen am Wegrand verkümmert und ausgetrocknet, kein Vogel oder ähnliches Wildtier traute einen Mucks, traute sich hierher. Bei der Anzahl der Treppenstufen würde es eine Weile dauern, bis wir oben waren. Jeder Schritt fühlte sich schwerer an, meine Beine wollten nicht dorthin, mein Körper wehrte sich, meine inneren Alarmglocken schrillten unaufhörlich. Es fühlte sich an, als würde ich den Henkersweg bestreiten. Wenn Shachi den atmosphärischen Wandel spürte, ließ er es sich nicht anmerken. Seine gute Laune blieb ungetrübt. Laws Ausstrahlung weiterhin finster und distanziert, völlig unberührt von der grausigen Umgebung. Ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen, sprach der Plüschmützenträger in geschliffen neutralem Ton weiter.   „Ich nehme an, ihr seid die Zivilisten, die hier ihr Leben lassen wollen.“ Oho, schwarzer Humor hat er auch noch. Da fühlt man sich doch gleich wie Zuhause. Ein Grinsen zupfte an meinen Mundwinkeln. „Du trinkst deinen Kaffee auch pechschwarz, oder?“ Laws finsteres Schmunzeln nahm Amüsement an. „Exakt.“ Vielleicht ist er gar nicht mal so unerträglich- „Aus Herzkranzgefäßen mundet er deliziös.“ Bitte?! „Ein kleiner Scherz unter Kollegen.“ Ich nehm's zurück; der Typ ist total furchteinflößend! Wir werden bestimmt keine Freunde. Ganz bestimmt nicht!   Shachi rannte vor, hüpfte vorfreudig die Treppen rauf, ließ mich mit dem Irren allein. Warte! Bleib hier und beschütz mich! Laws geheimnisvolle Aura wurde spürbar kälter, nahm an Bedrohlichkeit zu. Abrupt blieb er stehen, aus Reflex tat ich es ihm gleich, starrte auf seinen Rücken. Keinen Millimeter rührte er sich, kein Ton verließ seine Lippen. Die Stille war unangenehm und einschüchternd. Langsam drehte er seinen Kopf zu mir, sein Seitenprofil erkennbar, seine Mimik wie versteinert. Das ausdrucksvolle Silber seiner Augen schnitt sich in meine.   „Warum seid ihr hier?“ Laws schauderhaftes Flüstern ließ es mir kalt den Nacken herunterlaufen. „Ihr hättet diesen Ort niemals betreten sollen.“   Die Heidenangst, die er mir einjagte, drängte ich in die hinterste Ecke meines Kopfes, raufte meinen Mut zusammen, stellte mich neben ihn und begegnete ihm auf Augenhöhe. Meinen Kappenschirm schief über meine Augen legend, blitzte eines meiner Augen hervor. Meine Stimme war charakterfest und entschlossen.   „Wir sind hier, um zu helfen!“ Das war meine vollste Überzeugung. „Wenn wir den Verlorenen nicht helfen, wer dann?“, hielt mein Blick seinem intensiven unerschütterlich stand. Emotionslos fragte er; „Aus welchem Grund?“   Kämpferisch klopfte ich meine Faust auf meine linke Brustseite. „Ich habe mich den Menschenleben verpflichtet, die aufgegeben wurden, weil-“, stoppte ich mich selbst. Beinahe hätte ich zu viel gesagt. Schnell räusperte ich mich und endete; „Weil jedes Leben es verdient hat, gerettet zu werden.“   Schweigend hatte Law mir zugehört, niemals seine Augen von mir gelassen, mich durchdringend analysiert. Sein Gesichtsausdruck unverändert steinern, bis seine Mundwinkel plötzlich in die Höhe zuckten. „Ich verstehe.“ Ist seine Aura wärmer geworden? Es schien, als wäre er mir gegenüber weniger distanziert, als hätte ich einen Sympathiepunkt bei ihm gewonnen. Einen einzigen. Jetzt liefen wir sogar fast nebeneinander, fast. Die Stille war auch minder erträglicher geworden.   Laws Aufmerksamkeit richtete sich wieder nach Vorne, auf die gesicherte Tür am oberen Treppenansatz, die wir ansteuerten. Bevor wir in Sichtweite unerwünschter Augen waren, steckte er mir etwas zu, ließ es in der Tasche meiner schwarzen Jeansweste verschwinden. Auf meinen fragenden Blick erwiderte er; „Du wirst es brauchen.“   Ohne weiteres Wort erreichten wir den Schlosseingang, an dem uns Shachi viel zu gut gelaunt erwartete. „Lasst uns endlich reingehen! Ich bin so gespannt auf all die besonderen Menschen!“ Nur Shachi, der Menschenfreund, konnte sich darauf freuen, Psychopathen kennenzulernen. Sein unbeirrbarer Optimismus war das Yang zu meinem zynischen Pessimismus. Ich der Schwarzseher, er der Hellseher; die hellste Leuchte mit dem größten Sprung in der Birne.   Bevor ich mich in das Horrorkabinett begab, studierte ich dessen Bauwerk und die Informationen, die ich darüber hatte. Das überragende Gebäude wirkte eher unbewohnt und verlassen. Es besaß mehrere Türme ringsum, von denen der größte sich mittig gen Himmel hoch reckte. Auf ihm prunkte das Symbol eines durchgestrichenen Smileys. Dort residierte wohl der Hausherr selbst. Bloß die vergitterten Halbrundfenster im Herrenhaus ließen auf die lauernde Gefahr schließen. Zig Kameras waren am hellen Gemäuer angebracht, dessen Farbe weiß – wie die Unschuld. Ein echt makaberer Scherz. Über die Patienten waren nicht viele Informationen preisgegeben worden. Die Schmierblätter berichteten oft falsche Reportagen und von übertriebenen Entsetzlichkeiten, damit die Leute etwas hatten, worüber sie sich aufregen konnten. Ich wollte mir ein eigenes Bild von den Menschen machen, die hier auf Lebzeiten eingesperrt waren. Sie taten mir leid. Niemand wollte seiner Freiheit beraubt werden.   Law bog ab. „Zunächst zeige ich euch die Außenanlage.“ Verwundert tauschten Shachi und ich einen Blick, zuckten dann mit unseren Schultern und folgten ihm. Law war der Boss. Um das Mauerwerk war eine schnöde Grünfläche, ohne Blumen nur welkes Gras, nichts Besonderes. Warum er uns hier herumführte, war mir ein Rätsel. Stumm begleiteten wir ihn einmal um die Anlage, kein einziges Mal blieb er stehen. Nur kurz huschten seine Augen zu etwas, was mein Interesse weckte: Eine Metallluke, die zwischen Büschen versteckt war. Sehr verdächtig. Doch lief er schlicht an ihr vorbei, brachte uns wieder zum Eingang, an dem wir erneut verweilten.   Shachi zog einen Schmollmund, den er Law präsentierte. „Wann sehen wir die Superhelden?“ Die Bezeichnung ließ Laws Augenbraue in die Höhe wandern. Uneingeschüchtert plapperte Shachi weiter. „Na, das 'D' steht doch für Hel.d.“ Das Strahlen auf Shachis Lippen traf auf das Granit von Laws Augen. Ist Shachi zu weit gegangen?   Plötzlich spürten wir sie. Laws tätowierte Hand, die er auf je eine Schulter von uns legte. Ein weicher Ton ergriff seine Stimme, als er uns zuflüsterte. „Treue Seelen wie euch brauchen die Seelenlosen.“ Was er damit meinte, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Ich spürte aber, dass seine gehaltvollen Worte etwas in mir auslösten. Den Wunsch, mein Bestes zu geben.   Shachi lächelte ihn warm an. „Wir schwören dir die Treue.“ Und ich verstand. Verstand, wen Law mit 'seelenlos' meinte – sich selbst. Shachi hatte es vor mir erkannt, hatte ihm soeben ein Versprechen gegeben. Woraufhin Laws unleserliche Mimik erstmals eine tiefe Emotion offenbarte, in all ihrer Echtheit: Ein dankbares Silberfunkeln, mit dem er uns bedeutsam besah.   „Wie heißt ihr?“, wollte er wissen. Doch kamen wir nicht dazu, ihm zu antworten. Die großen Türen öffneten sich geräuschvoll, in Begleitung eines ächzenden Quietschen. Hinter ihr erschien eine grünhaarige Frau, deren Harpyien-Blick sich auf Law visierte. Law lief emotionslos an ihr vorbei, Richtung Außenanlage, während sie ihn hartherzig anfuhr. „Patient Nummer 1, zurück in Ihr Zimmer!“ W-Was? Er ist-?!   Er war einer von ihnen. Einer der Schlimmsten. Einer der Menschen, die die Gesellschaft aufgegeben hatte – wir nicht. Wir werden unser Versprechen halten. Einen letzten Blick warf er uns zu, den wir freundschaftlich erwiderten. „Wir sehen uns“, entgegnete ich ihm grinsend. Shachi rief ihm fröhlich nach. „Bis bald, Law!“   Verabschiedend hob er seine tätowierte Hand, dann war er aus unserem Blickfeld verschwunden, weswegen die streng wirkende Frau sich uns zuwandte. Sie war mir sofort unsympathisch. „Miss Monet“, stellte sie sich uns mechanisch vor und rückte ihre große Spiralbrille, „die persönliche Anrede von Insassen ist untersagt. Unterlasst dies von nun an.“ Ihre unterkühlte Stimme konnte einem einen Frostschock verpassen. „Folgt mir. Ich zeige euch euren Arbeitsbereich.“ Ihr schadenfrohes Grinsen gefiel mir nicht. „Und euer Schlafgemach.“ Wir würden also ab heute hier wohnen. In einem Irrenhaus. Nette Aussichten. Da bekommt man ja allein vom Ambiente einen an die Waffel.   Dem eintönigen Gefasel der Trulla hörte ich nur mit halbem Ohr zu, achtete viel mehr auf das Herrenhaus, das wir betraten. „Der Hausherr empfängt nur hochrangige Mitglieder. Wenn ihr euch hocharbeitet, könnte euch die Ehre zuteil werden, zur Familie gehören zu dürfen.“ Nein, Danke.   Ich verkniff mir den Kommentar und ging widerwillig mit ihr, dicht neben Shachi bleibend. Das Innere des Asyls wirkte neu restauriert, behielt jedoch den verwitterten Eindruck. Die Tapete wies Fetzen und Löcher auf. Auch die wenige Dekoration – Blumen in unzerbrechlichen Vasen, Familienportraits und Landschaftsgemälde – hinterließ keine einladende Wirkung. Der Boden weiß gefliest, einzig ein rot-goldener Teppich vom Eingang zur gegenüberliegenden Treppe gelegt, die ins Obergeschoss führte. Dessen Holzgeländer verschnörkelte Verzierungen schmückte. Die Empfangshalle war so riesig, dass man sich leicht in ihr verlaufen konnte. An den weißen Säulen waren Kameras angebracht, auch zwischen den glitzernden Plastikblumen steckten kleine Linsen. Die reinste Überwachung. Hier fühlte ich mich auf Schritt und Tritt beobachtet. Mein Bruder hingegen, winkte jeder Kamera fröhlich zu.   Unsere Schritte hallten nach, untermalten das Schweigen, das nur Monet ab und an brach. Hinter der breiten Treppe führte je ein Gang weiter ins Innere. „Die Personalabteilung.“ Links und Rechts zweigten je vier Türen ab, über denen Schilder der nummerierten Bereiche angebracht waren. „In Station 1 A bis 1 D rechts von euch sind die harmlosesten Patienten untergebracht. Station 2, links, betrifft diejenigen, die ein mildes Risiko darstellen, aber mit Medikamenten ruhig gestellt werden.“ Teilnahmslos deutete sie mit einem Handschwenken zu den angesprochenen Sektoren, zeigte dann auf die Treppe zur oberen Etage, die wir passierten. Die Treppe gab unter meinen Schuhen nach, quietschte und knarzte, sodass ich mich sicherheitshalber am dunklen Holzgelände stützte. Hier oben schien alles noch kahler und kontrollierter, die Flure waren von Sicherheitstüren versperrt. „Im Obergeschoss, in den Abteilungen 3 und 4, sind die härteren Fälle. Genannte Flügel werdet ihr nicht betreten, dort herrscht die höchste Gefahrenstufe.“   Etwas kam mir seltsam vor. Eines von vielen Dingen hier. „Gibt es noch eine Station?“, fragte ich sie, erinnerte mich an die Richtung, in die Law gegangen war. Ihr kaltblütiger Blick kratzte mir die Augen aus. Ihre Stimme wurde plötzlich viel zu freundlich. „Nein.“ Ihre Antwort, die gelogen war. Untermauert von ihren bedrohlich leisen Worten. „Hier ist es nicht gern gesehen, wenn jemand unerlaubt Fragen stellt.“   „Was ist das?“, fragte Shachi sogleich und bestaunte eine beschriftete Tafel, die hier hing. „Das ist die Aktivitäten-Liste der- Hey!“ Empört über Shachis Hyperaktivität, sah sie schockiert, wie er sich einen der Eddings genommen hatte und die Tafel munter mit kleinen Bildchen bekritzelte. Ein lächelnder Smiley – gegensätzlich zu dem durchgestrichenen der Anstalt. Sowie eine Kritzel-Hexe, die wohl die nette Frau darstellen sollte. Durch die Ablenkung meines Bruders, griff ich ungesehen in meine Westentasche und erfühlte den Gegenstand, den Law mir zugesteckt hatte: Schlüssel. Wofür?   Schnell zog ich meine Hand aus der Tasche, als die Furie die Hinterlassenschaften meines Bruders beseitigt hatte und wie mechanisch weiter die Fakten herunter schwafelte. „Hier gelten strenge Regeln, die es einzuhalten gilt. Der Kontakt zu Patienten ist verboten, nur auf das Nötigste zu reduzieren. Damit wird sichergestellt, dass unseren Bewohnern die beste Heilungschance ermöglicht werden kann. Sobald wir den Mitarbeitertrakt erreichen, überreiche ich euch das Regelbuch-“   „Laaangweilig!“, fiel ihr Shachi quengelnd ins Wort. „Wann dürfen wir die tollen Leute sehen?“ Verkrampft versuchte sie ihre Professionalität beizubehalten. „Wie ich bereits sagte, ist der Kontakt verboten.“ Der Blick, den sie Shachi zuwarf, triefte vor Gift. Als Antwort trällerte Shachi fröhlich pfeifend ein gute-Laune-Lied. Der Glückskeks begegnete Negativität stets mit noch mehr Positivität. Sein Zuckerschloss war hochgradig Diabetes-erzeugend.   Shachi hatte das Limit seines Stillseins erreicht. Länger konnte er seine Aufgedrehtheit nicht zurückhalten. Während die Eisdame uns mit noch mieserer Laune durch den Mittelflur im ersten Geschoss führte, uns über die dortigen Therapieräume aufklärte, dauerte Shachi das Warten auf Action zu lange. Weswegen er eine der einheitlichen Türen einfach aufriss. Mit Wucht platzte er mitten in eine Therapiestunde rein.   Zwei Augenpaare erfassten uns. In dem Raum saßen ein Therapeut und sein Patient. Ersterer trug einen Zylinder, Zweiterer einen Strohhut. „Ich bin Shachi, wer bist du?“, flötete er ihnen entgegen, erhielt eine ebenso übertrieben fröhliche Antwort. „Ich bin der König der Piraten!“   Und Monet knallte die Tür vor Shachis Nase zu. „Ein Patient mit Wahnvorstellungen“, erklärte sie faktisch und schritt weiter voran, ehe ihre 'freundliche' Stimme einen zischend frostigen Ton annahm. „Ich verbitte mir solche Aktionen.“ Um es uns am ersten Tag nicht gleich komplett hier zu vermiesen, nuschelte ich Shachi ein gehetztes; „benimm dich“ zu. Auf mich hörte er. Zumindest manchmal.   Wir passierten die Büroabteilung. „Einer meiner Zuständigkeitsbereiche“, führte sie uns knapp herum, „dahinter geht es in den Innenhof. Das Nebengebäude ist für die untersten Mitarbeiter reserviert.“ Sie gab sich nicht mal Mühe, ihren herablassenden Unterton zu verbergen. Für sie waren wir unbedeutend und störend. Und genau so behandelte sie uns auch.   Durch den Hinterausgang, eine Treppe abwärts, dann waren wir im Schlosshof. Ein trockener Brunnen und ein paar Steinbänke waren ringsum aufgestellt, die einstigen Blumenbeete leer. Shachi besah sie sich traurig, bis ihm die Idee kam. „Ich werd sie besamen!“ Wortwahl, Shachi.   Monet äußerte sich nicht dazu, ging stoisch weiter. Draußen auf dem ummauerten Innengelände ging die Sonne langsam unter. Als würde sie unseren Untergang ankündigen. Das Gefühl der schlechten Vorahnung begleitete mich allzeit, verschlimmerte sich stetig. Vor einem der kleineren Türme blieb sie stehen, schloss die Tür auf. „Für heute könnt ihr euch ausruhen. Euer Arbeitsbeginn ist erst Morgen. Ihr werdet die Pflege und Betreuung harmloser Insassen übernehmen.“ Heißt: Wir erledigen die Drecksarbeit. „Bis euch jemand in der Früh abholt, dürft ihr eure Gemächer nicht verlassen. Zu eurer eigenen Sicherheit“, ratterte sie ihre Standartfloskel herunter. Rabiat drückte sie uns noch einen dicken Wälzer mit den Regeln auf. Das staubige Teil war verdammt schwer. Ihre Verabschiedung fiel so gleichgültig aus, wie ihr gesamtes Auftreten. „Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.“ Damit überließ sie uns unserem Schicksal.   Mehrmals schloss sie hinter uns ab. 'Zu unserer Sicherheit', natürlich. Hier war etwas faul. Die ach so perfekte Fassade von Dress Rosa schrie förmlich nach Scheinheiligkeit. So leicht ließ ich mich nicht veraschen. Alles, was wir hier gezeigt bekommen hatten, war zu oberflächlich und makellos um wahr zu sein. Kaum einer Menschenseele waren wir begegnet, kaum jemandem vom Personal. Als wollte man uns so fern wie möglich von allem halten. Wir wurden wie Störenfriede abgefertigt. Warum haben die uns überhaupt erst angenommen? Mich beschlich das ungute Gefühl, dass wir es bald erfahren würden.   „Jippie~ Wir sind da!“, jubelte Shachi und sprintete die Spiraltreppe des Turms rauf. Ich blieb hinter ihm, verschränkte meine Arme vor meiner Brust und sah mich skeptisch um. Auch hier hingen Kameras. Hier hatten selbst die Wände Augen und Ohren. Jedes unserer Worte hörten sie ab. Es würde mich nicht wundern, wenn irgendein kranker Typ uns dreckig grinsend beobachtete und sich an unserem Unheil ergötzte. Unser neues Zuhause fühlte sich nicht im Geringsten sicher an. Von wegen eigene Sicherheit.   Seufzend ging ich mit Shachi die Treppen rauf, hoffte, dass wenigstens unser Wohnraum vor fremden Blicken geschützt war. Shachis heiteres Gemüt konnte wie immer nichts erschüttern. Er war nach wie vor in Abenteuerlaune und freute sich über jeden Winkel, den er neu entdeckte. „Schau mal, eine Spinni!“, posaunte er und zeigte auf das kleine Krabbeltier, dessen Spinnenweben überall klebten. Wenig begeistert gab ich gelangweilte Brummlaute von mir, ließ ihn einfach machen. „Da! Noch ein Spinnchen!“ „Ja, Ja...“, gab ich Laut, bis ich merkte, dass er auf mich deutete. Eher gesagt auf meinen Kappenschirm, den ich jetzt entsetzt anstarrte. Sag mir nicht- Ein behaartes Bein ragte vor meinen Augen, griff unter den Kappenschirm. Das ist ganz bestimmt kein 'Spinnchen'! Das ist ne Spinn-Ih! „Shachi“, knirschte ich ihm so leise wie möglich zu, um das Biest nicht auf mich aufmerksam zu machen. Meine Kappe ausziehen kam nicht infrage, niemals! Das schwarze Bein bewegte sich. „Shachi!“   „Schh...“, lächelte er meinen Kappenschirm an, „du verschreckst das niedliche Tierchen noch.“ Niedlich?! Behutsam legte er seine Hände zusammen, die er langsam zu dem Monster streckte, redete sanft auf es ein. „Ganz ruhig. Komm, ich such dir ein schöneres Plätzchen.“ Fest kniff ich meine Augen zu, konnte nicht hinsehen. Mein Kappenschirm fühlte sich leichter an, bildete ich mir ein – die Gefahr war gebannt. „Siehst du? Ich beschütze dich, Peng!“, linste ich aus einem Augen zu ihm. Und fiel fast aus den Latschen. Er hielt mir das haarige Ding direkt vor die Augen! „Ich geh schon vor, bis dann!“, haspelte ich und rannte im Eiltempo die Treppe rauf. „Und wehe du bringst es mit rein!“   Hastig preschte ich durch die Tür, die ich offenließ. In den Wohnräumlichkeiten angekommen, schmiss ich mich auf die Couch, machte es mir dort gemütlich. So übel sah es hier gar nicht aus. Die Möblierung war im mittelalterlichen Stil gehalten – in dunklen rot und braun Tönen – erinnerte mehr an ein Schloss, als die kalte Einrichtung der Anstalt. Für eine Raumbesichtigung war ich viel zu aufgewühlt, so überließ ich Shachi die Entdeckung. Hier im Wohnzimmer knisterte ein Kamin, dessen Feuer den Raum erhitzte. Es hatte etwas Beruhigendes. Der hyperaktive Wirbelsturm flitzte durch die Tür, sprang durch die Zimmer und zählte alle Funde einzeln auf, von denen ich nur „Schlafzimmer mit Doppelbett, Küche und Bad“ hörte. Das Wichtigste: „Keine Kameras und Wanzen.“ Zwischenzeitlich döste ich vor mich hin, bis Shachi sich nach erfolgreicher Erkundung schwungvoll neben mich aufs Sofa warf.   „Was machen wir jetzt?“, fragte er hibbelig, voller Tatendrang. Mit meinem Zeigefinger schob ich meinen Kappenschirm nach oben, warf ihm einen alles sagenden Blick zu. Wir grinsten uns an, hatten beide den gleichen Gedanken, den wir synchron aussprachen. „Spurensuche.“   Shachis Diebeskünste konnten noch jedes Schloss knacken. Meine Spionage-Fähigkeiten hatten jeden Schlupfwinkel der Kameras ausfindig gemacht. Dank Shachis Hilfe – Das Zuwinken der Kameras, das mich auf ihren Standort aufmerksam machte. Zusammen waren wir das beste Team. Gemeinsam würden wir den Geheimnissen der Anstalt auf die Schliche kommen. Wir waren hier, um die dunklen Machenschaften aufzudecken, Beweise zu finden und Don Flamingo auffliegen zu lassen.   Locker warf ich den Schlüsselbund in die Luft, fing ihn geschickt auf. Nun würde ich herausfinden, in welches Schloss die Schlüssel passten. Ab hier begann unser wahres Abenteuer. Bei Nachtanbruch brachen wir auf, teilten uns auf. Aber wie in jedem billigen Horrorfilm sollten wir das bereuen.     --     Die Nacht hatte etwas beängstigend Stilles. Meinen Körper an das Schlossgemäuer gepresst, um die Kameras auszutricksen, schlich ich mich in den Vordergarten. Ich vermied jegliches Geräusch, bildete mir ein, dass das Knirschen meiner Schuhe im Gras viel lauter wirkte und mein hektischer Puls jemanden auf mich aufmerksam machen könnte. Meinen Atem hielt ich so ruhig wie möglich. Das Gefühl beobachtet zu werden, ätzte sich permanent in meinen Nacken.   Ein dickes Vorhängeschloss war an der Metallluke angebracht. Schnell kramte ich den Schlüsselbund hervor, suchte nach einem passenden Schlüssel und steckte ihn mit zittriger Hand ins Schloss. Erst beim dritten Versuch klappte es. Es ist also wirklich der Bund für diesen Bereich... Das öffnende Knacken ließ mich zusammenschrecken. Hektisch prüfte ich, ob ich gesehen wurde. Nichts als Nachtschwere umgab mich. Ich hob die knarzende Luke, schluckte all meine Zweifel herunter. Was ich hier tat war irre, komplett irre. Flüchtig warf ich einen Blick ins Innere, sah kaum etwas. Es schien eine Art Keller zu sein. Zur Beruhigung nahm ich einen tiefen Atemzug, zog meinen Kappenschirm herunter und traute mich ins Ungewisse.   Ein Kellergewölbe, stickig und furchteinflößend. Vor mir ein langer Flur, beinahe stockfinster. Die Neonröhren an den Decken gaben kaum Licht von sich, viele funktionierten nicht, ein paar flackerten unruhig, verliehen der beklemmenden Atmosphäre Schauerliches. Der Geruch von Undefinierbarem prägte die dünne Luft. Die teils vergilbten und bröckeligen Steinwände machten die Kälte noch grauer, die Stimmung noch trister. Es fröstelte mich. Am ganzen Körper.   Noch war Zeit, noch konnte ich umdrehen. Doch tat es nicht. Wenn ich jetzt einen Rückzieher machte, würde es mir keine Ruhe mehr lassen. Lebt hier unten jemand? Mit zitternden Knien wagte ich mich voran, stützte mich an der kalten Wand ab, tastete mich im Dunklen vor. Meine Nervosität ließ mich fast durchdrehen, raubte mir jegliche Denkfähigkeit, ließ mich in höchster Alarmbereitschaft bleiben. Was zum Henker tue ich hier?! Immer, wenn ich eine lichtlose Stelle passierte, beschleunigten sich meine Schritte, bis ich eine der spärlich beleuchteten Ecken erreichte. Das wenige Licht wiegte mich in trügerische Sicherheit.   Vor einer Abzweigung machte ich Halt. Links war ein rostiges Schild angebracht: 'Behandlungsräume' Ich fühlte mich wie in einem schlechten Horrorstreifen. Zu allem Übel spielte mein Kopf mir Streiche, malte sich die schlimmsten Szenarien aus, ließ alles noch erschreckender wirken. Selbst die einzelne Motte, die um die leise brummende Lichtquelle flog, schien aufgeregter zu flattern. Mein Nervositätspegel stieg rapide.   Ich war allein und doch fühlte ich mich nicht so. Versteift schritt ich weiter, nahm instinktiv den rechten Gang, der unbeschildert war. Fünf Metalltüren konnte ich erkennen, je zwei an den Seiten, eine direkt geradeaus. Als mein Blick über eine Plakette der verriegelten Türen huschte, blieb mir der Atem im Hals stecken. 'Patient Nummer 1' Laws Zimmer?! Er... wohnt hier? Mich überkam Ekel und Mitleid zugleich. So etwas Unmenschliches konnte nicht wahr sein, durfte nicht real sein. Wer sperrte Menschen im Keller ein? Ich hatte gerade mal einen winzigen Teil der Wahrheit herausgefunden und war mir nicht sicher, ob ich den Rest überhaupt erfahren wollte. Es warf mehr Fragen auf, als es beantwortete.   Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zusammenzuraufen. Verkrampft atmete ich mehrmals durch. Es brachte nichts, half nicht im Geringsten. Mein Unwohlsein verschlimmerte sich mit jeder Sekunde, die ich hier verbrachte. Ich wollte kehrt machen, wollte so schnell wie möglich aus dem Keller raus. Doch zwang mich etwas, hierzubleiben. Etwas, was mein Herz ergriff.   Als ob meine Augen dazu gezwungen wurden, fixierten sie sich auf die Tür, die am Ende des dunklen Gangs still meinem Blick begegnete. Sie unterschied sich kaum von den anderen Metalltüren, hatte jedoch eine anziehende Wirkung auf mich. Als würde sie mich rufen. Einen wackligen Schritt ging ich auf sie zu. Und gefror in meiner Bewegung. Es drang in meine Ohren. Seine kristallklare Stimme, die mir mehrere Schauer verpasste.   „Komm zu mir...“ Ein Flüstern, so leicht wie eine Feder, welches mich zu sich lockte. Wie ferngesteuert folgte ich seiner Stimme, die hörbar schmunzelte, als er meine nähernden Schritte hörte. „So ist es gut... Gleich bist du bei mir.“   „W-Wer ist da?“, schwankte meine Stimme so stark, dass ich sie kaum wiedererkannte, während seine die Ruhe selbst blieb. „Keine Angst“, ging er nicht auf meine Frage ein. „Ich tu dir nichts.“ Das bezweifle ich stark.   'Patienten Nummer 8', las ich das Türschild. Acht ist meine Glückszahl – was fürn Unglück. Vor der dicken Metalltür stehend, fanden meine zitternden Finger wie von selbst das Schiebefenster, das ich freilegte. Ich wollte nicht hineinsehen, verfluchte meine Neugier, die über meine Nervosität siegte. Nur ein Blick, schwor ich mir, Ein einziger und dann geh ich sofort- Meine Augen erfassten ihn. Und ich wusste, dass ich nicht ging. Ich fand etwas und verlor etwas. In genau diesem Augenblick.   In Ketten gelegt, seine Hände in Fesseln an der Wand eingesetzt, sein Hals im Eisenring, sein Gesicht von einer blau-weiß gestreiften Maske umschlossen. Obwohl er auf dem Boden kniete, hatte seine Körperhaltung etwas Mächtiges und Ausdrucksstarkes. Als würde ihm die Welt zu Füßen liegen, als wäre er der freieste Mann, als hätte er stets die Kontrolle über alles. Seine Erscheinung besaß etwas Zeitloses. Wie in den Moment eingebrannt. Die gepunktete Bluse, die über seine Brustmuskeln spannte, wies mehrere zerrissene Stellen auf und verlieh seinem Äußeren etwas Wildes. Passend zu seiner animalisch blonden Mähne, die sein vollblütiges Erscheinungsbild abrundete. Und doch strahlte er etwas Kaltblütiges aus. Etwas, was ich nicht benennen konnte. Etwas Mysteriöses.   „Gefällt dir, was du siehst?“, legte er seine Maske schief. Mich beim Starren erwischt, zupfte ich peinlich berührt am Seitenstoff meiner Kappe herum. Bis sein messerscharfer Stimmton mich erschreckte. „Öffne die Tür.“ Ein unmissverständlicher Befehl, den er mit sanfter Monotonie überspielte. „Leiste mir etwas Gesellschaft.“   Ich soll da rein gehen? Garantiert nicht, keine Chance, niemals! Alles in mir sträubte sich dagegen. Warnend schrien mir meine inneren Stimmen zu, das unter keinen Umständen zu tun- Und das Knacken des geöffneten Schlosses ließ sie allesamt verstummen. Was mich dazu brachte, wusste ich selbst nicht. War es Mitgefühl? Neugier? Idiotie? Egal, was es war, es kam aufs Gleiche heraus: Ich betrat die Höhle des Löwen.   Er ist gefesselt, klammerte ich mich an den Gedanken, der mich in Sicherheit wiegte, Er kann mir nichts.   Gegen meine Vermutung eines Zellen-ähnlichen oder gar leeren Raumes, war er eingerichtet, wie ein Zimmer. Ein Wohnzimmer, an das noch ein Raum angrenzte. Es glich eher einer Wohnung, die unpersönlich eingerichtet war. Die wenigen Möbel alt und abgenutzt. Untätig stand ich hier, im Sicherheitsabstand zu ihm, dessen Stimmton dunkle Vorfreude zierte. „Ich beiße nicht“, leckte er sich hörbar über die Lippen, „es sei denn, du möchtest dies.“ W-Was?   Kläglich versuchte ich cool zu bleiben. „Ich schmecke nicht“, lachte ich verhalten und fuhr mir wirr über meinen Nacken, grinste schief. „An mir beißt du dir nur die Zähne aus.“   Ich neigte in Angstzuständen dazu, mit bescheuerten Kommentaren zu scherzen. Rein instinktiv machte ich mich mutiger, als ich war. Wie ein verschrecktes Karnickel, das mit den Hinterpfoten aufstampfte. So wählte ich die sicherste Ecke des Zimmer, in die ich mich verkroch. Eine unsichtbare Fessel hielt mich hier gefangen, die geschlossene Tür schien unerreichbar, obwohl ich gerade noch durch sie gegangen war. Polternden Herzens setzte ich mich auf das violette Sofa-ähnelnde Kistending schräg gegenüber von ihm, starrte verkrampft auf meine Hände, die ich in meine Hose krallte und vermied es, ihn anzusehen. Seine Präsenz prägte den Raum mit spürbarer Gefahr. Doch hatte sie auch etwas Sanftes und Harmloses. Dieser Mann war ein Wolf in Schafspelz.   Lauf, Peng, lauf! Beweg dich, hau ab! Warum gehorchen mir meine Beine nicht, verdammt!?   „Kira“, sprach er plötzlich, riss mich aus meinen sich überschlagenden Gedanken. Verwundert sah ich aus dem Augenwinkel zu ihm, nur kurz, dann musste ich meinen Blick wieder von ihm abwenden. Ergänzend fügte er hinzu; „Mein Name.“ Die Art, wie er sich ausdrückte, hatte etwas Edles und zugleich Manipulatives. Als würde jedes seiner Worte dich einwickeln.   „Penguin“, fiel meine Vorstellung ebenso knapp aus, glich mehr einem Nuscheln. Erneutes Schweigen bedrängte uns. Die angespannte Atmosphäre schnürte mir die Kehle zu, mehrmals versuchte ich meinen trockenen Mund zu befeuchten, scheiterte. Es brannte mir auf der Zunge, ich musste ihn fragen. „Warum... bist du gefesselt?“   Einen Moment schien er zu überlegen, ehe er antwortete. „Ich weiß es nicht.“ Die Monotonie seiner kristallenen Stimme wich einem unbestimmbaren Ton, der etwas Trauriges barg. „Als ich aufgewacht bin, befand ich mich in Ketten. Mein Nacken juckt bereits seit einer Weile...“ Amüsement überspielte die trübe Emotion. Durch seine Kopfbedeckung wirkten seine Worte stumpfer und trugen einen metallischen Hall mit sich. „Bist du immer so unvorsichtig und schleichst dich nachts in fremde Wohnungen?“, schien er belustigt, „oder bin ich die Ausnahme?“   Meine Mundwinkel zuckten schräg in die Höhe. „Ich bin ein Einbrecher aus Höflichkeit“, hob ich meine Kappe in vornehmer Manier, spielte mein Unbehagen mit einem fehlerhaften Lachen herunter, „gibt's hier was Wertvolles zu holen?“   Er summte nachdenklich. „Gibt es.“ Und hüllte sich in Schweigen. Mein Blick glitt zu ihm, seine Maske lag allzeit auf mir, als wäre ich eine Hauptattraktion. Aus den Maskenlöchern auf Höhe seiner Augen blitzte etwas Lebensbedrohliches. So belauert zu werden war ungesund für mein Herz, das wie Torpedos gegen meine Rippen feuerte. Als würde es von Killer-Blicken durchstochen werden.   „Sage mir, Penguin...“, ließ er meinen Namen auf seiner Zunge zergehen, „fürchtest du dich vor mir?“ Allein die Frage ist furchteinflößend!   „Sollte ich das?“, konterte ich mit einer Gegenfrage, auf die er zunächst nicht einging. Seine Ketten rasselten kurz, erinnerten mich an die Sicherheit, die sie mir gaben. Ich Idiot. „Wer weiß...“, schmunzelte er hörbar, „finde es heraus.“ Es herausfinden? Wie-? Seine nächsten Worte ließen mir das Blut in den Adern gefrieren. „Mach mich los.“ Seine Mundwinkel glitten so weit auseinander, dass ich ihre finstere Kälte spüren konnte. Mir rutschte das Herz in Höllen-Tiefen. Ihn losmachen? Hat er den Verstand verloren?!   „Ich-“, fand ich keine Worte, wollte ihn nicht verärgern. „Ich würde mich lieber noch ein wenig mit dir unterhalten.“ Im Lügen war ich schon immer miserabel, aber war es nur teils gelogen. Ich wollte wirklich mehr über ihn wissen.   „Oh?“, schien er überrascht, „wenn dem so ist... sprich.“ Nur worüber? Wie weit kann ich gehen, ohne es mir bei ihm zu verscherzen?   „Warum bist du hier?“, landete ich einen Volltreffer unter die persönliche Gürtellinie. Oh verflucht. Die Temperatur des Raumes wurde spürbar kälter. Ein heftiges Frösteln schlich sich über meine Haut, deren Härchen sich aufstellten. Ich war zu weit gegangen, viel zu weit.   „Dies möchtest du erfahren?“, schärfte sich seine Stimme zu etwas Hochgefährlichem. „Es ist mir ein Vergnügen, es dir zu zeigen.“   Die Stille, die ihn umgab, schrie mir zu. Seine Aura die Finsternis. Das Dümmste, was ich hätte tun können, war, seine dunkle Welt zu betreten. Mich in seinen finsteren Bann ziehen zu lassen. Nun war ich in seinem Visier. Seine Zielscheibe. Aus einem Fluchtreflex heraus, wollte ich fliehen, doch konnte keinen Muskel bewegen, war wie versteinert. Die Angst lähmte mich. Ich starrte auf seine Maske. Sie wirkte wie zerbrochenes Porzellan.   Es war zu spät.   Erst, als ich merkte, dass er gar nicht gefesselt war, wurde mir mein fataler Fehler bewusst. Erst, als er seine Fesseln löste, er wie in Zeitlupe aufstand und er sich mir schleichend näherte. Erst dann war ich hoffnungslos verloren.       . . .       In tödlicher Zärtlichkeit lechzen die Finger eines Killers begierig nach ihrem Opfer.   Die Schatten dürsten nach Licht.   Die Melodie der Stille singt die lautesten Strophen.   Angeführt von des Herzen Taktes, tanzt das Leben auf Irrwegen.   Warum hat es uns zueinander geführt?   Das Nichts ist die ausdrucksvollste Antwort. Schweigende Lippen erzählen die wortreichsten Geschichten.   Die Schicksalsglut ist entfacht. Der Puls der Seele brennt über die Notenblätter der Ewigkeit.   Als ich dein Lebenslied hörte... wollte ich deiner Monotonie Symphonie sein.   Kira... Nimm mich mit in dein Schattenreich.         Kapitel 2: Schlüsselwort ------------------------ „Kira... Nimm mich mit in dein Schattenreich.“   So finster sein Schatten, so hell meine Worte. Mein Flüstern so sanft, dass mich die Stille überwältigte. Doch Kira hörte mich. Und es veränderte alles.   Plötzlich wurde die wummernde Stille laut. Ein Herz zerschlug sie. In gläserne Scherben zersplittert, schnitt sich scheue Wärme durch die mächtige Kälte im Raum, drängte das Dunkel zurück. Die Illusion von Licht ließ mich klar sehen. Ich sah ihn. Nicht an. Ich sah ihn einfach nur.   Kira stand vor mir, warf ein Schattenbild auf mich. Ich blickte sitzend zu ihm auf, zu seiner Maske, erwartete etwas, von dem ich nicht wusste, was es war. Etwas Gefährliches... das mir jedoch nichts antat. In seiner sich mir nähernden Bewegung angehalten, verharrte er reglos vor mir. Beängstigend steinern. Seine Maske wie lebloser Marmor erscheinend. Wo zuvor noch seine düstere Aura herrschte, schien ihn nun etwas anderes zu umgeben. Desorientierung? Er wirkte neben sich, nicht bei sich, schien nicht hier, sondern woanders. Unerreichbar. Wo bist du? Die Kälte seiner Präsenz wandelte sich, flackerte spürbar, wie eine stürmende Flamme. Als würde sie nicht wissen, ob sie brennen oder verglühen sollte. Ich bildete mir ein, sein umschatteter Schemen auf mir schwand, stattdessen hinter ihm prangend. Als käme das Licht von mir. Seine Silhouette zweigeteilt, wie wenn seine Figur zwei Schatten warf. Die Furcht ließ mich halluzinieren, raubte mir den gesunden Menschenverstand. Ich hatte Angst, verdammt große Angst vor ihm. Selbst meine blasse Stimme zitterte stark.   „Kira?“, versuchte ich zu ihm durchzudringen, ohne Erfolg. Mit kräftigerer Stimme wagte ich es weiter. „Kira.“ Noch immer nichts. All meine Stimmstärke bündelnd, holte ich tief Luft. „Kira!“ Diesmal erreichte ich ihn. Seine Maske fixierte sich auf mich, wirkte so verloren, wie ich mich fühlte. Was ich hier tat, entzog sich aller Rationalität. Ich blieb.   Leere Momente verstrichen, die nur unsere Blicke füllten. Unsicher sah ich von einem Maskenloch auf Augenhöhe zum anderen, wusste nicht, was zu tun. Und seufzte lange, ehe ich ihm schüchtern entgegenkam. Locker klopfte ich auf die Sitzkiste neben mich, gewährte ihm, sich zu mir zu setzen. Er tat es nicht. Misstrauisch spannte sich seine Körperhaltung an, nahm an Erhabenheit zu, als wollte er mich einschüchtern, von sich wegtreiben, verjagen. Es erzielte Wirkung, machte mich nervöser, als ich eh schon war. Doch blieb ich entschlossen, atmete durch, schnaubte; „Nochmal frag ich dich nicht. Setz dich, bevor ich's mir anders überlege.“ Und mich der Mut verlässt.   Erst keine Reaktion, dann kam Leben in ihn. Viel zu schnell war er bei mir. Mit präzisen Bewegungen näherte er sich, nahm den Platz neben mir ein, vereinnahme meinen gesamten Fokus. Das Holz knackte fast lautlos, das Gewicht seiner kräftigen Muskeln hörbar. Seine Körperhitze drängte sich mir auf. Als wir einander die Nähe des anderen spürten, machte es etwas mit uns. Auf einmal schien er wieder wie er selbst, während ich derjenige war, der vor Zerrissenheit nicht wusste, wohin mit mir. Weg! Ich muss... Aber will nicht. Etwas hielt mich hier. Etwas im Raum? Eine unsichtbare Macht? Er?   Kiras Präsenz besaß von Natur aus eine tödliche Attraktivität. Die machtvolle Ausstrahlungskraft brachte mich so durcheinander, dass ich vergaß, wie gefährlich er war. Statt dem Psychopathen sah ich den Mann, der mich zum Psychopathen machte. Ich fühlte es. Wie er eine Störung in meiner Seele auslöste. Er der Illusionist, ich seine Leinwand.   Kira saß so dicht neben mir, dass seine breiteren Schultern beinahe die meinen berührten – was er jedoch verhinderte, indem er seinen Arm hinter mir auf dem leeren Regal auf Nackenhöhe ablegte. Nicht hilfreich! Seine Maske in meine Richtung gedreht, erkannte ich das große Vorhängeschloss, das an ihrer Rückseite angebracht war. Wozu-? „Zu deiner eigenen Sicherheit“, beantwortete er monoton meinen skeptischen Blick, der Verwirrung wich, „und meiner eigenen.“ Verstehend nickte ich, obwohl ich nichts verstand. Daraufhin zog er einen Mundwinkel nach oben. „Du wirst früh genug verstehen.“ Nach kurzem Schweigen setzte er erneut an. „Der Grund, warum ich hier bin“, stockte er, als würde er seine Worte gut überlegen, „ist-“   „Nicht!“, unterbrach ich ihn, „erzähl's mir nicht“, atmete ich aus, sah ihn mit nervös zuckenden Mundwinkeln halb-grinsend an. „Es ist okay. Du hast deine Gründe – ich meine. Unsere Motive sind unterschiedlich, aber sind wir beide zur gleichen Zeit hier. Das zählt.“   Wieder kehrte Tonlosigkeit ein. Jede Stille besaß ihren eigenen einzigartigen Klang, den Kira komponierte. Als würde er durch sie kommunizieren. Sie vermittelte Emotionen, die er nicht selbst aufbringen wollte. Oder konnte. Diese Stille besaß etwas Andächtiges. Die Düsternis schien besänftigt. Vorerst. Was sich in der Atmosphäre bemerkbar machte. Sie wurde milder. Kira beherrschte die Stimmung vollends, hier war er die Macht, einzig und allein. Das Klima lockerte auf, wirkte nicht mehr erdrückend, ganz im Gegenteil; gar schwerelos. Viel zu irreal.   Lässig legte er seinen Kopf in seinen Nacken, wobei das Maskenschloss leise klimperte. „Weißt du“, begann er ruhig und nachdenklich, blickte zur Decke, „ich habe lange keinen Besuch mehr erhalten... Es ist erfrischend.“ Eine humoristische Note zeichnete seine Worte. „Hätte ich dies gewusst, hätte ich etwas vorbereitet.“ Wachsam fragte ich ihn; „Und das wäre?“ „Pasta.“ „Pasta?“ Genussvoll summte er; „Nudeln nasche ich am liebsten.“ „Das... war zweideutig gemeint, oder?“ „Jop“, poppte er das P.   Sein Stimmton trug etwas Neckisches, was sich auf die Atmosphäre auswirkte. Sie nahm Verspieltheit an, beeinflusste mein emotionales Durcheinander. Der Manipulator ordnete es nach seinem Belieben. Ohne, dass ich es merkte.   Ein schiefes Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. „Flirtest du gerade mit mir?“ Unmöglich. Niemals. Schräg lehnte er seine Maske zu mir. „Möchtest du, dass ich mit dir flirte?“ Dreh mir nicht meine Worte um! „Ich-“ überleg's dir gut, das ist eine Falle! „hätte nichts dagegen.“ Bin voll rein getappt!   Und sein verdorbenes Schmunzeln fraß meine Unschuld. Erwartungsvoll beschleunigte sich mein Puls. Mein gespannter Blick von ihm abgewandt, fixiert auf die Fesseln in der Wand, die mir wilde Phantasien vorgaukelten. Ich will nicht in seinem Folterkeller landen-! Moment. Da bin ich ja bereits... Was hat er mit mir vor?   Etwas absolut Unerwartetes. Schleichend wanderten seine Finger über das Holzbrett hinter uns, erreichten ihr Ziel; mich, schlüpften unter den Stoff meiner azurblauen Kappe und strichen federleicht über meinen Nacken, erfühlten meinen nervösen Puls. Die winzige Berührung schickte prickelnde Stromschläge durch meinen Körper. Das Konzentrieren fiel mir verdammt schwer. Angespannt bebten meine Lippen. „D-Du“, brachte ich hervor, „wie lange hast du keine Pasta mehr gehabt?“ Direkt und freiheraus; „Zu lange.“ Hab ich mir gedacht. Klarer Fall von unternudelt.   Beunruhigt verkrampfte ich mich unter seinen Fingern, die innehielten. „Ich werde nicht über dich herfallen“, versicherte er mir, „noch nicht.“ Sehr beruhigend. Sein versteckter Lippenzug umspielte Vergnügen, als er seine streichelnde Bewegung wieder aufnahm, in rauer Zärtlichkeit meine Haut ertastete. Wohlig seufzte ich, verriet mich. Hilfsbereit wie er nicht war, drückte er es mir voll rein. „Dir gefällt es, wenn ich dich berühre.“ Das angeberische Schmunzeln hab ich gehört! Lass das!   Murrend verschränkte ich meine Arme, wich seinem intensiven Blick aus. „Musstest du das aussprechen?“ „Gewiss“, betonte er das S scharf, „wie du errötest ist ein Augenschmaus.“ Leck mich- Halt. Nicht wortwörtlich gemeint!   Beleidigt drehte ich meinen Kopf weg, was ihm mehr Fläche zum Erkunden gab, die er ausnutzte. Langsam schlichen seine Fingerkuppen meine rechte Halsseite entlang, zielsicher über meine Halsschlagader, fanden hinter mein Ohr, drangen vor zu meinem Haaransatz, in dem sie sich kraulend vergruben. Es nahm mir meine Anspannung, nahm mir meine Angst. Wie schafft er das? Meine Sinne von seinem Fingergeschick betört, völlig versunken, gleichzeitig seinen kristallenen Stimmklängen lauschend.   „Ich werde nicht weitergehen. Mir genügt es, dich zu fühlen“, eröffnete er mir, wurde rauer und leiser, ging fast in ein Wispern über. „Ich habe lange keine menschliche Nähe erfahren... Dies ist mir überaus kostbar.“   Etwas Warmes sickerte in meine linke Brustseite, ließ meine Herzfrequenz in die Höhe schnellen. Zeitgleich ergriff mich ein tiefes Mitgefühl. Wie einsam ist Kira wirklich? Obwohl er so stark wirkte, hatte auch er eine brüchigere Seite, wie eine gläserne Maske, was ihn umso menschlicher machte. Jeder Mensch brauchte jemanden zum Mensch-sein.   Es mag so unbedeutend sein, diese oberflächlichen Berührungen, welche jedoch viel tiefer reichten, viel mehr Wichtigkeit besaßen. Die Zweisamkeit, die die Einsamkeit für einen Augenblick nichtig werden ließ. Zusammen ist man weniger einsam. Ich saß hier, inmitten einer Irrenanstalt, im gefährlichsten Trakt, womöglich mit einem Verrückten und fühlte mich seltsam. Wie in einem Paradox. Als ob ein Teil meiner Welt sich verrückt hätte und dennoch genau am richtigen Platz wäre. Bin ich irre geworden? Innerlich grinste ich mir selbst zu. Die Antwort war eindeutig. Gefühle sind die echten Irren.   „Du bist der Erste“, sprach er andächtig in die Ruhe, „der sich ehrlich für mich interessiert.“ Zweideutig gemeint? Lässig legte ich meinen Kappenschirm schief, blitze ihn aus einem Auge frech an. „Als Seelenklempner tauge ich nicht, aber wenn du ein undichtes Leck in deinem Blechkopf hast“, klopfte ich locker gegen seine Metallmaske, „lasse ich dich vielleicht unter meinen Regenschirm.“   Seine Maske ruhte ausdruckslos auf mir. „Tu das nicht.“ Etwas Warnendes schattierte seinen klaren Stimmton. „Es wird dich zu viel kosten.“ Von meiner Hochstimmung mitgerissen, antwortete ich scherzhaft; „Ich bin pleite. Einem Pleitevogel kann man bloß sein letztes Hemd nehmen.“ „Oder seine Unterwäsche“, stieg er wieder in die Spielerei ein. „Für heute erlaube ich dir, sie anzubehalten.“ „Wie nett von dir“, feixte ich, „soll das heißen, wir sehen uns wieder?“   „Nein“, zerschnitt das Wort die Harmonie. „Es ist nicht sicher...“ „Bei dir?“, spielte ich seine Warnung herunter, „schlimmer kann's nicht werden.“ Oder? Angst hin oder her – Ich helfe dir. Und wenn ich dir nur dazu dienen kann, deine Einsamkeit für einen Augenblick zu vertreiben.   Kurz schwieg er, bedachte mich mit einem gar reuigen Ausdruck, ehe er still seufzte. „Wenn dies dein Wunsch ist, werde ich ihn dir nicht verwehren.“   Ganz zufällig sah ich es. Es ließ alles aus meinem Gesicht weichen. „Eine Kamera?!“, starrte ich auf das Gerät in der Zimmerecke, dessen Linse eindeutig uns fokussierte. Verdammt, verdammt, verdammt-! „Sie nimmt nur Bild auf, kein Ton.“ Das beruhigt mich kein bisschen! Kira nahm seine Hand von meinem Nacken, gestikulierte etwas in Richtung der Kamera. Und erhielt Antwort. Die basstiefe Stimme aus dem Lautsprecher machte mir mehr Angst, als das gesamte Irrenhaus. Der Typ schien dunkel zu grinsen, hörbar. „Ihr habt fünf Minuten, bis die Wache auf ihrem Rundgang zu euch kommt. Ein Quickie geht noch.“ 'Quick-'? Moment. Hilft er uns?! Kira nickte, zeigte einen Daumen nach oben. Fünf Minuten? Ich hab zehn gebraucht, um hier reinzukommen!   „Geh“, wies er mich scharf an, schmunzelte jedoch, „ich erwarte dich bei Nachteinbruch.“ Blitzartig erhob ich mich, wollte schon aus dem Raum eilen, aber wurde aufgehalten, an Ort und Stelle gehalten. Spürte Kiras Hand, die mir zum Abschied die Kappe vom Kopf streifte und im Vorbeigehen durch mein Haar fuhr. Perplex schaute ich in an, während er einen Blick unter meine Kopfbedeckung erhaschte. „Welch attraktiver Anblick...“ Mit glühenden Wangen stürzte ich aus der Metalltür, die ich zuwarf und hektisch abschloss.   Ein letztes Mal sah ich durch das Schiebefenster. Das Bild stach mir ins Herz. Wie er sich zurück an seinen Platz begab, sich selbst fesselte und auf den Boden kniete. Zähneknirschend schob ich das Sichtfenster zu. Dann rannte ich, so schnell ich konnte, aus dem Keller raus. Genauestens darauf achtend, keine Spuren meines Besuches zu hinterlassen.   Als ich die Kellerluke mit dem Vorhängeschloss versah, es zuknackte, bemerkte ich aus der Ferne bereits das schwenkende Taschenlampenlicht, das sich mir zielsicher im Vorgarten näherte. Hastig suchte ich Schutz im Nachtdunkel, presste mich mit meinem Rücken gegen die schattige Schlossmauer und hielt den Atem an. Die Wache war riesig! Ein Muskel-Koloss mit je einem großen Pik-Tattoo auf seinen Bowlingkugeln-ähnelnden Schultern. Dem will ich nachts echt nicht allein begegnen- ...Oh. Das Taschenlampenlicht fiel auf die Kellerluke, verweilte zu lange dort, ließ mich leicht panisch werden. Hab ich das Schloss auch wirklich abgeschlossen? Dann griff er zum Funkgerät. „Alles ruhig, nichts auffällig.“ Schnell biss ich mir in meine Faust, unterdrückte das Prusten, das mir entweichen wollte. Im Gegensatz zu seiner bulligen Statur, klang seine Stimme wie ein hohes Mäusefiepsen, während man auf dessen Schweif trat. Die Taschenlampe schwenkte zu mir. Verfluchter-! Und wieder weg. Herzinfarkt!   Nach gefühlten fünf Herzaussetzern stampfte der Koloss davon, ließ die Erde unter seinen schweren Schritten erzittern und verschwand aus meiner Sichtweite. Erleichtert atmete ich die angehaltene Luft aus. Ich war unentdeckt geblieben. Ein Glück. Doch wie lange wird es anhalten? Bei meiner Pechsträhne, die 'mein Leben' hieß, war es nur eine Frage der Zeit, bis etwas schieflief.     --     Hier läuft was gehörig schief! Der Fremde, der mich empfing. Zurück in Shachis und meiner Schlafunterkunft, öffnete mir das unbekannte Gesicht, das mich mehrere Meter zurück aus der Wohnungstür stolpern ließ. Aus Reflex bewaffnete ich mich mit dem Nächstbesten, was ich zu greifen bekam – ein Besen – und hielt ihn drohend vor mich.   „Wer bist du und was machst du hier?“, forderte ich Antworten, musterte die Gruselgestalt vor mir. Die blasse Haut erinnerte an einen Zombie, mit hellblauen Rastalocken. Ist sein Mund zugenäht?! Die dünnen Fäden zogen sich zu einem gespenstischen Grinsen auseinander, weswegen ich den Besenstiel fester umklammerte. Ich war kurz davor, dem Kerl eine über die dämlich grinsende Rübe zu ziehen, hätte Shachis Kopf nicht plötzlich hinter ihm hervorgeragt.   Als könnte Shachi kein Wässerchen trügen, strahlte er mich in all seiner naiven Unterbelichtung an. „Das ist Heat“, stellte er den unheimlichen Kerl vor. „Ich hab ihn zu einer Übernachtungsparty eingeladen.“   „Du hast- Was?!“ Vor Schock fiel mir der Besen aus der Hand, der laut auf Boden schepperte. Mein 'dein-Ernst!?'-Blick bohrte sich in seine 'Was-denn?'-Unschuldsmiene. Stumm kommunizierten wir per Blickkontakt, bis mein Bruder es mit verbaler Überredung versuchte. „Darf er bleiben, Peng? Büdde?“, flehte Shachi mich aus weinerlichen Augen an. Wie das todtraurige Smiley von 'WhatsUp'. Komm mir nicht mit der Nummer, Freundchen! Jämmerlich zitterte seine Unterlippe, die er vorschob, übertrieben blinzelnd, meinem Gesicht immer näher kommend. Es sah echt bescheuert aus.   „Nein“, blieb ich eisern, betrachtete kritisch den Zombie, der angefangen hatte, den Besen mit dem Teppich zu vernähen. Eine Zwangsstörung? Dabei warf er mir einen trostlosen Blick zu, der durch sein makaberes Grinsen nur verstörender wirkte. Mit der Zunge fuhr er sich über seine Nähte, wobei ihm fast das Sabbern kam. „Ich hab's Hunger. Was gibt’s zu futtern?“, lispelte er, streckte seinen Riecher schnüffelnd in die Luft, sah Shachi und mich ausgehungert an. Es schüttelte mich. Übereilt packte ich den Zombie am geschnürten Korsett. „Hol dir was in der Kantine, oder so!“, schob ich ihn aus der Tür und pfefferte sie zu. Shachi winkte ihm fröhlich, wünschte; „einen guten Hunger und gute Nacht!“   Ich traktierte den Spinner mit einem fassungslosen Blick. „Was hast du dir dabei gedacht? Und wo hast du den eigentlich aufgegabelt?“ „Nichts“, zuckte er mit seinen Schultern und kaute schmatzend einen Zuckerwürfel, „hab ihn auf dem Gang von Station Drei getroffen.“ Station Drei? „Das ist eine der gefährlichen!“, wurde ich lauter, erhielt nur ein lapidares; „ich weiß.“ Gequält stöhnte ich. Nicht zu fassen.   Der Zuckerjunkie schob sich noch einen Würfel zwischen die Lippen. „Und wo warst du?“, wollte er wissen, sah mich neugierig an. Auf der gefährlichsten Station, allein mit einem- Niemals könnte ich ihm das sagen! Belügen konnte ich ihn auch nicht, also entschied ich mich für ein schlichtes: „Weg.“   Einen Moment starrte er mich intensiv an, bis er sich mit den drei Buchstaben begnügte und von sich aus erzählte. Vieles. Viel zu viel. Wie eine Schnellfeuerpistole schossen die Sätze über seine Lippen, dabei fuchtelte er wild in der Luft rum. „BlaBla alles sooo toll Blaaa.“ – Er sagte wirklich 'BlaBla.' Während er vor sich hin blubberte, lief ich Richtung Schlafzimmer und zog mich um, von dem Zuckerwasserfall verfolgt werdend. „Und dann hab ich einen rieeesigen“, breitete er seine Arme aus, „Bären gesehen! ...Leider hing er über einem Kamin“, trübte seine sonnige Stimme, die sich sofort wieder aufhellte. „Ich hab ihn trotzdem gestreichelt! Er heißt jetzt Flauschi.“ Shachis Angewohnheit, alles zu benennen – laut Shachi: 'Weil alles verdient hat, liebgehabt zu werden.'   Meine Jeansweste landete auf einem Stuhl, ehe ich mir mein schwarzes Muskelshirt über den Kopf streifte und es in selbige Richtung warf. Meine Halbstiefel kickte ich zum Doppelbett, auf dem ich mich in Boxershorts bekleidet legte. Im Hintergrund allzeit die quiekende Stimme meines Bruders, die an mein Ohr klopfte. Erinnert mich an das überfütterte Meerschweinchen, das Shachi mal hatte... 'Pixi' war zu flauschig zum laufen und ist im Käfig herumgekugelt. Als ich ihm gesagt hab, dass es ein prima Rollbraten wäre, hat er mich so erschüttert angeblickt, dass-   „Klopf, klopf, jemand da?“, tippte er gegen meine Wange, deren Mundwinkel hinab fielen. Bevor er mit irgendeinem Klopf-Klopf-Witz ankam, brummte ich ihm zu, teilte ihm so meine wenige Aufmerksamkeit mit. Und die Worte sprudelten weiter aus ihm raus. „Fluffy hab ich auch gesehen! Fluffy ist so nett! Dann hab ich mir ein Eis von Freezer geliehen und gegessen- Oh. Jetzt kann ich es ja gar nicht mehr zurückgeben... aber geschmeckt hat's!“ Stell das jemand ab. Gibt's keinen Aus-Knopf? „Und dann war ich in so einem Raum mit ganz vielen Akten.“ Wird's jetzt interessant? „Die hab ich neu sortiert, hab sie mit Glitzer-Stickern geschmückt und kleine Sonnen über die I-Punkte gemalt.“ So viel zu 'unentdeckt bleiben'. Muss ich's ihm erst aus der Nase ziehen? „Hast du was rausgefunden?“ „Jupp. Vieles.“ Und er schwieg, streckte sich ausgiebig. „Erzähl ich dir irgendwann mal. Gute Nacht.“ Ernsthaft?!   „Shachi-?“, sah ich neben mir auf die leise schnarchende Figur, die im Schlaf weiter brabbelte. Aus dem Dummy schlau zu werden, würde ein Studium auf Lebzeiten brauchen. Shachi ist und bleibt Shachi – Ein lächelnder Zuckerwürfel. Murmelnd rückte er mir auf die Pelle, „knuddeln“, schlang er seine schmalen Arme um meinen Oberkörper, zerquetschte mich in seiner viel zu aufdringlichen Umarmung, aus der ich mich vergebens freizukämpfen versuchte. Seine zerstreuten Haare kitzelten mich, sein schmatzender Mund drohte auf mich zu sabbern, seine klebrigen Finger betätschelten mich. Doch als ich auf ihn hinabsah, seine friedlich strahlenden Gesichtszüge sah, freute ich mich für ihn. Ging es ihm gut, dann mir auch. Eine Frage blieb: Wie zum Henker sollte ich in so einer Position schlafen? Bei den vielen Gedanken, die mir im Kopf spukten, sah es eh lausig für meine Nachtruhe aus. Immer wieder flackerte das Bild des gefesselten Mannes in meinem Geist auf. Schläft er überhaupt? So?   Und- Er hat mich attraktiv genannt!, brachte mich der Gedanke völlig aus dem Konzept. Mit einem Mal kam ich mir so dumm vor, dass ich gequält seufzte. So ein Besuch bei einem Psychopathen ist doch ganz normal... gar nicht! Was hat mich bloß dazu getrieben, ihn aufzusuchen? Warum bin ich nicht zu Law gegangen? Ob ich da sicherer gewesen wäre, ist fraglich... Wem kann ich hier überhaupt trauen? Mein Blick fiel erneut auf Shachi. Niemals würde ich ihm sagen, dass seine Anwesenheit mich beruhigte. Allein würde ich das hier nicht durchstehen. „Zusammen schaffen wir alles!“, platzte es plötzlich aus ihm heraus, erschreckte mich fast zu Tode. ...Und er schlief seelenruhig weiter! Meine Hand auf seinen Kopf legend, grinste ich ihm sanft zu. „Schlaf gut, Bruderheart.“     Gerade, als ich kurz weggedöst war, riss Shachi trällernd die Vorhänge auf. „Guten Morgen, liebe Sorgen~!“ Energiegeladen wirbelte er durchs Zimmer, während ich mir grummelnd das Kissen auf meine Ohren presste und die Decke über den Kopf zog. Er riss sie mir einfach weg! „Der frühe Pinguin fängt die Nudel!“, flötete er mir direkt ins Ohr. Woraufhin ich ihm das Kissen an die Sparbirne pfefferte. „Juhu~ Kissenschlacht!“ Rette mich einer vor dem ungenießbaren Weichkeks. Nachdem ich von einem Kissenberg begraben wurde, nur mein Kopf zwischen Zweien herausragte, strahlte mir Shachis viel zu gut gelaunte Visage entgegen. „Du bist ja wach!“, freute er sich, kassierte einen übermüdeten Giftblick von mir, der an seinem Sonnenschutz abprallte. „Ich mag dich auch, wenn du ein Muffel-Muffin bist.“ Dan-ke.   Benommen rieb ich mir den Schlaf aus den Augen, sah den Strahlemann vor mir an, der bereits in voller Bereitschaft vor mir stand und überflüssigerweise salutierte. „Ein neuer Tag, ein neues Glück, Aye!“ Mimose Shachi meldet sich zum Dienst. Der weiße Overall, den er trug, war unsere neue Arbeitskleidung. Auf dem Bruststoff prangte ein grinsender Smiley, dessen Gesicht durchgestrichen war – Das Firmenlogo der 'Familie'. Mit gebrummten Flüchen auf meinen Lippen trat ich mich aus dem Kissenberg frei, streckte meinen Rücken knackend durch und taumelte Richtung Kleiderschrank, wo ich blind nach meinem Overall griff, in den ich stieg. Alles mit geschlossenen Augen – Wodurch ich mir den kleinen Zeh am Stuhlbein anstieß. Verfluchtes Mistding! Auf einem Bein hüpfend, balancierte ich zum Badezimmer, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, putzte mir träge die Zähne und zog mir dann meine braunen Stiefel an. Zuletzt folgte meine Kappe, mit der ich mein verstrubbeltes Haar bändigte.   „Wie spät is'es?“, gähnte ich Shachi zu, der auf seine imaginäre Armbanduhr schaute. „Hm... vielleicht fünf?“ Fünf?! Eilig suchte ich nach einer Uhr, fand im Wohnzimmer eine Kuckucksuhr, deren Fenster aufsprang, ehe mir ein Vogel entgegen krächzte. Ein kleiner Pinguin – Shachis Werk, der in den frühen Morgenstunden nichts Besseres zu tun hatte, als umzudekorieren. Die Zeiger der Uhr zeigten eine inhumane Uhrzeit. „Gute Nacht“, nuschelte ich trocken, ließ mich wieder aufs Bett fallen, Gesicht voraus ins Kissen. Shachis innere Uhr tickt nicht richtig! Ich hab noch eine ganze Stunde! Das Problem: Schlafen war nun nicht mehr drin. Toll. Aber so tun als ob geht.   Shachi setzte sich auf die Bettkante. „Peng?“ Einfach ignorieren. „Da du jetzt schon wach bist...“ Bin ich nicht, bin ich nicht. „Wo warst du gestern Nacht wirklich?“ Die Erinnerung ließ mich meine Augen aufreißen. Mein Puls beschleunigte. Wie beim Verhör fühlte ich mich, als er leiser werdend fortfuhr. „Ich hab gesehen, wie du in den Vorgarten geschlichen bist“, nachdenklich verzog er seine Lippen, gegen die er mit seinem Zeigefinger tippte. „Danach warst du so anders... Hattest du etwa Bienchen-Summsebrumm?“ Ist das peinlich... Ja, ich hab ihm damals bei meinem Outing echt was von Bienen erzählt. Shachis Antwort: 'Mehr Bienchen, mehr Honig.' ...zu passend.   „Okay, okay!“, gab ich mich geschlagen, bevor Shachi einen neuen Peinlichkeit-Rekord aufstellen konnte. Ihm konnte ich nichts vormachen, mir blieb nur die Wahrheit. „Ich hab... jemanden besucht.“ Es fiel mir verdammt schwer, darüber zu reden, weil ich es selbst noch nicht begriff. Weswegen ich so undeutlich wie möglich murmelte, in der Hoffnung, dass Shachi mich nicht verstand. Natürlich tat er es doch. „Das ist aber nett von dir“, schmatzte er mir entgegen – wo hat er auf einmal die Zuckerflakes her? – gespannt sah er mich an, während er sich das versüßte Zeug reinschaufelte. „Wer ist denn die Glückliche?“ 'Biene.' „Es ist ein Er“, lehnte ich mich ans Kopfende und winkelte mein Bein an, auf dem ich meinen Arm locker stützte. „Und der Unglückliche bin ich.“   „Warum denn das? War der Besuch nicht schön?“ „Doch... das ist ja das Problem.“ „Kapier ich nicht.“ Nachdenklich summte er, leckte den Löffel ab, der zwischen seinen Lippen klemmte und schwenke ihn dann theatralisch in die Luft. „Du bist einfach zu pessimistisch. Willst du ihn beblümeln?“ 'Be-' Was? Perplex sah ich ihn an, woraufhin mir Shachi energisch auf die hängende Schulter klopfte. „Am anderen Ufer des Regenbogens wartet immer ein Honigtopf darauf, vernascht zu werden.“ Shachi ist kaputt gegangen. Wir haben ihn verloren. Er weilt nicht mehr unter uns.   Bevor ich mir seine Phantasie-Paranormalitäten weiter antun musste, klopfte es an der Haustür. Unser Abholdienst war da. „Ich geh!“, stürmte Shachi zur Tür, die er mit Schwung aufriss. Ich folgte ihm, lehnte mich mit meiner Schulter gegen die Schlafzimmertür, musterte den Unbekannten. Durch die violette Sonnenbrille sah ich seine Augen nicht, seine Erscheinung wirkte lässig, strahlte zugleich Ernsthaftigkeit aus. Dann stolperte er über die Fußmatte, was er mit einem professionellen Ton vertuschte. „Ihr seid die Frischlinge?“, fragte er uns prüfend, zündete sich eine Zigarette an. „Ein gut gemeinter Rat: Verschwindet von hie- Whoaa!“, klopfte er die Federn seines schwarzen Mantels aus, der Feuer gefangen hatte. Noch so ein Irrer. „Rocinante“, hielt er uns seine Hand hin, dessen Herzchen-Muster Ärmel noch immer glimmte. Shachi eilte zur Rettung, bewaffnet mit einem Wassereimer, den- Er ihm überkippte.   Es zischte. Rocinantes weinrote Kapuze tropfte an den Bändeln, deren Enden auch herzförmig waren. „Habt Dank“, schob er seine Sonnenbrille über seine Stirn, enthüllte seine Augen, sein rechtes zierte ein Halbstern-Tattoo. „Ich bin oft Feuer und Flamme“, fand ein kleines Lächeln seine geschminkten Lippen, ehe er wieder seriös wurde. „Wollt ihr ein Teil der Familie werden?“ „Niemals!“, schoss es aus meinem Mund, auf dessen Unterlippe ich mir biss. Ich und mein vorlautes Mundwerk. Shachi ergriff das Wort. „Mein Bruder und ich sind unsere eigene Familie.“   Zufrieden mit der Antwort, kehrte Rocinante uns den Rücken zu. „Bruderliebe“, sprach er leise zu sich selbst, „ist etwas Rares.“ Damit schritt er voran, verteilte kleine Pfützen auf seinem Weg, die Turmstufen hinab. Als wir die Tür zum Innenhof erreichten, fiel mir etwas ein. Etwas, was ich komplett verdrängt hatte. Bei unserer unerlaubten Nachtwanderung haben wir die Tür aufgeknackt! ...Warum hat sie ein neues Schloss? Rocinante hüllte sich in Schweigen. Das angehauchte Mundwinkelzucken sagte alles. Das hätte verdammt danebengehen können! Wir haben mehr Glück als Verstand. Aber warum ist er auf unserer Seite?   „Grüßt Law von mir“, winkte er uns über seine Schulter, deren Federn erneut brannten und entließ uns in unseren Morgendienst. Ich hatte das Gefühl, als ob unsere Begegnung mit Law etwas losgetreten hatte, in das wir immer weiter verstrickt wurden. Dabei kennen wir Law doch kaum... haben ihn nur ein einziges Mal gesehen... Wie schnell kann Verbundenheit entstehen? Nur die Zeit kann den zerbrechlichen Spross der Freundschaft blühen lassen.     Zunächst mussten wir uns auf die Arbeit konzentrieren, um nicht noch mehr aufzufallen. Shachi wurde auf Station Eins geschickt, ich auf die Zweite. Unsere Aufgabe bestand darin, die Leute zu wecken und zum Frühstück zu schicken. Der Stationsflur war recht kahl, die helle Tapete stark abgefleddert, bloß von ein paar hässlichen Wanddekorationen verziert, die die Schäden teils überdeckten. Schön wohnen war anders. Die gealterten Zimmertüren unpersönlich und einheitlich, ohne Namensschilder. Ich setzte mein freundlichstes Grinsen auf – eines der 'viel-zu-früh-viel-zu-wenig-Schlaf'-Sorte. Bemüht, meine Miesepetrigkeit zu verstecken, machte ich mich auf den Weg. So klopfte ich an die erste Tür, trat dann ein und stand blöd im Raum herum. Anders als Shachi – die gute-Morgen-Laune in Person – war ich echt mies darin, andere zu wecken, wo ich doch ein Vorzeige-Morgenmuffel war. Vielleicht konnte zumindest mein verknäultes Gesicht so abschreckend sein, dass es als Schock-Wecker funktionierte.   Mein Blick fiel im Halbdunkel auf das Bett, in dem jemand schlief. Ich räusperte mich, wollte so auf mich aufmerksam machen. Keine Reaktion, sodass ich mich erneut räusperte, lauter und deutlicher. „Halsbonbons helfen“, kicherte die alte Frau, die mich ansah, als wollte sie mir einen dicken Schmatzer verpassen. „Der Anblick eines solch reifen Früchtchens verjüngt einen um hundert Jahre! Wie wäre es mit etwas Omiliebe?“, zwinkerte sie mir zu, spitzte ihre spröden Lippen und- Ich war raus. Die Zimmertür hinter mir schneller wieder zu, als sie offen war. „Sie finden allein zum Esszimmer!“, rief ich der Tür noch zu und eilte zur nächsten. Nicht vergessen, Peng: Du bist hier in einem Irrenhaus, hier ist niemand normal.   Sicherheitshalber blieb ich diesmal im Türrahmen stehen, wandte mich von dort aus an den Patienten. „Morgen!“, hallte mein Rufen in den Raum, in dem sich jemand regte. „Morgen ist das Gestern von Übermorgen!“, bekam ich Antwort. „Zeit ist nur eine Illusion. Die Wahrheit ist eine Lüge! Alles Lügen!“, schaukelte der Mann mittleren Alters verstört auf der Stelle, fasste sich an den Kopf. „Es sind die Pillen! Die Pillen lügen!“ O-kay. Aber wenn er die Medikamente nimmt... macht es ihn dann nicht selbst zum Lügner? Vorsichtig sprach ich ihn an. „Die Pillen-“ „Psch!“, zischte er mir zu. „Sprich es nicht aus!“ Gar panisch sah er sich um. „Sie können dich hören. Sie sind überall!“ Die Kameras? „Die Fäden“, verzerrte eine Grimasse sein stoppeliges Gesicht, „wir alle tanzen auf ihnen.“ Gewaltsam rüttelte er am Bettgitter. „Wo sind meine Pillen!? Gebt sie mir! Ich brauche meine- Psch! Ich darf es nicht aussprechen... Darf nicht... Psch...“ Ich zwang mich ruhig zu bleiben, erklärte ihm; „Medikamentenausgabe ist beim Frühstück.“ Und verließ den Raum wieder. Innerlich schauderte es mich. Einen solch kaputten Menschen zu sehen, ließ mich nicht kalt. Was ich mir hier vorgenommen hatte, war kein Spaziergang für meine Nerven. Schwach werden, konnte ich mir nicht erlauben. Einmal atmete ich tief durch, bevor ich zur nächsten Tür ging.   „Tretet ein, tretet ein!“, wurde ich von einem stark behaarten Typ mit Fellohren hereingebeten, blieb wieder auf Sicherheitsabstand. „Der Zirkus hat rund um die Uhr geöffnet! Stimmt's, Richie?“, fragte er die Wand. „Du bist ein guter Löwe, mein Richie...“ Sein Blick schweifte zu mir. „Der Clown hat eine rote Nase“, lachte er leise und sprach dann im Flüsterton; „Aber erzähl's ihm nicht.“ Ich rang mich zu einem netten Ausdruck durch. „Ich werd's ihm nicht verraten.“ Und kam ihm verbal entgegen. „Gönn dir eine Pause, geh etwas essen... 'Richie' kann die Manege solang übernehmen.“ Psychologisches Denken: Lasse den Patienten im Glauben seiner Welt und begebe dich auf eine Ebene mit ihm. Es fruchtete. „Richie kann das. Richie ist eine Hauptattraktion!“, begann er die Wand lobend zu streicheln – mein Stichwort zu gehen.   Im nächsten Zimmer brannten viele Kerzen. Dürfen Patienten überhaupt mit Feuer hantieren? Der Mann mit einer Frisur, die nach einer Drei aussah, betrachtete die Kerzen wie hypnotisiert. „Wachs...“, schwärmte er, „Es ist zu schön, um es den Kerzen zu lassen, sie müssen abbrennen. Das Wachs muss frei sein!“ Er beachtete mich nicht, weswegen ich einen Schritt in den Kerzenschein trat, ihn ansprach. „Im Esszimmer gibt es auch Kerzen“, lockte ich seine Aufmerksamkeit, „viele Kerzen.“ Das erfreute ihn. „Freiheit dem Wachs!“ Als er zum Frühstück ging, löschte ich die Kerzen. Sicher ist sicher.   Stockdunkel war es im nächsten Raum. Das Licht vom Flur drang durch die Tür, enthüllte ihn. Den Kerl, der von der Decke hing. In einem Fledermauskostüm. Er öffnete seine Augen und sagte mit verstellt tiefer Stimme: „Ich bin Batman.“ Aaalles klar. Dann fing er an in hohen Tönen zu singen. „Ich häng ab~ nichts hält mich am Boden~“ Elegant sprang er herunter, landete adrett, kniend, und zog sein Cape über seine untere Gesichtshälfte, ehe er dem Licht entgegen zischte. Dann schlich er in einer Heldenpose an mir vorbei, als wäre er auf geheimer Mission. Genannt: 'Auf zum Bat-Frühstück!' Seufzend lüftete ich meine Kappe, sah ihm nach, wusste nicht ob ich weinen oder lachen sollte.   Auf meinem Rundgang begegnete ich vielen eigensinnigen Personen, jeder für sich in seiner eigenen Welt. Allesamt hatten sie eines gemeinsam: Die Medikamente, die sie einnahmen. Welche wusste ich nicht, würde es aber bei nächster Gelegenheit erforschen. Die Wirkung der Mittel erzielte zwar die Beruhigung, aber die Psychose schien sie nicht zu lindern. Absichtlich? Will die Anstalt die Patienten womöglich gar nicht heilen? Weil sie sonst Gelder und 'Mittel zum Zweck' verliert? Oder ist das merkwürdige Verhalten der Leute Normalzustand? Die Suche nach Hinweisen erwies sich als schwieriges Unterfangen. Dadurch, dass das Personal keinen Kontakt, außer dem Nötigsten, zu den Bewohnern haben durfte, konnte ich keine Befragungen durchführen und musste mich mit den wenigen Gesprächsfetzen begnügen. Was hat es mit 'den Fäden' auf sich? Kann ich den Worten von Geisteskranken trauen? Sind es nicht oftmals die Verrückten, die die Normalen sind?   Der Essenssaal war prunkvoll dekoriert, mit Gold, Girlanden und Kronleuchtern – an einem von ihnen hing der Fledermaus-Typ – der Esstisch reichlich gedeckt. Alle Bewohner von Station 1 und 2 aßen zusammen. Es erinnerte an ein makaberes Familienessen. Das Personal stand abseits, bewachte das Ganze. Shachi lief um den Tisch, faltete die Servietten und wünschte jedem einzelnen Teilnehmer einen 'guten Appetit', während ich den Leuten Kaffee nachgoss – und mir selbst zwei Tassen mit viel Milch nahm. Der Kaffee glich Wasser mit braunem Farbstoff, so verdünnt war er. Placebo-Effekt. So trank ich mein heißes Wasser mit Milch und beobachtete unauffällig das Geschehen. Mein Kappenschirm so weit über meine Augen gezogen, dass niemand mein Tun bemerkte. Mein Blick schweifte über die Angestellten.   Eine Frau in knappem Maid-Outfit fragte die Patienten regelmäßig, ob 'jemand sie brauchte.' Ein rundlicher Kerl mit Hasenzähnen und Propeller-Haaren wirkte eher gelangweilt, bohrte in der Nase herum und schien sich weniger für die Patienten und mehr für das Essen zu interessieren. Wohingegen ein konsequent wirkender Mann in schwarzem Mantel, mit mechanischem Aussehen und großer grauer Igel-Frisur strengstens alles überwachte. Sein Gesicht war hinter weißem Mundschutz und einer Rundbrille verborgen. Er hatte etwas Explosives an sich, als seine Laune plötzlich umsprang. „Buffalo, Baby 5!“, brüllte er den beiden Bediensteten zu, „haltet Abstand!“ „Jawohl, Gladius!“   Meine wachsamen Augen glitten über die Patienten, die sich rege unterhielten. Meist redeten sie aneinander vorbei, führten wirre Gespräche, die ich nicht verstand. Nur ein paar Sätze schnappte ich auf. „Die Karten haben zu mir gesprochen... Der Pechvogel wird von ihm heimgesucht werden.“ Sieht der Kartenleger mich an? „Von ihm? Dem Geist?“, kicherte ein Mädchen im Lolita-Kleid und drehte ihren schwarzen Sonnenschirm. „Die Geister sind lustig.“ „Geister? Mir zittern die Knochen. Yohohoho~ Und ich bestehe nur aus Knochen!“, lachte der schlanke, fast unterernährte Kerl mit Afro. „Zeit für ein Lied!“, begann er mit dem Besteck einen Rhythmus zu erzeugen und zu singen.   Am anderen Tischende formte ein Patient eine Figur aus Kartoffelbrei, ein anderer schnitzte aus einem Brötchen Kunst. Kreative Köpfe gab es unter den 'Anders-Menschen' viele. Mittig spielten zwei gegenübersitzende Frauen ein Ball-Spiel – mit einem Käsebällchen, das in rotem Wach verpackt war. „Wachs!“, griff die 3er-Frisur nach dem Käse, den er dicht an seine Brust hielt. „Was tut ihr dem armen Wachs an?“, streichelte er es. „So schön rot...“ Der Clown neben ihm schnaubte. „Was hast du über meine Nase gesagt?!“ Unruhe kam auf, was Gladius zu verhindern wusste. Er entzündete einen China-Böller, den er auf den Esstisch warf. Laut explodierte er, ließ Geschirr scheppern, schleuderte die Tischdekoration umher, stellte alle Anwesenden ruhig.   Ich verfolgte das Spektakel nicht weiter – durfte mich nicht einmischen – leerte meine 'Kaffee'-Tasse und begann mit Shachi zusammen abzuräumen. Mich beschlich das Gefühl, als würde der Kartenleser mich nicht mehr aus den Augen lassen. Nur Einbildung? Als ich zu ihm sah, ruhte sein Blick wieder auf den Karten, aber sein Grinsen war beunruhigend.   Anschließend waren wir dafür zuständig, die Leute zurück auf ihre Zimmer zu bringen. Heute war keine größere Aktivität geplant, Selbstbeschäftigung stand auf dem Plan. Heißt: Die Patienten wurden sich selbst überlassen. Über den Tag gab es keine nennenswerten Vorkommnisse. Zum Mittag- und Abendessen das gleiche Prozedere: Abholen, Aufpassen, Zurückbringen. Die trügerische Ruhe gab mir Zeit zum Nachdenken. Im Gegensatz zu gestern – wo wir von allem und jedem ferngehalten wurden – begegneten wir heute vielen neuen Gesichter. Von den Angestellten wurden wir meist ignoriert, wenn wir ein Wort wechselten, dann nur um strikte Anweisungen zu erhalten. Kein angenehmes Arbeitsverhältnis. Wir wurden nach wie vor wie Außenstehende behandelt. Hätte schlimmer kommen können.   Nach unserer Schicht sollten wir sofort zu unserer Wohnunterkunft zurück. Wir wurden regelrecht aus dem Herrenhaus gescheucht. Obwohl wir zum Personal gehörten, wurden wir zurück zum Turm eskortiert. 'Zu unserer eigenen Sicherheit.' Der Junge mit Highheels kicherte gehässig, als er uns durch den Innenhof führte. Sein Kichern ging mir echt auf die Nerven. „Was ist so lustig?“, fragte ich ihn knurrend und verschränkte meine Arme. Verhöhnend hielt er sich eine Hand vor den Mund, seine gehörnte Kappe wackelte weiterhin, deutete auf sein wenig unterdrücktes Lachen hin. „Doffy wird nicht erfreut sein.“ Was fürn Doofi? „Seine Strafe wird so grausam sein! ChäChä!“   Ich bezweifelte stark, dass der Kerl zu den Angestellten gehörte, so irre, wie der sich aufführte. Selbst nachdem er uns ans Ziel brachte, ebbte sein grässliches Kichern nicht ab. Die geschlossene Turmtür dämmte es kaum. Haben sich die Spinnenweben vermehrt?, bemerkte ich die vielen Fäden, die im Turm-Treppenhaus klebten. Sie glänzten im Sonnenuntergang, dessen rötliches Licht durch die kleinen Halbrundfenster ins Innere drang. „Wo ist Spinni hin?“, fragte sich Shachi traurig. Brummend murmelte ich; „Das will ich echt nicht wissen.“   Ein schweres Geräusch erbebte hinter uns. Jemand verriegelte die Turmtür, sperrte uns hier ein. Damit wir nicht nochmal rauskamen, auch nicht mit Shachis Dietrich namens 'Dieter'. Dieser Einfallsreichtum. In unserer Wohnung seufzte ich, sah aus dem Fenster, beobachtete die untergehende Sonne. Ich wurde nervös. Sobald die Nacht hereinbrach, sollte ich ihn wiedersehen. Aber wie, wenn ich nicht rauskomme? Vielleicht war es auch besser so. Kira wartet auf mich. Soll er doch warten, mir egal-! Nicht mal mich selbst kann ich belügen. Mein Kinn auf meiner Hand bettend, betrachtete ich die vorbeiziehenden Wolken, in denen ich hing. Aus dem Augenwinkel merkte ich es. Etwas Ungewöhnliches: Die Leiter, die vom Innenhof zu unserem Schlafzimmerfenster führte. Was zum-? Mich aus dem Fenster lehnend, am Fensterbrett abstützend, sah ich runter. Am unteren Ende der Treppe war ein billig bekritzeltes Schild aufgestellt: 'Vorsicht, Dacharbeiten!' Doch als ich zum Dach hochschaute, war es völlig unversehrt...   Das Schicksal meinte es nicht gut mit mir. Es wollte, dass ich zu ihm ging. Obwohl ich mir noch immer nicht sicher war, ob das eine gute Idee war. Das war es absolut nicht. Ich und meine Schnapsideen ... Prost!     --     Auf nächtlicher Pirsch, schlich ich auf Zehenspitzen durch den Vorgarten. „Penguin-ya.“ Und erschrak heftig. Muss der sich so anschleichen?! ...Sagt der Schleichende. Seelenruhig spazierte Law mir entgegen, während ich ihn perplex ansah. „Du- Wa- Hä?“ Sehr geistreicher Beitrag. Durchatmend versuchte ich es erneut. „Was machst du auf freiem Fuß? Und warum das 'Ya'?“ Mit seinem tätowierten Zeigefinger deutete er auf seine Schuhe. „Ich korrigiere: nicht 'auf freiem Fuß', ich trage Schuhe.“ Verfluchter Besserwisser! Du weißt genau, was ich meine! Auf meine erste Frage ging er nicht ein, aber auf die zweite. „Mein Therapeut hat mir geraten, nicht zu allem 'Nein' zu sagen... so übe ich mich im 'Ya'-Sagen.“ Indem er es an Namen hängt? ...O-kay.   Seine silbernen Augen bedachten mich mit Schadenfreude. „Du bist noch hier... oberhalb der Erde. Hast du dich bereits eingesargt?“ Hinter meinem Kappenschirm rollte ich meine Augen. „Wie soll ich mich denn einleben, wenn mich an jeder Ecke ein Irrer zu Tode erschreckt?“ „Oh?“, umspielte Amüsement seine Lippen, „Ich habe dich doch nicht etwa erschreckt? Dies tut mir außerordentlich unleid.“ „Das Wort gibt’s nicht mal!“ „Nun tut es dies.“   Der Gedankentrickser puzzelte sich seine eigene Perfektion zurecht. Trotzig verschränkte ich meine Arme. „Hmpf. Puzzle sind was für Streber!“ Auch darauf wusste Law eine neunmalkluge Antwort. „Das Gehirn eines Menschen besteht aus bis zu hundert Millionen Nervenzellen – betrachtet man sie in ihrer Gesamtkomplexität, ähneln sie einem Lebenspuzzle, welches nur ein Genie zu meistern weiß.“   Ich seufzte. „Das hängt mir zu hoch.“ Er schmunzelte. „Galgenhumor hängt höher.“ Ein humorloses Schnauben meinerseits; „Der flache Tiefflieger hat eine Bruchlandung hingelegt.“ „Touché“, hob er seine Plüschmütze an und ging wortlos seines Weges. Mitten im Gespräch!   „Warte“, rief ich ihm flüsternd zu, schaute mich nochmals nach Überwachungskameras um, „ich soll dich grüßen... von Rocinante.“ Der Name brachte ihn zum Anhalten. Nur kurz, ehe er weiter schritt. Seine Mützenkrempe über die Augen schiebend, mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. „Verirre dich nicht im Labyrinth, Peng-ya.“ Was er damit wohl meint? „Pass du auch auf dich auf, Law-nayen“, betonte ich den Anhang belustigt. Über seine Schulter traf mich sein funkelnder Blick. „Ein Aye in einem Nein... wie raffiniert.“ Ein Lob? Von ihm?! Geht die Welt unter? Überrascht ließ er mich stehen. Mein Grinsen wich nicht von meinen Lippen. Ich fange echt an, den Kerl zu mögen. Oh nein. Was stimmt nicht mit mir?   Law war sogar so nett und hatte das Schloss der Luke für mich offen gelassen. Also wusste er, dass ich vorbeikam. Ob das etwas Gutes oder Schlechtes war, sei mal dahingestellt. Es wurde uns bisher viel zu einfach gemacht... Was mich nur noch misstrauischer machte. Es war, als ob sich das karmische Glück ansammelte, nur, um bald mit allem Unglück zurückzuschlagen.   Das drohende Unheil lauerte an jeder Ecke. Im finsteren Kellergewölbe schienen mich die dreckigen Wände auszulachen, mit unsichtbaren Fingern auf mich zu zeigen. Das unruhige Flackern der Lichter erschuf Schemen, die nicht da waren. Eilig zog ich meinen Kappenschirm tiefer, ging automatisch schneller durch den Kellerflur. Wer, außer Law und Kira, 'wohnt' eigentlich noch hier unten? Fragen, die ich mir auf dem Weg zu Kiras Tür stellte, um mich von meiner Nervosität abzulenken. Hoffentlich finde ich das nicht so schnell heraus. ...Zu laut gedacht. Als ich den dunklen Gang mit den Zellen passierte, hörte ich ein lautes Knurren hinter einer der Türen. Es klang grauenerregend, besaß nichts Menschliches, ließ mich kalt erschaudern. Verstört hetzte ich durch den Korridor, auf Kiras Tür fixiert, die ich blitzschnell aufschloss, um mich hinter ihr zu verstecken. Warum suche ich ausgerechnet bei ihm Schutz? Wie ein verschreckter Hase stemmte ich meinen Rücken gegen die Tür, hyperventilierte fast und-   „Welch süßlicher Anblick der Angst.“ W-Was? Mein panischer Blick auf Kira gerichtet, der auf dem abgenutzten Sofa saß, in einer bequemen Position mit verschränkten Armen, augenscheinlich schlafend. Habe ich mich verhört? Nur langsam beruhigte sich mein Puls, langsam sammelte ich mich wieder. Tief Ausatmend, lüftete ich meine Kappe und fuhr mir durch mein kurzes Haar. Schläft er wirklich? Unsicher winkte ich, wollte ihn auf mich aufmerksam machen. Keine Regung seinerseits. Schritt für Schritt traute ich mich zu ihm, betrachtete ihn genauer. Seine Atmung ruhig und stetig, hoben und senkten sich seine Schultern leicht. Sein Nacken auf der Sofalehne gebettet, vor seiner, gen Decke gerichteten Maske ein paar lose blonde Haarsträhnen, die sich in seinem Atemrhythmus mitbewegten. Fragend sah ich ihn an, mein Gesicht näherte sich seiner Maske. Näher, immer näher... Banalität Ahoi!   „Neugier ist tödlich.“ Vor Schreck stolperte ich nach vorne, zu weit vorgebeugt um nach hinten ausweichen zu können, fiel – auf ihn. Reflexartig stützte ich meine Hände links und rechts neben seinem Kopf ab, mit meinem Knie zwischen seinen Beinen. Nichts getroffen! Sprachlos starrte ich auf ihn herab, zu geschockt um mich zu rühren. Ich war ihm so nah, dass ich beinahe durch die Maskenlöcher schauen konnte. Kiras Augenfarbe ist- Legte er seine Maske schief. „Welch stürmische Begrüßung... Dass du gleich über mich herfällst...“ Verdammt seien seine Verführungskünste!   Mich aus meiner Starre reißend, murrte ich ihm verlegen zu. „Bild dir bloß nichts drauf ein!“ „Tue ich“, glitten seine Mundwinkel hörbar nach oben, ehe er den Fakt aussprach. „Und du hast es nicht abgestritten.“ Wie sich seine Brustmuskeln sichtbar anspannten, in aller Selbstverherrlichung – Ich betete, dass der einzelne Knopf seiner geschlossenen Bluse nicht platzte. Als er meinen Blick auf seine Muskeln bemerkte, ließ er sie extra provokant tanzen. Dan-ke. Das ist echt unnötig!   Schnell sah ich weg. „Ich steh nich so auf Muskeln“, nuschelte ich, immer leiser werdend. „Lüge“, durchschaute er mich sofort. Sein Finger fand unter mein Kinn, das er zurück zu seiner Maske dirigierte, der ich meinen giftigsten Blick schenkte. Völlig unberührt, sogar höchst amüsiert, schob er seine Beine weiter auseinander, sodass mein Knie in gefährliche Regionen rutschte. Absolut trocken, in aller Ernsthaftigkeit erwiderte er; „Einen Versuch, mir in die Weichteile zu treten, überlasse ich dir.“ Mein breites Grinsen sprach Bände. „Sehr gern. Aber nicht jetzt – Ich hebe mir die Gelegenheit für später auf.“ Dann, wenn er es am Wenigsten erwartet. Welcher Mann lässt sich freiwillig die Eier pulverisieren?   Lachend fragte ich ihn; „Masochistisch?“ „Sadistisch“, offenbarte er freiheraus, ließ mein Lachen verstummen. Schön, dass wir mal drüber geredet haben. Ist ja gar nicht privat. Ich errötete, bemüht, ihn in der peinlichen Position nicht irgendwo zu berühren. Echt schwer, aber machbar. Es nervte mich, dass er mich mit wenigen Worten so sehr aus der Fassung bringen konnte. Dass er so ein Flirt-Profi war und mich als Niete auf dem Gebiet hinstellte. Ich wollte ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.   Volle Fahrt voraus, auf Flirtkurs! Ich kann das, krieg das hin. Irgendwie. Wie schwer kann flirten mit einem Psycho sein?   „D-Deine Haare sind...“ Gutaussehend? Wild? Rassig? „...blond.“ Voll verhauen!   Mich über meine eigene Unfähigkeit ärgernd, suchte ich schnell nach einem anderen Gesprächsthema. Eines, das passend, aber genauso peinlich war. „Was ist dein Typ?“, klang ich so desinteressiert wie möglich, biss mir unbewusst in die Innenlippe, kaute nervös auf ihr herum. Dass wir uns noch immer viel zu nah waren, verdrängte ich in den hintersten Teil meines Kopfes. Warum hab ich ihn das gefragt? Gespannt wartete ich auf seine Antwort, mit der er sich absichtlich Zeit ließ. Nachdenklich summte er, seinen intensiven Blick auf mir spürte ich in aller Deutlichkeit. Wie seine Augen meine Figur von unten bis oben entlang schweiften.   „Mein Beuteschema?“, wiederholt er, zögerte die nicht vorhandene Spannung unnötig in die Länge, ehe er mit der Sprache rausrückte. „Der impulsive Typ. Emotional, unberechenbar, wiederum leicht auszutricksen. Vielleicht auch etwas ungeschickt... und putzig, wenn er mich mit Blicken erdolchen will.“ Klingt so gar nicht nach mir. Ich konnte es nicht verhindern. Die Enttäuschung, die an mir nagte. Geknickt ließ ich meinen Kopf hängen, wodurch mein Kappenschirm über meine Augen fiel. Klasse. Hab ich mir wieder falsche Hoffnungen gemacht.   „Jedoch“, sprach er weiter, seine tiefe Stimme rauer werdend, ehe er meinen Kappenschirm hochschob, meine Augen mit seinen versteckten einfing, „möchte ich keinen Typ haben, sondern einen Mann.“ Mein Herz holperte. Seine ruchlose Stimme gehörte verboten. „Ein Mann, der mir in die Eier tritt, wenn ich es verdient habe.“   „Also doch masochistisch...“ „Nur in Notfällen.“ „Wenn Not am Mann ist?“ „Oder die Pasta hartgekocht.“ „Du denkst wieder pervers.“ „Jop.“   Beinahe glaubte ich, ihn lachen zu hören. Das verhaltene Geräusch so gedämmt, dass es eher einem unterschwelligen Bassdröhnen glich, welches seine Schultern zum Beben brachte. Er wirkte so losgelöst, so locker, dass ich mich automatisch entspannte. Haltlos sackte mein Kopf auf seine muskulöse Brust. „Wie machst du das?“, flüsterte ich in den weiten Kragen seiner gepunkteten Bluse. „Wie kannst du bei Verstand bleiben und ihn mir zeitgleich rauben?“ Seine Hand strich über meinen Rücken, drückte mich weiter an sich, während er mir durch ein Mundloch seiner Maske ins Ohr hauchte. „Ein Dieb verrät seine Tricks nicht.“   Gib zurück, was du gestohlen hast. Mild lächelnd schaute ich zu seiner Maske auf. Spürbare Minuten blieben wir so, fühlten die Nähe des anderen. Bis mein vorlautes Mundwerk alles ruinierte. „Verschone mich“, mimte ich die Opferrolle, grinste, „und kill mich nicht mit Killer-Sprüchen.“   Urplötzlich wandelte sich sein Wesen. Von harmlos zu gefahrvoll. Er drängte mich von sich herunter, nicht gewaltsam, aber bestimmend. Als wäre ich ihm zu nah gekommen, als hätte ich eine Grenze überschritten. Seine kalte Reaktion war beängstigend. Verwirrt landete ich im Sofapolster, das meinen Aufprall abfederte, sah ihn verwundert an. Der Schatten war wieder da, seine Aura dunkler. Kiras Präsenz kälter werdend, auf eine neutrale Temperatur sinkend.   „Lass uns essen“, wirkte auch sein klarer Stimmton kühler, wie ein trüb gehauchter Kristall. Ich verstand nicht, warum er auf einmal so anders war, tolerierte es vorerst, versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Und fragte; „Essen? Sag bloß-“ „Pasta.“ Natürlich. „Woher hast du-?“ „Kontakte.“ Er unterbrach mich viel zu oft. Als würde er vehement die Kontrolle behalten wollen, sie erzwingen.   So wenig Aufmerksamkeit wie möglich, gab er mir. Doch mehr, als wenn er mich völlig ignorierte. Gefassten Schrittes, seine Bewegungen absolut geräuschlos, ging er in das angrenzende Zimmer – die Küche? - und kam mit zwei Papptellern wieder. Auf ihnen etwas, was ungenießbar aussah. „Ein Fertig-Gericht?“ Nur ein zustimmender Laut, dann schwieg er komplett. Was hat er nur? Die sich intensivierende Stille besaß etwas Verfremdendes. Wenn es so still um ihn wurde, war höchste Vorsicht geboten.   Ich erkannte Kira kaum wieder. Auch wenn ich ihn nur flüchtig kannte, so war sein Verhalten erschreckend merkwürdig. Beunruhigt nahm ich das Plastikbesteck, mit dem ich in dem kalten Essen herumstochert. Selbst das leise Kratzgeräusch wurde von der erstickenden Stille verschluckt. Unwohl und fehl am Platz, so fühlte ich mich. Das kalte Anschweigen war unerträglich. Warum behandelt er mich plötzlich so abweisend? Habe ich etwas Falsch gemacht? Plagende Gedanken und Selbstzweifel. Das, was ich jetzt am Wenigsten gebrauchen konnte. Mein Blick zuckte verunsichert zu ihm. Wie eine Steinstatue wirkte er, fast leblos, seine Maske auf den unberührten Teller vor ihm gerichtet. Abermals bildete ich mir ein, dass seine Maske einen unsichtbaren Riss aufwies, mittig, sein Gesicht spaltend. Ein Trugbild meiner verängstigten Phantasie, in die ich mich flüchte. Ich hielt es nicht aus.   Zwischen meinen aufeinander gepressten Zähnen zitterte meine Stimme hervor. „Es ist besser, wenn ich gehe-“, wollte ich mich erheben. Doch seine pfeilschnellen Finger bohrten sich in meinen Unterarm. „Bleib.“ Die Schärfe seines Befehls war präzise und unmissverständlich. Dennoch hörte ich es heraus: Die Einsamkeit. Der winzige Unterton, der seine klare Stimme verfälschte. Ich konnte ihn jetzt nicht allein lassen.   Meine Hand fand seine. „Kira“, bei Erwähnung seines Namens zuckten seine mich festhaltenden Finger, „du tust mir weh.“   Sofort ließ er mich los, verlor kein Wort darüber, widmete sich stattdessen dem Pasta-Gericht, dessen Spaghetti-Nudeln er durch die Löcher seiner Maske verschwinden ließ. Sieht echt albern aus. In einer anderen Situation hätte ich darüber gelacht. Gerade war mir nicht danach zumute. Wieder fühlte ich mich alleingelassen mit meinen Gedanken, die sich überschlugen. Nebensächlich aß ich kleine Happen, warf ihm dauerhaft scheue Blicke zu, versuchte aus ihm schlau zu werden. Ich hatte nicht viel Ahnung von Psychologie, aber selbst ein Blinder erkannte, dass etwas mit ihm nicht stimmte.   All meinen Mut nahm ich zusammen, kämpfte gegen die dunkle Atmosphäre, die meine Stimme erneut zu erdrosseln drohte. „Was... kann ich tun, damit es dir besser geht?“, bot ich ihm vorsichtig meine Hilfe an. „Bleib“, wiederholte er monoton. Es klang nach einer abgespulten Kassette, die verzerrte. Bevor das schwere Schweigen erneut über uns einbrach, wehrte ich es weiter ab, übernahm den Gesprächspart. Und wählte das absolut unpassendste Thema. Weil mich das schlechte Essen an etwas erinnerte.   „Mein Ex“ Fettnäpfchen Hallo, hier komme ich! „ist ein Arschloch.“ Kira reagierte. Anders, als erwartet. Langsam, wie in Zeitlupe, drehte er seine Maske zu mir. „Soll ich ihn umbringen?“ Das Eis seiner Worte war spürbar. Er würde es tun. Ohne zu zögern.   Die Stimmung schwankte erneut Richtung Bedrohung, hätte ich sie nicht versucht zu retten. „Nicht nötig. Karma regelt!“, klang mein humorvoller Ton viel zu kläglich. Schepp grinsend, fuhr ich mit meinen Fingern beschämt meinen Kappenschirm entlang. „'Tschuldige, dass ich es angesprochen hab.“ Nuschelnd fügte ich hinzu; „Ich Idiot vermassel Dates immer.“   „Date?“, weckte das Wort seine vollste Aufmerksamkeit. Mit einem Mal war er wieder geistig anwesend. Seine sonst so gefasste Stimme klang überrascht. „Du betrachtest dies als Date?“   Verlegen brummte ich; „Naja, wir waren verabredet... ergo ist es ein Date“, erklärte ich logisch, zwang mich zu einem verkrampften Grinsen. „Ohne den Gruselfaktor, wär's echt romantisch.“   „Romantik wird überbewertet“, klang er verschlossen und gleichgültig, beinahe verfeindet. „Liebe ist eine Lüge.“   Ich hörte die unterschwellige Botschaft heraus. „Du glaubst nicht an die Liebe?“ „Nein.“ Vier Buchstaben in Eis gefroren. Das Dümmste, was ich hätte sagen können: „Heißt das, du bist Jungfrau?“ Kurz wurde es still, sehr still. Bis er trocken erwiderte; „Wassermann, von Sternzeichen.“   Auf meinen entgeisterten Blick folgte sein hörbares Amüsement. Aber das gedämmte Lachen seinerseits erstickte jäh. Als würde er es gewaltsam unterdrücken. Abgelöst von etwas Düsterem, das seinen in Diamant geschliffenen Stimmklang splitterte. Die Finsternis ergriff Besitz von der Stille. Kiras Aura die Dunkelheit selbst, ließ mich innerlich zusammenfahren.   „Hast du Angst?“, gierte er zu erfahren, „Vor mir?“ Warum fragt er mich das immer wieder? Intensiv belauerten mich seine Augen, die jede Regung von mir bewachten. Jede Lüge hätte er durchschaut. So blieb mir nur die Wahrheit.   „Nein“, schüttelte ich meinen Kopf, hielt seinem Blick entschlossen stand, „nicht vor dir, Kira.“ Er schien nicht zufrieden. „Was ist es dann, das dich fürchten lässt?“ Vieles, verdammt vieles. Ich war nicht der Mutigste, auch nicht der Coolste, war pessimistisch und impulsiv, hatte mehr Schwächen als Stärken. Ich war echt nicht gut im Umgang mit Gefühlen... wie sollte ich da meine Angst in Worte fassen? Gedankenvoll blickte ich seine Maske an, blickte durch sie durch, direkt in seine Augen.   „Wovor ich mich am meisten fürchte?“, wurde meine Stimme sanfter, zerrüttet von Zweifeln, die sich in Ehrlichkeit erhellten, „davor, dass ich dich an die andere Welt verliere.“ Interessiert legte er seine Maske schief, eindringlich meinen Worten folgend. „Dass sie unerreichbar für mich wird... Deine Welt... Du.“   Er hat mich dort, wo er mich haben will.   Hinter seiner Maske verzerrten seine Lippen, gezeichnet von dunkler Verführung. „Möchtest du, dass ich dich entführe?“, machte er mir ein Angebot, dessen Verlockung mein Herz erschaudern ließ. „Mich... entführen?“, brachte ich wie in Trance hervor, verfiel erneut seinem Bann, in den er mich zog. Keine Chance, ihm zu entkommen.   Ich spürte seine kalten Finger. Wie sie mich berührten, ganz anders als zuvor, viel kälter und bedrohlicher. Wie sie zu meiner Hand wanderten, über meinen Arm, meine Seite, meine Hüfte, zu meiner leeren Hosentasche. Es klirrte leise.   Und er stellte mich vor die Wahl. „Du hast den Schlüssel für meine Maske.“ Ließ er das Objekt in meine Hand fallen.   In düsterer Dominanz sein Flüstern, welches meine Sinne betörte. „Öffne sie.“   Die Tür zu meiner Welt.       . . .       Ein Schlüssel und ein Schloss. Beide füreinander geschaffen.   Und dennoch dazu bestimmt, ihr Dasein in Trennung zu fristen.   Sie müssen vereint werden. Aber wenn sie Eins sind, bricht das Schloss in Zwei.   Alles splittert, nichts überdauert. Die Zeit ist vergänglich, selbst das Ewig endlich.   Jedoch gibt es etwas, das sich festzuhalten lohnt: Die Erinnerung, die wir sind.   Jeder Moment mit dir, graviert sich in mein Leben, lässt mich dem Tode nah sein.   Ich falle. Immer tiefer. Ins schwarze Meer deines innersten Abgrunds, in dem ich zu ertrinken drohe.   Von Gift betrunken. Von dir vergiftet.   Es tut weh.   Die zerbrochenen Spiegel deiner Seelenscherben schneiden sich blutend in meine Brust.   Ich spüre dich. Fühle dein Gefängnis. Leide mit dir.   Dein Gefangener, in seelischen Fesseln.   Wer von uns ist wessen Schlüssel? Wer das Schloss, das bricht?   Kira... Zeig mir die Wahrheit. Kapitel 3: Dead End ------------------- „Du hast den Schlüssel für meine Maske.“ „Öffne sie.“   Seine Maske öffnen? Was geschieht, wenn ich es tue?   Ich konnte nicht klar denken. Mein Kopf wie leergefegt. Und etwas manifestierte sich in meinen Gedanken. Ein fremdes Flüstern, dessen Botschaft ich nicht verstand. Als würde es in einer unbekannten Sprache zu mir sprechen. Es wurde lauter, sobald mein Blick hinabfiel. Der silberne Schlüssel lag in meiner Handfläche, die ich unsicher anstarrte. Wie der Gegenstand plötzlich in meine Hosentasche gelangte, war äußerst rätselhaft. Ich war mir absolut sicher, dass er vor wenigen Momenten noch nicht dort war. Er kann sich wohl kaum von selbst materialisiert haben. Oder? Wie hypnotisiert blickten meine Augen das schimmernde Objekt an. Rauer Rost hatte bereits angesetzt, wies daraufhin, dass der Schlüssel lange nicht benutzt worden war. Der silberne Kopf geformt wie ein Totenschädel mit zwei schwarzen Rohdiamanten als Augen, die mich direkt anschauten. Ich sah mein Abbild trüb darin spiegeln. Das kalte Metall schien sich in meine Haut zu brennen. Es lockte mich, war verdammt reizvoll. Kira neben mir schwieg, abwartend, lauernd. Meiner Entscheidung auflauernd. Nur eine einzige Handbewegung nötig. Es war so einfach. Und doch viel zu kompliziert.   Warum trägt er die Maske? Wie lange bereits? Tage? Wochen? Monate... gar Jahre?   Wie dunkel ist der Ort, der dich gefangen hält? Wie still die Einsamkeit, die dich deiner Selbst beraubt?   Ich ballte meine Hand zur Faust, der Schlüssel drückte sich in meine Innenfläche. Meinen Kopf zu Kira drehend, wurde meine Handfläche leicht schwitzig. Mir allein gab er die Macht über etwas so Wichtiges. Obwohl er stets die Kontrolle behalten wollte. Meine freie Hand hebend, bewegte ich sie in Richtung seiner Maske, wenige Millimeter vor ihr stoppend, sie nicht berührend. In einer Geste, als würde ich ihre Außenhülle mit meinen Fingern entlangfahren. Was verbirgst du hinter ihr? Was willst du mir zeigen? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. 'Verirre dich nicht im Labyrinth, Peng-ya.', erinnerte ich mich an Laws Worte. All meine Fragen führten in eine Sackgasse, zu jeder Frage kam eine weitere. Ich brauchte Antworten. Meine Neugier war unendlich. Kiras Zustimmung hatte ich erhalten. Was hält mich auf? ...Nichts. Und alles.   Ich sollte gar nicht hier sein. Sollte keinen Kontakt zu ihm haben... keine Sympathie... Sollte... Wo bleibt da mein eigener Wille? Nicht das Sollen ist entscheidend – das Wollen. Was will ich wirklich?   Das silberne Objekt begann in meiner Hand zu pulsieren, kribbelte bis in meinen Unterarm. Links – auf Herzseite. Als versuchte es auf mein Herz überzugreifen, doch es nicht erreichen könnend. Mein Lebensorgan wummerte so stark gegen meine Rippen, dass es jedes andere Gefühl überragte. Plötzlich wurde der Totenschädel still. Und meine innere Stimme laut. Weil ich mich entschieden hatte. Meine ruhig gewordene Hand fand ihr Ziel, legte sich um die glatte Hinterseite seiner Kopfdeckung, berührte die dünnen Stäbe, welche die Ohrseiten verbanden – Die Trägerstange so gedreht, dass sie von Hinten um seinen Hals lag, ihn einschloss, aber nicht würgte. Langsam, ohne Zögern, führte ich den Schlüssel zum Vorhängeschloss am hinteren Teil von Kiras Maske und- ließ den Gegenstand schreckhaft fallen.   Die Alarmsirenen schrillten auf. Ein ohrenbetäubendes Heulen randalierte über das gesamte Gelände, inklusive der Flure, die in warnenden Orangetönen grell blinkten. Das Leuchtsignal drang durch das Türfenster zu uns durch, flutete den halbdunklen Raum. Was ist los?! Ein ansteigender und abfallender Warnton; hoch im Klang, hohl im Abfall. Was bedeuten das? Bin ich aufgeflogen!? Panik kroch unter meine Haut. Das heulende Geräusch sträubte meine Nackenhaare. Unbewusst spannte ich mich krampfhaft an, war total überfordert mit der plötzlichen Situation, sah hilfesuchend zu Kira, der die Ruhe selbst blieb. Bedacht drehte er seine Maske in Richtung Zimmerecke, zur Kamera, wo sein 'Kontakt' sitzen musste, mit dem er stumm mittels Fingerzeichen kommunizierte.   „Raus da!“, brüllte die basstiefe Stimme aus dem Decken-Lautsprecher, „haut ab!“   Zu spät. Die automatische Türverriegelung setzte ein. Der Mechanismus knackte ratternd, der Riegel rastete fest, schloss uns hier ein. Ach du verdammte- „Fuck!“, fluchte die Kontaktperson, „Fuck, Fuck!“ Das... ist kein gutes Zeichen, oder? Was zum Henker passiert da draußen?!   „Die Bekloppten sind ausgebrochen“, knurrte der mir Unbekannte, „die drehen total durch. Der Pyromane hat das Obergeschoss in Brand gesteckt, als jemand ihm gezwitschert hat, dass sein Bruder in ne Gummizelle gestopft wurde. Einige ha'm das Chaos genutzt und nen Aufstand angezettelt.“ Kira gestikulierte ihm etwas zu, erhielt Antwort, in Form eines Zähneknirschen. „Ihr seid nich sicher... Er kann jederzeit bei euch aufkreuzen“, spuckte er das 'Er' aus, sein Brüllen an Befehlsstärke gewinnend. „Du musst da weg, Kira! Ich werd die Sicherheitsanlage schrotten-“ Kiras Fingerzeichen unterbrachen ihn. Rascher und nachdrücklicher formte er stille Botschaften. Ich verstand sie nicht, aber konnte anhand des Bewegungsmusters und der Antwort Teile erschließen. Die beiden schienen zu diskutieren. „Komm mir nich mit deiner scheiß Moralpredigt!“ Kira hat wirklich filigrane Finger... aber die blassen Schnittnarben verleihen seinen Händen etwas Grobes- Warum fällt mir sowas gerade jetzt auf? Konzentriere dich! „Ja, ja, ich pass auf, dass ich nich aufflieg. Nein, ich sorg mich verfickt nochmal nich um dich! Hör auf so bescheuert zu grinsen!“ Ich sah zu Kiras Maske, erkannte nichts Mimisches. Woher weiß der Kamera-Typ, dass er grinst? Bevor die Leitung verstummte, knurrte der Kontakt noch ein; „Macht, dass ihr da rauskommt – Sofort.“ Ein Befehl. Kurz knackte und rauschte der Lautsprecher, dann war er verschwunden.   Kira senkte seine Maske, an deren Unterseite er seine Finger legte, in einer nachdenkenden Pose. Ich sprach es aus. „Aber wohin sollen wir gehen?“ Vermutlich ist das Gelände ringsum abgeriegelt, alle Ausgänge blockiert, die Wachen überall. Überlegend verzog ich meine Lippen. „Hey, wenn wir nicht rauskommen, kann auch niemand hier rein, oder?“ „Er kennt Wege“, zerschlug er meine Hoffnung, seine Stimme abwesend und distanziert. Langsam machten sich Sorge und Unruhe in mir breit. Zur Ablenkung äußerte ich meine Gedanken. „Was ist mit den Schlüsseln?“ „Nutzlos.“ „Gibt es Fenster?“ „Nein.“ „Irgendwelche Ausgänge?“ „Keine.“ „Und was ist mit-?“   Mein Handy klingelte. Das ist es! Eilig fummelte ich das Gerät aus meiner Hosentasche, zog es hervor und schaute darauf. Ein Verbindungsbalken. Besser als nichts. Ein hastiger Drücker auf den grünen Hörer, dann stellte ich auf laut. „Peng?“ Shachi. Im Hintergrund brach die Hölle los, die Geräuschkulisse von Stimmgewirr, Poltern und Lärm übertönte seine helle Stimme beinahe komplett. Shachi lächelte dem Hörer zu. „Hast du Spaß auf deinem Date?“ Das ist doch jetzt total unwichtig! Kira neben mir grinste hörbar. Leute, bleibt an den Bällen! …Nicht so gemeint!   „Shachi, wo bist du?“, versuchte ich meine Sorge zu verbergen. „Was ist los? Und... wer ist bei dir?“, nahm ich die fremde Person wahr, die fröhlich neben ihm lachte. In so einer brenzligen Situation! „Fluffy ist bei mir.“ 'Fluffy'? „Shi Shi Shi!“ Mein Bruder strahlte. „Ich hab ihn in der Hüpfburg besucht.“ Oh nein, sag mir nicht... „Shachi“, wechselte mein fassungsloser Ton in Strenge, „sag mir nicht, dass du etwas mit dem Ganzen zu tun hast.“   Statt meinem Bruder, antwortete der Gummizellen-Junge. „Wir doch nicht.“ Hat er einen Schmollmund gezogen? Er hat nicht mal versucht, zu lügen! „Ace hat so ein schönes Feuerwerk gemacht.“ Ein Feuerwerk? Mitten in der Klinik?!   „Kein Feuerwerk“, korrigierte Shachi ihn, „wir haben gebacken. Der Kuchen war so hübsch mit Kerzen dekoriert! Die tollen roten Stangen, die Gladiole uns ausgeliehen hat. Olaf, der Ofen, hat aber Bumm gemacht. Die Streusel sind in alle Richtungen geflogen und-“ „Chi, die Kurzfassung!“, durchbrach ich seinen anschwemmenden Blubberfluss. Nicht zu fassen... Sie haben Gladius beklaut und Feuerwerkskörper als Kerzen benutzt... Bei so viel Walfischtran fehlen mir die Worte. „Sei bitte nicht böse, Peng-Peng. Ace hat Fluffy nur eine Freude machen wollen“, klang Shachi traurig. „Jetzt suchen ihn alle, das ist nicht fair.“   Um Fairness geht es hierbei nicht. Interessant, wie sich verschiedene Perspektiven auf das Gesamtbild auswirken. Es war also keine Brandstiftung, sondern ein 'Versehen' aus gutem Willen heraus. Aber die Ausgangssituation blieb die Gleiche. Ich war nicht sauer. Viel mehr geschockt und fassungslos. Noch wichtiger aber: „Ist dir was passiert, Shachi?“ Ein Schmatzen am anderen Ende. „Der Kuchen ist bäh.“ Ihm geht’s gut, zu gut!   Seufzend zog ich meinen Kappenschirm tief. „Lasst euch nicht erwischen, okay?“ „Yo-kay!“, salutierte Shachi. Selbst ohne ihn zu sehen, hatte ich ihn vor inneren Augen, kannte ihn in und auswendig. Dann gab er das Handy weiter, mit den Worten; „Jemand will dich sprechen.“ Jemand? Wer-? „Penguin-ya.“ Law klang genervt. Ein Autoritätston prägte seine ausdrucksstarke Stimme. „Bleib, wo du bist.“ Aber Kiras Kontaktperson hat gesagt... Ich bin verwirrt. Wem soll ich vertrauen? Und fasste einen Entschluss. „Verstanden, Law.“ Kiras Blick auf mir, den ich ignorierte. Gleichzeitig klickte die Türverriegelung auf. Was Law vernahm. „Eustass-ya-nayen“, zischte er in den Hörer. Das Nein wie ein Fluchwort. Nie klang ein Name skalpierender. Schnell bewahrte Law wieder sein Pokerface. „Wir werden hier die Stellung halten.“ Damit legte er auf.   Locker ließ ich mich in die Sofalehne fallen, griff unter meine Kappe, raufte mir durch mein Haar. Kira betrachtete mich noch immer. „Du möchtest hierbleiben?“, fragte er mich monoton, woraufhin ich ihn angrinste. „Ich hab 'verstanden' gesagt, nicht 'ja'.“ Für wen ich mich wirklich entschieden habe... „Ich bleib da, wo du bist.“   Kira lehnte seine Handfläche über seine Maske, als würde er sein Gesicht verdecken wollen. „Warum?“, wollte er wissen, konnte nicht begreifen. „Was ist es, was dich an mich bindet?“ Verständnisvoll blickte ich ihn an. „'Bleib'“, wiederholte ich, „du hast es selbst gesagt. So kann ich dir helfen, so helfe ich dir.“ Anhaltendes Schweigen seinerseits, weswegen ich weiter ausführte: „Weil es sich richtig anfühlt, darum.“ Das tut es wirklich.   Hart starrte mich seine Maske an. „Vertraue nicht naiv.“ Ein warnender Ton trübte seine kristallklare Stimme. „Lass dich nicht von Emotionen beirren. Sie machen dich schwach.“ Entschlossen schüttelte ich meinen Kopf, vertrat eisern meine Meinung. „Gefühle sind keine Schwäche, sie sind eine Stärke!“ – Meine vollste Überzeugung.   Leiser werdend, aber nicht an Worttreue verlierend, erklärte ich sanft; „Wenn man das Leben nicht fühlt, verliert alles an Bedeutung. Ohne Emotionen ist es kein Leben, nur eine leere Existenz.“ Er ließ mich sprechen, ließ mich nicht aus seinen Augen, deren versteckter Blick ich nicht deuten konnte. „Kranke Menschen fühlen den Schmerz, überwinden ihn, lernen ihre Gesundheit erst dann richtig zu schätzen. Menschen verlieben sich, aber müssen erst lernen, was Liebe ist. Erst, wenn einem das Herz gebrochen wird, man Herzschmerz erfährt, lernt man die Tiefe der Liebe kennen. Verrückt, oder?“, zuckte ich gelassen mit meinen Schultern, mein milder Blick auf ihm. „Wer nicht richtig tickt, dessen Uhr dreht sich halt anders. Was ist so schlimm daran, anders zu sein?“, lächelte ich ihn an, löste etwas in ihm aus. Sein Körper spannte sich an, als würde er die Luft anhalten.   Zögerlos streifte ich mir meinen weißen Overall von meinen Schultern, schob mein schwarzes Muskelshirt nach oben, bis zu meiner Brust, die ich enthüllte. Die blasse Kreuznarbe auf meiner linken Brustseite, die ich ihm zeigte. Begleitend meiner zweifellosen Stimme; „Jede Wunde kann geheilt werden“, zog ich das Shirt wieder herunter, drehte meinen Zeigefinger einmal gegen den Uhrzeigersinn in einer verspielten Geste. „Jedes Uhrwerk schlägt, wenn die Zeit gekommen ist.“ Meine Augen strahlten in seelischer Stärke. „Und jeder Schatten braucht sein Licht.“   Mächtig flackerte seine Aura, spürbar flimmerte die Atmosphäre. Als wüsste er nicht mit meinen Worten umzugehen. Schließlich erwiderte seine von Eis geschliffene Stimme; „Du weißt nicht, wovon du sprichst.“ Die Kälte seiner Worte prallte an der Wärme meiner Herzwände ab. „Dann lehre mich es zu verstehen“, blickte ich ihm tief in die Maskenlöcher auf Augenhöhe, „lass mich dich verstehen.“   Nach meiner Bitte folgte die Stille. Eine machtvolle, bedeutsame. Lange schwieg er, lange betrachtete er mich. Seine Faust ballte und lockerte sich mehrmals, dabei strafften sich seine Unterarmmuskeln. Ehe er still seufzte: „Du machst es mir wahrlich nicht einfach... Du verkomplizierst es.“ Ich? Scharf fügte er ein schneidiges Flüstern hinzu. „Ich habe dich gewarnt. Sei dir der Gefahr bewusst, die du ersehnst. Sie ist nah... Doch ferner als du glaubst.“ Und endete schmunzelnd. „Ich erweitere meine 'mein-Typ'-Liste: ergänze Sturheit.“ Hey!   Der Emotionswechsel seiner monotonen Stimme ist ein Phänomen für sich. Wie trainiert er seine Stimmbänder beherrschte. Ob er je eine echte Emotion gezeigt hat? Sind all seine Worte von Lügen schattiert? Ich weigerte mich, ihm zu misstrauen. Ich war nicht die Sorte Mensch, die andere grundlos verurteilte. Bisher hatte er mir keinen Grund gegeben, ihn als Feind zu betrachten, auch wenn er oft feindlich von sich sprach. Seine Warnungen dienten zur Abschreckung. Aber betrachtete ich ihn nicht als abschreckend, im Gegenteil: Kira besaß etwas gefährlich Anziehendes. Und wieder verrannte ich mich in Gedanken an ihn. Er ist mein Labyrinth. Ich die Blume, die von seinen Dornen umschlungen.   Fragend sah ich ihn an. „Müssen wir nicht langsam los?“, erinnerte ich mich an den Befehl. „Was ist mit deiner Kontaktperson?“ „Kid?“, schien er amüsiert. „Er wird mir die Eier abreißen, wenn ich hierbleibe.“   „Hey, die brauchst du noch!“, scherzte ich und verschränkte meine Arme locker hinter meinem Kopf, überlegte laut. „Er hat das Sicherheitssystem extra ausgeschaltet... Wie wär's, wenn wir nur mal kurz rausgehen?“ Sein Blick ruhte auf mir, analysierte mich. Faktisch sprach er; „Du sorgst dich.“ „Hehe. Und wie!“, hatte er mich voll erwischt. Ich grinste verwegen. „Also... Lust auf einen Spaziergang?“ „Mit dir?“ Sein neckendes Schmunzeln hörbar. „Der Gruselfaktor ist wahrlich romantisch.“ Empört tat ich auf beleidigt. „Hast du mich gerade gruselig genannt?“ Schweigen. Hat er!   Jeder Scherz birgt einen Funken Wahrheit. Bin ich ihm nicht geheuer? Blödsinn... einen Mann wie ihn kann nichts aus der Ruhe bringen.   Unruhe kam auf, der Raum wandelte sich spürbar, ganz plötzlich. Etwas Schweres verengte die Luft. Eine verborgene Schwerkraft drückte meinen Körper gen Boden, mein Gesäß ins Polster. Etwas wollte uns nicht gehen lassen. Spüre nur ich das? Kira schien äußerlich keinerlei Probleme zu haben, erhob sich, bewegte sich grazil wie immer. Meine Beine fühlten sich bleiern an, als ich vom Sofa aufstand und Richtung Tür ging. Sie wirkte so weit weg, dass ich innerlich meine Schritte zählte. Zwanzig – obwohl es nur fünf Meter Entfernung waren. Bizarr. Als ich die Tür erreichte, meine Hand an die Klinke legte, blickte ich prüfend zu Kira. Schräg hinter mir stand er, seine Körperhaltung auffällig – sein Kopf gehoben, seine Arme vor der Brust verschränkt, allzeit in Reaktionsbereitschaft – Es wirkte kontrolliert, zu kontrolliert.   Besorgt fragte ich ihn; „Wie lange bist du nicht draußen gewesen?“ Locker zuckte er mit seinen Schultern. „Seit ich hier bin.“ Echt ausführliche Antwort. Mehr wollte er nicht preisgeben.   In Begleitung eines langgezogenen Quietschen öffnete ich die Metalltür, die mir schwerer zu ziehen vorkam. Ein eisiger Wind schlug uns entgegen. Etwas wehte gegen mein Gesicht. Eine Spinnenwebe? Schnell wischte ich sie mir vom Kappenschirm und schritt tapfer voran, Kira direkt hinter mir. Wir durchquerten den Zellengang, der noch immer von blinkenden Lichtern durchzogen war. Wenigstens war der nervtötende Sirenenton verklungen. Ich blieb dicht bei ihm, ließ wenige Zentimeter Platz zwischen uns. Selbst das grelle Licht konnte die dunkle Atmosphäre des Kellerkomplex' nicht vertreiben. Es war noch immer viel zu schaudererregend.   Ich begann, mir Dinge einzubilden. Etwas nicht Natürliches zu sehen. Bis jetzt wollte ich es nicht wahrhaben, aber seit ich hier bin, waren sie da; Unsichtbare Gefahren, Warnsignale, Botschaften. Dauerhaft versuchten sie in meine Sinne einzudringen. Die Kellerwände wisperten mir zu. Zu leise, um sie zu verstehen, zu laut, um sie zu überhören. Es gab nur einen Ort, wo sie verstummten: In Kiras Stille. Ist sie es, die mich von Anfang an schützen wollte?   Als ich erstmals das Kellergewölbe betrat, zog mich eine unerklärliche Macht an. Eine, die mir Sicherheit versprach. Auch jetzt war sie anwesend. Die Präsenz, die meine Unruhe besänftigte, meine Ängste milderte, meine Seele berührte. Ähnlich einer sanften Feder, die etwas in mich schrieb, wie Schutzsymbole. Hinter meinem Kappenschirm zuckte mein Blick zu Kira, ehe meine Augen schnell wieder zum nass-fleckigen Kellerboden huschten. Unsere Schritte hallten im Echo wider; meine geräuschvollen, seine absolut tonlosen. Ihn umgab eine so mächtige Stille... Als würde sie Kiras Person zum Schweigen bringen wollen, in Einsamkeit drängen. Aber mich akzeptieren. Langsam drehe ich wirklich durch. Ich denke mich in Hirngespinste.   Den unheimlichen Patiententrakt hinter uns gelassen, passierten wir die Abzweigung; rechts der Ausgang, links die Behandlungsräume. Ich hoffte, dass ich diesen Flur niemals betreten musste. Vielleicht hatte ich zu viele Horrorfilme gesehen – Behandlungszimmer bedeuteten in Psychiatrien nie etwas Gutes. Kira bemerkte meinen verweilenden Blick auf dem finsteren Korridor. „Dort ist lange niemand behandelt worden“, erläuterte er monoton, „die Räume sind stillgelegt.“ Wenn er doch nie sein Zimmer verlässt... „Woher weißt du das?“ Seine Antwort brachte Schauerliches. „Man hört es.“ Die Behandelten.   Mein Fokus blieb starr auf den Therapietrakt gerichtet. Er ist stillgelegt... Aber... brennt dort hinten nicht Licht? Mit geweiteten Augen schaute ich zu Kira rauf. „Siehst du es denn nicht?“, flüsterte ich dünn, zeigte in den Behandlungsgang, auf die dichten Spinnenweben, die den gesamten Flur überwucherten. Und kam mir total lächerlich vor, „vergiss es. Es ist nichts.“ Reiß dich zusammen, Peng!   Ich rückte noch ein Stück näher an ihn. Das Licht des Therapieraumes erlosch, als wäre es nie dagewesen, mit ihm die Fäden unkenntlich werdend. Der Schlafmangel ist Schuld, ganz bestimmt. Die vor meine Füße rollende rote Perle ignorierte ich, ging weiter, bog rechts ein, schnelleren Schrittes Richtung draußen. Kira lief seelenruhig neben mir, konnte problemlos mit meinem Tempo mithalten. Der Cheater und seine längeren Beine! Erst, als ein leichter Luftzug von der Ausgangsluke zu uns wehte, atmete ich vorsichtig auf.   Erleichtert stieg ich die rostige Leiter ins Freie empor. Kira ließ mir den Vortritt und sah zu meiner kletternden Figur auf. „Netter Hintern.“ Schau da nicht hin! Und spar dir die blöden Kommentare! Murrend warf ich ihm einen Giftblick nach unten zu, streckte ihm meine Hand hin, um- ihm nicht aufzuhelfen. Stattdessen pfefferte ich die Luke zu. Jetzt hast du's ihm aber voll gegeben, Peng. Wie unreif meine trotzige Reaktion war, stand hier nicht zur Debatte. Problemlos drückte er die Luke auf, stieg heraus, während ich an Ort und Stelle gefror. Erschlagen werdend von der massiven Atmosphäre, die meine Augen an sich riss.   Die aufgeschreckte Nachtluft roch verbrannt, von unruhig zitternden Nebelschwaden durchzogen. Die schwarz-graue Wolkendecke schien noch tiefer und dichter über dem Herrenhaus zu schweben, wie ein verheimlichender Schleier. Unheil stand bevor. Dann erblickte ich das Ausmaß der Zerstörung. Auf der Wiese vor dem Asyl-Eingang tummelten sich einige, nicht alle Patienten, die kummervoll tuschelten – nicht miteinander, meist mit sich selbst. Ein paar von ihnen lachten geisteskrank, andere murmelten Beruhigungsmantras und Gebete, wieder andere schwiegen verkümmert. Niemand half ihnen. Im Vorgarten lagen Trümmer von angesengten Möbeln, Scherben von Vasen und Fenstern, die eingeschlagen wurden. Sowie Zettel von mehreren Akten, die mutwillig zerstört wurden. Jemand wollte Beweise vernichten. Keine Spur vom Personal. Sind sie mit den Aufständlern beschäftigt? Gibt es... überhaupt einen Aufstand? Je mehr ich nachdachte, desto verwirrter war ich. Auf mich wirkten die Leute dort alles andere als böswillig, eher verloren in psychischen Alpträumen. Aber wer hat die Verwüstung dann angerichtet?   Auf dem Dach des Herrenhauses waren mehrere Schemen erkennbar, die sich davonschlichen. Einer von ihnen... winkt mir zu!? Ich hoffte, dass es nicht war, wer ich dachte, wer es war – Er war es! Mein Blick erfasste die Drei. Die größte Figur musste Law sein, die kleinste Shachi – und die dritte? Ein Strohhut?, kniff ich meine Augen etwas zusammen, um die Umrisse besser zu sehen. Viel erkannte ich nicht, der Nachtnebel erschwerte mein Sichtfeld. Nahe des großen Schornsteins machten die Drei es sich bequem; taktisches Warten, bis sich die Situation beruhigte. Law lehnte stehend gegen das Ziegelgebilde, der Strohhut kletterte darauf, beanspruchte den höchsten Platz mit bester Aussicht, Shachi hockte auf den Dachziegeln. Immerhin waren sie in Sicherheit. Ein Beruhigungspunkt auf der Panikskala- die sofort rapide anstieg, als Shachi vom Dach sprang. Sich an der Regenrinne festhaltend, an ihr hinab gleitend, gelangte er unversehrt zu den Patienten im Vorgarten. Was hat er vor?   „Hergehört!“, riss Shachis helle Stimme die Aufmerksamkeit der Depressiv-Kranken an sich. Heldenhaft stellte er sich auf eine Regentonne, mittig den Bewohnern, die ihm teils leere, teils misstrauende Blicke zuwarfen. Sein strahlendstes Lächeln auf seinen Lippen, streckte er seinen Arm hoch in die Luft, zeigte in Himmelsrichtung. „Schaut! Seht ihr die Sterne?“, fragte er in die Runde, die ihn anstarrte, als hätten sie einen Geist gesehen. Denn sie sahen sie. Die Sterne, die nicht dort waren – Sie sahen sie, weil sie in Shachis Welt existierten. Für ihn scheint die Sonne auch bei Nacht. Während alle Blicke auf den schwarzen Himmel fixiert waren, blieben Shachis Augen auf den Patienten. Lächelnd schob er seine Sonnenbrille hoch über seine Stirn, ließ seinen Blick einmal durch die Menge wandern. Seine ausgestreckte Faust formte mit Zeigefinger und Daumen ein L – für Liebe. Warmherzig und sacht seine Stimme, wertschätzend sein Augenlicht, mit dem er die Menschen betrachtete. „Die gefallenen Sternschnuppen leuchten heute ganz besonders schön.“   Nur Shachi erkannte das Licht in der Dunkelheit, die die Leidenden heimsuchte. Shachi, der weinerliche Junge, den ich damals kennenlernte, wurde zum Lächeln vieler Weinenden. Ich bin so stolz auf dich, mein Bruder. Als er dann begann, Kuchen an die Leute zu verteilen – den Kuchen – riss der Strohhut das Ruder an sich. Auf dem Schornstein stehend, hielt er eine Flagge in der Hand, deren Stab er geräuschvoll in die Ziegel rammte. Auf ihr prangte ein bekritzelter Totenkopf. Seine mächtige Stimme nicht die eines Kaisers – eines wahren Königs.   „Ich bin der König der Piraten!“, stellte er zweifelsfrei fest, setzte sich seinen Strohhut in einer langsamen Bewegung auf den Kopf und hüllte seine Augen in Schatten. Dadurch kam sein sonniges Grinsen noch mehr zur Geltung. „Schließt euch meiner Crew an!“, forderte er die Menschen auf, „werdet meine Nakama! Bereist mit mir die Meere!“ Seiner Welt. Und er hielt die Piratenflagge hoch in den Sternenhimmel. „Das One Piece ist unser!“   Jubelnd ließ sich die Menge von ihm mitreißen. Mit verzogenem Mund fügte der Strohhut noch hinzu; „Aber mein Fleisch teile ich mit niemandem, damit das klar ist!“ Law – gegen den Schornstein gelehnt – legte seinen Kopf schief, sah zu Fluffy? auf. „Wenn du nun fertig bist... gib mir mein Hemd wieder.“ Das er zur Flagge umgebastelt hatte. „Shi Shi Shi!“   Daraufhin fing das menschliche Skelett an, Musik zu machen. Klatschend trällerte der Gummi-Junge ein viel zu schiefes Lied, animierte die Leute zum Mitmachen. Mittendrin tanzte ein Perverser in String mit einem suuuper peinlichen Auftritt, während der Wachstyp Kerzen anzündete, die Hat-mich-zu-lieb-Oma Bonbons verteilte, der Pillenparanoide bunte Tabletten wie Konfetti in die Luft schmiss, der Zirkuskünstler eine unsichtbare Löwennummer aufführte und der Fledermaus-Mann einen Bumerang warf, der eine Glitterspur über den Köpfen der Anwesenden hinterließ. Jeder in seiner eigenen Welt – und doch gemeinsam in einer Heilen.   Das Bild war so verrückt und surreal, dass es die Realität zu einer besseren machte. Wenn auch nur für einen winzigen Augenblick. Am Rand stehend, zog ich meinen Kappenschirm tief über meine Augen, die emotional von meinem Bruder mitgerissen wurden. Verflixter Glitter, der mir in die Augen gekommen war. „Du bist zu schwach“, Kiras taktloser Kommentar, der mich hart auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Ich ließ es mir nicht anmerken, dass die stechende Bemerkung mich verletzte. Mein Blick glitt zum Horizont, schweifte zu dem seltsam flackernden Licht in Höhe des Obergeschosses. Was...? Ich wurde bleich. Im Haus brannte es noch immer! Warum löscht niemand das Feuer?!   „Was ist mit den restlichen Bewohnern?“, flüsterte ich starr, meine geweiteten Augen auf die Gitterfenster der oberen Wohnebene gerichtet, wo ein einzelner Schatten unruhig im Flammenschein flimmerte. Sag mir nicht... Völlig teilnahmslos eröffnete Kira mir; „Die 'gefährlichsten' Patienten sind in ihren Zimmern. Ihnen ist das Verlassen selbst in Notsituationen nicht gestattet.“ Nur kurz hob er seine Maske zu den Fenstern, absolut desinteressiert. An einem von ihnen rüttelte jemand verzweifelt an den Gittern. Kiras nächsten Worte trafen mich eiskalt. „Menschen, die aufgegeben wurden, trauert keiner nach.“ Faktisch, neutral, gleichgültig; „Sie sind des Todes, noch ehe sie sterben.“   Es fraß sich in meine Magengrube. Grauen, Abscheu, Zorn. Wie viel Unmenschlichkeit kann ein Mensch ertragen, bis er sich selbst für tot erklärt? Warum tut hier niemand etwas!? Siedende Wut kochte in mir hoch. Heiß ätzte sie sich in meinen Magen, drängte sich nach außen. Den Gefühlsausbruch konnte ich mit aller Macht nicht zurückhalten. Fest packte ich Kira am gepunkteten Kragen und zog ihn knurrend zu mir runter auf Augenhöhe. „Was hast du gesagt? Sie sind da oben eingesperrt?!“, wurde ich lauter, vor Verbitterung am ganzen Körper bebend. Ausdruckslos starrte seine Maske auf mich nieder. „Was kümmert es dich?“   Impulsiv ließ ich ihn los, ballte stattdessen meine Fäuste, bohrte meine Nägel in die Handflächen, sah ihn verständnislos an, schüttelte meinen Kopf. „Wie kannst du nur so- ...so grausam sein“, drosch bittere Enttäuschung über meine Lippen, ehe meine Silben an Kraft gewannen. „Was es mich kümmert? Es sind Menschenleben! Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie sie sterben! Ich ertrage das nicht!“ Sein Blick auf mir blieb erbarmungslos, seine Maske leer, seine Körperhaltung defensiv, seine Stimme emotionslos. „Du trägst keine Schuld, bist kein Schuldiger, wenn du dein eigenes Leben schützt. Egoismus ist ein Schutzinstinkt.“   Ich war kurz davor, ihm eine reinzuhauen. Warum versteht er mich nicht?   „Komm mir nicht mit deiner verdammten Logik! Hier geht es nicht um Fakten, hier geht es um Leben und Tod!“, schrie ich mich in Rage. „Es ist feige, sich hinter dem eigenen Ego zu verstecken. Es ist eine billige Ausrede!“, schob ich meinen Kappenschirm nach oben, zeigte ihm meine expressiv glühenden Augen. „Ich akzeptiere ihr Sterben nicht. Nicht, wenn ich etwas tun kann. Wenn ich nicht wenigstens versuche, sie zu retten, bin ich nicht besser als ein“, kam es mit aller Emotionsgewalt über meine zerbissenen Lippen. „Ein herzloser Killer.“   Er schwieg. So verdammt gleichgültig, dass es etwas in mir durchbrennen ließ. Sein Schweigen schien mich auszulachen. Seine unberührte Art schürte meine überkochende Gemütslage nur noch mehr. Es war ihm egal. Völlig egal, dass Menschen litten. Es enttäuschte mich. Ich... hatte mehr von ihm erwartet.   Unsere Blicke froren sich aneinander, bis ich mich rabiat von ihm riss. Kalt wandte ich mich ab, wollte zum Herrenhaus, grob hielt er mich an meinem Oberarm zurück, forderte gewaltsam; „B l e i b-“ Mein brennender Blick glühte in seine Maske. „Lass. mich. los.“, befahl ich ihm, in allem Zorn, schüttelte seine Hand ab, wehrte mich gegen seine Berührung. Zorn wich Mitleid. „Du tust mir leid.“ Leiser werdend meine Stimme, die Schmerz trug. Meine Brust krampfte. „Jemand wie du wird das nie verstehen.“ Meine Emotionen schlugen auf ihn ein, brutal. „Jemand, der zu feige ist, sein Herz lieben zu lassen.“   Ich hörte seine Maske knacken. Ließ Scherben zurück, als ich rannte, spürte sie unter jedem meiner Schritte knirschen. Meine Brustsplitter. Ohne einen Blick zurück, hetzte ich auf das Herrenhaus zu. Angetrieben von dem Willen zu helfen, blind vor Sturheit, von Mitgefühl geblendet. Es war zu spät. Die Worte ausgesprochen, unumkehrbar. Meine Unterlippe blutete.   Aufgewühlt erreichte ich den Schauplatz, stürmte ohne anzuhalten durch die Menschenmenge. Im Zickzack springend wich ich den Leuten vor dem Eingang aus, preschte rumpelnd durch die Doppeltür. Mitten ins Chaos aus aufgescheuchten Figuren, die ins Freie wollten, von Angestellten zurückgehalten wurden. Hier drin war die Hölle ausgebrochen. Statt die Bewohner zu beruhigen, wurden sie durch Freiheitsberaubung beunruhigter. Der Koloss mit Mausstimme wuchtete mehrere Personen zu Boden, hielt sie dort fest. Baby 5 richtete eine Flinte – was zum?! - auf die Leute, schüchterte sie mit Waffengewalt ein. Der Highheels-Junge trat die Menschen in seiner Reichweite grob weg, kicherte dabei so gehässig, dass ich ihn verwünschte.   Verbissen kniff ich meine Augen zusammen, konnte mir das nicht ansehen – Tut mir leid – konnte hier nicht viel ausrichten, nutzte den Aufruhr, um im Körpergemenge unbemerkt voranzukommen. Wenigstens einem wollte ich helfen. Ein Menschenleben retten, wenigstens eines. Entschlossen drängte ich mich an den panischen Patienten vorbei, steuerte die Treppe zum Obergeschoss an, nahm mehrere Stufen auf einmal. Der dicke Rauch, der sich größtenteils an der Decke sammelte, half meiner Tarnung. Schützend hielt ich mir meinen Overall-Ärmel vor den Mund und bahnte mir einen Weg über die Verwüstung aus Möbel-Trümmern zu Station 4. Auf dieser Station war ich noch nie, durfte sie als Unterpersonal nicht betreten – was mir absolut egal war!   Die Hochsicherheitstür war offen, durch die ich mich zwängte, in den verrauchten Flur gelangte. Der Gang glich einem abgeranzten Hotel-Korridor. Die grässlich uringelbe Tapete klebte nur noch fleckenweise an den Wänden, die Decke schrie 'einsturzgefährdet', bloß die stählernen Zimmertüren waren neuwertig. Hier brannte alles lichterloh. Die Flammen rauschten über den ausgefransten Teppich, schlugen um sich, fraßen sich in die Tapetenfetzen, griffen rapide auf die Patientenzimmer über, die links und rechts aufgereiht waren. Die Schiebefenster der Türen waren geöffnet. Jemand hatte sie absichtlich offen gelassen! Der toxische Rauch drang von außen durch die vergitterten Türfenster ein, drohte, die Eingesperrten zu ersticken. Neben dem ekelhaften Knacken und Knistern der brennenden Einrichtung, erfüllten qualvolle Röchel- und Hustengeräusche die alptraumhafte Kulisse. Gefährliche Patienten hin oder her – Sie brauchten dringend Hilfe!   Ich musste mich beeilen, schnell handeln. Das Atmen fiel mir immer schwerer, der dicke Stoff meines Ärmels ließ kaum Luft durch. Schnell verschaffte ich mir einen Überblick über die Lage. Erst dann bemerkte ich die seltsame Farbe des Rauches: Ein dreckiges Lila. Der farbige Rauch kam von den schmalen Lüftungsschächten nah der Fußleiste, stieg qualmend aufwärts, brannte in meinen Augen. Tränen verklärten meinen Blick. Mehrmals blinzelnd, versuchte ich irgendetwas zu erkennen. Der Smog waberte säuselnd, vernebelte mein Sichtfeld immer weiter. Und plötzlich... fröstelte es mich. Das Feuer war kalt! Wie ist das möglich? Die Flammen hatten den gleichen Lila-Farbton wie das Gas. Nur heller. Halluziniere ich? Zweimal blinzeln. Dann war das Feuer... weg. Doch der Weg frei. Als wollte etwas, dass ich den Gang betrat – was ich tat. Zögerlich, aber stetig vorwärts.   Unerschrocken kämpfte ich mich in geduckter Haltung vor – des erhöhten Sauerstoffgehalts gen Boden wegen – blieb dicht an der zerfetzten Wand und atmete so wenig Qualm wie möglich ein. Es stank süßlich, verpestete hässlich die Luft. Die Eiseskälte war unerträglich. Eine schaurige Gänsehaut zog sich über meinen gesamten Körper, der stark zitterte, selbst meine Schritte bebten bei jedem Auftritt. Als würde ich durch ein Schneegebiet wandern, erschwert vorankommend, gegen Schneeböen ankämpfen. Die Kleidung hielt das Kalt nur gering ab, das hungrige Gas lechzte nach mir, bekamen mich nicht zu greifen. Noch nicht.   „H-Hallo?“, hustete ich schwach hervor, sparte mir jeden Atemzug, teilte mir den Sauerstoff ein. Von weitem sah ich sechs Türen. Nur ein Einziger antwortete mir.   „Beeilung!“, kratzte mir sein gedämmtes Rufen zu. „Rette jemand meine Schönheit!“ Hinter der übernächsten Tür. „Ich bin zu schön, um zu sterben!“   Mit Mühe erreichte ich mein Ziel. Die Metalltür von Eis bedeckt, so stark eingefroren, dass ich sie nicht anfassen konnte. So gut wie möglich hielt ich meine angespannte Stimme ruhig. „Keine Sorge, ich bin da!“ Und habe keine Ahnung, wie ich die Tür aufbekommen soll. Laws Schlüsselbund. Eilig kramte ich ihn mit bibbernden Fingern hervor. Bitte passe, irgendeiner! Gehetzt versuchte ich jeden einzelnen Schlüssel – ohne Erfolg. Mist, so ein verfluchter Mist! Ich hatte den Schlüssel nicht. Keine Möglichkeit, den Dunst zu vertreiben. Das Einzige, was ich tun konnte war, Schlimmeres zu verhindern. Schadensbegrenzung.   Mir den weißen Overall vom Oberkörper fummelnd, riss ich mein schwarzes Unterhemd entzwei. Die Kälte knallte erbarmungslos gegen meine freie Haut, die ich mit klappernden Zähnen wieder mit dem weißen Stoff bedeckte. Die beiden Hemdfetzen presste ich gegen die Belüftungsstellen, klemmte den Stoff in die Ritzen, die ich minder abdichtete. Hielt dabei die Luft an. Doch musste meinen Mund öffnen, um mit dem Bewohner zu sprechen. „Bleib weg von der Tür, weg vom Rauch.“ Keine Antwort. Meine Augen erfassten das Schiebefenster, durch das ich nichts sah. Obwohl es verfroren war, rüttelte ich daran. Das Fenster bewegte sich keinen Millimeter! Ich hauchte es an, schirmte mit meinen Händen das Gas bestmöglich von mir ab. Mühevoll ging das Fenster nur zur Hälfte zu. Warum ist das Teil überhaupt offen? Will jemand diesen Patienten loswerden? Es wie einen Unfall aussehen lassen? Das Personal? Der Hausherr selbst? Oder... Kid, der die Sicherungen manipuliert hat? Wer ist dieser ominöse Kid überhaupt? Dem trau ich kein Stück!   Was jetzt? Zunächst versuchte ich den Patienten und mich zu beruhigen. „Alles wird gut!“ Das kauf ich mir nicht mal selbst ab. Ich war noch nie gut darin, andere aufzubauen. Shachi war der Hoffnungsvolle, ich nur der- Stopp. Jetzt ist nicht die Zeit für Pessimismus! „Ich besorge die Schlüssel und hole dich da raus“, versprach ich – Ein Versprechen, das ich nicht halten konnte. Ein Blick zurück. Und ich erkannte, dass es keinen Weg zurück mehr gab. Nur noch Gas.   Panik. Ich geriet in blanke Panik. Der dreckige lila Rauch hatte sich vollkommen ausgebreitet, durchzog alles. Mein Blickfeld glich einer dicken Schneemauer, die mich wie eine Halbkuppel einkesselte, sich immer weiter minimierte. Der Nebel so nah, dass ich ihn anfassen konnte. Als ich meine stark zitternden Finger danach ausstreckte, fühlte ich ihn auf meinen Fingerkuppen, fühlte die toxische Kälte, die von ihm ausging – und zog meine Hand schnell zurück. Was ist das?!   Es kam näher. Es gab einen unheimlichen Zischel-Ton von sich, als wäre es etwas Lebendiges. Etwas Hochgiftiges, das sich in meinen Organismus einnisten wollte. Es hatte Augen. Hunderte einzelner Augen, pechschwarz, die mich anblinzelten.   Das jagte mir fürchterliche Angst ein. Es schauderte mich so heftig, dass meine schwach werdenden Beine nachgaben, ich auf Boden sackte. Die Augen folgten mir, meiner Bewegung, blickten allesamt auf mich herab. Ich fühlte mich nicht beobachtet – Fühlte mich bedrängt, angeprangert, zur Schau gestellt. Hört auf! Hört auf, mich anzustarren! In Schutzhaltung – geduckt, Arme gekreuzt vor Gesicht, Handrücken auf Mund, verstört in der Ecke kauernd – presste ich mich an die gefrorene Tür, die in meinem Rücken brannte, sich in meine Kleidung fraß. Mein Rückenstoff fror sich am Metall fest. Schwach hustete ich, bekam kaum noch Luft, wollte das Zeug nicht einatmen, musste. Grauenvoll leere Blicke löcherten meine Haut.   Ich hielt es nicht aus. Es war unerträglich, quälte mein verängstigtes Herz. Verzweifelt schlug ich um mich, meine Fäuste trafen auf die Rauchmauer, die steinhart gegen meine Knöchel kratzte. Das einzig Weiche die Augen, auf die ich einschlug. Bewirken tat es nichts, die Augen völlig unversehrt, mein Ekel sich nur verstärkend. Mir wurde kotzübel, fast musste ich mich übergeben.   Ich bildete mir das nicht ein, das Gas war echt! Ich bin nicht verrückt! Ich bin- bin... Was bin ich? Hilflos vergrub ich mein Gesicht unter meinen Unterarmen, musste mir meine Dummheit eingestehen. Ein Idiot, das bin ich... Bin ohne Plan blind ins Verderben gerannt. Heldenmut hin oder her, so kann ich niemandem helfen... nicht mal mir selbst.   Wäre ich doch nur nicht so verdammt stur gewesen. Wäre ich nur bei ihm geblieben, hätte auf ihn gehört. Ich verdammter Idiot!   'Menschen, die aufgegeben wurden, trauert keiner nach.' Jetzt gehöre ich wohl auch zu den Aufgegebenen... Weil ich aufgeben muss. Ein Pessimist malt selbst die Hoffnung schwarz. Schwarz wie-   Ein Schatten. Er durchbrach den Angsttraum, zerschlug die Lautstärke all meiner Gedanken, zerrte sie zur Stille. Weil die Stille ihm gehörte. Weil er der wahre Alptraum war. Und ich zu träumen wagte.   Ich öffnete meine Augen, sah ihn. Selbst durch den Nebel, der uns trennte. Die Trennmauer, die er zertrümmerte. Zwei zischende Windwirbel spalteten den Rauch, scheuchten die Atmosphäre auf, verzerrten die schwarzen Augen, enthüllten ihn. Seine übermächtige Figur, die pure Gefahr, wie er dort unerschütterlich stand, einen alles überragenden Schatten projizierte, dem sich selbst die Bedrohung unterwarf. Silberne Blitze, die er heraufbeschwor, rotierende Spiralen erzeugte. In je einer Hand eine kreischende Sichel führend, überkreuzt vor sich haltend. Sicheln, die pulsierenden Monden glichen. Die Nachtstille ihn umgebend, die er zum Schreien brachte. Ein Geräusch, dessen Intensität sich in meine Sinne gravierte.   Kira sprang mitten in die Kältemauer, durchbrach sie, ließ sie unter seiner Heißblütigkeit zergehen. Ein vibrierendes Summen begleitete seine durch die Luft rotierende Sprungbewegung, die seine blonde Mähne wild in flackerndem Gold leuchten ließ. Links und Rechts die Sicheln, die ihm einen Sturmweg ebneten. Das Gas wich vor ihm zurück, löste sich im Starkwind seiner Waffen auf, die den Nebel zurückdrängten, während er sich einen Weg zu mir bahnte. Es war ihm egal. Alles. Die Stille verschlang das Nichtig. Eines ihm einzig wichtig. Er hatte nur Augen für mich. Sein Blick so viel intensiver, spürbarer, kristallisierte sich unter Hunderten heraus. Ein Killerblick, der meinem Herz Leben einjagte.   Wie ein Meerestaifun stürmte er auf mich zu. In einer so hohen Geschwindigkeit, dass mein Blick ihm unmöglich folgen konnte, ich niemals rechtzeitig reagieren konnte. Starr vor Überwältigung verbot es mir das Atmen. Ein spürbarer Luftstoß, dann war er bei mir. Ein Herzschlag und sein Schatten ergriff mich. Wie in Zeitlupe nahm ich alles wahr. Selbst die Zeit verschlungen von seiner Stille. Ich fühlte, wie er seine Sense schwang, auf mich zielte. Treffsicher holte er aus, führte sie in allumfassender Perfektion und- trennte präzise meinen Overall von der Tür. Mein Herz blieb stehen. Nur, um lebensbedrohlich schnell loszurennen. Sein Unterarm knallte gegen die Tür, die Wucht bebte stark in meinem Rücken. Die Sichelhalterung stützte ihn, direkt neben meinem Kopf. Mein Kappenschirm dicht an seine Maske gedrückt, unsere Köpfe nur wenige Millimeter voneinander entfernt. Seine Sense kratzte grell gegen die Stahltür, die sie scharf ausbremste. Ein blitzender Funkenregen umkleidete uns, ließ seine Erscheinung in dunkler Dominanz lodern. Alles in mir erschauderte.   Ich sah Kiras Augen. Ihre Tödlichkeit. Ihre Triebhaftigkeit. Finster. Animalisch. Seine Seelenscherben verwundeten mein Innerstes. Kiras Anblick kerbte sich tief in meine Brust. In genau diesem Herzschlag, als er meine Augen entführte.   Drei Sekunden, wie endlose Minuten verstreichend. Dann riss er seinen Arm hoch, stieß sich von der Tür ab, ließ mein Herz wieder atmen. Wortlos warf er mir den Schlüsselbund vor die Füße, fegte weiter, ermächtigte auch die restlichen Rauchschwaden, zog mit der Spitze seiner Sensen die Türfenster der anderen Patientenzimmer zu. Wie in Trance sah ich ihm nach, konnte meinen hypnotisierten Blick erst nach mehreren Momenten von ihm reißen. Ist das echt, was ich hier erlebe? Träume ich? Das kann doch alles nicht real sein... Wo hat er die Sicheln her? Gedankenverloren hob ich die Schlüssel auf, zwang mich zur Konzentration, beeilte mich und steckte einen Schlüssel nach dem anderen ins Türschloss, bis ich den richtigen fand. Nach fünf Fehlversuchen, klackte es. Sofort riss ich die Tür auf und-   „Endlich!“, empörte sich der Gefangene, hustete, brach auf Knien zusammen, krallte sich in mein Hosenbein, sah mit einem zugekniffenen Augen zu mir auf. Ein Blick der Dankbarkeit, auch wenn seine Stimme die pure Selbstverliebtheit war. „Bring mein edles Antlitz hier raus!“ Gern geschehen.   Ich warf mir den Arm des Blonden um die Schulter, suchte Kira mit meinen Augen, doch war er verschwunden. Eine lose Deckenplatte verriet mir wie. Schließlich durfte er nicht gesehen werden. Und ist das Risiko trotzdem eingegangen... Obwohl ich ihn so mies behandelt habe. Bevor ich in Schuldgefühlen versank, konzentrierte ich mich auf den Bewohner, den ich stützend wegschleppte. Keine auffälligen Schäden, keine äußeren Verletzungen... Er scheint soweit okay zu sein.   Auf dem Weg durch die Empfangshalle, kam mir Monet entgegen. Zu spät versteckte sie ihr wissendes Schmunzeln, ehe sie einen bestürzten Ausdruck aufsetze. „Nicht doch! Ist noch jemand dort?“ Ich bejahte, woraufhin ihre Miene extrem besorgt wirkte. „Die Kranken müssen evakuiert werden. Wir lassen ihnen die beste medizinische Versorgung zukommen. Um das Gasleck wird sich bereits gekümmert.“ 'Gasleck'? Von wegen! Durch das Feuer in Verbindung mit Gas wäre hier alles in die Luft geflogen. Trotz höchstem Misstrauen, blieb mir vorerst nichts anderes übrig, als ihr einfach zuzunicken. Im Vorbeigehen überreichte ich ihr die Stationsschlüssel – nicht Laws – und steuerte den Ausgang an, brachte den Patienten ins Freie. An frischer Luft konnte ich endlich wieder richtig atmen. Mir geht’s gut... glaub ich.   Draußen hatte sich die Lage beruhigt, die Bewohner nicht in Sicht, vermutlich auf der Krankenstation. Bloß die Unordnung noch da. Behutsam setzte ich den Mann auf der Wiese ab, erkundigte mich nach seinem Wohlergehen und bekam als Antwort- Eine Rose?!   Mit geweiteten Augen sah ich auf den knienden Kerl vor mir, der allen Ernstes eine Rose in seinem Mund hielt, mich aus seinen Schönling-Augen anfunkelte. Ihn umgab ein penetrantes Glitzerlicht, das sich mir in die Augen ätzte. Übertrieben arrogant warf er seine blond gelockten Haare nach hinten und hielt mir die Blume hin. „Du hast die Ehre, der Retter des Ritters zu sein.“ Du mich auch. Müssen heutzutage die Ritter von den Prinzessinnen gerettet werden-? Prinzen, ich meinte Prinzen! Verstört grinste ich schief. „Hat dir das Gas die Gehirnzellen verräuchert?“ Die Situation war mir verdammt unangenehm. Mit so was konnte ich echt nicht umgehen.   Meine Ablehnung ignorierend, schwafelte er geschwollen weiter, schwärmte von sich, fuchtelte überschwänglich mit seinen Armen, huldigte sich selbst mit Lobgesängen. „Ohne dich wäre der Welt meine Schönheit verloren gegangen“, nahm er meine Hand, haucht einen Kuss auf meinen Handrücken, den ich ihm entzog, bevor sein gespitzter Mund meine Haut berühren konnte. Seine nächsten Worte ließen meine Kinnlade abwärts segeln.   „Ich, Prinz Cavendish, erlaube dir, mein R o s s zu sein-“ Und ich wurde weggezerrt, über eine Schulter geworfen. Entführt. In die Stille, die ausdrucksvoller nicht sein konnte. Ein Ausdruck der Lebensgefahr.   Jetzt hatte ich wirklich Angst vor ihm. Kira war der Inbegriff von Todeswut. Nicht gegen mich gerichtet. Oder? Selbst ohne seine Sicheln war seine Präsenz messerscharf. Zum Zerreißen angespannt seine Muskeln unter mir, seine Maske warnend gen Horizont gerichtet, als würde er den Himmel zerfetzen wollen. Die zerstreuten Wolken verschreckt im Nachthimmel zittern, den Sichelmond verdecken. Kein Stern zu sehen, nur das tiefe Schwarz, das die Nachtkälte mit sich brachte. Es fröstelte mich bis ins Mark. Die Hitze seines heißblütigen Körpers überschattet von seiner eiskalten Aura, die mörderisch die Atmosphäre erhängte. Die Luft spürbar von Anspannung geprägt, das normale Atmen unmöglich, während er mich hart schweigend zurück zu seinem Reich trug. Ein Teil von mir wollte sich wehren, wollte nicht mit ihm mitgehen. Von leisen Zweifeln geplagt, die jedoch meine viel lautere Stimme in meiner Brust übertönte, die diesem Mann folgen wollte. Gefühle sind Täter und Opfer zugleich.   Ich konnte nicht anders. Kira bemächtigte sich meiner. Seine Präsenz strahlte eine solche Macht aus, dass sie alles andere abwendete, wie ein Schild aus Eis, jeden unerwünschten Blick ausschloss. Seine Bewegungen so präzise und lautlos, in Dunkelheit gehüllt, als würde er auf schwarzen Schattenschwingen über den Boden schweben. Es war Ehrfurcht einflößend.   Wir erreichten den Kellerkomplex unbemerkt. Hoffte ich zumindest. Mein unerlaubtes Handeln würde ein Nachspiel mit sich bringen, so viel war sicher. Zeit mir darüber Gedanken zu machen, ließ Kira mir nicht. Zurück in seinem Zimmer, warf er mich aufs zerfledderte Sofa, das meinen Fall unbequem abfederte. Dann schlug er die Tür zu. Atmete beherrscht durch. Bemüht, die Kontrolle zu behalten. Was ihm nicht gänzlich gelang. Seine Faust kollidierte mit der Tür. Der gehaltvolle Hall ließ mich zurückschrecken. Dann folgte die Stille. Absolute Stille; das Nichts.   Wie ein Stillleben stand er im Raum. In aller Leblosigkeit. Beängstigend. Ich blieb liegen, wie ich im harten Polster aufgekommen war, machte keinen Laut, hielt mich ruhig, bewegte keinen Muskel, verharrte in nervöser Hochspannung. Die Entschuldigung blieb mir im Hals stecken. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich ihn, studierte sein Verhaltensmuster. Erschreckend, wie seine Maske so viel ausdrückte, ganz ohne Mimik, die sie ersetzte. Sie war gesenkt, in sich gekehrt wirkend, als würde er einen Kampf mit sich austragen. Gegen was? Letztlich drehte sich die Maske zu mir. Langsam, bedrohlich langsam. Automatisch machte ich mich kleiner, in einer reflexartigen Schutzbewegung. Zeigte Angst – und entfesselte es.   Die Stille zersprang. Ein Lebensimpuls teilte sie. Erstmals erklang sein schwarzes Herz. Es offenbarte... „Ich bin kein Killer.“ Seelenschmerz. Not. Armut.   Ein seelisches SOS-Signal, das wie eine Sturmsirene trauerte. Um den Aufgegebenen.   Nie hatte ich ihn klarer gesehen. Nie wirkte er echter, als in diesem Moment, wo er seine innere Maske ablegte, sich vor mir emotional entblößte. Nur ein Wimpernschlag, ehe er wieder zur kalten Fassade zurückkehrte. Seine tief-dunkle Stimme verfinsterte den beleuchteten Raum.   „Halte dich von diesem Mistkerl fern.“ Gebietend sein schneidender Ton, der mir den Rücken herunter jagte. „Setze dein Leben nicht für ein anderes aufs Spiel.“ Ist das... seine Art von Sorge?   Mein Blick blieb auf ihm, wich ihm nicht aus. „Dito“, richtete ich mich auf, „du hast genau das gleiche getan!“ Für mich. Kalt und distanziert seine Körperhaltung. „Dies ist nicht das selbige.“ Ist es. Elender Dickschädel! Ebenso stur verschränkte ich meine Arme. „Vergleiche nicht den Wert zweier Leben – Deines ist nicht weniger wertvoll!“   Einen Schritt ging er auf mich zu, verringerte die Distanz auf ein Minimum – ich sitzend, er stehend – blickte in Erhabenheit auf mich herab. „Du hast nicht zu bestimmen, mit welchem Wert ich meine Existenz bemesse“, nahm sein Ton ein giftiges Zischeln an, wie das einer Giftschlange kurz vorm Angriff. Noch beherrschte er sich, seine klare Stimme jedoch spürbar beschattet. „Ich habe mich der Menschlichkeit verschlossen, weil mein Selbst kein Mensch mehr ist. Ein totes Herz trägt kein Leben in sich“, endete er in einem gehaltvollen Flüsterton. „Es ist des Liebens unfähig.“   Darum geht es also... Er ist wütend auf mich... Nicht, wegen meiner Worte – weil ich einen wunden Punkt getroffen habe.   Langsam zog ich meine Kappe aus, legte sie neben mich, zeigte ihm meinen Blick, in aller Schutzlosigkeit. Meine Stimme so leise, dass sie mit seiner Stille verschmolz. „Wie kannst du tot sein“, flüsterte ich ihm sanft zu, „wenn ich deinen Atem hören kann?“ Lauschte ich dem beschleunigten Luftstrom seiner Lippen, der in seiner Maske dumpfer erklang. „Wenn ich deine Gefühle... deine Einsamkeit spüren kann?“, schloss ich meine Augen, ehe ich sie auf seine, von gepunkteter Bluse bedeckten Brust richtete. „Und deinen lebendigen Herzschlag sehen kann?“   Etwas Trauriges zeichnete meinen Stimmklang. „Niemand trauert um die Aufgegeben“, wiederholte ich seine Worte, lächelte gefühlvoll. „Warum weint deine Seele um dich?“ Weil du dich selbst noch nicht aufgegeben hast.   Eisiges Schweigen seinerseits – Eine eindeutige Antwort.   „Kira...“ Für eine Entschuldigung war es längst zu spät. Mir auf die Unterlippe beißend, ballte ich meine Fäuste ins Polster – und spürte es. Das Einzige, was einer echten Entschuldigung nahe kam. Taten, nicht Worte sprechen lassen. Jetzt oder nie. „Entschuldige.“ Dass ich das tun muss. Fest nahm ich das Objekt in meine Hand, reagierte blitzartig. Er ließ es geschehen. Hastig sprang ich auf, auf ihn zu, erreichte ihn, schlang meine Arme um seinen Hals und- Klick. Öffnete das Schloss seiner Maske.   Ein Vertrauensbeweis. Oder ein fataler Fehler.   Geräuschvoll klirrten Schlüssel und Schloss auf Boden, folgend von der tonlosen Nulllinie eines EKG. Instinktiv wich ich zurück, ließ seine Maske nicht aus den Augen, erwartete etwas, irgendwas. Meine Anspannung hämmerte durch meine Blutbahnen, in meinem Brustkorb tausend Hornissen stechend, mein Puls in höchste Höhen schießend. ...Nichts geschah.   Doch er schmunzelte. „Entschuldigung angenommen.“   Ich grinste scheu, kratzte mich verlegen am Hinterkopf. „Hehe... Für einen Moment dachte ich, es wäre um mich geschehen.“ Locker trat ich das Vorhängeschloss weg, gewann an Selbstsicherheit. „Verstecke dich nicht – Der Mensch ist nicht die Maske, sondern darunter. So ein oller Blechhelm kann Menschlichkeit nicht wegschließen." Oder meint er etwa gar nicht die materielle Maske, die ich öffnen soll?   Ich spielte ein hochgefährliches Spiel, hatte mehrere Verbote begangen, ließ mich von meinen Emotionen leiten. Und war mir absolut nicht mehr sicher, ob das richtig war, was ich hier tat. Eine lässige Handbewegung seinerseits gen Sofa. „Setz dich“, lud er mich ein, wie bei unserem ersten Treffen. Nur diesmal klang es offensichtlich nach einer Falle. Herausforderung angenommen.   Spürbar schlug die Atmosphäre um. Zu etwas Unvorhersehbarem.   Die Coolness in Person wollte ich mimen – scheiterte kläglich. Wenn ich nervös wurde, überspielte ich es mit Humor und Zynismus. „Lädst du mich wieder auf Tiefkühl-Pasta ein? Kälter als die ist nicht mal deine Gruseligkeit.“ Meine grinsenden Mundwinkel zuckten, schwanken sichtbar. Dennoch setzte ich mich. Ans Ende des Sofas. Er nahm die Mitte, direkt neben mir. Dass er nichts sagte, machte es nicht gerade besser. „Echt kuschelig hier“, brummte ich in meinen Overall-Kragen und rümpfte meine Nase, „riecht nach angeschmortem Pinguin.“   Auffällig platzierte er seine Hand zwischen uns, legte sie auf dem Sofapolster ab, berührte fast mein Knie. Und lehnte sich nah zu mir. „Zieh dich aus“, raunte er in tief-klarem Basston, ließ mein Herz zittern, „wenn du dich traust.“ Ha! Darauf falle ich nich-   Ich zog mich aus. Verdammt sei mein Stolz! Meine Finger fanden den Reißverschluss meines Overalls, meine Augen blickten Kira verwegen provokant an, als ich den Verschluss geräuschvoll hinabzog, meine freie Brust entblößte. Unter seinen wachsamen Blicken streifte ich mir den weißen Stoff von den Schultern, schob ihn meinen Oberkörper abwärts und- verknotete die Ärmel an meiner Hüfte. „Du hast nicht gesagt, wie weit ich mich ausziehen soll.“   Er schnalzte seine Zunge, mit der er hörbar seine Lippen befeuchtete. „Wie vergesslich von mir“, wanderte seine Hand weiter, ließ meinen Puls heiß rauschen, mein Blut andere Wege einschlagen. Spielerisch zupfte er an meinem Overall-Ärmel, sein Stimmton schärfte sich. „Du kannst deine Erregung nicht vor mir verbergen.“   Seine verfluchte Direktheit! Schnell schob ich meine Beine zusammen, verdeckte die leichte Beule mit meiner Hand. Verlegen zog ich meinen Kappenschirm tiefer – wollte; merkte dann, dass ich gar keine Kappe mehr trug – und verkrallte mich in mein Haar. Die Nähe dieses Mannes machte mich wahnsinnig! „Schau da nicht hin!“, knurrte ich, sah überallhin nur nicht zu ihm, ehe ich leiser nuschelte. „Das Adrenalin ist Schuld.“ Das ist nur eine ganz normale Körperreaktion, mehr nicht!   Noch immer war er mir verdammt nah, machte keine Anstalten, mir Freiraum zu lassen. „Das Adrenalin?“, zerfloss das Wort auf seinen scharfzüngigen Lippen, „von deinem Selbstmordkommando? ...Oder mir?“   Meine Augen fanden seine Maske. „Von...“, biss ich mir auf die Unterlippe, konnte es nicht aussprechen – nur über meine Leiche! Er wusste es. „Berühre sie“, forderte er mich auf. Leiden sehen wollte der miese Sadist mich.   Absichtlich brachte er mich in unangenehme Situationen, wollte mich herauslocken – und hatte vollen Erfolg. Zögerlich bewegte ich meine bebenden Finger zu seiner Maske, verdrängte den lebendigen Puls in meinem Schritt, der absolut nebensächlich wurde. Vorsichtig lehnte ich meine Fingerkuppen an die blau-weiß gestreifte Unterseite, die ich in einer ehrfürchtigen Bewegung entlangfuhr. Kira entzog sich der gefühlvollen Berührung nicht. Minimal übte ich Druck mit meinem Zeigefinger aus, hob die lockere Maske um einen Millimeter an. Zu wenig um unter sie zu schauen, zu viel für mein Herz. Abrupt änderte ich meinen Kurs. Mit meinen Fingerrücken bahnte ich mir einen Weg über die Maskenseite, strich über das erwärmte Metall, wo sich seine Wange befand. In einer wertschätzenden Geste. Was ihn überraschte, seine Muskeln strafften sich.   Ein Lächeln zupfte zart an meinen Mundwinkeln. „Ich werde sie nicht abnehmen“, offenbarte ich ihm, „dazu habe ich kein Recht.“ Nach einem Moment des Schweigens flüsterte er düster; „Und wenn ich es dir gestatte?“ Ist das Disharmonie, die in seiner monotonen Stimme mitschwingt? Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein. Auch dann nicht.“   Leicht legte er seine Maske schief, bei der Bewegung verrutschte sie minimal. „Das Gas... Du hast es eingeatmet“, wechselte er plötzlich das Thema, seine Stimmklang tiefer und rauer werdend. Der verheißungsvolle Lippenzug hörbar. „Lass mich dich entgiften.“ Warum klingt das so... schändlich? W-Was hat er vor?   Stille. Eine der unheildrohenden Sorte. Die Atmosphäre spürbar intensiv. Etwas Bedeutungsschweres lag in der Luft. Ein Moment, dessen Ausgang längst entschieden, nicht mehr umkehrbar war. Es zog mich in den Bann. Sündenversprechen riefen mich zu sich, ins Labyrinth der bittersüßen Träume. Ich verlor mich in seiner fesselnden Aura, die mein Sein einnahm, meine Brust in Ketten legte. Mein Blick zuckte von seiner Augenhöhe zu dem unteren Teil seiner Maske, wo sich sein Mund befand. Ich schluckte. Er merkte es. Und schmunzelte.   „Möchtest du mich küssen?“, klang seine Stimme hochgefährlich verführerisch. Die Monotonie seiner düsteren Betörung in expressionistische Symphonie umschwingend, die in meinen Ohren so viel schärfer wirkte. „Tu es.“   Schleichend schob er seine Maske nach oben, nur ein Stück, enthüllte seine Lippen. Meine Augen fanden die versteckten seinen. Mein Herz feuerte gegen meine Rippen, mein Puls drehte durch, mein Atem stoppte. Es wurde so still, dass ich glaubte, die Torpedos in meinem Brustkorb explodieren zu hören. Die Welt hörte auf sich zu drehen, die Zeit gefror. Ich traute mich vor. Mutig, Millimeter für Millimeter. Bis ich ihn erreichte. Meine Lippen berührten seine, vorsichtig, scheu – und er riss mich herum, brachte mich unter sich. Presste unsere Körper zusammen, glühte sich auf meine Haut, entfachte einen emotionalen Sturm, verwickelte mich in einen innigen Kuss. Mit so viel Leidenschaft, dass es mir alle Lichter auspustete.   Es geschah so plötzlich, dass mein Verstand unmöglich aufholen konnte. Kira … küsst … mich. Seine Lippen unbeschreiblich heiß. Es brandmarkte meine Seele. Unheilbar, unvergesslich, ewig. Unsere Münder kreuzten sich, trennten sich, paarten sich, immer und immer wieder. Im Kreuzfeuer der Gefühle, die sich in meine Brust brannten, wie Flammenschmetterlinge in mir wüteten.   Keuchend verkrallte ich mich in seine gepunktete Bluse, suchte Halt, wo keiner auffindbar war, ließ mich von den heißen Wellen seiner Küsse mitreißen, zerfloss unter der Intensität seiner sinnlichen Gewalt. Stromstoß über Stromstoß jagte er durch meinen Körper, ließ meine Lippen elektrisch prickeln, die er mit seiner diebischen Zunge spaltete. Ihre Spitze tastete sich vor, drang listig in meinen Mund ein, erforschte hungrig meine Höhle. Kira schmeckte nach Wildkirsche. Nach etwas sündhaft Süßlichem, etwas Verbotenem. Zielsicher fand seine Zunge die meinige, umschlang sie, feucht und schamlos, rotierten sie im hingebungsvollen Balztanz miteinander. Kreisend, Richtung wechselnd, verdrehte es mir den Kopf, der immer tiefer im seelischen Meeresstrudel hinabsank. In die sündigen Abgründe, denen ich mich hingab. Verstandverlust war nur eines von dem, was ich verlor.   Offensiv ergriff ich die Initiative, zog ihn an seiner Bluse zu mir, ließ unsere Körper noch enger aufeinanderprallen, vertiefte unseren Kuss, dessen Dominanz er allzeit ermächtigte. Die Männlichkeit, die er ausstrahlte, bezwang mich, war ihm vollends unterlegen. Ertrunken in der Sinnesflut, die er über mir zusammenstürzen ließ, dürstete ich nach mehr. Als wären seine Lippen meine Luft zum atmen.   „Mir gefällt, dich zu zähmen, Penguin.“ Nie klang mein Name atemraubender, nie sündhafter, als von seinem dominanten Stimmklang gehaucht. „Du bist gänzlich hart. Erregen dich meine Küsse so sehr?“   Meine Wangen fingen Feuer, mein Gesicht glühte, mein Blick giftig, heizte ihn nur noch mehr an. Schnell riss ich mich von ihm los, schnell füllte ich meine Lungen mit Sauerstoff, wollte sofort wieder seine Lippen auf meinen fühlen. Doch hielt mich sein Finger davon ab, den er mir auf meinen Mund legte. Flüsternd beugte er sich zu meinem Ohr.   „Deine letzte Chance“, gewann sein Flüsterton an Tiefe, „noch kannst du fliehen... noch lässt er dich gehen“, schärfte etwas Bedrohliches seine rauer werdende Stimme. „Wenn du nun weitergehst, wird es gänzlich zu spät sein.“   Mein Herz stolperte. Nur, um noch kräftiger zu peitschen. Es war längst zu spät. Ich war seinen Schatten verfallen.   „Das Risiko gehe ich ein“, biss ich zart in seinen Finger, den er von meinen Lippen nahm, stattdessen platzierte er seinen Mund auf meinem. „So sei es“, brach sein Atem heiß gegen meinen, vermischte sich; Kirsche und Pfefferminz, die zusammen einander raubten. Eins wurden. Wilder seine Küsse, gieriger seine Hände, die meinen Körper eroberten, meine Haut mit brennenden Spuren zeichneten. Ich spürte seine Finger. Überall an mir. Spürte seine Dominanz, die mich devot werden ließ.   Überwältigt von seinen Verführungskünsten, hauchte ich; „Beiß mich.“ Und bekam seine Zähne zu spüren, die sich meinem Hals annahmen. Kratzend, scharf, markierend, strichen sie über meine Haut, in die sie sanken. Ein erregender Schmerz durchfuhr mich, ließ mich aufkeuchen, mich in seine blonde Mähne verkrallen. Erstickt werdend, von seinen erotischen Lippen, deren heißblütige Bewegung mich unterwürfig machte. Hungrig fiel er über meine Unterlippe her, die er zwischen seine Zähne nahm, spielerisch an ihr zupfte, sie freiließ, nur um unsere Zungen erneut tanzen zu lassen. Kira war ein verdammt guter Küsser.   Ich merkte, wie meine Lippe leicht anschwoll. Wie ich von ihm gezeichnet wurde. Wie seine Signatur mich innerlich prägte. Ich gab mich diesem Mann hin, dessen beschützende Lippen mein Anker in emotionaler Sturmflut war. Ich vertraute mich ihm an, gab ihm mein alles. Wir verfielen in einen Rauschzustand, alle Hemmungen fallend. Wir erschufen uns eine Welt, in der nur wir beide existierten lebten. Jede Emotion erlebten, in all ihrer Intensität. Kiras seelische Maske fiel. Entblößt, unverhüllt, echt. Lebendig brüllte sein schwarzes Herz.   Niemand konnte uns auseinanderreißen. Nichts uns trennen. Außer einem. Jemandem. Ihm.   Alles fand sein Ende. Die Zeit rann wie feine Sandkörner durch die gläserne Lebensuhr. Seelisches Porzellan zersprang. Ließ Scherben über mich regnen. Brutal kalt spürte ich das Messer an meiner Kehle. Sein Messer. Wahrhaft tödlich. Meine Halsschlagader bebte ängstlich gegen dessen Schneide, mein Herz zu Eissplittern zertrümmert. Mit einer erschreckenden Präzision führte er sein Todesinstrument, das er mir noch dichter in die Haut drückte.   Seine tiefe Stimme so finster, als wäre sie ein Schatten seiner Selbst. Er schnurrte. „Lust auf ein Blutbad... Darling?“ B-Blut?! Meinem!?   Zittrig brachte ich hervor; „W-Wer bist du?“ Das war nicht mehr Kira.   Seine Lippen schattierten zur Düsternis. „Ich? Mein Name ist Killer... Massaker Soldat Killer.“         Kapitel 4: Schattentanz ----------------------- ✞   Ein Kreuz im Schnee. Das Grab eines Soldaten. Die Zahlen 2010 darauf datiert – Das Todesdatum. Erst kürzlich ins weiße Holz geritzt, die frischen Kratzspuren erkennbar, die ein Dolch im Kreuz hinterließ. In Bitternis des Abschieds.   Friede war über den Kriegsschauplatz eingekehrt. Stumme Trauer umhüllte den Hügel, an dessen Gipfel eine einzelne Figur stand. Knirschende Schritte im Schnee, als er auf das Gedenkkreuz zuging, den Dolch in seinen Brustgürtel steckte und einen Helm auf dem Kreuzkopf platzierte. Seinen weinroten Fellmantel zog er von seinen Schultern, breitete ihn auf dem Boden vor dem Ehrenmal aus, setzte sich darauf und köpfte eine Bierflasche, die er anstoßend in Richtung des Grabs hielt.   „Auf dich, Partner.“ Der dunkle Lippenstift längst von seinen Lippen gewischt, strafte sein Grinsen Lügen. Das schwarze Gold seiner Augen wie Braunkohle ausgeglüht, fiel sein Blick auf die Flasche in seiner Hand, über die er mit seinem Daumen strich. Der rote Nagellack stark abgeblättert. Seine tiefe Stimme von Rauheit und Ermattung kratzend. „Ein kühles Blondes... wie du es gehasst hast, wenn ich dich so genannt hab...“ Bei der Erinnerung umfassten seine Finger das trübe Glas fester, zerdrückten es beinahe unter seinem krampfenden Griff, ehe er die Flasche an seinem Mund ansetzte.   Ziellos richtete sich sein gedankenverlorener Blick in die Ferne, auf die Stadt in Trümmern, die hinter dem Hügel in Asche lag. Wenn man genau hinhörte, konnte man sie wahrnehmen: Klagegeister, in Kummer getränkt. Ruhelose Seelen der Opfer des Krieges jammerten wehklagend im Wind. Das hölzerne Kreuz knackte leise im aufkommenden Windschnitt, der die losen roten Haarsträhnen des Trinkenden in Bewegung brachte. Ein winziges Glühen kehrte in das goldene Feuer seiner Augen zurück, als er seine Lippen erneut öffnete.   „Die Jungs leben“, erzählte er in befremdlich ruhiger Tonlage. „Sie leben“, wiederholte er, als würde er sich dessen selbst versichern wollen. Die intensive Farbe seiner Augen wich Zorn. „Das Schwein, das Heat den Mund aufgeschlitzt hat, hab ich eigenhändig ausbluten lassen.“ Ein verzerrtes Lachen drang aus seiner trockenen Kehle, brach in einem Husten ab. Aggressiv nahm er noch einen Schluck aus der Flasche, befeuchtete seinen Rachen mit dem bitteren Gesöff. „Wire hab ich in ner Höhle gefunden. Er hat Wochen mit Fledermäusen festgesteckt... hunderten von den Viechern. Glaubt jetzt, dass er selbst eine is.“ Seine Mundwinkel zwangen ihn zu grinsen. Ein zerstörter Ausdruck verunstaltete sein blasses Gesicht, durch das er grob mit seiner Hand wischte.   „Scheiße!“, schrie das Knurren aus seiner vernarbten Brust. Der Wutschrei hallte im toten Gebirge wider, verzerrte im Echo. Die unzähligen Erinnerungen, die er auf seiner Haut trug, spannten sich unter seiner Muskelgewalt an. Frisch genähte Fäden rissen, rote Streifen perlten seinen Brustkorb hinab. Ein ohrenbetäubendes Klirren zersprang im Schall. Die geschmissene Flasche zerschellte auf Boden, Glassplitter verteilten sich um das Grab seines besten Freundes. Flüssiges Gold tropfte sickernd in die weiße Erde. Seine einschlagende Faust krallte sich in den Schnee, drückte Scherben in seine Handfläche. Sein Grinsen nahm Wahnsinn an.   „Wir haben den Krieg gewonnen“, fixierten sich seine manischen Augen auf das weiße Kreuz, „hörst du? Wir haben gewonnen!“ Ungewollt griff er sich an seinen Arm. Dort, wo nur noch ein Stumpf geblieben war. Eine Granate nahm ihn ihm. „Warum?“, bebte seine grollende Stimme, „Warum hast du den beschissenen Granatwerfer gejagt?!“ Rage unterdrückte Verzweiflung. „Es is bloß 'n verfickter Arm! Das Scheißteil war's nich wert!“   Die Flüche blieben ihm im Hals stecken, als er den blau-weiß gestreiften Helm visierte, der auf dem Ehrenmal ragte, im Winterwind klapperte. Eine Bewegung, als würde der Helm den Kopf schütteln. 'Es ist nicht deine Schuld, Kid.' Er sah sie. Die Augen seines Partners, die ihn durch die Löcher der Kopfbedeckung stets gleich anblickten: In Freundschaft. Loyalität bis zum Tode.   Für ihn gestorben. Ein gewidmetes Leben. In ewiger Verbundenheit.   Der Funke der Freundschaft, der sich in Braunkohle-farbene Augen glühte, erhellte sie zu Seelengold.   „Du Halunke... Hoffe, du hast's warm.“   Er lachte belustigt.   „Sag dem Teufel, dass er bald seine Koffer packen kann. Halt den Rum bereit!“   Locker warf er sich seinen Mantel über, hob seine Faust. Im Abschied grinsend.   „Wir seh'n uns in der Hölle wieder, Kira!“   ...Kira... Kira. Kira!   . . .   Bleib! Bleib. ...Bleib...   Ich bin nicht tot. Ich bin hier. Unter dir.   Mein Unterbewusstsein rief nach ihm. Rief, dass er bleiben sollte. Vergeblich. In vollkommener Dunkelheit erwachend, öffnete ich meine Augen, blickte ins Nichts. Kids gedämmte Stimme immer leiser werdend, seine knirschenden Schritte entfernten sich, verstummten. Mich in Schwärze zurücklassend.   Es roch nach Blut, Schießpulver und Erde. Bewegungsunfähig lag ich auf etwas. Etwas Hölzernem. Meine tauben Finger ertasteten die splittrige Oberfläche, tasteten sich links und rechts entlang, erfühlten die engen Wände, die meine liegende Figur umschlossen. Mein Gefängnis aus Holz. Mein Sarg. Lebendig begraben.   Ein erstickendes Gefühl krachte in meine Brust. Erkenntnis, Leugnung, Endgültigkeit. Mein Körper wie gelähmt, mein Kopf des Denkens unfähig. Starre, Stillstand, Atemnot.   Die Totenstille erschlug mich. Kein Geräusch zu hören, nicht mal mein eigener Atem, um den ich kämpfte. Wie im Vakuum nahm ich alles wahr. Erdrückend schwer jeder Gedanke. Unbegreiflich. Die Stille mich meiner Stimme beraubt, meines Lebens beraubt. Lauernd zerrte sie mich weg, an einen anderen Ort; zum Dunkel, zum Allein, zwingend in Einsamkeit. Etwas wollte mich hier behalten. So verführerisch die Wärme, die meine Lebensgeister in falschen Versprechungen wiegte. Ein Lächeln in der Finsternis, das mich betörte, mir meine Sinne betäubte, mich belächelte. Es predigte mir trügerische Sicherheit, wollte, dass ich mich ihm hingab.   Einfach liegenbleiben. Einfach loslassen. Einfach aufgeben- N E I N!   Reflexartig setzte mein Überlebensinstinkt ein, brach sich an die Oberfläche meines schwindenden Daseins. Stumm schrie ich in die Dunkelheit, kämpfte gegen die Realität, die ich nicht als die meinige akzeptierte. Nein. Nein. Nein! Meine Fäuste schlugen hart auf das Holz über mir ein, so kraftvoll, dass jeder Schlag meine Knöchel knacken ließ. Lauter, immer lauter. Es vertrieb die Stille, ließ mich lebendig fühlen. Schmerz erinnerte mich daran: Ich lebe! Mein einziger Gedanke, der mir die Kraft zum Weitermachen gab. L e b e!   Alles andere wurde nichtig; Mein Name, meine Vergangenheit, meine Persönlichkeit – Im Angesicht des Todes gleichgültig. Instinktiv kämpfte meine namenlose Seele gegen ihr Schicksal an. Mein Körper agierte in ihrem Willen. Dem Willen zu überleben. Ich war tot. Wie lange, wodurch, wieso – unwichtig. Jeder Faustschlag hielt mich im Hier und Jetzt. Unzählige Male kollidierten meine Knöchel gegen die robuste Decke, die keinen einzigen Kratzer aufwies. Der Blutgeruch verstärkte sich, benebelte meine Sinne, ließ mir schwindelig werden.   Wie tief ich mich unter der Erde befand, wusste ich nicht. Wie weit entfernt von Freiheit... Der Tod so nah, näher als das Leben. Noch ferner die einzige Chance. In der Ferne die Hoffnung schwindend. Am Horizont kein Licht, nur das schwarze Meer meiner ertrinkenden Seele.   Zeit spielte keine Rolle mehr, wenn das Ende in Sicht war. Minuten... Stunden? Irgendwann war die Stille wieder da. Doch nicht die Äußere – die Innere. Als wäre sie mit meinem Selbst verschmolzen. Sie war mein einziger Gefährte, mein einziger Beistand. Sie flüsterte mir zu, dass ich lebte. Das Dunkel fraß sich so tief in meinen Verstand; Ich spürte, wie es mein Innerstes auffraß. Mich verschlang. Die Finsternis ein Teil von mir wurde. Es war der Preis, den ich zahlte. Der Tribut, den der Tod von mir forderte. Mein Ich gegen mein Sein.   Ich wurde für tot erklärt. An diesem Tag holte mich der Seelenräuber. Meine Leiche würde er nicht bekommen. In den letzten Atemzügen, schlug letztmals mein Herz. So schwach und doch lebendig, ehe es den Schatten zum Opfer fiel. Etwas knackte. So laut, dass es in meinem Inneren widerhallte. Was zerbrach? Mein Kopf? Ich? Der Sarg.   Ein Spalt im Holz über mir, in den ich meine Finger verkrallte. Mit aller verbliebener Macht riss ich das Holzstück heraus. Erde schüttete auf mich nieder, indessen ich mich im unbezwingbaren Überlebenswillen verbissen in den Dreck grub. Meine blutigen Fingerkuppen rissen, ich spuckte Erde, grub weiter, immer weiter. Zentimeter für Zentimeter. Kämpfte unerschütterlich gegen die erdige Mauer an, die mich von der Freiheit trennte. Die Schicksalsketten zerbrachen. Lebenskälte riss mich aus der Todeswärme. Entriss mich den knochigen Fingern des Sensenmanns. Schnee umarmte meinen leeren Körper. Mein Arm stieß durch die Oberfläche, erhobener Faust. Mein neues Ich entstieg den Toten, entrann dem Nahtod. Doch das Dunkel gab mich nicht frei.   Die Sonne... Ein Licht so hell, dass es mich nicht erreichte. Erblindet schirmte ich das Tageslicht mit meinem Unterarm ab, meine Muskeln taub, meine verklebten Augen brannten. Erst mehrere Momente später erhielt ich schwach Sehkraft. Blut tropfte von meinen Händen, zeichnete den Schnee, auf den ich blickte. Eine einzelne Blume auf meinem Grab wachsend. Ein Schneeglöckchen – Der erste Bote des Frühlings. Auf ihre Blüte fiel ein roter Tropfen. Es schneite. Stumm flimmerten die hellen Kristalle über die Landschaft.   Dann erfasste ich sie: Weiße Kreuze. Tausende von ihnen, die sich den gesamten Hügel hinab erstreckten. Kriegsgräber. Datiert, beziffert; Zahlen ohne Namen. Nur noch Nummern, ohne ein Gesicht. ...Wie ich.   So stand ich hier. Allein mit den Toten. Als einer von ihnen.   Abwesend fasste ich mir an die Brust. An mein Verdienstkreuz.   Soldaten sind Helden?   Vom Abzeichen blickte ich zu meinem Grabmal, entdeckte den blau-weißen Helm und nahm ihn an mich.   Ich bin kein Held. Ich bin ein Mörder. Ein Killer.   Meine blass-blauen Lippen lächelten. Eiskalt.   Ich setzte sie mir auf: Meine Maske. Und lachte. Lachte hysterisch, defekt, irre.   „Fa Fa Fa!“   Presste meine blutigen Hände gegen meinen Helm, fühlte die nasse Wärme meiner Wangen, spürte, wie es mich zerriss. Meine Seele spaltete. In Zwei.   Ki... ra ...ller       * * * * *       „Mein Name ist Killer... Massaker Soldat Killer.“   Eine Existenz, um zu töten.   Töte. ...Töte ihn. ...Töte Penguin.   Beißend kratzte der Befehl an meinem Verstand, um dessen Kontrolle ich rang. In meinen Gedanken die dunkle Stimme Killers, die Kira bezwingen wollte. Unter mir Penguin, dem ich noch immer das Messer an seinen Hals drückte. Meine Hand zitterte. 'Nein.' Mein innerer Ruf – Kiras hellere Stimme – die immer mehr verblasste. Du kannst mir meinen Verstand nehmen, aber nicht ihn.   Ist da jemand schwach geworden?, höhnte das finstere Flüstern, das nur für mich hörbar war. So angreifbar... So verletzlich... Wie erbärmlich du bist. Was ist nur aus dir geworden, Kira? Killer summte entzückt. Schäme dich. Waren wir nicht glücklich allein?   Fick dich, Killer. Na, na. Wir wollen doch nicht ausfallend werden... Wir haben schließlich einen Gast. Mein innerer Jagdtrieb, hervorgerufen durch Killer, erfasste Penguins zitternde Figur. Wie unterwürfig er unter uns liegt. Er fleht wahrhaft danach, unser Mahl zu werden. Soll ich ihn für uns herrichten? In wie viele Teile soll ich ihn schneiden...?   Ein abscheuliches Gefühl von Erregung ergriff mich – Killers dunkle Emotionen. Killer war unberechenbar, gänzlich geisteskrank. Seine unmenschliche Kälte war beängstigend, selbst für mich, trotz dessen er ein Teil von mir war. Der Feind im eigenen Körper. Meine Maske hätte niemals geöffnet werden sollen. Mein Herz tot bleiben sollen, dessen Impuls Killer erweckt hatte. Ich durfte nicht lieben. Durfte der Einsamkeit nicht entfliehen. Der Fluch des Todes auf mir liegend. Eine Krankheit bis zum Tod.   Dunkel grinste er, meine Lippen mimten die Bewegung meines zweiten Ichs. Bereust du deinen Fehler? Bereust du, ihn geküsst zu haben? Ich schwieg. Die Antwort eindeutig. Wie herzzerreißend... Er bedeutet dir etwas. Und seine Stimme schattierte in düsterster Vorfreude. Es wird mir ein Vergnügen sein, euch auseinanderzuschneiden.   Das Messer bewegte sich, Penguin blieb in Schockstarre. Ich wurde zornig, äußerst zornig. Wenn du ihm etwas antust-! Je emotionaler ich wurde, desto mehr verlor ich die Kontrolle. Fuck. Dann was? Du kannst nichts gegen mich ausrichten. Die Macht, die Killer ausstrahlte, stach brutal in meinen Kopf, den ich mir hielt. Ich höre jeden deiner Gedanken, durchschaue jede deiner Lügen. Fühle es... deine Verzweiflung... Schmecke deine Angst. Sie ist köstlich. Schnurrte er genüsslich. Sie macht mich stärker, indessen du schwächer wirst. Sorge dich nicht, Kira... Ich werde mich gut um ihn kümmern.   Lass deine fucking Finger von- Wie unmanierlich von dir. Gewaltsam dreschte er sich in meine Gedanken. Darf ich bitten. Etwas Privatsphäre ist doch nicht zu viel verlangt. Und er befahl in eisigem Kristall: Lass uns allein. Seine dunkle Kraft erstickte meine Gegenwehr, besiegte Kira, übernahm die Führung über meinen Körper und Geist. Es fühlte sich an, als würde er meine Existenz in einen lichtlosen Raum sperren, wo mich das Nichts empfing. Erneut. Die Schatten verschlangen mich. Ein Gefühl, wie lebendig begraben.   Das Letzte, was ich bei klarem Verstand hörte, waren seine höchst amüsierten Worte; Du kennst mich... Ich quäle meine Opfer langsam. Ich spiele mit ihm, bis er mich langweilt. Killer lachte dünkelhaft. Ein Geräusch, welches dem wahren Wahnsinn ähnelte. Der Wahn, der die Sinnhaftigkeit von Killers Existenz war.   Sayōnara, Kira.   Endlich allein. Kira war mächtig, doch der Gefühlstrottel hatte sich schwächen lassen. Wegen eines sentimentalen Stümpers. Lächerlich. Wegen ihm. Erfasste mein abschätziger Blick den jungen Mann, über dem ich kniete. An dem nichts besonders war. Er war nur ein Fehler, ein kurzlebiger Zeitvertreib, der mich ein wenig unterhalten wird. Meine dunklen Lippen zogen sich in krankem Amüsement auseinander.   „Sieh mich an“, befahl ich meinem Spielzeug. Dessen grünes Augenlicht von Emotionen gesplittert, nicht wissend, was er fühlen sollte. Ich genoss seinen verängstigten Blick, der mich nährte. So ist es gut... Fürchte dich vor mir... „K-Killer?“, bebte es von seinen geöffneten Lippen. Nie klang mein Name süßlicher, als von seiner Angst getränkt.   „Richtig geraten“, lobte ich ihn züchtigend, strich die Messerspitze über sein Schlüsselbein, seine Haut so blass, so... unberührt. „Wie soll ich dich belohnen?“, raunte ich dürstend, belauerte seine Reaktionen. Wie er zusammenzuckte, sich zwang, sich nicht zu bewegen. Sich seine Augen weiteten, er um sein Leben bangte. Seine geöffneten Lippen geschwollen, hektisch atmend. Die Nachwirkungen der unterbrochenen Intimität noch sichtbar, noch fühlbar, für uns beide. Finstere Erregung durchfuhr mich. Mit diesem Opfer würde ich Spaß haben. Er gefiel mir. „Mein Opferlamm...“ Kira hatte einen außerordentlich guten Geschmack. Schließlich teilten wir gewisse Vorlieben.   Die Gesichtszüge meines Spielzeugs blichen. „Du bist schizophren“, traf ihn die Erkenntnis mit aller Kälte. „Du... Was hast du mit Kira gemacht?“ Etwas kroch in mir hoch. Etwas Bösartiges, Irres. Psychopathisch starrte ich ihn nieder. „Vergiss ihn. Es gibt nur noch uns zwei.“   Mit der Messerspitze zeichnete ich ein Herz auf seine freie Brust, berührte seine Haut so federleicht, dass ich sie nicht durchbrach, lediglich oberflächlich ankratzte. Dann teilte ich das Herz-Symbol in der Mitte. Ein pfeilschneller Schnitt, der die Luft zischen ließ.   Flüsternd lehnte ich mich zu ihm hinab, meine tief-dunkle Stimme geschliffen wie schwarzer Obsidian. „Wie unhöflich von dir, bei unserem Techtelmechtel von einem anderen Mann zu sprechen.“ Die Messerspitze stoppte über seiner linken Brustseite, wo sein Lebensorgan sichtbar gegen die Klinge pulsierte. So heftig, dass die Spitze ein winziges Loch in seine Haut stach. Ein einzelner Bluttropfen hervortretend, den ich mit dem Messer auffing, ableckte, auf meiner Zunge zergehen ließ. So süßlich... Seine Angst witterbar. Schmeckbar. Dunkel erregt raunte ich; „Deine Attraktivität ist ein Verbrechen, das begangen werden will.“   Der sichtbare Lebensimpuls seiner glühenden Wangen ließ das Biest in meiner Brust brüllen. Verlegen sah er weg, nuschelte knirschend. „Auch wenn du genauso aussiehst, bist du nicht er!“ Jedoch habe ich den gleichen Effekt auf dich. Hinterhältig machte ich mir sein emotionales Durcheinander zunutze, wusste um meine Wirkung auf ihn, kam ihm körperlich näher. Das leichte Schaudern seinerseits Antwort genug. Dein Körper verrät dich...Verwirre ich dich etwa? Vergnügen umspielte meine Lippen, die sich seinen lauernd näherten.   „Möchtest du mich küssen?“, verlangte ich zu wissen. Stellte ihm die gleiche Frage, wie Kira. Mit gleicher Stimme. Bedachte seine von Bissspuren gezeichneten Lippen mit gierigem Blick, wollte Kiras Gravierung überschreiben. Und erhielt eine eiskalte Abfuhr. „Nach dem Stimmungskiller? Vergiss es!“ Wie hat er mich genannt?!   Schief grinste er – seine Unsicherheit offensichtlich – sah mich prüfend an und hob dann seine Kappe. „Penguin“, stellte er sich mir vor, „unangenehm Ihre Bekanntschaft zu machen, Mister Stimmungskiller.“ Entweder war er lebensmüde oder irre – womöglich beides. Obgleich er wusste, dass er sich mit einem Mörder unterhielt, beliebte er zu scherzen. Wie ungewöhnlich. Einem solchen Opfer war ich noch nie begegnet.   Morden war meine Profession. Als Killer hatte ich die Angst vieler Menschen gesehen, sie analysiert, wusste sie exakt zu deuten. Auch Penguins. „Du hast keine Angst vor dem Tod, weil du dein Leben zu opfern bereit bist.“ Obwohl er selbst betonte, wie wertvoll ein Leben war. „Warum?“ Gebe mir einen Grund. Einen Grund, dich zu begehren.   Penguins Augen begegneten meinem Blick. Sein Augenlicht schwankte, von etwas Traurigem zu Resignation. Sein Herzschlag beruhigte sich minder, trotz der bedrohlichen Situation, blieb konstant aufgeregt. Halb-grinsend legte er mit Daumen und Zeigefinger seinen Kappenschirm schief. „Pessimismus ist meine Leidenschaft – Ich bin ein Überlebenskünstler; Male mir mein Morgen schwarz aus.“   „Suizidgefährdet?“, fragte ich ihn, meine Stimme von Erheiterung schattiert. Belustigt zitterte sein Mundwinkel nach oben. „Jetzt schon – Dank dir.“ Starker Wille flackerte in seinen Seelenspiegeln, deren Grünton sich aufhellte, indessen er seine Lippen zu einem scheuen Lächeln traute. „Du warst es“, flüsterte er schüchtern, von Ehrfurcht untermalt. „Du hast mich vor dem Gas gerettet... Nicht wahr, Killer?“   Ungesehen zuckte meine Augenbraue in die Höhe, das Messer zitterte minimal von Penguin weg. „Was hat mich verraten?“, forderte ich zu erfahren, schlug meinen Unterarm in die Armlehne neben seinen Kopf, der sich mir nicht abwandte, meinem intensiven Blick nicht auswich. „Der Schatten. Du bist der Schatten, dessen Präsenz ich gespürt habe.“ So, so... Ein ganz schlaues Kerlchen, hm? „Was lässt dich so sicher sein, dass dein Gefühl dich nicht trügt?“   „Nichts“, antwortete er ehrlich, „für Gefühle gibt es keine Garantie.“ Ein abwertendes Schnauben entwich meinen Lippen. „Dann warum überhaupt etwas fühlen?“ Penguins Augen nahmen die Farbe von frisch wachsendem Gras an. „Weil es immer lohnt zu leben, bevor man stirbt.“ Wer von uns ist hier geistesgestört?   Seine närrische Empfindsamkeit weckt etwas in mir... Den Wunsch, ihm jeden Gefühlsfunken einzeln auszujagen.   Düsternis schattierte meine ungesehene Mimik. „Ich habe lange kein Opfer mehr gehabt... Nicht hier, nicht so menschlich“, ging meine geschliffene Stimme in ein finsteres Raunen über. „Sei mein Erster.“ Geräuschvoll rammte ich das Messer neben seinen Kopf ins Sofapolster. Verschreckt erschauderte er, riss sich vergebens zusammen. Versteckte seine Angst mit Sarkasmus. „Was für eine Ehre, dein erster Stich zu sein“, schwankte sein Grinsen. „Da fühle ich mich ja fast geschmeichelt.“   Fühle dich sicher, solange du kannst. Wer mit mir zu spielen versucht, betritt das Schattenreich; Ein Schachbrett aus pechschwarzen Feldern.   Du wirst fallen, ehe du zu fliegen beginnst. Zuerst werde ich dich die Dunkelheit lehren.   „Wer wird dich vermissen?“, stellte ich ihm die Frage, wie all meinen Opfern. „Wer trauert um dich?“ Das Gesuch überraschte ihn, der Gedanke fing seine Aufmerksamkeit ein. Die Ferne zeichnete seine Augen, indes er nachdachte. Etwas, worüber sich Menschen erst bewusst wurden, wenn es zu spät war. Meist waren es Familie und Freunde, die ihnen zuerst einfielen. Nahestehende, die durch Trennungsverlust brachen. Liebe war so zerbrechlich.   Nach seinem Schweigen wählte er seine Antwort. „Du.“ Und irritierte mich.   Ruhig holte er Luft. „Ist es nicht der Mörder selbst, der sein Ziel verliert? Betrauert dich der Verlust nicht? Schürt es nicht die Gier? Die Sehnsucht?“ Ein ablehnendes Knurren vibriert in meiner Brust. Hör auf, mich verstehen zu wollen. Deine Gefühlsmasche zieht bei mir nicht. Ist ja ekelhaft. In seiner Annahme bestätigt, schwafelte er weiter. „Wie viele Menschen sind dir durch die Finger geglitten? Wie hat es sich angefühlt?“ Mein tiefster Stimmton, in finsterster Schärfe, antwortete; „Blutig-süß.“ „Und bitter“, fügte er bei, „stimmt's?“   Ich zögerte, nur kurz, doch reichte es als Aussage. Wer ist dieser Sonderling, dass er sich die Frechheit herausnimmt, über mich urteilen zu dürfen? Jeder hat Leichen im Keller... was sind die deinen?   „Warum bist du hier?“, grub ich mich tiefer in seine psychischen Abgründe. „Was versuchst du vor dir selbst zu verstecken?“ Nun war er es, der stockte. In seinem blasser werdenden Gesicht etwas, woran er sich erinnerte, was ich an die Oberfläche holte. So gefällst du mir besser... in Leichenblässe. Kalt schmunzelnd fuhr ich fort. „Menschen zu helfen ist die schmutzigste Art von Egoismus. Es sind entweder diejenigen, die sich selbst nicht zu helfen wissen oder dem reinen Eigennutzes wegen handeln. Um sich besser zu fühlen, andere manipulierbarer zu machen. Anderen vorspielen, Bessermenschen zu sein, Hoffnung geben, obwohl sie selbst hoffnungslos sind-“   „Sei ruhig!“, wurde er plötzlich laut, verunsichert, doch ließ ich mir von ihm nichts verbieten, blickte auf den trocknenden Blutpunkt auf seiner Brust. „Dein lügendes Herz täuscht dich. Dein Motiv ist so unrein, wie du es bist.“ Giftig seine Augen, die sich in meine Maske verbissen. „Nein“, spie er aus, ehe das Gift seiner Augen Überzeugung wich. „Der schmale Grad zwischen Wahrheit und Lüge; dort liegt die Herzlinie verborgen. Solange ein Herz schlägt, ist es nicht verloren.“ Es? Ein abwertender Laut meinerseits. „Liebe?“ „Leben“, korrigierte er. „Teilen du und Kira nicht das gleiche Herz?“   Gespräch beendet.   Ohne Vorwarnung stieg ich von ihm herunter, von seinen verwirrten Blicken verfolgt werdend, die meine Schritte zum Nebenraum beobachteten. Sich nicht trauend, mir nachzugehen, nachzufragen, verharrte er ungeduldig und ahnungslos an Ort und Stelle. In einer alten Kiste fand ich, wonach ich suchte, nahm es schmunzelnd an mich, bevor ich wieder zu ihm trat. Penguin hatte sich aufgerichtet, rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her, wartete zahm, bis ich ihn mit einschüchternden Schritten erreichte. Verschreckt sah er zu mir auf, nicht wagend, sich zu bewegen. Lechzend fanden meine Finger seinen Körper, erfühlten die lebendige Wärme unter seiner Kleidung, ertasteten den Ärmel seines Overalls hinab, bis ich sein Handgelenk umschloss und grob umdrehte. Das Objekt in seine Hand fallen ließ. Und messerscharf befahl: „Lauf.“   Die Dominanz meiner Präsenz ließ seinen Körper gehorchen, ihn aufspringen, an mir vorbeieilen, um sein Leben rennen, zur Tür. Ohne sich umzudrehen, ohne mich ansehen zu können, erhob er vorsichtig seine Stimme. „Du lässt mich gehen?“, klang er höchst skeptisch, „einfach so?“ Ich summte bestätigend. Wie unvorsichtig von ihm, mir den Rücken zu kehren. Er unterschätzt mich noch immer.   „Dann... gehe ich jetzt“, legte er seine Hand an die Türklinke, drückte sie zögerlich nach unten und gefror in seiner gehenden Bewegung. Meiner schattenhaften Worte wegen. „Du wirst zu mir zurückkommen“, schmunzelte ich düster, „ob du willst oder nicht.“ Weil dein Herz zu schwach ist, um der Versuchung zu widerstehen.   Die Tür fiel zu. Die Stille allzeit präsent, nun umso tiefgreifender. Allein mit mir selbst, genoss ich die Einsamkeit. Genoss die Freiheit der Ungebundenheit. Wie viel Zeit ist seit unserem letzten Persönlichkeiten-Tausch vergangen? Mein Blick schweifte zu den Fesseln an der Wand, mit denen man mich des Öfteren zu bändigen versuchte. Sinnlos. Indessen ich in Ketten gelegt wurde, überließen sie Kira den Schlüssel. Der übervorsichtige Kontrollfreak hatte mir nie verraten, wo sie waren – Noch nicht einmal aus seinen Gedanken konnte ich es erfahren. Wann immer wir die Plätze tauschten, zwang er seinen Geist zur Stille. Meiner Stille. Die Totenstille ist mein. Seit Kira den Nahtod erfahren hat. Durch das Trauma ist seine Persönlichkeit zersprungen. Ohne mich würde seine Psyche in Scherben liegen. Er braucht mich – Ich ihn nicht. Die Rangordnung war eindeutig.   Kira verließ fast nie seine Zelle – seit zehn verlorenen Jahren nicht – ließ sich freiwillig einsperren, zum Wohle der anderen. Trottel. Hingegen ich mich keineswegs meiner Freiheit berauben ließ, einen Pakt mit Doflamingo geschlossen hatte; die Drecksarbeit für ihn erledigte, im Austausch für den uneingeschränkten Zugang zum Kellertrakt. Kira wusste nichts von meinen zwielichtigen Schandtaten, unwissend und tölpelhaft, wie er war. Ich mochte ihn nicht, gewöhnte mich lediglich an unsere Zusammenarbeit. Wir mussten uns arrangieren, um zu überlebendauern. Dies funktionierte zufriedenstellend, bis der Störfaktor in unser Leben trat. Penguin. Seine Existenz brachte die unsere in Ungleichgewicht. Kira wollte mich nicht mehr übernehmen lassen, noch weniger als zuvor – bis er mein Zutun benötigte. Als der Selbstmordlemming lachhaft versuchte, ein Leben zu retten – welch Torheit – brauchte Kira meine Sensen, meine Stärke, mich. Wir agierten als eine Einheit, um den Unglücksvogel vor seinem Schicksal zu bewahren. Widerlich, dass ich dazu beitrug, seine Bestimmung unnötig hinauszuzögern. Von mir aus hätte er dem Wahnsinn des Giftgases verfallen können. Dies wäre sicherlich unterhaltsamer gewesen. Was bin ich doch für ein niederträchtiges Individuum.   Ich schmunzelte arrogant, mir vollkommen bewusst, wie abscheulich ich war – Die Welt hatte mich als Unmensch erschaffen. Mir blieb nur dieser Weg, um weiterzubestehen. Geschaffen als Kiras böse Seite, als seine Psychose – so wurde ich meinem Ruf gerecht.   Zeit für einen kleinen Spaziergang. Zielsicher begab ich mich zum Behandlungstrakt. Oh~ da werden ja beinahe Erinnerungen wach. Wie rührselig. Nicht wahr, Kira? Wie oft haben sie dich... untersucht?   Mitleid war etwas, was sich ein Leidender nicht leisten konnte. Den Weg durch den Keller kannte ich in- und auswendig. Meine Beine trugen mich automatisch durch den Korridor, bis zur Abzweigung, wo ich anhielt. Vor meinen Füßen die einzelne rote Perle liegend, die ich kniend aufhob, zwischen meinen Fingern spielerisch drehte. Sieh an, sieh an. Seit der Stilllegung des Therapiesektors herrschte die finstere Leere hier in der Dunkelheit. Die Schatten waren mein Element. In Einsamkeit und Finsternis fühlte ich mich lebendig. Fast. Und doch störte etwas meine Stille. Etwas, das meine geschärften Sinne wahrnahmen. Ein Atmen, sacht und leise, dessen Ursprung ich ergründete. Auf lautlosen Sohlen durchschritt ich den Flur, welcher von Spinnenfäden verwebt war. Konsequent bewegte ich mich auf sie zu. Die feinen Schnüre berührten mich nicht, mieden mich, als wäre ich ein Teil ihres Verwebnis. Wir alle waren es.   Mein Killerinstinkt führte mich zu dem Lebensimpuls, führte mich zu einem der hinteren Zimmer. Die anderen waren geschlossen, waren meines Blickes nicht wert. Niemand war es – außer meinen Opfern. Mir scheint, ich habe einen Vogel. Ich erreichte die einzig offene Tür. Jemand wollte gefunden werden. Im Türrahmen des verwahrlosten Behandlungsraums blieb ich stehen, lehnte mich gegen den morschen Rahmen und verschränkte meine Arme vor meiner gepunkteten Bluse. Meine Annahme bestätigte sich, als ich die Person auf der Motten zerfressenen Liege erkannte.   „Portgas“, sprach ich seinen Namen neutral und desinteressiert aus, warf ihm die rote Perle zu, die er geschickt auffing. „Dies ist wohl dein.“ „Mein Name spricht sich rum, was?“, grinste er sorglos, fädelte die Perle zurück auf die Kette, die er wieder um seine freie Brust legte. Lässig lehnte er sich ans Kopfende, die Arme hinter seinem Kopf verschränkend, und schob sich seinen Cowboyhut über seine Stirn. Distanzierte seine Blicke von mir, wie ich die meinen von ihm. Wir wollten nichts miteinander zu tun haben. Niemand wollte etwas mit mir zu tun haben.   Portgas besah sich die fleckigen Deckenfliesen – wie oft er sie wohl gezählt hat? – seine Hand blieb an seiner vorderen Hutkrempe, verkrallte sich kaum sichtlich darin, als ich faktisch antwortete. „Der Königssohn des Schlosses ist unverkennbar.“ Gol D. Roger – Der König der 'Piraten'. Ein wahrlich umschmeichelndes Wort für 'Patienten'.   Rogers Sohn schwieg, indes er seine Hutkrempe tief über seine Augen zog, die Bitternis seines Blickes verbarg. „Mein Vater ist tot. Die Legende bloß noch Schall und Rauch. Ich bin nicht wie mein Erzeuger, werde es nie sein!“ Nach dem kraftvollen Widerhall seiner Stimme, folgte die Stummheit, ehe ein langsames Lächeln seine Sommersprossen erhellte. „Luffy... mein Bruder ist der zukünftige König der Piraten.“   Unwahrscheinlich. Unter dem Regime des 'Königs der Puppen' existierte keine Freiheit. Marionetten waren dazu erschaffen in Käfigen zu tanzen. Ich glaubte nicht an Hoffnung. Es gab sie nicht, hatte es nie gegeben. Für mich ohnehin nicht. Kira konnte nicht geheilt werden. Durfte es nicht – sonst würde meine Existenz ausgelöscht. Lieber war ich eine Marionette der Psyche, als der seidene Faden eines sterbenden Herzmuskels.   Unrast füllte den Raum, in den ich schritt, an den verstaubten Untersuchungsgeräten und der durchgelegenen Liege vorbei, zu der defekten Wandlampe, an deren verrosteten Kette ich zog. Ein Rumpeln ertönte, ehe sich die linke Wandseite bewegte, zur Seite schob. „Whoa!“, kommentierte der Unwissende, „sowas gibt’s hier? Marco hat mir nie was davon erzählt.“   Ein neuer Gang offenbarte sich hinter schweigenden Mauern, die viele Geschichten erzählten. Ohne Erwiderung zu geben, steuerte ich die Treppe an, die noch tiefer ins Schloss führte. Schritte hinter mir verrieten, dass mir gefolgt wurde. Im Ignorieren war ich ein Meister. Der Meister der Stille, die alles Unerwünschte ausblendete. Im Vorbeigehen zündeten sich die Lichter an den Wänden von selbst, erzeugten einen matten Flimmerschein, der die Steintreppen abwärts erkenntlich machten. Manch einer hätte diese Örtlichkeit als schaurig bezeichnet – für mich hatte sie etwas Heimisches. Es roch nach genommener Menschlichkeit. Nach etwas Grausamen. Witterbar die Schreie, die einst hier unten widerhallten. Mein Folterkeller Ballsaal. Doch als ich ihn erblickte, verengten sich meine Augen. Etwas war anders – anders war unentschuldbar. Jemand hatte sich an meinem Reich vergangen und es beschmutzt. Äußerst unerfreulich.   Die rundförmige Steinstätte mit hoher Wölbung, von rauen Säulen gehalten, war noch so kalt und vereinsamt, wie ich sie in Erinnerung hatte. Alles weitere nicht. Die wenigen Schrankregale links und rechts, wo einst meine Instrumente einsortiert waren, umgeworfen und zerstreut. Die Folterbank, die zuvor die Mitte des Raumes einnahm, nicht mehr dort. Die Vorrichtung der Fesseln nur noch Löcher im Untergrund. Ersetzt von schändlichen Schmierereien. Der runde Steinboden war mit geschmacklosen Symbolen verziert. Dunklen Symbolen. Blut war in die Risse im Stein eingesickert, schwarze Kerzen abgebrannt, ein geopfertes Tier so zur Unkenntlichkeit geschändet, dass dessen Gattung nicht mehr identifizierbar war. Schnelleren Schrittes erreichte ich mein Ziel, kniete in den äußeren Rand des Zirkels, berührte das Lebensrot mit meinen Fingern und zerrieb es auf meinen Fingerkuppen. Das Blut gealtert, aber noch nicht getrocknet.   „Was für ein kranker Shit geht denn hier ab?“, äußerte sich mein unerwünschter Anhang und schluckte hörbar. „Eine Séance?“ „Mitnichten“, zogen sich meine Mundwinkel in finsterer Vorfreude auseinander, „ein satanisches Ritual.“   „Heißt das... Hier spukt es?“, wollte Portgas wissen, den Unterton der aufkeimenden Abenteuerlust blieb mir nicht verborgen. Seine aufgeregten Augen schweiften umher, versuchten etwas Unsichtbares sichtbar zu machen. „Wer weiß“, summte ich geistesabwesend, „Spuk und Trug liegen nah beieinander.“ „Das muss ich Luffy erzählen!“, blendete ich den störenden Energiestrahler aus, konzentrierte mich auf das Dunkel, das sich für mich viel wärmer anfühlte. Die Finsternis sympathisierte mich. Bedenkenlos trat ich in in den Zirkel, vollends unberührt von dem schauerlichen Anblick. Um mich zu beirren, bedarf es mehr als Geister und Dämonen. Zähle ich mich doch selbst zum Diabolischen. Der Geist, der nachts unter deinem Bett lauert.   Lateinische Zeichen waren in den Boden geritzt, dessen Botschaften ich nicht lesen konnte, aber spürte. Ein Gefühl wie von siedend flüssigem Gold, welches dich überschüttete, in dich einfloss, dein Blut vergoldete, bis dein gesamter Körper zu einer legendenhaften Statue verhärtete. Dies war kein Beschwörungsritual, viel mehr- Ganz plötzlich geschah es. Portgas trat in den Blutkreis, der sich zischend entzündete; Blutspuren und Symbole leuchteten in übernatürlichen Flammen auf. Von ihm entfacht.   Ein gespenstisches Säuseln hallte von den toten Wänden wider, drang zu unseren Ohren. Mit ihm ein eisiger Wind, der meine blonde Mähne in Bewegung brachte und Portgas' Hut vom Kopf wehte. Die gesummten Worte der Geisterstimme verhangen von Schwermut.   „Reichtum, Macht und Ruhm~“, wehte das Flüstern in Windgesängen durch die Dunkelheit, „der Mann, der sich dies alles erkämpft hat~“ Portgas erstarrte, als die endgültigen Silben die düstere Luft gravierten. „...Bin ich.“   Es traf Ace wie eine Feuerfaust. „OhShitOhShitOhShit!“ Kein Beschwörungsritual – Ein Blutbündnis. Seine Feuertaufe. Die Geburt des Feuerteufels.   Die lateinische Inschrift zu Asche fallend, zu lesbarer Schrift werdend, offenbarte die Prophezeiung: Wenn Dämonenblut im Fegefeuer brennt, steigt die Herzflamme des nächsten Lebens empor. Der Sohn vom Vater verflucht, in ewiger Verdammnis. Im Blute steht es geschrieben. König Gol D. Ace.   Undeutbar Portgas' Blick, zu keiner Reaktion fähig. Schweigend ging er, zu den Treppen, begab sich zurück zu seinem Versteck. Mit ihm die gespenstische Atmosphäre, mitsamt den übernatürlichen Flammen entschwindend – in ihm weiterbrennend.   Nun... dies scheint höchst interessant zu werden. Das Schloss ruft den rechtmäßigen Erbe. Dämonisches Blut muss bereinigt werden. Die Legende lebt weiter.   Aber war dies noch immer meine Geschichte. Wer auch immer für all dies verantwortlich war – für die Verunstaltung meines Reiches – Ich würde ihn finden. Die Jagd ein willkommener Zeitvertreib. Meine Fingerspitzen kribbelten, das Gefühl meiner Klingen ersehnend, die ich an einem speziellen Ort aufbewahrte. Ebendiesen suchte ich nun auf. Durch das Kellersystem – der 'Ballsaal' verbunden mit vier Bereichen im Schloss – zu denen ich mir unerlaubt Zugang verschafft hatte. Welch böser Schuft ich doch bin. Von den vier Treppen – im runden Winkel gegenüberliegend – nahm ich die rechte. Die längste. Zum Dachboden.   Oder: die Bruchbude. Hier oben wohnte hauste jemand. Auf geschätzten 11 m². Die wenigen Möbel bestanden aus Rumfässern; Ein Fass-Sessel, zwei Fass-Hocker und ein Fass-Tisch. Der Schlafplatz eine Hängematte, die quer durch den Raum gespannt war. Klamotten in einer Plastiktüte gelagert, wie auch auf dem – von Stahlstiefeln zerkratzten – Boden verteilt. Das einzelne Rundfenster hatte noch nie einen Putzlappen gesehen. Als einzige Lichtquelle der Bildschirm unter dem lichtundurchlässigen Fenster. Auf dem Fass vor dem – von Fastfood-Packungen vermüllten – Schreibtisch saß die Person, die ich ersuchte. Selbsteinladend nahm ich auf dem Hocker neben ihm Platz, stützte meine Maskenunterseite auf meiner Handfläche ab und sah auf den Überwachungsbildschirm meiner Zelle, die der 'Sicherheitswärter' stets überwachte. Kiras Beschützer.   Begrüßt wurde ich mit einem grinsenden; „Ki-“, endend in einem geknurrten; „-ller.“ Oh wie sich Kid freute, mich zu sehen. Wie sich seine haarlosen Augenbrauen verächtlich zusammenzogen, sich seine dunklen Lippen verkniffen und seine goldenen Augen mich straften. Ein Genuss. „Was willst'e hier?“, blaffte er mich an, fixierte mich mit angreifenden Blicken. „Hab ich dich nich fest genug angeleint? Oder is es schon wieder Zeit zum Gassigehen?“ Als Antwort meinerseits erhielt er ein trockenes: „Wuff.“ Ein Halb-Grinsen fand auf seinen gepressten Mund. „Wenn'de jetz noch beim Pissen brav das Bein hebst, kriegste nen Knochen.“   „Sehr aufmerksam von dir“, blieb meine Stimme eintönig, unterschwelliges Amüsement inklusive, „dass du dich für meine Urinal-Gewohnheiten interessierst.“ Zähnefletschend knirschte sein Kiefer. „Verfickter Wichtigtuer. Ich will bloß eins wissen: Wann'de dich verpisst. Und ich hoff für dich, dass die Antwort sofort is.“ Mit meinen Fingern tippte ich rhythmisch gegen die Maskenunterseite, als würde ich nachdenken, erzeugte ein leises Klopfgeräusch, das die bedrohliche Ruhe umso angespannter wirken ließ. Nach tickenden Sekunden schmunzelte ich. „Nach diesem Bedürfnis ist mir derzeit nicht.“   Kids nicht-vorhandener Geduldsfaden riss endgültig. Sein von Zorn verzerrtes Gesicht schwankte zwischen 'mich erwürgen' und 'mir eine Gesichtspolitur verpassen' – Er entschied sich für Letzteres, ballte seine Faust und- boxte mir gegen die Schulter. Hart. Auch wenn er es wollte, konnte er Kiras Körper nicht ernsthaft verletzen.   „Ich hasse dich, Killer.“ „Ich mich ebenfalls.“   Hass ist eine so viel stärkere Emotion, als Liebe. Hass ist, was sich leichter fühlen lässt... Aber schwerer ablegen lässt.   Seit dem Tag, an dem Kid mich am Schneehügel fand, war ich für ihn derjenige, der ihm Kira genommen hatte. Seinen Partner. Den er als Sturmführer in den Krieg der Bestien geschickt hatte. Aus diesem Blickpunkt betrachtet war Kid es, der mich erschuf. Und dem war er sich durchaus bewusst. Das Verschulden trugen wir beide. Geteilte Schuld erleichterte ihre Gewichtung keinesfalls, jedoch verband sie einander in Schicksalsketten. Kurzum: Kid war ein ebensolcher Mistkerl, wie ich.   „Was ich hier möchte?“, wiederholte ich seine Anfangsfrage, „dich besuchen“, ließ ich meine Stimme wie Kiras klingen: im monotonen Bariton. „Darf ich meinem alten Freund keinen Besuch mehr abstatten?“ Es gab selten Momente, wo Kid keinen bissigen Kommentar parat hatte – dieser war einer davon. Hin und hergerissen, weil ich ein Teil seines besten Freundes war, aber nicht er war – Lediglich eine Kopie. Eine Bessere. Kid begnügte sich mit einem feindlichen Knurren, woraufhin ich das Gespräch fortführte. Mit einem amüsierten Lippenzug. „Unsere Fesselspiele sind mein Höhepunkt des Tages.“ Dies brachte ihn zum rauen Auflachen. „Ha! Gaaay!“ „Wenn ich bitten dürfte – Ich bin arschsexuell.“   Kid grinste fies. „Deinen Panzerknacker würd ich nich mal mit ner Kneifzange anfassen.“ Ich schmunzelte maliziös zurück. „Und ich bevorzuge meine Pasta ohne Reibekäse.“   „Ey, haste meinen Prachtschwanz ne abgehobelte Käsenudel genannt?“ „Dies habe ich.“ „Arschloch.“ „Gleichfalls.“   Ein vertrautes Schweigen entstand. Trotz dessen ich nicht die Persönlichkeit Kiras besaß, so teilten wir die gleiche Hülle. Meine Anwesenheit beruhigte Kids hitziges Gemüt, wenn auch minderer und nur kurz. Seine Faust knallte auf die Tastatur des Schaltbretts, lehrte einigen Tasten das Fliegen.   „Scheiße, verdammte!“, fluchte er über etwas, das er mir daraufhin mitteilte, „das Bier is alle.“ Und er drehte seinen Kopf zu mir, seine geschminkten Lippen zogen sich langsam auseinander, zu einem so breiten Grinsen, dass es beinahe sein Gesicht spaltete. Als er betonend hämische die Worte aussprach; „Ich brauch n kühles Blondes.“   Schmerz durchfuhr mich. Wie ein Faustschlag in meine Brust. Stechend brannten sich die Buchstaben in meinen Verstand – Der Geheimcode, den Kid und Kira in Kriegszeiten verwendeten. Meinen Körper konnte er nicht verletzen – aber meine Seele, in der ein Riss entstand.   „D-Du mieser-“, brachte ich atemlos hervor, krallte mich in meine gepunktete Bluse, „das wirst du-“ „Bezahlen? Mit dem lausigen Gehalt, kann ich mir nich mal ne Nutte leisten“, lachte er dreckig, ergötzte sich an meinem Kampf, zeigte mir seinen lackierten Mittelfinger. „War echt scheiße mit dir – Jetzt mach nen Abflug“, aggressiv, gewaltig, befehlend; „verpiss dich.“   Ich spürte, wie Kiras Stimme an meinen Hinterkopf rammte, penetrant und aufdringlich. In Punkto Penetration glichen er und ich uns. FaFa. Als Mann der Anmut und Perfektion würde ich mir nicht die Blöße der unschicklichen Niederlage geben, überließ Kira freiwillig das Feld. Jedoch nicht, ohne ihm beim Switch bösartig entgegenzulachen. Meine Klingen warten auf dein Küken... versuche ihn zu beschützen, solange du kannst. Mein schnurrendes Summen begleitete mich in die Untiefen unseres zertrümmerten Innersten.   Twinkle~ Twinkle~ Little Star~ How I Wonder What You Are~ ...Y-You Are My L-Little Lamb...   Fucking. Killer war gänzlich psychopathisch. Jemand sollte ihn in eine Nervenklinik einweisen – Fa. Humorlos schmunzelte ich über meinen Intelligenz-preiswerten Scherz, wandte mich dann an Kid, der mir seine Hand schwer auf meine Schulter legte. Warum schmerzt sie, als hätte mir jemand dagegen geboxt? Mein bester Freund grinste. „Deine Pimmel-Visage is krass frisch.“ Auch erfreulich, dich zu sehen. Kid drückte seine Wiedersehensfreude in Obszönität aus. Weil er mit Glücksgefühlen nicht umzugehen wusste – eine unserer Gemeinsamkeiten. Lässig legte ich meine Maske schief und sah ihn über meine linke Schulter an. „'Kühles Blondes', hm?“, nahmen meine Lippen warme Nostalgie an. „Captain?“   Merkbar verstärkte sich sein Griff in meine Schulter. „Kira.“ Kids Augen reflektierten die Farbe von goldenem Rum. Etwas Beschützendem. „Niemand tut dir was an, solang ich noch eine Faust hab!“, schwor seine kraftvolle Stimme, die einem Lächeln wich; „Meinem Partner.“   Ehe die Stimmung Kid-zu-pussyhafte-Ausmaße annehmen konnte, steckte er seine Hand in seine Hose – wie Al Bundy – lehnte sich zurück, platzierte seinen Stiefel neben der zerstörten Tastatur und seufzte halb-grinsend. „Und Bier hab ich immer noch keins.“   Locker verschränkte ich meine Arme vor der Brust, legte meine Maske zur anderen Seite schief; Links nachdenklich, Rechts aufmerksam. Dem Stimmungsschwung dienlich, wählte ich eine auflockernde Antwort. „Sei gänzlich unbesorgt: meine Weichteile sind nur für ein Stiefelpaar reserviert.“ Mit verzogenen Mundwinkeln wank er brummend ab. „Behalt dein Sado-Maso-Kram bloß für dich. Is ja abartig!“, kroch ein dreckiges Grinsen auf seine dunkle Lippen. „Ich steh auf echten Porno: Mich. Mehr Hardcore geht nich.“ Die Ausführung ist nicht von Nöten gewesen, Kid.   Zurück zur Ernsthaftigkeit, stellte ich ihm wie immer nach einem Persönlichkeiten-Tausch die selbige Frage: „Was ist-?“ Oder auch nicht.   „Ha! Sieh sich einer das an!“, grinste Kid dem Überwachungsbildschirm entgegen, den er auf eine bestimmte Zelle umgeschaltet hatte. „Besser als die Glotze!“ Apoos Zimmer. Apoo und seine Leute gehörten einer anderen Armee-Fraktion an, mit der wir uns zu jener Zeit verbündeten... Sie waren es, die uns hintergingen und an den Feind verkauften. Welch Ironie, dass auch er hier gelandet war.   Kid schnappte sich eine offene Energydose, dessen kein-Bedarf-zu-wissen-wie-alter Rest er sich einverleibte. 'Red Bull' seine Lieblingssorte, laut ihm: 'Weil das Abstoßen seines Horns jedem Beglückten Flügel verleiht.' Nebensächlich verfolgte ich das Gezeigte mit teilnahmslosem Blick. In Kid brodelte noch immer der Hass über den Verrat, einzig seine Schadenfreude war größer. Auch Apoo war vom Krieg gezeichnet – wie wir alle – seine Gliedmaßen deformiert, seine Arme von feindlichen Linien im Verhör per Streckbank verlängert worden. Niemand bleibt der gleiche nach dem Krieg – aber Krieg bleibt immer gleich. Apoo war dem Irrsinn verfallen: noch heute jodelte er die Hymne seiner Armee. In der Zeit zurückgeblieben, durchlebte er die Vergangenheit immer und immer wieder. Auf dem Bildschirm zu sehen, wie er mit seinen Zähnen Klavier spielte, den Rhythmus des Liedes erzeugte, welches ihn bei Verstand hielt.   Er war zu bedauern. Doch konnte ich kein Mitgefühl aufbringen, selbst wenn ich wollte nicht. Hatte nicht mal Gefühl für mich selbst. Mein emotionales Armutszeugnis aus Kälte war das, was meinen friedlosen Geist zur Ruhe kommen ließ. In einer Decke aus Schnee gebettet, ruht mein verunstaltet Herz.   Plötzlich stieß mich Kid mit seinem Ellenbogen in die Rippen. Absichtlich. Sein typisches Grinsen auf seinen Lippen, blieben seine Augen auf dem Bildschirm. Als ihm die Show zu langweilig wurde, wechselte er erneut die Kamera, indessen ich mich damit beschäftigte, die Tastatur zu reparieren; die herausgesprungenen Tasten wieder an ihren Platz zu bringen. Kid das Chaos, ich die Putze Ordnung. Das Programm schaltete zu... Cavendish. „Ha, da is ja dein früherer Therapeut.“ ...Ehe ich ihn in den Wahnsinn trieb... „Und Killers heimlicher Verehrer.“ „Schalt um, Kid“, wollte ich dies meinen Augen nicht länger antun. Kid tat mir den Gefallen.   Der Display wechselte. In einem Patientenzimmer war ein Butler mit künstlichen Langkrallen, der sich für eine Katze hielt und die Tapete ankratzte. Erwähnenswert: Das Katzenklo, das- „Langweilig.“ In einem anderen Raum einer der Mensch, die sich für Fische hielten – 'Fischmenschen' – Der Mann im Muschel-Bikini sprang in einen viel zu kleinen Eimer, in den er nicht mit einer Arschbacke passte. Und rief: „Platscher!“ Ein Gay-ados.   Der Bildschirm rotierte zu einem der Flure, der zu den getrennten Bädern führte. Ein vermummter Typ mit schwarzem Cape, auf dem eine 3 prangte, tänzelte singend zum Frauenbad. „Ich bin unsichtbar~“, redete er sich ein, unter seiner Nase ein Rinnsal Blut laufend. „Ladies~ Ich kommeee~“ Kein Zweifel an seiner Aussage. „Titten-Time“, kommentierte Kid, ließ das Programm laufen, vergrub seine Finger in sein rotes Haar und lehnte sich genießerisch zurück.   Maestro Unsichtbar fiel beinahe in Ohnmacht, als er vor der geschlossenen Badezimmertür der Frauen stand, hinter ihm eine getropfte Blutspur. Schnaufend holte er Luft, ähnelte einem Stier in Brunftzeit. In einem Cartoon wären seine Augen wohl in pulsierender Herzform animiert. Zitternde Finger fanden den Türknauf, drückten ihn herunter und- die Linse der Kamera vernebelte. „Fuck!“, umgriff Kid den Bildschirm, an dem er rüttelte, als wenn es etwas bringen würde. Soll ich ihn darauf hinweisen? Wie außerordentlich unfreundlich das wäre... „Dies ist unnötig, Kid.“ Nicht schmunzeln, nicht schmunzeln- „Dein dreckiges Schmunzeln kannst'e dir an den Sack kleben!“ Hoppla.   Einmal schlug seine Faust auf den Bildschirm, der mit ein paar Rissen im Gehäuse überlebte. Unerwartet lichtete sich das Bild und ein stolzes „Ha!“ verließ Kids Lippen. Natürlich hat der Schlag den Dampf von der Linse gewischt. Selbstverständlich. Zu sehen der blonde Frauenbeunglücker, dessen Gesicht mehr als einen Handabdruck zierte. Ein Ausdruck der Entzückung hinter seinen geschwollenen Zügen erkennbar. Nun hatte er nicht mehr nur eine Beule am Körper.   „Keine Titten?“, murrte Kid enttäuscht und zog seine Mundwinkel abwärts. Doch dann wuchs sein Grinsen wieder, als er zu sehen bekam, was er wollte: nackte Haut, Schwellungen im Brustbereich, wippende Wölbungen – Ein dicker Greis auf dem Weg ins Männerbad. Kids Blick war mit einem Wort zu beschreiben: unbeschreiblich.   Schweigend hob er seine Hand mit der Fernbedienung, drückte auf den Knopf und schaltete zurück zu meiner Zelle. Nur sehr langsam drehte er seine schock-rasierten Augen zu mir. „Kein Wort“, flüsterte er gehetzt, „kein-“ „Pornös“, grinste ich schadenfroh, was ihn zurück zu seinem alten Selbst brachte. „Wer zum Fick benutzt heut noch so'n Kack-Wort?“ Schweigen. … „Dufte.“ „Hat's dir endgültig die Sicherungen durchgeknallt?“ Spielerisch formte ich meine Finger zu einer Pistole, die ich vor das Maskenloch auf Mundhöhe hielt, kalt grinsend; „Peng-“ Und verfiel in Stummheit.   Welch unglücklicher Zufall. Mitnichten habe ich an ihn gedacht, keineswegs.   Auch Kid bemerkte meinen abrupten Stimmungsumschwung, kommentierte ihn mit einem viel zu fetten Grinsen. Ich nutzte den Moment zur Erhaltung von Fassung. Monoton ersuchte ich erneut die stets gleich gestellte Frage; „Was ist während meiner Abwesenheit passiert?“ Ein Schulterzucken Kids, bei dem sich sein Fellmantel mitbewegte. „Das Übliche. Deine beschissenere Hälfte auf Mörderkurs. Der Pyromane untergetaucht, 'nicht auffindbar'. Der pinke Popel und seine Schnüffler höllisch angepisst...“ Natürlich zögerte er diese eine Information überflüssigerweise heraus. „Und das Frischfleisch auf dem Weg zur Schlachtbank.“   „Wie meinen?“, konnte ich den schwanken Ton meines Desinteresses nicht vor ihm verbergen. „Don Quichotte de Fucking-Mingo kümmert sich höchstpersönlich um den Neuzugang.“ Er will Penguin-? „Kein Grund, sich in die Bluse zu machen. Is bloß ne Routine-Einweisung... glaub ich.“ Glaubst du. „Ich sorge mich nicht.“ „Klar tust'e das nich.“   Ich darf es nicht... kann mir keine warmen Emotionen erlauben... Muss emotionslos bleiben, um Killer keine Macht über mich zu geben. Nur in der Kälte ist das Einsam existenzfähig. Bin ich existenzfähig. Einsamkeit ist meine Bestimmung. Alleinsein meine Pflicht. Um zu schützen, um zu bestehen.   Kid fuhr sich durch seine wilde rote Mähne. „Ansonsten is alles total abgedreht, wie immer. Seit der 'Säuberung' sind die Psychos wieder Psychos. Das Gas hat echte Arbeit geleistet. Krass, dass die's diesmal früher als sonst freigelassen ha'm.“ Einmal im Monat wurde besagte 'Säuberung' durchgeführt. Mittels eines Nervengiftes, welches die Psychosen der im Anwesen Untergekommenen verstärkte. Ihnen wurde von Anfang an keine Chance auf Heilung gelassen. Ausnahmen waren die Insassen im Kellerkomplex – Diejenigen, mit so hoher psychischer Schädigung, die keinerlei Nachhilfe benötigten. Welch passend unpassendes Wort. Auch hierbei gab es Sonderfälle. Trafalgar Law beispielsweise, der-   „Sieh an, sieh an.“ Kids belustigter Blick mit zerknitterten Rasur-Brauen war auf den Display fixiert. „Du hast Besuch bekomm.“   Tatsächlich. Der Kappenträger schlich sich in meine Zelle. Nicht gerade unauffällig, wie er geräuschvoll durch die Tür stolperte, den Kopf schuldbewusst einzog und sich peinlich berührt umsah – ein wahrer Meisterdetektiv. Penguins Anblick brachte mich zum Schmunzeln. Doch als ich das nächste Wort von seinen Lippen ablas, gefror meine Mimik. „Killer?“, suchte er nach ihm.   Hat er... gehofft, ihn statt mich anzutreffen? Was ist zwischen den beiden passiert, während ich weg war?   Eine Emotion drängte sich penetrant an die knackende Eisoberfläche meiner Brust. Das, was ich spürte... war Eifersucht. Wie vom Blitz getroffen erhob ich mich. „Kid, ich-“ „Na geh schon“, wank er grinsend ab, „und lass deine Visage hin und wieder hier blicken. Sonst hol ich mir mein kühles Blondes selbst.“   Wie oft will er mich noch an diese Zeit erinnern? Versucht er... mir so zu helfen? Ein Trigger der Erinnerungen, um sie zu verarbeiten? Dies ist mir unmöglich.   Als ich die Treppe, die Dachboden und Keller verband, erreichte, meinen Rücken zu Kid gewandt, hielt ich in meiner Bewegung inne. Atmete einmal tief durch und führte meine Finger zu meinem Kopf. Es ist unmöglich... Doch... Nahm ich meine Maske vollständig ab, drehte mich zu meinem besten Freund. Und lächelte. „Aye, Captain.“ Doch wenn Kid an mich glaubt, werde ich mein Möglichstes versuchen.   Kids Augen weiteten sich, ehe ihr Gold in Stolz loderte. Kein Wort nötig, um diesen Moment der Vertrautheit zu beschreiben, dessen Bedeutung unschätzbar war. Mit einer schnellen Handbewegung zog ich mir meine Maske wieder auf, spürte den Schmerz, den ihr Fehlen mit sich brachte. Es schmerzte, mich der Welt zu zeigen, in der ich keinen rechtmäßigen Platz mehr besaß. Wortlos ging ich, fühlte Kids Blick in meinem Nacken, sein Grinsen und das Versprechen auf ein Wiedersehen.   'Wir sehen uns in der Hölle wieder, Kira.' - Kids einstigen Worte. Und genau dort befinden wir uns.   Der Weg durch das Kellergewölbe war befremdlich. Ich gelangte zu einem Ort, den ich nicht kannte. Eine Art Opferstätte? Blutige Symbole waren in den Steinboden graviert, ließen auf etwas Dämonisches deuten. Das Auffälligste: Die Hälfte der Zeichen fehlte, war verwischt. Als hätte jemand kürzlich versucht, sie zu beseitigen. Ein grünes Haar lag auf dem halbierten Zirkel, sowie eine Feder. Ihre Farbe dunkelviolett-rötlich. Wem sie wohl gehört? Es interessierte mich nicht. Dies war nicht mein Reich, noch meine Angelegenheit. Gleichgültig schritt ich über die Reste der Symbole, sah mich nach der Treppe um, die mich zum Kellertrakt zurückführte. Meine Intuition ließ mich meinen Weg wählen.   Ein Behandlungszimmer. Nachdem ich es betrat, schob sich die Wand des Durchgangs hinter mir grollend zu. „Whoa! Musst du dich so anschleichen?“, fiel mein Blick auf den Mann mit Cowboyhut, der mich anschaute, als würden wir uns kennen. Was wir nicht taten. Ich hob meine Augenbraue argwöhnisch, auch wenn er es nicht sah. Seine Reaktion: Mir seinen Arm um die Schulter hauen. „Echt krass, was wir erlebt haben, nicht?“, lachte er verlegen, überspielte etwas, von dem ich nichts wusste. Schlagartig wurde mir bewusst, dass er mich für ihn hielt. Und ich hasste diese Verwechslung.   Gezielt wich ich seiner intimen Berührung aus, trat zur Seite, sodass sein Arm von meiner Schulter glitt. Ich war kein Mann vieler Berührungen, die seine war mir nicht genehm, viel zu aufdringlich und schlicht unerwünscht. Anders als Penguins... Er missinterpretierte meine Geste als Vorwurf.   „Sorry, dass ich dich mit dem Gruselgespenst allein gelassen hab“, senkte er seinen Kopf, beinahe in einer angedeuteten Verbeugung, bei der sein Cowboyhut über seine Stirn rutschte. Hinter der Krempe sah er mit einem Hundeblick auf. Sein freches Grinsen sah nicht halb so entschuldigend aus, wie er es wirken lassen wollte. Ich ließ ihn stehen. Wollte. Unerwartet packte er meinen Oberarm, hielt mich vom Weitergehen ab. „Hey... Das bleibt doch unter uns, okay? Erzähl Marco nichts davon, der würd sich bloß wieder Sorgen machen“, verlieh er seinen Worten Nachdruck, indem er seinen Griff verstärkte. Auch meine Geduld kannte Grenzen. Erstmals sprach ich zu ihm. In solch einer Kälte, dass er meiner Bitte unverzüglich nachkam. „Fass mich nicht an, wenn du deine Finger behalten willst.“   Ich verabscheute Gewalt. Killer war die gewalttätige Person, nicht ich. Jedoch besaß ich auch kein Herz des Friedens. Gar keins. Nach dem Krieg wollte ich Pazifist sein. Wollte. Auch unterlassene Hilfeleistung ist ein Verbrechen von Gewalt. Der junge Mann mit Sommersprossen hob beschwichtigend seine Hände, grinste belustigt. „Meine Finger will ich schon noch behalten, ohne sie kann ich Luffy nicht mehr anfeuern, wenn er's geschafft hat.“ Verstehe. Ist er? „Bist du der Pyromane?“ „Ey!“, empörte er sich beleidigt, streckte seine freie Brust heraus und zeigte mit dem Daumen auf sich. „Ich bin ein Feuerkünstler.“ Aha. Schönreden kann man sich wahrlich vieles. Prahlerisch zogen sich seine Mundwinkel auseinander. „Mein kleiner Bruder erweicht die Herzen der Leute, ich entfache sie!“ Die Leute? ...Wortwahl, Junge. Seine energische Stimme wurde leiser, indes er seinen Monolog fortführte. „Wie ein Radiergummi löscht er die schlechten Erinnerungen und überschreibt sie mit guten. Er gibt immer Gummi! Und liebt Gummibärchen...“ Wenn ich noch einmal 'Gummi' oder einen miserablen Spruch diesbezüglich höre- „Sein erstes Wort war 'Gum'. Sabo und ich waren seine 'Gum-Gum-Geschwister'. Klein Luffy hat ewig gebraucht, um das auszusprech- Oi, wo willst du hin?“   Ich ging. Dies wollte ich mir nicht länger antun. Ihn schien es weniger zu stören. Erheitert rief er mir nach. „Cooles Gespräch!“ 'Gespräch.' „Wenn du mal wieder reden willst – Du weißt, wo du mich findest.“ Aber nicht finden will.   Ohne Zweitgedanken an die unpässliche Begegnung steuerte ich auf den Flur des Behandlungstrakts zu. Doch kam nicht weit. Spinnenweben. Wie eine feine Mauer bauten sie sich vor mir auf. Als wollten sie mich nicht durchlassen. Weil ich nicht auf ihnen tanzen wollte. In einer groben Armbewegung riss ich die Fäden auseinander, kämpfte mich schonungslos durch den verwebten Korridor, ließ mich von ein paar Schicksalsfäden nicht aufhalten. Ich war dem Schicksal einmal entkommen – beim zweiten Mal sollte es auch keine Macht über mich erlangen. Überall an meiner Kleidung klebten die Weben, schwebten vor den Löchern meiner Maske, sodass ich sie unberührt wegwischte. Am Ende des Ganges angekommen, befreite ich auch meine Bekleidung davon.   Endlich im Zellentrakt. Auch hier fiel mir etwas Ungewöhnliches auf: Die Zellentür rechts neben der meinen war geöffnet. Es war nicht Trafalgar Laws Tür. Somit war jemand unerlaubt auf Umwegen. Mich beschlich das Gefühl, als würde dies eine bedeutende Rolle spielen. Hätte ich mich dafür interessiert, hätte ich Nachforschungen betrieben. Stattdessen war mein Fokus auf etwas Wichtigeres gerichtet: Meinen Besucher. Ich kam an meiner Tür an, schob sie zögerlos auf. Und spürte etwas so Mächtiges, das die Atmosphäre schlagartig prägte.   Penguin. Meine Augen erfassten ihn. ...BA-DUM... Mein Herz reagierte. Schmerzte. Kämpfte. Wollte leben. Wollte... Ihn.   Ein seelischer Impuls zwang mich dazu. Wie ein einsetzender Überlebensinstinkt, der sich an das Leben klammerte. An den letzten Lichtfunken, der die Hoffnung aufrecht hielt. Ist Penguins Augenlicht schon immer so intensiv gewesen? Unsere Blicke trafen sich, in stummer Botschaft. In Seelischen Ankern.   Ich ging auf ihn zu. Überbrückte das, was uns trennte. Durch die Stille, die mein Herzschlag durchbrach. Durch die Trümmer meines Innersten, durch die Dunkelheit. Hin zum Licht. Wahnvorstellungen. Ich musste unter ihnen leiden – und fühlte mich dennoch nie geheilter.   Ich lächelte hinter meiner Maske. Fühlte. Fühlte in aller Gefühlstiefe. Es ließ mich hoffen. Machte mich süchtig. Unersättlich danach gieren. Nach Leben.   Ich erreichte ihn – Er kam mir entgegen. Penguins Herz erkannte mich, erspürte mich. „Kira...“   Von Wärme erhellt mein Name, der seine Lippen verließ. So warm seine Hände, die er gegen meine pulsierende Brust legte. Meine Arme hielten ihn an mir, nah an mir, näher. Nie genug. Ich wollte mehr, wollte die Gier stillen, die er weckte. Wollte Emotionen zulassen, wollte sie erleben- Doch war unser Schicksal von Dunkelheit bestimmt.   Es klirrte. Etwas fiel zu Boden, riss mich aus meiner Trunkenheit. Mein Griff um ihn löste sich, mein wirrer Blick fiel herab, auf den Gegenstand zwischen unseren Füßen. Mein Verdienstkreuz.   Wie mechanisch kniete ich mich einbeinig hinunter, um es aufzuheben. Sah zu ihm auf. „Woher...?“, wurde meine Stimme mit jedem Buchstaben kälter. Zurück in Erinnerungen fallend, in Krankheit.   Merkbare Unruhe zeichnete seine Reaktion. Als hätte er etwas Verbotenes getan. „Killer“, antwortete er reumütig, „er hat es mir gegeben... Ich wollte- wollte es zurückgeben.“   Gedankenverloren strich ich über die glatte Oberfläche des Metall-Kreuz', erfühlte die Delle des Schusses, der mein Herz traf. Der mich in den Sarg brachte. Dem Sarg, dem ich nicht entfliehen konnte. Meinen Kopf senkend, fiel meine Maske über mein Gesicht, meine Lippen pressten sich aufeinander.   Killer hat dies geplant. Hat Penguin das Kreuz gegeben, um mich daran zu erinnern, was ich bin; Des Todes.   „Kira-?“ „Geh.“ Die Entscheidung der Schatten, die es mir nicht erlaubten, glücklich zu sein. „Verschwinde aus meinem Leben, Penguin.“   Ich blickte zu ihm auf, blickte in seine Augen – sind sie traurig? enttäuscht? verletzt? – Nein; sie strahlten. „Du“, strahlte auch seine Stimme. „Du hast zugegeben, dass du lebst!“ Habe ich? ...Habe ich.   Erschütternd kehrte Erkenntnis in mich, verschlug mir die Sprache. Wie in Trance erhob ich mich, umgriff sein Kinn mit meiner Hand, schob meine Maske ein Stück nach oben. Ich musste es wissen. Musste wissen wie es sich anfühlt … zu lieben.   „Ki-?“   „Schweig“, flüsterte ich ihm zu, „und küss mich.“   Er tat es nicht.   „Ich- Ich... kann nicht.“   Die Trauer seiner Stimme ließ mein Herz ersterben.   Was er dann sagte, so zerbrochen seine Worte, zertrümmerte meinen Brustkorb.   „Du musst mich umbringen.“   Und es schmetterte durch die Lautsprecher. Sein Lachen.   „Fu Fu Fu~“   . . .   Fu-ck.     Kapitel 5: Puppentheater ------------------------ „Fu Fu Fu~“   ↺ In der Zeit zurückgedreht, eine andere Lebensuhr umgestellt, wie es dazu kam...   . . .   „Mein Name ist Killer... Massaker Soldat Killer.“   ↻   „Lauf.“   Egal, wohin ich lief... Sein Schatten folgte mir.   Wie die Dämmerung eines nie endenden Tages. Eines immerwährenden Alptraums ohne Erwachen. Im Zwielicht lauernd, im Zerrbild der Nacht jagend. Ein Phantom; Das Trugbild, das Wirklichkeit wurde.   Killer. Kiras unsichtbares Spiegelbild in Scherben. Der Nahtod auf der Nulllinie meines EKG. Still, tödlich, herzbrecherisch.   Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, war es, als würde ich dem leibhaftigen Tod gegenüberstehen. Eine Ausstrahlung wie das finsterste Nachtstill. Eine Aura, die dir die Seele raubte. Ein Blick wie die Schwärze selbst. Kira war gefühlskalt; Killer glich der personifizierten Kälte – Ein Innen und Außen, wie die Kehrseite einer Maske. Kira war schizophren. Und ich der Spalt, der seine Persönlichkeiten trennte.   Ich hatte seine seelische Wunde geöffnet. So würde ich sie auch wieder schließen. Ihn heilen – um jeden Preis.   Meine Augen fielen auf das Verdienstkreuz, welches Killer mir gab, ehe er mich wegjagte. Das Abzeichen in Gold zierte auf der Vorderseite den Schriftzug: 'Für Verdienst und Treue' Auf der Rückseite: 'verliehen an den Kriegshelden Kira Lawliet' Die kleine Randprägung datiert auf 2010 – vor zehn Jahren. Das abgenutzte Band blau-weiß gestreift, das Kreuz selbst von einer Delle verformt. Beinahe so, als hätte es eine Kugel abgefangen.   Mit meinem Daumen strich ich über die unförmige Oberfläche, ging in Gedanken versunken den Kellerflur entlang. So viele Fragen in meinem Kopf, auf die ich keine Antwort wusste. Warum hat er im Krieg gedient? Welche Grausamkeiten hat er erleben und mitansehen müssen? Was hat all das mit seiner Seelenkrankheit zu tun? Und wieso hat Killer mir das Kreuz gegeben? Ich hatte nicht viel Ahnung vom Kriegsdienst, konnte nur erahnen, wie schrecklich es war. Wusste, dass es nicht annähernd an die traurige Wahrheit herankam. Zu jener Zeit, vor zehn Jahren, da... Nein. Erinnere dich nicht.   Vehement schüttelte ich meinen Kopf, zwang die Bilder zurück in die Tiefen meines Unterbewusstseins. Verdrängen, versuchen zu vergessen. Killers dunkle Stimme flimmerte durch meine Gedanken. „Menschen helfen... tun diejenigen, die sich selbst nicht zu helfen wissen...“ Einen Mundwinkel schief nach oben ziehend, konnte ich nicht leugnen, dass da etwas Wahres dran war. Ein Seelenschatten durchschaute das Schattenmal innerer Bruchstücke. Durchschaute mich. In Killer hatte ich einen hochgefährlichen Gegenspieler gefunden. Jemand, der mir einen eigenen Spiegel vors Gesicht hielt. Nein, ich fürchtete den Tod nicht – sondern das Leben. Darum möchte ich es erhalten, Leben retten, Menschen heilen. Weil ich mich meinen Ängsten stellte. Weil jede Emotion des Lebens so viel herausfordernder war, als der schnelle Tod. Weil zu leben, zu fühlen bedeutete.   Ich seufzte. Die Begegnung mit Killer hatte mich mehr aus der Bahn geworfen, als ich zugeben wollte. Fürs Erste schob ich die Selbstreflexion beiseite, wollte eine Nacht drüber schlafen. Vielleicht auch zwei... oder drei- Unerwartet lief ich in jemanden rein. Stolpernd wankte ich nach hinten, während ich bestialisch angemault wurde. „Pass doch auf, dabe!“ 'Dabe'? Is das ne Beleidigung oder ein komischer Akzent? Leise nuschelte ich ein Sorry und strich mir ein paar Weben von den Ärmeln. Was er bemerkte, mit einem obskuren Grinsen mit spitzen Fangzähnen kommentierte. „Eine defekte Strohpuppe, huh?“   „Wie meinen?“, sah ich zu ihm auf, betrachtete seine Erscheinung. Sein grünes Haar, das einem Hahnenkamm ähnelte, seine Weste mit dunkelviolett-rötlichem Federkragen, offen tragend, sein dunkles Brust-Tattoo zeigend; Ein Halbring mit Hörnern und Reißzähnen, einem Dämon ähnelnd. Halt. Hat er einen Dolch in seinem Hosenbund stecken?! Nennt man wohl: Selbstkastration...   Auf meine Frage hin, rümpfte er seine Nase, in der ein goldener Ring steckte. „Porzellan oder Stroh?“, fragte er mich plötzlich, in einem so gravierenden Ton der Ernsthaftigkeit, dass ich aus Reflex sofort antwortete. „Stroh.“ Und sein Biest-Grinsen zog sich weiter auseinander. „Willkommen im Barto-Club.“ Was fürn Club-? Ohne Vorwarnung legte er seinen Arm um meine Schultern, zerrte mich zu seiner Zelle – rechts neben Kiras – und hielt mich im Schwitzkasten fest. Was zum?! Das grenzt an Freiheitsberaubung!   Seit meiner Antwort, hatte sich sein Verhalten mir gegenüber drastisch geändert; von bedrohlich zu kumpelhaft. Eine bipolare Störung? Vorsichtig sah ich in die Zelle und- blickte mir selbst entgegen. Spiegel. Eine Vielzahl von ihnen, die drei von vier Wände komplett bedeckten, plus der Decke. Da wird man ja automatisch wahnsinnig. Die vierte, gegenüberliegende Wand war hinter einem roten Vorhang verborgen. Der Kerl entließ mich aus seiner Achsel, ging direkt auf den Vorhang zu, betrachtete ihn in Obsession. Seine rubinroten Augen funkelten entzückt, total gestört. „Willst du sie sehen?“, wisperte er so leise und andächtig, als würde er von seinem geheimen Schatz sprechen. Ich wollte was-auch-immer nicht sehen. Verdammte Neugier! Zögerlich nickte ich und bereute es noch im selben Moment.   Tänzelnd stolzierte er auf das Vorhangseil zu, zog daran und offenbarte es: Die Poster. Dutzende Fotos, die auf Großformat gedruckt waren. Allesamt von einer Person. Fluffy?! Ist der Typ ein bipolarer Stalker? „Sieh ihn dir an“, bekam der gefährlich aussehende Punker echt Tränen in die Augen, schluchzte theatralisch, „unseren zukünftigen König.“   Bei genauerer Betrachtung wirkten die Fotos nicht so als wären sie heimlich geschossen. Im Gegenteil: Fluffy blickte auf ihnen allen in die Kamera, lächelte und zeigte ein/one Piece-Zeichen. Was geht hier ab? Und warum frag ich mich das eigentlich noch... „Lu~Lu~Lu~ Luffy-Senpai~!“ Der Fanboy war so vertieft in sein Heiligtum, dass ich mich unbemerkt davon schlich. Nichts wie weg von hier!   Eilig flitzte ich zum Ausgang, kletterte nach draußen, schloss die Kellerluke hinter mir ab und begab mich auf den Rückweg, durch den Vorgarten des Schlosses. Meine Augen weiteten sich, als ich den Blick auf mir spürte. Den Blick der Nachtwache. Ebendiese wank mich zu sich.   Als ich ihn erkannte, atmete ich erleichtert aus. Wenigstens ein Normaler unter all den... Besonderen. Im kühlen Wind wehten die schwarzen Federn seines Mantels. Gegen das Schlossgemäuer gelehnt, zündete er sich eine Zigarette an. Das Zippo-Licht erhellte sein Gesicht, spiegelte sich in seiner violetten Sonnenbrille wider. Lässig klappte er den Verschluss des Feuerzeugs zu, das eine seltsam aussehende Frucht in Herzform zierte. Rocinantes Gesichtszüge wirkten ernst, der tiefe Zug an der Zigarette unterstrich seine angespannte Stimmung. „Hast du Law gesehen?“ In seiner Frage schwang Sorge mit, die er nicht versteckte. Verneinend schüttelte ich meinen Kopf, was ihn gedehnt seufzen ließ. „Was stellt der Junge nur wieder an? Und ich dachte, in seiner Pubertät wäre er anstrengend gewesen...“   Ich versuchte mir Law als jugendlichen Rebell vorzustellen. Das passte gar nicht ins Bild. Rocinantes Blick war gen Nachthimmel gerichtet, während er in Erinnerungen schwelgte. Ein stolzes Grinsen umspielte seine weinrot geschminkten Lippen. „Als Kind hat er oft Doktor gespielt, nie sein Zimmer verlassen. Die einzige Chance, an ihn ranzukommen war, sich freiwillig als sein Patient zu melden.“ Kurz verzog er sein Gesicht, ehe er schmunzelte. „Das Herz fand er am Interessantestes.“ Trägt Rocinante das Symbol deswegen überall an seiner Kleidung? Ein erneuter Zug an der Zigarette, deren Asche er abklopfte. Langsam blies er den Qualm zwischen seinen Lippen aus. „Er ermahnt mich heute noch, wie ungesund rauchen ist. Es ist seine Art von Sorge... darum zünde ich sie immer in seiner Nähe an. Nur, um zu sehen, wie er sich um mich sorgt. Das nennt man wohl Selbstzerstörung aus Vaterliebe.“ Etwas Trauriges ergriff seine Mimik, als er den kaum gerauchten Glimmstängel zu Boden fallen ließ und austrat. „Er ist ein besonderer Junge. Deswegen meiden ihn die meisten, nicht umgekehrt.“   Locker stieß er sich von der Wand ab, richtete seinen Blick auf mich. „Sei gut zu ihm“, bat er mich, steckte seine Hände in die Hosentaschen und legte einen coolen Abgang hin – bei dem er auf seinen Federmantel trat und eine Rolle vorwärts vollführte. „Nichts passiert!“, hörte ich ihn noch rufen, sein Lachen klang ausgelassen. Ein Mensch, der über sich selbst lachen konnte, war ein freierer Mensch.   Warum er Law wohl gesucht hat? Ich zuckte mit den Schultern. Sollte ich ihn zufällig sehen, würde ich ihm Bescheid geben. Bei der Leiter zu unserem Schlafturm angekommen, fiel mein Blick auf das Dacharbeiten-Schild. Überrascht zog ich meine Augenbraue in die Höhe. Auf dem auffällig unauffälligen Schild hatte jemand unterschrieben! ['Corazon'] Wer auch immer das war, ich dankte ihm im unbekannten Namen. Dann kletterte ich die Leiter herauf, zu unserem Schlafzimmerfenster, in das ich so leise wie möglich stieg. Shachi schlief bereits, ich wollte ihn nicht wecken. Um mir sein Puderzuckergeplauder zu ersparen.   Die in Decken eingewickelte Figur regte sich minimal, als ich durchs Zimmer schlich. Ich war hundemüde. Schlaftrunken schlüpfte ich unter die freie Decke auf meiner Bettseite und drehte mein Gesicht zu- Heat?! Und schon war ich wieder aus dem Bett gestolpert. Hellwach. Langsam, ganz langsam sickerte die Erkenntnis zu mir durch. Shachi hat- Er hat!!   Poltern aus dem Wohnzimmer. Mit angesäuertem Blick folgte ich der Geräuschquelle, die mich zum Übeltäter führte. Sorglos pfeifend bestickte er Heats Korsett mit Smiley-Stoff-Bildern, saß auf dem mittelalterlichen Sofa und konnte kein Zuckerwässerchen trügen. Von wegen! Ein Rumpeln ertönte – Die umdekorierte Wanduhr, die der Masse an übertrieben vielen Dekorationsartikeln nicht standgehalten hatte. Wer platziert einen bemalten 2-Kilo-Stein auf einer kleinen Uhr, die nur mit einem winzigen Nagel gehalten wird? – Die Antwort: Shachi.   Noch hatte er mich nicht entdeckt, noch begnügte ich mich damit, ihm saure Blicke vom Türrahmen aus zuzuwerfen. Als ich ihn gedanklich ausreichend pulverisiert hatte, verschränkte ich meine Arme vor der Brust und sprach ihn an, verbarg meine miese Laune kein bisschen. „Da liegt ein Typ in meinem Bett, der hoffentlich nicht nackt ist, und ich will wissen, wieso. Ein Wort.“   Shachis Augen schweiften zu mir, blind stickte er weiter, ehe er mir eines seiner sorry-not-sorry-Lächeln schenkte. Das Wort, das er wählte war: „Aaalso...“ Also am Arsch! Wehe dir, wenn du- Er holte Luft, tief Luft. Und- bekam einen Stoff-Sticker von mir in den Mund gesteckt. Die Ruhe währte nicht lange. „Danke!“, nahm er den Sticker und nähte ihn ins Korsett, das nicht mehr als solches erkennbar war. Dann ging's los.   „BlaBla Trafalala~“, begann er zu trällern, erzählte mir in aller Ausführlichkeit von seinem Tag – beginnend bei seinem Morgenritual des Sonnengrüßen, bis zum Abschiedswinken der Abendsonne – bis er endlich mit der Sprache rausrückte. „Heat stand einfach so vorm Fenster, was hätte ich da tun sollen?“ Grummelnd murrte ich: „Die Leiter wegtreten, ihn runterschubsen oder das Fenster mit Brettern verbarrikadieren.“ Empört formte Shachis Mund ein O. „O, wie gemein! Der arme Luther!“ „Luther?“ „Die Leiter.“ Seine hat-alles-lieb Kosenamen werden auch immer bescheuerter.   Ich seufzte schwer. „Was will der Typ hier?“ „Schlafen.“ Das machst du doch extra! „Wieso in unserem Bett?“ „Na, weil man im Bett schläft, Dummerchen.“ „Und wo soll ich schlafen?“ „Im-“ „Wenn du Bett sagst, spül ich deinen Keksvorrat im Klo runter.“   „Das! Würdest du nicht tun“, bohrte sich sein 'böser'-Blick in meinen absolut ernsten, „würdest du?“ Ich nickte, er knickte ein. „Nur diese eine Nacht, okay?“, schob er seine Unterlippe nach vorne. „Heat ist ein Lieber“, suchte er nach überzeugenden Argumenten, „hier, schau!“, zeigte er mir ein Fledermaus-Plüschtier, das aussah, als wäre es unter den Rasenmäher geraten, von einem Hund als Kaugummi missbraucht worden und dreimal durch die Kanalisation nach Kanada und zurück gewandert. „Das hübsche Kunstwerk hat Heat für seinen besten Freund genäht... der ist auf der Krankenstation.“ Mist. Stark bleiben. Nein, nein, bleib mir fern Mitgefühl!   Warum kann ich kein Eisklotz sein? Wahlweise tut's auch n Stein. Deko-Stein-Detlef hat's gut, der hat's wenigstens überstanden.   Nach langem Schweigen setzte ich zum Sprechen an. Noch ehe ich meinen Mund öffnete, hellten sich Shachis Gesichtszüge penetrant strahlend auf. Ein Nuscheln meinerseits. „O-“ Und er fiel mir um den Hals. „Danke, Danke, Danke!“ Unbeholfen drückte ich ihn von mir. „Unter einer Bedingung“, hielt ich ihm meinen Zeigefinger hin. „Keine Übernachtungspartys mehr ohne Absprache.“ Jetzt lächelte er. Weil ich es ihm allgemein nicht verboten hatte. „Du bist der Beste, Peng!“ „Ich weiß.“ … „Und du bist du.“ „Aww, das ist aber nett von dir.“ Grinsend tätschelte ich seinen Kopf. „Ja, Shachi, das ist es“, ließ ich ihn in seinem Glauben.   Lächelnd hielt er mir eine Tasse hin, „Presso?“, nahm ich das koffeinhaltige Getränk dankend an, das er fürsorglich für mich warmgehalten hatte. Hastig trank ich den dreifachen Espresso mit einem Zug leer. Hab ich echt gebraucht. Schwungvoll warf ich mich aufs Sofa neben ihn, legte meinen Hinterkopf auf die niedrige Rückenlehne und ergab mich meinem Schicksal. Wenn Shachi die Nacht durchmachte, dann ich auch. Meine nächste Frage würde ich bereuen. „Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“ Und ich beschwor die Flut der unaufhaltsamen Blubber-Buchstaben.   „Heat und ich? Das ist witzig!“ Ist es das echt oder nur in deiner Phantasie? „Auf meinem nächtlichen Rundgang bin ich ins nächstbeste Zimmer gesprungen und hab laut BOOM gerufen, um den Überraschungseffekt zu untermalen.“ Einmal Schock-Wecken à la Shachi. „Heat ist aufgeschreckt und hat 'die Russen kommen!' gebrüllt... Dabei war Mihawk gar nicht da.“ Wer ist Mihawk? Wie viele Bekanntschaften hat Chi eigentlich geschlossen? ...In der Geschlossenen. Badum-tsss. „Dann hab ich ihn umarmt und ihm gesagt, dass alles gut wird. Und er hat mir seinen rieeesigen Sprengkörper gezeigt.“ Nicht falsch denken, nicht falsch denken... „Er baut echte Bomben! Die Bumm machen! Von ihm haben Fluffy und ich auch die tollen Kerzen für den naja-Kuchen bekommen.“   Skeptisch sah ich ihn an. „Bomben? Ist das erlaubt?“ „Klaro!“ Klaro. „Und Law hat den Kuchen angefaucht, hihi. Weil ich Brotteig verwendet hab.“ Du Monster. „Am Ende waren alle glücklich und die Akten gaben ein super Konfetti ab.“ Stopp, Stopp, Stopp! „Du“, schluckte ich trocken, „du hast die Patientenakten vernichtet?“   Dümmlich blinzelte er mich an. „Jupp.“ Ich war fassungslos. „Warum?“ In einer Sorglosigkeit, die mich kirre machte, schnipste er einen Zuckerwürfel in seinen Mund, kaute summend, ließ mich auf heißen Kohlen sitzen. Und schluckte. „So ein netter Onkel kam vorbei und hat mir ein Candy gegeben.“ Jetzt wird’s echt makaber. „Hat sich als Doffi vorgestellt und-“ „Doffi?!“, wich mir alle Farbe aus dem Gesicht. „Shachi, weißt du überhaupt, wer das ist?“ „Der Hausmeister?“ Weiß er nicht. Obwohl Haus&Meister überraschend passend ist. „Jedenfalls hat er mir aufgetragen, die Papiere zu verbrennen, also hab ich daraus ein Konfetti-Feuerwerk gemacht.“ Er hat dich benutzt, du Volldepp! „A-ber! Davor hab ich sie alle gelesen.“ Hast du?   Überrascht fragte ich ihn; „Was hast du herausgefunden?“ Wir grinsten uns beide spitzbübisch an, ehe er näher zu mir rückte und mir den entscheidenden Hinweis zuflüsterte. „H2S – Die Formel des Giftes, das sowohl in Gasform, als auch Tabletten verabreicht wird. Zu 'Smile' verarbeitet werden kann. Die Zusammensetzung ist-“   Ein lautes Klopfen. Aggressiv. An der Haustür. Wir schreckten heftig zusammen. Das kann kein Zufall sein! In tiefster Nacht hämmerte nicht einfach so jemand an fremde Türen. Ich ahnte Übles. Shachi wollte nach kurzem Zögern aufspringen, doch hielt ich ihn am Oberarm zurück, schüttelte meinen Kopf und ging selbst zur Tür. Mir schlug das Herz bis zum Hals, mein Puls raste, meine Hand schwitzte, die ich um die Türklinke legte. Und sie herunterdrückte. Ein Hoch auf Sicherheitsketten! Ich öffnete einen Spalt, schaute alarmiert hindurch, um den Unbekannten zu mustern. Ein gestriegelter Kerl in weißem Anzug stand dort, einer der 'auf-den-erste-Blick-unsympathisch'-Sorte. Mit Steroiden vollgepumpt, Stiernacken, nach hinten gegelte Haare und schwarzer Brille. Absolut unseriös und falsch wirkend.   Er betrachtete mich stumm, sein Kopf überheblich gehoben. Ich versuchte mich an einer Begrüßung. „Guten Abend...“ Und biss auf Granit. „Mitkommen.“ Sein harter Ton wie der Hieb eines Titan-Schlagstocks, duldete keine Diskussionen. Mein Zögern ließ ihn handeln; brutal riss er die Eisenkette von der Tür. Mit seinen bloßen Händen! „Master Doffi wünscht, dich zu sehen“, erklang seine mechanische Stimme erneut, gnadenlos und kalt. „Entweder du kommst freiwillig mit mir oder ich schlage dich bewusstlos und bring dich zu ihm.“ Wie nett, dass er mir eine Wahl lässt. Bei den super Angeboten muss man doch zuschlagen.   „Peng?“ Shachis besorgter Stimmklang, der mir einen Stich im Brustkorb setzte. Beruhigend grinste ich ihm über meine Schulter zu. „Alles gut, keine Sorge!“ Das hab ich mir sogar abgekauft. „Warte nicht auf mich, Brüderchen. Könnte spät werden.“ Damit trat ich aus der Wohnung, schloss die Tür hinter mir zu und ließ mich von dem Ekelpaket zu Top-Spinner-Nummer-1 führen. Noch scherzte ich. Das Lachen sollte mir bald vergehen. . . . Ich will da nicht reingehen... Hätte ich doch nur nicht den Espresso getrunken, der meinen Herzschlag drastisch beschleunigte. Nie wieder Koffein! Zweifelnd stand ich vor der gigantischen Tür, die mich dreimal überragte. Nach oben hin spitz zulaufend, bestehend aus weiß vergoldetem Massivholz, die Doppeltüren verziert mit den vier Symbolen: Pik, Karo, Kreuz und Herz, die akribisch symmetrisch ins helle Holz eingraviert waren. Der zweifache Türknauf wie ein Würfel geformt, der die Seite der 6-fachen Augen zeigte. Der Thronsaal. Dort, wo der Hausherr mich erwartete.   Etwas abgrundtief Böses lauerte hinter diesen Türen. Selbst von hier spürte ich die allmächtige, dunkle Energie, die über das gesamte Anwesen herrschte. Ein Gefühl, als würde es meine Brust zuschnüren, mein Herz mit dünnen Fäden langsam erdrosseln. Meine Beine schwer wie Zementblöcke, meine Arme versteift, sich nicht bewegen wollend – wurden plötzlich in Bewegung gebracht, als ob sie ferngesteuert werden würden. Meine Hand in Richtung Türknauf gehend, den ich rechtsdrehend entriegelte. Die Tür öffnete sich, mechanischen Schrittes trat ich hindurch, begab mich ins Innere. In die Box der Pandora. Und ich wusste: Mein Leben hing am seidenen Faden.   Eine Spinnenwebe strich hauchzart über meinen Hals. In einer stummen Botschaft. Bedrohend. Ich schluckte. Dann zwang ich meine Augen durch den Saal zu schauen. Mit Abstand war dieser Raum der prunkvollste. So viel Gold hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen. Von den zwei Flamingo-Statuen, zwischen denen ich stand, war eine mehr wert, als ich je verdienen konnte. Ihre Augen bestanden aus roten Wein-Topas. Allgemein waren alle dekorativen Objekte geschmückt mit Edelsteinen aus Rot- oder Pinktönen. An Luxus wurde hier wirklich nicht gespart. Ein persischer Teppich durchzog den Saal, die Kronleuchter aus edelstem Reingold, selbst die Vorhänge vergoldet vor dem Mosaikfenster, das fast die komplette Wand der gegenüberliegenden Seite darstellte. Der Boden ein Schachbrettmuster aus schwarz-weißem Marmor. Das Licht eine matte Farbe von warnendem Rot, tauchte den Raum in eine beklemmende Atmosphäre. Ich fühlte mich hier absolut unwohl, nicht willkommen und fehl am Platz. Hätte ich gekonnt, wäre ich längst abgehauen. Kein Akt von Feigheit – purer Überlebensinstinkt. Mein Gefahrensinn war seit dem Betreten auf Alarmstufe Blutrot.   Dann sah ich ihn. Das Böse. Das Oberhaupt des Puppenhauses: Der Puppenmeister. Als mein Blick ihn erfasste, kroch mir das Grauen bis ins Mark. Stumm saß er dort, am anderen Ende des Saals, in seinem erhabenen Thron, belauerte mich mit einschüchternden Blicken. Die dunkelrot getönte Sonnenbrille ließ seinen Blick nur ausdrucksvoller wirken. Lässig lehnte er mit seinem Ellenbogen auf der Thronlehne, seinen schräg liegenden Kopf locker auf seine Faust gestützt, ein Bein angewinkelt über dem anderen. In rosa gemusterter Halbhose bekleidet, seine weiße Weste offen tragend, an den Ärmeln das Familien-Logo als Manschettenknöpfe. Teils auf seinem pinken Federmantel sitzend, der über den Thron reichte. Was mich in tiefsten Schrecken versetzte, war nicht seine majestätisch bösartige Ausstrahlung. Es war etwas viel Schaudererregendes: Die großen Spinnen, die auf ihm krabbelten. Spinnen!   Die schwarzen Monster zierten seinen Körper, als wäre er ihre Brutmutter. Auf Schulter, Brust und Thron krochen die haarigen Biester überall herum, verpassten mir ekelhafte Schauer. Mich kribbelte es so heftig, dass ich mir panikartig über die Arme strich, um das fürchterliche Gefühl loszuwerden. Es half nur minder. Wenigstens trennen uns zwanzig Meter- Und er erhob erstmals seine Stimme, die einen tiefen Unterton der Manipulation besaß. „Trete näher.“ Keine Einladung – Ein Erlass. Endgültig, unausweichlich, bezwingend. Zur Unterstreichung bewegte er seine langgliedrigen Finger in einer anlockenden Geste, als würde er mich an unsichtbaren Schnüren zu sich ziehen wollen. Gegen all meinen Ekel musste ich meine Beine widerwillig in Bewegung setzen, musste zu ihm treten, Schritt für Schritt mich meinem Schicksal ergeben.   Je näher ich dem Thron kam, desto mehr veränderte sich die Haltung der Spinnenviecher. Ihre zuvor leichtfüßig kriechende Bewegung stoppte. Alle fixiert auf mich, stellten sie sich auf ihre Hinterbeine, fuhren ihre giftigen Zahnstacheln aus, gaben ein leises Zisch-Geräusch von sich. In Angriffsstellung, mich als Feind betrachtend. Fünf Meter vor dem Thron hielt ich an, verschreckt, verängstigt, versuchend es mir nicht anmerken zu lassen. Und der Horror begann. Die Spinnenplage ging auf mich los, sprang in einer Vielzahl auf mich zu. Reflexartig riss ich meine Arme hoch, in einer Schutzposition, schlug wild um mich. Aber gegen meine Erwartung spürte ich keine haarigen Zusatzgewichte, spürte keine Giftzähne. Stattdessen hörte ich das trommelnde Klopfen auf Boden, das sich entfernte. Die Viecher krochen in ihre Löcher zurück, ließen mich total lächerlich aussehen. Ekelhafte Mistviecher!   Dann die Stille. Gegensätzlich zu Kiras, die stets eine Emotion vermittelte, hatte diese etwas Leeres und Abgründiges. Ein ansteigendes Geräusch bebte durch die Atmosphäre. Ein Lachen – sein Lachen. Erst nur gedämmt, unheilvoll und verächtlich, drang es aus seiner Brust. Ein Lachen, das dich wissen ließ, dass er gewonnen hatte. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einer grauenhaft grinsenden Grimasse. Sein dunkler Stimmton besaß etwas gerissen Bösartiges.   „Ist es nicht stets der Schmetterling, der sich im Spinnennetz verirrt?“, betrachtete er mich von oben bis unten, unterzog mich einer ausgiebigen Musterung, als würde er mit Blicken meine Seele wie ein Insekt einwickeln. „Je mehr er sich wehrt, desto tiefer schneiden sich die Fäden in seinen Körper.“   Langsam beugte er sich im Thron nach vorne, nur ein Stück. Ich wollte sofort zurückweichen, wären meine Beine nicht wie gelähmt. Gelähmt vor Angst. Dieser Mann strahlte etwas so beängstigend Mächtiges aus, dass er die Welt vor ihm knien lassen konnte. Ein König, dessen Fußvolk nicht den Dreck an seinen Schuhen wert war. Er ließ dich mit einem Blick spüren, wie unwürdig, wertlos und unperfekt du im Vergleich zu ihm warst. Als er sich aus seiner erhabenen Position bewegte, zuckte ich automatisch zusammen. Von oben herab sah er auf mich nieder, sein tückischer Lippenzug reine Niedertracht, legte er seinen Kopf in anmaßender Arroganz in den Nacken und streckte mir seine Hand hin. Er trug einen goldenen Ring, in den ein luxuriöser Flamingo-Topas eingesetzt war, hielt mir das Juwel hin. Mit maliziös finsterem Stimmton verlangte er: „Küss ihn.“   Eine Aufforderung zur Unterwürfigkeit. Gehorsam, Demut und Fügsamkeit verlangte er von mir. Alles in mir sträubte sich dagegen. Mein letztes bisschen Stolz wollte rebellieren, wollte Gegenwehr leisten, wollte sich ihm nicht unterordnen. Was würde es bringen, sich ihm zu widersetzen? Ich gehörte längst zu einer seiner Schachfiguren, war längst auf dem Schachbrett platziert, war in seinem manipulierten Spiel involviert. Ich konnte nur verlieren. Das Klügere war, sich ihm zu fügen. Es zögerte das Unheil heraus, verzögerte mein unglückliches Schicksal. Ich fühlte mich mickrig und klein, fühlte mich meines Selbstwertes beraubt, meines Stolzes entehrt. Widerwillens verbeugte ich mich in einer demütigen Haltung, hielt meinen Blick gesenkt, platzierte meine Lippen auf dem kalten Edelstein und zwang mich dazu, mein Gesicht nicht vor Abscheu zu verziehen. Igitt. Wer weiß, wie viele Münder da schon drauf waren.   „Brav“, lobte er mich wie einen getretenen Straßenköter, der ihm die Schuhe lecken durfte. Angeekelt zog er seine Hand zurück, als hätte ich soeben sein Eigentum beschmutzt, streckte seinen Arm seitlich über die Thronlehne und befahl an jemand anderes gewandt: „Säubern.“   Ich drehte mich um, zu der angesprochenen Person, die ich erst jetzt bemerkte. Erkannte hinter mir die vier nebeneinander gereihten Stühle: Pik, Karo, Kreuz und Herz. Meine Augen weiteten sich. Mein Herz setzte aus. Vom Herz-Sessel erhob er sich, würdigte mich keines Blickes, schritt auf den Hausherren zu, um ihm den Ring mit einem Desinfektionstuch zu putzen. Seitlich gegen den Königsthron gelehnt, die Arme verschränkt, besah er mich eines mitleidigen Ausdrucks, beschmunzelte amüsiert meine blasse Mimik. „Überrascht, Penguin-ya?“ Das- Nein... Nein!   Wie ein Felsbrocken schlug es in meinen Magen, setzte sich dort bitter fest. Das Gefühl betrogen worden zu sein. Ich wollte es nicht wahrhaben, wollte es nicht akzeptieren. Dass Law mich eiskalt hintergangen hatte. Irre funkelten seine silbernen Augen, süffisant legte er seinen Kopf schief, stützte mit Zeigefinger und Daumen sein kurzbärtiges Kinn, als er mich fragte: „Hattest du Vergnügen auf deinen Erkundungen?“ Die Anspielung auf die Schlüssel deutlich herauszuhören. Bitte, bitte sag mir nicht, dass... „Sie sind mit einem Peilsender versehen.“ Sie wussten es. Die ganze Zeit über. Wo ich wann war. Überwachten all meine Schritte. Ich fühlte mich elend, verraten, benutzt. Weil ich meiner Stimme nicht traute, schwieg ich, biss mir stumm in die Innenlippe. Warum?!, wollte ich ihn fragen, wollte Antworten fordern. Nichts konnte ich.   Der Hausherr besah sich Law mit stolzem Ausdruck. „Patient Nummer Eins... oder: mein treuestes Spielzeug.“ Als er seinen von Brillengläser verhüllten Blick wieder auf mich richtete, sah ich es. Nur für den Bruchteil eines Wimpernschlags: Laws zuckende Augenbraue. Die abwertende Bezeichnung gefiel ihm nicht, doch legte er keinen Widerspruch ein. Momentan hatte ich ganz andere Sorgen: Ich war aufgeflogen, meine Vergehen aufgedeckt. Was für eine Strafe erwartet mich?   Der König verkündete mein Urteil. „Was machen wir mit dir?“, zögerte er es heraus, ließ meine Panik in die Höhe schießen, „öffentliche Steinigung? ...Zu altmodisch. Am Schlossturm erhängen? ...Nicht ästhetisch genug. Lebendig verbrennen? ...Inakzeptabel.“ Immer weiter zählte er todbringende Foltermethoden auf, von einigen wusste ich nicht einmal, dass es sie gab. Jede einzelne war erschreckender als die andere. Wie viele Menschen hat er bereits zu Tode gefoltert? Letztlich wuchs eine pulsierende Ader auf seiner Stirn. Er hatte mein Schicksal entschieden. „Ich bin heute spendierfreudig“, ließ er gönnerhaft verlauten, „ich überlasse dir die Wahl.“ Über meinen Tod? Wie wahnsinnig ist der Kerl eigentlich? Als ob ich das einfach so hinnehmen würde! Ich wollte nicht sterben. Der Gedanke vom Tod fühlte sich so fern an, so surreal, unmöglich begreifbar.   Fieberhaft überlegte ich nach einer Lösung, suchte nach etwas, was mein Schicksal wenden könnte. Dachte an Flucht, dachte ans Untertauchen, dachte an so vieles. Nichts konnte mir jetzt noch helfen. Etwas Endgültiges ergriff mich, setzte sich in meinem Kopf fest. Etwas, was Hoffnungslosigkeit spürbar kalt in mein Herz kehren ließ. Ich hatte keine andere Wahl als sein Spiel mitzuspielen. Der Herrscher wartete auf meine Antwort. Er hasste Warten, ließ mich den Druck spüren, der schwer auf meinen Schultern lastete. Die Ader auf seiner Stirn wuchs, pulsierte hörbar. Jetzt oder nie. Jetzt entschied ich meinen Tod.   Aus meinem Innersten heraus, griff ich den letzten Strohhalm, der mich am rettenden Faden hielt. Strohhalm! „Killer!“, schoss es über meine Lippen, ehe meine Stimmbänder in Zweifeln zu schwanken begannen. „E-Er soll...“ 'mich töten.' konnte ich es nicht aussprechen. Es klang so makaber, so unwirklich, so verdammt dumm.   „Killer?“, wiederholte der König, erhielt von Law eine Erklärung. „Patient Nummer Acht.“ Der Herrscher hält sein Volk für so unwichtig, dass er sich nicht einmal ihre Namen merkt. Die erhabenen Lippen verzogen sich zu einem diabolisch düsteren Grinsen. „Akzeptiert.“ Weil er um meine Beziehung zu ihm weiß... weil er sehen will, wie ich an meinen Gefühlen verende. Mit einer wegwerfenden Handbewegung verkündete er mein Schicksal. „Er soll dich richten. Ich werde ihm eine Botschaft diesbezüglich zukommen lassen.“ Bis wann er mich zu töten hat. „Bis dahin“, fuhr er fort, während ein sadistischer Ausdruck seinen Lippenzug umspielte, „wirst du im Behandlungstrakt arbeiten.“ Im Behandlungstrakt?! Dem Horrorort? Oh du verdammte- Hat Kira nicht gesagt, er wäre stillgelegt?   „So viele Akten sind vernichtet worden...“, überlegte der Größenwahnsinnige laut. Der Schuldige spielte den Unschuldigen, „welch Tragik. Wir müssen die Untersuchungen erneut durchführen.“ Er lachte. Lachte die Leidenden aus, die seinem Wahn zum Opfer fielen. Wie abscheulich kann ein Mensch sein? Nein. Dieses Monstrum hat nichts Menschliches mehr in sich. Tiefste Übelkeit ergriff mich, überschattete die Angst. Wie gern hätte ich ihm die Brille eingeschlagen, wenn ich gekonnt hätte. Als er das lebendige Funkeln meiner Augen bemerkte, sah er mich voller Abscheu an. Seine Mundwinkel fielen in Ekel. „Weiche nun aus meinen Augen. Ich ertrage deinen widerlichen Anblick nicht länger.“ Gleichfalls, Arschloch!   Mit verkrampft geballten Fäusten stampfte ich davon, spürte Laws Blick in meinem Nacken. Du bist keinen Deut besser! Ich habe dir vertraut, verdammt! Meine kräftigen Schritte verloren an Kraft, dennoch schaute ich nicht zurück. Es tat weh. Das Gefühl des bitteren Betrugs klemmte mir den Brustkorb ab, verpasste mir einen seelischen Tiefschlag. Als die massive Doppeltür hinter mir geräuschvoll zuschlug, saß mir noch etwas anderes im Nacken. Die Sanduhr meiner Schonfrist. Die Zeit läuft...   Ich war nicht die Art Mensch, die sich Zuhause verkroch, um auf mein Schicksal zu warten. Ich preschte vor, um mich ins Unglück zu stürzen. Statt zurück zu meinen Schlafgemächern zu gehen, ging ich in Richtung Kellertrakt. Wenn einer die Hiobsbotschaft verkündete, dann ich selbst. Einen Blick auf den Schlüsselbund in meinen Händen, dem ich entgegen knurrte. Sollten sie ruhig wissen, wo ich hinging. Dann schloss ich die Kellerluke auf und sprang hinunter. Ins Unheimliche. Die gruselige Atmosphäre im Untergrund war die gleiche geblieben, aber lagen meine Nerven ohnehin so blank, dass mich nichts mehr gruseln konnte, als der seidene Faden in meinem Nacken, den der Spinnenkönig mir netterweise gesponnen hatte. Im dunklen Kellerflur wucherten die Weben überall, doch schienen sie mich nicht zu bedrohen. Nur knapp reichten sie bis zu meiner Kappe, als würden sie ihre seidenen Finger nach mir ausstrecken, mich aber durchlassen. Als wäre ich ein Teil von ihnen, doch noch nicht vollständig verwoben.   Plötzlich huschte ein Schatten zu meiner Rechten vorbei, ließ mich schreckhaft zu ihm sehen. Zu der Spinne. Moment, verengte ich meine Augen, besah das Tierchen genauer, beugte mich zu ihm herunter und erkannte es: Das war kein Tier. Es war ein Spielzeug! Spielzeugspinnen. Mein Verstand hatte mir die ganze Zeit über Streiche gespielt. Shachis 'Spinni'... Ich hätte wissen müssen, dass er ausschließlich leblose Gegenstände und Liebmenschen benannte. Keine Tiere! 'Weil sie niemandem gehören.' – Shachis Worte. Warum ist mir das nicht früher eingefallen? Das haarige Spielzeug war versehen mit mehreren Mini-Kameras, die die Augen der Spinne darstellten. Das Teil wirkte gar nicht mehr so ekelerregend, wie zuvor. So studierte ich es eingehender, sah die Prägung am Bauch der mechanischen Puppe; 'Made by Moria'   Die acht Kamera-Augen fixierten sich auf mich. Ich grinste, hob meinen mittleren Grußfinger und- zertrat das Teil. Zischend und knackend fiel es meinem Stiefel zum Opfer. Sachbeschädigung – schreib's auf meine Rechnung, bezahl ich im nächsten Leben. Vielleicht. Das Unsichtbare schien nicht erfreut. Auf einmal rückten mir die Fäden auf die Pelle, versuchten mich vom Weitergehen abzuhalten, doch boxte ich mir den Weg frei. Sucht euch einen andren Tanzpartner. Meiner ist...   Killer. Zu dem ich ging. In dessen Zelle. ...Der nicht dort war.   „Killer?“, rief ich ins Leere. Keine Antwort. Natürlich nicht.   Seufzend lüftete ich meine Kappe, fuhr mir durch mein Haar und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, in dem ich ziellos umherwanderte. Ohne ihn wirkte die Zelle noch trostloser und einsamer. Wie muss es sich erst anfühlen, hier zu wohnen? Wie hält Kira das nur aus? Wenige Augenblicke war ich hier und empfand das Nichts bereits als unerträglich. Noch nicht einmal etwas Persönliches war hier zu finden. Bekanntlich spiegelte die Inneneinrichtung das Innenleben des Besitzers wider. Was bedeuteten dann die leeren Kisten, kahlen Wände und Fesseln? ...Innere Leere, Monotonie, Befangenheit. Die unpersönliche Ausstattung reflektierte Kira, wie er sich sah: Nicht mehr als Person. Als eine nichtige Persönlichkeit ohne Recht auf Leben. Es machte mich zugleich traurig und wütend. Gebe dich nicht einfach so auf, du Idiot! Ich kannte seine Geschichte nicht – aber werde ich sie ab hier umschreiben!   'Ich bin ein Einbrecher aus Höflichkeit', hatte ich ihm bei unserem ersten Treffen gesagt. So wühlte ich mich durch die Kisten, von denen eine einzige einen mickrigen Inhalt aufwies. Fand einen zerbrochenen Bleistift und hinterließ ihm höflich eine Notiz. Beginnend mit: 'Du Idiot' Schrieb mir den Frust von der Seele, setzte abschließend einen Punkt mit zu viel Krafteinwirkung, löcherte den Zettel und platzierte ihn an einem Ort, an dem er ihn definitiv finden würde. Später. Und was jetzt?   Erneut stand ich wie bestellt und nicht abgeholt hier, minutenlang, bis ich es spürte. ...Ihn. Seine unverkennbare Präsenz, die sich näherte. Ein Gefühl wie der nahende Winter, die ersten fallenden Schneeflocken. Eine Kälte, die zugleich Wärme brachte. Mir warm werden ließ. Der Raum wurde mit einem mal viel erträglicher, besaß seinen prägenden Geruch, den ich nun wahrnahm. Schwarze Kirsche – Eine Note zwischen lieblich und herb; Ein Zwiespalt zweier Gegensätze. Je näher er kam, desto mehr wirkte seine starke Aura auf mich. Vertrautheit, gepaart mit etwas Beschützendem. Eindeutig: Kira.   Er stoppte im Türrahmen. Ich sah ihn, nur für den Bruchteil eines Herzschlags. Fühlte sein Lächeln hinter der Maske. Ging ihm entgegen, wie durch ein unsichtbares Band geführt. Und wurde von seinen schützenden Armen umschlossen.   Körper an Körper, Brust an Brust, konnte ich seinen wilden Lebensimpuls spüren. Er wirkte so lebendig. Es war einer dieser Momente, der viel zu schnell vorbei war. Einer derer, die schlimm enden mussten. Das Verdienstkreuz fiel aus meiner Tasche, klirrte zu Boden. Mit ihm gefror der Seelensee seines Abgrunds zu Eis.   Ich schaute zu seiner knienden Figur hinab, die das Abzeichen mit verlorenen Blicken betrachtete. „Kira-?“ „Geh.“ Ein tiefer Einschnitt, der seine geschärfte Stimme in die Luft ritzte. „Verschwinde aus meinem Leben, Penguin.“ Statt mich abschrecken zu lassen, strahlten meine Augen vor Mitgefühl. „Du hast zugegeben, dass du lebst!“   Auch er schien es zu realisieren, verfiel in Stummheit. Erhob sich, umfasste mein Kinn. In seiner zärtlichen Berührung etwas so Liebevolles, das mein Herz krampfen ließ. Weil es sich entschieden hatte.   Verführerisch hauchte er mir zu. „Küss mich.“ Und ich konnte es nicht. Nicht, bevor ich es ihm gesagt hatte. Ein lügender Kuss wäre nicht fair ihm gegenüber, wenn er mir so viel Aufrichtigkeit entgegenbrachte. Kira sollte es sein.   Friedlich lächelnd sprach ich es aus. „Du musst mich umbringen.“ Du – nicht Killer.   Mit dem Aussprechen spürte ich seinen Wärmefunken ersticken. Gleichzeitig kratzte es aus dem Deckenlautsprecher. Das grässlich gehässige Lachen.   „Fu Fu Fu~“ Fu-Fu dich selbst!   Ich konnte nicht anders, konnte mich nicht zurückhalten. Von Zorn gepackt, nahm ich den nächstbesten Gegenstand – meinen Stiefel – und pfefferte ihn gegen den Lautsprecher, der einmal laut knackte, ehe er nur noch Funken sprühte. Sachbeschädigung die 2te. Jetzt kannst du uns nicht mehr stalken, du kranker Bastard.   Kiras monotone Stimme. „Was ist passiert?“, forderte er von mir zu wissen. Schwer seufzend sackten meine Schultern nach unten. „Doofi ist passiert“, ersparte ich ihm die Einzelheiten, blieb aber bei der Wahrheit. „Er hat mir ein Ultimatum gestellt... Meinen Freitod.“   Ist er wütend? Kiras Stimme klang geschliffener, emotionaler. „Ich bin ein gefühlskalter Mistkerl, aber kein Killer!“, richteten sich seine Emotionen gegen mich. „Wie kannst du mich um etwas solches bitten?“, zischte er toxisch, „dich umbringen? In Doflamingos Namen? Und zu einer seiner Marionetten werden?“ Beherrscht atmete er durch. „Niemals.“ Sein gehaltvoller Stimmklang erfror zu Eiseskälte. „Eher kämpfe ich.“   Und ich grinste. „Das wollte ich hören.“ Ich wusste, dass du nicht aufgibst... Ich wusste es...   Mit schief-gelegter Maske – rechts; aufmerksam – betrachtete er mich. Lauschte meinen Worten. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch habe. Aber werde bis zuletzt kämpfen“, hob ich meine Faust zur Unterstreichung meiner entschlossenen Stimme. Lächelte ihn warm an. „Ich könnte einen Mitstreiter gebrauchen“, hielt ich ihm meine lockere Faust hin. „Kann ich auf dich zählen, Partner?“   Partner – Es ist dieses eine Wort, welches seine Maske durchbricht. Das Porzellan zu Scherben werden lässt, wie Kristallsplitter in seine Seele schimmern und das Feuer des Lebens entfachen. Verstecke dich nicht vorm Leben. Lebe! Und er tat es. Ich traute meinen Augen nicht – aber er tat es wirklich!   Mein Herz schlug schnell, viel zu schnell, als er seine Maske abnahm. Vollständig. Wahrhaftig. Und ich sein Gesicht zum ersten Mal in dessen Gänze sah. … Mit einem Vorhang aus wilden blonden Haaren, die es überdeckten. Doch dahinter lächelte er. Ehe er ebendieses Lächeln auf den Knöcheln meiner gehobenen Faust platzierte. Eine Lippenberührung in tiefer Innigkeit.   „Zu Befehl, Partner.“ Betonte er das 'Partner' in Verbundenheit, verbeugte sich einbeinig kniend vor mir, hielt seinen blau-weiß gestreiften Helm vor seine Brust und senkte seinen Kopf. Bei der Intimität seiner rauen Stimme flatterte mein Herz. Der Flirt-Profi und sein Kavalier-Getue! Hitze schoss mir in Brust und Wangen, mein Blick glitt verlegen zur Seite. „Hör auf damit.“ Er schmunzelte, sichtbar. „Oh, ich habe gerade erst begonnen.“ Seine Zunge, die zwischen meinen Ring- und Mittelfinger eintauchte, schickte einen prickelnden Schauer über meinen Arm, den ich ruckartig wegzog. „L-Lass das, hab ich gesagt!“, schwankte meine Stimme, verriet sich. Verriet es ihm, der es mir unter die gerötete Nase halten musste. „Dir gefällt es mehr, als du zugeben möchtest.“ Ja, verdammt! Aber jetzt ist nicht die Zeit dafür... Leider.   Sehnsucht umspielte meine Lippen, als ich meine Finger nach seinem langen Pony streckte, die blonden Strähnen sacht zur Seite schob, eines seiner Augen enthüllte. Diamant-Blau. So hell wie ein Mond-Brillant, zeitgleich so kalt wie ein Eiskristall. Scheu ließ ich meine Lippen sprechen, lehnte sie flüchtig gegen seine Stirn. In einer wertschätzenden Geste. Ein sehnsüchtiges Seufzen meinen Mund verlassend, kurz das Gefühl der geteilten Nähe auskostend, bevor ich wieder von ihm abließ. Und sah, dass sein Gesicht Schmerz trug.   „Was...?“ Beantwortete er mir meine Frage mit einer Geste; dem Aufsetzen seiner Maske. Ein Phantom-Schmerz? Ausgelöst durch ein Trauma? Ich wollte ihn aufmuntern, wollte ihm beistehen, schaffte es jedoch nur zu einem mitfühlenden Halb-Grinsen. „Wir schaffen das.“ „Wir?“, hauchte er abwesend, in Nachwirkung der Pein. Mein Stimmton sanft und flüsternd. „Na, das tun doch Partner in einer Partnersch-“ Shit. Wortwahl!   Hüstelnd räusperte ich mich, überspielte meinen Ausrutscher mit einem viel zu übertriebenen Optimismus, der nicht im Geringsten zu einem Pessimisten wie mich passte. „Kameraden sind füreinander da!“ Friendzoned. Seine Reaktion? Er lachte. Lachte mich eiskalt aus! Dieser Arsch. Als der tiefe Bariton seines Lachens verebbte, legte er mir seine flache Hand auf meinen Kopf.   „Ich habe dich gänzlich verstanden“, gefiel mir sein mieses Schmunzeln nicht, als er im scharfen Flüsterton beifügte; „Mein Partner.“ Sprich es nicht so aus! Nicht so... intim.   Murrend verschränkte ich meine Arme, duckte mich unter seiner Hand weg und strafte ihn mit Giftblicken, die er natürlich nicht unkommentiert ließ. „Sexy“, rollte er das S, „wenn du mich weiter so anblickst, werde ich noch wahnsinnig...“ Wie kann er so locker darüber scherzen? Ist es... Akzeptanz? – Ein erstes Zeichen von einem Heilungsprozess!   Lange konnte ich den Giftblick nicht aufrecht halten, viel zu deutlich das stolze Funkeln, mit dem ich ihn besah. Sanft lehnte ich meinen Kopf gegen seine Schulter, flüsterte gegen seine Brust. „Sag es...“, hauchte ich bittend, „sag, dass du leben willst.“   Seine Muskeln verkrampften sich spürbar, ehe er seinen Kopf schüttelte. „Dies will ich nicht“, sank mein Herz, das er befreite. „Ich tue es bereits.“   Mein Grinsen gewann an Wärme. „Nochmal“, wollte ich es hören. Sein Herz. „Ich lebe.“ „Nochmal.“ „Ich l-“   Plötzlich hielt er sich seine Maske. Ein Kopfschmerz – seelischer Natur. Auch ich fühlte es. Die Stille. Seine. Sie ist anders... so aufgewühlt. Mein Inneres erspürte es. Als würde die Stille mit mir kommunizieren, mir etwas ausrichten. Einen Hilferuf.   Das Signal stammte von ihm, ohne Zweifel. Ich sah Kira an, blickte hinter seine Maske.   „Lass mich mit ihm sprechen“, verlangte ich entschlossen, „mit Killer.“   Ablehnend verschränkte er seine Arme, neigte seine Maske rechts nach oben, zur Erhabenheit. Seine monotone Stimme kompromisslos. „Nein.“ „Nein?“, akzeptierte ich selbiges nicht, begegnete ihm mit gleicher Haltung; eisern und verschlossen. „Wieso nicht?“   „Deshalb“, argumentierte er, als würde dieses Wort alles erklären. Tat es kein bisschen! Zischend ließ ich Luft zwischen meinen Zähnen entweichen. „Killer wird mich schon nicht-“ „Wird er“, unterbrach er mich scharf, „und schlimmer.“   „Schlimmer?“, spie ich ungläubig aus. „Verurteile ihn nicht grundlos!“, nahm ich Killer in Schutz. „Nur weil er-“ „Grundlos?“, grollte Kiras Stimme vor Verachtung. „Er ist ein fucking Mörder“, wurde auch sein Umgangston schneidender. Hat er gerade geflucht?   Anspannung knisterte spürbar in der Luft zwischen uns, brodelte durch meine Adern, ließ meine Stimme an Gefühlsstärke gewinnen. „Hast du ihn jemals morden sehen?“, ging ich einen festen Schritt auf ihn zu, „hast du ihn jemals danach gefragt? Nach seinen Beweggründen?“, stand ich vor ihm, sah unerbittlich zu ihm auf, zu seiner sich verdunkelnden Maske. „Lass mich raten... Hast du nicht. Weil du dich vor der Antwort fürchtest.“   Ein abwertender Laut seinerseits. „Ich fürchte mich vor nichts.“ Lügner. Mein Blick wandelte sich zu etwas Mitleidigem. „Tust du doch“, fand ein milderer Ton in meine Stimme, „du fürchtest dich davor, dass er dich ersetzt. Dass er besser ist als du... du gegen ihn verlierst. Mich an ihn verlierst.“ Ein warmer Zug umspielte meine Lippen. „Bist du eifersüchtig?“   „Nein.“ Natürlich nicht. „Gut“, nickte ich grinsend, „dann lass mich mit ihm sprechen.“   Schweigen. Wortlosen Blickes musterte er mich, seufzte dann tonlos. „Welch listiger Schachzug“, schmunzelte er lobend, „du hast mich ausgetrickst.“   „Jap.“ Mein Grinsen siegessicher. „Hat es geklappt?“   „Bedauerlicherweise“, gab er zu, schüttelte tadelnd seinen Kopf. „Doch kann ich dir deinen Wunsch nicht erfüllen. So simpel ist ein Tausch nicht. Es benötigt einen Trigger.“   „Einen-?“ Weiter kam ich nicht. Binnen eines Herzschlag befand ich mich in seiner Gewalt; sein starker Arm um meine Hüfte, zog mich ruckartig zu sich, an seinen erhitzten Körper, während seine andere Hand in meinen Nacken griff, meinen Kopf zur Seite kippte, meinen Hals freilegte. In einer gezielten Bewegung, schob er seine Maske mithilfe meiner Schulter nach oben. Heiß traf sein Atem auf meine Halsbeuge, die von seinen rauen Lippen graviert wurde. Einmal, zweimal... so oft, bis er sich die Berührung auf seine Lippen geprägt hatte. Als er sprach, flimmerte sein Atemhauch mir einen warmen Schauer über meine Haut. „Dein Blut“, strich seine Zunge über meinen Hals, „er hat es gekostet, nicht wahr?“   Eifersucht vibrierte in seiner Brust, ließ seinen Stimmklang tiefer und bedrohlicher klingen. Ich nickte – Er biss zu. Strom durchfuhr meinen Körper, ließ mich atemlos keuchen. Ein berauschender Schmerz benebelte mich. Nur kurz, ehe ich merkte: Kira verletzte mich nicht. Durchbrach meine Haut nicht. Weswegen ich knurrend begehrte; „Fester!“   Tiefer bohrten sich seine Zähne in mich, wankend zwischen Widerwille und Genussfreude. Die ersten Anzeichen des Switches. Zwei Emotionen spürbar, zwei Persönlichkeiten. Kira wollte mir nicht wehtun, wollte zeitgleich meiner Bitte nachkommen. Und das Biest in seiner Brust brüllte nach mir – nach meinem Blut. „Noch fester!“, flehte ich in Atemlosigkeit. Kira markierte mich – für Killer. Wie schmerzhaft muss das sein?   Wir teilten einen Schmerz, auf unterschiedlichste Art; Ich körperlich, er seelisch. Je tiefer seine Zähne sanken, desto tiefer fiel er in die Untiefen seines Innersten. Ich spürte ihn schwinden, spürte ihn fallen. Und umarmte ihn, als wenn ich ihn dadurch halten könnte, ihm Halt geben könnte. „Ich warte auf dich, Kira“, versprach ich ihm. „Ich bleibe bei dir.“   Ein Lächeln. Seines. Fühlbar. Dann durchstach er meine Haut, hinterließ einen blutenden Biss-Abdruck. Und die Atmosphäre änderte sich. In Dunkelheit, Stille, Kälte. Killer. Er leckte mir das Lebensrot von der Haut, schnurrte genießerisch.   „Mein Opferlamm~“, schwärzte ein betörender Sing-Sang-Ton seine finstere Stimme, die völlig anders als Kiras klang. Viel diabolischer, unmenschlicher, gar dämonisch. „Sag meinen Namen.“   „K-Killer.“ Mist. Verfluchter Zungenausrutscher! „Brav~“, summte er ergötzend, bevor er pfeilschnell handelte. Seinen Körper gegen meinen drängte, mich gegen die Tür pressend, schlug er seine Unterarme neben meinen Kopf. Der doppelte Aufprall in meinem Rücken bebend, fand ich mich zwischen seinen Armen gefangen wieder.   Killers Maske mir so nah, dass ich die verdunkelte Farbe seiner Augen durch die schattigen Löcher sah. Dämonisches Schwarz. Es verdüsterte Kiras hellen Augen. Killers Augen das Finster von Nachtschatten-Mitternachtsblau. Die dunkle Aura, die ihn umgab, prägte den gesamten Raum. Mitsamt seiner Stille, die etwas Hochgefährliches besaß. Lauernd legte er seine Maske schief, roch an mir. Perversling.   „Dein Blut weckt das Monster in mir“, flüsterte er scharf. „Es will dich“, wurde sein rauer Stimmklang eine Oktave tiefer, „will dich verschlingen.“   „Ich schmecke furchtbar“, meine trockene Antwort, die meine wiedergefundenen Stimmbänder erzitterten, „an mir verdirbst du dir nur den Magen.“ Zur Krönung meiner Unfähigkeit hing ich noch ein nervöses Lachen dran, das eher wie ein schrottiger Motor klang. Passend zu meinem holprigen Herz. Sein viel zu heißer Körper, gepaart mit seiner viel zu aufdringlichen Nähe, erschwerte mir das Atmen. Und er wusste es. Wusste um seine Wirkung auf mich. Doch diesmal ließ ich mich nicht in seinen düsteren Bann ziehen. Wenn er spielen will... Dann kann er vom Pechvogel lernen, was Verlieren bedeutet!   Ich sah ihn an. Innig. Mit beiden Händen umfasste ich seine Maske, federleicht, in einer gefühlvollen Geste – was ihn sofort auf Abstand gehen ließ. Schwachstelle gefunden. Wieder Platz zum Durchatmen, stellte ich mich ihm unerschrocken entgegen. Was seine Ausstrahlung spürbar auf Alarm stellte. „Mir kannst du nichts vormachen“, festigte sich auch meine Stimme, die einen Hauch Wehmut annahm. „Warum hast du mich um Hilfe gerufen?“   Killer knurrte. Animalisch und feindselig. Ehe er in Hass spie; „Was kümmert es dich?“ Die gleiche Frage, die Kira mir bei der Gas-Rettungsaktion stellte – Gleiche Situation mit völlig unterschiedlichen Wesenstypen.   Meine Antwort blieb die selbige; „Was es mich kümmert?“, grinste ich in aller Überzeugung. „Wenn ich nicht wenigstens versuche, jemanden zu retten, bin ich nicht besser als ein...“, wehte es provokant über meine Lippen. „Ein herzloser Killer.“   Ein Schuss – Ein Treffer. Killers Knurren wurde tiefer, als er hasserfüllt wisperte; „Ich bin kein-“ Kein...? Er stoppte. Nur, um zu schmunzeln. „Touchè.“ Beinahe hätte ich ihn dazu gebracht, zuzugeben, dass er ein Herz besaß. Beinahe.   In dunklem Amüsement raunte er mir zu. „Du gefällt's mir immer mehr, Sweetheart.“ Sweetheart?! „Nenn mich nicht so!“, zog ich murrend meinen Kappenschirm beschämt tiefer. Und ging ihm ins Netz. „Glaubst du wirklich, du kannst mit mir umgehen? … S w e e t heart“, ließ er sich den Namen auf seiner Zunge zergehen. Er kann sich meinen richtigen Namen bloß nicht merken, das ist es ganz bestimmt! Diverse Flüche in meinen Kappenschirm pfeffernd, spürte ich unverhofft, wie er mich meiner Kappe beraubte. „Hey!“ Ihren gelben Schirm zwischen seinen Fingern haltend, belauerte er mich mit Blicken. „Zeig sie mir. Deine Emotionen... alle“, verlangte er dürstend, gar fasziniert. „Ich will sehen, wie du an ihnen erstickst.“ Nette Aussichten – Nein, Danke!   „Ich bevorzuge die romantischere Variante“, fuhr ich mir nervös durch mein braunes Haar, „ich will nicht unbedingt behaupten, dass du atemberaubend bist... aber... doch schon.“ Ich flirte jetzt nicht ernsthaft mit ihm, oder? Wann hab ich gelernt zu flirten? Und warum fällt es mir bei Killer leichter, als bei Kira?   „Wie schmeichelhaft“, erfreute er sich an meinem Sarkasmus, „dann werde ich dir den Gefallen tun... dich zärtlich zu zerschneiden.“ Ich lachte auf. „Ha! Ohne Mess-? ...Mit Messer.“ Wo hat er das auf einmal her?! Sein Instrument gezückt, ließ er es spielerisch zwischen seinen Fingern rotieren. Bevor er dessen Spitze in Richtung meiner Kappe hielt. Auf die rote Plüsch-Bommel zielend. Und den Kämpfer in mir hervorlockte. „Nicht. meine. Kappe!“, eilte ich auf ihn zu, griff nach meinem Heiligtum. Verfehlte es – und stolperte gegen ihn, landete mit meinem Gesicht in seiner muskulöse Brust. Ich hätte wissen müssen, dass das eine Falle ist. Ich Idiot.   Sein Unterarm in meinem Rücken, drückte mich an ihn. An seine Bluse, die nach Kira roch. Verdammt. Jetzt bloß nicht einlullen lassen. Fokus! Moment. Es ist Kiras Körper, also... Blitzschnell zog ich mein Knie nach oben – und traf seine gekillten Weichteile. Den hatte ich frei! Zwang ihn in die Knie, seine Beine ruckartig zusammengezogen, hielt er sich seine geläuteten Glocken. Ding-Dong~   Doch statt einem gepeinigten Laut, summte er sinnlich. „Welch s-süßer Schmerz.“ Ein masochistischer Sadist. Okaaay. Durch den Positionswechsel fühlte ich mich mutiger, zog einen meiner Mundwinkel schräg nach oben. „Na, hart geworden?“ „Hart an der Grenze“, keuchte er, ehe er zur gewohnten Arschigkeit zurückkehrte. „Attraktive Aussicht“, starrte er in meinen Schritt, auf dessen Höhe seine Maske war. Nicht pervers denken, nicht pervers- Mist. Meine Wangen erhitzten – wie er es wollte. Der Spielmeister ließ die Würfel immer zuletzt rollen. Das Schlimmste daran: Der verbale Schusswechsel machte mir Spaß. Auf eine seltsam verschrobene Art. Jap. Es is soweit – Ich bin irre geworden.   Ich bot ihm meine Hand an, die er nahm – nur, um mich zu sich herunterzuziehen. Und seine Lippen waren auf meinen. Brutal, räuberisch, heiß. So plötzlich, dass es mich erstarren ließ. Ein Kurzschluss. Schockgefroren reagierte ich nicht, wenige Millisekunden, bis es mich wie ein tausend Volt Blitz traf. Killer. küsst. mich!! Erbost schubste ich ihn von mir weg, funkelte ihn triefend giftig an und wischte mir mit meinem Handrücken grob über meinen Mund. Während er sich über seine Oberlippe leckte. Völlig unberührt von meiner Abweisung.   Ich fühlte mich mies. Als hätte ich Kira betrogen. Und der Arsch in Monstergestalt überspielte seine unverschämte Attacke. Als hätten seine diabolischen Lippen mich nicht geschändet. Arschloch! „Ich suche jemanden“, wechselte er einfach das Thema, in mir brodelte es weiter. Ich wollte ihm nicht zuhören, wollte ihn zum Teufel schicken. Verfluchter Helferkomplex! „Wen?“, nuschelte ich, sah ihn nicht an, strafte ihn mit so wenig Aufmerksamkeit wie möglich. „Hakuba.“ „Kenn ich nich.“ „Cavendish.“ Und meine verstörten Augen waren wieder auf ihm. Er sucht den Prinzessinnen-Schreck? „Ich muss mit ihm reden... jedoch lässt er mich nicht in seine Nähe. Dich hingegen...“ Oh nein, ich ahne wo das hinführt. Vergiss es, nicht mit mir!   Ein gequälter Ausdruck ließ mich meine Lippen verziehen. „Ich soll dir eine Audienz bei der Kohlheit verschaffen?“ „Exakt.“ „Soll den Lockvogel spielen?“ Er nickte. Ich stöhnte gepeinigt. „Wenn du aufhörst so verstörend zu schmunzeln, Kiras Gesicht zu verunstalten, mach ich's.“ „Deal.“   Das konnte nur im Desaster enden. Wann bin ich der Mittäter eines Killers geworden? Ich bin doch nur ein einfacher Zivi, verdammt nochmal! ...Und ein absolut bescheuerter Depp dazu.     ~*~     „Was sehen meine entzückenden Augen... mein Ross ist zu seinem Stall zurückgekehrt.“ Jap, mit 'Stall' meint er echt seinen Hosenstall. Darf ich mich bitte erhängen? ...In Hang-Man war ich schon immer lausig.   Ich zwang mich zu einem scheppen Grinsen. „Hi, Cavendish-“ „Nenn mich Ritter Tausendschön.“ In tausend Jahren nich! „Cabbage!“ Die Stimme kenn ich doch.   In den Aufenthaltsraum stampfte der Fluffy-Fanboy, direkt auf den Möchtegern-Schönling zu, dessen makelloses Gesicht sich zu einer arroganten Grimasse verzog. Die Queen hat soeben ihre Tage bekommen. Und es ging los. Die beiden Streithähne – Pardon: Hahn und Henne – befeuerten sich gegenseitig mit faulen Eiern. „Cabbage, du ranziges Stück Fäulnisgemüse! Schieb deinen gepuderten Arsch her, damit ich ihn dir aufreißen kann, dabe!“ Also doch ein Akzent. „Du unzivilisierter Trampel. Hüte deine scheußliche Zunge. Siehst du nicht, dass du störst? Ich wollte soeben mein Pferd striegeln.“ Bitte, was?!   Ich fühlte mich total fehl am Platz zwischen den beiden. Gefangen im Kreuzfeuer ihrer blitzenden Blicke und fechtenden Worte, wollte ich mich mit einem schnellen Seitschritt vom Acker machen – kam aber nicht weit, weil beide mich an je einem Arm festhielten. „Hiergeblieben!/Hiergeblieben!“ Ah, da sind sie sich einig. Mir blieb nichts anderes übrig, als in den sauren Kohl zu beißen. Streitschlichter zu spielen. So gab ich mir einen Ruck und fragte den grünen Gockel; „Was ist los? Warum bist du so aufgebracht?“   „Was los is?!“, krakeelte er zurück, gestikulierte wie ein Blöder und zeigte schließlich anprangernd auf Ritter Rosenkohl. „Der hat sein Schwert zu tief im Arschloch stecken!“ Sehr hilfreiche Information. Danke für das Horrorbild, da hab ich lange von. Der Punker krallte sich in meinen Ärmel, sackte auf die Knie, zog mich gezwungenermaßen mit sich runter und stotterte; „Er hat-! Hat!“ Jetzt mach's nich so dramatisch! Is ja schlimmer als Shachi – Dass das geht, hätt ich nich gedacht. „Er hat meinen Strohhalm geklaut!“ Aha. Dürfte ich vorstellen: Queen Nummer 2 – Drama-Queen vs Beauty-Queen. Mein Kommentar würde ich bereuen. „Nur ein Strohhalm?“   Den Blick, mit dem er mich kannibalisch häutete, ließ es mir eisig den Rücken herunterlaufen. „Nur ein Strohhalm?!“, wechselte er von Drama zu Destruction, „es ist ein heiliges Relikt des einzig wahren Strohhuts!“ Cavendish schmunzelte herablassend. „Und dient mir als Schmuck für meinen Federhut“, strich er sich beschönigend über die hellblauen Bausch-Federn seines schwarzen Huts; Die Strohnadel hielt beides zusammen. Er berührte das Stroh wie sein schönstes Schmuckstück. Noch ein Fanboy.   Der Hahn ging auf ihn los, wollte ihm beide Augen mit seinem Hosen-Dolch auspiken – wäre ich nicht dazwischen. „Aufhören!“ Mit ausgebreiteten Armen stand ich vor der Blondine, die ich tragischerweise erneut rettete. „Ein Angebot“, schlug ich dem Punk vor, sah ihn fest an. „Ich besorg dir was Besseres, als ein Stroh-Fitzel.“ „Tch. Luffy-Senpais Hut ist das Beste! Es gibt nichts Besseres“, funkelte er mich vernichtend an, doch zeigte sein biestiges Fangzähne-Grinsen. „Versuch mich vom Gegenteil zu überzeugen, Kollege.“ Kollege? Ah... unfreiwilliges Barto-Club-Mitglied und so... Jetzt ergibt zumindest meine Stroh-Antwort Sinn.   „Abgemacht“, schlug ich ein, besiegelte es mit einem Händedruck, bei dem er die meine fast zerquetschte. Knurrend schüttelte ich meine Hand aus, blickte dann zu der Kohlheit, die sich ihren perfekt gepflegten Nägeln widmete. „Du schuldest mir was!“ Seine langen Wimpern blinzelten mich übertrieben bezaubernd an. „Alles, was du willst, mein-“ „Sprich es aus und das Pferd tritt dich zur Prinzessin!“ Die Aussicht auf das Krümmen eines seiner kostbaren Goldsäckchen-Haare ließ ihn empört japsen. Ich grinste siegreich. „Als Wiedergutmachung treffen wir uns in einer halben Stunde im Vorgarten.“ Ohne mich. Das war zu einfach. Lockvogel 1, Flitzpiepe 0.   Zusammen mit dem Punk verließ ich den Aufenthaltsraum – Er mit doppelt erhobenen Mittelfingern, ich mit heruntergezogener Kappe. „Zeig mir, wo ich Fluffy finden kann“, forderte ich ihn auf, erntete ein gezischtes Flüstern. „Psch! Die streng geheime Basis von König Luffy ist-“ „Gleich dort hinten.“ Wer ist das jetzt wieder? ...Der Hutmacher höchstpersönlich. „Sabo“, stellte er sich vor, zog seinen Zylinder aus und knickte in einer höflichen Verbeugung, bei der er seinen Zylinder vor seine Brust hielt. Das vertrauenswürdige Minzgrün seiner Augen nahm eine beschützende Nuance an, funkelte dunkler. „Du willst zu meinem Bruder? Dann musst du erst an mir vorbei.“   Lässig lehnte er sich an die Wand, neben der Tür, in die ich musste, versperrte mir so den Weg. In seinem Mund eine Salzlette, die seltsamerweise seine Coolness unterstrich. Was mir auch auffiel: Die Brandnarbe, die eine Gesichtshälfte in dunklerer Hautfarbe prägte, ihm etwas Verwegenes verlieh. Gibt es hier nicht einen Pyromanen? Hängt die Narbe mit dem Feuerspieler zusammen?   Sabo grinste. „Also, was wollt ihr von Luffy?“, ließ er sich auf Verhandlungen ein. Darin war ich noch nie gut. Aber ehrlich. „Ich brauche...“ 'ein persönliches Andenken.' Niemals könnte ich das aussprechen! Nachher denkt er noch, ich will Unterwäsche klauen oder sowas. „...brauche etwas von ihm.“ „Was?“ Genau die Frage hab ich umgehen wollen. Wie nett, dass mein – Sarkasmus, Ahoi! – Club-Bro-Yolo zur Hilfe eilte. „Lass uns durch, Brandy!“   Scharf zog ich die Luft zwischen meinen Zähnen ein. Kein Grund, gleich persönlich zu werden. Doch statt sich von der Beleidigung angreifen zu lassen, blieb Sabo völlig locker, schien eher belustigt. „Jemanden auf äußerliche Accessoires zu reduzieren, ist ein Zeichen von charakterlicher Schwäche“, nahm sein ruhiger Stimmton etwas Erlesenes an, ehe er zum verbalen Gegenschlag ansetzte. „Deine provokante Erscheinung kompensiert dein Jugendtrauma nicht genügend. Du fühlst dich missverstanden, nicht ausreichend beachtet. Dein innerer Rebell muss sich durch Kontroverse bemerkbar machen.“ Definitiv ein Psychologe. Luffys? Wage erinnerte ich mich an die Rundführung im Herrenhaus, bei der Shachi in ein Therapiegespräch geplatzt war. Erinnerte mich an einen Strohhut und einen Zylinder. Wieder ein Puzzleteil gefunden.   Als Antwort auf die Analyse des seelischen Saboteurs, fauchte der Punk. „Hah?!“ Sehr geistreich. Die Hände in seine karierte Hose steckend, trat er einschüchternd auf Luffys Bruder zu – der in aller Engelsgeduld seine Salzlette knabberte. Nachdem das Mini-Gebäck in seinem Mund verschwunden war, glitt sein Blick ignorierend am grünen Kobold vorbei, zu mir. „Hast du ein überzeugenderes Argument?“ Hab ich eins? „Nein“, grinste ich schief, „kann ich trotzdem durch?“ „Du darfst.“ Echt? So einfach?   Lässig stieß er sich von der Wand ab, ging seines Weges, ließ mich ihm irritiert nachsehen. Barto knurrte ihm hinterher, wie ein Wachhund, der die Tür seines Herrchens bewachte. Mein Blick richtete sich auf mein Ziel: Luffys Zimmer. Und der Polarbär wandelte sein Gemüt erneut im Stimmungskontrast. Seine roten Augen befunkelten die Tür, auf die ich zutrat.   Der Fanboy hyperventilierte, versteckte sich hinter meiner kleineren Figur, packte mich von hinten an meinen Schultern und rüttelte aufgeregt an mir. Hallo, Schädelhirntrauma! Als ich meine Hand zur Tür streckte, ließ er schockiert von mir ab, beobachtete in Zeitlupen-Intensität meine Bewegung, knabberte gespannt an seinen Nägeln und- „Niemand da.“ -kippte fast aus den abgetretenen Latschen, als die Tür verschlossen blieb. Sabo hat uns geleimt! „Sorry“, zuckte ich mit meinen Schultern und ließ Green-Lantern stehen. „Ich versuch's morgen nochmal. Wir haben kein Zeitlimit ausgemacht.“ „Dabe! Dabe! Du kannst doch nich-! „Kann ich. Siehst du doch.“   Für heute hatte ich wirklich genug von komischen Begegnungen und seltsamen Situationen. Dabei hatte der Tag erst begonnen, nicht mal die frühen Morgenstunden waren angebrochen. Und zum Frühdienst erwartet mich der Horrortrakt. Tolle Aussichten. Die waren im Fremdenführer aber nich enthalten! Blieb nur noch Eines zu erledigen: Zum Vorgarten gehen und hoffen, dass Killer nicht seinem Namen gerecht wird. . . . Egal, was ich erhofft hatte, zu sehen – Das übertraf alles. Cavendish. Sein Gesicht. Es war völlig entstellt, absolut grauenhaft verzerrt. Wo seine Augen waren, befanden sich nur noch zwei weiße Augäpfel ohne Iris. Sein Mund zu einer schauerlichen Grimasse verunstaltet, waberten seine gelockten Haare schauerlich im Wind. Er war mir unheimlich. Auf die echt-kranker-Horror Art.   Was das Gesamtbild umso abstrakter machte: Dieses Ding – das absolut nicht menschlich war – kniete vor Killer und überreichte ihm eine schwarze Rose. Da haben sich zwei Gestörte gefunden. Zu meiner Erleichterung machte mir die Szene gar nichts aus, kein Funke Eifersucht spürbar. Yesss! Ich bin dem Psycho noch nicht verfallen! Zu meiner Überraschung lehnte Killer die Blume ab, schlug sie ihm gewaltsam aus der Hand und zertrat sie. Autsch. Die Abfuhr muss wehtun. Was seh ich mir hier an? Killers Maske drehte sich zu mir. Mein erster Reflex: Lauf! Was ich in Echt tat, war eine meiner idiotischen Schnapsideen; Ich folgte der stummen Aufforderung und ging zu den beiden.   Je näher ich Cavendish(?) kam, desto intensiver spürte ich seine veränderte Aura. Sie wirkte pechschwarz und strahlte etwas Bösartiges aus. Seine leeren Augäpfel fielen auf mich. Ich zuckte zusammen, meine Schritte wankten. Und er ließ einen zischelnden Schrei aus seiner Kehle erklingen. Etwas so markerschütternd Ekelhaftes, als wäre es nicht von dieser Welt. Sondern- „Dämonisch“, erklärte Killer unberührt, doch schmunzelte düster. „Cavendish ist besessen. Besessen von... mir.“   Verstört sah ich ihn an, kam echt nicht mehr mit. Woraufhin Killer amüsiert erzählte; „Cavendish war Kiras Psychologe, bevor er von mir... verbessert wurde. Ich trieb ihn in den Wahnsinn.“ Wie stolz er das zugibt... total krank. „Dürfte ich vorstellen“, deutete er mit dem Nicken seiner Maske zu dem Dämon, „Hakuba. Mein Leibeigener.“ Sein... Sklave? Was zum Henker?!   Hakuba ist japanisch für 'weißes Pferd'... Die Erkenntnis traf mich wie ein Eisblitz. Darum nennt der selbsternannte Ritter mich Ross?! Ein Geheimcode... mit dem er mich um Hilfe bittet.   Aber wie soll ich ihm helfen? Ich bin kein verdammter Exorzist!   „Wir sind hier fertig“, entschied Killer und streckte seine Hand zu Hakubas Stirn, die er mit seinen Fingerkuppen berührte, „schlaf.“ Auf seinen Befehl hin, fiel Cavendishs Körper nach hinten, ins Gras. Friedlich schlafend, seine Gesichtszüge wieder normal, als wäre er nicht bis eben ein besessenes Etwas gewesen. Ungläubig starrte ich auf die schlummernde Figur, traute meinen Augen nicht. Was für kranke Sachen gehen hier eigentlich noch ab? Killer schob seine Hände in die Hosentaschen seiner gefransten, blauen Westernhose und schlenderte davon. Soll ich mit ihm gehen? „Kira ruft dich.“ Entscheidung getroffen.   Moooment. Ich hielt in meiner Bewegung an. Ist das noch eine Falle? Killer schmunzelte tückisch. „Du lernst...“, gab der Manipulator offen zu, dass er mich reinlegen wollte. Du mieser-! Aus reinem Trotz lief ich neben ihm her, zeigte ihm, dass ich keine Angst vor ihm hatte. Was er mit einer gehobenen Augenbraue belohnte. Meine Neugier wollte gestillt werden. „Was hast du da eben gemacht? War das... Hypnose?“ „Nenn es, wie du möchtest“, spannte er mich auf die Folter, „ich erwecke die Schatten der menschlichen Abgründe, nichts weiter.“ Nichts weiter. Ist ja auch das normalste der Welt.   Seine Maske starrte mich intensiv an. „Wir spiegeln uns“, schnitt sein Blick sich in meine Seele, „wie sagtest du noch gleich... 'Jedes Licht braucht seinen Schatten'?“ Ich knurrte. „Anders rum! Jeder Schatten braucht sein-“ Oh verdammt.   „Herausforderung angenommen“, wurde sein dunkler Lippenzug maliziös. „Ich werde dich dazu bringen, mich zu brauchen.“ „Tch. Als ob!“, spie ich provokant, „für wie wichtig hältst du dich eigentlich?“ „Für das Wichtigste.“ Arroganter Mistkerl.   In all seiner herablassenden Art sprach er; „Versuche du nur, das Licht des Lebens zu erhalten... Es wird im Dunkel des Todes verunglücken.“ Grinsend zog ich meinen Kappenschirm tief. „Unglück ist mein zweiter Vorname, Mister Lovekiller.“ „Hast du mich einen Liebestöter genannt?“, empörte er sich schnaubend. Ein Treffer unter die Gürtellinie! Belustigt buchstabierte ich: „Ist dir Fein-R.I.P. lieber?“ Und er lachte. Lachte diabolisch. „'ILoveKiller' genügt.“   Seufzend verdrehte ich die Augen. Mein Grinsen blieb. Wir bündelten tatsächlich an. Nicht auf der Zuneigungsebene – dafür hatte er zu viele Minuspunkte auf der Sympathie-Skala – Nein, wir entwickelten viel mehr so etwas wie... Rivalität. Wir rivalisierten. Echt jetzt. Kaum zu fassen.   Heimlich musterte ich ihn von der Seite. Je länger ich ihn anschaute, desto mehr Unterschiede fielen mir zwischen Killer und Kira auf. Selbst ihre Gangart war anders; Kiras kontrolliert und grazil, Killers leicht federnd und selbstbewusster. Killers Haltung war lässiger und dünkelhaft. Kiras defensiver und kühler. Sogar die Bewegungen der blonden Mähne war verschieden, minimal, doch anders. „Gefällt dir, was du siehst?“, legte er seine Maske schief. Das haben sie gleich!   „Jap, gefällt mir“, gab ich ehrlich zu. Verschränkte meine Arme hinter meinem Kopf, grinste ihn frech an. „Aber bloß, weil es Kiras Körper ist, nicht deiner.“ Warum kann ich nie meine Klappe halten? Verdammt, verdammt, verdammt!   Plötzlich wurde die Stille aggressiv. Reflektierte seinen Gemütszustand. Während Killer selbst keine Gefühlsregung zeigte, wie versteinert wirkte. Seine messerscharfe Stimme nahm den Schliff von schwarzem Obsidian an.   „Wie würde es dir gefallen, wenn ich diesen Körper zu dem meinigen mache?“ Eine Drohung, die nicht mehr als Androhung erkennbar war. Ein Versprechen. So stark die dunkle Machteinwirkung, die er ausübte. „Wenn du Kira nie wiedersehen würdest?“, flüsterte er in eisiger Kälte, die mir in Angstschauern den Rücken herunter jagte. In meinem Brustkorb einen Eissturm alarmierte, der mir zig Splitter ins Herz stieß. Mit jedem seiner Wort tiefer schneidend. „Preisfrage: Was geschieht, wenn ich meine Schatten wecke?“   Killer zog seine Maske aus. Langsam, gefährlich langsam. Biss auf etwas; Ein Candy. Smile.   Zeigte es mir. Nicht das Biest; Das Monster.   Ich spürte ihn. Den Alptraum.   Hörte ihn. Den Soziopathen.   „Fa Fa Fa!!“   Lernte ihn kennen fürchten.   . . .   ...Kamazou... Kapitel 6: Kuriositätenkabinett ------------------------------- Im Angesicht des Todes, stirbt erst das Herz.   Nicht an Organversagen... Dem menschlichen Versagen.   Wenn die Seele erlischt, in des Todes Kälte, ist alles verloren.   Ich verliere dich.   Ein Lebensbruch, der uns trennt.   Es benötigt nur einen Spalt, um den Abgrund aufzureißen.   Nur ein Schritt, um zu fallen.   Ein einziger Riss, damit die Wunde blutet.   Ein Gift, um zu verenden.   Ein Lächeln. In Stein gemeißelt. Dein Gesicht das Grab.   Verwittert, verwaist, niemals betrauert.   Weinst du? Oder lachst du?   . . .   „Fa Fa Fa!!“   Der Horror besaß einen Klang. Das Grauen einen Namen: Kamazou.   Das markerschütternde Lachen schrie durch die Stille, quälte sich in mein Herz. Lauter, immer lauter. Eine Melodie, so verzerrt und entstellt, dass die Gestalt vor mir nicht mehr als Kira wiedererkennbar war. Auf seinen violetten Lippen ein Lächeln, in aller Skurrilität verunstaltet. Eine seelische Wunde mit körperlicher Verletzung. …Smile. Killer hatte sich selbst vergiftet. Hatte Kiras Psychose verstärkt, mit seiner eigenen. Einer neuen Persönlichkeit?   Erschüttert sah ich ihn an. Er hörte nicht auf zu lachen. Lachte immer weiter, konnte es nicht unterbinden, wie ein defektes Band, das sich wiederholte. Immer und immer wieder. Desorientiert, gestört, instabil. Nein, das war keine eigenständige Person – Es war ein kaputtes Seelenfragment. Eine Scherbe, die von Sekunde zu Sekunde weiter zerbrach. Von innen heraus zerriss. Ein leidvolles Lächeln in Schmerz. ...Der sich in Aggression wandelte.   Lachend zog er das Messer – und ging auf mich los. Labil, brutal, irre. Jagte auf mich zu, schnitt wild durch die Luft, erzeugte ein reißendes Geräusch, das totes Leben in die Atmosphäre brachte. Nach hinten springend wich ich ihm aus, keine Möglichkeit zur Verteidigung, ließ ihn nicht aus den Augen, versuchte sein Bewegungsmuster zu erahnen. Unmöglich; Er agierte völlig willkürlich. Unberechenbar, wild geworden, der Raserei verfallen. Mit einem einzigen Ziel: Mich.   Sein schrilles Lachen in ein verzweifeltes Kreischen übergehend, weil er mich nicht traf. Noch nicht. In Jähzorn preschte er auf mich zu, das Schnittmuster immer gehetzter werdend, gar hysterisch, fuchsteufelswild. Es fiel mir schwerer und schwerer auszuweichen, die rutschige Wiese kein geeigneter Untergrund. Abgehetzt rief ich zwischen zwei Sprüngen; „Kira!“ Keine Reaktion. „Killer!“ Nichts.   Das mörderische Ungetüm vor mir blind vor Tobsucht. Seine manisch geweiteten Pupillen zerfetzten bereits meine Eingeweide. Angespannt dachte ich nach – wich aus: rechts, links, links – Was kann ich tun? Wie ihn stoppen? Warum ist er bloß so aufgebracht?   Im raschen Zeitraffer ließ ich die Ereignisse der letzten Minuten geistig Revue passieren. Ich, der Killer provoziert... Killers Treffen mit Hakuba... Rechts springen, links. Killers aufgezwungener Kuss... Der Switch... Killers Hilferuf- Der Hilferuf!   Ich spürte es. Zwischen all der Aggression. Die Stille. Ihre Trauer. Ihre stillen Tränen. Das gleiche Gefühl, bevor Kira und Killer wechselten. Ich stand dem Auslöser gegenüber. Es ist nicht Killers Hilferuf gewesen – Der Teil von ihm, der vor mir steht, hat das seelische SOS gesendet. Ein Seelengrab – Ein Trauma in Menschengestalt. Kamazou der Grabstein, der zertrümmerte.   Hat Killer mir das zeigen wollen? Nicht sein Schatten – sein Begrabenes? Sein Leiden?   Die Stille schrie. Als würde sie mir antworten wollen. Was bringt mir die Erkenntnis jetzt? Ich war überfordert, das Nachdenken verdammt schwer mit der Mordmaschine vor mir. Meine Beine zogen unangenehm, konnten nicht mehr lange durchhalten, bald nicht mehr ausweichen. Meine Bewegungen gerieten ins Wanken. „Was willst du von mir?!“, knurrte ich abgehetzt, „Was habe ich dir getan?“   Keine Antwort. Nur sein Lachen, das einen Ton wie ein Schluckauf erzeugte. Ein Schluchzen? Warum leidet er so sehr? Was bereitet ihm Schmerz? „Wie kann ich dir helfen?“, klang meine atemlose Stimme verzweifelter. „Rede mit mir!“   Er stockte. Seine Pupillen schwärzten. Erstmals hörte ich es. Seine Stimme. Das, was sich zwischen dem verzerrten Klang seiner vergifteten Stimmbänder in die Stille wetzte. Ein kratziger Stimmton, ähnlich einer rostigen Sense, die zerbröckelte. „B-Bleib steh-hen.“   Und er dreschte erneut auf mich zu, stieß sich vom Boden ab, schwang das Messer. Ich zögerte. Nur einen Herzschlag. Bis ich tat, was er verlangte. An Ort und Stelle bleibend, sah ich ihn rapide näher kommen. Wie in Zeitlupe, Bild für Bild. Ehe ich es fühlte. Den Schnitt.   An mir herunterblickend, auf meine Brust, die seine Klinge traf. Nicht meine Haut – den Smiley der Familie, den er mir vom Overall schnitt. Der Fetzen Stoff schwebte zu Boden, zwischen uns. Und ich sah auf, in seine Augen. In ihre endlose Trauer. Verloren, hilflos, gebrochen. Es tat mir weh. Mehr, als jeder Messerstich es je könnte. Fest pressten sich seine Lippen aufeinander, versuchten vergeblich mit dem kaputten Lachen aufzuhören. Was haben sie dir angetan? Was hast du dir angetan?   Das Messer klirrte zu Boden. Seine Hände pressten sich gegen seine Augen, als würde er es nicht ertragen. Sich selbst nicht ertragen. Die Welt, die ihn nicht wollte. Das Leben, das ihn verstoßen hatte. Meine Brust krampfte, mein Herz blutete. Er litt. So sehr. Ohne Maske krachte die seelische Qual mit aller Macht auf ihn ein. Die Kopfbedeckung außer Reichweite, viel zu weit weg. Unerträglicher Schmerz.   Das ist es... was dir Leid zufügt. Die Welt – Deine Welt. Du suchst Schutz...   Ohne Zögern zog ich meine Kappe aus, die ich ihm aufsetzte, ihren gelben Schirm über seine Stirn zog. Und legte meine Arme um ihn. Fest, innig, verankernd. Beschützend. Wenn er im Seelenleid ertrank, wollte ich ihm ein Anker sein. Wollte ihn halten, mit ihm untergehen. Sacht strich ich ihm über den Rücken, spürte, wie er sich unter meiner Berührung verkrampfte. Lehnte meine Stirn gegen seine Brust.   „Ich bleibe bei dir“, flüsterte ich ihm zu, die holprige Vibration seines defekten Lachen fühlend. „Auch wenn die Welt dich nicht will“, wurde meine Stimme leiser, gefühlvoller. „Ich will dich.“   Und sein Lachen stoppte. Die Stille lächelte. Mit mir.   Weil er die Umarmung erwiderte. „Kira?“, spürte ich sein lebend Herz.   „Falsch geraten, Sweetheart“, schnurrte er, drückte mich fester an sich, gar brutal zärtlich. K-Killer? Ich war mir so sicher, dass- „Kira und ich... Wir teilen das gleiche Herz – deine Worte.“ Gegen meine Wange pulsierte es. Sein Lebensimpuls beschleunigte sich, kraftvoller, lebendiger. Wie ist das möglich? Amüsiert erklärte er; „Wie ich sagte: Ich mache diesen Körper zu dem meinigen.“ Aber... wie? Irritiert sah ich zu ihm auf. Seine dunkelblauen Augen im Schatten des Kappenschirms verborgen, blitzten wissend. „Leben“, führte er weiter aus, „je stärker der Wunsch, desto mächtiger der Körper.“   „Heißt das“, wagte ich eine Theorie, „du willst Kira gar nicht...“ „Zerstören?“, endete er, schmunzelnd, „das tut der Trottel schon von allein.“   „Hey!“, grummelte ich, „beleidige ihn nicht.“ „Sonst was?“, hob er seine Mundwinkel maliziös, „willst du mich bei ihm verpfeifen? Er weiß, wie ich über ihn denke.“ Und er betonte schadenfroh; „...Der Schwächling.“   „Ey!“, erschallte ein scharfer Pfiff. „Verlauster Fick-Fiffi, zurück in dein Zwinger!“ Grob wurden wir auseinandergerissen. Von einem Muskelpaket mit feuerrotem Haar, der eine Leine hielt, züchtigend in seine offene Hand schlug. Die Stahlkette um Killers Hals gelegt, wurde er von dem Kerl erbarmungslos mitgezogen. Leistete keine Gegenwehr. „Mein Stichwort“, seufzte Killer vergnügt, warf mir meine Kappe zu, „Evilbye, my little Lamb~“   Englisch? Hat eine andere Persönlichkeit auch eine andere Nationalität?   Die Muskelmaschine fixierte mich mit zornig goldenen Augen. „Fremdgeh'n is nich, Shrimp!“ ??? Mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf wurde ich stehengelassen. Sah den beiden nach, wie sie zum Kellertrakt gingen, der fremde Typ im Vorbeigehen die Maske aufhob und Killer grob aufsetzte – falsch herum – und dreckig lachte.   Mehrmals blinzelnd, glitt mein Blick zum Horizont. Zwischen der dicken Wolkendecke aus Grau und Schwarz kämpfte sich ein einzelner Sonnenstrahl durch, der mir mitten ins Gesicht prallte. Ein tiefes Seufzen verließ meine Lippen. Meine Kappe fand ihren rechtmäßigen Platz auf meinem Kopf, schirmte das grelle Licht ab. Zu meinen Füßen sehend, glänzte das Messer in der Morgensonne auf. Hat er es absichtlich nicht mitgenommen? Ich kniete mich hin, hob es auf, versteckte es in meinem Stiefel. Wer weiß, ob ich das noch brauche...   Wie lange bleibt mir noch, bis ich zum Dienstantritt muss? Mein Zeitgefühl war echt mies. Vielleicht eine Stunde? Eine halbe? Im Asylum schien die Zeit anders, gar verschoben, wie verlangsamt, angehalten, die Tage wie Wochen zu vergehen. Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, wie lange ich hier war. Durch den wabernden Nebelhorizont um das Anwesen die Tag-/Nachtzeit nicht richtig erkennbar. Mein Körper auch kein guter Koordinator, mein Biorhythmus für die Tonne. Das Adrenalin wirkte noch nach, Schlafen war eh nicht mehr drin. Das flaue Gefühl im Magen erinnerte mich daran, dass ich länger nichts mehr gegessen hatte. So begab ich mich auf den Weg, lief Richtung Herrenhaus, zur Küche.   ...Oder eher: dem Schlachtfeld. Hier sah es aus, als hätte ein Sturm gewütet. Der Sturm der D. Das doppelte D.saster, mit Zylinder.   „Guten Morgen“, begrüßte mich Sabo mit erhobenem Handschuh. In aller Seelenruhe seinen Tee trinkend, während hinter ihm aus der Speisekammer polternde Geräusche erklangen, die mich an Jurassic Park erinnerten. Die Fütterungszeit. „Tee?“, bot er mir an, wank zu der Porzellankanne, die auf dem Tisch stand, an dem er saß. „Kaffee, stark“, seufzte ich, ging zu ihm, nahm ihm gegenüber Platz und griff nach der Thermoskanne vom Nachtdienst. Auf ihr war ein Phönix eingraviert. Während ich sie aufdrehte und mir blind einschüttete, wagte ich einen Blick auf die Sauerei aus Essensresten, klebriger Küchenzeile, zerstörten Küchenutensilien und abgefackeltem Ofen. „Was ist passiert?“, fragte ich und trank- spukte das Zeug gleich zurück in die Tasse. Igitt! „Was ist das?“   Sabo bedeckte seinen Lippenzug mit einer behandschuhten Hand. Sein Amüsement so offensichtlich, dass leichte Grübchen seine Augen umrahmten. „Das willst du nicht wissen, glaub mir.“ Jetzt will ich's erst recht. „Sagen wir einfach... der Mixer hat Ace' 'Verjüngungs-Spezial' nicht überlebt.“ Wie aufs Stichwort schlenderte der Mann mit Sommersprossen aus der angrenzenden Speisekammer. Fett grinsend. „Marco ist so alt, er lässt selbst Fossile alt aussehen.“ Sabo lachte verhalten. „Das Museum sucht sein Aushängeschild.“ „Gib mir Gum-Gum“, sprang der Strohhut aus der Kammer, schmatzend, „wer bisch wu?“   „Dum-Dum“, antwortete ich ihm trocken. Ich Idiot bin freiwillig in die Klapse. Obwohl ich weiß, dass es hier vor Bekloppten wimmelt. Mich geschlagen gebend, senkte ich meinen Kappenschirm, sah die drei nacheinander an. „Ihr seid...?“   „Brüder!“, jubelte Luffy stolz, umarmte die anderen beiden lächelnd. „Ich bin der Kapitän, Ace und Sabo meine Vize-“ Ein doppeltes Klonk begleitete die Fäuste der Brüderlichkeit. „Sind wir nicht!“ Luffy verzog einen Schmollmund, rieb sich den geschundenen Kopf. Und lachte. „Shishishi~“ Sabo seufzte schmunzelnd. „Was ist so lustig, Luffy?“ Das Lächeln des Strohhuts wurde breiter. „Ihr wisst nur noch nichts von eurem Glück! Ihr werdet schon sehen: Das One Piece gibt’s wirklich!“ Wage erinnerte ich mich an Monets Diagnose des Jungen: Wahnvorstellungen. Sabo – sein Psychologe – verneinte, noch befürwortete. Stattdessen glimmten seine Minzgrünen Augen in Wärme. „Oh, wir wissen um unser Glück“, erweichte seine fürsorgliche Stimme, „...mit dir.“   Ace stützte sich mit seinen Ellenbogen auf Sabos Stuhllehne, neigt seinen Kopf zu Luffy, „Was ist eigentlich dieses ominöse One Piece?“ „Das ist geheim“, nuschelte Luffy, spitzte seine Lippen, wich den interessierten Blicken aus, „das weiß ich nicht...“, pfiff er unschuldig. Ein echt schlechter Lügner. „Ich darf es euch nicht verraten- Okay, ich sag's euch!“ Als würde er flüstern wollen, beugte er sich zu uns über den Tisch. Der Flüsterton ein viel zu lautes Posaunen. „Es ist der größte Schatz von allen!“, streckte er seine Arme aus, gestikulierte etwas, was nur er selbst verstand. Ehe seine sonnige Stimme an Ernsthaftigkeit gewann. Plötzlich viel erwachsener wirkte. „Das One Piece“, funkelten seine Rehbraunen Augen in Verbundenheit, „ist das eine Teil, das Kaputte wieder ganz macht.“   Der herzerwärmende Gedanke erreichte uns. Alle. In dem Jungen schlummerte etwas Besonderes. Ein Traum für den er kämpfte. Ein Wunsch, der Hoffnung gab. Ein wahrer Hel.D. – Wie Shachi sagte. Wahnvorstellungen? Eher: Eine Phantasie, die die Realität besser macht.   Ein Magenknurren zerstörte den sentimentalen Moment. Peinlich berührt räusperte ich mich. „Habt ihr zufällig was für mich übrig gelassen?“ „Natürlich.“ Sabo. „Bedien dich“, deutete er auf den Kühlschrank. Hoffnungsvoll öffnete ich ihn. Mich empfing ein Festmahl aus... gähnender Leere. Warum verarscht mich hier eigentlich jeder? Mit mir kann man's ja machen! Bevor ich zu einem Knurren ansetzen konnte, kam Ace zur Rettung, der mir netterweise das Gemüsefach öffnete, in dem eine einzelne Tomate lag. „Siehst du? Ist noch was übrig.“ Die schimmelt schon! Angeekelt verzog ich das Gesicht, vor dem ein Sandwich auftauchte. „Mein Fleisch teile ich mit niemandem. Aber mein Sandwich“, lächelte Luffy mich an. Den Schinken vom Brot gegessen, nur noch Grünes darauf, aber essbar. Dankend nahm ich es an, biss ab, hörte Sabos tadelnde Stimme. „Du hast dich wieder vor Gesundem gedrückt, Luffy.“ „Shishishi~ Ich doch nicht...“   Da fiel mir etwas ein. Barto. Ich brauchte noch ein Andenken für seine Luffy-Sammlung. Während ich das belegte Brot vertilgte, ließ ich meinen Blick schweifen. Was könnte dem Stalker gefallen? Etwas Persönliches... Etwas, was Luffy trägt? Oder- Schnapsidee Ahoi! Der Strohhut klebte das Kaugummi, das er bis eben gekaut hatte, an den Kühlschrank. Nicht zu fassen, was ich gleich tue. Unbemerkt nahm ich mir das Papier vom Sandwich und wickelte das Kaugummi darin ein, steckte es mir schnell in die Hosentasche. Hey, es ist 'ein heiliges Relikt, das der Piratenkönig höchstpersönlich im Mund hatte'!, mimte ich Bartos begeisterte Fan-Stimme.   Mein Blick fiel auf die Küchenuhr. Verdammt! „Ich muss los!“, rannte ich aus dem Raum, viel zu spät zum Dienstantritt. Aus der Tür raus, um die Ecke, lief ich fast in jemanden rein. Schon wieder. Konnte ihm gerade noch im Sprint ausweichen. Einer lebenden Ananas. Ich korrigiere: Einer lebenden sauren Ananas. „Portgas D.u-bist-dran Ace.“ Klingt, als würde er einen Pokéball werfen. 'Ich wähle dich!' – Eine Liebeserklärung mal anders. Ace machte sich lachend aus dem Staub. Die Ananas ihm auf den Fersen. Warum?, linste ich flüchtig über meine Schulter, sah den 'älteren Herren', sah wie der feurige Jungspund ihm eine Gehhilfe in den Weg stellte. „Für deine knackigen Hüftgelenke, Marco!“ Will ich's wissen? Nein, definitiv nein.   Die Energie der Brüder war echt mitreißend. Ich grinste automatisch. Doch fielen meine Mundwinkel sofort in die Tiefe, beim Gedanken an meinen Zielort. Den Behandlungstrakt. Dort, wo ich nie hin wollte. Wo niemand je hin will. Wo Menschen zu Leidenden gemacht wurden. Krank wurden. Ein Ort, an dem das Leid seinen Namen bekam. . . . Jeder Schritt fiel mir schwer. Durch den Kellertrakt gehend, zögerte ich es so weit wie möglich heraus, schlich beinahe durch den Flur. Was auch immer mich dort erwartete – Ich wollte es nicht herausfinden. Auf dem Weg zählte ich die Spinnenweben, die in Richtung meines Ziels zu zeigen schienen. Mich auslachten. Ich spürte, dass etwas Unheilvolles dort hinten lauerte. Spürte die Schwere der sich verdunkelnden Atmosphäre. Ich erreichte ihn. Den Behandlungssektor. Stoppte, blieb stehen, blickte in das Dunkle. Und hörte es. Etwas grauenhaft Abschreckendes.   Das schleifende Aneinanderreiben zweier Klingen. Fleischerbeile. Das scharfe Geräusch näher kommend, bis jemand aus dem Schatten des Korridors trat. Mich schauderte der Ekel. Ein Fass von einem Kerl, fettige schwarze Haare, Schmutz-schwarzer Bart, um seine haarige Wampe eine Schürze eng gespannte. Der Stoff so dreckig, versifft und mit Blut beschmiert, dass mir die Galle hochkam. Er stank. Nach etwas undefinierbar Ekeligem. Wie ranziges Schmieröl, gepaart mit dem beißend süßlichen Geruch von Verwesung. Mir das Würgen unterdrückend, fiel es mir noch schwerer als er seinen Mund voller Zahnlücken aufmachte. „Zehaha“, lachte er faulig, streifte sich seine siffige Hand an der triefenden Schürze ab, hielt sie mir hin. „Teach, der Metzgermeister.“   Verstört sah ich auf seine speckige Hand. Unter seinen Fingernägeln Dreck von vor einer Woche. Mindestens. In der anderen hielt er das Fleischerbeil, das vom vielen Hacken stumpf und Schmutz zerfressen war. Das andere Beil trug er an seiner massigen Hüfte. Die schwarzen Löcher seiner Augen saugten meine Erscheinung auf. Mein Zögern, das nicht Annehmen seiner Hand, reizte die wabernde Finsternis seines Blickes. Seine Pupillen weiteten sich zu etwas Krankhaftem. Es kostete mich alle Überwindung. Allen Ekel runterwürgend, schlug ich in seine Hand ein. Kurz und schmerzlos – aber hässlich abscheulich. Seine schmierige Handfläche klebte an meiner, löste sich mit einem schmatzenden Geräusch. Bäh, is das abartig.   „Penguin“, nannte ich ihm meinen Namen, konnte mich nicht zu falschen Freundlichkeiten durchringen. Und sein Zahnlücken-Grinsen wurde breiter, seine Mundwinkel zogen sich in kranker Freude auseinander. „Oho“, leckte er sich über seine schwarzen Lücken, „Frischfleisch.“   Er lachte, gemein und faulig, als hätte er soeben den besten Witz gerissen. Seine Wampe wippte dabei, die Schürze verrutschte, ließ mich einen tiefen Einblick erleiden. Tief in seinen dreckigen Bauchnabel. Da drin kreuchte ne Made. Ich kotz gleich! Schnell glitt mein Blick weg, erfasste sein Hüft-Beil, an dem einzelne Haare hafteten. Keine tierischen. Menschliche?! Will ich das echt wissen? Misstrauisch fragte ich ihn; „Was ist dein Zuständigkeitsbereich?“   In seinen Augen flackerte ein Schatten, der nichts Gutes verhieß. „Ich? Ich kümmere mich um das Essen.“ Wie er Essen betonte, verpasste mir eine angeekelte Gänsehaut. Ich wusste nicht, was schlimmer war: Die Tiere(?), die ihm in die Hände fielen oder die Leute, die das von ihm essen mussten. Gedanklich ging ich panisch meine letzten Mahlzeiten durch. Erleichtert, dass nichts Fleischhaltiges dabei war.   Ein schockierender Gedanke überkam mich. „Bist du... mein neuer Vorgesetzter?“ Das finstere Blitzen seiner Augen gefiel mir nicht, ganz und gar nicht. Näher beugte er sich zu mir, seine überwucherte Wampe viel zu nah. Als er dunkel hervorwürgte; „Nenn mich Meister.“ Eher kotz ich dir auf die-   Schritte. Langsam, in absoluter Grazilität hallten die autoritären Tritte von Absatzschuhen durch den Behandlungskorridor. Näher kommend. Ehe er aus den Schatten trat. Ein gezogenes Katana an seiner Schulter gelehnt, an dessen Klinge frisches Blut hinabfloss. Meine Augen verfolgten den roten Tropfen, bis ich sein Schmunzeln sah. Der Inbegriff von Unheil. Der unheimliche Lippenzug gewann an Schaurigkeit, als er seine schneidende Stimme an mich wandte. „Ich“, rollte es von seinen scharfzüngigen Lippen, „bin ab heute dein Spielführer, Pech-ya.“ Wie hast du mich genannt?!   Mein Blick spie Gift, ätzte sich in sein skalpierendes Silber. Zum Gefühl von Verrat kam Hass. „Ich hasse dich, du Law-sch.“ Sorry-not-sorry. Süffisant legte er seinen Kopf schief. „Wie schmeichelhaft... dass du etwas für mich empfindest. Dass ich dir nicht egal bin.“ Mastmade Teach – verdrängt und vergessen – machte keine Anstalten sich zu verziehen, glotzte zwischen uns hin und her, schob sich ein Stück Kirschkuchen in den Schlund, leckte sich seine siffigen Finger. „Ihr kennt euch?“, mischte sein voluminöses Taktgefühl mit. Ohne das funkende Blickduell von mir und Law zu unterbrechen, knurrte ich zur Antwort. Law übersetzte; „Er kennt mich nicht... Hast du ihn nicht gehört? Er liebt mich.“   Metzger Trief zuckte mit den Schultern. „Die Arbeit ruft“, stierte er sein Fleischerbeil an, ehe die schwarzen Löcher seiner Augen einen verseuchten Ausdruck annahmen. „Habt ihr Ace gesehen?“ Keiner antwortete ihm. Ich schwieg, Law schwieg, Teach lachte. „Zehaha! Grüßt ihn von mir, wenn ihr ihm über den Weg lauft.“ Ganz bestimmt nicht. Mit gehobenem Beil trampelte er davon, mit ihm die Gestankwolke davonziehend.   Ein Sprüh-Geräusch. Law, der die Luft mit Desinfektionsspray säuberte. Das Katana – weg. Habe ich es mir eingebildet? Ich ließ ihn noch immer nicht aus den Augen, meine Schultern sanken. Ich rang mit mir. Tat ich wirklich. Brauchte Antworten. Meine schwere Stimme wankte. „Du bist der Sadist, der ihnen das antut?“ Den Leidenden. Sein kryptischer Blick fand den meinen, der ihm alles offenbarte. Mein Gefühlskampf zeigte. Und er erwiderte schockierend kalt; „Untreue Seelen verdienen keine Gnade und begnadigen nicht.“   Unberührt drehte er sich um, ging Richtung Behandlungstrakt, stumm folgte ich ihm. Freiwillig. In Gedanken versunken. Ich weigerte mich zu glauben, dass er ein Verräter war. Dass unser seidenes Band erlogen war, reißen sollte. Die Verbundenheit, die ich an Tag 1 fühlte, war echt. Meine Erinnerung ist keine Lüge! „Nayen!“, schrie meine Verzweiflung aus mir heraus, brachte ihn zum Stopp. Ohne mich anzusehen. Flüsternd fuhr ich fort. „Weil 'Untreue' bedeutet, dass du einst treu warst...“ Uns treu warst. Shachi und mir.   In Schweigen gehüllt, zog er seine gepunktete Mütze über seine Augen. Verdeckte das Sturmgrau. Und schritt weiter. „Komm. Wir haben einen Patienten.“ Bei Erwähnung des Patienten änderte sich seine Präsenz schlagartig; von gefühllos zu... erfreut? Irre? Irgendwas dazwischen?   Durch die Ablenkung war mir die Gruseligkeit des Behandlungsabteils entfallen. Bis jetzt. Jetzt spürte ich erst das Ausmaß des Horrors. Meine Schritte erschwerten. Von einem Gefühl ergriffen, als würde man den Höllenschlund betreten. Die Atmosphäre besaß etwas schweigsam Finsteres, Unheil flimmerte in den Schatten, stille Schreie kratzen an den Wänden. Hier waren Dinge passiert. Grausame Dinge. Horrorgeschichten, die die Vergangenheit totschwieg. Und doch so spürbar präsent waren, im Unsichtbaren erinnert, wie eine sich wiederholende Endlosschleife gefangener Blutseelen.   Ich blickte hoch zur Korridordecke. Zu den Spinnenweben, die in einem makaberen Gebilde schwebten, als würden sie tanzen, in einem Takt, den nur sie kannten. Einer stillen Melodie der Pein. Meine Augen schweiften hinab, zu Laws vor mir laufenden Figur. Die Fäden schwirrten um ihn, ungebunden, gar ehrfürchtig. Im Takt seiner Schritte mit ihm gehend, ihm folgend. Ein äußerst obskures Phänomen. Er nicht ein Teil von ihnen – sie ein Teil von ihm.   „Wie lange bist du schon hier, Law?“, entkam mir die Frage atemlos. Seine Antwort erschreckte mich bitterst. „Lange... sehr lange... Hier aufgewachsen, als der Erste.“ Der Erste... was? Etwas Leidvolles ergriff mich. Kein Mitgefühl, kein Mitleid – Fürleid. Ich litt. Er nicht. Ich nicht mit ihm, für ihn. Er sah es in meinen Augen. Reflektiert in den seinen. In den Tiefen seines Silbersees die gefrorene Trauer, die tief begraben lag, am Meeresgrund am Sterbebett liegend. Meine Stimme brach. „Haben sie... dich untersucht?“ Mit dir experimentiert? Dich... so zerbrochen?   Erst antwortete er nicht, zögerte. Bis seine Mundwinkel auseinander glitten, zu einem verzerrten Schmunzeln, das seine Augen nicht erreichte. „Untersucht?“, wiederholte er im Flüstern der Mystik. „Nur, wer den Suchenden unter die Seelenspiegel lässt, bricht. Der Finder wird reich belohnt werden.“ Und das Silber seiner Augen blitzte. „Meinen Glückwunsch, Penguin.“ Wofür? Für... den Blick hinter seine Spiegel? Ich erinnerte mich. „Verirre dich nicht im Labyrinth, Peng-ya.“ Wieder sprach er in Rätseln. „Du irrst... Der Ausgang des Labyrinthes ist noch weit... Bin ich der Wegweiser? Oder der Verwirrer? Die Antwort weiß nur der Wind.“   Ich musste ihn mir einbilden. Den starken Luftzug, der plötzlich aufkam, mir meine Kappe vom Kopf wehte, die ich reflexartig festhielt. Der windstille Korridor säuselte ein Lied, stimmte einen Gesang an, in einer unbekannten Sprache, wollte mir etwas mitteilen, gehört werden. Ich wusste nicht, was es war. Hinterfragte nicht, doch fand Antwort. „Law, du bist- Law?“ Irritiert sah ich mich nach ihm um. Er war weg. Verschwunden in dem kurzen Moment der Unachtsamkeit, als ich meine Augen wegen dem Luftzug zukniff. Auch der Wind war fort. Wenn Law ein Gespenst ist, das mich heimsucht, dann ess ich meine Kappe!   Ein Klappern. Dann sah ich die offene Tür des Behandlungsraums, in den er gegangen war. Kein Gespenst, nur ein Irrer. Noch mal Glück gehabt. Ha-ha... Nervös grinsend folgte ich dem schummrigen Licht, näherte mich behutsam der Tür und bereitete mich innerlich auf den nächsten Schrecken vor. Egal, was ich erhoffte, nicht zu sehen – Ich sah mehr. Ein Anblick, der mich verstört im Türrahmen paralysierte.   Ein Operationsraum. Einer, den man aus Horrorfilmen kannte, von so alten Kliniken, in die kein Schwein freiwillig wollte. Besagtes 'Schwein', das hier vor Law lag, grunzte grinsend. „Da fick dich doch einer ins Knie!“, lachte der Hüne auf dem Operationstisch dreckig, „Tra-Fuck! Bei deinem Arschgesicht krieg ich glatt ne Morgenplanke. … Willste über se drüberrutschen?“   Fassungslos starrte ich die Muskelmaschine an. Der Kerl schien sich zu freuen im Horror-OP mit einem irren Doktor zu sein, der nicht mal eine Lizenz zum Schnipseln hatte. Wo bin ich hier nur gelandet? Die Bruchlandung muss mein Kopf echt hart getroffen haben. Law ging nicht auf die Avancen ein, sein desinteressierter Blick glitt zu mir, was auch das rothaarige Biest auf mich aufmerksam machte. Grinsend kommentierte der Scham-Bolzen; „Ey, von nem Dreier war aber nich die Rede. Der Flacharsch is eh schon abgestempelt.“ Wie bitte?! So flach is er gar nich! Und woher weiß er... Ist das nicht der Hundehalter von vorhin? Wie ist der hierher gekommen?   Zeit um in Erinnerungen zu schwelgen blieb mir nicht. Law deutete mir mit einem Handschwenken an, näher zu treten. Stocksteif zwang ich meine Füße nach vorne, hielt auf Laws Befehl nochmal an. „Sei so gut und schließe die Tür“, nahm er mir meinen Fluchtweg, den ich eigenhändig blockierte. Allein mit zwei Bekloppten, die sich verbal kloppten. Fremdscham pur. Ich bin nicht da, lasst mich da raus!   „Hey Traf, schieb mir mal deine Zunge zu, mein Captain-Sugar-Candy will geleckt werden.“ „Eher gefriert die Hölle, Useless-ya.“ „Laww, komm schon, so kalt kann dein Loch nich sein. Soll ich's für dich wärmen? Mein heißes Schießeisen lässt nichts anbrennen.“ Ein Blick aus silbernem Eis, das auf goldenes Inferno traf. „Schweig! Oder ich seziere dein Genital-“ „Du willst ihn also anfass'n? Bloß keine falsche Scheu, pack ruhig kräftig zu, da haste viel zum Kneten-“ Laws tätowierter Mittelfinger, der sich in die teuflischen Götterglocken rammte. Engelschöre sangen ein Trauerständchen.   Rote Lippen verzogen sich in aller Männlichkeit – mitsamt seinen abziehenden Matrosen – ehe er keuchte. „H-Ha! Hast'se doch angefasst!“ Laws Schmunzeln purer Sadismus. „Anus um eins-Komma-neunundsechzig Zentimeter verfehlt. Wie bedauerlich.“ Das ließ den Egomanen bleich werden. „Mein Arsch bleibt Jungfrau!“ Und sein lackierter Daumen zeigte auf mich. „So wie der da.“ Hey! „Ich bin keine-“ Warum rechtfertige ich mich eigentlich? Sein fieses Grinsen gefiel mir nicht. Hab ich ihm gerade irgendwas verraten, was er später gegen mich verwenden kann?   Ich atmete durch, seufzte tief. Das Kuriositätenkabinett aus Fremdscham und Skurrilität war echt nicht mehr zu ertragen. Was soll ich hier? Die unverhoffte Antwort bekam ich von Law, der sich einen Latexhandschuh anzog. „Assistiere mir bei der Untersuchung.“ Will ich wissen, was das für ne Untersuchung ist? Nein, definitiv nicht. Ich verschaffte mir einen schnellen Überblick. Der 'Patient' – ist es überhaupt einer? – war mit Eisenketten an den OP-Tisch gefesselt. Daneben ein Rolltisch mit vorbereiteten Instrumenten, die im Gegensatz zur Einrichtung neuwertig und steril wirkten. Als Law seine Mütze beiseite legte, auf den freien Oberkörper des Mannes zutrat, loderten Goldaugen belustigt auf. „Doktorspiele, huh? Da steh ich drauf.“ Ist ihm der Ernst der Lage nicht bewusst? Oder geht es ihm am Arsch vorbei? ...Wie Laws Mittelf- Gedankenzensur, zu meinem eigenen Wohl.   Widerwillens stellte ich mich neben Law, warf ihm unsichere Blicke zu. Er wird ihn doch nicht wirklich sezieren... oder? Laws Stimme nahm etwas Mechanisches an – wie bei den anderen Angestellten – was mir Angst machte. In einem solchen Ton hatte er noch nie gesprochen. Wie ein Spielzeug. „Die Testperson ist einundzwanzig Jahre alt, ledig, Blutgruppe B“, ratterte er im Arztmodus herunter, reichte mir ein Klemmbrett und Stift, forderte mich wortlos auf, mitzuschreiben. Auf dem Bogen stand 'Erstaufnahme', mit dem Datum von vor zehn Jahren. Dokumentenfälschung? Beim Sprechen fuhren seine Finger distanziert über die nackte Brust des Hünen, zählten die Narben nacheinander auf, die ich notierte. Der Patient brummte vulgär. „Echt nipplig, wenn'de mich befummelst. Macht mich ganz fickrig.“ Laws einzige Reaktion: Den Tick seines zuckenden Augenlids. Sich nicht in seinem Tun stören lassend, nahm er das Stethoskop, das er sich um seinen Hals legte, und rammte das kalte Rundmetall erbarmungslos auf die Brustwarze des Perversen.   Law diagnostizierte weiter. „Herzfrequenz erhöht, Puls bei 180 Schlägen pro Minute. Das Resultat: zu wenig Blut im Kreislauf.“ Haarlose Augenbrauen wackelten dem Doktor zu. „Da sammelt sich was in meiner Hose... Es kribbelt im Schritt. Die kleinen Kiddos wollen freie Schussbahn.“   Law zückte eine Spritze, die er aufzog. Eine der altertümlichen Art, die riesig, abscheulich und gruselig aussah. Ich beäugte die Ampulle mit der hellvioletten Flüssigkeit verstört, der Patient kräuselte seine geschminkten Lippen. „Wenn'de mich stechen willst, hätt'ste nur betteln brauch'n. Dein Sperma kannste auch anderswo rein spritzen“, machte er eine 'Blowjob'-Bewegung, bei der er seine Zunge gegen seine Innenwange stieß. Ignorierend, wies Law mich an; „Desinfizieren.“ Woraufhin ich mir Tupfer und Desinfektionsmittel nahm. Zögerte. Ich wollte das nicht tun. Wollte nicht Zeuge von etwas werden, was moralisch absolut verwerflich war. So fragte ich ihn; „Was ist da drin?“ Deutete mit meinem Blick auf die Spritze und sah ihn schmunzeln. Eiskalt und unheimlich.   „Sorge dich nicht.“ Tu ich aber! Stur verschränkte ich meine Arme. „Law...“, klang meine Stimme nicht so fest, wie ich es wollte, wurde mit jedem Wort leiser. „Du musst das nicht tun.“ Langsam schweiften seine Augen zu mir, Silber fixierte mich. „Ich muss nicht... Ich will.“ Damit stieß er zu, die Nadel durchbrach die Haut des vernarbten Oberarms. Zeitgleich krachte die Tür auf. Alle Augenpaare auf die Tür gerichtet, die durch den gewaltsamen Aufbruch aus den Angeln gerissen wurde. „Lass deine fucking Finger von meinem Partner.“ Ein verbaler Messerschnitt, in aller Emotionalität. Kira.   Reflexartig handelte ich; schlug Law die Spritze aus der Hand, deren Nadel verbog – glücklicherweise nicht brach. Ich hatte meine Seite gewählt. Die Spritze zerschellte klirrend, verteilte ihren hellvioletten Inhalt auf dem Boden. Nach dem grellen Schmettern die Stille. Kiras Stille, nicht Killers. Ein Nichts, das ausdrucksvoller nicht sein konnte. Ein Eissturm der Emotionen.   Kira setzte sich in Bewegung. Schritte, wie über dünnes Eis, das die Atmosphäre spürbar erkalten ließ. In Minusgraden der Heißblütigkeit. Langsam, gefährlich langsam näherte er sich dem Patienten – seinem Partner – und- bog ab, zu mir. Griff meinen Arm, zerrte mich von Law weg, stellte sich zwischen uns. Sein brutaler Blick, mit dem er Law anvisierte, durch die Maskenlöcher spürbar. Law begegnete ihm mit einem ebenbürtig kalten Blick. „Du störst, Killer-ya.“   Zischend atmete ich ein, hielt die Luft an. Das war ein Treffer unter die Seelenlinie. Hinter meinem Kappenschirm sah ich zu Kira, dessen Griff an meinem Arm sich verstärkte. So sehr, dass ich mein Gesicht verzog. Was er dann sagte, ließ mich noch sprachloser zurück. „Killer und ich“, schmunzelte er hörbar. Ein Schmunzeln in Schmerz. Doch lockerten sich sein Griff minder. „Wir sind nicht erfreut.“ 'Wir' – Er verwendet eine verbindende Anrede?! „Deine kranken Psychospiele mit Kid sind eine Sache“, neigte sich seine Maske zu dem Angesprochenen, nickte ihm zu, kommunizierte wortlos mit ihm und erhielt ein geschminktes Grinsen. Kid ist freiwillig hier? Dann wurde Kiras Stimme tiefer, dunkler – ging beinahe in Killers über. „Lass Penguin da raus.“ Ein Befehl in Schatten. Verdüsternd.   Kiras Aura änderte sich. Das Beschützende wandelte sich ins Obsessive, Besessene. Drohend, ihn zu übermächtigen. Schatten, die von Innen heraus nach ihm griffen. Zwei Seelen, die kämpften. Miteinander. Nicht um mich – Für mich.   Ein Körper zu instabil um zwei Seelenmächte zu halten. Plötzlich drehte die Maske sich zu mir. Wie in Zeitlupe. Ehe ein verzerrter Ton zwischen Kira und Killer erklirrte. „S-Sag meinen Namen.“ Ein schattiertes Flüstern in Kälte. Dunkel wie Killer, kalt wie Kira. Er verlangte eine Entscheidung von mir. Hier und jetzt. Für einen von beiden. Eine Entscheidung, die ich unmöglich treffen konnte. Entschied ich mich für einen, verbannte ich den anderen.   Unsicher zuckte mein Blick von einem Maskenloch auf Augenhöhe zum anderen. Je länger ich zögerte, desto leerer wurden seine Auge. Beide Seelen fielen in die Tiefe, entfernten sich von Sekunde zu Sekunde weiter von mir. Sein Bewusstsein schwand. Wenn ich nicht handelte, würde er bewusstlos werden. Auf unbestimmte Zeit.   Mein Herz schlug. Schneller und schneller. Gedanken fegten rapide durch meinen Geist, suchten nach einer Lösung, sie beide zu retten. Verzweiflung manifestierte sich. Und meine Lippen öffneten sich. Wisperten in aller Gefühlsgewalt den Namen, der die seelischen Ketten seines Herzankers sprengten. Er lautete: „Lawliet.“ Sein Nachname – Ihr Nachname.   Und die Stille schlug um. Gebündelt in Licht und Dunkel. Ineinander übergreifend zu einer Spirale der Zeit, die ihn heimsuchte. Eine Erinnerung. Ein Schmerz. Eine Heilung. Noch immer hielt er meinen Arm – hielt sich an mir fest. Sanft legte ich meine Hand auf die seine. Vermittelte ihm eine schweigende Botschaft: 'Ich bin bei dir. Bleibe.' Kid lachte. Ein zahmes Lachen in loyaler Freundschaft. „Du bist und bleibst ein kühles Blondes.“ Ein Trigger – in doppelter Partnerschaft – Der Auslöser der ihn zurückholte. Es wurde still. In seelischem Frieden. In zwei Harmonien. Kira und Killer.   Erleichtert atmete ich aus, lächelte. Kids goldene Augen flackerten stolz. Law, der das Ganze still beobachtet hatte, schwieg weiterhin. Doch auch seine Augen offenbarten eine Reaktion. Ein Schimmern. Etwas Hoffnungsvolles? So schnell Silber erglühte, erstickte es in Trostlosigkeit. Zurück blieben Laws Worte, die er gar manisch kalt zu sich selbst sprach. „Untreue Seelen verdienen keine Gnade... verdienen keine Treue-“   „Hey!“, boxte ich Law gegen den Arm, was ihn aus seiner Trance schreckte. Unruhiges Silber fixierte sich auf mich. Ich grinste mitfühlend, dachte zurück an Shachis Versprechen, das er Law gab. „Wir haben dir die Treue geschworen.“ Meine Augen funkelten in Loyalität. „Es gibt Menschen, die an dich glauben. Die dir treu bleiben. Rocinante-“ „Still.“ Nayen! „Rocinante glaubt an dich. Shachi und ich tun es.“ Meine Stimme leiser werdend, endete ich in einem sanften Ton. „Warum kannst du es nicht?“   Statt Law, antwortete Kid. „Weil er ein Feigling is. Ne echte Pussy.“ Erbost fauchte Law ihn an. „Du hast keine Ahnung-“ „Dann erzähl's mir“, zuckte Kid mit den Schultern, „heul mir die Ohren voll von deiner ach so traurigen Kindheit.“ Taktgefühl Level Arschgeige. Überraschenderweise löste die Provokation etwas in Law aus. Die Härte der Worte genau das, was er gebraucht hatte. Kids verbalen Fäuste durchbrachen Laws Mauer aus Schweigen. „Ich werde erpresst“, knirschte er zwischen seinen Zähnen hervor, „Ich-“   Jemand erstickte sein Hilfe-Ersuchen. „Law~“ Ein knackendes Kratzen. Erschallend von unter dem OP-Tisch. Feingliedrig krabbelte die Spinne – das Spielzeug – hervor. Aus ihr die Stimme Doflamingos sprechend. „Ich erwarte dich im Thronsaal.“ Laws Augen verhärteten, Silber wurde zu Granit. Stoisch drehte er sich um, ging Richtung Tür. Von Kids Brüllen aufgehalten werdend. „Verpiss dich doch! Verkriech dich unter den Schuhsohlen des Fickers. Ich hoff, dein Sugar-Daddy bezahlt dir nen guten Fick!“ Law blitzte ihn über seine Schulter an. Hasserfüllte Blicke. Verharrte reglos. Knack. Zertrat ich das haarige Mistvieh. Wandte mich an Law. „Schließ dich uns an“, bat ich ihn inständig, „zusammen können wir-“   „Nichts erreichen“, endete Law und ging. Einfach so. Geknickt sackten meine Schultern nach unten. Meinen Kopf gesenkt, spürte ich Kiras Hand auf meiner Schulter. „Er ist nach rechts gegangen“, eröffnete er monoton, schürte leise Hoffnung. „Zum Thronsaal geht es links.“   „Ey!“, rief Kid ihm hinterher, rüttelte an den Fesseln, „lass wenigstens die Schlüssel hier! ...Fuck.“ Kiras Schmunzeln hörbar, das er mir zuwarf. „Siehst du? Er wird wiederkommen. Kid wegen.“ Lässig drehte er sich um, schlenderte davon, zog mich am Handgelenk mit sich. Und hob abwinkend die Hand. „Viel Vergnügen, Captain“, ließ er ihn einfach so liegen. Nett. Fassungslos sah ich zurück, grinste dem Zurückgelassenen nervös zu und hörte ihn rau lachen. „Du Halunke! Sieh zu, dass'de Land gewinnst!“ Seemannssprache? Oder eine versteckte Botschaft? „Ich schrubb mir solang Einen auf die dreckigen Deckenfliesen. Die sind heut besonders siffig. Bei meiner Geilheit wird selbst der Staub feucht.“   Der Typ ist... einmalig. Zum Glück gibt’s den nur einmal.   „Wo gehen wir hin?“, fragte ich Kiras Rücken, stolperte hinter ihm her. Seine Schritte gefestigt, mit einem klaren Ziel. „Mein Zimmer.“ „Dein Zimmer?“, hakte ich skeptisch nach, „um was zu tun?“ „Jop.“ Dan-ke für diese ausführliche Info! „H-Hey“, zog ich halbherzig an seinem Arm, erfolglos, „ich bin noch im Dienst!“ Seine gehobene Augenbraue beinahe hörbar. „Sagt wer?“ Law? ...Der frühzeitig Feierabend gemacht hat.   Mir gingen hier die Argumente aus. Nicht aber mein rebellisches Feuer. „Wer sagt, dass ich mit dir gehen will?“, grinste ich neckisch. Erntete ein trockenes, doch absolutes: „Ich.“ Das ist neu. Leise lachend glitt meine Braue nach oben. „Oho. Ein Mann mit Selbstbewusstsein. Soll ja bekanntlich sexy sein.“ Er stoppe. Neigte seine Maske über seiner Schulter zu mir. „Du...“, klang er höchst misstrauisch, aber amüsiert. „Du flirtest mit mir.“   „Tue ich das?“, streckte ich ihm meine Zunge verspielt entgegen. „Oder bin ich eine Wahnvorstellung von dir?“, wagte ich mich in gefährliches Terrain. In psychische Gefilde. Sei stark, Kira. Keine Reaktion. So lange nicht, dass ich bereute. Beinahe. Kira lachte. So anders, aufrichtig, echt. Ein wohlklingendes Geräusch wie ein Donner während eines Sturms, der durch seine Brust wummerte – Direkt in meine. Zurück blieb die Wärme. Seine Hand, die er auf meine Kappe legte. „Du bist meine unheilbarste Seelenfolter.“   Sollte das ein Kompliment gewesen sein? Meine Wangen brannten. Verdammter Casanova! „Ja, Ja“, knurrte ich verlegen, ging an ihm vorbei, in sein Zimmer. Lautlosen Schrittes folgte er. „'Ja, Ja' bedeutet-“ „Sprich es nicht aus. Wehe dir!“ Mit einem Klick schloss er die Tür. „Ich hätte nichts dagegen“, ließ er es auf seiner Zunge zergehen, „dich zu lecken.“ Themenwechsel. Schnell!   „Dein Switch“, zerstörte ich die ansteigende Zimmertemperatur, „wie hast du...?“ Statt seine Laune von dem heiklen Thema dämmen zu lassen, griff er lässig in seine hintere Hosentasche, holte einen Zettel hervor. Die Notiz, die ich ihm hinterließ. Die er laut vorlas! Jetzt wird’s peinlich. Übertrieben theatralisch räusperte er sich. „'Du Idiot'...“ Ich korrigiere: Es wird noch viel peinlicher! Betont las er weiter, mit jedem Wort dramatischer werdend. „Als ich dich zum ersten Mal sah, konnte ich meine Augen nicht von dir lassen. Du bist der heißeste Mann-“ „Das steht da überhaupt nicht!“ Wo ist der Revolver, mit dem ich mich erschießen kann? „In der Tat“, lachte er sich innerlich ins Fäustchen. Erklärte dann monoton; „Nun... ich kann deine Handschrift nicht entziffern.“   Grob riss ich ihm das Papier aus der Hand, schredderte es in tausend Fetzen. Frust-Abbau. Verschränkte schnaubend meine Arme, zeigte ihm beleidigt die kalte Schulter. „Schieb dir deine Romantik mit Rosen in den-“ „Wie pervers“, schien er vergnügt, „ist dies dein Fetisch?“ „Nein!“   Dem ging's zu gut! Wie losgelöst und freier er wirkt... Wie ein anderer Mann – Ein Mensch. Ich konnte nicht lange sauer auf ihn sein. Meine Schultern sackten nach unten. „Warum hast du mich herbestellt?“   In aller Direktheit: „Um Zeit mit dir zu verbringen.“ „Ein Date?“, beäugte ich ihn belustigt, „fragt man da nicht erst nach?“ „Jop.“ !!!   Ich murmelte leise Flüche, gab mich geschlagen, lüftete meine Kappe. Bis ich an das unangenehme Gefühl meiner Hand erinnert wurde. Die klebrige Begegnung der fetten Art. „Darf ich deine Dusche benutzen?“, lief ich bereits Richtung angrenzendes Bad. „Darf ich spannen?“ „No.pe!“, poppte ich das P und knallte die Tür zu. Der Verführer macht mich fertig!   Die offene Schäkerei ließ mich keinesfalls kalt. Der Schlagbohrer in meiner Brust brachte mich noch zum Herzinfarkt. Rasch spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, atmete durch, sah mich flüchtig um. In dem kleinen Badezimmer gab es wenig zu sehen; Toilette, Waschbecken, Dusche – Eine Grundausstattung, wenn auch echt minderwertig. Der vermeintliche Duschhahn ein Gartenschlauch, ohne Aufsatz. Ein Wunder, dass im Keller überhaupt sauberes Wasser floss. Sauber, ja – warm, nein. Auf Eisdusche hatte ich nun wirklich keine Lust. So musste eine Katzenwäsche reichen. Auf der Ablage fielen mir diverse Haarpflegeprodukte ins Auge, die ich an dieser Stelle unkommentiert ließ. Stattdessen ein herb riechendes Duschgel griff, mich grob aber gründlich wusch, bis ich mich frischer fühlte. Mit neuen Lebensgeistern verließ ich das Bad, ging zurück zu ihm. Und merkte die plötzliche Schwere der Atmosphäre.   Erschreckend, wie schnell sich sein Wesen ändern konnte. Er sich verschließen konnte. In Eis gefroren. Wie versteinert stand er dort, seine Maske starr zu den Wandfesseln gerichtet. In Gedanken gefangen. Vorsichtig näherte ich mich ihm, wollte ihn nicht auf mich aufmerksam machen. Tat es dennoch. Ohne mich anzusehen, schnitt seine klare Stimme durch die Luft. „Killer“, bedrohlich leise, in einem Ton der monotonen Kälte; „Was hat er getan?“   Was davon will er wissen? Ich wusste es, schlagartig fiel es mir ein. Der Kuss. Trocken schluckend, stand ich schräg hinter ihm, begegnete seiner Maske, die sich langsam zu mir drehte. Anprangernd. Schweigen. So bedrückend, dass es mir die Brust zuschnürte. Dennoch raufte ich meine Stimme zusammen. Blieb ehrlich.   Ich gestand es ihm. „Killer hat...“, wich ich seinem intensiven Blick aus, zögerte, „hat mich...“ Meine nuschelnde Stimmer immer leiser werdend, brachte ich das Wort im Atemhauch hervor. In Reue, Schuld, Furcht. „…geküsst.“   Ein Knall. Scheppernd schlug die Maske auf Boden. Knack. Geschmettert im tiefsten Groll jenem Mannes, dem ich Eigen war. Kiras Augen. Enthüllt, offenbarend, tiefgreifend. Ihre Intensität verstärkte sich. Eis zerschmelzend im Feuer der Eifersucht. Glühend, verhärtend, schärfend. Von Kristallblau zu Diamant. Ein Blick, der meine Seele züchtigte. Bändigte mein Herz. In Fesseln der Sinnlichkeit. Mit allen Sinnen.   Belauernd, bemächtigend, bedrohend näherte er sich mir. Ein Schritt. Lähmte mich in Furcht … Ehrfurcht. Zwei. Verloren, ohne Wehr, fallend, stürzend. Drei. Gab mich nimmermehr frei.   Heißblütig kollidierten Kiras Lippen mit meinen. Siedend heiß. Impulsiv, instinktiv. In der Stärke all seiner Emotionen. Purer Männlichkeit. Ausgelöst von dem Trigger, der seiner Seele den finalen Schuss setzte. Peng – Ein Volltreffer.   Mein Rücken prallte auf das Sofa. Ich keuchte, trennte unser Lippenpaar entzwei. Dann fiel er über mich her. Wild geworden, blind vor Gefühlen. Kiras Hände waren überall an mir. Berührungen der Besitzergriffenheit, dominant über meinen Overall kratzend. Von meinen Rippen, über meine Seiten abwärts. Überwältigten mein entflammtes Herz. Unsere Blicke verbrannten sich.   „Wo“, knurrte er hervor, der tiefe Bariton seiner Stimme jagte mir elektrische Schauer über den Rücken. Tiefer sein Ton, schneidender seine Silben. „Wo hat er dich berührt?“   Zu keiner Antwort fähig. Starr, wie leergefegt. Ich wusste es nicht mehr. Erinnern unmöglich. Meine Augen schließend, wichen meine Lippen auseinander. Und flüsterten lügend; „Überall.“ Mein Untergang. Entfesselte den Sturm, der über mich jagte.   Kiras Pupillen weiteten sich, schärften sich. Diamant fing Feuer. Gleich einer Supernova – dem intensiven Aufleuchten eines explodierenden Sterns. Unbeherrscht tobten seine Finger über meine Kleidung, infiltrierten sie, verkrallten sich in ihr, vergriffen sich an mir. Ein grell reißendes Geräusch. Ungestüm riss er die Knöpfe des Overalls auseinander, riss mir den Stoff vom Leib, entblößte meinen Oberkörper. Die Hitze seiner Hände ermächtigte meinen Brustkorb, brannte sich in meine Haut. Ich wimmerte, keuchte, biss mir auf die Innenlippe.   „Sieh mich an, Penguin.“ Aus halb-geschlossenen Augen fokussierte ich ihn, traf auf seinen glühenden Blick. Erschauderte. „Sieh, was du geschaffen hast.“ Wie ein Feuerpfeil drang es in meine Brust.   Der Mann, der über mir kniete war ein Fremder. Und doch so vertraut, dass mein Innerstes ihn wiedererkannte. Kira. In seiner wahren Form. Ohne Maske, ohne Schloss, ohne Krankheit. Ein Mensch, eine Seele, ein Ganzes – mein Partner.   Ich lächelte. Liebevoll, in Wärme. Nicht 'geschaffen' – 'Geschafft' Langsam stützte ich mich auf, fing seine Lippen ein. Küsste ihn, teilte stille Botschaft. 'Ich bin stolz auf dich.'   Das hier fühlte sich an wie unser Kennenlernen. Und doch war es, als würden wir uns bereits ewig kennen. Nur die Ewigkeit unser Zeuge.   Gefühlvoll wisperte ich ihm im Kuss zu. „Zeig ihn mir... den Helden, der den Krieg gewinnt.“ In Innigkeit gesprochen, in wünschender Hoffnung ersucht.   In seinen Augen blitzte der Sturm. Eine seelische Naturgewalt. „Du machst mich wahnsinnig“, verdunkelte das Blau seiner Augen in Ekstase. Heiß brach sein Atem gegen meine Lippe, flüsterte der Gier ergeben. „Zu Befehl, Partner.“ Kapitulierte sein Herz, der Gefühle untertan.   Kira nahm sich mich – gab mir sich. Seine Hände so viel gefühlvoller, seine Berührungen tiefer, viel weiter reichend. Langsam streifte er mir meinen Overall von den Schultern, nahm sich Zeit, fühlte jeden Augenblick, den wir teilten. Gemeinsam erlebten. Meine Arme von dem Stoff befreit, griff ich nach dem einzelnen Knopf seiner gepunkteten Bluse, öffnete sie, betrachtete ihn. Seine muskulöse Brust, von Narben gezeichnet, die sich hell von seiner Hautfarbe abhoben. Vorwiegend verheilte Schnittwunden – Ein Zeichen, dass er Nahkämpfer war. Mein Blick ruhte auf seiner linken Brustseite. Nichts, kein einziges Wundmal.   Seine ruhige Stimme erklang. „Das Verdienstkreuz. Es hat die Kugel abgefangen, die mich ins Herz treffen sollte.“ Kühl berührten seine Finger meinen Brustkorb, auf Herzseite. Dort, wo ich die blasse Kreuznarbe trug. Kiras Stimme lächelte. „Fast so... als würdest du sie für mich tragen.“   Ich errötete. „S-Sei nicht albern“, huschte mein Blick zur Seite, der Innigkeit seiner Worte nicht standhaltend. Ein Rascheln ließ mich wieder zu ihm schauen, zu seinem nackten Oberkörper, dessen ausgezogene Bluse er achtlos neben uns warf. Meine Augen weiteten sich, mir wurde heiß. Glühend heiß. „Gefällt dir, was du siehst?“, schmunzelte er, verfolgte meine Reaktion. Wie ich mir auf die Unterlippe biss und nickte. Dieser Mann war verboten attraktiv. „Berühre mich, Penguin“, verlangte er flüsternd, „fühle mich.“   Meine Hände fanden von selbst zu ihm, ertasteten seine gehärteten Brustmuskeln, ihre Hitze, die sie ausstrahlten. Das Körperkunstwerk eines Kriegshelden. Vorsichtig erforschten meine Finger die Konturen der Narben, fuhren sie ehrfürchtig entlang. Jede von ihnen erzählte eine Geschichte, die ich nicht hörte, aber spürte. Ich fühlte ihn. Fühlte mit ihm.   Auf der rechten Seite seiner Rippen helle Male in Form kleiner Splitter, die ich fragenden Blickes bedachte. „Eine Granate“, offenbarte er in leiser werdenden Ton, „die Granate, die Kids Arm...“ Kurz stoppte er, korrigierte sich. „Das Opfer, das unser Captain für uns erbrachte.“ Er sprach darüber. Über seine Vergangenheit. Über die Zeit, die ihn krank machte. Hier und jetzt heilte.   Langsam, still und sacht, schloss sich eine seiner seelischen Wunden. Ich erkannte es an seinen aufhellenden Augen, die mehr Menschlichkeit reflektierten. Mehr Kira. „Mehr...“, flehte ich hauchend, berührte ihn weiter, gab ihm sanft Halt, „erzähl mir mehr von dir.“   Meine Finger verweilten an einer größeren Schnittnarbe, die quer in Höhe seines Unterbauches verlief. Auch sie besaß etwas Trauriges, was er jedoch teilnahmslos preisgab. „Kurz nachdem ich hierherkam. Die Erstuntersuchung...“, ging sein Stimmton in Monotonie über, aus Selbstschutz, „ich weiß nicht mehr viel davon. Killer hat sie für mich übernommen.“ Beim Aussprechen des Namens änderte sich sein Blick. In etwas Schmerzvolles. Psychisch.   Mitfühlend sah ich ihm in die Augen. „Du“, riet ich, hörte auf mein Gefühl, „hältst ihn für den Stärkeren?“ Etwas brach in seinem Augenlicht, nach dem das meine griff. „Obwohl du selbst viel stärker bist“, strich ich ihm flüsternd eine blonde Strähne hinters Ohr. Die blauen Splitter setzten sich nach und nach zusammen, mit jeder meiner liebevollen Berührung. Aufmerksam beobachtete er mich. „Was meinst du?“, legte er seinen Kopf schief. Ohne Maske sah die Geste noch charmanter aus.   Meine Mundwinkel hoben sich sanft. „Du beweist wahre Stärke. Lässt Emotionen zu. Den Schmerz. Hast den Mut zu leben. Hattest ihn die ganze Zeit über.“ Eine seiner feinen Augenbrauen hob sich, interessiert. Meine Stimme wurde fester. „Seit zehn Jahren bist du hier. Leidest. Wie oft hattest du die Möglichkeit, es zu beenden?“ Erkenntnis, die in seine Augen kehrte. Die es ihm bewusst machte; Dass er nie zu hoffen aufhörte. Dass er nie aufgegeben hatte.   Und die Monotonie seiner Stimme nahm den Klang seiner Seele an. Leuchtete. „Ich lebe“, wisperte er, als würde er sich selbst erinnern wollen. „Ich lebe“, lächelte sein Herz, das mich in seine blauen Lichtspiegel einrahmte. Wiederholte es. „Ich liebe.“   Nickend, sah ich ihn verträumt an. Er lebt. Hat zugegeben, dass er- Stopp! Meine Augen Schock geweitet. W-Was hat er gesagt? Meine Brust fing Feuer, mein Gesicht verpuffte unter der Hitze, mein Puls tobte, stolperte, überschlug sich. Ich blinzelte. Total fassungslos. Und er? Er presste seine Lippen aufeinander, seine Schultern bebten, seine Brust vibrierte. Konnte nicht an sich halten. Lachte. Im tiefen Bariton, der mir eine prickelnde Gänsehaut schenkte. Unschuldig kippte er seinen Kopf zur anderen Seite, schmunzelnd. „Habe ich etwas gesagt?“ Dieser verdammte Casanova spielt mit gezinkten Karten. Der Herz-Arsch-Karte.   Giftig funkelte ich ihn an. Was ihn seine Lippen rollen ließ. „Sexy“, raunte er mir zu, beugte sich zu meinem Ohr. „Wenn du mich weiterhin so ansiehst... wirst du deine Hose nicht mehr lange anbehalten.“   Ich grinste herausfordernd, mein Blick sprüh Funken, reizte ihn. „Tu es. Erobere meinen Körper. Er soll der deinige sein.“ Ein dunkles Vibrieren, erregt, tief aus seiner Brust. Und meine Lippen fielen ihm zum Opfer. Wurden von ihm angegriffen. In einen Kuss gestürzt. So viel emotionaler, intensiver, lebendiger als unser Erster.   Feuernd prallten unsere Lippenpaare gegeneinander. Im Kreuzfeuer der Hingabe. Schuss um Schuss, Treffer um Treffer. Gierig glühte er sich auf mich, süchtig verinnerlichte er jedes Gefühl, unersättlich nach mehr. Nach mir. Unterworfen von der Dominanz seiner innigen Macht, fiel ich in den Rausch der Euphorie. Machtlos, beängstigend, aufregend. Heiß drängte sich seine Zunge zwischen meine Lippen, ließ mich ihn schmecken. Den Geschmack der Verführung. Kniff mir in den linken Nippel, entlockte mir den Laut, der ihm Zutritt verschaffte. Stieß gegen meine Zungenspitze, umschlang sie mit seiner, herausfordernd, umeinander rotierend.   Er stoppte. Lehnte seine Stirn gegen meine, sah mir tief in die Augen. „Nenne sie mir“, forderte er raunend, „die Stellen, die Killer geschändet hat.“ Ohne auf Antwort zu warten, wanderte seine fiebrige Hand weiter. „Hier?“ Zu meiner Brustwarze, gegen die er schnipste. Sie härtete, spielerisch drehte, mit seinem Zeigefinger rieb. „Hier?“ Zu meinem Bauchnabel, den sein Finger umkreiste, abwärts fahrend. Tiefer, intimer. Über meinen Haaransatz. „Oder...“, schlüpfte seine Hand in meine Hose, „...hier?“, packte er zu. Hemmungslos.   Zischend sog ich die Luft ein, warf meinen Kopf nach hinten, drückte meinen Rücken durch. Unter seiner heißen Berührung schwoll mein Glied rapide an, zuckte zwischen seinen Fingern, die mich schamlos massierten. Über meiner Unterwäsche, die mit jedem Impuls enger wurde. Von ersten Lustperlen befeuchtet. Berauschend strich sein Finger über meine Eichel, drückte mit der Kuppe gegen die kleine Öffnung.   Und schmunzelte. „Du bist erregt“, ließ er seine Stimme tiefer klingen, hauchend im Flüsterton, „erregt von mir.“ Seine freie Hand umgriff die meine, zog mich am Handgelenk zu sich, zu seiner Mitte. Seiner Härte. „...Und ich von dir.“   Binnen eines wilden Herzschlags entriss er mir meiner letzten Schutzkleidung. Hose, mitsamt Boxer heruntergezogen, lag ich vor ihm. Schutzlos. Kalte Luft traf auf meine nackte Haut, ersetzt werdend von der Hitze seiner Zunge, die brennende Spuren auf meinem Körper hinterließ. Meinen Hals abwärts, über mein Schlüsselbein, zu meiner Brustwarze, die seine Zungenspitze umkreiste. Spielend hinein biss. Ein heißer Blitz durchfuhr meinen Körper. Das intensive Prickeln gebündelt in meiner Körpermitte, erweckte unstillbare Gelüste. Mein Glied stellte sich auf, reckte sich ihm zuckend entgegen. Ich keuchte. Keine Zeit zum Atmen, als seine rauen Finger meinen Penis umschlossen.   „Wie hart du bist“, schien er erfreut, „wegen mir.“   Erregend streichelte er mich. Geschickte Finger, die meine Vorhaut zärtlich vor und zurück schoben. Der Druck seiner Faust lockernd, verstärkend, auf und ab, im Takt ungezähmter Wildheit. Raubte mir den Verstand. Von Sinnen, versuchte ich vergeblich bei mir zu bleiben. „W-Wie“, brauchte ich mehrere Anläufe zum Sprechen, „wie lange ist es her?“   „Lange“, seine tiefe Stimme ergriffen von Ungeduld, die seine Muskeln versteifte, „viel zu lange.“ Sein gesamter Körper schien unter Strom. Auch seine Bewegung holpriger, schneller, sehnsüchtiger. „Nun schweig“, unbeherrscht und dominant, „und lass mich dir Lust schenken.“   Fester sein Griff um mein Empfindlichstes, beschleunigte den Takt seiner sinnlichen Qual. Unerträglich heiß. Der Gedanke, dass ich sein Erster seit zehn Jahren war... Der Erste, den er berührte... Machte all dies so viel bedeutungsvoller. Mein Blick glühte sich in den seinen. „Nein“, schüttelte ich meinen Kopf, „ich bin kein passiver Part.“ Und grinste verwegen. „Zur Liebeskunst gehören immer zwei.“   Aus einem rebellischen Impuls heraus, stieß ich ihn an seiner Brust nach hinten, richtete mich auf, ging zum Gegenangriff über. Er ließ es geschehen, suchte sich einen bequemen Sitz, beobachtete mich aufmerksam, intensiv, fieberhaft. Flink schwang ich meine Beine über seine Oberschenkel, auf denen ich Platz nahm. Stützte mich mit meiner Hand auf seine Schulter, mit der anderen strich ich seine blonden Haarsträhnen sacht von seinem Gesicht. Innig betrachtete ich es, verfolgte die feinen Konturen seiner Gesichtszüge, die ich andächtig mit meinen Fingerspitzen nach fuhr. Sein Gesicht, das er vor der Welt versteckte. Unserer Welt offenbarte. Meinen Gedanken flüsterte ich lächelnden Herzens. „Wunderschön.“   Kiras Lippen öffneten sich, mitsamt seinen betroffenen Augen, deren Blick mir auswich. Wird er... rot? Rasch bedeckte er seine untere Gesichtshälfte mit seiner Handfläche, hinter der er schmunzelte. „Wie unfair von dir... mich so zu verführen.“   „Dito“, hauchte ich ihm zu und lehnte meine Lippen gegen seinen Handrücken, den er von seinem Gesicht nahm. Stattdessen zu meiner Hüfte führte, die er links und rechts nach oben entlang streichelte. Unsere Lippen verschmelzend, öffnete ich den Reißverschluss seiner hellblauen Hose, gefolgt von dessen Knopf. Helfend hob er sein Gesäß an, damit ich ihm den Stoff abstreifen konnte. Sein Privatestes erreichen konnte. Ich sah herab. Sah... „Verdammt.“ ...seine Größe.   „Beeindruckt?“, wurde sein Lippenzug stolzer, sein Stimmton amüsierter. „Sorge dich nicht: Er wird passen.“ Die Info war echt unnötig! Bevor ich verbalen Konter geben konnte, handelte er, stieß seine Härte zwischen meine Beine, streifte meine Eier, glitt zwischen meine Hinternhälften. Und verlangte von mir; „Beine zusammen.“   Ich tat es, verschaffte ihm mehr Enge, spürte die trockene Reibung. Ehe mir einfiel; „Hast du...?“ Wissend griff er hinter das Sofa, holte die Tube hervor, die ich fragend ansah. „Will ich wissen, woher du die hast?“ „Möchtest du nicht.“ ...Kid. Geh bloß aus meinen Gedanken, perverser Teufel! Auf meinen verstörten Blick stieß er einmal kräftig zu, holte mich zurück, lenkte meine Aufmerksamkeit auf ihn. Ihn allein.   Ein erster Tropfen perlte aus seiner prallen Eichel, lief meinen Arschansatz herab, ließ mich erregt schaudern. Mitsamt seinem rauen Befehl; „Fass dich an.“ Das Klacken der Tube, die er öffnete, über meine Hand hielt, auf die er das durchsichtige Gel tropfte. Es roch süßlich, war kalt, wurde von meiner Körpertemperatur erwärmt. Er will, dass ich mich selbst fingere? Zielsicher griff ich hinter mich, zu meinem Hintern- daran vorbei, zu seiner Härte, die ich ohne Vorwarnung packte.   Ein Zischen verließ seine Lippen, gefolgt von einem Fluchen und einem Brummen. „Mir gefällt deine rebellische Dominanz“, brummte er lüstern, „jedoch...“, glitt er mit einem Stoß enger, näher, direkt an meinem Eingang vorbei, befeuchtete ihn, „will ich dich stöhnen hören.“   Tief drang sein nasser Finger in mich. Soweit er konnte, wurde von meinem Schließmuskel aufgenommen. Erst nur seine Fingerkuppe, Zentimeter für Zentimeter tiefer dringend, mit jedem Atemzug, mit dem ich mich weiter entspannte. Es brannte, leicht, nicht schmerzhaft, aber merkbar. Ist echt lange her...   Plötzlich fragte er; „Wann hast du dich zuletzt selbst befriedigt?“ Ein verlegenes Knurren meine Antwort, das in ein Nuscheln überging. „Keine Ahnung...“ Warum will er das wissen? „Gut“, schien er zufrieden, „ab jetzt denkst du dabei nur noch an mich.“ Als ob ich noch an jemand andren denken könnte!   Erneut rutschte sein Finger tiefer, zwei Fingerglieder in mir, krümmte und drehte sich, entlockte mir ein angetanes Keuchen, bei dem ich mir auf die Unterlippe biss. Was ihm nicht gefiel. „Unterlasse dies“, umgriff er mein Kinn, das er zu sich dirigierte, „lass mich hören, sehen, fühlen. Dich. Ich will dich. Gänzlich.“   Kratzend wanderten seine Finger abwärts über meinen Oberkörper, leichte Spuren hinterlassend, zu meinem Unterleib, dem er sich leidenschaftlich widmete. Meinen Penis umschloss, pumpte, während er mich intensiver fingerte. Die doppelte Stimulation schickte heftigere Stromstöße durch mich, unterwarf mich seiner sinnlichen Gewalt. „K-Kir–ahh...“, fing er seinen Namen mit seinen verruchten Lippen auf. Angespornt durch meine Laute beschleunigte er die Bewegung seiner Finger, rauf und runter, rein und raus. Nahm einen zweiten hinzu, den er in mich zwängte, mich weitete, süchtiger machte.   Meine Stirn an seine Schulter lehnend, kam mein Gesäß ihm entgegen, in wippenden Bewegungen, bei denen seine Männlichkeit schneller zwischen meinen Beinen hin und her rutschte. Durch das Gleitgel mehr Reiz bekam. Heiß traf mein abgehackter Atem gegen seine Haut, sein atemloser Stimmbariton direkt neben meinem linken Ohr, jagte Schauer um Schauer über meinen Rücken. Mit beiden Händen krallte ich mich in seine Brustmuskeln, spürte ihre Härte, ihre Straffheit, wie sie sich mit seinen sich spannenden Armen mit dehnten. Vor meinen Lippen die Feinheit seines blonden Haares, dessen Geruch ich inhalierte. Kiras Geruch. Süßkirsche. Zu viele Eindrücke überwältigten mich, zu viele Sinne von ihm eingenommen. Zu viel Stimulation – und doch viel zu wenig.   „Mehr“, hauchte ich fiebrig, „mehr Finger.“ Ein dritter, der in mich sank. Schmatzende Geräusche erzeugte. „Mehr... von dir.“ Keuchend, bittend, verlangend.   Ihm gefiel, wenn ich ihm befiel. „Zu Diensten, mein Herz.“   Und er ging auf die Knie. Vor mir, vors Sofa, auf Boden, einbeinig. Spreizte meine Beine, schob meine Schenkel auseinander. Küsste mich. Mein Intimstes. Ein intensives Kribbeln rauschte durch meinen gesamten Körper, der unter seinem eisblauen Blick erschauderte. Meine Brust entflammte, mein Puls feuerte los. So heiß die Berührung seiner rauen Lippen, die sich um meine Eichel schlossen. Noch heißer seine Zunge, die den prallen Kopf umkreiste, den Lusttropfen auffing, in den winzigen Spalt eintauchte. Er brummte lüstern. Die Vibration fegte über mein Fleisch, das er tiefer in seinen feuchten Mund gleiten ließ, mit seinen glühenden Lippen die Vorhaut zurückschob. Mich heißblütig leckte, schmeckte, neckte.   Ich stöhnte. Laut. Verkrallte meine Finger in sein blondes Haar, ertastete dessen wilde Feinheit, strich mit meinem Daumen die langen Strähnen seines Pony zur Seite. Enthüllte seine Augen, die mich lustvoll belauerten. In ihnen funkte ein blauer Blitz. Die einzige Warnung. Bis er mich komplett in sich aufnahm. Meine Eichel knallte gegen seinen Rachen. Eine Kollision im Hitzegewitter, schickte einen Feuerblitz durch meinen Unterleib. Die heiße Nässe, die mich empfing, war beinahe unerträglich. Unerträglich befriedigend.   Meine Beglückung ihm wichtiger, als seine eigene. Er genoss, mir zu dienen. Im Hochgenuss summte er sinnlich, liebkoste mich, kostete mich, stimulierte mich. Ich schwoll zur vollen Größe in ihm an, meine Vorhaut spannte sich spürbar, die Gleitbewegung geschmeidiger werdend, erregter. Seine Zunge leckte der Länge nach vom Schaft zur Eichel, hinterließ brennend heiße Spuren, die die Luft kühlte. Mich aufwühlte, mein Herz aufgeregt wummerte.   Meine heisere Stimme stotterte. „N-Nicht ohne dich“, brachte ich in Atemlosigkeit hervor, mit zitternden Lippen, „m-mit dir. Nur mit dir.“   Ein lautes Plopp knallte in die Stille, wie ein Peitschenhieb, als er mein Glied von seinen Lippen erlöste. Glänzend von seinem Speichel. Abgelöst von seiner vernarbten Hand, die sich meiner annahm, leichte Streichelbewegungen vollführte. Der klare Stimmbass seiner sinnlichen Monotonie die pure Verführung. „Sag es“, verlangte er, „sag, was du begehrst.“   „D-Dich.“ „Meinen Namen.“ „Dich, Kira!“   Zufrieden schmunzelte er, erhob sich, stand in Erhabenheit vor mir, stolz erigiert. Trat zwischen meine Beine, beuge sich zu mir, stützte sich mit seinem Ellenbogen auf die Sofalehne neben meinen Kopf. Sein Stimmklang wurde tiefer, verheißungsvoller, betörender. „Merk ihn dir, brenn ihn in deine Seele, in dein Herz – und verglühe.“   Seine Lippen auf den Meinen. Dominant, hitzig, begierig. Ein sehnsüchtiger Wunsch, den er mich spüren ließ. Ein Geständnis, das er in mich glühte. Sein – Sein Lebenselixier. Mein – Mein Herzbrandmal. Unser Seelenfeuer.   Im Rausch der Ekstase, unsere Blickfessel untrennbar, klarten seine Augen auf. Blau in Gefühlen erhellt. Bereit, mir den Himmel zu zeigen. Ich wollte ihn. Mehr als alles andere. War bereit für ihn. Bereit für- „Schlaf mit mir, Kira.“ Ein heiseres Flehen der Lust.   „Nein.“ Der Diamantschliff seiner Stimme kalt. „Es ist noch nicht an der Zeit...“ Noch nicht...? Er ist noch nicht stabil genug? Sein Lippenzug nahm etwas Sehnsüchtiges an, beinahe Bedauerndes. Er wollte es – doch konnte nicht. Wie stark hat er sich zurückgehalten? ...Für mich.   Gefühlvoll küsste ich ihn. „Es ist okay“, flüsterte ich ihm zu, korrigierte meine Worte, lächelte. „Liebe mit mir, Kira.“   Unser Kuss intensivierte sich, vertiefend in liebevollen Emotionen. Ein Kuss, der von den zärtlichen Impulsen unserer Lippen lebte.   Mich nicht von ihm lösend, rutschte ich nach hinten, machte ihm Platz. Er kniete sich aufs Sofa, zwischen meine Beine, seine Männlichkeit klopfte an meinen Unterbauch. Meine Faust ihn umschließend, dessen Pulsieren spürend, die Beschaffenheit erforschend. Beschnitten, leicht nach links geneigt, nach oben zeigend, am breiten Schaft unterhalb die Ader, die mit meinen Bewegungen wilder pochte. Kiras erregtes Brummen tiefer werdend, lustvoller. Seine kristallklare Stimme so sexy.   „Darf ich“, brannten meine Wangen in Scham, „dich zum Kommen bringen?“ Diamant schimmerte seelenvoll. „Was immer dein Wunsch ist.“   Meine Hand reichte nach der seinigen, erreichte sie, verwebte unsere Finger, vereinte unsere Glieder. Heiß traf Haut auf Haut gegeneinander, entlockte uns beiden betonte Klänge der Lust. Eng presste sich unser Intimstes im Feuer der Leidenschaft aufeinander, unsere Finger verschlossen sich fester, nahmen einen gemeinsamen Takt an. Unsere Lustperlen vermischten sich. Berauschende Wellen strömten durch mich, glühend in meinem Unterleib, in Flammenzungen über mein Empfindlichstes lodernd. Fester verkrallte ich mich in seine Mähne, heißblütiger küsste er mich, brachte uns der Erlösung näher. Immer näher. Der Himmel seiner Augen brennend in der Glut der Sinnlichkeit. Brandmarkte meine Seele.   „Fliege“, raunte er mir sinnlich zu, „und falle mit mir.“   Zu keiner Antwort fähig, mitgerissen von der Zärtlichkeit unserer so intimen Berührung, biss ich ihm in die Unterlippe. Die Hitze in meiner Mitte bündelte sich. Unaufhaltsam. Fiebrig hauchte ich seinen Namen, immer und immer wieder. Es war das Einzige, was ich noch zustande brachte. Unsere Körper kollidierten reibend gegeneinander, in euphorischer Harmonie. Unersättlich gierend nach der Nähe des anderen. Die Luft um uns unter Starkstrom. Sündige Geräusche, Atemklänge, die feuchten Laute unserer stimulierten Glieder. Schneller und schneller, härter und härter, zuckend, tropfend. Mein Penis prickelte ekstatisch, erreichte sein Limit. Meine Hoden strafften, bewegten sich wippend mit der Bewegung, zogen sich signalisierend zusammen. Der liebenden Flammen ergeben.   „I-Ich-“ „Tu es. Komm.“ Unsere Lippen prallten aufeinander. Hart. Und ich erreichte den Himmel, in den ich blickte. Kam. Heftig.   Ein intensiver Schauer jagte in berauschenden Blitzen durch mich. Mein Orgasmus mit voller Intensität einschlagend. Weggefegt von den tosenden Wellen, die über mich einstürzten. Gefühle der puren Euphorie, befreiend, beglückend, geliebt. Mein Herz hämmerte viel zu schnell, mein Körper erzitterte stark. Die geballte Hitze entlud sich in Schüben, floss warm über unsere Hände. Die Pump-Bewegung langsamer werdend, streichelte er mich durch meinen Höhepunkt. Meine Samen auf uns verteilend, ihn erregend, ihn zum Fall bringend.   Er folgte mir. Zusammen erreichten wir die Freiheit. Höher, immer höher fliegend. Und stürzten in die Tiefe. . . . Kira ließ sich fallen. Fiel. Reflexartig stieß ich ihn von mir. Wich zurück, ging auf Abstand, kollidierte mit dem Rücken ins Sofa. Und spürte es. Die Stille, die uns unterschwellig beiwohnte. Bedrohte. Sah es. Wie sich das helle Blau seiner Augen schattierte, der Himmel verdunkelte, zur Mitternacht. Ihn ankündigte. Killer.   Die Atmosphäre wallte in blutvollen Dämonenzungen auf. Der Raum in Schatten gehüllt, von Killers düsteren Dominanz geprägt. Kira fort, seine Stimme weg, ersetzt von der finsteren Killers.   „Welch attraktives Schauspiel“, schnurrte er in diabolischem Genuss. „Fast so, als würde ich mir selbst beim Pimpern zusehen.“ Er hat-?! Die ganze Zeit-!? Das ist Stalking auf höchster Niveaulosigkeit! Perverser Mistkerl.   Vom Höhenflug zum Absturz, blieb das kalte Grauen. Die Hitze verpufft, die Eiseskälte zurücklassend. Verstört sah ich ihn an, konnte nicht realisieren, wie schnell die Situation umschlug. Killer erwiderte meinen Blick, in kranker Begeisterung, teuflischer Besessenheit. Narzisstisch strich er sich über seinen nackten Körper, präsentierte sein Muskelspiel, angeberisch. Befummelte sich selbst, leckte Kiras und meine Liebe von seinen Händen. Echt pervers krank.   „Wo waren wir stehen geblieben?“, blickte er auf seine harte Größe – die zur anderen Seite als Kiras geneigt war. Was zum?! Begeistert nahm er ihn in die Hand, pumpte ihn in seiner lockeren Faust. Es schauderte mich. In Abscheu. Gierend beugte er sich zu mir herunter, rutschte näher. Näher mit seinem Geschlecht an meinen Hintern, den ich zusammenkniff. Und er flüsterte in düsterem Tiefklang; „Lass uns spielen, Sweetheart.“   Meine Reaktion: Ein Schlag in die Fresse. Seine: Ein erregtes Summen. Verdammter Psycho-Maso! Oder eher: Ka-maso?   Überfordert und erschöpft, blieb mir bloß mein feuerndes Mundwerk. So teilte ich verbale Schläge aus. „Heute ist Tag der geschlossenen Tür!“, knurrte ich ihm giftig zu. Amüsiert zuckte sein Mundwinkel in die Höhe. „Nur heute?“ „Für immer!“, korrigierte ich schnell, „du hast Hausverbot!“ Er mimte den Denker, zögerte seinen Konter heraus, den er mir in all seiner provokanten Arschigkeit aufdrückte. „Was bin ich doch für ein niederträchtiger Schurke... der Verbote nicht beachtet, weil sie zu reizvoll sind.“   Seine Fingerkuppen fanden meine Brust, die er entlangstrich, eine Gänsehaut auf ihr hinterließ. Mein Körper, der miese Verräter. „Jedoch“, fuhr er fort, überraschte mich, „bin ich kein Vergewaltiger. Auch ich habe Prinzipien; Abstechen ist eher mein Stil.“ Seine Hand stoppte über meiner Herzseite, erfühlte dessen Takt gierig. „Du wirst dich mir freiwillig hingeben“, nahm sein finsterer Lippenzug Versprechungen an, sein Ton die absolute Dominanz. „Es wird mir ein perverser Genuss sein, dich auszupeitschen, zu züchtigen...“ Lasziv und schlüpfrig; „und dich danach betteln zu hören.“   Nur über meine Leiche- Halt, nein, vergiss das! Warte. Das ist die Idee!   „Nekrophil?“, fragte ich den Großkotz provokant. Ein Treffer unter die Arschfalte! Als hätte ich seiner Oma die Rüschchenwäsche geklaut, glotzte er mich erschüttert an. Der alleinige Gedanke ihn so verstörend, dass er die Fahne einzog. Die Eierfalte einen Abgang machte. Und seine Latte setzte Rost an. Schrumpfte, gab die letzten Zuckungen von sich. Tschö mit Nö. In meinem Kopf stimmte ein Trauerständchen an – der 'Coffin Dance' – das fette Grinsen konnte ich mir unmöglich verkneifen. Schadenfreude aber Hallo! Ich lachte. Frech und ausgelassen.   Echauffiert verschränkte er seine Arme, sah weg. Doch schmunzelte. Was heckt er nun schon wieder aus? Mit halb zusammengekniffenen Augen musterte ich ihn, wartete auf seinen fiesen Masterplan. Und er- schmiegte sich schnurrend an mich. „Ein wenig turteln wird doch okay sein...“ Er will... schmusen? Zum Henker?! Ich traute dem Frieden nicht. Ganz und gar nicht. Was bezweckt er damit? Leider konnte ich keine Kraft mehr zum Widerstand aufbringen. Die durchgemachte Nacht, all die anstrengenden Ereignisse und Kiras Zweisamkeit zehrten an mir. Negativ, wie positiv. Die Müdigkeit übermannte mich, rasend schnell.   Meine Augen fielen zu. Die inneren Alarmsirenen leiser werdend, ließ ich mich in seinen Armen fallen. In Killers. Eingelullt von Kiras Geruch, gepaart mit der dominanten Nuance Killers. Schwarzkirsche. Wir kuschelten – skurril, aber wahr. Kitschfaktor Brechreiz Level Regenbogen.   Etwas stimmte nicht. Wäre ich nicht so weggetreten, hätte ich es hinterfragt. Was... hat er vor... mit mir? Ein Knacken. Ein letztes Mal öffnete ich meine Augen. Meine Sicht zu verschwommen, um zu erkennen, was Killer tat. Er biss auf etwas. Erneut. Ich konnte es nicht sehen – aber schmecken. Spüren. Wie er es mir über seine Lippen einflößte. Etwas toxisch Süßes. Ohne es zu wollen, schluckte ich, hustete. Und verfiel dem Schattenmeister.   Eine Melodie, die er summte.   „Sweet Dreams~ Are Made Of These~“   Umgarnend, hypnotisierend, von ihm in die Irre verführt, stürzte ich in seelische Schwärze.   „Lass mich deine Schatten wecken.“   Ein Flüstern der Finsternis, in die er mich zerrte. Tiefer, immer tiefer. In den Abgrund.   „Ich entführe dich... In mein Schattenreich.“ Kapitel 7: Borderline --------------------- Eine Erinnerung der Seele. In ihren Tiefen verankert.   In Ketten der Zeit gelegt, führend zum Existenzabgrund. Der Anbeginn.   Dunkelheit. Warm, beschützend, friedvoll.   Ich sehe nichts, doch nehme wahr.   Höre, aber verstehe nicht.   „Penguin... So sei dein Name.“   Ein Herzschlag. Nicht meiner. Über mir.   Ich existiere, bin lebendig, ohne zu leben.   Bewege mich nicht, bin gefangen, bin frei.   Schlafe, aber träume nicht.   Die Welt dreht sich, ohne mich, mit mir. Erwartet mich.   Die Zeit rinnt, scheint stillzustehen.   Etwas ruft nach mir. Leise. Lauter. Lockt mich zu sich.   Das Leben.   Aus Dunkel wird Licht. Aus Nichts wird Alles. Aus Herz wird Liebe.   Und plötzlich... hört es auf. Alles.   Der Anker meiner Seele bricht. Die Kette klirrt. Reißt mich zurück.   Kalt. Kälter.   Still. Stiller.   Exitus.   Nie geatmet, Nie gelebt.   Von Anfang an gescheitert. Zum Tode verurteilt.   Vom Schicksal getroffen. Zerschießt mein Herz.   ...Peng...   . . .   Ich war eine Totgeburt.    💔   ∞ ⚞♡⚟   ⛨   „Ein Glück, dass er lebt!“ „Ein Glück im Unglück.“ „Ein Wunder.“   Geboren als Kind des Unglücks, lebend mit falschem Glück. Lügen, die zu meiner Wahrheit wurden. „Wir sind so froh, dich bei uns zu haben. Unser... Kleines.“ Dies waren nicht meine Eltern. Ich nicht ihr Kind. Nicht ganz.   „Pass auf dein Herz auf, Junge.“ Die Männer in weißen Kitteln betonten stets das Selbige. Täglich wurde ich untersucht und ausgefragt. Über Dinge, die mich verwirrten. Ich verstand nicht. „Warum bin ich hier?“, suchte ich den Grund, erhielt immer die gleiche Antwort. „Zur Beobachtung“, bedachten mich die Erwachsenen mit diesem Blick, der Kindern verheimlichte, „zu deinem Besten.“   Von Geburt an trug ich ein X auf der Brust. 'Narbe' nannten es die Ärzte. Hinter meinem Rücken redeten sie über mich. Dann, wenn sie dachten, ich hörte es nicht. „Herzschwäche“, eines der Worte, die ich aufschnappte, „Komplikationen bei der Transplantation.“ Was bedeuteten diese komischen Dinge? An der Tonlage der Erwachsenen konnte ich erahnen, dass es etwas Schlimmes war. „Wäre unsere Tochter doch nur...“ „Nein. Jetzt haben wir einen Sohn.“   War es ein Fehler, dass es mich gab? Hatte ich etwas Böses getan? Durfte ich deswegen nicht wie die anderen Kinder spielen, toben, Kind sein?   „Zu gefährlich“, verneinten sie dauernd mein Erfragen, stellten mich mit falschen Versprechungen ruhig. „Bald... Wenn du groß genug bist...“   Ich wartete. Tage, Wochen, Jahre. Nichts änderte sich.   „Wie fühlst du dich?“ Eine der Fragen, die ich beantworten musste. Jeden Tag. Sie erwarteten von mir, dass ich fühlte... manchmal wünschte ich, dass es aufhörte. Gefühle. Das laute Pochen in meiner Brust erinnerte mich daran. Der Fremdkörper, der in mir wohnte. Ich fühlte mich nicht richtig. Fühlte mich falsch. Etwas stimmte mit mir nicht. Bin ich der Fehler?   Die Tests, die sie mit mir machten. Reaktionstests. Wie mein Körper auf verschiedene Situationen reagierte. Mein falsches Herz es tat. War das echt, was ich spürte? War es erlogen? Mein gesamtes Dasein nur ein Lügengebilde? Es ist so verwirrend... Leben.   Ich ließ es über mich ergehen, wusste nicht weiter, wollte nicht wissen. Als Kind von so vielem manipuliert. So viele Eindrücke, die mich erdrückten. Wann hört es auf? Hört es jemals auf?   Eine der Krankenschwestern strich mir über meine Hand, die an dieses piepende Gerät angeschlossen war. „Eines Tages, mein Junge“, sprach sie sanft, „wirst du es erfahren... das stärkste Gefühl von allen.“ Was sie damit meinte, war mir unklar, doch ihre seltene Berührung beruhigte mich. „Dann muss dein Herz stark genug sein...“   Das Piepen wurde hektischer, lauter, schreiender. Bis es eine eintönige Melodie anstimmte. Die Monotonie der Kälte.   Wie Kiras. Der Name funkte in meine Erinnerung, mischte sich zu den Schatten, verzerrte Traum und Realität. Nur kurz, ehe ich erneut von Vergangenem gefangen wurde.   „Wir dürfen ihn nicht verlieren!“, brüllte ein Mann in das hohe Piepen. Für mich hatte der Monoton etwas Friedliches. Geborgenheit. „Wir brauchen ihn noch. Holt ihn zurück!“   Gebraucht werden... War ich dafür gut genug? Reanimiert. Wieder und wieder. Ein Kreislauf aus Tod und Leben. Als könnte sich meine Seele nicht entscheiden, als wäre mein Herz im Zwiespalt. Emotionale Schizophrenie.   Zwei Herzen; Ein totes und ein lebendes. Geschaffen für zwei Seelen, die ich zu lieben fähig.   ...Nur mich selbst nicht. Niemand brachte mir das Gefühl von Liebevollem bei. Das Fremdartige in mir verhinderte jegliche Selbstliebe. Ich fühlte mich mir selbst fremd. All die Gefühle verängstigten mich. Das Leben machte mir Angst. Hör auf... bitte.     Es war ein Tag wie jeder andere, als es geschah. Eine markerschütternde Tragödie.   Mein Krankenzimmer bebte. Eine Vibration des Bodens, erst schwach, dann intensiver. Breitete sich über den Raum aus. Das gesamte Gebäude erschüttert. Heulende Sirenen erschallten von überall. Das grollende Beben immer stärker werdend. In den Nachrichten wurde oft darüber berichtet. Den Katastrophengebieten, von denen das Krankenhaus verschont blieb. Nun nicht mehr.   Für ein Kind wie mich, war es … der Weltuntergang. Panische Schritte trommelten über die Gänge, hektische Rufe, Schreie, Hysterie. Wo waren meine sogenannten Eltern? ...Fort. Ich ihnen nicht wichtig genug. Niemandem wichtig. Nicht einmal mir selbst.   Ein trauriger Ausdruck versteinerte mein Gesicht. Kühlte mein Inneres. Ich spürte eine innere Ruhe, die Zufriedenheit brachte. Ich spürte, dass sich etwas änderte. Endlich. Mein Blick schweifte vom Krankenbett zum Fenster. Draußen, wo die Welt zusammenbrach. Die Natur in Aufruhr, der Himmel bereit für neue Engel.   Die Fensterscheibe klirrte, rauschender Wind hämmerte gegen das Glas, bat um Einlass. Langsam und geruhsam stand ich auf, ging hinüber zum Fenster, öffnete es. Und grinste dem Sturm entgegen. Komm und hol mich. Hol mich hier raus.   Der Luftstrom aggressiv und zerstörerisch, bahnte sich einen Weg ins Gebäudeinnere. Brauste Wut tobend ins Zimmer, riss alles mit sich. Die Nachttischlampe zerschellte auf dem Boden, gefolgt von der quietschenden Kommode, die kratzend über den glatten Untergrund rutschte. Die Rollen des Bettes aus ihrer Befestigung gerissen, sodass es haltlos durch den Raum schlitterte. Ich krallte mich mit aller Macht ans Fensterbrett, um nicht umgeworfen zu werden. Ich wollte sehen, verstehen, miterleben, wie es endete.   Ein Fenster in eine andere Welt. Nie sah ich einen schöneren Anblick, als den Verfall meiner Welt, der meinem Herz Friede brachte. Die Bäume bogen sich schwankend in Windstürmen, einige durch die Naturgewalt ausgerissen, wirbelten umher, trafen schellend auf Häuser, aus denen die Menschen flohen. Autos, die hupend durchdrehten, krachten in Nächstgelegenes. Trümmer wie ein Feuerwerk. Bunte Lichter, die ein Schauspiel aus Regenbögen von Überwelten erschufen. Eine schrille Geräuschkulisse aus Schreien und Lärm, die in der alles verschlingenden Stille des Sturms untergingen. Verstummt, ruhig. Endlich Ruhe.   Ich mochte die Stille, die mir die Freiheit schenkte. Die Leere der Welt, die meine innere füllte. Erstmals fühlte sich mein Herz wie mein an. Es stoppte, fand Ruhe, fühlte nicht. Schwärze riss mich in Ohnmacht.   Doch meine Seele leuchtete weiter. Hielt am Leben. Konnte noch nicht gehen. Etwas wartete auf mich.   Kinderaugen, die sich erstmals öffneten, um klar zu sehen. Als ich erwachte, war dort das Nichts. Eine weiße Leinwand aus Emotionslosigkeit. Das Krankenzimmer der Zerstörung zum Opfer gefallen, der Tod mich geopfert für das Leben. Schwerfällig rappelte ich mich auf, suchte einen Weg hinaus aus dem Labyrinth der Eintönigkeit. So viele Gänge, so viel Zeit verstrichen. Bis ich den Ausgang fand. Erstmals ins Leben trat. Wahrhaftig.   Menschenleer die zerfallene Stadt, verwüstet von der Natur, die eine malerische Idylle aus Scherben reflektierte. Ein Mosaik aus zerbrochenen Träumen. Gar wunderschön traurig. Ich lief weiter, immer weiter. Ziellos, nicht wissend wohin. Nur weg. Weg von meinem alten Ich, das ich nie besitzen durfte. Was ist erlogen, was wahr? Bin ich echt?   Was bedeutet Mensch sein? Was bin ich? Ein Fehler, ein Ersatz, eine Maske? Nie war ich jemandem wichtig genug, nie war ich mir selbst wichtig. Wohin führt mich mein Lebensweg, wenn er doch längst zu Ende scheint? Ein Labyrinth aus Fragen, durch das ich irre.   Etwas stoppte mich. Ein Summen. Leise, schwach, kaum hörbar. Eine seelenvolle Melodie, die der Wind durch die Ruinen wehte. Jemand sang. Sang dem Untergang der Welt entgegen. Ein Abschiedslied.   Kraftlos schleppte ich mich durch die zerstörten Straßen, vorbei an Geröll und Scherben, vorbei an einstigem Leben. Folgte dem Klang der Stimme, die so viel Schwermut und Weltschmerz verinnerlichte. Anders als ich, der nichts davon spürte. Je näher ich der Quelle kam, desto mehr zerriss es mich. Und doch gab es etwas, das mich zusammenhielt. Wie ein unsichtbares Band, das mich führte. Ein Tau, das mich zu ihm zog. Unaufhaltsam, stark, verbunden.   Eine Hütte. Eingestürzt, zu Einzelteilen in sich zusammengefallen. Schwer atmend stützte ich mich an den Überresten der Tür ab, duckte mich unter ihr weg, um ins Innere zu gelangen. Zwängte mich an den eingekrachten Deckenbalken vorbei. Und sah ihn; Ein Überlebender. Mitten in den Trümmern saß er, zwischen Schutt und Asche, blickte zum Himmel. Graue Wolken von Schwarz verfinstert. Das Summen verklungen, die Trauer verstummt. Der Junge lächelte. Ein Lächeln des Wiedersehens.   „Die Welt ist so schön“, flüsterte er leise zu sich selbst, den ersten Regentropfen entgegen, die auf sein orangenes Haar fielen. „Manchmal geht sie unter... aber geht sie auch wieder auf. Dann lächelt die Sonne umso heller.“   Seine Stimme schwach und kratzig, rau von seinen beruhigenden Gesängen. Wie viele Stunden musste seine Stimme der Einsamkeit trotzen? Sein Lippenzug wich in Herzenswärme auseinander, die er sich in der kalten Zeit selbst spendete. „Die Welt ist schön... weil ich daran glaube, dass sie es ist.“   Seine Worte, untermalt vom sachten Klopfen des Regens, füllten die Stille, die uns umgab. Vor ihm stehend, betrachtete ich ihn. Seine verwaiste Erscheinung, seine löchrigen Kleider, verwüsteten Haare, den unterernährten Körper. In seinen zitternden, blassen Händen ein Stück Stoff haltend, den er nah an seine Brust drückte. Etwas, was ihm Halt gab. Sein Lächeln, das bitter weinte.   Es löste etwas in mir aus. Etwas Echtes. Bedacht näherte ich mich ihm, setzte mich neben ihn, unter das eingeschlagene Fenster, blickte mit ihm zum Horizont. Schwach sprach ich ihn an, mein Stimmton müde. Müde vom Leben. „Was machst du hier?“, fragte ich energielos. Ließ unausgesprochen, was offensichtlich war: Der Verlust seiner Familie.   Ein fernes Glitzern trat in seine Honigfarbenen Augen. „Ich warte auf jemanden.“ Fand sein hoffnungsvoller Blick den trostlosen meinen. „Jemanden, der das Leben wieder lebenswert macht.“   Das Funkeln seiner Augen. So hell. Ein Stern in der Nacht. Sein Strahlen griff nach mir, erreichte mein Inneres. Lebenswärme. Das war es, was sein Seelenlicht mir zeigte. Echte Wertschätzung, die er mir entgegenbrachte. „Ich bin so froh, dass du bei mir bist.“ Das Sternenklar seiner Augen wässerte. „Dank dir bin ich nicht mehr allein.“   Ein Seelensplitter, den ich fand. Teilend ein Schicksal. Aus Einsamkeit wurde Zweisamkeit. Ich fühlte es. Menschlichkeit. Jeder braucht ein Mensch zum Mensch sein. Er war es. Derjenige, der auf mich wartete. Um zusammen einen Lebensweg zu bestreiten.   Schwach grinste ich den Jungen an, der noch immer lächelte. Langsam entkrampfte er seine Schutzhaltung, lockerte seine um sich selbst geschlungenen Arme. Und hielt mir das behütete Objekt hin; Die Kappe ohne Aufschrift, die einen Namen suchte – und fand. „Möchtest du meine Familie sein?“ Ein Flüstern der Hoffnung. Ein Anker in trauernder Flut. Ein Seelenband, das längst entschieden.   Ich lernte die Wahrheit, lernte wahres Gefühl. Mitgefühl. Ich fühlte; für ihn, mit ihm. Derjenige, der mir Liebe zeigte. Erstmals, in aller Echtheit. Die Liebe eines Bruders. Meines Bruders.   Ich schwor, ihn zu beschützen. Zu leben, um Leben zu schützen. Vorsichtig umarmte ich ihn, legte meine Arme behutsam um seine zerbrechliche Figur, zog ihn an mich. Und sein Lächeln brach, das die Tränen hielt.     Das erste und letzte Mal, dass ich Shachi weinen sah.   Seelenperlen, die der Regen forttrug, in einen neuen Morgen.   In unsere Zukunft.   . . .   ...Eine düstere Zukunft...   * * *   „Sweet Dreams~ Are Made Of These~“   Wahnsinnig schnurrte ich die Melodie, die mein Opferlamm in Hypnose wiegte. Penguin lag wie auf dem Präsentierteller serviert vor mir, zitternden Leibes. Deliziös. Leidend. Schutzlos. Eines Killers Dartscheibe für einen tiefen Stich ins Bull's Eye. Fa Fa~ Wäre da nicht dieser Abtörner, namens mein zweites Ich. Kira.   Warum wacht Penguin nicht auf? Kiras nervtötende Stimme, die mich unsere Augen rollen ließ. Was hast du mit ihm gemacht, Killer?! Überlegend tippte ich mit meinem Zeigefinger gegen unsere schmunzelnden Lippen. Hm... lass mich resümieren... Ich habe mich köstlich an ihm vergangen... Ihn angegraben, verführt, geküsst, ihm Smile verabreicht... Wovon möchtest du eine detaillierte Ausführung? Du hast-?! Penguins Lippen sind so süßlich~ Hast du seinen Schlafzimmer-Blick gesehen? Kiras Knurren in allem Hass, den er mir gegenüber empfand. Oho~ haben wir eine neue Emotion gelernt? Mein Beileid.   Ich hatte die Kontrolle über unseren Körper. Weil Kiras Beinahe-Bums ihn tief sinken ließ. Fa Fa~ Seit der selbsternannte Held – Applaus, Applaus! – aus seinem Orgasmustief gekrochen kam, nervte er mich. Bin ich denn nicht schon genug mit mir gestraft? Für Außenstehende musste dies äußerst geisteskrank aussehen. Wie wir uns mit uns selbst unterhielten, unsere Mimik stetig wechselte, unser Körper geteilt in Gegensätzlichkeiten und doch verbunden als Eins. Ich seufzte, Kira fauchte. Wie eine Mutterglucke, die ihr kleinstes Ei verteidigte. Oder Küken. Mhh~ Chicken-Nuggets.   Kira steuerte unseren Blick, unsere Augen auf den in Alpträumen gefangenen Penguin gerichtet, der sich im Sofa unruhig hin und her wälzte. Sieht er nicht entzückend aus? Wie er den Schatten verfällt... Ein Bild für die Teufel. Du fucking Mistkerl! Wie schmeichelhaft... Da könnte ich doch glatt wieder hart werden. Hättest du Lust auf ein Fingerspielchen zu zweit? Ich erinnere mich noch genau daran... wie wir uns- Schweig! Du bist krank. Krank in Manie... für dich. Wir lieben uns, nicht wahr? Nur weißt du noch nichts davon. Steck dir deine psychopathischen Heucheleien in dein seelisches Arschloch. Uh, jetzt wird es aber pervers~ Einmal abgespritzt und du lässt den Macho raushängen. Kira, du Hoden-Hengst~   Ich spürte die Nachwirkungen von seinem Höhepunkt, wenn auch nicht so deliziös, als wenn ich ihn gepimpert hätte. Bedauerlich. Meine Eichel weint. Seit wann sind wir denn egoistisch? Nächstes Mal gönnst du mir aber auch etwas Spaß... Es wird kein nächstes Mal geben. Oh? War er so schlecht im Bett? Oder warst du es? Schnauze. Na, na. Fluchen gehört sich nicht, Darlin'~   Mein Schmunzeln verdunkelt unsere Lippen. Schließlich warst du es... der mich hat zusehen lassen. Kira schwieg. Das Gefühl von Reue unseren Körper ergreifend. Du hast gewusst, dass ich da war... immer da bin. Wie lächerlich naiv von dir zu glauben, dass du eine Beziehung mit jemandem eingehen kannst... außer mir. Penguin ist anders. Inwiefern? Weil er dich ranlässt? Weil ich ihn 'ranlasse'. An mich. An uns.   Aww~ wie ekelhaft süß von dir. Da kommt mir fast das Ejakulat hoch. Kira haute uns eine rein, schlug sich selbst, brachte mich zum Lachen. Wie wild du geworden bist, hawrr~ Im Fisten solltest du dich aber noch üben, werter Anal-Soldat. Leider musste ich zugeben, dass der Schwächling stärker geworden war. Ich konnte ihn nicht mehr so leicht verscheuchen, musste ihn aushalten, mit ihm den Körper teilen. Vorerst. Sobald sich die Gelegenheit ergab, würde ich ihm einen seelischen Arschtritt geben. Mit sadistischem Vergnügen. Zunächst ergötze ich mich an unserem unterhaltsamen Machtspielchen.   Warum so schweigsam? Kira zeigte mir die Antwort. Mit seinen Erinnerungen, die unseren Kopf verpesteten. Unseren Körper mit Gefühlen erkrankte. „Lawliet.“ Penguin. Wie er unser beider Nachnamen sprach. Unser Herz, das schlug. Der Moment, der unsere Seelen unwiderruflich verknüpfte. Siehst du? Er hat nicht dich gewählt – sondern uns beide.   Er hatte Mitleid mit dir. Ich liebe es, wenn Menschen wegen mir leiden. Du nutzt ihn für deine kranken Fetische aus. Dies haben wir wohl gemein. Tust du nicht das selbige? Nein, ich- Du stillst dein Sehnen an ihm. Klammerst dich an ihn, benutzt ihn als dein seelischer Mülleimer. … Ich bin wenigstens so ehrlich und sage es ihm. Erkenne den Unterschied. Erkenne das Lügengebilde unseres Herzens. Es wird nie dessen Schwärze verlieren. Wird nie frei sein können. Immer des Todes sein.   Ich verunsicherte Kira. Erfolgreich. Schwächte seinen Geist. Spürte, wie ich mächtiger wurde. Qualvoll stöhnte Penguin. Ein Geräusch, das den Beschützer in Kira weckte, meine Dominanz wieder verdrängte. Vom Dom zum Sub, gefickt Euch Wohl mein Herr.   Kira wollte Penguin beruhigen, unsere Arme nach ihm strecken – Ich unterband die Berührung. Lass ihn leiden, lass ihn unsere Qual teilen. Penguin kämpfte sichtlich. Ein anerkennender Punkt auf der schwächlicher-Trottel-Skala. Ich bin die Bösartigkeit in Persona. Wie kannst du nur so ekelhaft sein? Wegen dir. Du hast mich dazu gemacht. Habe ich n-   Versuche erst gar nicht, es abzustreiten!, wurde ich ungehalten, verlor die Fassung, verfiel dem Hass. Meine dunkle Stimme in Gedanken schärfer, brüllte ihm zu, in einer finsteren Tonlage von Morddrohung. K-i-r-a … Du hast mich in der dunkelsten Stunde heraufbeschworen. Allein gelassen, als du dich am einsamsten gefühlt hast. Hast mir all deinen Schmerz, den du nicht erleiden wolltest, aufgedrückt. Hast mir all deine negativen Eigenschaften gegeben. Du bist das Monster, nicht ich!   Die reine Wahrheit. Jeder Vorwurf in Zornes-Kälte in unser Herz geschnitten. Ich... wollte nicht... Sterben? Du bist längst tot. Getötet von deiner eigenen Unfähigkeit zu leben. Lügen. Alles Lügen!, wurde Kiras klare Stimme verzweifelter, dachte sich in Selbstzweifel. Du verlogener Bastard. So? Besser als eine verlorene Leiche. Tu uns allen einen Gefallen; Geh dich begraben, Kira.   Das traf ihn. Unter die Seelenlinie. Ich... lebe. Lebst mit deiner Lüge. Mit mir. Ich lebe! ...Liebe!   „H-Hilfe...“, zitterte Penguin hervor, ließ uns beide das abartige Gefühl von Herzschmerz fühlen. Lass das. Ist ja ekelhaft. Ich fühle so viel ich will. Angeekelt verzog ich unsere Lippen, deren Mundwinkel durch Kiras Mitleid hinabsanken. Ein Arm streckte sich zu Penguin, der andere zerrte ihn an dessen Handgelenk zurück. Fass ihn nicht an!   Siehst du nicht, wie er lächelt? Ihm gefällt die Seelenfolter der Schatten. Das Gift lächelt. Wir müssen ihn entgiften. Dies muss er schon selbst schaffen... Ich möchte keinen schwachen Mann an meiner Seite. Er ist nicht dein-! Noch nicht. Weißt du es nicht mehr? Wie vergesslich von dir... Wenn er dich will, muss er auch mich wollen.   Das werde ich zu verhindern wissen. Kira dominierte, präsentierte sein schnuckeliges Ego. Und wenn ich erneut sterben muss, um dich loszuwerden. Wie liebreizend. Die Vorstellung törnt mich so richtig an. Darf ich zustechen? Fick dich selbst, Killer. Aber gern doch~   Ich dirigierte unseren Blick zu der gelöcherten Maske auf dem Boden. In ihr ein mittiger Riss. Was hast du nur getan? Das, was ich längst hätte tun sollen. Die Überreste der Vergangenheit zerstört. Auch, wenn er es nicht wollte, führte ich unsere Hand, die die Maske aufhob und setzte sie uns auf. Der gezackte Riss erzeugte ein widerwärtiges Licht in ihrem Inneren. Hässlich. Dann belauerten wir ihn. Mein Opferlamm leiden zu sehen, meine liebste Beschäftigung. Er quält sich... für uns. Ist das nicht putzig? Hey, ignorierst du mich? Das ist aber nicht nett...   Der Idiot schwieg zwar, aber fühlte weiter. Verdrängen war so leider nicht drin. Pfui, was ist dieses ekelhaft warme Gefühl? Igitt. Als würde es einem die Brust mit einem Lötkolben verkleben. Dies wirst du nie verstehen. Wir können ja reden! Kommt nur Fäkal bei raus.   Unsere Lippen glitten auseinander, von mir geführt, zu einem dunklen Schmunzeln. Mitnichten. Du verstehst nicht... Neugier, gepaart mit Misstrauen keimte in unserem Körper. Kira schien interessiert. Hast du gewusst... dass Penguin getötet hat? Unglaube, Ablehnung, Weigerung. Du glaubst mir nicht? Ist es dir denn nie aufgefallen?, zeigte ich ihm mein Gedankenbild, meine Erinnerung, meine Wahrnehmung. Penguin aus meiner Sicht. Das Dunkel in den Scherben seines Blickes. Die grünen Seelenmesser.   Penguin hat die Augen eines Mörders... die nur ein Killer erkennen kann. Etwas, was uns untrennbar verbindet. Das muss Schicksal sein~ Eine Täuschung. Können diese Hände lügen? Neigte ich die Maske zu unseren Fingern; Mittelfingern, die ich uns entgegenhielt. Ich geb nen flying Fuck drauf, was du denkst, Verlierer-Kira~ Verlust steht dir, weißt du? Es ist die geilste Lust von allen.   Ich streichelte uns verhätschelnd über den Kopf, verhöhnte ihn. So blind... So unwissend... Warte nur... Der Spaß hat gerade erst begonnen~   Die Schatten sind heute besonders lüstern. Ob Penguin sich ihnen hingeben wird? Uh~ Es bleibt spannend~ Hol das Popcorn, Darlin'!   * * *   Shachi und ich auf Mission; Katastrophengebiete, in denen wir aushalfen. Zivil-Dienst leisteten. Aus Mitgefühl wurde der Wunsch zu helfen. Menschen in Not zu unterstützen. Das tun, wofür ich gut war – gebraucht werden.   „Du schaust wieder so trüb aus der Wäsche, Peng“, summte Shachi ernst, „dabei ist heut gar nicht Waschtag.“ Shachi-Logik. Das Bleichmittel zu meinem schwarzen Zynismus. Ich arschiger Pessimist. In all meiner Kotzbrockenheit murrte ich; „Sicher, dass du als Kind nicht zu viele Schleudergänge in der Waschmaschine hattest?“ Jeder andere hätte es falsch verstanden. Jeder. Nur einer nicht. Funkelnd sah Shachi mich an. „Du hast echt die tollsten Ideen! Warum bin ich da nie drauf gekommen? Das macht bestimmt total viel Spaß!“   Er war immer so, wirklich immer. Idiotisch, kindisch, optimistisch. Mein Ausgleich. Das DE meines doppelten P. Mit niemand andrem hätte ich die letzten Jahre verbringen wollen.   Wir waren ein Team. Gemeinsam trugen wir eine große Versorgungskiste zum Dorf, das sich im Wiederaufbau befand. Vor uns der lichtlose Horizont, unter uns der Schnee. Die Temperaturen siedend heiß. Moment. Das ist falsch... Wir sind in einem Wintergebiet. Wo kommt die Hitze her? Verwirrt schüttelte ich meinen Kopf, unfähig zu hinterfragen. Mein Kopf bewegte sich nicht. Mein Körper gehorchte mir nicht, agierte von selbst. Etwas stimmt nicht.   „Gleich sind wir da~“, flötete Shachi strahlend. Über sein Lächeln huschte etwas Schattenhaftes, das schnell wieder verschwand. Was war das? Alles wirkte so anders, dunkler. Fühlbar fremdartig. Unheilvoll lauernd. Etwas ist hier bei mir. In meiner Erinnerung.   Wir kamen in der überschaubaren Siedlung an. Begrüßt von bedrückten Gesichtern, die Verlorenes widerspiegelten. Die Gemeinschaft nur noch halb so groß, wie vor der Katastrophe. Extremwetter, Winterstürme, Schneegräber. Vor den Launen der Natur war niemand sicher.   „Huhuuu~ ihr tollen, tapferen Menschen!“, posaunte Shachi übertrieben fröhlich. Überstrahlte das Leid stets mit einem Sonnengruß. Lächelnd, laut, herzhaft. Eine Macke von ihm, die ihn echt bescheuert besonders machte. Shachis Taktgefühl ähnelte einem überzuckerten Tic-Tac. Meines glich einer schimmelnden salzigen Kaffeebohne.   Mit einem dumpfen Knall stellten wir die Kiste ab. Die Menschen scharten sich zurückhaltend um uns, als wir sie öffneten. Ihr Oberhaupt trat zu uns. „Dalton“, stellte er sich uns distanziert, doch freundlich vor, nickte dankbar. Er beorderte die Leute dazu, eine Schlange zu bilden, woraufhin wir mit der Verteilung beginnen konnten. Wärmende Kleidung, haltbares Essen, Hygienemittel. Nach und nach leerte sich die Kiste, bis fast alles an die Hilfsbedürftigen ausgehändigt war.   Ein kleiner Junge mit rosa Zylinder tapste scheu vor. Shachi – die hat-alles-lieb-Nulpe – hockte sich zu dem Kind auf Augenhöhe, lächelte es an. „Magst du etwas Süßes?“, fragte er ihn, kramte in seiner Jackentasche – wo er immer etwas Zuckerhaltiges dabei hatte – und überreichte es dem schüchternen Jungen. Ein Lutscher mit Zuckerwatte Geschmack. „Was für eine hübsche Waschbär-Mütze du hast“, wollte Shachi dem Kind auf den Zylinder klopfen, Betonung auf 'wollte'. „Ich bin ein Rentier!“, trotzte der Junge ihn an, ging auf Abstand, nahm aber den Lutscher an sich. Shachi nickte überschwänglich. „Ein super cooles Rentier!“   Der Junge errötete, murrte leise, tänzelte verlegen. „Komplimente ziehen bei mir nicht~“ Taten sie doch. Sehnsüchtig funkelten Kinderaugen die Süßigkeit an. „Doc Bader hat gesagt, dass Süßes nicht gesund ist...“ Shachis Weisheit der Stunde: „Was er nicht weiß, weiß er nicht.“ Jop, ich hatte mir eine echte Wal-Trantüte als besten Freund geangelt.   Daltons führende Stimme erklang. „Wir könnten Hilfe gebrauchen. Die Leute sind müde, arbeiten seit Tagen... Würdet ihr-?“ „Klaro!/Natürlich“, antworteten Shachi und ich zeitgleich. Dafür waren wir schließlich hier. „Habt Dank.“ Dalton überreichte uns Werkzeug. „Uns mangelt es an Holz. Die Wälder sind gefährlich, seid vorsichtig.“ Shachi salutierte. „Jupp Jupp!“ Seit ich den hyperaktiven Sonnenfluter kannte, fragte ich mich, ob seine Unbeschwertheit von seinem untergewichtigen Gehirn rührte. Ich hatte ihn gern gewonnen.   So machten wir uns auf den Weg. Durch den knirschenden Schnee, hin zu den dichten Wäldern. Je weiter ich ging, desto stärker wurde das Gefühl beschattet zu werden, das sich konstant an meinen Nacken heftete, mich unwohl fühlen ließ. Etwas, was sich in mein Herz schlich, es verdunkelte. „Lass es zu...“ Das schemenhafte Flüstern ignorierend, konzentrierte ich mich auf Shachis schiefe Pfeif-Gesänge, die 'Yellow Submarine' verunstalteten. Das arme Lied war echt zu bemitleiden. „We all live in~ … despair.“ Das verzerrende Echo ließ mich zusammenzucken. Blass sah ich Shachi an. „Was hast du gesagt?“   Er reagierte nicht. Im nächsten Moment fiel mir auf, wieso: Meine Stimme erklang nicht. Als hätte sie keinen Platz in dieser Irrealität. Alles wurde immer verschwommener, die Bilder vor meinen Augen unklarer. Die Winterbäume warfen Schatten, die sich mehr und mehr ausdehnten. Shachi trat auf einen der schwarzen Schemen, reflexartig wollte ich ihn aufhalten – Doch erreichte ihn nicht, griff durch seinen Arm durch. Auch Shachi war nur ein Schatten einer Erinnerung.   Meine Beine bewegten sich weiter. Ohne mein Zutun, wurde ich dazu gezwungen. Die Perspektive wechselte. Von erster Person zur dritten. Ich sah mich von oben, als würde ich schräg hinter mir stehen und über meine Schulter schauen. Wie ein Film, der unaufhaltsam lief, mit mir als Hauptperson. Alles wirkte befremdlich vertraut. Surreal echt. Ein Déjà-vu, das ich erlebte. Erinnerte, was gleich geschah. Etwas, was ich niemals wieder sehen wollte. Verdrängt hatte. Es holte mich mit vollster Intensität ein.   Das hohe Kreischen zerriss den Wald. Alles verschreckend. Vögel flatterten aufgescheucht davon. Shachis verzweifelte Stimme. „Peng! Peng, sieh nur, dort!“ Und rannte los, dicht gefolgt von mir. Eine Szene, die entschleunigte, in Zeitlupe spielte. Langsam, immer langsamer. Grauenvoller.   Wir erreichten ihn. Dort im roten Schnee lag er. Ein großer, weißer Hase. Sterbend.   Der Anblick fraß sich in meine Brust, zerschellte in Scherben vor meinen Augen, kerbte sich tief in mich. Wie sehr das Tier kämpfte, keuchte, litt. Dessen Lebenslicht im Sekundentakt erlosch. Seitlich liegend, bewegungsunfähig, von Bisswunden übersät. Das weiße Fell von fließendem Rot verfärbt. Ein Fluss von Leid, der über mich einstürzte. Mein Herz ertrank. Mir die Luft abschnürte, unerträglich schmerzhaft. Jedes Leben ist es wert, gerettet zu werden. Dieses Leben konnte nicht gerettet werden. Die Erkenntnis zerfetzte mich innerlich.   Der Hase knurrte uns an, als wir uns ihm näherten. Das Knurren eines in die Ecke gedrängten Tieres. Shachi kniete sich neben es. „Psch... ganz ruhig“, flüsterte er ihm gut zu, während ich schockgefroren daneben stand. Nichts tun konnte. Unfähig und nutzlos. Die große Tatze wollte nach uns schlagen, zu kraftlos, um sich zu heben. Shachi strich ihm sanft übers Fell, färbte seine Finger rot. „Bald wird es besser... alles wird gut.“ Er glaubte wirklich daran. An das Gute. Selbst wenn alles verloren war.   Ein Fiepsen. Die zerbissenen Ohren des Hasen zuckten, das Knurren tiefer werdend, ehe er panisch nach uns biss, erfolglos. Und wir erblickten den Grund: Die kleinen Ohren, die hinter den umarmenden Tatzen herausragten. Der Hase war eine Häsin. Ein Muttertier.   Shachis Hand strich von den felligen Schultern über dessen Tatze. „Darf ich?“, fragte er sacht, hob die Pfote vorsichtig an, enthüllte die Kleinen. Ängstlich rückten sie näher an ihre Mutter, die Augen noch geschlossen, kahle Körper, fast wie neu geboren. Ein wildes Raubtier musste die Mutter direkt bei oder nach der Geburt angegriffen haben... wo sie am schwächsten war. Es war grausam. Ungerecht, abartig, bitter. So bitter.   Verkrampft zog ich meinen Kappenschirm über meine Augen, verwehrte ihnen die Tränen. Stark bleiben, Peng. „So schwach~ Schwächling... Nichtsnutz... Feigling...“ Die flüsternden Stimmen vervielfältigten sich, wurden lauter. Blieben von mir ungehört.   Die Häsin wimmerte. Mit letzter Kraft streckte sie ihre Tatze nach uns, als würde sie uns packen wollen. Bitten wollen. Shachi und ich tauschten einen Blick aus. Ein Blick, der alles sagte. „Wir retten deine Kleinen“, schworen wir ihr. Shachi nahm die zerbrechlichen Geschöpfe behutsam in seine Arme, lächelte sie warm an. „Wir beschützen euch.“ Umarmend lehnte er die Lebewesen an seine Brust, schirmte sie ab, ersparte es ihnen; Das Unausweichliche.   Etwas Friedliches fand den Blick der Häsin. Im Wissen um das Wohl ihrer Kinder, konnte sie loslassen. Blieb nur noch Eines zu tun. Das Einzige, was wir tun konnten. Ich musste es tun. Shachis Wesensweste sollte weiß bleiben. Mein Herz so schwer. Meine Bewegung noch schwerer. Ich zog das Messer.   „Töte... Töte es~“ Begeistert flüsterten die Schatten mir zu. „Mach uns stolz.“ „Gib uns Blut~ Werde ein Teil von uns~“   Die Welt um mich verschwamm. Wie ein Gebilde aus Wasserfarbe, die auseinander floss. Das Messer in meiner Hand zitterte. Stark. Meine Augen zuckten vom Hals des Tieres zu dessen Seelenscherben. Blickten es an, stumm, in schweigenden Botschaften. Hätte ich es retten können? Hätte ich... Zu spät. Die Endgültigkeit zertrümmerte mein Herz zu Staub. Es starb. Es wusste es, spürte es, hatte sein Schicksal akzeptiert. Friede kehrte in das schwindende Seelenlicht. Und meines verdunkelte.   Ein Stich der Erlösung. Ein giftiger Pfeil; Mitten in mein Herz.   An diesem Tag wurde ich zum Mörder.   Klirrend fiel das Messer zu Boden, gefolgt von meinem Schrei. Ich schrie, voller Verzweiflung, in Schuldgefühlen ertrinkend. Schrie, bis mir die Kehle brannte, meine Stimmbänder zerrieben. Dann die Stille. Leere in mir. Die Welt verstummt. Nicht lange.   „Diebe!“ Ein aggressives Brüllen. „Haltet sie!“ Ein vielfaches Klicken. Ich nahm alles wie fern wahr, obwohl ich mich mittendrin befand. Plötzlich waren wir umzingelt von Wachen. Bewaffneten Wachen. Alle Pistolen auf uns gerichtet. Zwischen ihnen der König – ein Walross-Typ – der wütend auf uns zu stampfte. „Was habt ihr angerichtet!?“, herrschte er uns an, fuchtelte wild herum. „Mein Eigentum! Ihr habt mein Eigentum gestohlen!“ Angewidert trat er gegen den leblosen Tierleib. „Schmutz!“   Einer seiner Minister trat vor, verlas eine Schriftrolle, die er aufrollte. „Die Tiere von Drumm stehen unter königlichem Eigentum. Auf Diebstahl folgt die Todesstrafe-“   Jemand stellte sich vor uns. „Nun hab dich nicht so, Wapol“, lachte der Mann mit großem Zylinder, „hast du denn immer noch nicht verstanden?“ „An einer Kugel im Herz stirbt ein Mensch nicht!“ Lächelnd hob Doc Bader die Sake-Schale. Kirschblüten tanzten friedlich um ihn. „Ein Mensch stirbt erst, wenn er vergessen wird.“   Vergesse nicht... Erinnere dich...   Die Schatten lachten hysterisch. „Komm~ Komm zu uns, Penguin.“   Die Welt färbte sich rot. Dreckiges Rot.   Leere in meiner Brust. Wie ein schwarzes Loch, das in meinem Herzen klaffte. Ich kannte dieses Gefühl.   Sterbe ich? ...Erneut? In der Erinnerung? Oder der Realität?   Nein... Ich kann noch nicht gehen... Jemand wartet auf mich.   „Bleib bei mir.“   Fest presste sich etwas auf meinen Brustkorb. Hände. Schlugen gegen mein stilles Organ.   „Du hast es versprochen.“   Herzschwäche... Unbrauchbar... Ein Fehler...   „Wach auf!“ Kristallklar die Stimme, die wie Eissplitter durch mein gläsernes Ich klirrte. Zu Scherben zerbrechend. Reue, Schuld, Zweifel. Für was bin ich gut? Für wen?   „Penguin!“   Ich falle. In den Scherbenhaufen. Jemand greift nach mir, schneidet sich. Lässt mich nicht los. Hält mein Seelenherz.   Nein... Nicht irgendjemand...   „Mein Partner.“ Bu...bump.   Bu- K -bump Bu- I -bump Bu- R -bump Bu- A -bump   Ich lächle. Schwebe. Im Meer aus Wärme. Das Rot wandelt sich. Zur Farbe des Herzens.   Rhythmisch schlagend. Die Wellen des Sturms, der mich zu sich ruft.   Eine Flut an Gefühlen. Fluten der Erinnerung.   Sozialstunden. In einer Psychiatrie. Don Flamingos Puppenhaus.   Meine Mission. Mein Ziel. Du.   Ich fühle es. Fühle dich. Erinnere.   Wo ich bin. Wer ich bin. Was ich bin.   „Ich bin...“   Kiras.   * * *   „...Killers.“   Hörst du, Kira? Er hat mich gewählt~ Der flimmernde Schatten auf Penguins Lippen tat nichts zur Sache. Der Sieg ging an mich. Kiras Reanimation gelungen, doch seine letzten Kraftreserven gekostet. Emotional am Ende, angreifbar. Ab hier würde es wahnsinnig chaotisch werden.   Der Augenaufschlag Penguins, hinter dem die Panik schimmerte – ein Genuss. Mein Schmunzeln pure Schadenfreude.   „Willkommen zurück im Fegefeuer, Hottie~“, begrüßte ich ihn entzückt. „Wie elend fühlst du dich?“ Kira kämpfte sich an unsere geistige Eisoberfläche. Meine Stimme abgelöst von seiner. „Bist du in Ordnung, mein Herz?“   Die Verwirrung auf Penguins Gesicht deutlich. Weil wir beide anwesend waren, statt nur einer. „Du... Wer?“, kratzte er konfus hervor, sichtlich überfordert. Ich wollte mal nicht so sein, antwortete amüsiert: „Wir.“ Dies brachte ihn noch mehr durcheinander. Wie putzig.   Penguins Mimik wechselte von Emotion zu Emotion. Erkenntnis flackerte durch seinen wiederkehrenden Blick. Letztlich blieb die Röte seiner Wangen. Rasch zog er die Decke enger um seinen Körper. Schämt sich da etwa jemand~? „Du erinnerst dich?“, schnurrte ich pervers. „An unser Techtelmechtel?“ Bilder der Sinnlichkeit strömten durch unseren Geist. Kiras Erinnerung, mitsamt meiner. Auch unser Gesicht wurde plötzlich warm. Nun wirklich... Kira, Timing.   Sind die beiden nicht schnuckelig zusammen? Wer könnte so gemein sein und ihr Glück zerstören? ...Ich.   Mein Blick belauerte mein Opferlamm. „Wie hat es sich angefühlt“, gierte ich zu erfahren, „dein erster Mord?“   Penguins Reaktion so hübsch anzusehen. Die Leichenblässe seines Porzellan-weißen-Gesichts, die Schweißperlen auf seiner Stirn, der Ausdruck panischer Pein. Fühle es, erinnere es, tue es erneut. Im Kontrast das kalte Grün seiner Augen, in denen sich eine gnadenlose Emotion spiegelte. Siehst du, Kira? „Also ist es wahr...“ Kiras Stimme, die mir endlich Glauben schenkte. Nein, nicht mir – ihm.   Ich spürte Wut. Ein Schalter, der sich in mir umlegte. Für Kira spielte ich nicht mal die Nebenrolle. Als gäbe es mich nicht, als wäre meine Existenz nichtig. Dir ist es egal, wenn ich verrecke, nicht wahr?   Ich lächelte eiskalt. Du denkst nur an dich... Glaubst noch immer nicht an mich. Ich beweise dir, wie real ich bin! Gurgelgeräusche. Unsere.   Ich würgte uns. Ich hasse dich, Kira. Hasse dich so sehr. Spürst du wie sehr? Fester. Immer fester drückten meine Hände zu. Du wolltest erneut dem Tod begegnen? Diesen Wunsch erfülle ich dir liebend gern. Suchen wir uns noch einen kuscheligen Sarg, Darlin'~   „Sti-irb!“, gurgelte ich hervor, krallte unseren Hals fester, hinterließ ungesunde Spuren, indessen Kira dagegen ankämpfte. Unser Körper schlingerte unkontrolliert, wir stolperten nach hinten, gegen die Tür. Welch süßliche Emotion... der Bewusstlosigkeit so nah... Koste es aus. Es wird das Letzte sein, was du fühlst.   „Aufhören, alle beide!“ ...Oder auch nicht. Spielverderber. Wieder dieses Gefühl. Es verpestete unser Herz. „Kira!“, rief Penguin nach ihm. Natürlich. Wem auch sonst.   Verbittert gruben sich meine Finger tiefer in unseren Hals. Sieh genau hin, Penguin... Sieh, was ich deinem Liebsten antue... Stolpernd sprang er auf, hetzte zu uns, zerrte verzweifelt an meinen Händen, klammerte sich an meine zudrückenden Finger, die nicht nachließen. Nur noch ein bisschen... „Lass los“, legte Penguin seine ekelhaft warmen Handflächen auf meine Handrücken. Ein Blick der Gnadenlosigkeit, gepaart mit Hilflosigkeit. „Bitte...“, flehte er, „lass los, Killer.“ Wie er ihn aussprach. Meinen Namen. Die Pest an Gefühlvollem. Dazu seine Augen, die mich direkt ansahen. Mich – nicht Kira.   Das Grün schimmernd, wie von frisch gewetzten Klingen. Scharf. Dies war es also... Deswegen hatte ich ihn am Leben gelassen. Weil er mich so ansieht... So tödlich... Eines Killers Seelensense würdig.   Langsam trennte er meine Hände von unserem Hals, wie von selbst ließen sie sich von ihm führen. Traurig hoben sich Penguins Mundwinkel. Er lehnte seine Stirn gegen unsere Maske. „Verletz dich nicht selbst“, flüsterte er, „wenn genug andere dir weh tun.“   Wie Messerstiche rissen seine Worte etwas auf. Etwas lange Begrabenes. Mich. So stark diese eine Emotion aus tiefster Schwärze, übergab mir die Kontrolle. Kira räumte das Feld. Freiwillig. Das letzte Gefühl seinerseits: Vertrauen. Meines: Blutdurst. Psychopathisch funkte es in meinen Augen, die mein Opfer aufspießten. Ihn quälen wollten. Penguins Blut sehend, wollte ich es ihm Tropfen für Tropfen einzeln auskratzen. Die Schatten zeigten es mir.   Nur dafür bin ich gut. Einzig um zu schaden. Alle sagten ich würde mich nie bessern, könne es nicht – und ich wurde schlimmer. Abschaum. Ich bin ein Fluch, sagten sie. Defekt, unnötig, krank. Eine Missgeburt, die nicht einmal geboren wurde. Nie leben sollte. Niemand fragte, ob ich leben wollte. Eine Existenz, die mir aufgezwungen wurde – von Kira.   Ich erinnerte mich genau daran. An den Beginn. Der erste Switch – Der Anfang meiner Existenz. Das Erste, was ich mit eigenen Augen erblickte, waren Kiras Tränen. Tausende Kriegsgräber, mitsamt meinem eigenen. Meine erste gespürte Emotion war Schmerz. Das Gehörte meine schreiende Stimme. Schmeckend Blut, riechend Erde. Der Tod allgegenwärtig.   In eine grausame Welt gestoßen, verurteilt zum Scheitern. Meine Interaktion mit einem Menschen – Kid – der mich ansah, als wäre ich ein Monstrum. Verachtend, strafend, anschuldigend. Ich bin der Sündenbock, der Schuldige, der Verurteilte. So wurde ich zu dem, wie die Welt mich wollte. Wie die anderen mich wollten, ohne Mitspracherecht. Wer konnte es mir verübeln? Ich wollte kein Mitleid – wollte Leid verursachen. Zerstören, bösartig sein, gehasst werden.   Meine Hand schnellte hervor, packte Penguin erbarmungslos am Nacken und zerrte ihn zu mir. Geisteskrank lächelte ich ihn an, kippte meinen Kopf zur Seite. „Hasse mich“, flüsterte ich ihm in manischer Finsternis zu. „Hasse mich für das, was ich bin. Fürchte mich, verachte mich.“ ...Aber tue Eines nicht.   Trotz schmerzverzerrter Mimik blieb sein Blick auf mir, schaute nicht weg. Das Grün seiner Augen intensivierte sich, griff auf mich über. Penguin sah mich. „Warum?“ Eine so simple Frage – Die mich vollends aus dem Konzept brachte.   Was interessiert es ihn? Das Mitgefühl seiner Augen ließ das Böse in mir wütend fauchen. Nach allem, was ich getan habe. Er müsste mich verabscheuen. Woher nimmt er die emotionale Stabilität? Oder ist es die Instabilität? Ist er etwa... auch schizophren? Anders?   Mein Geist klarte, meine Stimme festigte sich. „Es gibt kein Warum“, raunte ich leise, beinahe knurrend, „Was zählt, ist das Ergebnis. Die Verzweiflung.“ Statt sich von meiner aggressiv-passiven Art einschüchtern zu lassen, blickte er tiefer in mich. „Warum... bist du so verzweifelt?“, drehte er meine Worte um, manipulierte den Manipulator. Ein Wispern seine Lippen verlassend, die zu einem mitleidenden Lächeln weichten. „Warum hasst du dich? ...Fürchtest du dich vor dir? ...Verachtest du dich?“   Mit jedem seiner Worte kochte es in mir hoch. Heiß, heißer, siedend. Tobsucht schrie aus mir. „Weil alle es tun!“, stieß ich ihn grob von mir, ballte meine Fäuste und schlug zu. Penguin blieb bei mir. Der Knall meines Schlags ertönte, der die Wand neben seinem Kopf traf. Angestrengt atmete ich aus und ein. Spürte seine Hand, die sich sacht um meine Faust legte.   „Du...“ Die Sanftheit seiner Stimme schmerzlich zärtlich. „Du bist furchtbar einsam.“ Peng – Volltreffer. Ich wollte das nicht hören. Wollte sein Mitgefühl nicht. Nicht das Betrauern seines Blickes. „Schweig!“, zischte ich toxisch, mein wutentbrannter Blick biss sich in seinen. Ungehindert sprach er weiter. „Es ist nicht Kira, der über all die Jahre vereinsamte... sondern du.“ Die Erkenntnis traf ihn mehr als mich. „Du hattest niemanden, von Anfang an nicht. Du tust all dies... um in Erinnerung zu bleiben. Um nicht vergessen zu werden.“ Das Grün seiner Augen seelenvoll und innig. „Denn erst dann stirbt man wahrhaftig.“   Mein Kopf senkte sich, blondes Haar fiel über meine Augen, die ihn nicht verließen. Ihm auflauerten, ihn vergifteten. Ein krankhaft gestörtes Lächeln erfasste meine Lippen. „Meinen Glückwunsch, wir haben einen Gewinner!“, spie ich aus, „fühlst du dich nun besser? Labst du dich an meinem Leid? Löst es das widerliche Verlangen deines minderwertigen Helferkomplex' aus?“   Ich lachte. Geistesgestört und herablassend. Ehe ich dünkelhaft in sein Ohr flüsterte. „Jemand, dessen Herz nicht sein eigenes ist, kann es mit falscher Liebe belügen, so viel er will“, traf ich gezielt seinen wunden Punkt, drehte das Blatt. Penguins Gesichtszüge blichen, sein Körper verkrampfte sich, als ich schmunzelnd endete; „Du wirst niemals wahre Gefühle erfahren. Sie werden immer erlogen sein.“   „Woher...?“ Entsetzt starrte er mich an, während ich die Oberhand gewann. „Woher ich von deinem kleinen Geheimnis weiß?“, tat ich auf unschuldig, war höchst amüsiert. „Die Schatten sind sehr redselig...“ Absichtlich erinnerte ich ihn an die dunklen Bilder, die vor seinen inneren Augen erneut aufflackerten – über sein Augenlicht huschten Schatten. Das gefiel mir. Sehr.   Meine Chance... Bald ist es soweit... „Wie fühlt es sich an?“, lauerte ich zu wissen. „Das Gefühl, von Dunkelheit verschlungen zu werden?“ Stumm blieb er ein Gefangener seiner Erinnerungen, weswegen ich das Finster weiter schürte. „Mein Schattenreich... ist es nicht entzückend? Du bist dort immer willkommen, Sweetheart.“   Nur langsam fand Penguin zurück, sein unruhiger Blick zuckte zu dem eiskalten meinen. Trocken schluckte er, sein Adamsapfel hüpfte bei der Bewegung. „Das...“, rang er atemlos um Worte, „das ist es, was du all die Zeit gespürt hast?“ Wieder. Wieder drehten sich seine Emotionen nur um mich. Beherrscht ruhig raunte ich ihm zu. „Fühle dich geehrt“, beugte ich mich zu ihm, seinem Gesicht, nah, näher, unsere Blickfessel vertiefend. „Du hast die Ehre, sie zu sehen... ab nun sind sie auch ein Teil von dir.“ Und du von mir.   Trotz der Furcht in seinen Augen, die leider nicht mir galt, lächelte er. Wortlos. Erfreut? Irre? Oh armes verwirrtes Lämmchen... So naiv, so unschuldig... Weckt die Gier in mir. Bald bist du Mein.   Zufrieden schmunzelte ich in mich hinein, klopfte ihm auf den Kappen-Kopf – wie einem gelobten Hund – und widmete mich geschäftlichen Angelegenheiten. Die Zeit killt sich schließlich nicht von allein. Ohne Abschiedsfloskel strebte ich die Tür an, schüttelte nebenbei meine knackende Faust aus und schritt aus dem Zimmer. Gefolgt von Penguin. Weswegen ich meine Augenbraue hob.   „Habe ich dir gestattet, mich zu begleiten?“ „Nö“, verschränkte er die Arme hinter seinem Kopf, grinsend. „Aber einer muss ja auf dich aufpassen, wenn du es selbst nicht kannst.“ Hört, hört. Der treudoofe Giftpinscher will von seinem Herrchen Gassi geführt werden. Welch folgsamer Feini.   Stumm seufzte ich vergnügt. Kann es sein? Sind die Schatten leiser geworden? Irrsinn. Ein Seitenblick hinter meiner Maske zu ihm. Heh... Ein Licht, das den Schatten trotzt? Alles Aberglaube. Solange er mich nicht in meinem Vorhaben störte, sei es ihm vergönnt, mir folgen zu dürfen. Wie nett von mir – Eigenlob masturbiert das Ego. So dackelte der Kletten-Kläffer brav neben mir her, unterhielt mich. Hunde die bellen, beißen nicht... Oder doch?   „Wohin gehen wir?“ „Zum Psychologen. … Haben wir wahrlich nötig.“ „Verarschen kann ich mich allein!“ „Zu zweit hat dein Arsch aber mehr Spaß.“   Murrend verdrehte er die Augen. „Der Liebestöter ist wieder unterwegs, haltet eure Schlüpfer fest!“ Trocken erwiderte ich: „Ich trage keine-“ „Zu viel Information!“, hielt er sich halbherzig die Ohren zu. „Behalt das für dich!“ „Aww“, schnurrte ich, „dabei teile ich doch so gern – am liebsten dich.“   „Lass dein Messer bloß stecken – aber nich in mir!“ „Möchtest du stattdessen-“ „Nein.“ „Wie wäre es mit-“ „Nein.“ „O-“ „Nein.“   Welch widerspenstiger WauWau. So unerzogen. Lässig schlang ich meinen Arm um ihn, legte meine Hand schwer auf seiner Schulter ab und zog ihn an mich. Hielt ihn im Schwitzkasten, bevor er auf dumme Ideen kam. Wehren zwecklos. Prahlerisch sah ich auf ihn herab. „Du darfst meine Muskeln küssen.“   Gespielt rümpfte er seine Nase. „Schon mal was von Deo und Duschgel gehört?“ „Das ist der Duft von Männlichkeit“, erwiderte ich sein Grinsen mit einem Schmunzeln. „Apropos Gel... Hast du noch Gleitgel in-?“ „Gespräch beendet.“   Dass Kira sich und ihn gewaschen hatte, musste er merken. Wohl erst jetzt. Ein wahrer Blitzmerker. Hüstelnd räusperte er sich. „Würdest du die Nettigkeit besitzen, mich loszulassen?“ „Wenn dir Händehalten lieber ist...“ „Ich nehm die enge Achsel!“ „Diskussion geklärt.“   So schleppte ich ihn ab. Anders als erhofft – aber an Hoffnung glaubte ich ohnehin nicht. Weil ich noch keine Leine für meinen Hasso hatte, musste ich ihm vorerst Bei-Fuß beibringen. Ob er auf Pet-Play steht? „Stehst du auf-?“ „Nein.“ Wuff.   . . .   Im Folterkeller angekommen, fand etwas Bösartiges meine Lippen. Wie leichtsinnig von ihm, mir zu folgen... In eine offensichtliche Falle. Vertrauen und Dummheit trennt nur ein Hauch von Gefühl. Auf der letzten Treppenstufe eingefroren, sah Penguin sich vorsichtig im Raum um. Zwischenzeitlich hatte ich ihn aufgeräumt – für mein Date sollte es schließlich hübsch hergerichtet sein – Doch der Geruch von geronnenen Blut haftete ewiglich an den Steinwänden. Die Folterbank in Mitte des Ortes der größte Hingucker, zog den Blick des Kappenträgers auf sich. Fragen über Fragen mussten seinen Geist quälen. Welche von ihnen wirst du mir zuerst stellen?   Lässig schob ich meine Hände in die gefranste Jeans, lehnte mich mit meinem Unterrücken an die Folterbank, auf die ich mit meiner beschädigten Maske deutete. „Setz dich doch.“ Wiedererwartens trat er zu mir. Verunsicherten Schrittes, doch sicheren Blickes blieb er vor mir stehen. Zum Sprechen benötigte er mehrere Anläufe, bis er seine Gedanken formulierte. Das, was ihn am meisten beschäftigte. „Warum tötest du?“ Eine Frage der Schuld, in Unschuld gesprochen.   So viel hätte er fragen können... So vieles. Wieder denkt er nur an andere... An mich. 'Warum'? Dies wünscht er zu wissen?   Meine Augen fokussierten einen unbestimmten Punkt am Boden, intensiv und nachdenklich. Meine Stimme leer und stumpf, uncharakteristisch. „Ich töte nicht – Ich morde“, stellte ich klar, „dies macht den Unterschied.“ Das Ende ist gleich, der Anfang das entscheidende Segment. Deswegen möchtest du es erfahren, nicht wahr? „Die Überzeugung, einen Mord zu begehen, statt nur sinnfrei im Affekt zu töten.“   „Ist es Rache?“, riet er ins Blaue, „hegst du einen Groll gegen Menschen? Weil sie... normal sind?“ Amüsiert schüttelte ich meinen Kopf. „Dies wäre zu simpel... Ein lächerlicher Grund.“ „Warum dann?“ „Der Auffassung, etwas Gutes zu tun.“   Völlig perplex sah er mich an. „Das passt nicht zusammen.“ „Tut es nicht?“, lachte ich spöttisch, unterband abrupt das Lachen, das Geisteskrankheit annehmen wollte. Mit endgültigem Blick sah ich zu ihm, in seine verstehen wollende Augen. „Gänzlich gleich, was ich sage... Es ist nicht das, was du hören willst.“ Weil du längst verurteilt hast. „Dein Glaube ist falsch, deine Erwartungen nicht erfüllbar. Wer erwartet wird enttäuscht.“   Stille. Er wusste, dass ich ihn durchschaute. „Die Augen eines Mörders“, erforschte ich das Grün seiner Augen, in dem ich fand, wonach ich suchte, „sind immer gleich: kalt, entschlossen, gnadenlos. Zu opfern bereit.“   Und doch kämpfte etwas in Penguin dagegen an. Etwas Warmes, das sein attraktives Gesicht verunstaltete. Gefühle für das Leben, das er fürchtete. Sich selbst zu opfern bereit. Es schürte meine inneren Klingen, die die Schatten wetzten. Bald... Gleich... Binnen eines Wimpernschlags hielt ich sein Kinn, reckte es zu mir, vertiefte unsere aneinander gefrorenen Blicke. Tief dunkel mein besessener Stimmton. „Ich will dich ängstlich. Ich will deine Reinheit ruinieren.“   Die Atmosphäre wallte in Unruhen auf. Unsichtbare Schatten tanzten um unsere Figuren, still lachend, erfreut von den Befehlen, die ihr Meister ihnen gab. Penguin ein Teil von ihnen geworden, angreifbar, manipulierbar. Das grüne Licht seiner Augen flackerte. Wie eine Flamme, die im Inneren zu ersticken drohte. Ein Kampf, den er nicht gewinnen konnte. Gleich bist du Mein... Ich schmunzelte hypnotisch.   „My Sweetheart~“, summte ich betörend. „Pass auf, was du dir wünschst“, nahm meine Stimme finstere Prophezeiung an, „die Schatten erfüllen Begehren, locken mit Sünden, holen dein Dunkelstes hervor...“ Schleichend näherten meine Lippen sich Seinen, gegen die sie wisperten. „Du wolltest, dass es aufhört...“, fuhr er zusammen, wusste genau, wovon ich sprach. „So hört es endlich auf.“ Penguin sah mich an, wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht. „Fühlst du es?“, gierte ich, „das Nichts?“ Wie dein Herz zu fühlen aufhört. Mein wird.   Grob riss er sich von mir los, schüttelte vehement seinen Kopf, wollte nicht wahrhaben. Wehrte sich vergeblich. Er musste die Veränderung spüren, die sich in seinen Augen abzeichnete. Wie sich die Schatten über seine inneren Trümmer legten, sie verschlangen, ihm den Schmerz nahmen. Die Gefühle. Verdrängen, vergessen, vergraben. So, wie ich – So sollte er werden. Meine perfekte Marionette.   Ich wollte ihn nicht als neuen Leibeigener – wie Hakuba – dies war nicht nötig. Die Schatten hatten Penguin längst auserwählt – vielleicht bereits bei seiner Geburt. Ein Bösewicht, der Held spielte. In dem Sinne glich er sich mit uns – Kira, der selbsternannte Held, ich der Schurke. Kiras Auserwählter ein wahrlich passender Kandidat. Jemand Brauchbares...   Es war vollbracht. Er war Meines. Der Feinschliff in Penguins Augen die Kälte, seine Aura verbunden mit meiner, in seelische Ketten gelegt. „Komm“, befahl ich meinem Spielzeug, das gehorsam folgte. Kein Wiederwort, kein Gegenargument. Die Stille hatte ihn sich zu Eigen gemacht. Meinem Eigen. Smile das perfekte Mittel zum Abrichten.   Genug geredet. Ich verpasste meinen Termin. Der Folterkeller nur ein Zwischenstopp, um durch das Kellersystem zu einem anderen Ort zu gelangen. Ins Asylum.   ...Zum Thronsaal. Dort, wo das Böse herumlungerte. Die dunkle Energie herrschte über ganz Dress Rosa. Verschönerte das Königreich mit Finsternis. Je näher ich der Quelle kam, desto mehr hörte ich es; Den Impuls. Das Herz des Dunkel. Eine umgarnende Melodie, als würde jemand eine Teufelsharfe spielen und deren Saiten einzeln ausreißen.   Bei genauerer Betrachtung der prunkvollen Doppeltür, sah ich den schwarzen Nebel, der durch die Tür waberte. Zischend, gar fauchend, in Form von Händen, die nach ihrem nächsten Opfer lechzten. Bebend öffnete sich die schwere Tür, offenbarte besagtes Opfer. „Killer-ya“, empfing mich der Chirurg des Todes apathisch, ehe sein Blick auf meinen neuen Diener fiel. Graues Beton, das einen winzigen Riss bekam, bis es zu Granit verhärtete. „Tretet ein. Der Hausherr wartet ungern.“   Die schattenhaften Hände. Sie waren überall an ihm. Der Körper von Trafalgar Law verwoben von Fäden, die nicht zu ihm führten – sondern von ihm. Eine Puppe, die selbst zum Puppenspieler geworden war. In einem seidenen Kokon gefangen. Keine Raupe, kein Schmetterling, nichts Lebendiges mehr. Nur noch eine leere Hülle.   Mein letzter Besuch der Hoheit lag bereits einige Zeit zurück. Hier spielten nicht nur die Verlorenen verrückt, auch die Zeit. Eine Lebensuhr tickte anders, weil jeder in seiner eigenen Welt existierte. Wie Zeiger, die sich entweder unaufhörlich drehten oder stillstanden. Meiner in Stille, Penguins überdreht. Bei Trafalgar war der Zeiger längst abgebrochen.   Viel verändert hatte sich hier nicht. Das Gemach des Königs noch immer widerlich pink und protzig. Er selbst eine verwöhnte Rektalgeburt, die nie an den Busen seiner Mutter gelassen wurde. Eine Runde Mitleid, wenn ich bitten dürfte. Ich konnte Don Flatulenz nicht ausstehen, konnte niemanden ausstehen. Mein Hass auf alles von Vorteil – So punktete ich bei dem selbsternannten Inzest-Oberhaupt. Sweet Home, Alabama~ Niedertracht war der Schlüssel; wenn ich meine gezinkten Karten richtig ausspielte, konnte ich die Situation zu meinen Gunsten wenden. Ich war ein ehrlicher Schwindler.   „Patient Nummer Acht-Punkt-Eins ist anwesend“, stellte Trafalgar mich vor. Als Zusatz von Kira. Eine Nebenfigur seinerseits. Eine Unwichtigkeit. Das tut weh, weißt du? Mein armes mickriges Herz weint Säure. Das ätzende Lachen der schwarzen Witwe erschallte, tief und ansteigend, lachte mich offen aus. Da hat jemand zu viel Smile geschnüffelt.   „Fu Fu~“, verzerrte sich sein krankes Lächeln zu einer abartigen Grimasse, „knie nieder vor deinem König.“   Ich kniete, Penguin nicht. Nur, wenn ich es ihm befehle. ...Und dies tat ich nicht. Weil ich ein Mistkerl war. Reglos stand meine Marionette neben mir, starrte ins Leere, hatte keinen Willen. Es langweilte mich. Etwas Drama würde das Ganze interessanter machen. Drama Baby, Drama~   Das aggressive Pulsieren einer Ader war Musik in meinen Ohren. Das Böse war nicht erfreut. Joker erhob sich aus seinem Thron, näherte sich in feingliedrigen Spinnen-Bewegungen. Seine zuckenden Hände vergrub er in seiner pinken Zebra-Halbhose, reckte sein Kinn in arrogante Höhen, baute sich vor meinem Anhängsel auf und- platzierte seinen schwarzen Schuh auf Penguins Brust. Drückte ihn gewaltsam zu Boden, zwang ihn zu Gehorsam. Grrr … ??? Was? Das Bestialische in mir knurrte. Dies gefiel den Schatten nicht. Ein Gefühl verbiss sich in meine Brust. Aber... Kira ist nicht anwesend... Unholy Shit!   Schrecklichkeit bewahren, Killer. Der königliche Schuh trat auf Penguins Rücken... Ruhig bleiben. Er leidet. Dies ist gut. ...Fester, bohrte sich tiefer in den Overall. Ruhig. Gänzlich ruhig. ...Holte erneut zum Tritt aus. Gänzlich- Zürnend erbebten meine Stimmbänder.   „Verzeiht, Master Doffy.“ Habe ich gerade um verdammte Vergebung gebeten?! „Mein Lakai ist noch nicht richtig erzogen.“ Jokers Schuh hielt in der Luft an. Trat dennoch zu – des Eitles wegen, aber mit weniger Kraft. „Niederes Gewürm“, spie er auf Penguin herab, besah sich seinen beschmutzten Schuh angeekelt, ehe seine Aufmerksamkeit mir galt. Welch Ehre. „Erziehe dein defektes Spielzeug, bevor es beseitigt wird.“ Ein Ton der Absolutheit. In geisteskrankem Stolz drehte sich Jokers Kopf zu Trafalgar. Betrachtete ihn krankhaft besessen. Wie ein Kind, das sein Spielzeug prahlend vorführte. Dies war auch der Grund, warum er ihn frei herumlaufen ließ; Um zu zeigen, was er erschaffen.   Der Anblick seines treuesten Fußabtreters besänftigte seine Wutader, sodass er sich wieder auf seinem Thron niederließ. In aller Arroganz und Erhabenheit. „Zum Geschäftlichen“, sprach er, ohne mich eines Blickes zu würdigen, den ich nicht wert war, „wie weit bist du mit den Vorbereitungen?“   „Beinahe fertig“, antwortete ich ergeben. Die Antwort missfiel ihm. „Nur beinahe?“ Was wie eine Frage klang, war reine Bedrohung. Sein freundlicher Ton in Wohlwollen eine kranke Farce. „Meine Großzügigkeit kennt ihre Grenzen. Die Zeit läuft... Oder soll ich dem Schmetterling hier und jetzt einen Flügel ausreißen?“ Er würde Penguin einen Arm brechen, wenn nicht schlimmer. Ohne Zögern.   Das Knurren in mir lauter werdend, was ich mir nicht anmerken ließ. „Dies wird nicht nötig sein. Die Verzögerung unserer Verhandlung nehme ich auf mich-“ Eine leichte Handbewegung des Königs – Ein Skalpell vom Chirurgen. Blitzschnell gezogen, geworfen. In meiner Schulter stecken geblieben. Es schmerzte nicht. Schmerz kannte ich nicht. Zu oft hatte ich Kiras Qualen übernommen. So sprach ich unbeirrt weiter. „Wenige Stunden, dann ist es soweit.“   „Wie viele?“, forderte er ungeduldig zu wissen. „Fünf.“ Oder Sechs. „Ich gebe dir drei“, wie gnädig er doch war, „dann wirst du ihn foltern.“   Damit schickte er mich fort, schwenkte seine Hand zur Tür, als würde er ein lästiges Insekt loswerden wollen. Ich ging, „folge mir“, wies ich Penguin an, der meinem Fordern nachkam. Im Rücken das abgrundtief fiese Lachen Doflamingos. „Bald... Bald wird mein Bruder zur Besinnung kommen. Nicht wahr, Law~?“ Ein Zögern. Kurz, kaum erkennbar. „Wie Ihr wünscht, Master-ya.“     Die schweren Türen fielen zu, wir entfernten uns vom Thronsaal. Und plötzlich blieb meine Marionette stehen. Ohne mein Zutun. Leer sah er mich an, leer blieb seine Stimme. „Du bist verletzt.“ Nur seine Worte besaßen Gefühl. Wie ist dies möglich? Agiert er aus Gewohnheit? ...Nein. Es ist etwas Tieferliegendes.   „Sorge dich nicht“, befahl ich, wollte weitergehen. Aufgehalten werdend von seinem Blick. Der Lichtfunke, der in seine verdunkelte Augen fand. Ah... Verstehe... Seine Sorge gilt nicht mir. Kiras Körper- „Killer, du blutest.“   Das Biest brüllte – Ich wütete. Ruckartig zog ich das Skalpell aus meiner Schulter, schepperte es zu Boden. Es schellte laut. Meine Stimme verfinsterte sich gefährlich. „Bluten tun nur die Lebenden.“   Es schmerzt. Sieh mich nicht so an!   Doch der rebellische Glutfunke glimmte weiter. Auch in seine gefühllose Stimme fand Nachdruck. „Du musst behandelt werden.“ Seine Hand, die er in Richtung Wunde streckte. Ein Schritt, den er auf mich zuging- Ich wich zurück. Ehe ich auf ihn zu jagte. Mein Unterarm gegen seinen Hals gedrückt, preschte ich ihn gewaltsam gegen die Flurwand. Erdrosselte seinen Atem, erstickte seine Stimme. Das seelenvolle Grün glühte weiter. Knisterte in den Ascheregen meiner innersten Hölle.   Bu-bump.   Ich sah es. Deutlich vor meinen inneren Augen. Die Erinnerung. Mein Existenzbeginn. Das Erste, was ich mit eigenen Augen erblickte. Im Schleier Kiras Tränen an seinem Grab. Die einzelne Grab-Blume, die sich durch den Schnee kämpfte. Der Bluttropfen, der auf sie fiel. Mein Blut. Das Rot, das sich mit Grün vereinte.   Schmerz. Seelischer. Ich spüre keinen... Meine Brust krampfte. Reflexartig blinzelte ich mich aus meiner Trance. Erkannte den Grund, warum ich dies fühlte. Penguin. Seine Augen geschlossen, sein Körper reglos. Einzig von meinem Arm oben gehalten, der noch immer gegen seinen Hals drückte. Er ist... Er hat...   Gepeinigt verzog ich mein Gesicht, senkte meinen Arm – den ich um seinen Unterrücken legte, um ihn hochzuheben. Ihn vor mir haltend, blickte ich auf ihn herab. Er hätte sich wehren können, hätte irgendeinen Laut von sich geben können. Irgendetwas tun können. Etwas aus Eigennutz, für sich. Doch er blieb still. Opferte, selbstlos. Aus eigenem Willen heraus. ...Oder ist es Vertrauen?   „Du Narr“, hauchte ich bitter, „vertraue keinem herzlosen Killer.“   Ich senkte meine Maske, mein blondes Haar fiel über ihn, schirmte ihn ab, wie ein beschützender Vorhang. Näher hielt ich ihn an mich, sein Kopf fiel zur Seite, legte seinen Hals frei. Und ich schob meine Maske über meine Lippen, die ich gegen seinen Hals drückte. Erspürend seinen Puls. Schwach, doch lebendig. Leid. Eigentlich hätte ich mich daran ergötzen sollen. Eigentlich. Ich begann... ihn nicht mehr zu hassen. Nicht mehr vollends.   Wortlos schritt ich voran, trug ihn fort, ignorierte das gehässige Flüstern der Schatten. „So wehrlos~ So schwach~ Töte ihn~“ Erstmals spürte ich nicht das Verlangen, ihrem Gieren nachzukommen. Erstmals lehnte ich mich gegen sie auf. Gegen die dunkle Seite. Gegen mich.   „Ich bin krank“, seufzte ich mir selbst zu, schmunzelnd, „gänzlich gestört.“   Niemals hätte ich gedacht, je diesen Ort aufzusuchen: Die Krankenstation. Ein schlichter Raum mit dem Nötigsten. Ähnelnd diesen schäbigen Schul-Krankenzimmern, wo die Jugendlichen meist nur schwänzten und nicht richtig behandelt wurden. Sozusagen ein Ruheraum.   Ich legte Penguin auf die einzige Liege hinter dem Motten zerfressenen Vorhang, den ich mit einem Quietschen hinter uns zuzog, Privatsphäre schuf. Preisfrage: Was geschah dann? Tze, Tze. Dies war doch offensichtlich.   Wäre dies eine klischeehafte Romanze, würde das unglückliche Paar wie folgt vorgehen: Person A – der Patient – erweckte Mitleid, während Person B – sein Fürsorger – sich ans Krankenbett setzte, kitschig Händchen-haltend und irgendwann an dessen Seite einschlief, bis – Überraschung! – er aufwachte. Drama, Baby, Drama!   Nun... weil ich nicht der Protagonist war, sondern der Antagonist, sah das Ganze anders aus: Ich nahm mir eines meiner Messer – versteckt unter meinem roten Hüfttuch – und bereitete den Tatort vor. Romantisch. Hieß: Ich ritzte die Umrisse von Penguins Körper in die Matratze. Wie nett von mir, der Spurensicherung die Arbeit zu erleichtern. Mein Sinn für Humor glich schwarzem Leichenbalsam. Wer konnte es mir verübeln? Ladies und Gentleman: Ich war ein messerscharfer Killer. Fa Fa!   Geschickt ließ ich das Springmesser zwischen meinen Fingern rotieren. Mit meinem Daumen über den Auslöser am Griff fahrend, sprang die Klinge vor, wieder zurück, erzeugte ein scharfes Kling-Geräusch, das mich beruhigte. Es gab doch nichts Schöneres als ein guter Stich am Morgen. Killer Rulez. Entspannt lehnte ich mit dem Unterrücken am Bettgestell des Fußendes, warf hin und wieder einen desinteressierten Blick zu dem Liegenden. Prüfend, ob er schon ins Gras gebissen hatte. Eine Kriegsredewendung. Bei Gelegenheit sollte ich Kira mal fragen, wie das schmeckte. Das gute Gras. Oder eher der Schnee? Ich Fiesling.   Warum ich dennoch blieb? Ich wollte den Moment seines Dahinscheidens nicht verpassen. Nur deswegen. Schnell begann ich mich zu langweilen, entdeckte den alten Computer am Schreibtisch und vertrieb mir die Zeit mit dem neuesten Videospiel-Hit. ...Snake. Ich knackte gerade den Highscore von dem Namen: 'Chi', als- Game Over.   Die Tür knallte auf. „Yo-ho~!“, plärrte etwas unerträglich grell in meine zart-beschatteten Ohren. Ein Junge, der mich an die Spielotheken Sonne erinnerte. Mit Sonnenbrille. „Ich bin Shachi, fünfundzwanzig Jahre alt, meine Hobbies sind...“, begann er zu quietschen – Ein nervtötendes Geräusch, das ich geflissentlich ausblendete. Bestürzt starrte ich noch immer auf den Game Over-Screen. Indessen er weiter vor sich hin quasselte, drehte ich meinen finsteren Blick langsam zu ihm. Wartete ab, ob er einen neuen Haarschnitt mit meinem Frisiermesser wert war.   Schwungvoll warf er sich auf den Drehhocker, mit dem er jubelnd durch die Gegend rollte. Einmal holte er noch Luft, ein einziges Mal. „Coole Maske!“, schwemmte seine ekelhafte Nettigkeit zu mir. „Bist du ein Bösewicht? Das ist so cool~!“ Das Funkeln hinter den getönten Gläsern glich einer Wunderkerze, die Licht sprühte. Verseuchend hell seine Ausstrahlung, erinnerte mich an Regenbogen-Kotze. Ich hatte soeben einen Fan gewonnen – Die Oberniete gezogen.   Euphorisch riss er die Arme in die Luft, rollte weiter mit dem Hocker über den glatten Boden, erzeugte ein grässliches Quietsch-Geräusch und drehte sich mehrmals um sich selbst. „Krieg ich ein Autogramm?“ Oh? Ich ritz dir gern meine Initialen ein, Kleiner. „So böse siehst du gar nicht aus...“ Hat der Fruchtzwerg mich gerade beleidigt?! „Aber der Riss in der Maske hat das gewisse Etwas... Wie Two-Face! Hast du mal ne Münze, die ich mir leihen kann?“ Mein Daumen am Springmesser zuckte gefährlich. Der Quälgeist hob meldend den Zeigefinger. „Oh! Oh! Oder wie der Typ von Scream. Kennste, kennste?“, verstellte er seine Stimme; „'Wazzaap'?!“   In Gedanken richtete ich eine hübsche Ruhestätte für ihn vor. Die Grabaufschrift des abgelaufenen Glückskeks wie folgt: 'ungeöffnet zurück.' Mit Forever-Alone-Face. Ich schmunzelte in mich hinein, hing meinen Tagalpträumen nach, ehe ich aus ihnen gerissen wurde.   „Peng!“, stürzte das hyperaktive Happy-End auf den Kappenträger zu. Gedanklich wetzte ich mein Messer. Kling... Kling... „Aufwachen, Peng!“, sprang er auf die Liege, hüpfte auf dem Bewusstlosen herum, wie auf einem Trampolin. Auch, wenn ich nicht viel Ahnung von Medizin hatte – Wenn dies die moderne Methode der Reanimation sein soll, war ich froh, keinen solchen Berufszweig ergriffen zu haben. „Peng, ich hab's geschafft!“, hielt die Seuchenschleuder etwas hoch, stolz lächelnd. „Peng?“, bemerkte er dessen Zustand. Ein wahrer Blitzmerker – 1 Volt hat wohl seine Happy-Hirnzellen zerschossen.   Besorgt legte der Grashüpfer seinen Kopf schief, von einer Seite zur anderen, suchte etwas Imaginäres in den schlafenden Gesichtszügen. Bis ihm etwas einfiel. Die rettende Idee: „Um es heile zu machen, muss man das Aua wegbusseln!“ Wie meinen? Erst klebte der Letzte-Hilfe-Profi Penguin ein Pflaster auf die Stirn, dann knautschte er seine Lippen zu einem Kussmund. Ähnlich einem Knutsch-Fisch, der sich an etwas festsetzen wollte, ehe- Der Patient schlagartig seine Augen öffnete. Wunderheilung! Der Fisch knutschte seine Faust. „Shachi, was zum-?!“   „Guuuten Morgen~!“ Ein strahlendes Lächeln traf auf einen Blick, der Einhörner über einem Feuer röstete. Penguin war nicht erfreut. Und doch irgendwie schon. Welches Verhältnis die beiden wohl haben? Penguin ignorierte ihn. Winkend versuchte Shachi ihm eine Reaktion zu entlocken. Erfolglos. Daraufhin probierte er Methode Zwei: Den Kappenträger an den Schultern packen und durchschütteln. „Hast du gut geschlafen? Geht's dir nicht gut?! Hast du Hunger? Soll ich dir eine Hühnersuppe machen?“ Das zeigte Wirkung. Penguin blinzelte, ehe er die Lippen verstört verzog. „Bloß nicht! Bei deinen Kochkatastrophen brennt selbst Wasser an!“ „Nur das eine mal, hehe...“, kratzte sich der Kleinere an der Wange, „und das war Wodka.“ Wer kocht Suppe mit Wodka? ...Außer Kid.   Seufzend verschränkte Penguin die Arme vor seiner Brust. „Bei dir wundert mich gar nichts mehr.“ „Ich bin ein Wunder!“, quiekte das Meerschwein, „das hast du aber echt lieb gesagt.“ „Hab ich nicht.“ „Zwischen den Zeilen lesen sich Welten!“   Je mehr ich die überfunkende Wunderkerze beäugte, desto mehr fiel es mir auf: Der Schatten, den sein Licht warf. Die helle Fassade der weißen Wand, die um dessen Seele bröckelte. Sieh an... Ein Schattenkind. Ob er ihr finsteres Flüstern mit seiner helleren Stimme zu übertönen versucht? Das Zusammenspiel der zwei Quälgeister zeigte eines deutlich: Penguin war die Lichtseite der beiden, nicht umgekehrt.   „Shachi... warum bist du hier?“, zeigte der Kappenträger Skepsis, in die sich Sorge mischte. „Um dich zu sehen, Dummerchen!“ „Hast mich gesehen, kannst jetzt gehen.“   Shachi blies die Backen auf. „Nö!“, bestand er auf seine Besuchszeit und kramte einen Keks aus seiner Overall-Tasche. „Hier, für dich!“ „Was soll das sein?“, beäugte Penguin das ominöse Objekt, erhielt einen empörten 'das-sieht-man-doch'-Blick. „Ein Hase!“, verteidigte der Bäcker seine künstlerische Freiheit, „nur ohne Ohren und Gesicht.“ Ein simpler, deformierter Keks eben.   „Viel wichtiger!“, hielt Shachi seinen Zeigefinger hoch, „Es ist nicht irgendein Keks...“ In Heimlichtuerei beugte er sich zu Penguin und flüsterte ihm das Geheimnis zu. Penguins Augen weiteten sich, spiegelten ein neues Level von Schock wieder. „Du hast... Shachi, ist nicht wahr!“   Wäre ich eine neugierige Person, hätte ich es aus ihm herausgefoltert. So war es mir gänzlich egal. Shachi steckte ihm den zerbröselten Keks zu, tätschelte ihm auf die Schulter, ehe er es sich anders überlegte und Penguin in eine Umarmung zog. „Bei dir ist er in guten Händen... Pass gut auf Kevin auf.“ Dann verabschiedete er sich mit einem geträllerten; „Kevin allein in Pengs Jackentasche~“ Und sprintete weiter zu seinem nächsten Opfer, das er mit Nettigkeiten überfluten konnte. „Ich werd Heats Rastalocken mit gepflückten Blümchen schmücken!“ Beileidswünsche gehen raus.   Der Knall der Tür, dann war er weg. Stille kehrte ein. Meine Maske blieb auf Penguin gerichtet, der noch immer das Gebäck anstarrte. Geistesabwesend, im Zwiespalt mit sich, als wenn er innerlich gegen etwas ankämpfte. Eine Antwort suchte. Worauf? Ihn umgab etwas äußerst Sonderbares. Eine Aura von Ohnmacht und Macht. Etwas Schizophrenes. Mein Blick glitt nach oben, zur Zimmerdecke. Auch hier klebten Spinnenweben. Nicht nur an Decke und Wänden, auch in der Luft schwebten sie. Hinabblickend, sah ich die Veränderung: Die Fäden mieden Penguin. Noch immer wollten sie nach ihm greifen, doch erreichten ihn nicht, wurden abgestoßen. Wegen der Schatten, die sein Herz umdunkelten? Oder wegen...   „Was hat er dir gegeben?“, riss meine dominante Stimme ihn aus seiner Abwesenheit. Leicht zuckte er zusammen, fand in die Realität zurück, schaute mich an. Schaute durch mich durch. Seine Hand zur Faust geballt, in der er das ominöse Gebäck hielt. Kurz haperte er mit sich, zögerte, ehe er es mir erzählte. Fassungslos und ungläubig; „Ein Gegenmittel. Gegen Smile.“ So leise gesprochen, dass ich ihn fast nicht gehört hätte. Der Feind hörte hier stets mit. Doch auch ich bin ein Feind. Warum hast du es mir gesagt?   „Lächerlich“, zischte ich verstimmt. „Es gibt keine Heilung.“ Penguins Blick festigte sich, seine Stimme nahm Hoffnung an. „Ein Heart findet immer einen Weg.“ Der Spinner sollte das Unmögliche geschafft haben? Niemals! Dafür bräuchte er die Formel, bräuchte einen Chemie-Experten, bräuchte- „Liebe“, lächelte Penguin, „Die Geheimzutat ist-“, meine Hand schnitt ihm das Wort ab. Hart presste ich meine Handfläche auf seinen Mund, drückte ihn in die Liege, fixierte ihn mit psychopathischen Augen. Über ihm kniend, knurrte ich ihm bestialisch zu. „Schweig“, sprach die Finsternis aus mir, „oder stirb.“   So stumm sein Mund, so laut seine Augen. Mitfühlend. Er erkannte es. Die Angst. Meine. Es durfte keine Hoffnung geben. Kira durfte nicht geheilt werden. Sonst...   Penguins Hand umgriff mein Handgelenk. Doch statt mich von sich zu stoßen, strich er mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Gefühlvoll. Die Intensität seines Blickes. Das Grün, das mein Blut rauschen ließ. Wie sich aufbauende Wellen im toten Meer. Von Ebbe zur Flut. Lebendigkeit heraufbeschwörend.   Zwischen meinen Fingern presste er einzelne Worte hervor. „Bleib.“ Etwas, womit er Kira einlullen konnte, nicht mich. Nicht-! „Bleib... bei uns.“ Im umgekehrten Kontrast. Sein Versprechen an Kira: 'Ich bleib bei dir.' Zu einer Bitte an mich: 'Bleib bei uns.' Uns.   „Lebe, Killer.“ Eine unsichtbare Träne, die in meine Brust tropfte. Aufschlug, im stillen Meer, seichte Wellen erzeugte. Erschuf einen Strudel in den Untiefen, wo meine Seele ertrank. Nein, ich will das nicht fühlen. Ich spürte, wie ich die Kontrolle verlor. Wie Kira wiederkam, mich verdrängte. Ich kämpfte dagegen an. Bleib weg! Verschwinde! Ich blutete. Innerlich.   Ein Stich im Herz. Erinnernd. Penguins Lächeln. „Auch wenn die Welt dich nicht will“ … „Ich will dich.“   Mich? Oder Kira? In kaltem Hass hauchte meine Stimme ihm finster zu. „Das Gegenmittel... Mit ihm willst du mich loswerden? Mich wegwerfen?“ Krankhaft mein Ausdruck des Wahnsinns. „Das traust du dich nicht, du Feigling.“   Penguins Blick traurig. „Nein... Du irrst.“ Noch immer hielt er das Gebäck vor sich, zwischen uns, betrachtete es. „Ich werde es nicht gegen dich einsetzen“, entschied er. „Es ist noch unausgereift, ein Prototyp... Ich werde es selbst-“   Weiter kam er nicht. Ein Impuls in mir reagierte schneller.   Mein hasserfüllter Blick intensivierte sich. Hass – Selbsthass. Selbstzerstörerisch.   Ein Gegenmittel. Gefährlich. Verlockend.   Was geschieht, wenn ich es nehme? Wenn die Wirkung von Smile umgekehrt wird?   Werde ich... geheilt verschwinden?   Ich lächelte. Das Lächeln eines Killers.   Morden ist meine Profession. Selbstmord ein neues Level dessen.   Knack. Biss ich in das Gebäck. Und es geschah.   Zwei Herzen vereint, zu einem Impuls. Ein Spiegel.   Knack. Biss Penguin in die andere Hälfte. Seine Lippen berührten die meinen.   In einem Kuss. Des Abschieds.   . . .   Ich verschwand. Ich – Kira. Kapitel 8: Feuerscherben ------------------------ „Die Geheimzutat ist Liebe!“   Es gibt keine Wunder. Gefühle sind Irrglaube. Irreführend, irrelevant.   Wer nie liebte, konnte nicht geliebt werden.   Oder?   Wenn ein Herz auf ein anderes reagiert, beide in Resonanz zueinander schlagen, ist dies nicht etwas Unglaubliches?   Ein Grund, an etwas Irres zu glauben?   Minus und Minus ergibt Plus. Negativ braucht Positiv zum Ausgleich.   Schatten und Licht können sich binden. Vereint sein. Heilen.   Wenn der verletzte Soldat das Feld für den Wiederaufbau räumt. Dann kann der Totgeglaubte wiederbelebt werden.   . . ☯ . .   Smile. Ein Nervengift, das vorwiegend die Psyche schädigte. Es griff die Nervenzellen des Gehirns an, zerstörte Teile dessen, deaktivierte winzige Areale der Großhirnrinde, die für Kurz- und Langzeitgedächtnis maßgeblich waren. Ein Schaden löschte Erinnerungen. Smile nahm ein Teil der Menschlichkeit. Falls sich das Gift ausweitete, vom Gehirnstrang ins Knochenmark drang, erreichte es die Blutstammzellen. Die Auswirkung dessen war fatal. Dies konnte genetische Mutationen hervorrufen, das Erbgut umprogrammieren und auf Langzeit eine neue Spezies Mensch erschaffen. Marionetten ohne Willen. Des Wahnsinns. Doflamingos Puppen.   Auch ich war eine von ihnen geworden. Aber noch war es nicht zu spät. Für niemanden. Das Gegenmittel. Es existierte. Noch unausgereift, aber hoffnunggebend. Shachi erklärte mir knapp, dass es nur unter gewissen Bedingungen wirkte. Wenn Endorphin und Serotonin – natürliche Glückshormone – ausgeschüttet werden. Darum ein Keks; Zucker als Hauptzutat, als Auslöser und Transporter von Serotonin; so gelangten die Stoffe schneller ins Blut. Fehlten nur noch Endorphine; die ausgeschüttet wurden bei Extremsituationen und Nervenkitzel.   Kurzum; Glücksgefühle und starke Emotionen. Ein Trigger. Etwas Mächtiges. Liebe als Gegenmittel.   Irre... Aye, Partner?   So kam es, dass ich mich in dieser Situation wiederfand. In einer intimen Position, auf ihm sitzend, unsere Körper fest umschlungen. Das Rascheln unserer aneinander reibenden Kleidung hörbar, zusammen mit den atemlosen Lauten der Verliebtheit. Einander spürend, intensiv, gefühlvoll. Kira küsste mich. Ich erwiderte teilnahmsvoll. Von seinen Lippen schmeckte ich die Innigkeit. Glück in dessen reinster Form.   Das Schillern seiner eisblauen Augen, die mich unterwarfen. Beinahe ohnmächtig werden ließen, so machtvoll ihre passiv-aggressive Kälte. Blau, so hell wie reines Silber. Das Mondlicht zerfließend, kündigte die Nacht an. Von seinen Lippen in warmen Wellen brechend. Berauscht und trunken, verfiel ich ihm. Seinen Seelenflammen, die auf mein Herz übergriffen. In funkenden Küssen, Kurzschluss um Kurschluss verursachten. Innerste Impulse schlugen auf Eis, das brach. Und die Stille erwachte zum Tanz.   Feurig kribbelte mein Körper, schmiegte sich näher an den seinen. Besitzergreifend schlossen sich seine starken Arme um mich, wollten mich noch mehr spüren, drängten mich an seine harten Brustmuskeln. Unsere nackte Haut kollidierte, glühte sich aufeinander – heiß. Er kippte meinen Kopf zur Seite, intensivierte unseren Kuss, spaltete meine Lippen mit seiner Zunge, drang ein und umschlang die meine. Beide rotierten, befeuchteten, rivalisierend, disharmonisch. Ein wilder Rhythmus von ungezügeltem Verlangen. Eifersucht. Die Leidenschaft seiner blitzenden Küsse raubte mir jeden Gedanken, machte mich des Denkens unfähig. Es gab nur noch ihn und mich. Unsere Welt. Und das Gefühl, das er mir einschenkte. Etwas, was ich noch nie erlebt hatte. Etwas Neues und Aufregendes. Erfüllend, vollständig.   Wie er mich mit seinen rauen Fingern befühlte. Berührungen, die auf der Haut prickelten und unter ihr nachwirkten. Seine Hand in meinem Nacken, die sich von unten herauf in meinen Haaransatz grub. Die andere, die meinen Rücken abwärts glitt, meine Wirbelsäule entlang, Wirbel für Wirbel nach unten fahrend. Bis zu meinem Hinternansatz, bei dem er anhielt – heißer. Nur mit seinem Mittelfinger in die Trennlinie tauchte. Langsam, spielerisch. Meine Hälften spaltete. Doch nicht weiter ging. Nicht näher an die intimste Stelle. Auch sein Lippentanz wurde holpriger, ebbte ab, stoppte.   Warum?   Langsam schlug ich meine Lider auf. Sah ihm in die Augen. Sah es. Sah- „Killer...?“ Nachtblau.   Kira und Killer hatten getauscht, währenddessen. Wann genau? Es hätte mir auffallen müssen. Die Wildheit, Leidenschaft, Disharmonie. Wie anders er küsste. Wie neuartig er mich anfasste. Wie es sich anfühlte...   Still griffen unsere Blicke ineinander über, teilten Botschaft. Stumm, schweigend, geheimnisvoll. Die dunkle Dominanz seiner Augen. Übermächtig vor Machtlosigkeit. Ein Phänomen, das mich fesselte. Das unergründliche Blau, in dem ich ertrank. Die Nacht, die mich in ihren Bann zog. Ich konnte nicht anders, wollte nicht anders.   Wie unter Hypnose reckte ich mein Kinn zu ihm hoch, schickte meine Lippen auf Suche. Weiter, immer weiter. Ich küsste ihn. Killer. Freiwillig. Spürte erneut. Wie es sich anfühlte... Verloren. Es war Einsamkeit, die seine Lippen mich kosten ließen. Ihr Geschmack bittersüß, wie nur Killer schmecken konnte. Auch seine Berührungen wirkten wirr, forsch und vermissten Emotionen. Ein Gefühl von Verlorenheit, die er zu füllen versuchte. Mit mir.   Seine Hände an meinem Körper ersehnten Zuflucht. Überfallend vergriffen sich seine Finger an mir, krallten sich in meine Haut, kratzten sie entlang, suchten nach etwas Unsichtbarem, was er nicht zu finden vermochte. Als er sprach, raunend in den Kuss, schauerte es mich.   „Du bist es nicht.“ Killers Stimme klang gejagt. „Du kannst sie nicht vertreiben...“   Das Schwarz seiner Pupillen, die sich weiteten. Im Rauschzustand. Exzessiv. Wie Peitschenhiebe knallten seine Lippen auf die meinen nieder. Sündig, sinnlich, sadistisch. Überwältigend. Funke um Funke knisterte zwischen uns. Mit jeder intimen Kollision weiter anheizend, ähnlich eines Blitzgewitter bei Nacht. Das Dunkel, die Schatten, die Stille vertreibend. Wenn auch nur für einen Herzschlag, der zwischen uns donnerte. Ich begann, ihn zu fühlen. Etwas für ihn. Was genau, war noch ungewiss.   Nicht genug. Es reichte nicht. Unsere Gefühle waren fehlerhaft. Etwas fehlte.   „K-Killer“, versuchte ich ihn zu stoppen, drehte meinen Kopf weg. „E-Es hat keinen Sinn... Ah!“ Ein fester Biss in meinen Hals – seine Antwort. Ein süßer Schmerzblitz, der mich durchfuhr. Bitter im Nachhall. Seine Zähne sanken tiefer, markierten mich, brennend, ehe seine Zunge sein Feuermal beleckte. Besitzergreifend. Heiß traf sein Atem auf die Hautstelle. „Ich gebe nicht auf“, knurrte er düster dominant, „gebe dich nicht auf.“   Mit feurigen Bissen untermalte er seine Worte, seine Stimme gewann an Tiefe. Sinnlichkeit. Kalte Schauer fegten durch meinen Körper. „Wenn es keinen Sinn macht...“, lächelte er ekstatisch, „...bin ich nur zu gern wahnsinnig.“   Und das zeigte er mir. Demonstrativ. Die Düsternis seiner Aura loderte in schwarzen Flammen auf, die die Stille Feuer fangen ließen. Ich spürte das Ausmaß seiner dunklen Macht. Die Inbrunst, mit der er die Schatten beherrschte. Sein Wahnsinn – seine Halluzination – wurde zu der meinigen. Wahnvorstellung und Wirklichkeit verschmolzen. Ein schattenhaftes Klirren. Rasselnd in der Lautlosigkeit. Wie unsichtbare Ketten, die sich um meinen Körper schlangen, mich fesselten. Ich sah sie nicht, aber fühlte sie. Wie sie sich in meine Haut zwängten, meine Hand- und Fußgelenke ans Krankenbett fixierten, mich bewegungsunfähig machten. Mein Herz in Ketten. Von ihm angelegt.   Dem Schattenmeister. Wie eine lauernde Schlange, schmiegte sich sein Körper in geschmeidigen Bewegungen an mich. Besah mich mit einem Blick, der mir Schmerz versprach. In seiner Hand das Springmesser, das er zwischen seinen Fingern rotieren ließ. Spielerisch. Ein erregtes Zittern ergriff ihn. In seiner Hosenmitte der Abdruck seiner Erektion erkennbar. Nach rechts gebogen. Begeistert strich er sich einmal der Länge nach darüber. Die Gier seiner Augen verschlang mich. „Lass uns spielen, Sweetheart.“ Der tiefe Ton seiner Stimme vibrierte in meiner Brust nach. Mein Herz stotterte, als er das Messer darüber ansetzte. Die Klinge eingezogen, nur den Griff halten, strich sein Daumen über den Auslöser, der die Klinge hervorschnellen lassen konnte. Ein Knopfdruck genügte, nur ein winziger Millimeter und mein Hohlorgan wäre aufgespießt. Hierfür benötigte es verdammt gute Körperbeherrschung. Beidseitig. Mein Puls beschleunigte, mein Blick flimmerte vom Messer zu ihm hoch.   Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. „Lange nicht zum Stich gekommen, was?“ Meine Mundwinkel zuckten nervös. Im Gegensatz dazu blieb meine Stimme ruhig, zu ruhig. Mit vollster Überzeugung sprechend; „Sorry, aber dieses Herz gehört-“ „Wage es nicht, seinen Namen auszu-!“ „K i r a“, rammte ich ihm in die Brust. Jeden Buchstaben. „Und deines ebenfalls“, setzte ich noch einen drauf. Das Blitzgewitter aus grollendem Zorn seiner tödlichen Blicke ignorierend, wuchs mein Grinsen an Verwegenheit. „Macht uns das nicht beide zu Herzlosen?“   Abschätzig schnalzte er mit seiner Zunge – mit der er mir über meine Lippe leckte. Das emotionale Gewitter entlud sich in einem Kuss, den er mir blitzend einbrannte. Willen raubend. Etwas Irres erfasste seine Stimme, die leise und unheimlich lachte. „So unwissend... so unschuldig...“, summte er entzückt, tauchte seine Zunge in meinen Mund. Woraufhin ich ihn beißen wollte – was ihn umso mehr amüsierte. „Mir gefällst du wild und widerspenstig.“ Schnurrend atmete er mir ins Ohr. „Das macht dich umso heißer.“   Verdammt. Ich konnte die Reaktion meiner glühenden Wangen nicht verhindern. Sag das nicht mit seiner Stimme! „Hör auf“, knurrte ich beschämt, „seinen Körper für deine Zwecke zu missbrauchen!“ „Oh?“, klang der Mistkerl viel zu arrogant, „wie meinen? Etwa... so?“ Küsste er mich. Mit Gefühl. Verpasste mir eine wohlige Gänsehaut.   „H-Hör... auf...“, presste ich meine kribbelnden Lippen aufeinander und widerstand dem Drang, meine Augen zu schließen. Denn dann würde ich ihn sehen. Ich wollte keine Lüge lieben! Killer ergötzte sich an meinem emotionalen Kampf. „Du wünschst dir, es wäre er, nicht wahr?“ Keine Frage – Eine Feststellung. „Dann tu es, stell es dir vor.“ In einer schnellen Bewegung hatte er sich den roten Schal von der Hüfte gezogen. „Dies ist die Grenze, wo der Sinn endet und der Wahnsinn beginnt.“ Damit verdunkelte er meine Welt. Fest verband er mir die Augen mit dem Stoff, der nach Kira roch. Betörend auf mich wirkte. Ohne meinen Sehsinn, war es noch schwieriger, gegen die Illusion anzukämpfen. Gar unmöglich.   Die Hand in meinem Schritt raubte mir meinen letzten Widerwillen. Mein Glied zuckte, reagierte auf ihn. Mit aller Macht versuchte ich mich abzulenken, an etwas anderes zu denken. An etwas Unerotisches. Etwas, was mich nicht weiter antörnte. Jemand anderen, als Kira. An Killer. Ich konzentrierte mich voll auf ihn. Auf die Eindrücke, die ich von ihm verinnerlichte. Seine Arschigkeit, seine Besessenheit, sein Sadismus, seine Macht, Nachtblau- Ich war nicht mehr hart. Nein, ich war härter. Verdammt, verdammt, verdammt!   Ich wollte das nicht. Es war mir egal, was mein Körper wollte – Das hier war nicht das, was mein Herz begehrte. „Killer.“ Meine Stimme nahm etwas Befehlendes, zugleich Bittendes an. „Nimm mir die Augenbinde ab.“ Erst keine Reaktion seinerseits. Dann verschwanden seine Hände von mir. „Nenne mir einen Grund, warum ich dies tun sollte.“ In seiner Dominanz lag Dunkles. „Einen guten Grund.“   Einige stille Sekunden verstrichen, bis ich ihm antwortete. „Ich möchte dir in die Augen sehen“, wurde mein Stimmton leiser, „dich sehen.“ „Wieso?“, blieb er skeptisch, vertraute mir nicht. „Weil...“, suchte ich vergebens nach Argumenten, „...darum.“   Erneut Stille. Bis sein tiefes Lachen erklang. Zu tief. Und er mir den Schal von den Augen zog. Nicht gerade sanft, aber immerhin. So schnell sein Lachen kam, verstummte es. Kurz blinzelte ich meine Sicht klar, ehe ich auf seinen Blick traf. Er- Volltreffer. Es traf mich wie eine doppelte Kugel. Schlug mit voller Gefühls-Wucht ein. Teilte mein Herz. Seine... Seine Augen. Zweifarbig. Links Hellblau, rechts dunkel. Eines Diamant, eines Saphir. Himmel und Nacht. Kira und Killer.   Ein Lächeln fand seine Lippen. „Verlieb dich nicht zu sehr in mich, Penguin.“ Selbst seine Stimme schwankte zwischen den beiden; heller und dunkler. Was genau hier gerade passierte, wusste ich selbst nicht. Aber aus irgendeinem Grund machte es mich glücklich. „Darum“, griff ich seine Frage erneut auf, „genau darum wollte ich dich sehen.“   Das seelische Naturphänomen seiner Augen verwurzelte sich in meinem Innersten, entfachte die Glut, brachte Flammenrosen zum erblühen. Erweckte wahre Gefühle. „Killer“, flüsterte ich ihm zu, „mach mich los.“ Er tat es. Die Schatten zogen sich zurück, die Stille wurde laut. Zwei Herzschläge auf Eis. Dröhnend wie ein Bass des Lebens.   Ein Wimpernschlag – und meine Arme waren um seinen Hals geschlungen, drückten ihn an mich. Ich küsste ihn, einmal, zweimal. Beim dritten ließ ich meine Lippen aufliegen. Fühlte ihn mit geschlossenen Augen. Sie beide. Dann lehnte ich mich an ihn. Halt suchend. Zuflucht suchend. Findend.   Mein Kinn auf seiner Schulter aufliegend, mein Gesicht vergraben in seinem blonden Haar. „Es ist okay“, wisperte ich seinen feinen Strähnen zu, die meine Lippen kitzelten. „Es muss nicht ich sein – Er ist es, nicht wahr? ...Kira.“ Derjenige, der Killers Einsamkeit stillen kann. Als ich zu ihm aufblickte, sah ich die Nachtschatten. Seine Augen wieder einfarbig. Mir zuhörend. „Er steht nicht zwischen uns – Du auch nicht zwischen ihm und mir. Ich...“ Ruhig bleiben, du kannst das. Das ist deine Chance. Vermassel es nicht, Peng. Durchatmend, schluckte ich Zweifel und Angst herunter, sah ihn innig an. Mutig, schüchtern, aufgeregt. Mein Geständnis. „Ich will es versuchen. Mit dir.“ Für uns. … …… Nichts. Absolut gar keine Reaktion von ihm. Das machte mich nur noch nervöser. Innerlich starb ich tausend Tode. Verlegen räusperte ich mich, kaute mir auf die Innenlippe und sah beschämt weg. „Also... Keine Ahnung, was das zwischen uns ist, aber-“   Plötzlich schrillte ein lauter Ton durch den Raum. Heftig schreckte ich zusammen. Die Stimmung komplett gekillt. „Achtung, Achtung!“, piepste jemand durch die Deckenlautsprecher, „hier spricht Pika – wehe einer lacht!“ Echt jetzt? ...Jetzt!? Du willst mich doch total verarschen! „Eine wichtige Durchsage: Alle haben sich im Ballsaal einzufinden. Anordnung vom jungen Meister.“ Junger Meister am Arsch! Nichts ist mir so wichtig wie...   Ein Rauschen folgte, ehe die Lautsprecher verstummten. Meine Augen schweiften von der Zimmerdecke zurück zu- Killer war weg. Durch das offene Fenster, das mir einen eisigen Wind ums Herz fegte. Das Setting von Krankenzimmer und Alleinsein ein Trigger meiner Kindheit. Die Erinnerung ließ mich schief grinsen. Wieder ohne eigen Herz...   „Nicht gänzlich.“ Kiras Stimme, die ich in Gedanken hörte. Jup, ich höre Stimmen, soweit is es schon. Ein Herz war mir eigen – Das geteilte meines Partners. Ich hatte es gespürt. Dass er ging, auf längere Zeit. Kiras Kuss der des Abschieds.   Auf Wiedersehen, Partner...   Bis du zurück bist, warte ich auf dich. Bleibe bei dir, passe auf dich auf. Auf deinen Körper, schütze ihn.   Ich werde dich wiederholen. Killer wiederbeleben. Ihn heilen. Euch.   Uns.   . . .   Der Ballsaal, im inneren Schlossbereich, war völlig überfüllt. Fast jeder Bewohner von allen Stationen, 1 bis 4, war anwesend. Es herrschte ein aufgeregtes Gedränge, dem ich entkam, weil ich draußen ans Burggemäuer gelehnt stand. Abseits, auf Sicherheitsabstand. Das ist mir alles nicht geheuer.   Der Innengarten war dekoriert von Glitzer und Funkel, Unmengen Girlanden, die von einem Burgturm zum anderen führten, und seltsamen Smiley-Ballons, die die Wiese belagerten. Als hätte sonst wer Geburtstag. Vielleicht war's aber auch eine groteske Trauerfeier. Die schwarzen Blumen auf den Tischen ließen darauf schließen. Ringelblumen; symbolisch für Verzweiflung. Oft auf Grabsteinen zu finden, daher auch 'Totenblume' genannt. Woher ich das weiß? - Shachi, die Blumenfee. Hin und wieder höre ich ihm auch mal zu. Manchmal. Selten. Kaum.   Im Hintergrund spielte sogar eine Band – Der langsame Song erinnerte mich an das Trauerlied, bevor die Titanic sank. Die Ironie dabei? Der Chef der Baufirma der Bühnenkulisse hieß Eisberg. Die Band nannte sich: 'Rumba-La-Skeleton-Boom'   Nochmals ließ ich meinen Blick unter dem gelben Kappenschirm schweifen. Höchst misstrauisch. Von Draußen konnte man in das Innere sehen. Die Wände des Pavillon-Saals waren aus Glas. Die übertrieben auffällige Aufmachung machte mich mehr als stutzig. „Was gibt's zu feiern?“, fragte ich in die Runde aus beschäftigten Figuren. Alle schienen so... heiter. Meine 'Arbeitskollegen' – aus dem familiären Betrieb – wirkten freundlich, echt freundlich. Gruselig. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.   Viele Personen huschten an mir vorbei, bis jemand anhielt und mir netterweise eine Antwort gab. „Die Familie ist wieder beisammen!“, quietschte Baby 5 entzückt, „die Brüder haben sich geeinigt. Endlich!“ „Geeinigt?“, zog ich eine Augenbraue hoch, „auf was? Und welche Brüder?“ „Die Don Hotties!“, mutierte sie zum Fangirl. Ab hier schaltete ich auf Durchzug. Meint sie die hohe Lordschaft? Hat der schwarze Witwer einen Bruder?   Nach ihrem schwärmerischen Anfall, trübte sich ihre dezent geschminkte, feminine Mimik. „Familie...“, seufzte sie, „der junge Meister erlaubt es mir nicht, eine eigene zu gründen. Nur, weil bisher der Richtige nicht dabei war“, blies sie ihre Wangen beleidigt auf und verschränkte ihre Arme. „Ich will doch nur jemanden mit meiner Liebe erschießen!“ Bitte, was?   Geknickt senkte sie ihren Kopf, die losen Strähnen ihrer gebundenen Haare umrahmten ihr weiches Gesicht. „Braucht mich denn niemand? Werde ich als alte Jungfer sterben?“ In ihren Lila-farbenen Augen glitzerten Tränen. Doch ehe sie fallen konnten, wurde ihr ein Taschentuch gereicht. „Eine hübsche Lady darf ihre Schminke nicht kaputt machen.“ Shachi, der Prinz Charming. Sein überzuckertes Lächeln ein echter Lady-Killer. Kaum zu glauben, aber das Süßbrötchen landete bei den Mädels – Bruchlandungen.   Baby 5 errötete. Ihre Lippe zitterte, so stark hielt sie ihre Tränenbäche zurück. Etwas Mädchenhaftes fand in ihren Ausdruck, ließ sie jünger wirken, weich strahlen. „Heirate mich!“, zog sie die Pistole, die sie auf Shachi hielt. „Nehme mich zur Frau!“ Ihre üppige Oberweite hüpfte – Dort hatte sie ihre Waffe versteckt. Shachis Blick fiel in ihr Dekolletee, mehrmals blinzelnd, ehe er mit langgezogener Schmoll-Schnute muffelte; „Nö.“ Und ein Gänseblümchen in den Lauf ihrer Pistole steckte. „Gewalt steht dir nicht, Miss.“   In Zeitlupe konnte man ihr brechendes Herz sehen. Wie ihre Mimik erschütterte, die Pistole aus ihrer Hand glitt, ehe sie selbst zu Boden sackte und ihre Finger in ihr Maid-Kleid krallte. Erst dann kullerten ihre Tränen. „Wenn ich...“, schluchzte sie. „Wenn ich mich bessere...“, sah sie mit verlaufener Schminke zu ihm auf, „wirst du mich dann mögen?“ Shachi schob seine Sonnenbrille mit dem Daumen hoch, blickte sie offen an. „Ich mag dich“, hielt er ihr einen Lutscher hin, „bessere dich für dich. Damit du dich irgendwann mögen kannst.“   Shachi konnte niemanden nicht mögen. Schwierig, wenn er anderen keine falsche Hoffnung machen wollte. An seinem Kragen zog ich ihn mit mir, durch die Pavillon-Tür. „Genug Zucker für heute.“ Ungetrübt winkte er Baby 5, die sich ans Herz griff. Da hat jemand etwas Neues zum fangirlen gefunden. Als ob ich meinen kleinen Bruder an ein irres Knallerweib verscherbeln würde. „Sag mal, Shachi“, grinste ich, „wie viel bist du wert?“ „Ich bin unbezahlbar!“ Genau deswegen.   Das Saal-Innere strahlte in reinen Goldtönen, die vom Licht der Kronleuchter umso heller hervorgehoben wurden. Prunk, so blendend, dass es einen fast erblindete. Ah, der wahre Grund, warum der Don eine Sonnenbrille trägt. Der Raum war in verschiedene Bereiche unterteilt; einer war für die Tanzenden, von denen ich niemanden kannte. Zwei pink-haarige Frauen kreisten dort, Arm in Arm. Ein anderer Raumabschnitt für die Bühnenshow, wo bisher nur ein einsames Mikro stand. Auf der anderen Seite war der große Essbereich mit Tischen und Buffet.   „Vor-sicht!“, rief uns jemand lachend zu, der durch die Tür zur angrenzenden Küche kam. Eine riesige Torte tragend, sodass sie die Person dahinter verdeckte. Nicht ganz. Die große Haartolle überragte selbst das mehrstöckige Backbauwerk. Der süße Sahneduft ließ einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Shachi hibbelte stark neben mir, hopste von einem Fuß auf den anderen, musste sich beherrschen, nicht kopfüber in den Zuckerberg zu springen. Erneut. Wir sahen dem Konditor – mehr der Torte – hinterher. Ihm folgten: Ein Koch mit Spiralbraue, der einen filetierten Hai servierte, eine Spezialität namens Ar-lá-long. Und der Strohhutjunge, dessen schnüffelnde Nase das dampfende Gericht stalkte. „Nur einen Bissen, Sanji!“, wechselte Fluffys bedröppelte Mimik von jammernd, zu befehlend, zu verhungernd. Binnen drei Sekunden. Ein gefühlvoller Mensch, der weiß, was er will.   Sanji hielt das Tablett außer Reichweite der zuschnappenden Beißer Luffys. „Nein. Von wegen einen Bissen! Wenn deine Zähne sich einmal im Fleisch verbissen haben, schlingst du den ganzen Hai ohne abzubeißen runter. Das hatten wir schon.“ „Diesmal ist es anders!“, verteidigte Luffy sich. In seinem Gesicht ein siegessicherer Ausdruck, als würde er gleich das überzeugendste Argument bringen. Das da wäre; „Diesmal berühren meine Zähne ihn gar nicht!“ Zufrieden nickte er sich selbst zu – und verstand nicht, warum Sanji wortlos weiterging.   Nach dem erschütterten Schockgesicht, folgte wieder Sonnenschein. „Ich bin ein Pirat! Ich geh Sabos Salzletten Bunker plündern!“, beschloss er, eilte davon, sprang auf die Bühne und griff sich das Mikro. „Toraooo!“, kreischte das kratzende Mikro, „Wo bist duuu? Komm mit mir zu...“, plauderte er seinen D.saster-Plan aus. Wer ist 'Toraooo'? … Ao-Lala. Ao-Po.   Es folgte eine Gesangseinlage, die das Glas der Wände fast splittern ließ. Eine mächtige Stimme. Königlich. Fluffy spielte den Alleinunterhalter. Sein natürliches Charisma zog alle Blicke auf sich. Luffys Lachen erreichte jedes Herz.   Ich seufzte halb-grinsend. Langsam glaubte ich, dass die anderen die Normalen waren und ich der Seltsame. „Hey, Chi-“, blickte ich neben mich. Dort, wo Shachi war. Oh nein. Ich ahne, wo- „Mon Dieu! Nüscht meinö Tortö!“ Törööö~ Von irgendwo erklang eine Party-Tröte. Echt jetzt. Ich dreh mich nicht um. Was ich nicht sehe, sehe ich nicht – Shachi Weisheiten.   Eine schwere Hand auf meiner Schulter, die mich fast zu Tode erschreckte. „Oi, Kollege“, atmete mir jemand in den Nacken, unangenehm. „Hast du die heiße Ware, dabe?“ Die... was? Moment. 'Dabe'? Och nee. Jetzt will ich mich noch weniger umdrehen. Und dann kam er mir. Der bescheuerte Gedanke. Das Andenken an Luffy – Die 'heiße Ware': Der durchgekaute Kaugummi, der in meiner fusseligen Hosentasche getrocknet und noch ekliger geworden war. Wie soll ich ihm den andrehen?! „Nicht hier“, flüsterte Barto verschwörerisch, zog mich mit einem eisernen Yolo-Bro-Griff mit sich. Vorbei an der fliegenden Sahne und der furios wippenden Haartolle, zur hintersten Saalecke, hinter eine große Palme, wo uns niemand sah. Der Typ hat echt nen Sprung in den Spiegeln.   Aus spitzen Biest-Zähnen grinste er mich an. In seinen rubinroten Augen funkelte kindliche Vorfreude, zusammen mit euphorischer Stalkeritis. Unruhig kreuzte er seine Finger, wieder und wieder. Ein nervöser Tick? „Gib ihn mir“, nahm sein ungeduldiger Ton ein obsessives Knurren an, „meinen neuen Schatz.“   Meine Mundwinkel zuckten nervös, schwankend zwischen einem Grinsen und Verzweifeln, als ich so langsam wie möglich in meine Tasche griff. Es laaange hinauszögern wollte und- „Warte!“, kommandierte er plötzlich, kniff die Augen zusammen und hielt mir seine offene Hand hin. „Ich bin unwürdig. Darf es nicht ansehen! Nicht mit meinen Blicken beschmutzen!“ Die Drama-Queen hat gesprochen. „Ich schände eines von Luffy-Senpais heiligen Relikten.“ Ein Kaugummi. Nochmal zum mitlesen: K a u g u m m i. Schnell ließ ich das eingewickelte Ding in seine Hand fallen und stürzte davon. Das war mir alles echt zu blöd. Seine Reaktion darauf wollte ich nicht erfahren. Die konnte einfach nicht positiv ausfallen.   Bei meiner übereilten Flucht rannte ich in jemanden rein. Wieder. Eher; in seinen weißen Mantel, in dem ich mich verhedderte. Er roch nach Räucher-Stäbchen, -Harz und Weihrauch „Welch schicksalhafte Zusammenkunft“, klang seine Stimme geisterhaft und schläfrig, „so wie es die Karten haben vorhergesehen.“ Aha. Haben die Karten Augen, oder was? „Geleite mich doch ein Stück meines Lebensweges.“ Äh. Nein, Danke? Ich machte den Fehler, ihm in die Augen zu sehen. Sie wirkten wie leere Augenhöhlen. Ein Blick so fern, als wäre er nicht mehr unter uns, längst fort von hier, in einer anderen Zeit, in einem anderen Universum. Erneut erhob er seine prophetische Stimme. „Unheil droht.“ Erzähl mir was Neues. „Die Sonne wird brennen, von Schwärze gejagt. Blut wird fließen. Sei bereit. Das Opfer wird zum Täter.“ „O...kay? Und jetzt nochmal mit weniger obskurem Kauderwelsch?“, hob ich meine Augenbraue, beäugte den Blonden. Der gestörte Geister-Guru hüllte sich in Geheimnisse. Ein gespenstisches Schmunzeln auf seinen leichenblassen Lippen. „Vertraue auf das Auge der Karten...“ Sind wir hier bei den Illuminati? Wo sind die Alu-Hüte? Und die Reptilienmenschen-?   „Drake, angenehm“, grinste er mich aus spitzen Zähnen an, die er mit seiner gespaltenen Zunge entlangfuhr. Und- „Darf ich deine Seele fressen?“ -weg war ich. SOS, Mann über Borderline. Rette mich, wer kann! Niemand? War ja klar... Bei mir kommt jede Hilfe zu früh. ...Wie ich. Selbstverarschen kann ich.   Das zischelnde Schlurp-Geräusch, das die Drake-Snake mir hinterher warf, war echt gruselig. Nichts wie auf zum Notausgang! Noch so eine Begegnung und meine geistige Gesundheit sank tiefer als Laws entkoffeinierte Morgenlaune. Ich geb's ungern zu... aber ich vermiss den Mistkerl. Verdammt, und wie!   Keine Zeit für Sentimentalitäten – Das war Shachis Moorgebiet. Schleimig, jedoch Vitamin-D-reich. Im hinteren Teil des Saals, im Burgturm, gab es einen kleinen Balkon, den ich ansteuerte. Etwas frische Luft würde mir gut tun. Seufzend legte ich meine Ellenbogen auf dem steinernen Rund-Geländer ab, blickte zum verdeckten Himmel. Noch immer alles grau und trist, noch immer kein Licht in Sicht. Langsam gewöhnte ich mich an den Anblick, ohne es zu wollen. Tief atmete ich ein. Genoss den Duft von- Verbranntem?   Dem penetranten Geruch folgend, senkte ich meinen Blick, sah zum Garten herunter. Zu... Ace? Angestrengt kniff ich meine Augen zusammen, um die Figur zu erkennen. Diese saß unter dem Balkon in einem toten Winkel – der flackernde Schatten mit Cowboyhut-Umriss verriet ihn. Was er dort unten wohl macht? Flüchtig schaute ich zurück – zu den Gästen und der Feier, der ich nicht beiwohnen wollte – entschied mich dann zur Flucht nach Vorne. Kniend auf dem Balkon-Geländer, herabschauend, schluckend. In Filmen sah das immer so einfach aus. Shachi hatte den Sprung vom Dach auch geschafft – Da werde ich doch den vom Balkon im ersten Stock schaffen, richtig? Falsch.   Ich unterschätzte mein Unglück. Das echt einfallsreich war, wenn es darum ging, mir mein Leben zu erschweren. Beim Sprung verkeilte sich mein Stiefel am Geländer. So ungünstig, dass das Resultat dessen mein Baumeln kopfüber vom Balkon war. Sieht höchst bescheppert aus. Mit meinem Ächzen machte ich Ace auf mich aufmerksam. Dieser blickte zu mir rauf, prustete. Sehr hilfreich, Danke. „Sieht unbequem aus.“ Holmes. „Brauchst du Hilfe?“ Ich insistiere!   Das unangenehme Ziehen meines geklemmten Beins ließ mich die Zähne zusammenbeißen. „J-“, weiter kam ich nicht. Mein Fuß rutschte aus dem Schuh, gab mich frei für den Fall – Vor meinen Augen Ace, der mich auffing. Auffangen wollte. Stattdessen riss ich ihn mit mir zu Boden. Zwei Glückliche, eine Pechsträhne.   Ein doppeltes Plumpsen. Weich in die Wiese fallend. Er murrte, ich grummelte – Wir lachten. Warum? Weil wir es bei der hirnrissigen Situation irgendwie geschafft hatten, unsere Mützen zu tauschen. So blickte ich einem Ace mit Penguin-Mütze entgegen – Er einem Peng mit Cowboyhut. Nachdem wir uns beruhigt hatten, unsere Kopfbedeckungen wieder bei ihrem Besitzer, schaute ich auf den Brandfleck im Boden. Asche, aus der noch ein Schnipsel erkennbar war. Der Pyromane hatte ein Papier gezündelt. Beweisvernichtung?   In der Hocke sitzend sah Ace zu mir, legte grinsend seinen Cowboyhut schief. „Pssst – Erzähl keinem davon, ja?“ Seine sympathische Ausstrahlung brachte mich dazu, automatisch zu nicken. Verdammte Neugier. „Von was?“ Lässig schnipste er seinen Hut von hinten über seine Augen, bedeckte sie. „Marco...“, sprach er den Namen langsam und gefühlvoll aus, „hat mir einen geheimen Brief geschrieben.“ Ein Brief? Doch nicht etwa- „Ein Liebesbrief?“   Ein angetanes Seufzen verließ seine Lippen. Langsam glitten seine Mundwinkel auseinander, über seine Sommersprossen zog sich etwas Offen-Verschwiegenes. Ein eindeutiges Ja! Ace' Schultern sackten abwärts. „Vielleicht war ich doch zu hart zu ihm.“ Etwas Freches fand seine schmunzelnden Lippen. „Nee, er war härter zu mir-“ „Stopp, zu viel Offenheit!“, verzog ich mein Gesicht belustigt, der unabsichtlichen Zweideutigkeit wegen. „Zurück zu dem Brief. Du solltest ihn vernichten?“   „Jop“, fuhr er sich verlegen über den Nacken. „Das mit uns... was auch immer es ist... darf nicht rauskommen.“ Ich mimte einen Reißverschluss, den ich über meinem Mund zuzog. „Ich bin eh der introvertierte Griesgram-Typ – von mir erfährt keiner was.“ „Danke“, atmete er erleichtert aus; „Luffy würde mich mit Fragen löchern... und Sabo“, blichen seine Gesichtszüge, „die Salzletten-Folter! Bloß nich!“ O-kay? Sich schüttelnd strich er sich über den tätowierten Oberarm, vertrieb den Gedanken.   In seine braune Augen kehrte Wärme, glühte von innen heraus. „Marco und ich treffen uns gleich im Keller“, fahrig kratzte er sich an der sommersprossigen Wange, „Hehe, bin ich aufgeregt!“ Ace wirkte... glücklich. Ich freute mich ehrlich für ihn. Sacht klopfte ich ihm auf die Schulter. „Du schaffst das schon!“ Aufbauende Worte, die echt positiv klingen? Was ist mit meinem inneren Pessimisten passiert? Vermisstenanzeige ist raus! Grinsend zog ich meinen Kappenschirm tief und verabschiedete mich mit einem; „sei Feuer für deine Flamme!“ - dem peinlichsten Spruch, den ich je gerissen hatte. Fremdscham pur.   Freundschaften lagen mir noch nie. Ich war einfach kein Kumpel-Typ. Ich war die Art Mensch, die auf die Party eingeladen wurde, um sich zu blamieren, damit die anderen was zu lachen hatten. Ah, da ist er wieder, mein Schwarzmaler. Einer muss mich ja nieder machen-   „Ich werde für ihn brennen!“, rief mir Ace begeistert hinterher. Aufrichtig über meinen schäbigen Spruch lachend. Oh nein. Habe ich einen... Freund gewonnen? Ja. Leider. Ja, das habe ich.   „Oh Dear...“, seufzte jemand vom Balkon aus, zu dem ich hochschaute. Sabo lehnte mit dem Unterrücken gegen das Geländer, blickte auf den gehenden Ace, teils belustigt, teils verträumt. Das Minzgrün seiner Augen flimmerte warm. „Ace ist so ein liebenswerter Schussel, ich könnte mich sofort ihn ihn verlieben.“ Das grüne Feuer glühte. „Erneut.“   Das Schmunzeln seiner Lippen vertiefte die kleinen Grübchen, die Sabos freundlichen Charakter unterstrichen. Auch ich schaute Ace kurz hinterher, dachte laut. „Wer mag ihn nicht?“ Als ich wieder aufsah, wirkten Sabos Augen ausgekühlt. Ebenso seine Stimme, die etwas Hartes, zugleich Schützendes barg. Ein Wort, das so viel Tiefe besaß; „Er.“ Ich wollte nicht nachfragen, doch schien es mir im Gesicht zu stehen, das der Psychologe lesen konnte. Ein kurzes Zögern, mitsamt analytischem Mustern, ehe er mir leise sprechend anvertraute; „Ace' Geburtstrauma blockiert seine Selbstliebe. Ohne, dass er es selbst wahrnimmt.“ Was auch immer das bedeutet; Es klingt traurig, wirklich traurig.   Plötzlich platzte jemand zu uns, der auf Sabos Rücken sprang und seine Gliedmaßen um ihn klammerte, umarmend. „Darum ist es umso wichtiger, dass wir unser Essen mit Ace teilen!“, strahlte Luffy. Sabo wuschelte ihm über den schwarzen Haarschopf. „Ganz genau. Wir gleichen einander aus.“ Der weiche Stimmklang nahm etwas Revolutionäres an, als er therapeutisch fortfuhr; „Kleine Gesten der Liebe und Wertschätzung werden im Kurzzeitgedächtnis gespeichert und durch regelmäßiges Wiederholen im Langzeitgedächtnis aufgenommen. Gut aufgepasst – obwohl du bei den meisten Sitzungen entweder schläfst oder isst... oder beides.“ Luffys glockenhelles Lachen erklang, ehe er sich von hinten an seinen Bruder kuschelte. Sabo kraulte ihm weiter durchs Haar, als er mir erklärte; „Marco, Ace' Psychologe, ist als Einziger durch Ace' inneren Feuerwall gedrungen. Hat das geschafft, was wir seit Jahren versuchen...“ „Deswegen“, nahm die Wärme seiner Stimme an Hitze zu, entflammte im Beschützerinstinkt, „hoffe ich für Marco, dass er ihn glücklich macht. Wenn nicht...“, ließ er seine Worte ins Leere laufen, zu Asche werden. Ein schauerliches Murmeln, nur für ihn hörbar, fröstelte mich. Luffy schlug seine Faust in seine Handfläche. „Wenn nicht, trete ich Ananas in den Arsch!“   Mir entkam ein leises Lachen, das schnell erstickt wurde. Von Sabos Blick. „Hey, sagt mal“, tippte er nachdenklich den Zeigefinger auf den Hutrand seines schwarzen Zylinders. Etwas Wissendes in seinen Augen, die zwischen Luffy und mir hin und her funkten. „Wisst ihr, wo meine Salzletten-“ „Ich weiß von gar nichts!“, posaunte der Übeltäter, der sich den Mund zuhielt. Dann unschuldig pfiff. „Was sind Salzletten?“ Sabo besah ihn mit einem Blick, der mich daran erinnerte, dass ich ganz schnell irgendwohin musste. „Nun, Luffy“, nahm Sabo sich Zeit, viel Zeit. Sadist. „Lass uns nochmals das Thema 'natürliche Antidepressiva' in Verbindung mit Essverhaltensstörung aufgreifen, wollen wir?“ Luffys gequälter Ausdruck zwischen Ich-hab-Hunger und Ich-schlaf-gleich-ein, war das Letzte, was ich vorerst von ihm sah.   Allein der komplexe Satz war einschläfernd. Plötzlich fühlte ich mich noch viel müder, als ohnehin schon. Immerhin konnte ich mich aus der Salzletten-Affäre ziehen. Warum eigentlich immer die? Und hatte erfolgreich soziale Interaktionen überlebt. Darauf geh ich einen heben! ...Einen Kaffee. Wie lange war ich eigentlich wach? Welche Tageszeit hatten wir? Und welcher Tag? Hier war alles so verschoben und wirr, dass meine innere Uhr sich stetig umstellte – Ich war einer von ihnen geworden. Ich tickte nicht mehr richtig. Und es machte mir gar nichts mehr aus. Was stimmte mit mir nicht? … Selbst die Frage war irrsinnig geworden.   Ich spielte Zivilist, zeigte mich zivilisiert und nahm den Vordereingang zum Anwesen. Den Vorgarten einmal umrundet, jede weitere soziale Interaktion umgangen, atmete ich einmal durch, bevor ich die hölzerne Doppeltür aufstieß. Im Herrenhaus herrschte noch immer reges Durcheinander. Ein Wirrwarr aus Geräuschen, Lärm und Feierstimmung, selbst vom Foyer aus deutlich hörbar. Zu laut, zu nervig. Zombie-mäßig schlurfte ich Richtung zweitem Stock, wo jemand auf mich wartete. Ich hatte schließlich eine Verabredung! In der Angestelltenküche sah ich sie, lächelte ihr verträumt zu und rannte ihr wie in Zeitlupe eines kitschigen Wiedersehens entgegen. Hätte sie sogar in die Arme genommen, wäre sie nicht so verbittert – Die Espressomaschine.   „Sie ist defekt.“   So zerplatzte mein Traum in Schwarz. Nicht nur das; jemand hatte mich in der peinlichsten Liebesschnulze meines Lebens beobachtet. Und ich wurde eiskalt unbefriedigt von ihr sitzen gelassen!   Innerlich mein Glück verfluchend, sackte ich auf den Stuhl am Küchentisch, auf dem noch immer die Kanne mit einem eingravierten Phönix stand. Darauf falle ich nicht nochmal rein! Einmal 'Ace Spezial' hat mir gereicht! Seufzend fuhr ich mir durchs Haar, während mir der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee in die Nase stieg. Halluziniere ich mir eben Coffein – Placebo mal anders- „Hier bitte“, reichte er mir die Tasse, auf die ich schaute. Jetzt bloß nicht blinzeln, bevor die Illusion weg ist! Eilig nahm ich das Getränk, umklammerte es fest. Meins! Nach dem ersten Schluck drehte ich mich zur Seite, blickte zu dem Blonden am anderen Tischende. Sein dauermüder Blick war meiner Muffel-Müdigkeit sympathisch. „Danke.“ „Yoi, keine Ursache“, wank er ab, legte die gelesene Zeitung weg, auf den Tisch ausgebreitet, und trank von seiner eigenen Tasse. Die verdächtig nach einem gewissen Spezialtrank riecht.   „Mieser Tag?“, fragte er brüderlich, begann ein Gespräch, wirkte dabei nicht bedrängend, schielte nebensächlich über den Rand seiner Lesebrille vom bedruckten Viereck zu mir. Eine offene Einladung zu einem Dialog. Mein Blick sank in meine Tasse. „Mieses Leben...“ „Ein Miesepeter, verstehe“, hoben sich seine feinen Mundwinkel. In seinen Azurblauen Augen blitzte etwas Schelmisches, das ihn jünger wirken ließ. „Mir wird nachgesagt, ich sei selbst einer.“ Ein kurzes Schweigen, angenehmer Art. Ein ruhiger Zeitgenosse, gut tuend nach all der Hektik. Das Klacken seiner abgestellten Tasse mit Yin und Yang Feuer-Zeichen in Blau und Rot-Flammen, dann erklang erneut seine geruhsame Stimme. „Manch einer zieht den schwarzen Peter, ein anderer den Joker... und wieder ein anderer das Pik-Ass.“ Azurblau leuchtete in Himmelfarben auf. „Thatch sagt zwar, der Junge habe sich in mein Leben gecheatet, aber von so Gaming-Kram versteht ein Retro-Klassiker wie ich eh nichts...“   Es rutschte mir so raus. „Wie alt-?“ Das Schmunzeln seiner Lippen gefror zu etwas, das im starken Kontrast zu seinen feurigen Raubvogel-Augen stand. Gefährliches Gebiet betreten. Rückzug! Respawn vom letzten Checkpoint! „...ist die Zeitung?“, zeigte ich auf das graue Papier, das meine ausweichenden Augen hoch interessiert anstarrten. Auf ihr abgebildet war ein großes Bild von zwei Männern, die Arm in Arm dastanden, breit grinsend. Statt in die Kamera zu sehen, lachten die beiden sich mit rivalisierten Blicken an und rauften sich mit den freien Händen. Im Hintergrund zu sehen; ein verblichener Ananas-Kopf eines unkenntlichen Jungen auf Seiten des ersten Schnurrbart-Trägers und auf der Seite des anderen ein Jugendlicher mit Strohhut, der Schokolade aß. Der Hut kommt mir verdammt bekannt vor...   „Wie alt sie ist?“, wiederholte er mit sanftem Stimmton, ehe sich ein liebendes Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. „Die Erinnerung ist ewig. Legenden altern nicht, sie verankern. Im Heimathafen der Familie.“   Fühlbar versteckte sich so viel mehr hinter seinen Worten, deren Tiefe nur ihm selbst bekannt war. Ein betretenes Schweigen entstand, als wir beide den alten Artikel der Zeitung betrachteten, deren Unterschrift längst unleserlich. Aber in Erinnerung gehalten. Die Ruhe hielt an, bis zum Rascheln der Zeitung, die er zusammenfaltete. Er suchte sich eine bequemere Sitzpose, legte seinen Fußknöchel auf dem Knie ab, stützte seinen Ellenbogen auf den Tisch und bettete sein Kinn auf seine Handfläche. Mit leicht gekippten Kopf, hob er freundlich einen Mundwinkel sowie eine geschwungene Augenbraue. Ein offenherziges Nicken in meine Richtung. „Wir haben uns noch nicht vorgestellt – Ich bin Marco.“   „Peng-“, wollte ich sagen, doch jeder Buchstabe blieb mir im Hals stecken. Marco? Der Marco? Es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht, aus dem jegliche Farbe wich. Mein Mund staubtrocken, kein Wort bekam ich mehr raus, mein Puls beschleunigte um ein Vielfaches, mein Körper zitterte schockartig. Der Marco... Der mit Ace vor zu-vielen Minuten im Keller verabredet war-!?   K.l.i.r.r. Mein Stuhl gab ein grässlich quietschendes Scheppern von sich. Laut zersprang meine Kaffeetasse, die mit auf den Boden aufschlug. Noch ehe das splitternde Geräusch erklang, war ich aus der Tür raus – so schnell mich meine Beine trugen. Ich hab ein ungutes Gefühl, ein ganz mieses! Bitte lass mich falsch liegen, nur dieses Mal!   Bitte nicht... Nicht Ace.   Mein Körper stand unter Schockstrom, agierte ohne nachzudenken, preschte durch die Gänge des Herrenhauses. Rennen, einfach rennen, weiter, schneller! Ich hätte jemandem Bescheid sagen sollen, hätte Marco mitnehmen sollen, Sabo oder Luffy aufsuchen sollen – konnte nicht sprechen, nichts Vernünftiges mehr tun, weil mir die panische Angst meine Brust zuschnürte und dunkle Sorgengedanken mir alle möglichen Horrorbilder vorspielten. Ich will ihn verdammt nochmal nicht verlieren! Dabei habe ich ihn gerade erst als Freund gewonnen... Jegliches, was um mich geschah, raste im schnellen Zeitraffen an mir vorbei. Im Tunnelblick drehte sich die verfinsternde Welt, durch die ich hetzte. Meine abgehakten Atemgeräusche gingen im Vakuum der leeren Hülle unter, die mein Körper angenommen hatte. Einzig das Adrenalin füllte mich, mein fauchendes Blut, das mir in den Ohren rauschte.   Endlich! Endlich erreichte ich die Bodenluke im Vorgarten. Meine zittrigen Hände rammten den Schlüssel ins Schloss, rissen die Klappe auf, ich stürzte in sie, jagte stolpernd durch die Kellerflure, was mir viel zu lang vorkam. Komm schon! Los, schneller! S c h n e l l e r!!   Ace... Bitte sei wohlauf.   Bitte!, schlitterte ich strauchelnd um die Ecke zum Behandlungstrakt, hielt mich an der Wand fest und- war... zu spät. Mein Bitten wurde nicht erhört. Es tut mir leid. Das, was sich vor meinen panischen Augen abspielte, war so viel schlimmer, als all die Horrorvorstellungen, die mein Kopf mir zuvor noch einredete. So viel bitterer. Die Realität war unermesslich grausam. Reiner Psychoterror.   „Zehaha!!“   Teach schlug das Beil in Ace. Nie hatte ich ein ekelhafteres Geräusch gehört als dieses. Die Klinge, die das Fleisch durchbrach, bis zum Knochen, gegen den es kratzte. Knirschend. Das zerstörte mich. Seelisch. In Zeitlupe klackten die roten Kugeln der Perlenkette auf Steinboden, schlugen einzeln auf, mitsamt Ace. Benommen, ramponiert, ausgeglüht. Wie lange haben sie gegeneinander gekämpft? Die klaffende Wunde in seinem Oberschenkel, aus der die rote Flüssigkeit pulsierte. Alles andere schien für mich farblos. Leer, dumpf, grau.   Tu etwas. Beweg dich, Peng. So tu doch was!!   Teachs Augen, eine Masse aus schwarzem Teer, saugten Ace' Leid in sich auf. Abartig leckte er sich über die fauligen Zähne, gab unmenschliche Laute von sich, ähnlich einem geifernden Grunzen. Suhlte sich in seiner ehrlosen Perversität. Das lückige Grinsen fraß sich in seinen Schmutz-schwarzen Bart. Erneut hob er das Schlachterbeil, holte aus- und ich wuchtete mich auf ihn. Rammte ihn. Mit vollem Körpereinsatz, aller Kraft, aller Gefühlsgewalt. Als wäre ich nicht ich, der Raserei verfallen, fiel ich über ihn her, wollte das Schwein von Ace wegzerren, egal wie! Meine Gliedmaßen verkeilten sich an seinem massigen Korpus. Mit aller Macht krallte ich mich in seinen haarigen Arm, biss wild geworden in seine bewaffnete Hand und- wurde mit voller Wucht weggeschleudert.   Weit weg. In eine Tür, gegen deren Rahmen ich knallte. Bevor ich auch nur irgendwie reagieren konnte, spürte ich seinen Stahlkappenstiefel, der mich gewaltsam in den Raum schmetterte. Die Kollision von Stahl mit meinem Magen ließ mich hustend Speichel spucken. Mehrmals überschlug sich mein Körper, rollte über den Boden, bis ich von etwas Hartem ausgebremst wurde. Mein Rücken knackte dagegen. Eine Wand? Keuchend rutschte ich zu Boden, öffnete meine zugekniffenen Augen. Vor ihnen schwebten mehrere Poster, die sich von der Wand gelöst hatten, hinter ihnen das bösartige Grinsen Teachs, der die Tür zuschlug. Sein gehobenes Beil. Blonde Haare. Die Türverriegelung hörbar. Ich eingesperrt.   „Ver- Verdammt!“, schrie ich ächzend, schlug meine Faust neben mich, hielt mir meinen Bauch. Keine Zeit für Selbstmitleid. Gehetzt versuchte ich aufzustehen, stützte mich mit dem geschrammten Handballen auf, der unter mir nachgab. Mein Arm, der wegknickte. Wieder kämpfe ich mich auf, rutschte ab, wieder und wieder – vergebens. Ich konnte mich nicht rühren, fühlte mich plötzlich bleiern schwer. Etwas hielt mich am Boden, als würden unsichtbare Mächte wirken, mich an Ort und Stelle halten. Nicht jetzt! Das kann ich gerade echt nicht gebrauchen! Ace! Ich muss ihn-   „Retten?“, lachte mich die Stimme aus – meine Stimme. „Du kannst nicht einmal dir selbst helfen.“ Langsam sah ich auf, blickte ihm entgegen. Mir. Meinem Spiegelbild. Einer Vielzahl dessen mit unterschiedlichster Mimik. Allesamt unheimlich. Ihre Gesichter verdunkelt, geschwärzt, schattenhaft.   „Wie armselig du bist“, höhnte einer. „Schwach, nichtsnutzig, wertlos.“ Ein anderer prangerte mich an. „Sitzt hier tatenlos herum, während ein F r e u n d von dir abgeschlachtet wird.“ „Sag... genießt du seine Qual?“, kicherte der Nächste. „Hast gern zugesehen? Dich dadurch besser gefühlt?“ „Nein!“, fauchte ich, versuchte von den Spiegeln wegzusehen – aber sie waren überall. „Nein... Nein... Nein...“, ahmten sie mich spöttisch nach. „Warum hast du dann nicht früher eingegriffen? Hast niemandem Bescheid gesagt?“ „Wolltest du etwa wieder Held spielen? Dein Ego pushen? Wieder und wieder scheitern...“   Ein grässliches Lachen hallte vielfach durch den Raum, ließ mir fast die Ohren bluten. „Sieh dich an. Sie uns an. Verglichen mit uns bist du ein n i c h t s.“ „Wäre es nicht besser, wenn du gehst? Für immer?“ Die Schatten verfinsterten. „Gib uns deinen Körper. Lass ihn uns übernehmen.“ Süß tropfte die Bitternis in meine Brust. „Es wird kaum weh tun... wird ganz schnell gehen.“ Es schrie. „Gib ihn uns!“ „Wir sind ein besseres Du-!“   Mein Herz schlug. Schlug zu. Markerschütterndes Klirren. Mein Gesicht zersplitterte – Alle Spiegel zerbrachen.   Nur ich blieb ganz. Weil ich längst kaputt war.   Ein hohes Brüllen ließ mich zur aufgerissenen Tür sehen. „M-Meine Spiegel! Was... hast du getan?“   Ich? Ich habe gar nichts- Erschüttert sah ich auf den Baseballschläger in meiner Hand. Kleine Splitter steckten im Holz der Waffe, die ich zittrig umklammerte. W-Woher...? Ich habe..., zuckte mein Blick unruhig über die zertrümmerten Spiegel, ...habe die Kontrolle verloren. Der Schläger schepperte zu Boden, wo er liegen blieb. Endlos verwirrt starrte ich zu Barto, der an mir vorbei hetzte, sich auf die Knie stürzte, zu den Postern seines Idols. „Du... Du hast... Hast!“ „Tut mir-!“, setzte ich an, wurde von seinem Schluchzen unterbrochen. „Hast sie unversehrt gelassen. Alle, dabe!“   Der Kerl verfiel seiner besessenen Trance, blendete alles um sich aus, himmelte seinen Senpai an. Meine Chance, mich zu verziehen und meinen Fehler wiedergutzumachen. Ich wollte kein Held sein – sondern ein Freund. Was auch immer in Bartos Zelle passiert war, darüber konnte ich mir später noch Gedanken machen. Meine Sorge um Ace machte alles andere nichtig. Bitte... lass es nicht noch schlimmer geworden sein. Noch immer viel zu aufgewühlt, eilte ich von dem Zellenabteil zum Behandlungstrakt.   Blut. Ace'? Die Teller-große Lache befand sich am vorherigen Kampfplatz. Einiges Blut war bereits im Steinboden eingesickert, anderes angetrocknet. Daneben verwischte das Rot stark, in einer Spur. Als wäre jemand über den Boden geschleift worden. Sorge und Angst mischten sich zu einer unaufhaltsamen Panik. Ich atmete viel zu schnell, konnte mich nicht beruhigen, musste weiter. Musste zu Ace, bevor es zu spät war. Bevor... Was, wenn-? Abrupt biss ich mir auf die Unterlippe – einmal fest, um bei Klarheit zu bleiben. Dann folgte ich der Blutspur. Sie führte mich tiefer in den Behandlungstrakt. In die Dunkelheit. Noch tiefer. . . . In den Folterkeller.   Was ich dort sah, konnte ich nicht verarbeiten. Unmöglich. Ich fand Ace nicht. Jedoch dessen Peiniger. ...Der selbst zum Gepeinigten wurde. Opfer eines noch schlimmeren Psychopathen.   Teach, der auf der Folterbank lag. Killer, der die Sense hielt. Die Maske abgelegt, seine blonden Haare zu einem Zopf gebunden, im japanischen Stil – Warum, wusste nur er selbst. Als seine blauen Augen mich erfassten, jagte ein eisiges Schaudern meinen Rücken herab. In seinem Blick glimmte die Glut des Fegefeuers. Dämonisch. Killers klirrende Stimme klang wie das Einritzen einer Grabaufschrift.   „Willst du zusehen?“ Ein schauerliches Schnurren. „Sehen, wie ich ihm das Leben nehme?“   Die Frage klang so surreal. Wie sollte man darauf antworten? Es gab keine richtige Antwort. Selbst mein Schweigen war falsch. Die gesamte Situation war unwirklich und absurd.   Ich floh in meine Gedankenwelt. Dort, wo ich mich sicher glaubte. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte ich nicht wahrhaben, dass Killer ein Mörder war. So sah ich ihn nicht, hatte meine eigene Besser-Vorstellung von ihm. Die Wahrheit zu erfahren, erschütterte mein Herz in dessen Grundmauern. Gerade, als ich begonnen habe, ihn... zu... mögen.   Meine Augen konnten nicht aufhören, ihn anzustarren. Leeren Blicks, vollen Gefühls. Es fühlte sich an, als würde ich ihn erstmals in all seiner Dunkelheit erblicken. Hinter Killer prangte sein Schatten, so groß, dass er sich über die Wand des Folterkellers ausbreitete. Ich bildete mir ein, dass der Schemen grinste. Die schattenhafte Schwärze verzerrte im Kerzenschein der alten Leuchter zu einer grässlichen Gestalt. Ist das der echte Killer?   Lautlosen Schrittes schlich er um die Folterbank, belauerte sein bewusstloses Opfer. Beiläufig begann er zu erzählen, seine Stimme fern wirkend, in dunklen Erinnerungen. „Damals, im Krieg...“ Etwas Wahnsinniges fand in seine Nachtschatten-blauen Augen. „Kira hat mir all seine Erinnerungen daran gegeben. An jeden einzelnen, den er umbrachte.“ Ein skrupelloses Lächeln auf seinen Lippen. „Machte sich zum Heiligen und mich zum Dämon. Erleichterte sein Gewissen, vergaß alles, ließ mich allein mit diesem unbändigen Gefühl der Leere...“   Heißt das... eigentlich ist Kira der Mörder? Sind sie es beide? Vermischen sich ihre Wesen? Verdammt... ich bin so verwirrt.   „Du kennst es, nicht wahr?“, fragte er mich wissend. „Die immerwährende Suche nach etwas, was die Leere füllt...“ Ich kenne es... zu gut. Wir antworteten zeitgleich; „Leben./Tod.“ Zwei Scherben eines Spiegels.   Ein gurgelndes Husten. Teach. „Scheiße, brummt mir der Schädel“, krächzte er, wollte sich ebendiesen halten – konnte es durch die Fesseln nicht, an denen er stattdessen rüttelte. „Was soll der Dreck?!“ Brüllend und fluchend sah er sich um, bis er mich entdeckte. „Du?“, spie er verächtlich, „Zehaha, du kleiner mieser Hurens-“ Schmerzverzerrt jaulte er auf. Ein Schraubenzieher löcherte seine Hand. Erst dann bemerkte Teach seinen wahren Peiniger.   Killer lehnte sich mit seinem Gewicht auf den Griff des Schraubenziehers, der sich dadurch tiefer in die haarige Hand bohrte. Killers Stimme schnitt in Teachs Schrei. „Dürfte ich um ihre Aufmerksamkeit bitten, Mister Metzgermeister?“, untermalte er Teachs Titel mit Herablassung und Abscheu, wandelnd in einen furchterregenden Stimmton der Erhabenheit. „Killer, der Foltermeister. Es ist mir ein Vergnügen.“   Ruckartig zog er das Werkzeug aus der Hand, in der ein pulsierendes Loch blieb. Was sehe ich mir hier an? Ich werde Zeuge einer grausamen Straftat. Ich will das nicht! „Hör auf...“, klang meine verschreckte Stimme viel zu schwach. Die surreale Verkettung überforderte mich. Kein Gedanke mehr greifbar, zu nichts fähig. „Tu das nicht...“ Wen ich meinte und mit wem ich redete, war mir selbst nicht klar. Ich muss Killer aufhalten. Muss...   Teach bemerkte meinen inneren Zwiespalt, grinste Blut aus Zahnlücken. „Hey, steh nich blöd rum! Hilf mir“, befahl er barsch, „du sollst mich retten!“, wurde er lauter, weil ich nicht reagierte. „Bist du taub!?“ Ich... kann nicht... Ein scharfes Geräusch kratzte durch die dichte Atmosphäre. Im Hintergrund war das Schleifen von Killers Klinge zu hören. Teach wich alle Farbe aus dem Gesicht. Panisch zappelte er auf dem Tisch, riss seinen Kopf hin und her, versuchte sich loszureißen, sein Blick unruhig vor Todesangst. Die Härte seiner Stimme wich Verzweiflung. „Ich geb dir Geld, viel Geld!“ Das... nein... „Jeder ist käuflich!“, lachte er geisteskrank, „Wie viel kostest du, Pen-“ Erstickt von der dreckigen Metzgerschürze, die ihm grob in den Mund geschoben wurde.   „Schweig still“, zischte Killer ungehalten, in Todeskälte, „beschmutze seinen Namen nicht mit deinem Leichen-Atem.“   In einer Gelassenheit, die absolut unpassend zu dieser abstrakten Situation war, strich Killer weiter den Schleifstein über sein Jagdmesser. Ein gleichmäßiges Geräusch schrillte durch den Steinkeller. Killers Blick ruhte auf einer der wild flackernden Kerzen, die seinen verzerrten Schatten an der Wand tanzen ließ. In Apathie erklang seine Stimme. „Marshall D. Teach hat über einhundert Haustiere und neunzehn Menschen auf dem Gewissen“, legte er den Schleifstein weg, „auf grausamste Weise gequält und getötet.“ Nebensächlich nahm er sich eine Spritze, die er aufzog. „Ace sollte der Nächste sein.“ Die gleiche violette Ampulle, die auch Law an Kid nutzen wollte. „Wie viele Opfer soll es noch geben?“ Teachs panischen Augen fixierten die Spritze. Er schien zu wissen, was sie tat. Killers Blick griff nach mir. „Würde ich der Menschheit nicht einen Gefallen tun?“   I-Ich... keine Ahnung. Weiß es nicht. Nichts mehr. Ich konnte nur zusehen. Nicht einmal wegsehen. Mein Kopf war leer. Und doch so voll von Dingen, die ich nicht zu fassen bekam. Was soll ich bloß tun? Das Richtige wäre Hilfe zu holen... oder? Das Dunkel in mir lächelte. Teach hat es verdient. Ich erschrak vor mir selbst. Nein, das... Töten war falsch. Moralisch absolut verwerflich. Es gab keine Bedingungen, die es besser machten. Mord ist Mord. Ein Leben war ein Leben. Es sollte keine Wertmessung geben. Niemand hatte das Recht es zu nehmen. Keiner verdiente den Tod. Nicht so! Objektiv betrachtet. Ich war auch nur ein Mensch. Gefühlvoll, manipulierbar... Hätte ich zwischen Teach und Ace wählen müssen, wer von ihnen starb, dann- Nein! So etwas kann und will ich nicht entscheiden.   „Sorge dich nicht“, Killers summende Stimme besaß etwas furchtbar Beruhigendes. „Ich nehme dir die Entscheidung ab. Dich trifft keine Schuld. Ich bin es, der sich die Schuld auferlegt... Ich übernehme die Bürde des Sündenbocks, der die Drecksarbeit erledigt.“ Es klang so endgültig. Aus Erfahrung. Wie oft hatte er...?   Endlich bewegten sich meine Stimmbänder. „D-Das ist es nicht“, viel zu schwach meine verschreckte Stimme, „der Tod... Er ist-“ „Befreiend“, endete Killer. „Die Bösen bekommen ihn zugeteilt, die Leidenden begrüßen ihn... Für sie ist es eine Befreiung. Willst du etwa sagen, dass niemand verdient hat, frei zu sein?“ „N-Nein, ich...“ Verwirr mich nicht noch mehr. Es ergibt Sinn... ist zeitgleich so sinnlos...   Mehrmals hallten seine Worte in meinem Kopf wider. Zusammen mit Bildern von ihm – ihm, wie ich ihn sah – mit jeder Momentaufnahme entschleunigte sich mein rapider Herzschlag. Schließlich blickte ich ihn fest in seine blinden Augen. Entschlossen. „Was ist mit dir? Hast du es nicht auch verdient? Frei zu sein... frei von Schuld.“ Einer seiner Mundwinkel glitt in die Höhe, seine Lippen verformt zu einem bittersüßen Schmunzeln. Die Antwort blieb er mir schuldig. Absichtlich? Erlegt er sich Schuld auf, um sich gebraucht zu fühlen? Begleicht er eine endlose Schuld mit besagter 'Drecksarbeit'? ...Was zu noch mehr Bürde führt. Eine Schuldschleife?   Ich fragte ihn freiheraus: „Was für ein Mörder bist du?“   Etwas blitzte im Dunkel seiner Augen. Etwas Heimliches. „Welche Art von Mörder ich bin?“, klang er höchst erfreut. In einer Hand die aufgezogene Spritze, in der anderen das Messer, fand ein furchteinflößend mächtiger Ausdruck in seinen Blick. „Sieh mir zu... und lerne mich kennen.“   Die Nadel in die Haut gestoßen, die violette Flüssigkeit injiziert. Teach zappelte vergebens. Nicht mehr lange. Spastisch zuckte sein Körper noch ein paar Mal, dann lähmte er. Seine Augen blieben weit geöffnet. Killer legte die Spritze weg. Mit einem leisen Klirren landete sie auf dem kleinen Rolltisch. „Das Serum lässt ihn in Starre fallen. Einer Art Wachtrance, in der er alles mitbekommt... intensiver.“ Er nahm das Messer und setzte es an Teachs rechten Daumen an. „Und wir haben unsere Ruhe.“ Ich konnte nicht hinsehen, mein Blick zuckte weg. So laut hörte ich das dumpfe Klopf-Geräusch von einer Klinge, die auf Holz traf. Und etwas Leichterem, das von der Folterbank rollte. Was das war, wollte ich mir nicht einmal denken. Ein eisenhaltiger Geruch kam auf. Meine Augen suchten nach Halt, fanden ihn. Nachtstill. All meine Aufmerksamkeit blieb auf Killer. Seine machtvolle Ausstrahlung war beherrscht und tröstlich. Vielleicht war auch ich der Kranke geworden.   In sachlicher Nüchternheit erzählte Killer weiter. „Mit diesem Daumen hat er fünf seiner Opfer die Luftröhre zerquetscht.“ In einer pfeilschnellen Bewegung schnitt er Teach die rechte Achillessehne durch. „Mit diesem Fuß hat er einer Schwangeren das Kind genommen.“ Der nächste Schnitt trennte Teachs linkes Ohr von seinem Kopf. „Mit ihnen hat er sich an den Schreien seiner Opfer aufgegeilt... und sich daran befriedigt. Während sie starben.“   Ich konnte nicht mehr hinhören. Wellen des Ekels überkamen mich. Meine Psyche zu schwach, um all das zu ertragen. So verlockend die Ohnmacht, so nah, der Schutzimpuls der Ablehnung. Wo einst die Panik, nur noch das dumpfe Gefühl der Schutzmauer, die sich um meine leidende Seele legte. Einzig Killers Augen, die mich allzeit betrachteten, hielten mich bei Bewusstsein. In ihnen etwas Beschützendes. Etwas, was die Scherben meiner Psyche auffing. Mein Mosaik aus schwarzen Farbtönen, dem er Licht gab. Schwarzlicht.   Jedes Licht braucht seinen Schatten – Jeder Schatten braucht sein Licht.   In meinem Tunnelblick existierte nur er. Er, wie er mir die Dunkelheit spendete, die ich brauchte, um mich in ihr zu flüchten. Um wegzusehen. Bei Verstand zu bleiben. Etwas funkte in meiner Erinnerung. Kiras Trigger – 'bleib' – der Killer hervorrief. Die Dunkelheit, die Kira heilte. Die ihn schützte. Und ich verstand. Verstand, warum Killer so wichtig für Kira war – und wie beide geheilt werden konnten. Dafür braucht es-   „Kommen wir nun zum Grande Finale~“, summte Killer vergnügt. Doch weniger ergötzend an seinem Tun, als ich erwartet hatte. Im Gegenteil, der Ausdruck in seinen kalten Augen war abgestumpft. Er tat dies nicht aus Vergnügen, nicht zum Spaß. Die Stille um uns wallte in düsteren Unruhen auf. Wie ein Sturm, der im Still wütete – mit Killer als einzigen Ruhepol.   Mein Bild von ihm änderte sich. Drastisch. Die neue Seite, die ich von ihm kennenlernen, war zum Fürchten. Der wahre Killer. Und doch.... Die Furcht, die ich spürte... war Ehrfurcht. In jenem Moment, als er seine Sense nahm, wirkte er auf mich wie ein Todesgott. Übermächtig, furchteinflößend, unbezwingbar. Wie er sein Wertvollstes hielt, mit größtem Feingefühl, geschwungen im flüsternden Wind, der uns beiwohnte.   Nun war es soweit. Jetzt würde er ihn umbringen. Erschreckend, wie schnell, gar einfach es war, das zu tun. Die moralische Grenze zu überschreiten, seine inneren Dämonen ans Tageslicht zu bringen, sich dem Bösen zuzuwenden. Ist Killer böse? Ist dies noch von Bedeutung?   Die geschwungene Sense von ihrem Meister geführt, ausholend... „Welche Art von Mörder ich bin?“ ...schlug zu. Dorthin, wo Teach Ace verletzte. Rechter Oberschenkel.   Und Teach schrie. Vom Schmerzblitz getroffen, richtete sich sein beschädigter Körper auf. So ruckartig, dass er vom Tisch krachte. Killer hat... seine Fesseln gelöst?! Wann? Killers Hauch des Todes wehte über seine Lippen. Nur vier Buchstaben, die ausdrucksvoller nicht sein konnten. „L a u f.“ In Todesangst und Panik kroch Teach über den Boden, in Richtung Treppe, versuchte aufzustehen, knickte um, robbte die Stufen nach oben, hinterließ Mengen an Blut. Der erbärmliche Anblick, den er abgab, war für mein mitfühlendes Herz zu viel. Wieder sah ich weg. Schämte mich dafür. Meine Psyche fühlte sich misshandelt von den Ereignissen, die sie nicht halten konnte.   Killer beobachtete Teach mit stumpfen Blick. „Er kann es zur Krankenstation schaffen, bevor er verblutet“, sprach er seinen Gedanken aus, wandte sich dann vollends an mich. Sein Stimmton nahm etwas Menschliches an, als er sein Geheimnis offenbarte; „Ich bin ein Mörder, der seinen Opfern die Chance auf Leben gibt.“ Vergeltung übt. Kein Todesengel – Ein Racheengel.   Seine Worte hallten nach, wurden blasser, mitsamt meiner Sicht, die verschwamm. Das alles war zu viel für mich. Kein normaler Mensch ertrug so etwas. Keiner sollte es ertragen müssen. Mein Körper sackte zur Seite – zu Killer, der mich auffing. In eine Umarmung zog. Beruhigend auf mich einredete. Worte, die ich nicht verstand. Nur seine Stimme, die mich beschützt fühlen ließ. Spürend seine kalten Lippen, die sich sanft an meine Stirn schmiegten. Mich Halt-gebend küssten. Killer ließ mich erblinden. In finsteren Gefühlen.   In Dunkelheit wart Sicherheit. Dunkelheit wart alles und nichts. In Dunkelheit wird Licht geboren.   Mein Herz loderte in Schatten. Entflammte im schwarzen Feuer. In Leiden-schaft. In den Trümmern meines Innersten zwei Herzen ersichtlich; Eines, das lebte – warm. Das andere der Schatten dessen – kalt. Zusammen ein Ganzes, das liebte.   Nicht bei Sinnen, doch bei Bewusstsein, fragte ich; „W-Was ist mit... Ace?“ Meine Stimme so matt, wie ich mich fühlte. Mein Schwächeanfall verhinderte das baldige Aufstehen. „Ist bei seinem Blondie.“ Bei... Marco? „Durch deinen Einsatz, eine entscheidende Sekunde, hast du Ace gerettet.“ Ich... was? Killer positionierte mich auf seinen Armen, trug mich wie selbstverständlich. „Blondie ist Arzt. Zu ihm gehen wir.“ Tun wir das? „Nicht“, fügte er schmunzelnd bei. Scherzen konnte er also noch. Nach allem. Was läuft bei dem nur schief.   Ich seufzte gequält. Mehr konnte ich gerade eh nicht tun. Weil ich es nicht verarbeiten konnte, verdrängte ich. Selbstschutz. Was eben erst geschehen, wirkte plötzlich wie eine ferne Illusion.   Mein Geist blieb im Jetzt, klammerte sich an die Gegenwart. Mir fiel auf, wie rücksichtsvoll Killer mich trug. Eine Einbildung? Wunschdenken? Das Klacken seiner Absatzschuhe auf Steintreppen ertönte. Welchen der abkürzenden Keller-Wege er nahm, konnte ich nicht sagen. Viel zu dämmerig schien alles um mich. Zu präsent der Geruch nach Schwarzkirsche, der an seiner Bluse haftete, gegen die ich lehnte. Ich mochte den Duft. Killers.   Klack. Klack. Klack.   Als wir an unserem Ziel ankamen, wurden wir von jemandem begrüßt. „Verpiss dich, Kill-!“ Die Lautstärke des Brüllens nahm ab, nur kurz, dann erdröhnte es erneut. „Wenn Dünnschiss einen Namen hätte, wär's deiner. Wo is'n deine Maske?“   Er hat sie nicht wieder angezogen?, fiel mir Blitzmerker erst jetzt auf. Warum nicht?   Killer wirkte lässig, zuckte mit den Schultern, was mich in seinen Armen minimal anhob. „'Lass deine Visage hin und wieder hier blicken' – deine Worte, Kiddo.“ Ein aggressives Knurren aus tiefster Brust. „Das hab ich nich zu dir gesagt! Wo is er?! Wo is Kira!?“   In bestialischem Hass starrte Kid Killer nieder. Gold verbiss sich in der Nacht. Kids intensiver Blick selbst für mich spürbar, dem er nicht einmal galt. Blicke wie zwei Faustschläge mit goldenem Schlagring. Bis Kids Knurren plötzlich an Intensität abnahm. Und er wegsah. Gezähmt. Was hat er gesehen?   Killer ergriff das Wort. „Wir möchten eine Audienz bei Dr. Trafalgar.“ Möchten wir das? „Hah?“, spuckte ihm Kid entgegen, „Der Fucker is-“ „Hier“, ertönte die unterkühlte Stimme, die uns aus dem hinteren Dachbodenteil desinteressiert grüßte. Im Seiden-Bademantel. Das will ich garantiert nicht wissen. „Killer-ya. Pech-ya.“ Arsch-ya!   Woher hat Killer gewusst, dass Law bei Kid ist? Halt. Ich will nicht zu Law! Schon gar nicht von dem Irren behandelt werden!! Vergiss es, nicht mir mir!   Schocktherapie. Der Widerwille ließ mich neue Kraft schöpfen. Mühsam strampelte ich mich aus Killers Armen, stellte mich aufrecht hin. Zwar wackeliger als erhofft, aber ich stand! Ha. Kein Dr. Creep nötig, Danke! Mit einem höhnischen Grinsen verschränkte ich meine Arme und sah zu Law. Sieh und staune. Hinter mir Killers Schmunzeln hörbar. „Die Behandlung war ein voller Erfolg, Doktor.“ Das war geplant! Der hat mich voll reingelegt!   Law schien amüsiert, dezent hoben sich seine Mundwinkel, ehe er zurück zur Kühle fand. „Was wollt ihr von mir?“, trat etwas Verhandlungssicheres in seine grauen Augen.   Warum bin ich jetzt mittendrin? Ich will hier nicht sein, lasst mich gehen! Hilfe, eine Entführung-!   Killer schlang einen Arm um meine Schulter, platzierte seinen muskulösen Unterarm schwer auf mir und nahm mir so die Fluchtmöglichkeit. „Ich stütze dich, Darlin'.“ Ich hasse dich auch.   Mit klarer Stimme forderte er von Law; „Wir benötigen Blutkonserven. Eine Menge.“ Was zum?! Woher soll der Grusel-Doc die denn- „Wie viele Liter genau?“, klang Law keinesfalls so abgeschreckt, wie ich es war. Ich- Was- Ihr seid doch alle verrückt! Summend überlegte Killer. „Fünf.“ Will ich wissen, wofür er die braucht? Nein, definitiv nicht.   „Kranke Scheiße“, sprach Kid das aus, was ich dachte. Grinsend. „Echt pervers. Da säuft sogar mein Captain Rum-gemacht ab.“ Lässig pflanzte der Punk sich auf den Sessel vor den Überwachungsbildschirmen, schnappte sich eine Flasche ohne Etikette und setzte sie an seinen Lippen an. Beobachtete das Ganze, behielt aber auch die Kameras im Auge. Auf einer von ihnen war der Dunkle König zu sehen, mit jemand anderem. Rocinante?! Für den Bruchteil einer Sekunde hob Doflamingo das Kinn, reckte es Richtung Kamera und grinste sein gruseliges Lippentheater. Hat er uns zugegruselt?   „Macht hinne“, hob Kid die Flasche, „Ich und Law-“ Klar nennt er sich zuerst. „Eustass-aww. Mein Name...“ Silber funkte Skalpell-scharf. „Beschmutze ihn nie wieder. Ya?“ „Wenn 'des schmutzig willst-“ Wo Law plötzlich die Flasche Desinfektionsmittel herhatte, wusste niemand. Das leise Zischen ertönte, ehe die feuerrote Boxershorts des Hünen getränkt war in- „Ha! In der Buddel war keine Brenn-Plörre mehr drin, sondern mein-“ Law schmunzelte wissend, hob seinen tätowierten Mittelfinger, den er ihm präsentierte. „F-Sternchen-ck dich selbst, Kid-ya.“   Als er ging, klebte Kids Grinsen an Laws- Augen. Wirklich. Was auch immer die beiden hatten, Eines stand fest- „Komm wieder! Dann können wir zusammen gehen. Miteinander. Geh mit mir aus, Traf!“   Laws Antwort: Mit linker Hand Zeigefinger und Mittelfinger heben. Dann mit Zeigefinger und Daumen ein O formen. Und mit rechter Hand Ring-, Mittel- und Zeigefinger nach oben strecken. 'A.T.' … 'Null' … 'E.A.T.' Eine echt verschrobene Art einer Verabredung.   Ein stummes Seufzen verließ meine Lippen, die ein leises Grinsen formten, als ich den beiden nachsah. Das war doch verrückt. Alles. Wo war ich hier nur gelandet? Und warum fühlte es sich langsam so an wie... Zuhause.   Nicht wegen dem Ort. Wegen den Menschen.   Wegen...   Jemand atmete mir ins Ohr. Ich erschauderte.   „Nun zu uns...“   Killers Stimme dunkel und rau, so viel gefühlvoller als ich sie in Erinnerung.   Etwas war anders. Zwischen uns. Er? Ich? Wir.   Er schuldete mir eine Antwort, die er mir letztlich gab.   „Lass es uns versuchen.“   . . .   Am selben Abend lag ich tot im Sonnenblumenfeld. Kapitel 9: Messers Schneide --------------------------- Ich werde sterben.   Ein Gedanke, so irrational, fern von allem.   Erschreckend nah an der Wahrheit. … Jede Wirklichkeit hat ihren Schrecken.   Die Lüge beruhigt. Das Leben lügt.   Alles spiegelt, nichts überdauert. Zeitlos, zweigeteilt.   Wenn ich gehe, gehst du mit?   Ich; missend, vermisst?   Du; gänzlich, unvollständig.   Mein Herz in Sehnsucht ertrinkt in dir.   Es will leben. Lieben.   Dich. Und ihn.   Ist es falsch? Etwa so verwerflich?   Es schmerzt. Warum bist du es, der mir das antut?   Ich habe dir vertraut. Hat dir das nicht gereicht?   Bin ich dir zu wenig? Zu viel?   Zu kaputt?   Ich schneide mich an den Scherben meiner selbst.   Du... Der du mich zerbrichst.   Blutest du mit mir?   Wer wird es sein? Der Letzte, der blutet.   Du schenktest sie mir. Blumen.   Sonnenblumen... Ihr roter Schimmer ist tragisch schön.   ⊱❁⊰   . . .   Warum bin ich hier? Wo ist hier und wo dort?   Je länger ich in der Anstalt verweilte, desto mehr verlor ich den Weg. Hatte es je einen gegeben? In den eigenen Gedanken umherirrend, nirgendwo ankommend, gelang ich zu keinem Ziel. Gab es überhaupt eines? Ich hinterfragte mehr, als ich Antwort fand, wusste nicht, wo ich suchen sollte. Wer führte mich in die Irre und wer war wirr? Bin ich es nicht selbst?   Rational betrachtet, hatte sich die Schlinge bereits viel zu eng um meinen Hals geschlungen, band mich fest an diesen Ort. Warum fühlte es sich dann nicht beengend an? Hatte mich meine eigene Angst im Stich gelassen? Ich hatte das Gefühl, als könnte ich freier atmen, obwohl die Luft sich in Nebeln verdichtete. Blind vor Emotionen und doch nie klarer gesehen, blickte ich auf die drei Personen, die neben mir im Dachbodengeschoss waren: Law, Kid, Killer.   Personen – wohl angemerkt – von Persona; Maske. Jeder hatte sie. Die Welt war ein einziger Maskenball. Tanzte jemand aus der Reihe, wurde er weggesperrt. Ein falscher Schritt kann zum Fall führen, gegen den Takt, gegen die Norm. Anders-sein war ein Todesurteil. Die Freiheit genommen, innerlich zerstört. Niemand wollte dich mehr, wenn du erst kaputt warst. In Einzelteilen nahm dich die Finsternis, dein einziger Fluchtweg. In die Leere. Wer fängt dich auf, wenn du ins Bodenlose stürzt?   „Fällst du... oder fliegst du?“ Killers schattenhaftes Flüstern an meinem Ohr. „Soll ich dich fangen... oder fesseln?“ Seine Präsenz hinter mir wiegte mich in trügerischer Sicherheit, fühlte sich stark an, schützend. Sein Arm griff um mich, seine Hand auf meinem Bauch liegend. „Darlin'~“, schnurrte er. Sein Atemhauch striff meine Ohrmuschel, seine Finger wanderten meinen Oberkörper hinab, schlüpften unter mein Hemd, ertasteten meine Bauchmuskeln. „Lass dich von mir verführen~“   Scharf sog ich die Luft ein, zog meinen Bauch ein und fand mich selbst mit dem Gedanken wieder, dass mir seine Berührung gefiel. Leugnen zwecklos. Killers Berührungen brachten die Stille, wirkten erdend. Ich lehnte meinen Hinterkopf an seine Brust, blickte zu ihm auf, er zu mir runter. Meine Augen fanden seine. Er trug seine Maske nicht. Ich sah ihn. Schutzlos, in aller Echtheit. Aufgegeben, gegen ihn anzukämpfen, verbündete sich mein Herz.   „Nicht hier...“, leistete ich wenig Gegenwehr, legte meine Hand auf die seinige, drängte meine Finger zwischen seine kühleren. Sein Griff so anders als Kiras... so gefährlich. Aufregend. Mit diesen Händen hat Killer-   Kid schnalzte ungeduldig. „Was los? Weitermachen!“, befahl er, schwenkte die... Kamera?!, die er auf uns hielt. Hektisch riss ich mich von Killer los, stolperte nach vorne, starrte verstört auf die Linse, fuchtelte wild mit dem Zeigefinger drauf. „W-was?“   „Was das wird?“, grinste Kid dreckig, „kein Porno, wie's aussieht.“ Lässig legte er die Kamera weg, fürs Erste, griff sich ins rote Haar. „Hab noch kein Geschenk für Kira... brauch was, was sein Gummi platzen lässt.“   Killer schmunzelte diebisch. Den Kommentar konnte er sich ja doch nicht verkneifen. „Kira benötigt keinen Flutscher.“ Seine Mundwinkel hoben sich weiter. „Weil er keinen-“ „Er hat ihn!“, zog ich alle Augen auf mich, senkte meinen Blick, nuschelte zum Ende hin. „Sex.“ Also wir hatten zwar noch keinen, also nicht so richtig, aber- Ach, vergiss das!   Schnell ablenken, zurück zum Thema. Kid braucht ein... „Geschenk?“, fragend schaute ich in die Runde, die verdächtig schweigsam wurde. Killer war es, der antwortete. Er schien amüsiert. „Unser Jahrestag.“ 'Unser'? Sein Lippenzug fror zu etwas Zeitlosem. „Wir sind fast zehn Jahre hier... oder sind es elf?“ Langsam kippte sein Kopf zur Seite, der Schatten in seinen Augen verdammt unheimlich. „Die Zeit so still, als wären wir längst tot...“   Auch seine Stimme hatte gespenstische Züge angenommen, jagte mir eine kalte Gänsehaut über die Oberarme, die ich wärmend rieb. Von ihm wieder in seine Körperfessel geschlossen wurde, in seine besitzergreifenden Arme. Killer grub seine Nase in mein Haar, sein Atem in meinem Nacken spürbar. „Mit dir sind wir weniger tot.“ Gar kein bisschen gruselig. Soll das romantisch sein? Dass er von sich in der Mehrzahl sprach, war ein Fortschritt, oder? Akzeptanz? Dazugehörigkeit? Aber wen meint er mit Wir?   „Das muss ich mir schön saufen“, verkündete Kid, griff zu irgendeiner Dose, deren Aufschrift schon verblich. Eine von vielen auf dem überfüllten Schreibtisch, an dem Law saß. Dieser betrachtete stumm den flimmernden Bildschirm der Überwachungskamera, die den Saal zeigte, wo die Angestellten und Bewohner noch immer feierten. Doch etwas schien anders, seit ich mich von dort weggeschlichen hatte. Die Stimmung wirkte... düsterer. Auch die Mienen der Anwesenden schienen dunkler, gar leerer. Was ist in der Zwischenzeit passiert?   Wie ferngesteuerte Marionetten bewegten sich die Figuren über die Tanzfläche. Das Paar – die zwei pinkhaarigen Frauen – kreisten nicht mehr synchron miteinander, sondern asynchron aneinander vorbei. Die anderen wirkten ebenso seltsam, interagierten miteinander wie kaputte Spiegelbilder voneinander, taten gegensätzliche Dinge. Als würde jeder von ihnen in einer anderen Zeitschleife festhängen. Ein echt verstörender Gedanke. Leider gar nicht mal so abwegig.   Im nächsten Moment wurde der Bildschirm schwarz. Knurren pfefferte Kid die Fernbedienung auf den Tisch, räumte dabei mehrere Dosen ab. Warum so aufgebracht? Angriffslustig glühten goldene Augen. „Was die brauchen, is ne Abreibung. Anal-Fisting mit mei'm Springerstiefel“, knackste Kid seine Faust mit Laws – 'Händchen-haltend' – was zur Folge hatte, dass Law Kids Finger noch lauter knacken ließ. Das ekelhaft beißende Knirschen ging mir durch Mark und Bein. Verstört verzog ich mein Gesicht. Fingerspielchen KidLaw-Style.   Rau lachend schüttelte Kid seine Hand aus, ehe er sie in seine rote Mähne grub. Sein fiesestes aller Grinsen stellte selbst die Dunkelheit in den Schatten. „Wir sorgen dafür, dass sich die Ficker selbst-“ „Hüte deine Zunge, Eustass-nayen.“ „Sonst was? Keine feuchten Zungenküsse mehr?“, streckte er Law die Zunge raus, mit der er sich die Lippen schmatzend befeuchtete. „Dir lutsch ich einen mit und ohne. Haste noch Lippenstift an deinem-?“ Das Zischen, das Laws gefährlich zuckende Lippen verließ, erinnerte an diese Insekten-Pestizide-Sprüher – passend. Silber funkelte eiskalt. „Dies habe ich“, haute er trocken raus. „Jedoch...“, holte er zum Gegenschlag aus, ließ sich Zeit, die Rache auf der Zunge zergehen. „Wer sagt, dass es deiner ist?“   Kids Kinnlade fiel. Hirnsturz – Da rutscht einem das Hirn in die Hose. Keinen Ticken später verengten sich seine haarlosen Brauen zornig, zeitgleich holte er Luft, sammelte Gewalt für das Brüllen, das er herauspresste. „Du hast den Clown gefi-?!“ Eustass Kid sollte in genau diesem Moment erfahren, was es hieß, den Mittelfinger des Todeschirurgen zu schmecken. Tief in ihm. Und er-! Ich sah weg, konnte mir das nicht geben, war geschändet.   Wie nett, dass Killer den Kommentator spielte. „Kid lutscht ihn tatsächlich.“ Danke für diese Info! „Und Law wird... rot.“ Das kann er? „FaFa, jetzt kommt erst der interessante Teil. Die beiden-“ Murrend zerrte ich an seinem gepunkteten Ärmel. „Schau da nicht hin!“ „Eifersüchtig, Darlin'?“ „Ähm... Also... Nein? Na gut, vielleicht ein klitzekleines bisschen.“ „Aww, wie ekelhaft süß von dir. Da erbricht sich fast mein Glied. Teilen wir uns eine Kotztüte?“ Kid schnaubte. „Der war gut, Kill!“ ? Wo war der-? ...Tüte. Lümmeltüte. Verstehe.   Moooment. Hat er Killer gerade-? Ein Spitzname? Ich hab gedacht, die können sich nicht ausstehen. Was hat sich geändert? Und wann?   Genervt verdrehte ich die Augen. „Wollten wir nicht wohin?“ „Uh~ Ein Doppel-Date?“, schnurrte Killer unnötigerweise. „Oder einen Vierer?“ Mein Blick, der ihn massakrierte, war ihm Antwort genug. Er war entzückt. „Wenn du mich weiter so ansiehst, verzögert sich das Date um 13 Minuten.“ „Dreizehn...?“ „Eine Unglückszahl, dich zu beglücken.“ Mal ehrlich, warum date ich diesen Kerl?   „Bevor ich einen Vierer mit Dr. Creep und Red Devil eingehe, geh ich lieber freiwillig in die Irrenanstalt – Ha, schon passiert. Meine Psyche ist penetriert.“ Drei Augenpaare starrten mich an. Law hob eine Braue. „Du... beliebst zu scherzen? Mein Anatomie-Skelett applaudiert – und dieses hat keine Muskeln, um dies zu tun.“ Yohohoho~ Ich zuckte grinsend mit den Schultern. „Humor war wohl mal wieder im Sale.“ Killer stützte seinen Ellenbogen auf meiner Schulter auf, lehnte sich an mich. „Dies ist mein Verdienst. Hab meinem Lover-Boy einen Spiegel vors Gesicht gehalten.“ Hey-! Flüchtig drückte er mir die schmunzelnden Lippen auf meine und ging mit Kid, der natürlich zuerst durch die Tür stampfte. „Lasst uns die Loser aufmischen!“   Perplex sah ich Killer nach. Hat er-?! Mein Herz feuerte los. Mich geküsst, einfach so. Die winzige Berührung kribbelte auf meinem Mund nach, den ich einrollte, gedankenlos mit meiner Zunge die Lippenkontur nachfuhr, ihn nachschmeckte. Killer schmeckte. Sauerkirsche. Und mir im nächsten Moment grob mit dem Handrücken drüber wischte. Weil ich den Seitenblick merkte. Glotz du nur, mir doch egal!   Fluchend folgte ich den beiden, Law als Begleitung, der den amüsierten Kommentar ja doch nicht für sich behalten konnte. „Mein unaufrichtiges Beileid, Pech-ya.“ „Dito. Dein Los ist mindestens genauso mies wie meins. Ya!“   . . .   Irres Lachen, im Doppelpack. Kid und Killer – eine Kombination, die den Irren den Wahnsinn lehrte. Flieht, solange ihr könnt! Ich hörte das Chaos schon von weitem, noch ehe ich den gläsernen Ballsaal erreichte. Was ich sah, grenzte an Wahnvorstellungen. Wo die Patienten vor wenigen Minuten noch apathisch und stumpf wirkten, waren sie nun... es gab kein Wort dafür, um das zu beschreiben. Das verblühende Leben? Wie aufgeweckt, nur mit der teuflischsten Schockmethode.   Was haben die mit den Leuten gemacht? Und will ich das wirklich wissen?   Da war einer in einer großen Mülltüte, die er sich über die Beine gezogen hatte. Draufgemalt waren mit grünem Edding Schuppen – sollte wohl ein Meerjungfrauen-Kostüm darstellen – Jodelnd hüpfte der Fischmensch vom Dach, landete mit einer Arschbombe in einem Gummipool, der trübes Wasser drin hatte, als wär's aus der Kloake gefischt. Jetzt hab ich echt alles gesehen- Mist, zu laut gedacht! Eine geschminkte Leiche uralte Frau mit krummer Nase kicherte mädchenhaft und sang krächzend; „Spieglein, Spieglein~ knusper, knusper, knäuschen~ Wer knuspert an meinem Höschen-?“ Zeit, ganz schnell irgendwo anders zu sein!   Fast panisch stürzte ich ins Saalinnere – fataler Fehler. „Crème Brûlée?“, wurde ich von dem Blonden mit Spiralbraue gefragt, der diesen ganz seltsamen Blick draufhatte. Ich schüttelte verneinend den Kopf und stolperte weiter – in ein Kartenhaus, das ich umwarf.   „Dich habe ich kommen sehen.“ Das klang nun echt nicht mehr nur zweideutig! Die gespenstische Stimme des Geisterguru meldete sich erneut, wollte mir die nächste Prophezeiung aufschwatzen, doch hielt ich mir die Ohren zu. Die letzte ist auch wahr geworden. Der Typ verbreitet das Unheil! Halt. Hat der echt mit seinen Tarot-Karten ein Haus gebaut?, sah ich zu den zerstreuten Bildern herab. Auf einer Karte stand ich. Der Tod. Natürlich. Warum kann's nicht mal der Turm sein?   Vom Buffet-Tisch sprang das Mädchen mit schwarzem Sonnenschirm, segelte so langsamer zu Boden – könnte ich mir auch einbilden. Vielleicht war ich die Einbildung? Sie kicherte. „Die Geister sind lustig~ Sie erzählen die süßesten Geschichten~“, schwärmte sie, spielte mit ihren rosafarbenen Zöpfen in Spiralform, die sie nach hinten warf. „Sie erzählen von ihrem Spuk.“ Wo andere ein Puppenhaus haben, hat sie ein Spukhaus.   Von irgendwo schepperte und klirrte es. „Zerstören, ich muss zerstören~“ Eine blonde Frau, die Teller warf, apathisch sang – growling? – aber mit einem Lächeln auf den bleichen Lippen. Die Partygäste feierten hier etwas, das nicht mehr normal war – war es nie. Dort saß ein grünes Männchen in einer Kiste! Einer Schatzkiste und dem sein Haar setzte schon Moos an. Mehr als verstörend.   Ich wurde bleich, torkelte weiter, kämpfte mich durch den Saal, zu einem Stuhl, auf den ich sank. In der hintersten Ecke, wo ich mich sicher fühlte. Mir das zumindest einredete. Das wurde mir echt alles zu viel. Lasst mir doch alle meine Ruhe! Meinen Ellenbogen stützte ich auf den langen Tisch mit den Getränken neben mir, raufte mir durchs Haar und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Was geht hier ab?   Und wo ist meine Kappe?, merkte ich ihr Fehlen, fühlte mich noch unruhiger. Was ist eigentlich mit den anderen? Shachi müsste hier auch noch irgendwo sein... Ich suchte den Raum nach ihm ab, blickte nach oben – wo der Fledermaustyp hing. Kopfüber, am Kronleuchter. Mit einem Kuscheltier in seinem Netzstrumpf. Von Heat genäht.   Gruselig langsam öffnete Batman seine Augen, starrte auf mich hinab. Schweigend. Zunehmend fühlte ich mich unwohler, hob zum Gruß eine Hand. „Hey-“ „Pss!“, zischte er, „Killer könnte dich hören.“ Killer? Was...? „Kennst du ihn?“, fragte ich leiser, beugte mich etwas weiter auf den Tisch, zu dem Umhangträger rüber. Ich unterhielt mich hier echt mit einem kopfüber. Dem muss doch das Blut gestaut sein – im gespiegelten Süden. Die Fledermaus schloss ihre Augen wieder. „Kira...“, wurde die Stimme schläfriger, „rette ihn“, leiser und leiser, „wir vermissen“, und der Typ schnarchte. Fledermaus = nachtaktiv. Versteh schon...   Kira retten? Wie, wenn ich mich selbst immer mehr verliere? Ich fühlte mich überfordert, war verwirrt, überlastet. Law war auch verschwunden. Kid und Killer trieben irgendwo ihr Unwesen und ich saß hier. Allein, seufzend, unter allen Bekloppten, war vermutlich der Verrückteste. Was tue ich hier?, fragte ich mich zum unzähligen Mal. Die Menschen leiden, brauchen Hilfe... Und was tue ich?   Ich... mache mich lächerlich. Mache mit einem Mörder rum. Mache... alles falsch.   Ein verletzter Lippenzug verzerrte mein Gesicht, das an Farbe verlor. Leerer wurde, apathischer. Geräusche wurden dumpfer, unklarer, verstreuten sich in einem Strudel wirrer Gedanken. Nichts sagend, doch laut und deutlich. Pochend in meinem Kopf, der schmerzte. Mein Blick starrte auf etwas, fixierte sich darauf, hing daran fest. Ein Fleck in der weißen Tischdecke. Rotwein. So unscheinbar, so unbedeutend... doch effektiv, ließ mein Herz rasen. Schwindel überkam mich. Der fixierte Blickpunkt drehte sich, das Dunkelrot verzerrte vor meinen Augen, der Fleck nahm andere Formen an. Gruseliger, obskur, Schemen von... einer Schürze. Die eines Metzgers. Killer hat- E-Er... I-Ich... A-Ace... Blut. So viel Blut. Verdrängtes krachte auf mich ein; Bilder, Geräusche, Gefühle... Die Übelkeit, Machtlosigkeit, Verwirrung. Schuld, Gewissensbisse, Genugtuung. Mein innerer Konflikt lebte auf, starb im gleichen Moment. Ich hätte... habe nichts... nur zugesehen... bin Mittäter... bin schuldig... bin nichts, nichts, nichts! Panisch griff ich mir ans Herz, spürte es. Stark, stärker. Reiß dich zusammen! Mein Herz schlug schneller. Viel zu schnell. Nein. Nicht hier! Bleib stark. Bleib-   Stillstand. Atemnot. Hilflosigkeit. Ich kippte zur Seite, brach zusammen. Hörte noch den dumpfen Aufprall, wie ich mich an etwas festhalten wollte, die Tischdecke zu greifen bekam, mit mir riss. Scherben klirrten, Stimmen, Schritte. Geht weg. Lasst mich schlafen... Nur für einen Augenblick... Ich brauch eine Pause.   Das alles war mir viel zu viel. Es brach mir das Herz, brach mich. Ich wollte doch nur helfen... wollte nur...   Kira. Komm zurück. Bitte...   . . .   Jemand war bei mir. Er strich mir übers Haar. Wohltuend, aufmunternd. Eine Berührung, die mein Körper nicht wiedererkannte und doch genau zuzuordnen wusste. Schmale Finger, die mir Muster auf die Haut malten. Ein weicher Untergrund, auf dem mein Kopf gebettet lag. Es roch nach etwas Süßem... Clementinen? Muffins? Jemand summte. Beruhigend. Wiegte mich in einem guten Gefühl. Wie damals... als alles in Trümmer fiel... und du da warst...   „S-Shachi“, wisperte ich erschöpft. Meine Augen wollten sich nicht öffnen, meine Muskeln sich nicht bewegen. Ich blieb einfach liegen, genoss das Gefühl der Finger, die mich kraulten.   „Schhh“, die Stimme meines besten Freundes klang anders... hatte er geweint? Meinetwegen? „Alles gut, Peng... alles wird gut...“ Das... klingt nicht nach ihm. Der Optimist würde nun sagen, dass alles gut ist. Es dauerte einen Moment, bis Shachi weitersprach. Bildete ich mir das Hicksen ein, das ihn am Sprechen hinderte? „Ich“, stockte er, was gar nicht seine Art war, „werd dich beschützen, Peng.“   Auf meinen blassen Lippen bildete sich ein echt schäbiges Grinsen, das meinem Gesicht etwas Farbe zurückgab. „W-wo kommt das denn her... Brüderchen?“, kaum mehr als einen schwachen Flüsterton bekam ich raus. Er verstand mich.   „Es tut mir leid. So leid“, tropfte etwas Warmes auf mein Gesicht. Sommerregen. Wie damals... „Hätte ich gewusst, hätte ich geahnt-“, überschlug sich seine Stimme, der das Licht fehlte, „Peng, warum hast du mir nicht gesagt, dass...“ Hat Law mich untersucht? Mich verraten? „Der Herzfehler? Der Irre? Die Gefühle?“, endete ich für ihn, teilnahmslos. „Ist okay.“   „Nichts ist okay!“ Teilnahmsvoll strahlte Shachis heller werdende Stimme in mein Inneres, das es wachzurütteln versuchte. Sein Licht, das ich entfachte. Meinen besten Freund so überfordert zu sehen, setzte mir noch einen Stich in der Brust. Dummkopf... mach dir doch nicht solche Sorgen... um so jemand wie mich.   „Ich back dir Plätzchen“, suchte Shachi nach etwas, womit er mich aufmuntern konnte, „viele Plätzchen. Die mit Zimt, die du so gern magst. Ich mach auch extra viele Streusel drauf!“, redete er sich in Verzweiflung, „Peng, ich... ich werde...“ Die Bewegung seiner Hand auf meinem Kopf verlangsamte. Meine Augen öffneten sich flattrig, blickten von seinem Schoß auf, in sein verheultes Gesicht. Mühsam rang ich mich zu einem Schmunzeln durch. „Ich freu mich drauf“, atmete ich angestrengt durch, „auf deine... Plätz...en...“   Meine Augen fielen wieder zu. Die Erschöpfung siegte, riss mich erneut in den Schlaf. Die Arme meines Bruders hielten mich, gaben mir Halt. Hat Killer mich an ihn übergeben? Hat Shachi mich zu unserem Turm getragen? Unwahrscheinlich. Oder? Ich lächelte leicht. Es tat gut. Nach allem... endlich wieder Zuhause. Bei meiner Familie. Bei Shachi.   Wir schliefen einen ganzen Tag durch. Eher: Ich schlief, er blieb bei mir und wachte über mich.   Erst am späten Abend fand ich wieder zu Kräften, fühlte mich klarer, deutlich besser und hatte wieder Energie, um aufzustehen. Ich war allein in unserem Bett. Doch der Duft von süßem Gebäck lockte mich zum Wohnzimmer. Mich am Türrahmen stützend, blickte ich in ein Chaos aus Mehl, Puderzucker, bunten Streuseln und verbrannten Keksen, die über den ganzen Raum verteilt waren. Wenn es hier schon so aussieht... Leb wohl, Küche.   Aus der Küchentür streckte sich ein lächelndes Gesicht mit Kochmütze. In seiner Hand die Schüssel mit Teig, die er rührte. „Das werden die besten Plätzchen, die du je gegessen hast!“, strahlte er übers ganze Gesicht, das mit Mehl verziert war. Auf seiner Nase ein weißer Punkt, auf seinen Wangen je zwei Striche. 'Kriegsbemalung.' Shachi gab ein Bild ab, das mich echt bescheuert grinsen ließ. Lässig fuhr ich mir mit der Hand durchs verwühlte Haar, verwilderte es weiter. Er gibt sein Bestes. Mehrmals prüfte ich den Anblick meines Bruders, der wieder wie der Alte schien. Der Schlaf hatte uns beiden wohl gut getan, hatten wir dringend nötig.   Dann kniete ich mich herunter, hob einen der schwarzen Kekse auf und, „nicht, Peng, der-“, biss ich ein Stück ab. Bäh, schmeckt der nach Kohle! Eisern versuchte ich meine Mundwinkel oben zu lassen, mein Gesicht nicht zu verziehen. Es knirschte, war staubtrocken. Ich brauchte ein paar Anläufe zum Schlucken, bekam es aber runter. Und zeigte ihm einen Daumen nach oben. „Nicht schlecht“, hab schon schlimmeres von dir gegessen, „viel Erfolg weiterhin.“   Erst nach ein paar Tick-Geräuschen der Pendeluhr fand Shachi aus seiner Versteinerung, riss euphorisch die Hände in die Luft – was der Teigschüssel das Fliegen lehrte – und stürmte auf mich zu, um mich in seiner Umarmung zu erwürgen. Die Plastikschüssel depperte auf den Fliesenboden der Küche und verteilte dort ihren Inhalt. „Beim nächsten Mal werden's die Besten, versprochen!“, klang Shachi stolz und optimistisch. Ich klopfte ihm sanft auf den Rücken. „Das werden sie, ganz bestimmt.“   Shachi konnte nicht backen – was ihn nicht daran hinderte, es zu tun. Weil er es wollte. Und was er wollte, schaffte er auch. Ich glaubte an ihn, auch wenn ich ihm das viel zu selten zeigte. So wie er an mich glaubte und es mir viel zu oft entgegen strahlte. Als er mich losließ, überrollte mich seine Frageflut.   „Wie geht’s dir? Geht's dir besser? Wie fühlst du dich? Was kann ich für dich-?“ „Shachi“, legte ich meine Hand auf seinen Kopf, brachte ihn zum Schweigen, sah ihn liebevoll an. Meine Stimme rau vom Schlaf, aber in Wärme gehüllt. „Sei einfach du. Das hilft.“ Das Honig seiner Augen verflüssigte, ehe er eifrig nickte. „Ich werd das beste Ich sein, das es gibt!“ Ja, das wirst du...   Gähnend streckte ich mich, knackte meinen Rücken durch und warf einen Blick auf die Kuckucks-Pinguin-Uhr, die noch auf dem Boden zerbrochen lag. Die Zeiger der Uhr genau bei Null stehen geblieben. „Wie spät haben wir?“, schaute ich zu Shachi, dessen Augen ein Leuchten annahm, das mir nicht gefiel. Ganz und gar nicht. Die Art von schelmischen Funkeln, das etwas vorhatte, das mir den Abend Morgen verschönerte. Shachi hob seinen Zeigefinger. „Wir haben genau richtig!“ Ah ja. Will ich's wirklich wissen?   Warum bin ich überhaupt aufgestanden? Ich hätte liegenbleiben sollen. Seufzend verschränkte ich meine Arme, beäugte ihn skeptisch, nickte kompromissbereit. Scheinheilig platzierte er meine Kappe auf meinem Kopf, hinter deren Schirm ich ihn weiter anstierte. Er sollte fortfahren – und preschte gegen den imaginären Baum. Begeistert fuchtelte er mit seinen Händen, strahlte wie ein Honigmuffin. „Die Show beginnt gleich, die dürfen wir nicht verpassen!“, zog Shachi mich an meinem Arm mit. Für seine dürren Ärmchen hatte er echt verdammt viel Kraft. Willenskraft. Ich stemmte mich gegen seinen Zug, bewegte mich keinen Millimeter, während er auf der Stelle weiterlief. Sieht genauso bescheuert aus, wie's klingt.   „Welche Show?“, verlangte ich zu wissen, blieb standhaft, kritisierte ihn mit Blicken und nahm eins meiner alten Hemden, mit dem ich ihm das Mehl vom Gesicht wischte. Sein dümmliches Lächeln und der Glanz in seinen Augen verhießen nichts Gutes. „Die Zirkus-Show!“, riss er die Arme hoch – meinen umklammerten mit – ich ahnte Übles. Da gab's doch diesen Typ, der mit der Wand redete und-   „Ich geh schonmal vor, halte dir einen Platz frei!“, sauste das Energiebündel aus der Wohnungstür, trällernd die Turmtreppe runter, Richtung Gruselvilla. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Allein mit den Irren, lass ich ihn ganz bestimmt nicht!   . . .   Ende vom Lied – oder eher Anfang vom Leid: Ein leeres Patientenzimmer. In dessen Mitte saß Shachi auf dem Boden, ich stand an der Wand gelehnt. Aus dem angrenzenden Bad erklangen wühlende Geräusche, ehe der behaarte Kerl mit Fellohren heraustrat. In seiner Hand einen großen Ring haltend. Das hier war verrückt. Und es wurde noch verrückter!   „Willkommen, willkommen!“, tänzelte der haarige Hans-Hugo durch den Raum, nahm seinen Platz am anderen Ende ein. Wo er eine runde Wachs-Tischdecke auf dem Boden ausgebreitet hatte – was wohl 'die Manege' darstellen sollte. „Ladys, Gentlemen und Ungesehene“, verbeugte der selbsternannte Zirkus-Direktor sich, „habt Dank für Euer zahlreiches Erscheinen“, blickte er durch die Reihen von nichts. Und Shachi, der anfing übertrieben zu klatschen. Ich denk mich einfach weg. Vielleicht klappt's diesmal. Tat's nicht. Natürlich nicht. Der ein-Idiot-Applause hallte in den leeren Raum, der das Geräusch schluckte. Direktor Doofdödel hob seine Hände beschwichtigend. „Bitte, bitte, zu viel der Ehrung.“   Manchmal fragte ich mich, ob die 'kreativen Leute' um ihre erhöhte Vorstellungskraft wussten und diese bewusst auslebten – ganz gleich, ob sie dadurch in der Gesellschaft für geisteskrank erklärt wurden. Von Außen erweckten sie vielleicht Mitleid, aber was, wenn sie doch eigentlich glücklich in ihrer fiktiven Welt waren? Ist das ein Verbrechen, für das sie weggesperrt werden müssen? Tun sie jemandem etwas, außer sich selbst? Ich zweifelte an allem, besah mir das Ganze, versuchte neutral zu bleiben. Eigentlich war ich nur hier, um auf Shachi aufzupassen. Eigentlich. Ja, ich bin neugierig, verdammt!   Die 'Show' begann mit weiterem Geschwafel und Anpreisungen über den ach so tollen Zirkus, den es nicht gab. Moji – wie der Kerl sich irgendwann mal vorstellte – schwang den großen Ring und trat in die Manege; auf das weiße Wachstuch. Und die Zimmertür sprang auf. „Wachs!“, stolperte der Fanatiker mit der Dreier-Frisur rein, „was tust du dem armen Wachs an?!“, schlitterte er auf die Knie, vor das Tischtuch, an dem er zerrte, ergatterte somit einen Platz in den Zuschauerreihen. Glückwunsch.   „Immer hereinspaziert“, ließ der Zirkustyp sich nicht stören, hielt den Ring vertikal vor sich. „Richie!“, rief er seinen imaginären Löwen, „dein Einsatz, Richie!“ Shachis Kopf schnellte zur Wandseite links – Was zum?! – Sein Blick verfolgte irgendetwas, was ich nicht sah. Etwas, was im hohen Bogen zur Manege sprang – laut Shachis Kopf- und Augenbewegungen. „Ui~“, bestaunte er die Illusion, „süßes Kätzchen!“   Wie auf Abruf kam der nächste ungebetene Gast; Ein Mann mit Butleranzug, runder Brille und viel zu langen Fingernägeln, die er sich mal schneiden sollte. „Miau?“, schlich er auf allen Vieren durch die Tür und rieb seinen Rücken am Türrahmen. Gar nicht verstörend. Plötzlich entdeckte er eine Gurke, die nur er sah – machte einen Katzenbuckel, sprang fauchend nach hinten und krallte danach. Ich... bin zu konfus, um dazu was zu denken. „Blacky“, nannte Moji den Katzentypen, „sitz!“ Als ob – Tat er echt! Der Butler setzte sich wie eine Katze; kniend, auf dem Hintern, die Hände auf den Boden vor sich, leckte seinen Handrücken, putzte sich hinterm Ohr und streckte sich einmal. Zum Glück hat er sich nicht woanders 'geputzt'. Verweilte dann in 'Brotstellung' – auf dem Bauch liegend, Beine kniend angewinkelt, Arme nach vorne ausgestreckt. Noch ein Zuschauer für Zirkus zum Verrücktwerden.   „Kommen wir nun zur Hauptattraktion.“ Sind wir bald endlich erlöst? - Wunschdenken. Der Vorführer nahm sich flüssiges Wachs, das er über den Ring träufelte. Einer klatschte – Der Wachstyp. Dieser war es auch, der dem Zirkus-Direktor das Streichholzpacken gab. Warte. Er wird doch nicht-?! Er zündete den Ring an. Rauschend griff das Feuer um das runde Metall. „Richie, meine Damen, Herren, Katzen und Geister, wird nun durch diesen Ring- Hey, Richie, nun hab dich nicht so! Nein. Keine Diskussionen“, diskutierte er mit dem Teppichfussel zu seinen Füßen, „so ist's brav... feiner Richie. Und hopp!“   Drei Köpfe bewegten sich von links nach rechts. Alle, außer mir, sahen dem unsichtbaren Löwen bei seiner Nummer zu. Ich fühlte mich echt ausgegrenzt. Was ist falsch mit mir? Oder richtig? Langsam wird’s echt verwirrend... Wer ist hier noch normal? Tosender Beifall erklang. Obwohl keiner der Anwesenden klatschte. Nochmal: Was geht hier ab?! Ich werd irre, oder?   Nach der Löwennummer war's nicht vorbei. Wäre auch zu schön gewesen. „Darf ich Ihnen vorstellen... Buggy, der Clown!“ Durch die Tür hereinstolzierte ein Blauhaariger mit roter Nase. Seine großen Schuhe erzeugten beim Laufen dieses Enten-Quietsch-Geräusch, das wohl lustig sein sollte. ...Shachi lachte. Der Clown trug an seiner Brust eine große Blume – der älteste Taschenspielertrick, auf den keiner reinfallen würde. Keiner, außer- der Clown selbst, der an die Blume fasste und sich damit Wasser ins Gesicht spritzte. Fluchend wischte er sich übers Gesicht, zückte dann einen Langdolch. Ach du-! Was hat er mit dem Ding vor?!   „Ich kann meinen Körper in Einzelteile trennen!“, prahlte der Clown, „seht selbst und feiert mich! Gebt mir all euer Geld!“   Ist das erlaubt? Feuer, Waffen, Gas-Drogen? Sollen die Patienten sich gegenseitig-?   Buggy hob die Waffe, ich reagierte, stieß mich von der Wand, streckte meinen Arm nach dem Dolch aus – zu spät. Ich würde ihn nicht rechtzeitig erreichen! Jemand war schneller. Shachi, der die rote Clownsnase drückte. „Miep, Miep.“   Der Selbstmordclown gefror. „Hast du... meine Nase angefasst?“, war er fassungslos. Bevor er wieder Klarheit fand, nahm ich ihm den Dolch ab. Sicher ist sicher. Shachi nickte aufrichtig. Die rote Rundnase noch zwischen seinen Fingern, zog er an ihr. „Ich hab deine...“, hielt er sie in der Hand, „Nase...“ Der Clown hatte darunter- „Hie Hie“, erklang plötzlich ein hoher Laut von draußen durchs Fenster. Michael J-? Buggy schnappte sich seine Nase aus Shachis Hand, platzierte sie wieder auf seinem Gesicht und schäumte vor Wut. „Du-!“, kam er nicht weiter. Übertönt von heulenden Sirenen. Der Feueralarm, der losging. Der Teppich fackelte, die Katze versuchte ihn zu löschen. Der Strahl reichte nicht. Unser Stichwort abzuhauen.   Ich griff mir Shachi unter seinen Armen, hob ihn hoch und schob ihn durch die Tür. Unbekümmert winkte er den Leuten, die affig um das Mini-Feuer hüpften. Schnell warf ich die Tür hinter uns zu. Hörte noch; „Richie hat das Feuer gelöscht!“ Und hatte keine Worte mehr hierfür. Echt nicht.   „Tolle Show!“, schwärmte Shachi, der neben mir lief. Bestürzt starrte ich ihn an, war sprachlos. Welch Glück, dass er genug Gesprächsstoff für uns beide hatte. „Hast du den Tiger gesehen?“ Tiger. „Und den Elefanten? Der war sooo groß!“, breitete er seine Arme aus. So groß, dass er niemals in das Zimmer gepasst hätte.   Das Lächeln auf Shachis Lippen erweichte. Zu einem sanften Ausdruck. „Sind sie nicht stark?“, lächelte er vor sich hin, blickte gen Boden, „die besonderen Menschen... sie kämpfen tagtäglich.“ Ein Schimmern fand in seine honigfarbenen Augen. „Sie kämpfen... gegen sich selbst... die Ungerechtigkeit... gegen alles, was sie vom Leben abhält.“ Still lauschte ich seinen Worten, die so viel Wahrheit beinhaltete, welche niemand sonst sah. Shachi sah mehr, als alle anderen. „Sie kämpfen für ihre Freiheit, wollen frei sein...“, verlor er sich in Mitgefühl. „Peng?“, fanden seine Augen die meinen, entschlossen und voller Gefühl. „Ich möchte ihnen helfen. Sie brauchen uns. Lass uns ihnen ein Lichtblick sein!“ Du... bist ein Licht, ich nur- „Peng!“, tadelte er mich, blickte mich 'böse' an, brachte mich zum schmunzeln. Sein Blick strahlte mut-machend. „Sei das, was du sein möchtest.“   Was will ich sein? Wer? Was bin ich?   „Ich bin verrückt“, seufzte ich kopfschüttelnd, grinste. „Okay, Chi. Was ist der Plan?“ Shachis Gesichtszüge hellten sich auf, ehe er seine Faust in die Luft reckte. Auf seinem Unterarm ein X, das er der Welt zeigte.   Und lächelnd rief; „Wir machen Fluffy zum König der Piraten!“     ~*~     Shachis Master-D.saster-Plan zusammengefasst: Liebe ist die Geheimzutat zur Genesung. Fan-Liebe der Schlüssel. Und die Schatztruhe? Tja, davon wusste wohl nur der zukünftige Piratenkönig höchstpersönlich.   Was wir nun brauchten? Das, wo ich genau wusste, an wen ich mich wenden musste...   Kräftig klopfte ich an die Stahltür, die mir geöffnet wurde. „Dabe?“, begrüßte er mich in seinem eigentümlichen Akzent. Angewidert über die Störung rümpft er seine Nase mit goldenem Ring, schien durch die Luft zu schnüffeln. Als seine roten Augen auf mich fielen, breitete sich ein biestiges Fangzähne-Grinsen auf seinem tätowierten Gesicht aus. „Oma hat gesagt, dass du wiederkommst.“ Oma? Ähm, nein, ich will's nicht wiss-   Schon hatte er seinen schweren Arm um mich gelegt, zog mich mit, führte mich in seine Spiegelwelt. Das war der Moment, in dem mich das schlechte Gewissen überkam. Ich hatte seine Spiegel kaputt geschlagen, war ausgetickt, als... Ein scheuer Blick auf sie geworfen, erkannte ich die mühselige Feinarbeit, mit der er sie wieder zusammengeklebt hatte. Ihr Sprung blieb.   Barto blinzelte mich an, zog mich an seine tätowierte Brust, in einen kumpelhaften Drücker und warf seinen Kopf nach hinten. „Hehahaha!“ Ein Lachen, das Schwiegertöchter verscheuchte. Murrend stemmte ich mich gegen ihn, befreite mich aus seinem Armutszeugnis und begegnete seinen rubinroten Augen. „Chill, Bro“, fand etwas Wohlwollendes in seinen Blick, der zu funkeln anfing, als er zu seiner geheiligten Stalker-Wand schwebte. „Schau, schau!“ Wuff.   Schwungvoll zog er am Seil des Vorhangs, der sich öffnete. Die Fan-Poster von seinem Luffy-Senpai enthüllte. Wieder reflektierte sich das lächelnde Gesicht in den Spiegeln. Doch diesmal... umso öfter. In jeder einzelnen Spiegelscherbe, in einer Vielzahl kleiner und großer Luffys.   Erneut kullerten die Tränen des Fan-Boys. „Es sind mehr Senpais... dank dir.“ Zum Mitschreiben: Der gefährlich aussehende Punk bedankte sich bei mir für das Zerstören seiner Inneneinrichtung. Gern geschehen. Ich seufzte, lüftete meine Kappe und konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel nach oben gingen. Einmal Barto-Club-Mitglied, immer ein Yolo-Bro, huh?   „Ich brauch deine Hilfe“, eröffnete ich ihm den Grund, warum ich eigentlich hier war. „Die Strohpuppen“, wie Barto die Luffy-Anhänger nannte, „weißt du, wer das alles ist?“   Geräuschvoll zog er Speichel hoch. „Geheime Infos, hä?“, steckte er seinen Finger in die Nase, während ich zwei Schritte auf Abstand ging. „Seh ich aus wie jemand, der ein pussy-pink-popeliges Tagebuch führt?“ Ich holte Luft, er kam mir zuvor; „Klaro!“, sprintete er zu einem der Spiegel – wohl ein Geheimfach – hinter dem er ein Heftchen hervorholte. Pink. „Oma hat gesagt, Pink ist das neue Schwarz.“ Oma hat ihn lieb.   Mit beiden Händen und geröteten Wangen hielt er mir das Heft hin, auf dem 'super geheim' stand. Offensichtlicher ging's wohl nicht. Unter dem Schriftzug war ein gekritzelter Luffy-Kopf mit rundlichem Gesicht und Strohhut. Das Heft sogar benannt; 'Going Luffy-senpai' Ich nahm es zögerlich, blätterte kurz darin und fand diverse Namen, von denen ich einige wiedererkannte. „Kannst du mich zu diesen Leuten bringen?“, wollte ich wissen. „Kann ich“, zuckte er mit den Schultern, „mach ich aber nicht.“   Ein Versuch war's wert. „Okay“, meinte ich wiederum gelassen, rollte das Heft zusammen, klemmte es mir untern Arm und ging. „Ey! Wo willst du mit der Going-Luffy-senpai hin?!“, eilte er mir hinterher, sah mein Grinsen nicht. „Wir gehen auf große Fahrt. Alles einsteigen!“, streckte ich meine Faust nach oben, zeigte ihm mein X auf dem Unterarm. Woraufhin ihm wieder die Tränen kamen. „D-Das Zeichen!“, schluchzte er, „w-wie hast du es dir verdient?“ Hab's mir draufgeklebt. Das behielt ich dann doch für mich, antwortete stattdessen; „Einmal Nakama, immer Nakama.“   Er schnäuzte noch irgendwas Verrotztes und folgte mir dann, eine Tränenspur hinterlassend. Und wieder zurück zur Gruselvilla.     Hätte nie gedacht, dass ich das mal tun würde...   „Ritter Tausendschön“, rief ich in den Aufenthaltsraum, musste mir den gequälten Gesichtsausdruck verkneifen und hüpfte im Galopp auf den blonden Schönling zu. Jop, ich konnte mir denken, wie bescheuert das aussah und mir war's echt verdammt peinlich. Half nichts. Alles für den Piratenkönig.   Der Blonde warf sein lockiges Haar zurück und hob sein Kinn. „Mein Ross ist heimgekehrt.“ Wenigstens war's nicht sein böses Ich, das eifersüchtig auf mich war, wegen- „Hattest du einen angenehmen Ausritt?“, besah er mich mit diesem arroganten 'Ich-bins'-Blick. „Nächstes Mal nimm mich.“ Mit. Da fehlt ein Mit!   Schnell biss ich mir auf die Zunge, um mir den Kommentar zu verkneifen. Ich musste mitspielen, um ihn auf unsere Seite zu ziehen. Cavendish stand in dem Fan-Heft – mit schwarzem Herzchen als I-Punkt – somit waren die Chancen gut, ihn zu überzeugen. Ich atmete durch. Hierfür brauchte ich all meine Überwindung.   „Werter Herr Ritter, wir benötigen Ihre Dienste für die große Schlacht“, kniete ich mich verbeugend vor ihn, unterdrückte den Drang, ihm auf die Schuhe zu kotzen. Wegen seiner übertrieben befunkelnden Ausstrahlung, die umso heller strahlte, bei der Lobpreisung.   Er roch an einer weißen Rose, die er zwischen seinen Fingern drehte, reckte sein Kinn noch etwas höher und sah zu mir herunter. „Erhebe dich, Ross. Du darfst mich nun anschmachten.“ Der Würgelaut entkam mir dann doch. Glücklicherweise übertönten ihn die klimpernden Nietenstiefel, die näherkamen.   „Mach nich so nen Aufriss, Cabbage.“ Der Hahnen-Punker spuckte auf den Boden, traf die teuren Schönlings-Schuhe und hievte mich am Arm hoch. Der Nietenstiefel trat gegen den Sessel, in dem der Blonde saß. „Schieb deinen Adelsanus aus deinem Prinzessinnen-Thrönchen und zeig deine Klöten.“ Die will keiner sehen!   Die Queen erhob sich tatsächlich. „Nun gut. Ich werde gebraucht. Wer, wenn nicht ich, kann das Fußvolk retten?“ Cavendish betrachtete sich seine perfekten Nägel, ehe er erneut zum Schwafeln ansetzt. „Dafür-“ Und ich war weg. „Macht's gut, Jungs!“   So schnell wie ich aus dem Raum draußen war, konnte mir keiner nachsehen. Außer einer. Dieser Grauhaarige mit dem Blick eines Wachhundes. Gehörte der nicht ins Altershei-? Seine Augen brachten mich zum Schweigen. Die Augen eines Jägers. Warnend, wachend – weg von hier!   Aus der Villa draußen, atmete ich den kühlen Nebel ein, der hier immer rumhing. Bald brach die Nacht ein, seit Stunden war ich nur am hin und her laufen. Aber für einen guten Zweck. Das redete ich mir zumindest ein.     Der nächste Weg war ein schwerer. Jeder Schritt fühlte sich verzögert und bleiern an, der Kellerflur wirkte viel weiter als er war. Mein Herz stichelte. Je tiefer ich ins Dunkle ging, desto fester griffen die negativen Emotionen um meine Brust, schnürten sie zu. Es roch beißend süß und streng alkoholisch. Vor der Tür der stillgelegten Krankenstation angekommen, hob ich meine Faust zum Anklopfen, senkte sie wieder. Mehrere Momente stand ich einfach nur dort, blickte zu Boden, bis ich meine Augen erneut aufrichtete. Und Marco entgegenblickte.   Er stand gegen den Türrahmen gelehnt, musterte mich mit seinen dauermüden Augen, in denen etwas lag, was ich nicht deuten konnte. Unsere Blicke begegneten sich; seiner ruhig, meiner zunehmend unruhiger. Ich machte mich kleiner, wollte versinken. Von Schuldgefühlen überrannt, trieb mein Puls in die Höhe, meine Hände schwitzten.   Nach gefühlt zu schnellen Herzschlägen, setzte Marco zum Sprechen an. Seine Stimme neutral, doch zeitgleich tiefgreifend. „Du hast...“ Ace im Stich gelassen. Zugelassen, dass er verletzt wird. Nichts getan! „...Ace gerettet.“   Nicht wieder das! Wütend ballte ich meine Fäuste, wurde ungehalten. „Nein!“, dröhnte meine starke Stimme durch die Flure. „Meinetwegen ist es erst so weit gekommen. Ich habe gewusst, dass er in den Keller geht. Hätte die Gefahr kommen sehen müssen. Hätte handeln müssen, bevor das alles passiert ist!“, machte ich meinem Unmut Luft, wollte keine falschen Heldentaten an mir haften haben, konnte das nicht annehmen.   Marco ließ mich ausreden, blieb die Ruhe selbst, hob eine geschwungene Augenbraue. Dem tiefreichenden Blick aus Himmel-klaren Augen konnte ich nicht standhalten, sah weg, atmete durch. Sein Stimmton nahm Weisheit an. „Wenn du so darüber denkst, dann... lerne daraus“, hatte seine Stimme dieses Beruhigende eines großen Bruders, „handele vorher, sehe Gefahren voraus, gehe gestärkt hervor.“   Ein Schweigen entstand zwischen uns, ich nickte verstehend. Dann entschränkte er seine Arme und trat ins Krankenzimmer. „Möchtest du Ace sehen?“, ging er vor, wartete nicht auf mein Folgen – ich tat es.   Egal, was ich erhofft hatte... sein Anblick überraschte mich. Ace lag auf dem Bett, das neuer als die ganzen alten Gerätschaften aussah. Seine Arme hinter dem Kopf verschränkt, sein Bein in einer Schlinge oben gehalten, den Oberschenkel verbunden. Ace... chillte dort einfach.   Als er mich bemerkte, hoben sich seine Mundwinkel. Erschöpfung zeichnete sein sonst so aufhellendes Grinsen, das aber nichts an dessen Strahlekraft verlor. „Wo ist mein Präsentkorb mit Essen?“, war seine ungewöhnliche Frage, die Marcos tadelnden Blick hervorrief. „Du hast vor wenigen Minuten erst eine Pizza, eine große Portion Crème Brûlée und etwas von Sanjis 'Ar-lá-long' gegessen.“   „Stimmt“, lachte Ace ausgelassen, brach mittendrin ab, hielt sich den Bauch. „Aber ich muss mich schonen und Energie tanken. Hat mein Arzt gesagt. Heißt: umso mehr essen!“ „Du bist unverbesserlich...“, seufzte Marco, sah geschlagen in Ace' Hundeaugen. „Und genau das ist es, was dich scharf auf mich macht, oder?“ „Ist es. Leider.“   Sollte ich besser gehen? Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz... „Wie geht’s dir?“, fragte ich vorsichtig. Ace wollte zu einer gegrinsten Antwort ansetzen, bekam aber eine Sandale ins Gesicht gedrückt. Junge Liebe.   „Den Umständen entsprechend“, antwortete Marco aufrichtig, seine müden Augen nahmen etwas an, was nur Ace wecken konnte, „er... hat das Schlimmste hinter sich.“ Ich verstand, zeigte stumm Aufmerksamkeit mit meinen Augen. Marco fuhr fort, reichte Ace eine Schale mit Obst, die dieser sich einverleibte.   „Teach...“, änderte sich etwas in beider Mimik. Marcos Stimme kühlte zu Asche, als er weitersprach. „Er ist in meiner Krankenstation aufgetaucht.“ Ist er?! Das... nenn ich mal Ironie. „Blutend wie ein Schwein, hat um sein Leben gebettelt, um meine Hilfe gefleht...“   Ich traute mich nicht zu fragen. Meine Neugier siegte. „Was hast du...?“ Ace senkte den angebissenen Apfel, blickte in die weiße Stelle in der roten Frucht. „Marco hat... mich entscheiden lassen.“   Ich ahnte, was er tat. Marco schmunzelte warm, gar stolz. „Ace ist zu gutherzig. Der liebenswerteste Mensch, dem ich je begegnen durfte.“ Marcos Lippenzug nahm etwas Bitteres an. „Ich weiß nicht... was ich getan hätte. Ob ich Teach hätte ausbluten lassen“, gestand er, blickte zu einem willkürlichen Punkt an der Wand, ehe er wieder zu Ace schaute. Milde lächelte. „Ace ist mein gutes und schlechtes Gewissen.“ „Ey! Was soll das denn heißen?“ „Dass ich dich liebe.“   Ich errötete. Das hat er einfach so rausgehauen! Ace warf Marco den Apfel an den Kopf. „Vitamine. Damit du mir noch lange erhalten bleibst.“ Marcos Lächeln gefror, als Ace es tat. „Mit deinen 25 Plus...“ Ace wagte es! Er! ...nannte die eine Zahl. Schön, dich gekannt zu haben. Mein Stichwort zu verschwinden.   Mein letzter Gedanke galt Ace, der nicht mal entkommen konnte. Das Abfallen seines lässigen Lachens zusammen mit dem „Hab's nicht so gemeint, Marco, nicht-!“ beschleunigte meine Schritte. Ich hab nichts gesehen und nichts gehört.   Die beiden wirkten glücklich, schienen ihr Glück gefunden. Echt schön für sie. Ich bin so froh...   Jetzt hab ich vergessen, wegen Fluffy zu fragen.   Nächstes Mal.   Es wurde echt spät. Bevor ich zum nächsten Kandidaten auf der Liste ging – falls dieser noch wach war – wollte ich in der Mitarbeiterküche einen Kaffee und neuen Zucker holen. Shachi war er beim Backen ausgegangen, brauchte also welchen für weitere Süßkatastrophen. Was für ein toller Bruder ich doch war. Apropos Backen... Wer macht die Sauerei eigentlich weg? Ich seufzte ächzend. Weil ich das sein werde.   In der Küche angekommen, traf ich jemanden. Aus dem Augenwinkel erblickte er mich und werkelte dann weiter an dem Mixer herum, schaltete ihn an. Es ratterte und brummte, jede Begrüßung wäre sinnlos gewesen, würde ungehört bleiben. So ging ich an ihm vorbei zur Vorratskammer und nahm mir den Packen Zucker, fühlte seine Blicke. Seltsam... Ich lass ihn besser in Ruhe.   Ich wollte schon wieder gehen, da hielt er mir das Glas mit Saft hin. Es roch fruchtig, süß und gesund. Dankbar nahm ich es an, stellte den Zucker ab. Nett von ihm. Ich setzte das Glas an, trank einen großen Schluck und- Erstarrte.   „Der junge Meister erwünscht deinen Tod.“ Faktisch, neutral, endgültig. Die Stimme nicht wiederzuerkennen, beängstigen. Eiskalt schlugen die Worte ein, seine stürmenden Blicke belauerten mich. Ich fühlte mich ungut.   „Ist dein Durst gestillt?“, hakte er seltsam nach, meinte nicht diesen Durst. „Hat es geschmeckt? Eventuell etwas... bitter, ya?“ B-Bitter?   In Terror starrte ich auf das Glas in meiner Hand, die es nicht mehr halten konnte. Es rutschte aus meinem zitternden Griff, zerschellte. Krampfend sackte ich auf meine Knie, mein Körper brannte, fühlte sich wie in Feuer an. E-Er hat... Erschüttert, zornig, gekränkt sah ich zu ihm auf, erkannte die Silhouette nur noch unklar. Das Silber in grauen Nebeln verschleiert. Unnahbar, distanziert, entfremdet. Lächelt er?   Law hat... Mir etwas ins Getränk gemischt. Bitterer Verrat. Das war es, was ich fühlte, während alles andere taub wurde. Gerade, als ich wieder angefangen habe, dir zu vertrauen... Es schmerzt. Warum bist du es, der mir das antut? Ich starrte in an, bis zum Schluss. Bis es nicht mehr ging. Habe ich nicht schon genug Mist erlitten?   Wann hört es endlich auf? Hört es je auf?   Haltlos fiel ich in seine Richtung, verlor das Bewusstsein, gerissen in die Furcht, die mein Herz wie Rasiermesser schnitt. Die Angst, die meine Psyche zertrümmerte.   Was hat er mit mir vor? Wird er mich...? Werde ich...?   Es war ein Gefühl, das sich bewahrheitete.   Ich werde sterben.   ⊱❁⊰   Sonnenblumen... Ihr roter Schimmer ist tragisch schön.   Blut, das an ihnen haftete, die gelben Blüten zierte. Ich, der gelähmt in ihnen lag, umringt von ihnen, meine Glieder nicht mehr spürte. Zweifelnd, verzweifelt. Mir ist so kalt... Nur meine Augen hielten das Feuer aufrecht. Mein Blick, der ihn zu greifen bekam. Wäre mein Gesicht nicht fühllos, hätte ich einen Mundwinkel nach oben gezogen.   „Ist das deine Auffassung von Romantik?“, krächzte ich schwach hervor, aber bissig. Herzschläge vergingen, füllten das nichts, in das mein Knurren biss. „Antworte mir, Killer!“   Still, teilnahmslos, grausam. Auf einem unbeschrifteten Grabstein saß er, in seiner Hand die blutige Sense, die er betrachtete. Ihre Spitze zeigte nach oben, die scharfe Seite auf sich selbst gerichtet. Das flüssige Rot perlte an der Klinge hinab, tropfte über seine Hand, auf seine Hose. Sein Blick hinter der Maske verborgen, die in der Mitte zerbrochen. Gespalten. Oder gebrochen? Von irgendwo flatterte ein Schmetterling her, setzte sich auf die Sichelspitze nieder. Makaber war kein Ausdruck für dieses Bild. Es wirkte brutal friedlich. Alptraumschwebend.   In der Stille das leise Rascheln der Blumen zu hören, von denen einzelne gelbe Blüten vom Wind getragen wurden, flimmerten vorbei an mir. Eine verfing sich in meinem braunen Haar, verklebte mit dem Rot.   Ich Idiot. Habe geglaubt, dass nun alles besser wird, dass wir so etwas wie eine... Beziehung eingehen könnten. Gemeinsam in eine Richtung gehen, mit einem geteilten Ziel. Es gab nie ein Besser, nie eine Chance zwischen uns, stimmt's? Mein Blick spiegelte Enttäuschung. Wütend über mich selbst, der einer falschen Hoffnung erlegen. Schon wieder...   Kira. Wo bist du? Ich... vermisse dich... fürchte mich... Vor ihm... vor mir...   Warum nur habe ich dich fortgeschickt? Oder bist du freiwillig gegangen? Abgehauen... weg, von mir?   Langsam erfasste ich das Ausmaß der Lage, in der ich mich befand. Auf mich allein gestellt, hilflos, völlig schutzlos. Das Blut unter mir kälter werdend, meine Körpertemperatur sinkend. Ich lag vor dem Graben, den Killer hatte ausgehoben. Für mich.   Er machte mir Angst, eine Höllenangst, jagte mir verdammtes Grauen in meine Knochen, die sich nicht rühren wollten. Verflucht! Was tue ich hier? Erneut diese Frage. Was hat sie jetzt noch für einen Sinn? Nichts ist mehr von Bedeutung... Nichts. Ich... wollte doch nur lieben. Panisch floh mein Herz, rannte um dessen Existenz. Weg. Weg von ihm!   „Sag... fürchtest du dich vor mir?“ Das Erste, was Killer nach einer gefühlten Folter zu sagen hatte. „Mache ich dir Angst?“ Sein Stimmton klang leer und apathisch, ihm fehlte die dunkle Emotion, die er sonst hatte getragen. Das Schmunzeln, das nicht hörbar. Dafür etwas anderes umso deutlicher. Trauer. Er klang erschreckend verloren. „Lebendig begraben zu werden“, begann er zu erzählen, blasse Nostalgie finsterte die Silben. „Es beendet ein Leben auf die ein oder andere Weise.“ Wovon spricht er?   Was ist dir passiert, Killer? Warum bist du so? So... betrauernd.   Wäre ich nicht in so einer Scheißlage, hätte ich vielleicht Mitgefühl für ihn aufbringen können. Schrecken blendete mich, die Panik in mir drehte durch. Hat er wirklich vor, mich-?! „Ein Mörder, der seinen Opfern die Chance auf Leben gibt.“ - Seine Worte, an die ich mich erinnerte. Heißt das... ich bin eines seiner Opfer? Nur eines von vielen? Ein Es, kein Jemand...   Das tat mehr weh, als ich zugeben würde. Hat er all das hier geplant? Wie lange schon? Warum... ich?   „Wir teilen das gleiche Schicksal“, stieß er sich vom Grabstein ab, trat auf mich zu, „wir sterben nicht, leiden weiter...“ Von welchem Wir redet er? Kira und sich? Mir und ihm? ...Ihnen allen? Ich bin so durcheinander.   Das Knirschen seiner Schuhe auf Erde erklang, mit jedem Schritt lauter. Meine inneren Alarmsirenen schrillten. Gefahr. Lebensbedrohlich. Verzweifelt versuchte ich von ihm wegzukriechen. Nichts konnte ich, kein Muskel gehorchte mir. Verdammt, verdammt, verdammt! Selbst meine Stimme versagte, brachte keinen Ton mehr heraus. Ich fühlte nicht, wie er seine Hände unter mich schob, mich problemlos hochhob. Vor sich trug, im Brautstil, als wäre dies die Schwelle, die wir gemeinsam überschritten.   Er nahm mich mit ins Grab. Abstrakt, skurril, bedauernswert wahr. Nur ein Sprung, dann waren wir in der rechteckigen Grube, groß genug für zwei. Dort kniete er sich hin, legte mich ab, als wäre ich etwas Zerbrechliches. Zerbrochenes. Killer hatte die Grube hübsch hergerichtet: mit Kerzen und Blumen. Ich lag auf einer verfluchten Picknickdecke. Als wäre das ein fucking Date. Kranker Psycho!   Es roch nach nasser Erde, Eisen und Sonnenblumen. Stehend blickte er auf mich herab, neigte seine Maske zur Seite. „Weinst du?“ Weiß nicht, spür ja nichts. Steck dir die dämliche Frage-! Sein Finger strich über meine Wange. Ich sah es, fühlte es nicht. Ein Seufzen verließ seine Lippen, dann verdunkelte meine Sicht. Von hellen Löchern durchzogen, durch die Licht schien. Killers Maske. Er hatte sie mir aufgezogen. Eine Totengabe?   Und er setzte sich zu mir ins Grab, neben mich, auf die Decke, griff zu einem der gefüllten Weingläser, die er vorbereitet hatte, trank in aller Seelenruhe. „Hörst du dies?“, war es so still hier unten. „Zusammen sind wir weniger tot“, faselte er weiter und trank das Glas aus, wollte mir wohl Zeit lassen, mir die letzte Ehre erweisen. Über uns der Vollmond, der sich durch den Nebel kämpfte. Licht, das die Motten anzog. Nachtschwärmend.   Mein Kopf war blank, des Denkens unfähig, völlig zerstreut. Ich hyperventilierte, was ich an dem kaputten Atemgeräusch merkte. Wieder seine Finger, die mich berührten – mein Körper, der reagierte; meine Atmung, die entschleunigte.   „Ich bin bei dir.“ Schnurrend legte er sich hinter mich, schlang seine Arme um mich, zog mich nah an seine Brust. Makaberer ging nicht. „Shhh“, wisperte er beunruhigend, „es tut weniger weh, wenn du loslässt.“ Sagt der, der mich festhält.   Der Schattenmeister verwirrte mich, wiegte mich in seinen Armen, wollte das Zittern meines krampfenden Körpers lindern. Habe ich eine Panikattacke? Einen Nervenzusammenbruch? Kollaps? ...Ein gebrochenes Herz. Mindestens. Dieses fühlte ich sehr wohl, schmerzlicher als alles andere.   Aus Schutz tat ich das, was am einfachsten war: Es abzustreiten. Ich wollte es nicht wahrhaben, konnte nicht glauben, was hier geschah. Law, der mich betäubte, Killer, der mit mir in meinem Grab lag. Wessen Psyche würde da keinen Knacks bekommen? „Lass los...“, redete er weiter auf mich ein, „lass es geschehen...“   Will er mich brechen? Mental spalten? Was hat er davon?   Schwächlich flüsterte ich; „Brauchst du... mich nicht?“   „Das Licht braucht den Schatten“, hauchte er mir ins Ohr, „wenn das Licht sich vom Schatten löst, wird er stärker.“ Ein Flüstern in Obsession. „Du machst mich schwach, my Sunshine~“ Ich... was? Weiter sprach er in Rätseln. „Kira braucht uns... braucht uns bald nicht mehr...“ Uns?   Erwas Dunkles zeichnete seine Stimme, vertiefte sie. „Ich will zumindest einmal mit dir schlafen“, umspielte düsteres Amüsement seine Lippen, die durch das Loch der Maske nah meinem Mund hauchten. Sein Atem striff über meine Lippen. „Selbst wenn es der ewige Schlaf ist.“   Er will-?! Mit mir zusammen... hier unten? Ich... versteh gar nichts mehr.   „Mein armes, wirres Lämmchen“, nutzte er wieder diesen Ton, als wäre ich es, der sie nicht mehr alle hätte. Bullshit! Ich wurde sauer, hatte leider keine Kraft, um daran festzuhalten. Jede Emotion schwand im nächsten Herzschlag wieder. Als würde Killer dessen Takte angeben.   Behutsam strich er mir über den Nacken, zogen eine Linie nach. Seine Finger schlüpften unter die Maske, streichelten mir durchs Haar. „Du wirst früh genug verstehen... bis dahin... schlafe.“   Er begann, eine leise Melodie zu summen. Ein Schlaflied in düsterer Betörung. „Sunshine~ You are my Sunshine~“ Wie damals, als er mir Smile verabreichte. Ist es noch in meinem Körper? Es wirkte. Sein unheimlicher Gesang beraubte mich meines Bewusstseins, schickte mich fort, ins Dunkel, ins Still – sein Reich. Doch anders als er, der stets die Einsamkeit erlitt, hatte ich ihn, der bei mir blieb. Ob ich ihn bei mir haben wollte, das entschied er für mich.   Sanft hob er seine Maske, die ich trug, entblößte meinen Mund. Auf meinen Lippen spürte ich seine, die meine nicht abwehrten. Ein Todeskuss.   Ich, eine willenlose Schattenscherbe – Er der zerbrochene Spiegel, dem ich gehörte.   Warum nur, kann er sich nicht aus meinem Herz schneiden...? Sondern drang immer tiefer in es?   Das erlogene Herz liebt die Lüge, welche lebt.   Liebe. Lüge. Lebe.   Mit mir.   . . .   „Der Schnüffler ist beseitigt.“   Erde rieselte auf mich nieder. Ein schabendes Geräusch, wie Killer die Schaufel in den Boden rammte, bevor er sie auf mir auskippte. Das Grab zuschaufelte, in dem ich lag. Staub rieselte hernieder, bedeckte den Himmelsstern, der nicht mehr schien. Von grauem Nebel verschluckt. Nur die Blumen leuchteten. Trotz ihres Namens, schimmerten sie auch zur finstersten Zeit. Zur Sonnenwende.   Der ansteigende Klang eines dämonischen Lachens verdunkelte die Atmosphäre. „Fu Fu Fu~“ Doflamingo höchstpersönlich, der bei meiner Beerdigung erschien. Welch Ehre. Eine rosa Feder schwebte zu mir hinab, flog vor meinen erschreckend leeren Augen, die nicht mal mehr glasig, sondern fahl-trüb waren. Die Feder landete auf der Maske, die mein Gesicht verbarg. Ich wurde betrachtet. „Zufriedenstellend“, überwand sich der dunkle König zu einem geheuchelten Lob an... „Kamazou, the Manslayer.“   Ah... jetzt ergibt es Sinn. Smile, Kamazou – Mingo hat diesen kranken Charakter erschaffen. Er ist schuld an Killers Vergiftung.   Und... Ich liege hier... weil meine Zeit abgelaufen ist.   Die Schonfrist ist vorbei. Die Uhr zeigte genau Null.   Der dunkle König köpft den weißen Ritter, den schwarzen Soldaten vorgeschickt.   Ich hasse Schach. Hab ich nie kapiert.   „Ne, ne, Doffy“, schniefte jemand, rotzte hier runter, „wann ist Law dran?“ Law? Das albtraumhafte Lachen erzeugte einen tiefen Ton dunkler Verspieltheit. Der Spielmeister hatte entschieden. „Dann, wenn es am meisten schmerzt.“ Ich sollte nichts empfinden... kein Mitgefühl haben... Nicht für einen Verräter, der verraten wird...   „Fahre fort“, wies er Killer an, der die Schaufel erneut in die Erde rammte. Der Thronbesetzer wandte sich zum Gehen, doch schien etwas seine Aufmerksamkeit zu locken. Die Sonnenblume mit blutroten Blüten. „König der Piraten... welch lächerliche Narretei.“ Verächtlich lachte er den Jungen aus, der die Welt ein Stück besser machen wollte. Der den Mut aufbrachte, zu helfen, wo längst jede Hilfe verspätet... Den Willen, etwas zu ändern. Entschlossen, kampfbereit, unaufhaltsam. Ich glaubte daran. An ihn.   Sonnenblumen blühen auch in der Finsternis.   Mit dem Gedanken wurde die Welt wieder schwarz. Meine Augen fielen zu, ich sank in eine Tiefe, die mich immer mehr in den Abgrund riss. Fühlte sich so sterben an? Wie ein Ende?   . . .   Nein... Ein Neubeginn.   „Twinkle, twinkle, little Star~“ Verführende Gesänge, die mich in Leben wiegten. Sicher fühlen ließen, Halt gebend, mich aus der Stille zerrten, in seine kalten Arme legten. Im Angesicht des Todes wandelte die Kälte zur Wärme. Dies lehrtest du mich.   „Willkommen auf der anderen Seite“, Killers Lippen auf meiner Stirn, „friedlich geschlafen?“ Flattrig öffneten sich meine Augen, die auf seine trafen. Schattenhaftes Nachtblau. „Was...?“, meine Stimme kratzte, mein Hals tat weh. Eine Flasche wurde mir an den Mund gehalten. Wasser? Ich trank nicht.   „Es ist nicht vergiftet“, versuchte er mich zu überzeugen, erfolglos. Letztlich setzte er den Flaschenhals selbst an, nahm einen Schluck, behielt ihn im Mund und drückte seine Lippen auf meine. Mein Körper wehrte sich nicht. Selbst wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte. Ich war ihm längst verfallen. Fiel immer tiefer, stürzte mit ihm in den dunklen Abgrund.   Das Wasser führte er mir über seinen Mund zu, die Flüssigkeit leicht von ihm aufgewärmt. Ich schluckte. Seine Zunge folgte, fuhr die Konturen meiner Lippen nach, in die sie drangen. Es fühlte sich vertraut an. Es gab meinem Herz Kraft zu leben. Es schlug, wegen und für ihn. Weiter ging er nicht. Killers Mund lag auf meinem, zeitlos und still. Meine Lippen erinnerten ihn.   Unsere Blicke verankerten sich, blickten in die Tiefen des anderen. Dort, wo Kira auf mich wartete. Für dich werde ich weitermachen. Stark sein. Kämpfen. Schwerfällig rappelte ich mich hoch, in eine sitzende Position, hatte kaum Energie für irgendwas. Killer hielt mich noch immer, ich in seinem Schoß, zwischen seinen Beinen, sein Kinn auf meinem Kopf. Zusammen blickten wir zu den Sonnenblumen. Er gab mir die Zeit, die ich zum Sprechen brauchte. „Warum... das alles?“ Warum dieses Puppentheater?   „Hat dir die Show gefallen?“, klang er viel zu amüsiert, ein Zeichen dafür, dass er eine andere Emotion maskierte. „Dich zur ewigen Ruhe betten, hat mein kaltes Eisherz fast zu Asche verbrannt.“ Was auch immer das heißen soll.   Killers Stimmton wurde kühl. „Dein Tod musste echt aussehen.“ Mein Tod? „Trafalgar hat die Blutkonserven besorgt sowie die richtigen Medikamente, ohne dein Herz zu schädigen. Sogar überzeugende Worte bei Pinki eingelegt, den Totenschein ausgestellt. Kid hat die Kameras manipuliert, die Patienten und das Wachpersonal abgelenkt.“ Sie haben...? Sie alle? Mein Herz wummerte warm. Alle wollen, dass ich lebe?   Du wolltest mich nie töten, stimmt's? Ihr alle... ihr wolltet nur mein Bestes. Bin ich denn nicht gut genug gewesen? Seid ihr denn besser? Wir... haben wir's hinter uns?   Ich glaubte meinen eigenen Gedanken nicht mehr. Sie waren so wirr. Ungläubig seufzte ich, das alles zu makaber und skurril. „Gab's da nicht Methoden, die weniger Horror-mäßig sind?“ „Gibt es.“ Und er schwieg! Wechselte dann das Thema. „Es bleibt fraglich, ob der hohe Lord es uns abkauft... und wenn, für wie lange. Darum müssen wir weitere Vorkehrungen treffen.“   Es machte mich wütend. Alles. Spielt er nur mit mir? „Vorkehrungen? Soll heißen?“, trotz Schwächeln schaltete ich auf Defensive. Sein Mund nah an meinem Ohr riss meine Mauer sofort nieder. „Ich lehre dich, ein anderes Ich zu sein.“ Irritiert sah ich ihn an. Was meint er denn damit wieder?   Killer lachte dunkel. „Es gibt da jemanden, der dich sehen will...“ Jemand, der-? „Vertrau mir“, leckte er mir übers Ohrläppchen. Knurrend stieß ich ihn weg von mir. „Dir vertrauen?!“, wurde meine Stimme bissig, schöpfte neue Kraft. „Du hast mir ein Grab geschaufelt, du verdammter Psycho!“   Lässig zuckte er mit den Schultern, schmunzelte. „Du stehst auf verdammte Psychos.“   „Ich-“ fluchte. Schweigend befeuerte ich ihn mit giftigen Blicken. „Putzig~“, schnurrte er entzückt, legte seinen Kopf schief und strich mir mit seinem Zeigefinger an meiner Schläfe entlang, zu meiner Wange. „Schwarzer Kajal würde dir stehen, Darlin', deine Augenfarbe unterstreichen.“ Irritation wandelte sich zu Entsetzen. „Du willst... mich schminken?!“   Sein Schmunzeln der Inbegriff von Unheilvoll. „Oh, nicht nur das...“ Etwas funkelte finster-schön in seinen Augen. „Ich mach aus dir mein perfektes Opfer.“ „Das nennt sich Liebhaber.“   „...Igitt“, schüttelte er sich angewidert. „Nimm das nicht in den Mund.“ Und seine Mundwinkel übten einen Spagat. „Nimm lieber meinen-“ „Sei kein Kid.“ „-Messer ins Herz.“ „'Meinen Messer'?“ „Meinen Messer.“   Ich lachte schwach. Das klang echt zu dämlich. Sturkopf, der er doch war. „Stopp, stopp, stopp“, schaltete ich zu spät, meine Augen weiteten sich, „war das... eine Liebeserklärung?“ 'Nimm mein Messer ins Herz' – mich in dein Herz?   Kurz hielt er meinen Blick, der seinige unergründlich, ehe er seine Arme um sich selbst schlang. „Igitt, igitt!“, rieb er sich theatralisch über seine Arme, Schultern, Oberkörper... weiter. Ich errötete. „Wir wissen's, lass das!“ „Was wissen?“, fragte er unschuldig, strich sich über die bedeckten Ni- cht hinsehen!   „Dass du unterstochert bist“, sah ich ja doch wieder hin, strafte ihn mit meinem gelangweilten Blick. „Such dir n Hobby.“ Tadelnd wackelte er mit dem Zeigefinger. „Ah, Ah“, verschwand seine Hand in seiner Hose und- „Ich bin gänzlich ssscharf~“, zückte er das Messer, das er genau da herhatte. „Dass du noch Eier hast, wundert mich.“ „Immer für eine Überraschung gut~“   Sein verspielter Stimmton gewann an Tiefe. „Und nun lass mich ran.“ Sein Messer hielt er zum Schnitt bereit. „Okay.“ „Okay?“ „Ich steh halt auf verdammte Psychos.“   . . .   So geriet ich unters Messer, wurde gespalten. Meine Haare geschnitten, dunkel gefärbt, schwarzer Kajal unter den Augen, dazu düstere Klamotten. Ob ich nun Emo, Metal oder Gothic darstellen sollte, war fraglich. Vielleicht alles, vielleicht nichts. Killer formte mich nach seinem Begehr. Es war ein Schattenbild meines Selbst. Schwarze Farben, die mich maskierten. Als wäre ich sein Schatten geworden. Oder wir einer? Ich verlor und gewann etwas. Was davon Ich war und was Du, blieb unklar.   Entschlossen schritt ich durch das Sonnenblumenfeld, vorbei an den gelben Blumen, deren gelblich-farbiger Staub an meiner Hose haften blieb. Unaufhaltsam steuerte ich auf das Grab zu, das mit Erde zugeschüttet. Sinnbildlich für das Loch, das in meinem Inneren gefüllt.   Die Wochen hier hatten mich verändert. Sind es Wochen? Tage? Oder schon Monate? Ich verlor nicht nur die Zeit, suchte vergeblich den Überblick – fand, wurde gefunden, siegte. Mein Gewinn: Ein Zuhause, eine Familie, eine Liebe. Nicht nur eine.   Mein Blick war unweigerlich nach vorne gerichtet, auf dich, das Uns. Hinterm Horizont ging die Sonne auf, in der du standest. Auf mich wartend. Ich grinste dir zu, über das Grabmal hinweg, zog meine Kappe aus, der ich einen letzten Moment widmete, sie betrachtete. In Erinnerungen. Ehe ich die Mütze ablegte, schief auf den Grabstein, auf dem mein Name eingraviert.   „Mach's gut, alter Freund.“ Ein Abschied von mir selbst. „Penguin“, sprechend zu der Kappenaufschrift. „Hast dich tapfer geschlagen.“   Es reichte nicht. Ich war nie genug. Nicht dir, nicht mir. Für uns musste ich mich ändern. Ein anderer sein.   Aufhören zu sein. Anfangen zu leben.   Sterben ist wie Weglaufen. Die Zeit läuft ewig weg. Erst, wenn die Sanduhr bricht, funkeln die Scherben des Neubeginns.   Aus Trümmern, bauen sich Traumschlösser.   Hab doch gesagt, bin gestorben.   Ein Teil von mir ist es, liegt begraben in der Grube, in der Vergangenheit zurückgelassen.   So beginnt mein neues Leben. Mit einer neuen Identität. Kein zweites Ich, ein Dich.   Dir allein. Für euch. Zusammen.   . . .   Dein Partner. Dein Opfer.   Euer... Liebhaber.   „Nicht wahr, Kira?“ Ich schmiegte mich an ihn, legte ihm meine Lippen auf. „Glückwunsch zum Jahrestag.“   Ich war sein Geschenk, von Killer angerichtet. Kapitel 10: Abschiedsvorstellung -------------------------------- Lebe wohl, Vergangenheits-Ich. Sei gegrüßt, mein neues Du.   Ein Ich dir zu dienen. Ein Du mir zu verfallen.   Falle. Tiefer. Immer tiefer.   Zerschmettere. In tausend Teile.   Gebe uns Scherben, an denen wir bluten.   Zerstörtheit, an der wir uns laben.   Zerbrochene Spiegel, offenbaren die Wahrheit. Uns: Ein entstelltes Monstrum, ein kranker Unhold.   Ein guter Soldat; Ein böser Geist.   Zwei Seelen, ein Liebhaber.   Wir reißen uns darum. Um dich. Dein zu sein; Ein.   Dürfen wir dich reißen? Dich in Stücke teilen?   Grauenhaft schön wirst du für uns sein.   Nichts Halbherziges. Kein Trauerspiel. Unser Alles.   Oder bist du die Gnadengranate, die in unserem Brustkorb hochjagt?   Gratulation, du bist am Ziel: Der Point of no Return.   Oh, wie tragisch. Wie herzzereißend. Leidest du sehr? Unter uns?   Du kannst nicht anders, oder? Dir bleibt keine Wahl, du musst es tun.   Bleiben. Damit du vergehst.   So sei es. Sei verdammt. Sei geopfert.   Sei … geliebt. Das Opfer unserer kranken Liebe.   . . .   Wir verstecken uns. Du und ich, hier in meiner Zelle. Meine Maske trage ich nicht, nicht vor dir. Dein Kopf liegt auf meinem Schoß. Meine Finger gleiten durch dein Haar, dein einst braunes, das nun schwarz. Befleckt und verunreinigt. Von ihm. Der, der dich mir wegnimmt.   Killer ist nicht hier. Nicht mehr. Fort. Für wie lange?   Meine Fingerspitzen zucken, zögern, streichen dir weiter über deine Kopfhaut, beruhigend. Mich selbst zur Ruhe bringend. Dich zu berühren, bringt mir seelischen Frieden. Dein Dasein Vollkommenheit.   Leise summend, rede ich auf deine schlafende Figur ein. Kann die Stille nicht ertragen, wenn du nicht vollständig bei mir bist. Nicht bei Bewusstsein, mir fern, in deinen Träumen. Woanders als bei mir.   Träumst du von mir? Ihm? Erleidest du einen Alptraum?   Ich kann nicht anders, frage mich, was vor dem Switch geschehen ist. Was hat Killer dir angetan? Ich fürchte ihn nicht. Nicht um meinetwillen, doch kann die Unruhe nicht verhindern, die seine Abwesenheit mit sich bringt – Es ist nicht sicher, ohne ihn. Weil er die Gefahr ist.   Ich muss es trennen; Du, Ich, Er. Wenn ich das nicht tue, drohe ich verrückt zu werden. Noch verrückter. Nach dir. Nach ihm?   Einer muss vernünftig bleiben. Distanziert. Warum bin ich es, der dies sein muss?   Ablenkend denke ich an uns. Die Momente, die ich mit dir teilen durfte. Auf dem Sofa, auf dem wir sitzen, wurden wir erstmals intim. Ich erinnere mich genau daran, wie du der Lust erlagst. Meinetwegen. Wie deine Augen mich anblickten. Ihr lüsternes Funkeln, deine Hingabe. Vor dir auf die Knie zu gehen, war mir eine Ehre. Ein Kavaliersdelikt, das ich jederzeit wieder begehen würde. Doch kurz bevor ich mich dir gänzlich widmen konnte, kam er. Natürlich tat er dies. Natürlich war er da, ist er immer, erscheint in den unpassendsten Momenten. Dann, wenn ich glücklich bin. Wenn ich anfange, Glück zu empfinden – zerstört er es. Wie er dich zerstört…   Was auch immer er dir antat: Ich sehe dessen Auswirkung. Deine Veränderung. Fühle Schuld und Scham. Verpflichtung, der ich nicht gerecht werde.   Meine dich streichelnde Hand stoppt, bleibt locker auf deinem Haupt liegen. Meine Finger wagen sich nicht weiter. Meine Berührungen sind ungenügend, werden deiner nicht gerecht. Du verdienst Besseres. Ich kann dich nicht mehr ansehen, bin deiner nicht würdig, drehe meinen Kopf, starre auf die Fesseln an der Zimmerwand. Killers Fesseln. Warum hast du ihn befreit? Bist nicht ferngeblieben? Ich weigere mich, dir zu misstrauen. Es muss einen Grund haben, eine logische Erklärung. Bist du wirklich so leichtgläubig? Wissbegierig? Suizidal?   Und was bin dann ich? Ein Narr, der nicht fühlen kann – du mein Einzig. Mein Gefühlsfunke, der zum Feuer ausarten kann. Nicht darf. Niemals. Wann werde ich dir zu langweilig? Zu nett? Ich bin der Gute, Killer der Böse. Der Gute muss stets besser sein. Das bessere Ich. Gut für dich. Aber wenn du dich änderst und ich mich nicht… was wird dann aus uns? Näherst du dich ihm mehr als mir? Entfernst du dich von mir? Weiter?   Weiter und weiter drehen die Gedanken sich, verwirren, verunreinen. Irrsinn will aufkommen, wird vehement verhindert. Neutralität erzwungen. Fühlen weckt ihn. Wann habe ich begonnen, Killer in mein Denken zu lassen? So klar, so intensiv? Mich mit ihm zu beschäftigen… Es vergiftet mich. Schwärzt mein Sein. Warum fällt es mir so schwer, ihn zu verbannen? Seit wann ist er so stark? Oder ich zu schwach?   Mein Summen wird lauter, eine Oktave tiefer, dringender. Zwingend, seine Stille zu verhindern. Ihn zu verdrängen. Ihm keinen Raum zu lassen, mich einzunehmen, dich mir wegzunehmen.   Du gehörst mir nicht. Bleibst du dennoch?   Ich bitte darum. Auf seelischen Knien.   Mein Blick traut sich wieder zu dir, hinab, begegnet dem Grün deiner Augen. Lebendig. Bei mir. Anwesend. Seit wann? Verschlafen blinzelst du mich an, auf dein hübsches Gesicht findet ein träges Lächeln. Mein totes Herz flimmert.   „Kira?“ Mein Name von deinen Lippen, lässt meine Seele Zuhause ankommen. Im nächsten Atemzug zerreißt du sie in Stücke. „Wo ist Killer?“   Unwillkürlich spanne ich mich an. „Nicht hier“, presse ich hervor, nehme meine Hand von seinem Kopf. ‚Seinem‘, nicht ‚deinem‘ – emotionale Trennung. Gefühle locken ihn hervor. Gefühle dürfen nicht sein.   „Nur wir zwei, huh?“, sein leises Lachen, rau von Müdigkeit, „fast wie ein richtiges Date.“ Penguin stützt sich zu mir hoch, seine Lippen berühren meine, die sich bewegungslos ergeben. Nichts tun. Ich kann es nicht; seinen Kuss annehmen. Starr presse ich meinen Mund zu.   Weil du ihn mir wieder nimmst. Nicht wahr, Killer?   In Penguins Augen trübt die Unsicherheit. „Hab ich… etwas falsch gemacht?“ Ich verneine. „Ich bin falsch, nicht du.“   Sein Blick wird strafend. „Red keinen Blödsinn“, klingt er aufgebracht, wacher, setzt sich auf, schwingt ein Bein über meinen Schoß, lässt sich darauf nieder und starrt mich böse an, „seit wann habe ich einen Idiot als Partner?“   Ein kurzlebiges Schmunzeln huscht über mein Gesicht. „Ich habe mich nie als klug angepriesen, noch behauptet, nicht wahnsinnig zu sein.“   Er nickt. „Siehst du. Wenigstens einer muss der Vernünftige sein“, zeigt er mit dem Daumen auf sich.   Mir entkommt ein tiefer Lachsound. „In der Tat“, raufe ich ihm durchs Haar, was ihn dazu veranlasst, sich zu beschweren. Dabei versucht er vergebens meine Hand wegzufummeln. „Hey- lass das- Kira-!“   Meine Hand greift die seine, stoppt sie in der Luft. Unsere Augen bleiben aneinander gefesselt, während ich seine Hand zu mir ziehe, einen Kuss auf dessen Rücken hauche. Mein Blick wärmt ihn. „Ich danke dir.“   „Wof-?“   Ein Klopfen. An meiner Zellentür. Beide schrecken wir hoch, mein Körper in sofortiger Alarmbereitschaft. Ich nicke zum Badezimmer; Penguin versteht, verschwindet auf leisen Sohlen darin. Mit einem schnellen Handgriff setze ich mir meine Maske auf. Ihre Front ziert noch immer der Bruch. Sie dient nur noch zur Abschreckung.   Mit ablehnender Haltung öffne ich. Und blicke einem Teller Kekse entgegen. „Plätzchen?“, strahlt mich ein Junge mit orangenem Haar an. Es gibt diverse, überaus spezielle Individuen und Sonderfälle in dieser Anstalt. Aber dieser… „Kennen wir uns?“, lege ich meinen Kopf schief. Meine Maske verrutscht. Die Augen des Jungen befunkeln sie.   Ein hoher Ton der Begeisterung folgt seinem Lächeln. „Whoaaa! Wie cool~ Der Knack-Effekt macht’s noch heldenhafter!“   Meine Augen verengen sich. „Helden…haft?“ Sein Lächeln nimmt Fan-Freude an. „Hmh! Ein Anti-Held, der die Welt vom Bösen befreit, weil er’s selbst ist!“ Wie meinen?   Seufzend schüttle ich den Kopf. „Was willst du, Kleiner?“, nimmt meine zuvor harte Stimme einen netteren Klang an, wandelt sich jedoch gleich darauf zu einem Knurren.   „Ist Peng bei dir?“, versucht der Junge sich auf Zehenspitzen zu stellen, um hinter mich zu schauen. Meine breiten Schultern samt halb geöffneter Tür verwehren ihm Einblicke, ich schiebe sie weiter zu.   Ich kann nicht zulassen, dass Penguin entdeckt wird. Er ist in Gefahr. Jeder hier kann ein Feind sein.   Der Strahlemann wandelt sich zu einem Häufchen Elend. „Ich suche ihn schon eine Weile… Er ist seit Tagen nicht nach Hause gekommen.“ Er schnieft. Die erste Salzperle kullert, es folgen unzählige. Tränenbäche fließen seine Wangen hinab, seine Stimme bibbert. „I-Ich finde ihn einfach nicht. Wir waren noch nie so lange getrennt. O-Ohne ihn-!“ Ein Schluchzen. Seine Lippe zittert, auf die er sich beißt. Feste. „D-Die anderen sagen, Peng ist… ist- ...bei den Sonnenblumen.“ Sonnenblumen?   Den… Gräbern? Oh.   „Tot“, helfe ich ihm taktvoll auf die Sprünge. Plötzlich geht ein Ruck durch seinen Körper. Der Teller mit Gebäck zerschellt auf Boden, seine schmalen Finger klammern sich in meine gepunktete Bluse. Unbewegt bleibe ich stehen. „Du lügst! Das ist er nicht! Ich weiß es. Ich fühle es! Ihn. Mein Bruderherz!“   Unberührt drücke ich ihn an der Stirn von mir. „Geh nach Hause, Junge. Verlass die Anstalt, bring dich in Sicherheit und komm nie wieder.“   Heftig schüttelt er den Kopf. Dicke Tränen tropften weiter ungehindert aus seinen Augen, sein Blick wird ein kümmerlicher. „Nimmst du ihn mir?“ Meine Brust sticht. „Was? Ich-“ „Killer, nimmst du ihn mir?“   ...Killer. Natürlich.   Wortlos schlage ich die Tür zu. Isolation. Distanz. Kälte. Es fällt mir immer schwerer. Ich zu bleiben. Mein Körper bebt in unterdrückter Wut, in Missfallen. Immer und immer wieder geht es nur um ihn! Immer spiele ich nur die zweite Rolle! Wann endet es? Wird selbst mein Abdank nur ein Nebenakt? In Vergessenheit geraten? Arme schleichen sich von hinten um mich, ein warmer Körper lehnt sich an mich. Wärme breitet sich auf meinem Rücken aus, entspannt meine Muskeln. Es braucht keine Worte. Penguins Umarmung ist Wort genug. Seine Küsse bedecken meinen Nacken. Kleine Erinnerungen, dass ich lebe. Hier bin. Ich bin.   „Wer war das?“, fragt er mich nach einer Weile. Der Schnüffler längst weg.   „Weiß nicht“, antworte ich ehrlich, „irrelevant“, drehe ich mich zu ihm um, nehme ihn in meine Arme, lege mein Kinn auf seinem Kopf ab. „Du lebst“, flüstere ich, um mich selbst zu beruhigen, „lebst, bist bei mir, gehst nicht.“ Gehst du?   „Okay, das ist zu 70 Prozent gruselig und zu 29 attraktiv – auf schräge Art.“ Amüsiert frage ich; „Was ist das eine Prozent?“ „Ein Küss-mich.“   „So?“ Mit Zeige- und Mittelfinger schiebe ich die Maske hoch, enthülle meinen Mund, schmiege ihn auf seine Stirn. „Kein Richtiger?“, empört er sich mit einem Grinsen. Meine Lippen küssen sein Gesicht hinab, Stirn, Mitte der Augenbrauen, Nasenrücken, Nasenspitze und- Kinn. „Hey!“ „Gern geschehen.“   Ich muss deiner Lippen würdig werden. Trotzig wirft er sich ins Sofapolster, verschränkt seine Arme vor der Brust. „Hunger“, brummelt er. Niedlich.   „Ich mach uns Pasta“, schmunzle ich, gehe ins Nebenzimmer – die ‚Küche‘; die nur eine Herdplatte samt viel zu vieler Fertignudelgerichte umfasst. Kid hat mir die Platte hier mal reingeschmuggelt, darf ein hochgefährlicher Irrer eine solche ja nicht benutzen.   „Pasta? Wow, ist ja mal was ganz Neues.“ „Ich habe auch Reis da. In Nudelform.“ „Reisnudeln? Das sind Nudeln, kein Reis.“ „Sind sie das wirklich?“ „Nat- …“ Ich höre ihn grübeln, schmunzle. Aus Reismehl hergestellt, zu Nudeln verarbeitet – was ist es nun?   Eine Weile bin ich in der Küche beschäftigt. Meine Gedanken versuchen sich nicht an etwas festzuhalten, nicht emotional zu werden. Dennoch denke ich über den Besucher nach. Wer war er? Woher kannte er Killer? Und Penguin? Draußen erzählt man sich, er wäre gestorben? Wie? Warum? Für Letzteres gibt es unzählige Antworten.   Als ich mit den beladenen Tellern zurück zu ihm trete, erstarre ich. Penguin hält es in der Hand, dreht es, betrachtet es neugierig. Die Videokamera. Die ich verdrängt, vergessen und versteckt habe.   Kid hat sie mir zukommen lassen. Mitsamt Kassette. Bisher habe ich sie mir nicht angesehen, weil… „Traust du dich nicht?“ Penguins Augen funkeln frech und provokant. „Keine Sorge, ich bin ja hier. Wir können sie uns zusammen ansehen, wenn du willst.“   Will ich das? Nein. Tue ich es trotzdem? Ja.   „Deine Neugier ist ungesund.“ „Pasta als Dauerdiät auch.“   Ich schnaube amüsiert, stell die Teller auf den Tisch, der aus Holzkisten besteht. So machen wir es uns auf dem Sofa gemütlich; Penguin in meinem Arm, kuschelt sich an mich, sein Kopf an meiner Schulter, während er die Kamera hält, auf deren Bildschirm wir schauen.   „Willst du oder soll ich…?“, seine Frage überflüssig. Wir drücken auf Play. Und der Film beginnt…     ~*~     „Läuft das Ding?“ Heat blinzelte der Linse entgegen, sein blassblaues Auge in Großaufnahme zu sehen. Seine Sehschwäche war schon damals stark ausgeprägt, hätte ihm beinahe den Posten im Kriegstrupp gekostet. Jeder Entbehrliche wird gebraucht.   Im Hintergrund Kids Schnauben. „Klar läuft’s; ich hab’s verschlimmbessert!“   „Dies ist der Grund meiner Sorge.“ Wire, der neben Heat hinter dessen Rücken verschwand; Wires größere Statur machte das Verstecken nutzlos. „Explodiert es? ...Wieder? Übrigens: Ich bin noch nicht soweit, siehst du nicht wie ich aussehe?“ Hastig schaute Wire in seinen Handspiegel, den er drehte und wendete. Immer unzufrieden mit sich, selbst noch lange nach der Geschlechtsumwandlung.   Kid stieß ihn in die Rippen. „Biste wieder auf der Suche nach Hautunebenheiten? Deine ganze Visage ist ein Krater, gesprenkelt mit Pickeln.“   „Wie meinen?!“ „Glaubste echt, Kira zählt deine Mitesser, wenn er das hier sieht?“ „Nein… aber-“ „Aber abgelehnt!“ „Aye.“   Unser Anführer hatte gesprochen. Sein Wort war unser Befehl. Ihre drei Gesichter, nun im Fokus zu sehen, wandelten sich; freudiger Natur.   „Schwänze steif halten, Jungs!“, grölte Kid, grinste in die Kamera. „Wir haben jemanden zu beglücken. Mit Wünschelrute und so.“ Seine Hand glitt zum Reißverschluss seiner Giraffenhose, „mein Wildtier will Freigang. Habt ihr alle die Schleifen umgebunden?“ Er wird doch nicht?! ...Nicht erneut, bitte.   Kids Hose fiel. Und enthüllte- Die Kamera schwenkte weg. Heat und Wire knallten Konfettischleudern. „Wir haben das Jahr 2010-“ Fällt es mir auf. Wie anders sie wirkten – vertrauter – die heutige Version von ihnen kannte ich kaum. Wie es ihnen wohl ergangen ist?   Ich habe es nicht erkannt… das Datum. Kurz vor dem Krieg. Vor allem. Sie müssen das Video vor dem letzten Feldzug aufgenommen haben. Danach irgendwann war mein… „Dein fucking Geburtstag, Kira! Wieder eine Falte mehr am Sack. Nur was für echte Sammler!“   Ich spüre Penguins Blick auf mir. Spüre seine Nähe. Seinen Halt. Mein Herz krampft, meine Brust verengt sich. Auf ihr legt sich seine Hand. „Hey, ich bin bei dir, okay?“ Er pausiert das Video. Seine Finger streichen über meine Bluse, weiter nach oben, finden meine Wange, berühren meine Lippen. „Es ist okay. Wir können aufhören-“   „Nein“, mein Kopfschütteln. Leicht spitze ich meine Lippen, küsse seine Fingerkuppe, jede einzeln, betrachte ihn. Wie schön er ist. Ihn anzusehen beruhigt mich auf eine innige Art. Zu sehen, dass er da ist. Es hilft. Berührt zu werden, ihn zu berühren. Ich will ihm nah sein. Meine Hand schlüpft unter sein Hemd, zieht Kreise auf seiner Haut, während er mit meinem langen Haar spielt. Es um seinen Finger wickelt. Wie mich.   Ich schmunzle ihn an, er schenkt mir ein Lächeln. Ehe ich wieder auf Play drücke.   Bierflaschen wurden gehoben, klirrend gegeneinander geschlagen. „So haben wir uns heute hier versammelt, damit du unsre Visagen in Großaufnahme bestaunen kannst.“ Kids geschminkte Lippen zeigten ihr fiesestes Grinsen. „Den Sackhaartrimmer haste letztes Jahr schon von uns bekommen – hat nicht viel gebracht, ne?“   Der Dolch kam erst im großen Krieg zum Einsatz. Erst an meinem Grabmal, in das Kid ritzte.   „Wie die guten Freunde, die wir nicht sind, haben wir nur dein Bestes im Sinn – Wie du bei den Ladys und Gentleman besser ankommst. Kannst ja nicht ewig dein Pulver in Watte verschießen!“ Wire schnaubte; „Wie Heat.“ - „Oi!“ - „Wanda hat die weichsten Titten!“ - „‘Wanda’ ist eine Ansammlung an Wichstüchern.“ - „Lass die Free Willis da raus-!“   Kids scharfer Pfiff brachte die Diskussion zu Ende. Allesamt sahen sie wieder zur Kamera. Zu mir. „Dein Gesicht braucht nen SM-Flair, Partner“, Kids verspielter Ton wurde ernster, tiefer, bedeutungsvoll. „Wir haben alle zusammengelegt. Zusammengearbeitet für das hier“, zeigte er es in die Kamera. Meine Augen weiten sich, mein Puls schießt in die Höhe, Kaltschweiß bricht aus. „Eine Maske für die Freakshow, die sich Leben nennt.“   Eine Maske. Meine Maske. Der Anfang von allem. Von ihm.   Das Bild verschwimmt. Warum? Ich merke das Wasser in meinen Augen, die Kids altem Ich begegnen. „Überlebe, Kira.“   Meine Kehle schnürt zu. Ich erinnere mich. Erinnere mich genau daran: sein letzter Befehl vor Kriegsantritt. Seelisch erschütternd.   „Kira. Sei ein Killer, wenn du musst – aber überlebe!“   Sei ein Killer… Ein Killer… Killer…   Wir waren bereit zu töten. Und zu sterben. In dieser Nacht.   Der Sturmtrupp marschierte schwer bewaffnet ins feindliche Gebiet ein. Wir unter ihnen, an der Front. Knirschende Stiefel im Schnee. Rollende Geschütze. Das Klappern der Gewehre, das Brummen und die Vibration der Fahrzeuge. Die Panzer kamen nicht bis zur vordersten Front durch, sollten unentdeckt bleiben, später zum Einsatz kommen. … Das kamen sie nie.   Es sollte ein Überraschungsangriff werden. Nachts. Eine Nacht ohne Morgen. Leblos und kalt. Eine Nacht, die niemals endete…   Wir wussten, was passieren würde. Wussten es. Oh wir töricht und unwissend wir waren.   Krieg war keiner Logik dienend. Krieg war eine Abscheulichkeit. Ein Schauplatz des Todes.   Es heißt, menschliche Wesen haben viele Instinkte. Der erste ist der Instinkt zu überleben und zu töten. Der zweite… ist zu beschützen.   Ein Summen in meinem Ohr. Ein Fiepen. Das Geräusch, als die Granate hochging. Kids Arm sprengte. Ich sah die Fetzen seines einstigen Körperteils. Die Hand, die er so oft in meine einschlug. Finger, die stets zur Faust geballt. Das Handgelenk, dessen goldenen Reif geschmolzen.   Mein Körper versteift, krampft, reagiert. Spürt den Ruck, springt auf. Ich jagte los. Durch die dichte Nebelmauer aus Schießpulver, Staub, Blutsprenkel. Um mich das Knallen im Dauerfeuer. Explosionen. Schreie, Brüllen. Stille … Oh so still. In der Mitte von Allem ist immer das Nichts.   Meine Augen suchen etwas, zucken wirr. Was mache ich hier? Was suche ich? Was passiert mit mir?   So viele Fragen… Die Stille kennt alle Antworten.   Aber kannst auch du sie beantworten? Wen von uns wirst du finden?   Schwarz steht dir unverschämt gut, Darlin’~     ~*~     „Kira!“, versuche ich ihn vergebens zu rufen, an ihm zu rütteln, zum x-ten Mal. „Kira…“ Leiser und leiser bis zum Flüsterton. „Du machst mir Angst“, diesmal wirklich.   Er ist einfach aufgesprungen, losgerannt. Steht seitdem reglos an der Fessel-Wand, starrt dagegen. Ich bin ihm hinterher, versuche ihn zu erreichen, erhalte keine Reaktion. Was ist passiert?   Das Video längst beendet, die Kamera auf dem Tisch mit dem kalten Essen. Ich habe geahnt, dass das keine gute Idee ist… Ich war zu neugierig, zu gierig. Warum habe ich ihn überredet? Bin ich so egoistisch, dass ich ihn willentlich gefährdet hab-? Keine Zeit für Selbstzweifel, ich muss was tun! - Nur was?   Hat er einen Anfall? Eine Panikattacke? Ich bin zu aufgewühlt, um klar zu denken. Zu emotional für Rationalität. Sein Blick zuckt noch immer unfokussiert umher, macht mir Panik.   Okay, ruhig bleiben. Ich atme durch, entkrampfe meine zittrigen Hände, lege sie um seine Wangen, führe seinen Kopf sanft zu mir. Lächle friedvoll.   „Was kann ich für dich tun, hm?“ Keine Reaktion. Ich versuche es wieder und wieder. „Hey“, weiterhin geht sein Blick überall hin, nur nicht zu mir. „Sag mir, wie ich dir helfen kann.“ Nicht aufgeben, weitermachen. Niemals gebe ich ihn auf! „Kira? Siehst du mich?“, mein Ton kaum mehr ein Wispern. Entschuldige, dass ich das tun muss. „Hey… Killer?“   Etwas in seinen Augen flimmert. Etwas, das ich nicht zu deuten weiß.   Seine Stimme schneidet wie eine Klinge. „Geh.“ Sein Blick fleht. Kira?   Ich erstarre. Sehe ihn mit geweiteten Augen an. Er lässt mich gehen? Obwohl er so besessen von meinem Bleiben ist? Nennt man das nicht… Vertrauen?   Ich lächle mild. „Verstanden.“ Und gehe.   . . .   Ich schreite durch die Gänge der Psychiatrie. An Zimmern vorbei, an Patienten. Überall sehe ich sie. Masken, Kostüme, Schutzmäntel. Keiner ist hier mehr sicher. Ein einziges Gruselkabinett, wo jede Marionette funktionieren muss. Disfunktional. Leben, die vorgeschrieben. Schicksale, die gewoben. Es sind Rollen, in die wir gesteckt werden, hineinwachsen. Eine Abfindung der Gesellschaft. Unsere Aufgabe? Aufgeben.   Ich zähle mich längst zu ihnen.   Wir suchen in Krankenhäusern Schutz, doch liegen schutzlos auf Operationstischen. Darum verstecken wir uns, ummantelt in Gedanken, die Sicherheit ertrügen. Düster und verworren. Schicksalsfäden. Ein Kokon, der nicht zwischen Schmetterling und Motte unterscheidet. Wer bricht, kann geformt werden. Immer und immer wieder, bis er passt.   Wo passe ich hin?   Im Aufenthaltsraum schweift mein Blick über diverse Gestalten. Personen – kaum noch Mensch. In Ecken schaukeln Figuren hin und her; manche kichern in sich hinein, andere summen, wieder andere sind verstummt. Ein furchtbarer und doch zutiefst trauriger Anblick.   An einem Tisch sitzen sich welche gegenüber, starren trostlos auf das nie begonnene Brettspiel. Dessen Figuren alle umgeworfen, verstreut, ohne Richtung, ohne Platz. Ein Senior zupft an seinem faltigen Handrücken, immer und immer wieder, die Druckstellen bereits ungesund gerötet. Eine Frau reißt sich ihr Haar einzeln aus, spricht mit dem Faden, redet ihm gut zu und wirft ihn weg, weil er nicht der richtige zu sein scheint.   „Wer Schicksal sucht, wird Verzweiflung finden.“ - Wer hat das gesagt? Höre ich schon Stimmen?   Ich schaue mich um. Sehe… Ungesehene. Sie alle. Ihre Augen… haben aufgegeben. Was definiert uns, wenn wir der eigenen Darstellung unfähig? Eine Diagnose, von fremden Zungen gesprochen. Rufmord, Verleumdung, ein Todesurteil. Seelenraub, Freiheitsentzug. Zum Verrotten weggesperrt. Schlimmer als jede Hinrichtung.   Meine Augen verengen sich schmerzend, wenden sich ab, können es nicht länger ertragen. Ich balle meine Fäuste, bin so unsäglich wütend. Weil ich nichts tun kann, nicht helfen kann, nur zusehen – Mittäter bin. Frustriert drehe ich mich um, will woandershin, weg- Im Türrahmen lauf ich in jemanden rein. Mal wieder. Passiert mir öfter, das mit dem Klischee.   „Shi Shi Shi~“, rückt er sich seinen Strohhut gerade. Sein Lächeln strahlt in den Raum, durchdringt die bedrückende Dunkelheit. Luffy legt den Kopf schief, betrachtet mich mit rehbraunen Augen. „Geht’s dir nicht gut? Hast du Hunger? Du siehst aus als könntest du was zu Futtern vertragen – aber meins teil ich nicht!“ Einen Schmollmund ziehend, flüstert er; „Außer mit Sabo und Ace… aber verrat’s ihnen nicht, dann wissen sie’s nicht!“, posaunt er den letzten Part. Unüberhörbar.   Gelangweilt zupft er sich am Strohhut – ich bin ihm wohl nicht interessante genug, danke auch! – bis seine Augen was hinter mir entdecken. Jemanden. „Hey, Opi!“, reagiert der Angesprochene nicht, zupft weiter an seinem Handrücken. Was den aufgedrehten Flummimensch wenig stört; „Deine wabbelige Rosinenhaut wird davon auch nicht zur Weintraube!“, lacht er und- war das nicht gemein?   „Du Lausbub’!“, wettert der Alte plötzlich zurück, lässt von seiner Hand ab und hebt seinen Finger drohend, „wenn ich dich erwische!“ Bleibt er sitzen und ...grinst? Fluffy hat einen Draht zu Menschen, der stärker ist als jeder Schicksalsfaden.   Und er hat gerade erst angefangen zu spinnen. Ich lehn mich gegen den Türrahmen, beobachte ihn. Wie er zu den beiden ‚Spielern‘ rübergeht, sich das chaotische Brettspiel besieht und einen Blick zwischen den Herren tauscht. „Wer gewinnt?“, fragt und ein „Er!/Er!“ zur Antwort bekommt.   Keine Ich-bezogenen Menschen. Keine Egomanie unter Anders-Denkern.   Der Frau drückt er seinen Strohhut auf den Kopf und gibt ihr eine Orange; „Jetzt schuldest du mir einen Orangenbaum.“ ??? „Kannst du vergessen“, lächelt sie zurück, „Feilschen will gelernt sein. Soll ich’s dir beibringen? Das kostet dich ein kleines Sümmchen...“, erwidert sie mit einem diebischen Lächeln. Und schon nimmt er seinen Strohhut wieder. „Meiner!“ Die Frucht behält sie, besieht sie. „Ein Orangenbaum, hm?“   Wieder neue Verbündete gewonnen.   Neben die Schaukelnden setzt Fluffy sich, um lachend mit ihnen mitzuschunkeln. Er versteht, obwohl sie selbst nicht verstehen – ist es das? Er sieht sie, obwohl sie sich selbst nicht sehen… Kein Versteck ist vor diesem Abenteurer sicher. Unglaublich, was dieser Junge schafft. Eine Verbindung aufzubauen, den Verlorenen ein Wegweiser zu sein, eine Richtung zu geben – eine ins Blaue; das Ungewisse.   Ich schmunzle. Mittäter ist wohl nicht gleich Übeltäter. „Das macht er öfter“, landet eine schwere Hand auf meiner Schulter, lässt mich zusammenzucken, „Luffy-Senpai ist der Besuch, den jeder von uns nie hatte.“ Schluchzend zieht Barto an meinem Ärmel, um sich mit ihm die dicken Tränen wegzutupfen – Dan-ke. Warum immer ich?   Sollte ich nicht unerkannt bleiben mit meinem neuen Outfit in schwarz? Ich beäuge ihn kritisch. „Du weißt schon, dass ich tot bin?“   „Jop“, nickt er, lächelt sein gruseliges Haifischgrinsen. „Einmal Barto-Club-Mitglied, immer Barto-Club-Mitglied.“   Nicht mal bis dass der Tod uns scheidet? Ich armes Schwein.   „Deine Chancen auf ein tragisches Ende stehen bei achtundsiebzig Prozent.“ Und da ist der Mutmacher der Geisterstunde auch wieder aus dem Nichts aufgetaucht – welch eine Wiedersehensfreude. Nicht.   Warum umschwärmen die mich wie die Motten? Oder eher die Fliegen den Kadaver. Glauben die echt ich bin tot und wandle als Zombie-und-oder-Geisterscheinung hier rum? Ich mein… bei dem Totenbeschwörer okay, aber Barto? ...Spiegelwelten, schon klar. Ich geb’s auf, hier den Sinn und die Logik zu suchen. Moment. Decken sie mich alle? Bewusst unbewusst?   „Etwas Wachs gefällig?“, hält mir der Kerzentyp ein Mini-Babybel vor die Nase. Ich lehne ab, Barto schnappt ihn sich stattdessen. „Es muss stinken, um zu schmecken!“, verkündet er seine Erkenntnis, öffnet die rote Wachsverpackung, aus der der Käse schon wegläuft.   „Wie lange war der in deiner Hosentasche?“, muss ich mitansehen, wie Barto Das ausschlürft. „Wie Austern.“ Würg, Igitt und dreimal pfui bäh! Das klebrige Irgendwas klatscht er gegen die Wand, an der es bleibt.   Ich flüchte – komme wieder nicht weit. Natürlich nicht. Wie ein Labyrinth mit vielen Sackgassen, in die ich laufe - mit Betonung auf Sack. Hier wimmelt’s vor Wahnsinnigen, schlimmer als im Bienenstock! Und wo bleibt die Bienenkönigin?   „Man mache mir die Reiterstellung“, Cabbage in all seiner perversen Gloria. Barto spuckt ihm ins Gesicht – den Käse, der zäh seine Wange herunterläuft. Der Schrei, der Prinz von hohem Ross von sich gibt, ist filmreif. Der Wilhelmsschrei kann abdanken.   „Bist du irre?!“ „Jop.“   Um hier rauszukommen, hilft nur eins: mitspielen. Irre sein. „Ihr wärt schon ein süßes Paar“, reiße ich ihre Blick an mich, die sich auf mir übergeben. Was mich nicht davon abhält, weiter auszuholen; „ihr wisst schon. Ein Märchenpaar. Der Prinz und der Bauerntrampel-“   „Prinz? Ich?“, Barto fühlt sich angesprochen, verzieht das Gesicht. „Eher penn ich im Schweinestall bei den Säuen und röst mir aus meinen Kameraden ‘en Steak.“ Ooo-kay. Er zeigt mit seinem Daumen auf den Blonden. „Prinzessin mit der Erbse in der Hose hat Dauermenstrullation.“ Meint er ‚Menstrua-‘? -„Ist ne Pissnelke.“   Neben mir taucht der Geist der Gaysha auf. „Die Wahrscheinlichkeit eines Pairings steht bei-“ Lu~Lu~Lu~ Ich halt mir die Ohren zu, will’s gar nicht hören!   „Horohorohoro!“, kichert das Gothic-Mädchen mit dem pinken Regenschirm, „Wir haben schon Fangeschichten zu den beiden geschrieben – nicht wahr, Bon-Bon~?“ Das kräftige Mädchen mit dem Stück Pizza im Mund grunzt bestätigend. „Viel Porno, wenig Plot.“   Barto rümpft die Nase samt Bullenring, „lasst euch das von nem Psycho gesagt sein: Ihr seid echt brutal hardcore.“ Der Grünhaarige grinst eines seiner sehr verstörenden Grinsen. „Darf ich’s lesen?“ „Und habt ihr auch Luffy-Senpai-Stories?“ Dealen die hier gerade mit…?   Das wird immer abgedrehter, wird mir zu viel des Unguten. Ich muss hier raus, das färbt sonst noch ab – Und der Kurs steuert auf Regenbogen. Ich seh ihn anstürmen, wie er sich auf mich stürzt, bin hoffnungslos verloren.   „Peeeeng!“, wirft mich die Wucht der Umarmung meines besten Freundes um, „ich wusste du lebst, ich wusste es!“ Regnen seine Tränen auf mich nieder, tropfen auf mein Gesicht, das er sich eingehend besieht, als würde es jede Sekunde verschwinden. „W-Wo warst du?“   „Ach Chi…“ Ein Lächeln findet auf meine Lippen. Und ich zeige auf seine linke Brustseite. „Immer dort.“   Shachi schnieft laut. „In meinem Herzen?“ „In deinem Blut, Bruderherz.“   Er drückt sein Gesicht in mein Hemd, in das er sich mit beiden Händen gekrallt hat. Meine Hand legt sich auf sein Haupt wuschelt ihm durch’s zottelige Haar. Er weint sich aus, jede Träne eine mir gewidmete Liebeserklärung.   „Hab dich lieb, Peng.“ ‚Ich weiß.‘ „Ich dich auch.“   Nachdem er sich beruhigt hat, sieht er verheult zu mir auf, verengt die Augen. „Irgendwas an dir ist anders…“, grübelt er laut. Meine Haarfarbe? Meine Klamotten? Mein Geisteszustand? „Bist du… verliebt, Peng?“   Schlagartig erröte ich. ‚Nein!‘, will ich abstreiten, doch mein alles übertönendes Herz schnürt jedes Wort ab. Jede Lüge. Ich weiche seinem Blick aus, der mich immer aufdringlicher bestarrt. Shachi grinst dieses Spongebob-Grinsen, das dir sagt, dass du seine Kreationen ja doch liebst. Ich murre meckernd vor mich hin. „Ich heiße nicht Penguin – der ist nicht mehr – Mein Name ist Pengorou.“ „Hm-Hm“, glaubt er mir kein Stück – aber all den anderen Irren hier!   Plötzlich springt er auf. „Komm~ Du verpasst es!“ Was? - will ich das in Erfahrung bringen? Letztes Mal hat er mich damit zum ‚Zirkus‘ gelockt. Einmal und nie wieder!   Er krallt sich meine Hand, zieht mich mit sich zum Essenssaal. Wo ist eigentlich das Personal hin? Und die oberste Spinne?   Nur die Insassen sind auffindbar. Ich sehe bekannte und unbekannte Gesichter. Und irgendwie… sind sie anders. Normaler? - klingt verrückt, total absurd. Kleinigkeiten, die sich verändert haben. Ihr Blick. Einst weit weit weg nun klarer, anwesender; wie sie selbst es scheinen. Nicht mehr nur körperlich… Als würde ihre Seele zurückkehren.   Was zum Henker ist hier passiert?! Wie lange war ich weg? ...zu lange.   Am Tisch wird hungrig gegessen. Aber… Es ist noch keine Essenszeit? Der Schuldige taucht neben mir auf. Ein Tablett mit braunen Kohlestücken in der Hand. Und ein schuldiges Unschulds-Lächeln, wie es nur mein bester Freund tragen kann.   „Kekse?“, blicke ich auf die verformten Brandopfer, „was soll ich damit?“   „Na, essen, du Dummerle“, hält er sie mir unter die Nase. „Das hilft!“ Ich nehm mir einen, der zwischen meinen Fingern zerbröselt, „wie sollen die den Kranken helfen?“   Shachi stemmt die Hände in die Hüfte, schaut mich an als wäre ich verblödet und erklärt: „Da ist Liebe drin.“ Er nickt, lächelt schelmisch. „Und die Geheimformel des Gegenmittels.“   Ich blinzle. „Klar.“ „Klar“, wiederholt er, bläst seine Hamsterbacken auf, „glaubst du mir etwa nicht?!“   „Nö.“ Seine Gesichtszüge entgleisen. Erschütterung weicht Trotz. „Frag Law. Der hat’s hergestellt.“   „Law? Der Psycho-Doc?“ „Genau der!“   Kann es wirklich sein, dass…? Nee, das wäre echt zu makaber.   Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Nehmen wir mal an, dein Märchen war einmal – wie hast du den Patienten deine Kohlestücke angedreht?“ Die isst doch keiner freiwillig.   „Ich hab ihnen gesagt, dass es Schokolade ist. Schokolaaade~“ Die Erklärung ist genauso unlogisch. „Sie glauben mir, weil ich ihnen glaube.“ Wahnsinn ist zum Teilen da, ne?   „Außerdem hab ich’s mit gaaanz viel Schokolade drumrum verschönert!“   Shachi ist und bleibt unverbesserlich. Ich seufze, schmunzle kopfschüttelnd. Für einen Moment gebe ich mich der Vorstellung hin. Ein Heilmittel… für Kira. „Killer hat aber keinen davon gegessen. Darum hab ich ihm was andres gegeben.“   Ich zögere mit der Frage. „Du- Was?“ Ich werde unruhiger. „Was hast du ihm gegeben, Shachi?!“   Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.   Shachi strahlt bis über beide Ohren. „Keine Sorge, Peng. Killer ist in guten Händen.“ Eiswasser überschüttet mein Herz. Ein ungutes Gefühl manifestiert sich. Angst vereinnahmt mich, dumpfer nehme ich seine Worte wahr. „Er ist besonders krank. Aber Law hat gesagt, er hilft ihm!“   Law? Panik bleicht mein Gesicht. Der, der mir irgendein Scheintod-Mittel untergejubelt hat und daran beteiligt war, mich zu begraben – Law?   Mein Herz sinkt in kalte Abgründe. „Shachi… Du hast-“ Was hast du ihm nur angetan?!     ~*~     Was wird er mir antun? Die Spannung steigt~   „Tz, Tz, Tz“, schleichen seine leichtfüßigen Schritte um den OP-Tisch, auf dem ich liege, gelähmt. Ich fühle nicht, leide nicht, lebe nicht. Kichere leise. Lauter.   Killer ist anwesend. Kamazou amüsiert sich. Kira ist müde. So müde~   „Was stimmt nur nicht mit dir, hm?“, langsam tastet der Doktor meinen Kopf ab, seufzt tadelnd, wirkt zunehmend unzufrieden. Eine Weile schon untersucht er mich, findet nicht das, was er sucht. Seine Augen blitzen auf. Besessen von Wissensgier. „Ich werde es herausfinden. Dein Leiden lindern. Wollen wir das?“   Trafalgar zückt sein Skalpell. „Wir werden dich aufschneiden müssen“, betrachtet er sich die kleine Klinge im Licht der flackernden Deckenlampe, blendet mich. Seine eiskalten Augen fallen auf mich, suchen etwas in meinem Gesicht. „Wo soll ich nur anfangen? So viel Haut, die für mich bluten will…“   Seine Finger graben sich in mein blondes Haar, streichen es zur Seite; kalt und routiniert. „Eine Kraniotomie“, redet er mit sich selbst, „die Schädelöffnung. Oder eine Kraniektomie? Die Schädelresektion… Die Entfernung des Schädeldachs. Früher als Heilmethode gegen Depressionen eingesetzt worden. Sag, leidest du sehr? Soll es aufhören?“   Es hat doch gerade erst begonnen… nicht wahr?   Gier schimmert im Kalt seiner Stimme. „Es wird niemals enden… niemals.“ Seine Fingerkuppe fährt die winzige Kuhle zwischen obersten Halswirbel und meinem Hinterkopf entlang, skizziert eine unsichtbare Linie. Sein Zungenschnalzen.   „Nein“, schüttelt er den Kopf, legt das Instrument energisch weg, nimmt sich ein anderes. Länger, schrecklicher. Ein Eispickel? Er nickt zufriedengestellt, „besser“, seine Lippen lächeln furchteinflößend. „Eine Lobotomie.“   Kira. Schläfst du?   „Bei einer Lobotomie wird sich Zugang ins Schädelinnere durch die Augenhöhle verschafft. Ziel ist die Nervenbahn zwischen Thalamus und Frontallappen mit der Spitze des Werkzeuges zu durchtrennen.“   Hey, Kira. Wach auf!   Unser Lachen quält uns. Tu was! Wehr dich! Der Irre will uns-   Ein langgezogenes Quietschen. Links und Rechts meines Kopfes dreht sich die Vorrichtung zu, drückt eine Art Schraube oberhalb meines Ohren in den Schädel, fixiert mich. „Schön stillhalten, ja?“ „Dies kannst du besonders gut, nicht wahr? Still sein. Gut machst du das.“   Bittersüßes Gift in seiner Stimme will mich in Sicherheit und Vertrauen wiegen. Und ich sehe es. Das spitze Ende, die Nadel, die sich meinem linken Auge nähert.   „Es ist nur ein kleiner Pieks, aber es wird höllisch weh tun…“   Die Worte des Wahnsinnigen nehme ich leiser wahr, entfernter. Weiter. Ich nähere mich ihr. Der Stille. „Der Moment, wenn die Nadel durch die Augenhöhle dringt… Der Stoß ins Innere. Grauenhaft schön.“   In meinem Brustkorb wummert das Leben, für das ich mich einst entschieden. Wummert lauter, wie ein Bass, der meine Adern kraftvoll mit Blut versorgt. Heißer wird es. Erwartet es. Den Schmerz, den die Stille bringt. Die Angst, die mich lähmt. Die Panik. Körperfunktionen fahren herunter. Mein Herz mehr tot als lebendig. In Frieden-   Mit Wucht kracht die Tür auf. Erschreckend, aufweckend. Übermächtige Tritte schreiten durch die Stille, durch den Wahnsinn. Das Chaos bringend, das die Ordnung aufräumt.   Kid walzt rein. Reißt alles an sich. Sein Brüllen grauenerregend. „Lass deine fucking Griffel von meinem Partner, oder ich beiß dir jeden Finger einzeln ab!“ Mit wenigen Schritten ist er am Tisch, krallt sich Trafalgars Handgelenk, das leise knackt. „Autsch.“ Unbeeindruckte Apathie seitens des Operators.   „Gemach, Gemach.“ Der Chirurg wirkt genervt, behält seine neutrale Fassung bei. „Ruhe im OP.“ Sein Blick schneidet sich in Kids Finger, die ihn festhalten. „Loslassen, Eustass-ya.“   Der Befehl wird ignoriert, natürlich wird er das. „Fick dich. Seit der Clown mit seinem Bastardbruder weg ist, bist du echt abfuck. Ich weiß nicht, was’de für ne abartige Show abziehst – aber den Scheiß machste ohne ihn!“ Mich? Oder ihn?   Laws Mundwinkel zucken. „Eifersüchtig, dass du nicht vor mir liegst?“ Kids Blick greift ihn an. „Halt dich von ihm fern, Law.“   Ihre Augen verbeißen sich. „Er ist krank, Kid.“ Faktisch, wahr.   Kids Zähne fletschen. Das Knacken des Handgelenks wird lauter. „Ist mir scheißegal – Kill ist mein bester Freund. Und niemand – absolut-fucking-niemand – nimmt ihn mir!!“ Nicht noch einmal.   ‚Kill‘? Nicht Kira? Nicht Killer?   Ein tadelndes Seufzen Trafalgars. „Als Arzt muss ich dir dringend davon abraten-“   Knurrend aus tiefster Brust schleudert Kid Laws Handgelenk weg. Wie angeekelt. „Nen Scheiß musst’e! Platz machen, das musst’e.“ Grob rempelt Kid ihn weg, dringt zum Kopfteil, zerrt an der Vorrichtung. Es zieht schmerzend. Süßliche Pein. „Fuck. Warum geht das Drecksteil nicht ab?!“ Seine Finger haken sich ein, ziehen es auseinander – erfolglos.   Ein Klicken. „Weil dieser Knopf dafür zuständig ist.“ Das Schloss öffnet sich, der Druck lässt nach. Kid starrt den Chirurgen an, zischt einen abwertenden Laut. „Streber wie dich hab ich im Dienst windelweich geprügelt.“   Law schüttelt sein Handgelenk aus, schmunzelt erhaben. „Grobiane wie dich habe ich beritten, bis sie winselnd um Gnadentod flehten.“   Gibt’s neben der Information noch Bildmaterial? Das wollen wir alle in Erfahrung bringen. Nicht.   Wie selbstverständlich hält Law ihm seine Hand hin. „Einrenken.“ Kid knurrt abwertend, tut’s aber. Nicht sehr sanft. Ein ekelhaftes Knochengeräusch durchfährt die Stille. Law schaudert, Kid grinst.   Ich würge. „Wie abartig romantisch.“ Richte mich auf, knack meinen Nacken durch. Nacheinander sehe ich sie an. „Ein Bedauern für diesen Kitsch.“   Beide Augenpaare gehen zu mir. „Killer?“   „Der einzig Wahre“, kalt lache ich auf, kann den Glanz meiner nassen Augen nicht verhindern, press meinen Handballen dagegen. Wie beschämend. „Immer, wenn Kira sich einnässt, muss ich ran.“ Ich seufze verbittert, schmunzle vergnügt. „Ich habe die Sondervorstellung vollends betreten, seit die Nadel ins Spielchen kam – Interessantes Werkzeug, wenn ich anmerken darf.“   Law nickt. „Das Vergnügen war ganz meinerseits, Mister Killer.“ Kids haarlose Augenbrauen schießen in die Höhe. „Zum Teufel? Ihr…“   „Wir sind so etwas wie Geschäftspartner“, erklärt der Arzt lässig. „Blutige Geschäfte, wissenswerte Experimente.“   „Stets zu Ihren Diensten, Herr Doktor.“ Mein Grinsen ist fake.   „Ich glaub’s nicht. Was für ne abartig kranke Scheiße“, kommentiert Kid, fährt sich mit den Fingern durchs Haar, besieht mich, „wie oft habt ihr…?“ Experimentiert? An mir?   Ist da jemand etwa doch eifersüchtig? „Ein Zögern? Von dir?“, ich roll die Augen, in denen der Wahnsinn funkt, „oft genug. Das war die Abmachung mit dem obersten Horror-Showmaster; Versuchskaninchen für Freigang.“   Der Puppenspieler braucht schließlich Unterhaltung. „Ein solches Gebrechen wie das meinige muss man doch besonders gut behandeln…“ Es tat weh, so verdammt weh. Eine Perle fließt über den Rand meines Auges, das ich mir zuhalte. Lache. Und lache. Selbst meine Tränen sind still, welch Ironie.   Ich stehe von der Liege auf, mime eine Verbeugung. „Es liegt mir fern, euer Date weiter zu voyeurieren. Bespannern kann jemand anderes. Wenn die Herren mich also entschuldigen würden“, erhobenen Hauptes schreite ich aus dem OP, nehme mir im Vorbeigehen meine Maske, die ich mir jedoch nicht aufsetze. Nicht mehr.   So oder so: meine Augen wollen nicht aufhören zu tränen. Meine emotionale Stabilität hat stark nachgelassen. Seit ihm. Alles wegen ihm. Penguin.   Ich kann das nicht mehr – ich will mehr. Aus dem Raum raus, die Tür hinter mir zu… renne ich los.   Auf der Jagd. Nach Rache. Meinem Rachefeldzug.   Du bist mein größtes Leid. Mein Trigger. Du schadest mir, fügst mir Schmerz zu.   Grauenhaft schön.   Ich will dich so sehr, Darlin’. So. unbeschreiblich. sehr.   . . .   In meiner Zelle. Natürlich. Wenn du wegläufst, dann in meine Arme, nicht wahr?   Doch läuft er nicht, nein. Er lehnt an der Wand mit den Ketten, die seine Figur umrahmen. Wie bei unserem Kennenlernen. Als er mich fand. Mich befreite. Kira gefangen nahm.   Erwartet hat er mich. Sieht mich an. Ohne Kappe, unverhüllt. Sanftheit in seinen grünen Augen. Ein scheues Lächeln auf seinen Lippen. „Killer?“, erkennt er mich, rammt mir den Speer ins Herz. Schmerz, der weniger süß ist. Giftig.   Ich spüre, wie Kira übernehmen will. Der starke Drang in mir, den ich zu ersticken versuche. Die Stimme, die ich überhöre. Den Herzschlag, den ich fühle. Mit jedem Schritt intensiver, dem ich mich Penguin nähere. Es ist abstoßend anziehend. Wut kocht in mir hoch. Ich lasse sie zu, dränge ihn zurück, er bleibt unbeeindruckt stehen. Sein Blick schärft sich, ich erreiche ihn.   „Warum?“, fauche ich, sehe zu spät das Messer, das er hält, „Warum ich? Was willst du von mir? Macht es dir Spaß, dich an meinem Leid zu ergötzen? Fühlst du dich besser? Hast du Mitleid?“   In seinen Augen spiegelt sich der gleiche Wahn wie in meinen. „Willst du sterben, Killer?“ Eine kalte Frage mit der er die Klinge hebt, an meinen Hals bringt. „Hast du es dir seit deinem Erwachen im Sarg gewünscht? Friedlich einzuschlafen? In Stille, heldenhaft. Ohne den Schmerz, den du seitdem tagtäglich erleiden musst.“   Es tut weh. Durchschaut zu werden. Verstanden. Ich schweige, er spricht leiser werdend weiter.   „Es gibt weder Helden noch Schurken, kein Gut und Böse, Schwarz und Weiß… Die Welt ist Grau, in vielen vielen Stufen und Farbtönen unterteilt.“ Er lehnt sich vor, sein Atem trifft meine gepressten Lippen. „Lass sie uns zusammen gehen. Die Einöde grauer Trist mit Gefühlsfarben füllen… Dafür musst du am Leben bleiben. Hörst du? Überlebe.“   Was redet er? Er verwirrt mich…   „Was deine Seele erleidet, heilt dein Herz.“ ‚Heile ich.‘   „Killer… I-Ich habe dich vermisst“, gibt er zu, bringt mich dazu, einen Schritt zurückzugehen, „Du triggerst eine Seite an mir… eine dunkle.“ Furcht blitzt in seinen Augen, die nicht von mir ablassen. „Angst vor mir selbst. Du hast sie mich gelehrt, Killer.“ Ich?   „Warum du?“, er sieht mich an, sieht mich, fängt mit der Messerspitze die rollende Träne ab – nie habe ich etwas heißeres gesehen. „Deswegen.“   Wie versteinert kann ich nicht reagieren, es nicht abwenden. Empfange ihn. Seinen Kuss. Lasse los. Ihn übernehmen. Kira frei. Und fühle die übermächtige Emotion, die unsere Monotonie mit Klängen untermalt, unsere Schwere mit Leichtigkeit behaftet, unserem Sein Sinn gibt. … Liebe. Kiras Liebe für Penguin.   Kira erwidert den Kuss nicht, aber lächelt. „Breche mich, Penguin.“   Wie niedlich Penguin ist, wenn er mit Kira interagiert. Schüchtern zucken seine Augen weg. „Ich soll...?“ Seine Wangen röten.   Meine eisblauen Augen lassen keine Zweifel zu. „Bitte.“ Penguin nickt. Versteht mich. „Sag mir wie, Kira.“   Sanft nehme ich seine Hand, hauche einen Kuss auf ihren Rücken, führe sie zu meiner Brust. „Ich zerbreche… an deiner Liebe. Aber das ist gut so. Denn nichts wünsche ich mir sehnlicher.“ Das Grün seiner Augen zeigt uns den Frühling. Gefühlsblühen. „Sehe mich an, noch etwas länger, genau so… als gäbe es nur mich, dem deine Augen dienen.“   Ich danke dir… dass ich in deiner Welt sein darf. Deine Gedanken geben mir Leben. Gedenke mir… dem Gefallenen.   „Lass mich fühlen.“ … „Dich fühlen.“   Zweifel überschattet sein Licht. „Aber was, wenn…“ Ich die Kontrolle verliere? Killer übernimmt? Routiniert ziehe ich mir meine Maske auf. Erweitere ihren Bruch, knacke das Mundstück ab. „Gedenke Meiner… mit deinen Lippen.“   Ein Lächeln legt sich über seinen Mund. „Ich gebe es dir. Alles von mir“, lehnt er sich vor, verschließt unsere Lippen in einem Versprechen.   Fühlst du ihn, Killer? Fühlst du uns?   Wir sind nicht tot. Wir sind hier. Bei dir.     ~*~     Bei mir. An mir. Ü b e r a l l.   Kira, Kira, Kira. Sein Geruch, seine Blicke, sein Körper. Seine Hände, die mich berühren. Mehr, schneller, gieriger. Fahren unter mein Hemd, schieben es hoch, weiter, über meinen Kopf, befreien mich davon. Raschelnd landet es irgendwo. Mir wird warm. Heiß. Ich fühle mich zu ihm hingezogen, so sehr. Mein Inneres verzehrt sich nach ihm, glüht für ihn. Sehnsüchtig, willig. Rebellisch.   Ich will von ihm gefangen werden, gefesselt, sein Gefangener sein. Meine Augen finden das Silber über mir. Die Ketten, nach denen ich greife, ihm unterwürfig hinhalte. Ein Blick, tausend Gefühle. Vertrauen, Treue, Loyalität.   Hier hat es begonnen. Genau hier. Doch statt ihm… bin ich in Fesseln.   Wortlos nimmt er sie mir ab. Leise klirrt Metall als er sie mir um die Handgelenke legt, mehrmals, festzieht. Über mir mit den Haken verbindet, mir die Freiheit nimmt, die mein Herz nie intensiver gespürt hat, als in diesem Moment. Als ich mich ihm hingebe. Mit Körper, Herz und Seele.   „Penguin…“, wiederholt er meinen Namen immer und immer wieder. Als würde er sich vergewissern wollen, dass ich hier bin. Flüsternd in diesem Ton, der mich wissen lässt, dass ich gebraucht werde. Gewollt. Von ihm. Ihnen.   Er drängt mich an die Wand, sein Arm unter meinem Hintern hebt mich hoch – Ich krall mich in die Ketten, lehnt meinen Kopf zurück, empfange seine Lippen an meinem Hals, stöhne. Warm glühen sich seine Küsse auf meine Haut, bringen Gänsehaut um Gänsehaut, lassen mich erschaudern, meine Knie weich werden – Er hält mich, seine Finger graben sich in meine Pobacken, besitzergreifend.   „Verrückt… du machst mich verrückt“, wispert er gegen meine Schulter, die er mit seinen Lippen entlangfährt, „ganz wild nach dir“, bahnt er sich einen Weg meinen Oberkörper hinab, „sei laut“, schnappt er nach meiner Brustwarze, die er mit seiner Zunge umkreist. Saugt, mit den Zähnen zieht. Hart stellt sie sich auf, wird empfindlicher unter seiner Liebkosung.   „Schau mich an“, kann ich seinen Befehl nicht verweigern, blicke an mir runter. Beobachte, wie er von meiner Brustwarze ablässt, seine Zunge hinab gleitet, bis zu meinem Bauchnabel leckt, hinein taucht. Die feuchte Spur trocknet, kühlt, erregt.   Seine Augen klar, geschliffen wie Diamant. Seine Pupillen geweitet vor Verlangen. Weiter kniet er sich hinab, verkeilt seine Finger in meinen Hosenbund, zieht ihn hinab. Seine Zähne beißen in meine Boxershorts, befreien mein Glied, das ihm entgegenspringt. Seine Nase schmiegt sich an es. Eine Berührung wie ein Federstreicheln, doch so so intim.   „Ich verzehre mich nach dir. Dir Lust zu schenken. Es ist mir höchste Ehre.“   Meine Kniekehlen platziert er auf seinen Schultern, gibt mir Halt – und nimmt mir jede Hemmung; nimmt mich in den Mund, ohne zögern, ohne Scham. Meine Eichel kribbelt in der Wärme, die mich willkommen heißt. Den ersten Tropfen fängt er mit seiner Zungenspitze auf, die ins Penisloch dringt. Einen heißen Stromstoß meinen Unterleib aufwärts schickt. Ich keuche.   Mehr nimmt er von mir, tiefer dringe ich ins Nasse. Merke seine Hände an meinem Hintern, wie sie ihn spreizen. Er blind nach etwas tastet, findet; das Klacken der Tube, deren Inhalt ich an meinem Eingang fühle. Zäh und kühl trifft es auf meine Enge, die seinen Finger zu spüren bekommt. Erst die Kuppe samt Gel, gefolgt vom ersten Fingerglied, dem zweiten – raus, rein, langsam und geschmeidig. Ich schnapp nach Luft, fühle ihn so eng in mir. „W-weiter. Schneller!“   Sein Kopf geht zurück, wieder vor, ich rutsch aus ihm, wieder rein – Es raubt mir den Verstand. Im gleichen Takt passt er die Fingerstöße an, tastet sich in meinem Inneren vor, lässt sich Zeit, ist zärtlich zu mir. Genießt mich. Zweiter Finger. Das Ziehen kein schmerzvolles. Erwartungsfreudig zuckt meine Enge, schluckt ihn, will ihn. Geschickt weitet er mich, stimuliert mich, so so erotisch.   In seinem Mund schwelle ich an, größer, härter. Poche lustvoll. Mehr Tropfen, denen er sich hungrig bemächtigt. Mehr Laute, die ihn anspornen. Blicke, die mich entblößen, noch nackter fühlen lassen. Weil sie innig sind. Intim.   Sein Kopf geht zurück, er küsst meine Spitze, haucht gegen sie. „Willst du kommen?“ Sein Blick glüht hingebungsvoll.   Verzögert kommen die Worte in meinem leeren Kopf an. Heftig schüttle ich den Kopf, verneine. „H-Hinten“, kann ich kaum einen Satz zustande bringen, fühle sein Rein und Raus, „in mir. Mit dir.“   Sein Schmunzeln gehört verboten. Ist einzige Warnung. Die verführerisch gefährliche Lust. Mit einem Ruck packt er unter mich, hebt mich weiter hoch, gräbt seine Finger in meine Arschbacken und-   „Ohmein-!“ Seine! Seine Zunge ist an meinem… Unerträglich heiß drängt sie sich in mich, feucht und oh so pervers. Das Geräusch, das er dabei macht, ist sündhaft sexy. Ein Schmatzen, Saugen, Summen. Genüsslich beleckt er mich, fällt über mich her als wäre er ein Verhungernder. Treibt mich rapide zu meinem Orgasmus, der sich ankündigt.   Meine Eier ziehen sich zusammen, mein Glied hüpft und- wird in seinem Würgegriff festgehalten.   „Noch nicht.“ Ich würde ihm danken, wäre ich nicht komplett vernebelt. Sein Kopf taucht wieder in meinem Sichtfeld auf, er wischt sich den Mund, „Kirsch Geschmack“, kommentiert er das Gel und lässt von mir ab. Meine Beine rutschen von seinen Schultern, baumeln frei in der Luft.   Er richtet sich auf, betrachtet mich, streift sich seine gepunktete Bluse vom Oberkörper. Öffnet den Knopf seiner hellblauen Jeans, steigt aus ihr. Enthüllt sein beeindruckendes Gemächt. Ein Linksträger. „Du… bist gepierct?“ Das war er bei unserem ersten intimen Moment nicht. Wie viele Wochen ist das her?   Nein, Kira ist nicht gepierct. Ich sehe es an seinem Blick, der kurz abwesend wirkt. Erkenne darin die Antwort.   „Möchtest du es herausnehmen?“, zeige ich Verständnis. Er schüttelt den Kopf. Warum-? „Du stehst drauf“, schlussfolgert er richtig. Lässt mich erröten.   Stolz erigiert steht er vor mir, reibt sich einmal auf und ab, präsentiert mir seine Lustperle. „In dir wird sie zerfließen. Meine Lust“, verspricht er mir, hält ihn in der Hand, führt ihn zu mir. Ich bin kein passiver Part; Wie von selbst schlinge ich meine Beine um seine Taille, lade ihn ein, spreize meine Beine. Meine Augen den seinen nicht weichend, erflehe ich seine Männlichkeit. „Bitte.“   Letztes Mal… waren wir nicht so weit gekommen. Aus Angst, aus Furcht vor etwas, das nur er benennen kann. Was hat sich seitdem verändert? Wird er wieder abbrechen müssen? Egal wie er sich entscheidet, wie es ausgeht – diesen Weg gehen wir zusammen. Ich suche Hinweis, Antwort.   „Soll ich sie abnehmen?“ Er umgreift die Maske, zögert. Ich lächle. „Es ist okay…“, rede ihm sanft zu, „ist okay… Kira.“ Wie ein Schutzmantra wiederhole ich flüsternd seinen Namen. Blicke in die Löcher seiner Augen, die ich im Schatten nicht ausmachen kann. Betrachte seine gebrochene Maske, ihre Bruchstellen, die feinen Risse. An Scherben erinnern sie. War ich das?   „Du Einbrecher“, schmunzelt er leise, „hast dich in unser Herz geschlichen.“   Mein Grinsen neckisch. „‘Ein Einbrecher aus Höflichkeit’“, so hatte ich mich ihm vorgestellt, bei unserem ersten Treffen. „Und das Wertvolle, das hole ich mir.“   Die Ketten über mir lasse ich los, strecke meine Hand nach ihm aus, komme wegen der Fessel nicht weit. Er neigt mir seinen Kopf entgegen, damit ich ihn erreichen kann. Meine Finger fahren die scharfen Kanten der Maske entlang. Ich steche mich daran. Thronendes Rot auf heller Haut. Sanft umfasst seine Hand mein Handgelenk, führt den Finger zu seinem Mund. Seine Lippen umschließen die Kuppe, küssen die rote Perle von ihr.   Mit der anderen Hand greift er unter die Maske, nimmt sie ab. Das Diamantblau seiner Augen schneidet mich so viel tiefer als seine Maske. Noch immer liegt sein Mund auf meinem Finger, wie in der Zeit eingefroren. Wie in den Moment gemalt, für diesen Augenblick geschaffen.   Die Wärme seines Kusses bleibt, als meine Finger über seine Wange streichen, sein Gesicht mit meiner Hand umrahmt. „Wie schön du bist“, spricht meine Zuneigung, „Kira-“   Seine Beherrschung endet. Die Maske scheppert zu Boden.   Seine Lippen finden meine. Seine Eichel küsst meinen Eingang. Seine Hüfte schiebt sich vor, schiebt sich in mich.   Zittert er? Fester umarmen meine Beine ihn, ziehen ihn zu mir, überbrücken die Distanz mit ihm zusammen. Stück für Stück, Zentimeter für Zentimeter. Empfangen ihn. Wie er mich noch mehr weitet, vordringt, mir heißer und heißer werden lässt. Ich stöhne langgezogen, stöhne in den Kuss.   Er keucht. Ein letzter Ruck, ein Vorstoß. Und wir sind vereint. Auf intimste Art. Er in mir. Vollständig.   Ein Tropfen an meinem Mundwinkel. Ich fühle die Perle, fange sie mit meinen Lippen auf, öffne meine Augen, blicke in seine verwässerten.   „Was ist los, Kira?“, küsse ich die Tränenspur, trockne sie.   Sein Kopf sinkt, sein blondes Haar bedeckt sein Gesicht, sein Unterarm stützt sich neben meinem Kopf auf. Ich höre ihn schneller atmen, um Fassung ringen. „Es… ist unerträglich“, flüstert er gepresst, wahnhaft. „Unerträglich schön.“ Seine Augen suchen meine, ihre Farbe ein Wechselspiel von Licht und Schatten, Himmelblau und Mitternacht. Kiras und Killers Augen.   Er kämpft. An der Schwelle, schwankend zwischen Brechen und Heilen. Ein Kampf, den wir gemeinsam ausfechten. Nur zusammen schaffen können. Allesamt.   Geduldig warte ich, gebe ihm die Zeit, bin einfach nur da. Es hilft. Er ist ohne Kondom in mir, kommt mir der Gedanke. Kurzlebig. Wir sind alle getestet. Personal wie Patienten. Auf alle möglichen Krankheiten. Was anfangs merkwürdig und skurril war, ist nun irgendwie beruhigend. So etwas ist wichtig!   Weiterhin verharren wir hier, vereint, reglos. Herzklopfen. Sein Glied ist in mir abgeschwollen, nur noch halb-hart – doch als er wieder zustößt, wächst er zur vollen Größe, neigt sich nach rechts und trifft.   Laut japse ich nach Luft, seh Sterne. „Jackpot, Baby~“, raunt er mir zu. Sein tiefer Bariton jagt einen Schauer durch mich. „Spürst du mich, Darlin’?“   Ich krampfe, reiß die Augen auf. Es gibt nur einen, der mich so nennt… Heiß-kalt trifft mich die Erkenntnis: Killer?!   Mein Herz stolpert, überschlägt. Braucht einen Moment, um es zu verinnerlichen.   Der, der zustieß, war... „Kiraaah.“ Der, der loslegte... „K-Kill-ah!“   Beide. Sie sind beide hier. Abwechselnd, koexistent. Ich spüre es an ihren Stößen – wer von ihnen mich nimmt. Tief und sanft – Schnell und hart. Effektiv. Der Winkel, die Kraft, die Hingabe. Sex mit zwei. In Einem. Pure Erfüllung.   Mir wird schwindelig vor Erregung. „Wie du für uns tropfst“, Killers Finger streichen meine Männlichkeit herauf, mit seinem Zeigefinger über die pralle Eichel, fängt die Lustperle auf seine Fingerkuppe, leckt sie ab. Schnurrt.   „Du armes Ding. Lass mich dir helfen…“, intensiviert er seine Stöße, zieht sein Tempo an, landet Volltreffer um Volltreffer, lässt mich kaum zu Atem kommen. Rammt mich gegen die kalte Zellenwand. Die Ketten klirren lauter und lauter, schneiden sich in meine Haut, reiben sie auf-   „Wer von uns wird dich über die Klippe stoßen, hm?“   Und er wird langsamer, gefühlvoller – Kira flüstert mir zärtliche Liebkosungen zu. „Mein…“ Lässt mich fühlen, wie viel ich ihm bedeute. Streicht mir mein Haar von der Stirn, die er küsst. Der Wechsel der beiden ist verstandraubend schön. In immer kürzeren Abständen erfolgend, als würden sie sich einander nähern, anpassen, vereinen? ...Nein, unmöglich.   Womöglich werde ich von ihnen benutzt – und doch… „H-Hört nicht auf.“ fühle ich mich zu keiner Zeit unwichtig. Für keinen von ihnen. „Nicht aufhören!“   Kira sorgt dafür, dass ich mich wichtig und wertgeschätzt fühle. Killer begehrt und befriedigt. Wir allesamt Eins. In diesem Moment. Seelisch wie körperlich.   Kira umgreift mein Glied, reibt es, lockt Lust um Lust hervor. Killer klatscht mir auf den Arsch, krallt sich rein, hinterlässt Striemen.   „Weißt du eigentlich wie sexy du bist, Babe?“ Hungrig attackieren mich seine Lippen; auch ihre Küsse wechseln in Druckstärke, Schnelligkeit, mit und ohne Zunge – Doch allzeit mir gewidmet. „Dein heißer Körper – Wie für uns gemacht.“   Mein Orgasmus bahnt sich an, langsam, bricht ab, ereilt mich. „Willst du kommen? Von uns geliebt?“ Mein Klippensprung. Von Kira eingeleitet und- Killers Trefferwucht katapultiert mich in die Höhe. Höher. Ich fliege. Ich komme. Intensiver. Anhaltend.   Das Zucken in mir warnt mich vor. Auch er ist an der Schwelle. Gleich. Schamlos bewege ich meine Hüfte, stoße mich ihm entgegen, stöhne ungehemmt. Und merke die Macht, die ich über sie habe. Über beide. Ihren Switch. Ich kann ihn steuern. Ihn triggern.   Der, dessen Name ich keuche – Er findet Befriedigung.   Erst kam Kira, dann kam Killer – Ihr Männlichstes ergoss sich immer weiter. Seine Stöße stottern, Teile seiner Samen fließen schmatzend aus mir, wird in mich reingedrängt. So viel Erguss, so viel Lust, Leidenschaft, Liebe.   Unwissend von mir, dass dies der erste Moment seit ihrem Seelensplit ist, an dem sie wahrlich verbunden sind. Eine Vereinigung, die möglich ist. Aus zwei Persönlichkeiten ein Mensch werden kann. Und ich, der sie beide in mein Herz lassen kann – kann ich?   Ich bin längst nicht mehr bei Verstand als er sich aus mir zieht. Von Euphorie und Glück geflutet, höre ich nur mein laut rufendes Herz… nach ihnen beiden. Im doppelten Takt.   Muss ich mich entscheiden? Entscheidet ihr. Entscheidet euch für mich.     ~*~     Ein guter Soldat dient. Auf die Knie, Kira.   Leck meine Samen aus ihm. Drink it up, Baby~   Unsere, nicht deine. Tut er, wonach es ihm verlangt, kniet sich vor Penguin, streckt unsere Zunge zu seinem tropfendem Loch, taucht ein, saugt, saugt, saugt… Lass mich auch mal, du hattest ihn schon. Löse ich ihn ab.   Unser Sündenopfer stöhnt langgezogen. Unser Herz schreit lebendig. Liebend. Nach ihm.   Mit den Fingern holen wir die Reste von uns aus ihm, lecken es ab, küssen ihn. Entfesseln ihn, tragen ihn auf unseren Armen aufs Sofa. Im Bad holen wir Waschzeug, kümmern uns um ihn, reinigen ihn, trocknen ihn ab. Legen uns zu ihm. Kuscheln uns an ihn. In unsere Arme gehört er. Wir ziehen ihn näher zu uns, lehnen ihn an ihn, atmen unseren Geruch, an ihm haftend, ein.   Und doch kann ich nicht anders als die abartig kitschige Romanze zu verderben. Ich bin schließlich der Böse dieser Geschichte, habe einen Job zu erledigen. Mein Gift fließt in unsere Gedanken.   Sieh dich an, Kira… Wie clever du ihn dazu gebracht hast zu glauben, dass du der Gute bist. Ich applaudiere deiner Scheußlichkeit. Du fürchterliches Monstrum.   Er reagiert nicht auf meine Provokation, ich führe sie fort.   Den einen Menschen zu belügen, dem du etwas bedeutest. Wann er sich wohl in dich verlieben wird? Liebt er dich schon? Wann werden wir ihm das Herz brechen? Quälend langsam~ Unser Körper erschaudert. In Vergnügen. Seine Tränen… Welch Genussfreude~   Wenn er erst erfährt, wie gestört du wirklich bist… Wie hässlich im Inneren. Uh~ Sein Hass wird mich nähren.   Das werde ich nicht zulassen. Mein Kichern dringt aus unserer Kehle. Wie töricht zu glauben, du hast eine Wahl! Ich spüre es. Killers Klarheit. Sein Fühlen. Sein- Mein Wille kämpft sich durch, übermannt Killer.   Mit einer Ruhe, die Killers Stille zerschlägt, spricht mein Stolz: „Die habe ich.“ Eine Wahl. „Und ich wähle…“   Killer fühlt es, ehe es ausgesprochen. Mein Gedanke, der sich in ein Vorhaben manifestiert. Unser. Du… Angst. Blanke Panik, die er durch unseren Körper schickt. Du wirst doch nicht-?!   Kiras Lächeln ist ein warmes. Es wärmt uns. Mich. „Ich brauche dich, Killer. Nur zusammen können wir die Freiheit erlangen.“ „Du- Nein. Nein, nein, nein! Es muss einen anderen Weg geben. Irgendeinen! Nur nicht…“   Ich atme durch. Einmal, zweimal… Beruhige mein panisches Herz. Spüre, dass ich eines habe. Es wiederkehrt. Von Penguin reanimiert. In Liebe, in Leben.   Und treffe meine Entscheidung; „Vereine dich mit mir, Killer.“ Auf seelischen Knien bitte ich ihn darum.   Kira, du… Bist du durchgeknallt?! Hast du den Verstand komplett verloren? Wenn wir wieder Eins werden, dann…   Ein grauenhaftes Grinsen entstellt unser Gesicht. Er lacht. Unkontrolliert. Manisch. Reißerisch. Ein Gefühl als würde es uns innerlich zerfetzen. Unsere Psyche droht zu kippen. In den Abgrund, zu Kamazou. Doch ehe es dazu kommt, werden wir geankert. Im Hier. Im Heimathafen. Arme umklammern uns, haltend. Zusammenhaltend.   „Bleib bei uns, Killer“, brummt Penguin, lächelt, „du bist willkommen. Gehe nicht-“   Killer reißt sich von Penguin los, stößt ihn weg, Richtung Sofa. „Du spielst unfair, Kira!“, brüllen wir durch den leeren Raum – den unseres Inneren. Schriller verzerrt die Stimme seiner Seele, nimmt wahnhafte Züge an. Das Kreischen eines Leidenden. Zweier.   „Unfair, unfair, unfair!“, schlagen unsere Fäuste gegen die Zellenwand – wann sind wir dorthin gelaufen? – der Putz bröckelt stark, „Jahrelang hast du mich als deinen emotionalen Mülleimer missbraucht. J a h r e. Leid um Leid musste ich ertragen, unerträgliche Schmerzen hast du mir zugeführt. Bürde um Bürde aufgedrückt!“ Fester und fester schlägt er zu, „Hast mich mit Gefühlen geschändet, mit Erinnerungen verunstaltet, nach und nach immer weiter misshandelt, damit DU der Gute von uns beiden bist! Der Normale. Der Scharlatan. Und nun – Nun besitzt du die Dreistigkeit, mich- mich!“   Er ringt um Atem, unser Herz krampft, kämpft. Seine Stimme bricht. „...Einfach so zurückzuwollen?“   Eine einzelne Salzperle tränt unsere Wange hinab. Eine für tausend Stumme. Meine Arme schlingen sich um uns selbst. Umarmend. Tröstend. Killer lässt es zu. Sein Widerstand wird schwächer. Nachgebend. Dann fragt er gar scheu: „Warum?“   Ich schmunzle leise. „Für ihn.“   Für ihn. Penguin? Killers Stimme in Hohn und Abscheu. Für mich hättest du das nie getan-   „Für ihn – unser altes Ich.“ Unser Wahres. Den Soldaten, den Gefallenen – Eine Einheit.   Wieder ein Zögern seinerseits. Denkst du, du kannst das ertragen? Den Schmerz, das Leid, die Angst all deiner Erinnerung… Es wird alles auf einmal zu dir zurückkommen. A l l e s.   Langsam legt sich unsere Hand auf unser Gesicht. Als würde sie es verdecken wollen. Eine Maske aufsetzen. Solange du zu mir zurückkommst…   „Tu es, Killer.“ Augen schließen sich. Ergeben, abdankend. „So sei es, Kira.“   Kein Verstecken mehr. Die Wahrheit. Das Grauen.   Alles will ich zurück. Um Mein wiederzuhaben.   Ich betrete sie, seine unsere Stille.   Wie ein Sarg, dessen Deckel sich schließt.   Sehe es. Unser Innerstes. Die Bühne des Schauspiels.   Erinnerungen mischen zu Wahngebilden. Der Kriegsplatz. Das offene Feld. Schüsse von allen Seiten. Wir mittendrin.   Schattenhafte Umrisse zweier Personen, die sich einander nähern. Umschleichen.   Ein jeder von ihnen eine Klinge haltend. Zwei Sensen. Werkzeuge des Todes.   Ein Instrument zu richten. Ein Instrument zu schlichten.   Musik ertönt. Herzschläge. Die Schwingung unserer Waffe.   Gespielt im Alleinsein. Das All-Ein-Sein.   Herzschläge, die Sargnägel einschlagen.   Klopf Klopf Klopf   Ein Summen der Vergangenheit.   Angestimmt zu einer Trauerballade. Der Zeitgeist, der heimsucht.   Ein geteiltes Herz in schwarz und weiß. Zu einem Schachbrett werdend.   Getrennt. Zusammen.   Puzzleteile eines Gesamten.   Kein Schwarz, kein Weiß: Grau.   Dein Wir. Ein Uns.   Ist die Welt bereit dafür? Sollen wir uns ihr zeigen?   Nein. Noch nicht.   Die Sense durchtrennt ihn. Den Schicksalsfaden. Das Rettungsseil.   Der Vorhang fällt. Tiefer, immer tiefer.   Die Lichter gehen aus. Wir gehen alle nach Haus.   Eine Verbeugung. Ein Abschied.   Masken fallen. Kostüme werden abgelegt.   Mensch geweckt, Monster eingeschläfert.   Sweet dreams~ Are made of us~   Endlich. Endlich ist die Stille gänzlich.   Die Stille kennt alle Antworten. Die Fragen bleiben vorerst.   Denn es endet hier.   Das Ende des Balls; Vom Maskenball.   . . .   Schach-   Leben sind geschrieben. Mit schwarzen Engelsfedern.   Wiegend im gottlosen Wind. Ein Sturm zieht auf.   D.seits jeden Glaubens.   Namen kommen auf die Liste. Einladungen gehen raus.   Bald. Es naht. Die Fortführung.   Die Freakshow!   -matt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)