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Maskenball

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Pengs Sicht Komplett anzeigen

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Messers Schneide

Ich werde sterben.

 

Ein Gedanke,

so irrational,

fern von allem.

 

Erschreckend nah

an der Wahrheit.

Jede Wirklichkeit

hat ihren Schrecken.

 

Die Lüge beruhigt.

Das Leben lügt.

 

Alles spiegelt,

nichts überdauert.

Zeitlos,

zweigeteilt.

 

Wenn ich gehe,

gehst du mit?

 

Ich;

missend,

vermisst?

 

Du;

gänzlich,

unvollständig.

 

Mein Herz in Sehnsucht

ertrinkt in dir.

 

Es will leben.

Lieben.

 

Dich.

Und ihn.

 

Ist es falsch?

Etwa so verwerflich?

 

Es schmerzt.

Warum bist du es,

der mir das antut?

 

Ich habe dir vertraut.

Hat dir das nicht gereicht?

 

Bin ich dir zu wenig?

Zu viel?

 

Zu kaputt?

 

Ich schneide mich

an den Scherben

meiner selbst.

 

Du...

Der du mich zerbrichst.

 

Blutest du

mit mir?

 

Wer wird es sein?

Der Letzte, der blutet.

 

Du schenktest sie mir.

Blumen.

 

Sonnenblumen...

Ihr roter Schimmer ist tragisch schön.

 

⊱❁⊰

 

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Warum bin ich hier?

Wo ist hier und wo dort?

 

Je länger ich in der Anstalt verweilte, desto mehr verlor ich den Weg. Hatte es je einen gegeben?

In den eigenen Gedanken umherirrend, nirgendwo ankommend, gelang ich zu keinem Ziel. Gab es überhaupt eines?

Ich hinterfragte mehr, als ich Antwort fand, wusste nicht, wo ich suchen sollte.

Wer führte mich in die Irre und wer war wirr?

Bin ich es nicht selbst?

 

Rational betrachtet, hatte sich die Schlinge bereits viel zu eng um meinen Hals geschlungen, band mich fest an diesen Ort. Warum fühlte es sich dann nicht beengend an? Hatte mich meine eigene Angst im Stich gelassen?

Ich hatte das Gefühl, als könnte ich freier atmen, obwohl die Luft sich in Nebeln verdichtete.

Blind vor Emotionen und doch nie klarer gesehen, blickte ich auf die drei Personen, die neben mir im Dachbodengeschoss waren: Law, Kid, Killer.

 

Personen – wohl angemerkt – von Persona; Maske.

Jeder hatte sie. Die Welt war ein einziger Maskenball.

Tanzte jemand aus der Reihe, wurde er weggesperrt. Ein falscher Schritt kann zum Fall führen, gegen den Takt, gegen die Norm. Anders-sein war ein Todesurteil. Die Freiheit genommen, innerlich zerstört.

Niemand wollte dich mehr, wenn du erst kaputt warst.

In Einzelteilen nahm dich die Finsternis, dein einziger Fluchtweg. In die Leere.

Wer fängt dich auf, wenn du ins Bodenlose stürzt?

 

Fällst du... oder fliegst du?“ Killers schattenhaftes Flüstern an meinem Ohr. „Soll ich dich fangen... oder fesseln?

Seine Präsenz hinter mir wiegte mich in trügerischer Sicherheit, fühlte sich stark an, schützend. Sein Arm griff um mich, seine Hand auf meinem Bauch liegend.

„Darlin'~“, schnurrte er. Sein Atemhauch striff meine Ohrmuschel, seine Finger wanderten meinen Oberkörper hinab, schlüpften unter mein Hemd, ertasteten meine Bauchmuskeln.

„Lass dich von mir verführen~“

 

Scharf sog ich die Luft ein, zog meinen Bauch ein und fand mich selbst mit dem Gedanken wieder, dass mir seine Berührung gefiel. Leugnen zwecklos. Killers Berührungen brachten die Stille, wirkten erdend.

Ich lehnte meinen Hinterkopf an seine Brust, blickte zu ihm auf, er zu mir runter. Meine Augen fanden seine. Er trug seine Maske nicht. Ich sah ihn. Schutzlos, in aller Echtheit.

Aufgegeben, gegen ihn anzukämpfen, verbündete sich mein Herz.

 

„Nicht hier...“, leistete ich wenig Gegenwehr, legte meine Hand auf die seinige, drängte meine Finger zwischen seine kühleren. Sein Griff so anders als Kiras... so gefährlich. Aufregend.

Mit diesen Händen hat Killer-

 

Kid schnalzte ungeduldig.

„Was los? Weitermachen!“, befahl er, schwenkte die... Kamera?!, die er auf uns hielt.

Hektisch riss ich mich von Killer los, stolperte nach vorne, starrte verstört auf die Linse, fuchtelte wild mit dem Zeigefinger drauf. „W-was?“

 

„Was das wird?“, grinste Kid dreckig, „kein Porno, wie's aussieht.“

Lässig legte er die Kamera weg, fürs Erste, griff sich ins rote Haar. „Hab noch kein Geschenk für Kira... brauch was, was sein Gummi platzen lässt.“

 

Killer schmunzelte diebisch. Den Kommentar konnte er sich ja doch nicht verkneifen.

„Kira benötigt keinen Flutscher.“ Seine Mundwinkel hoben sich weiter. „Weil er keinen-“

„Er hat ihn!“, zog ich alle Augen auf mich, senkte meinen Blick, nuschelte zum Ende hin. „Sex.“

Also wir hatten zwar noch keinen, also nicht so richtig, aber-

Ach, vergiss das!

 

Schnell ablenken, zurück zum Thema. Kid braucht ein...

„Geschenk?“, fragend schaute ich in die Runde, die verdächtig schweigsam wurde.

Killer war es, der antwortete. Er schien amüsiert. „Unser Jahrestag.“ 'Unser'?

Sein Lippenzug fror zu etwas Zeitlosem. „Wir sind fast zehn Jahre hier... oder sind es elf?“

Langsam kippte sein Kopf zur Seite, der Schatten in seinen Augen verdammt unheimlich.

„Die Zeit so still, als wären wir längst tot...“

 

Auch seine Stimme hatte gespenstische Züge angenommen, jagte mir eine kalte Gänsehaut über die Oberarme, die ich wärmend rieb. Von ihm wieder in seine Körperfessel geschlossen wurde, in seine besitzergreifenden Arme.

Killer grub seine Nase in mein Haar, sein Atem in meinem Nacken spürbar.

„Mit dir sind wir weniger tot.“ Gar kein bisschen gruselig. Soll das romantisch sein?

Dass er von sich in der Mehrzahl sprach, war ein Fortschritt, oder? Akzeptanz? Dazugehörigkeit?

Aber wen meint er mit Wir?

 

„Das muss ich mir schön saufen“, verkündete Kid, griff zu irgendeiner Dose, deren Aufschrift schon verblich. Eine von vielen auf dem überfüllten Schreibtisch, an dem Law saß.

Dieser betrachtete stumm den flimmernden Bildschirm der Überwachungskamera, die den Saal zeigte, wo die Angestellten und Bewohner noch immer feierten. Doch etwas schien anders, seit ich mich von dort weggeschlichen hatte.

Die Stimmung wirkte... düsterer. Auch die Mienen der Anwesenden schienen dunkler, gar leerer. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

 

Wie ferngesteuerte Marionetten bewegten sich die Figuren über die Tanzfläche. Das Paar – die zwei pinkhaarigen Frauen – kreisten nicht mehr synchron miteinander, sondern asynchron aneinander vorbei. Die anderen wirkten ebenso seltsam, interagierten miteinander wie kaputte Spiegelbilder voneinander, taten gegensätzliche Dinge. Als würde jeder von ihnen in einer anderen Zeitschleife festhängen.

Ein echt verstörender Gedanke. Leider gar nicht mal so abwegig.

 

Im nächsten Moment wurde der Bildschirm schwarz. Knurren pfefferte Kid die Fernbedienung auf den Tisch, räumte dabei mehrere Dosen ab. Warum so aufgebracht?

Angriffslustig glühten goldene Augen.

„Was die brauchen, is ne Abreibung. Anal-Fisting mit mei'm Springerstiefel“, knackste Kid seine Faust mit Laws – 'Händchen-haltend' – was zur Folge hatte, dass Law Kids Finger noch lauter knacken ließ.

Das ekelhaft beißende Knirschen ging mir durch Mark und Bein. Verstört verzog ich mein Gesicht. Fingerspielchen KidLaw-Style.

 

Rau lachend schüttelte Kid seine Hand aus, ehe er sie in seine rote Mähne grub. Sein fiesestes aller Grinsen stellte selbst die Dunkelheit in den Schatten.

„Wir sorgen dafür, dass sich die Ficker selbst-“

„Hüte deine Zunge, Eustass-nayen.“

„Sonst was? Keine feuchten Zungenküsse mehr?“, streckte er Law die Zunge raus, mit der er sich die Lippen schmatzend befeuchtete. „Dir lutsch ich einen mit und ohne. Haste noch Lippenstift an deinem-?“

Das Zischen, das Laws gefährlich zuckende Lippen verließ, erinnerte an diese Insekten-Pestizide-Sprüher – passend.

Silber funkelte eiskalt. „Dies habe ich“, haute er trocken raus. „Jedoch...“, holte er zum Gegenschlag aus, ließ sich Zeit, die Rache auf der Zunge zergehen.

„Wer sagt, dass es deiner ist?“

 

Kids Kinnlade fiel. Hirnsturz – Da rutscht einem das Hirn in die Hose.

Keinen Ticken später verengten sich seine haarlosen Brauen zornig, zeitgleich holte er Luft, sammelte Gewalt für das Brüllen, das er herauspresste.

„Du hast den Clown gefi-?!“

Eustass Kid sollte in genau diesem Moment erfahren, was es hieß, den Mittelfinger des Todeschirurgen zu schmecken. Tief in ihm. Und er-!

Ich sah weg, konnte mir das nicht geben, war geschändet.

 

Wie nett, dass Killer den Kommentator spielte.

„Kid lutscht ihn tatsächlich.“ Danke für diese Info! „Und Law wird... rot.“ Das kann er? „FaFa, jetzt kommt erst der interessante Teil. Die beiden-“

Murrend zerrte ich an seinem gepunkteten Ärmel. „Schau da nicht hin!“

„Eifersüchtig, Darlin'?“

„Ähm... Also... Nein? Na gut, vielleicht ein klitzekleines bisschen.“

„Aww, wie ekelhaft süß von dir. Da erbricht sich fast mein Glied. Teilen wir uns eine Kotztüte?“

Kid schnaubte. „Der war gut, Kill!“ ? Wo war der-?

...Tüte. Lümmeltüte. Verstehe.

 

Moooment. Hat er Killer gerade-?

Ein Spitzname?

Ich hab gedacht, die können sich nicht ausstehen.

Was hat sich geändert? Und wann?

 

Genervt verdrehte ich die Augen. „Wollten wir nicht wohin?“

„Uh~ Ein Doppel-Date?“, schnurrte Killer unnötigerweise. „Oder einen Vierer?“

Mein Blick, der ihn massakrierte, war ihm Antwort genug. Er war entzückt. „Wenn du mich weiter so ansiehst, verzögert sich das Date um 13 Minuten.“

„Dreizehn...?“

„Eine Unglückszahl, dich zu beglücken.“

Mal ehrlich, warum date ich diesen Kerl?

 

„Bevor ich einen Vierer mit Dr. Creep und Red Devil eingehe, geh ich lieber freiwillig in die Irrenanstalt – Ha, schon passiert. Meine Psyche ist penetriert.“

Drei Augenpaare starrten mich an. Law hob eine Braue. „Du... beliebst zu scherzen? Mein Anatomie-Skelett applaudiert – und dieses hat keine Muskeln, um dies zu tun.“ Yohohoho~

Ich zuckte grinsend mit den Schultern. „Humor war wohl mal wieder im Sale.“

Killer stützte seinen Ellenbogen auf meiner Schulter auf, lehnte sich an mich. „Dies ist mein Verdienst. Hab meinem Lover-Boy einen Spiegel vors Gesicht gehalten.“ Hey-!

Flüchtig drückte er mir die schmunzelnden Lippen auf meine und ging mit Kid, der natürlich zuerst durch die Tür stampfte. „Lasst uns die Loser aufmischen!“

 

Perplex sah ich Killer nach. Hat er-?!

Mein Herz feuerte los. Mich geküsst, einfach so.

Die winzige Berührung kribbelte auf meinem Mund nach, den ich einrollte, gedankenlos mit meiner Zunge die Lippenkontur nachfuhr, ihn nachschmeckte. Killer schmeckte. Sauerkirsche.

Und mir im nächsten Moment grob mit dem Handrücken drüber wischte.

Weil ich den Seitenblick merkte. Glotz du nur, mir doch egal!

 

Fluchend folgte ich den beiden, Law als Begleitung, der den amüsierten Kommentar ja doch nicht für sich behalten konnte.

„Mein unaufrichtiges Beileid, Pech-ya.“

„Dito. Dein Los ist mindestens genauso mies wie meins. Ya!“

 

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Irres Lachen, im Doppelpack. Kid und Killer – eine Kombination, die den Irren den Wahnsinn lehrte. Flieht, solange ihr könnt!

Ich hörte das Chaos schon von weitem, noch ehe ich den gläsernen Ballsaal erreichte. Was ich sah, grenzte an Wahnvorstellungen.

Wo die Patienten vor wenigen Minuten noch apathisch und stumpf wirkten, waren sie nun... es gab kein Wort dafür, um das zu beschreiben. Das verblühende Leben? Wie aufgeweckt, nur mit der teuflischsten Schockmethode.

 

Was haben die mit den Leuten gemacht?

Und will ich das wirklich wissen?

 

Da war einer in einer großen Mülltüte, die er sich über die Beine gezogen hatte. Draufgemalt waren mit grünem Edding Schuppen – sollte wohl ein Meerjungfrauen-Kostüm darstellen – Jodelnd hüpfte der Fischmensch vom Dach, landete mit einer Arschbombe in einem Gummipool, der trübes Wasser drin hatte, als wär's aus der Kloake gefischt.

Jetzt hab ich echt alles gesehen-

Mist, zu laut gedacht!

Eine geschminkte Leiche uralte Frau mit krummer Nase kicherte mädchenhaft und sang krächzend; „Spieglein, Spieglein~ knusper, knusper, knäuschen~ Wer knuspert an meinem Höschen-?“ Zeit, ganz schnell irgendwo anders zu sein!

 

Fast panisch stürzte ich ins Saalinnere – fataler Fehler.

„Crème Brûlée?“, wurde ich von dem Blonden mit Spiralbraue gefragt, der diesen ganz seltsamen Blick draufhatte.

Ich schüttelte verneinend den Kopf und stolperte weiter – in ein Kartenhaus, das ich umwarf.

 

„Dich habe ich kommen sehen.“ Das klang nun echt nicht mehr nur zweideutig!

Die gespenstische Stimme des Geisterguru meldete sich erneut, wollte mir die nächste Prophezeiung aufschwatzen, doch hielt ich mir die Ohren zu. Die letzte ist auch wahr geworden. Der Typ verbreitet das Unheil!

Halt. Hat der echt mit seinen Tarot-Karten ein Haus gebaut?, sah ich zu den zerstreuten Bildern herab. Auf einer Karte stand ich. Der Tod. Natürlich.

Warum kann's nicht mal der Turm sein?

 

Vom Buffet-Tisch sprang das Mädchen mit schwarzem Sonnenschirm, segelte so langsamer zu Boden – könnte ich mir auch einbilden. Vielleicht war ich die Einbildung?

Sie kicherte. „Die Geister sind lustig~ Sie erzählen die süßesten Geschichten~“, schwärmte sie, spielte mit ihren rosafarbenen Zöpfen in Spiralform, die sie nach hinten warf. „Sie erzählen von ihrem Spuk.“ Wo andere ein Puppenhaus haben, hat sie ein Spukhaus.

 

Von irgendwo schepperte und klirrte es. „Zerstören, ich muss zerstören~“ Eine blonde Frau, die Teller warf, apathisch sang – growling? – aber mit einem Lächeln auf den bleichen Lippen.

Die Partygäste feierten hier etwas, das nicht mehr normal war – war es nie.

Dort saß ein grünes Männchen in einer Kiste! Einer Schatzkiste und dem sein Haar setzte schon Moos an. Mehr als verstörend.

 

Ich wurde bleich, torkelte weiter, kämpfte mich durch den Saal, zu einem Stuhl, auf den ich sank. In der hintersten Ecke, wo ich mich sicher fühlte. Mir das zumindest einredete.

Das wurde mir echt alles zu viel. Lasst mir doch alle meine Ruhe!

Meinen Ellenbogen stützte ich auf den langen Tisch mit den Getränken neben mir, raufte mir durchs Haar und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Was geht hier ab?

 

Und wo ist meine Kappe?, merkte ich ihr Fehlen, fühlte mich noch unruhiger.

Was ist eigentlich mit den anderen? Shachi müsste hier auch noch irgendwo sein...

Ich suchte den Raum nach ihm ab, blickte nach oben – wo der Fledermaustyp hing. Kopfüber, am Kronleuchter. Mit einem Kuscheltier in seinem Netzstrumpf. Von Heat genäht.

 

Gruselig langsam öffnete Batman seine Augen, starrte auf mich hinab. Schweigend.

Zunehmend fühlte ich mich unwohler, hob zum Gruß eine Hand. „Hey-“

„Pss!“, zischte er, „Killer könnte dich hören.“

Killer? Was...? „Kennst du ihn?“, fragte ich leiser, beugte mich etwas weiter auf den Tisch, zu dem Umhangträger rüber. Ich unterhielt mich hier echt mit einem kopfüber. Dem muss doch das Blut gestaut sein – im gespiegelten Süden.

Die Fledermaus schloss ihre Augen wieder. „Kira...“, wurde die Stimme schläfriger, „rette ihn“, leiser und leiser, „wir vermissen“, und der Typ schnarchte.

Fledermaus = nachtaktiv. Versteh schon...

 

Kira retten?

Wie, wenn ich mich selbst immer mehr verliere?

Ich fühlte mich überfordert, war verwirrt, überlastet. Law war auch verschwunden. Kid und Killer trieben irgendwo ihr Unwesen und ich saß hier. Allein, seufzend, unter allen Bekloppten, war vermutlich der Verrückteste.

Was tue ich hier?, fragte ich mich zum unzähligen Mal. Die Menschen leiden, brauchen Hilfe...

Und was tue ich?

 

Ich... mache mich lächerlich.

Mache mit einem Mörder rum.

Mache... alles falsch.

 

Ein verletzter Lippenzug verzerrte mein Gesicht, das an Farbe verlor. Leerer wurde, apathischer.

Geräusche wurden dumpfer, unklarer, verstreuten sich in einem Strudel wirrer Gedanken. Nichts sagend, doch laut und deutlich. Pochend in meinem Kopf, der schmerzte.

Mein Blick starrte auf etwas, fixierte sich darauf, hing daran fest.

Ein Fleck in der weißen Tischdecke. Rotwein.

So unscheinbar, so unbedeutend... doch effektiv, ließ mein Herz rasen. Schwindel überkam mich. Der fixierte Blickpunkt drehte sich, das Dunkelrot verzerrte vor meinen Augen, der Fleck nahm andere Formen an. Gruseliger, obskur, Schemen von... einer Schürze.

Die eines Metzgers.

Killer hat- E-Er...

I-Ich... A-Ace...

Blut. So viel Blut.

Verdrängtes krachte auf mich ein; Bilder, Geräusche, Gefühle... Die Übelkeit, Machtlosigkeit, Verwirrung. Schuld, Gewissensbisse, Genugtuung.

Mein innerer Konflikt lebte auf, starb im gleichen Moment. Ich hätte... habe nichts... nur zugesehen... bin Mittäter... bin schuldig... bin nichts, nichts, nichts!

Panisch griff ich mir ans Herz, spürte es. Stark, stärker. Reiß dich zusammen!

Mein Herz schlug schneller. Viel zu schnell. Nein. Nicht hier!

Bleib stark. Bleib-

 

Stillstand. Atemnot. Hilflosigkeit.

Ich kippte zur Seite, brach zusammen.

Hörte noch den dumpfen Aufprall, wie ich mich an etwas festhalten wollte, die Tischdecke zu greifen bekam, mit mir riss. Scherben klirrten, Stimmen, Schritte.

Geht weg. Lasst mich schlafen... Nur für einen Augenblick...

Ich brauch eine Pause.

 

Das alles war mir viel zu viel. Es brach mir das Herz, brach mich.

Ich wollte doch nur helfen... wollte nur...

 

Kira. Komm zurück.

Bitte...

 

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Jemand war bei mir. Er strich mir übers Haar. Wohltuend, aufmunternd.

Eine Berührung, die mein Körper nicht wiedererkannte und doch genau zuzuordnen wusste. Schmale Finger, die mir Muster auf die Haut malten. Ein weicher Untergrund, auf dem mein Kopf gebettet lag. Es roch nach etwas Süßem... Clementinen? Muffins?

Jemand summte. Beruhigend. Wiegte mich in einem guten Gefühl. Wie damals... als alles in Trümmer fiel... und du da warst...

 

„S-Shachi“, wisperte ich erschöpft.

Meine Augen wollten sich nicht öffnen, meine Muskeln sich nicht bewegen. Ich blieb einfach liegen, genoss das Gefühl der Finger, die mich kraulten.

 

„Schhh“, die Stimme meines besten Freundes klang anders... hatte er geweint? Meinetwegen?

„Alles gut, Peng... alles wird gut...“ Das... klingt nicht nach ihm. Der Optimist würde nun sagen, dass alles gut ist.

Es dauerte einen Moment, bis Shachi weitersprach. Bildete ich mir das Hicksen ein, das ihn am Sprechen hinderte?

„Ich“, stockte er, was gar nicht seine Art war, „werd dich beschützen, Peng.“

 

Auf meinen blassen Lippen bildete sich ein echt schäbiges Grinsen, das meinem Gesicht etwas Farbe zurückgab. „W-wo kommt das denn her... Brüderchen?“, kaum mehr als einen schwachen Flüsterton bekam ich raus. Er verstand mich.

 

„Es tut mir leid. So leid“, tropfte etwas Warmes auf mein Gesicht. Sommerregen. Wie damals...

„Hätte ich gewusst, hätte ich geahnt-“, überschlug sich seine Stimme, der das Licht fehlte, „Peng, warum hast du mir nicht gesagt, dass...“

Hat Law mich untersucht? Mich verraten?

„Der Herzfehler? Der Irre? Die Gefühle?“, endete ich für ihn, teilnahmslos. „Ist okay.“

 

„Nichts ist okay!“ Teilnahmsvoll strahlte Shachis heller werdende Stimme in mein Inneres, das es wachzurütteln versuchte. Sein Licht, das ich entfachte.

Meinen besten Freund so überfordert zu sehen, setzte mir noch einen Stich in der Brust. Dummkopf... mach dir doch nicht solche Sorgen... um so jemand wie mich.

 

„Ich back dir Plätzchen“, suchte Shachi nach etwas, womit er mich aufmuntern konnte, „viele Plätzchen. Die mit Zimt, die du so gern magst. Ich mach auch extra viele Streusel drauf!“, redete er sich in Verzweiflung, „Peng, ich... ich werde...“

Die Bewegung seiner Hand auf meinem Kopf verlangsamte. Meine Augen öffneten sich flattrig, blickten von seinem Schoß auf, in sein verheultes Gesicht.

Mühsam rang ich mich zu einem Schmunzeln durch. „Ich freu mich drauf“, atmete ich angestrengt durch, „auf deine... Plätz...en...“

 

Meine Augen fielen wieder zu. Die Erschöpfung siegte, riss mich erneut in den Schlaf.

Die Arme meines Bruders hielten mich, gaben mir Halt.

Hat Killer mich an ihn übergeben? Hat Shachi mich zu unserem Turm getragen?

Unwahrscheinlich. Oder?

Ich lächelte leicht. Es tat gut. Nach allem... endlich wieder Zuhause.

Bei meiner Familie. Bei Shachi.

 

Wir schliefen einen ganzen Tag durch.

Eher: Ich schlief, er blieb bei mir und wachte über mich.

 

Erst am späten Abend fand ich wieder zu Kräften, fühlte mich klarer, deutlich besser und hatte wieder Energie, um aufzustehen. Ich war allein in unserem Bett.

Doch der Duft von süßem Gebäck lockte mich zum Wohnzimmer. Mich am Türrahmen stützend, blickte ich in ein Chaos aus Mehl, Puderzucker, bunten Streuseln und verbrannten Keksen, die über den ganzen Raum verteilt waren. Wenn es hier schon so aussieht... Leb wohl, Küche.

 

Aus der Küchentür streckte sich ein lächelndes Gesicht mit Kochmütze. In seiner Hand die Schüssel mit Teig, die er rührte.

„Das werden die besten Plätzchen, die du je gegessen hast!“, strahlte er übers ganze Gesicht, das mit Mehl verziert war. Auf seiner Nase ein weißer Punkt, auf seinen Wangen je zwei Striche. 'Kriegsbemalung.'

Shachi gab ein Bild ab, das mich echt bescheuert grinsen ließ. Lässig fuhr ich mir mit der Hand durchs verwühlte Haar, verwilderte es weiter. Er gibt sein Bestes.

Mehrmals prüfte ich den Anblick meines Bruders, der wieder wie der Alte schien. Der Schlaf hatte uns beiden wohl gut getan, hatten wir dringend nötig.

 

Dann kniete ich mich herunter, hob einen der schwarzen Kekse auf und, „nicht, Peng, der-“, biss ich ein Stück ab. Bäh, schmeckt der nach Kohle!

Eisern versuchte ich meine Mundwinkel oben zu lassen, mein Gesicht nicht zu verziehen. Es knirschte, war staubtrocken. Ich brauchte ein paar Anläufe zum Schlucken, bekam es aber runter.

Und zeigte ihm einen Daumen nach oben. „Nicht schlecht“, hab schon schlimmeres von dir gegessen, „viel Erfolg weiterhin.“

 

Erst nach ein paar Tick-Geräuschen der Pendeluhr fand Shachi aus seiner Versteinerung, riss euphorisch die Hände in die Luft – was der Teigschüssel das Fliegen lehrte – und stürmte auf mich zu, um mich in seiner Umarmung zu erwürgen.

Die Plastikschüssel depperte auf den Fliesenboden der Küche und verteilte dort ihren Inhalt.

„Beim nächsten Mal werden's die Besten, versprochen!“, klang Shachi stolz und optimistisch.

Ich klopfte ihm sanft auf den Rücken. „Das werden sie, ganz bestimmt.“

 

Shachi konnte nicht backen – was ihn nicht daran hinderte, es zu tun. Weil er es wollte.

Und was er wollte, schaffte er auch. Ich glaubte an ihn, auch wenn ich ihm das viel zu selten zeigte. So wie er an mich glaubte und es mir viel zu oft entgegen strahlte.

Als er mich losließ, überrollte mich seine Frageflut.

 

„Wie geht’s dir? Geht's dir besser? Wie fühlst du dich? Was kann ich für dich-?“

„Shachi“, legte ich meine Hand auf seinen Kopf, brachte ihn zum Schweigen, sah ihn liebevoll an. Meine Stimme rau vom Schlaf, aber in Wärme gehüllt. „Sei einfach du. Das hilft.“

Das Honig seiner Augen verflüssigte, ehe er eifrig nickte.

„Ich werd das beste Ich sein, das es gibt!“

Ja, das wirst du...

 

Gähnend streckte ich mich, knackte meinen Rücken durch und warf einen Blick auf die Kuckucks-Pinguin-Uhr, die noch auf dem Boden zerbrochen lag. Die Zeiger der Uhr genau bei Null stehen geblieben.

„Wie spät haben wir?“, schaute ich zu Shachi, dessen Augen ein Leuchten annahm, das mir nicht gefiel. Ganz und gar nicht.

Die Art von schelmischen Funkeln, das etwas vorhatte, das mir den Abend Morgen verschönerte.

Shachi hob seinen Zeigefinger. „Wir haben genau richtig!“ Ah ja.

Will ich's wirklich wissen?

 

Warum bin ich überhaupt aufgestanden? Ich hätte liegenbleiben sollen.

Seufzend verschränkte ich meine Arme, beäugte ihn skeptisch, nickte kompromissbereit. Scheinheilig platzierte er meine Kappe auf meinem Kopf, hinter deren Schirm ich ihn weiter anstierte. Er sollte fortfahren – und preschte gegen den imaginären Baum.

Begeistert fuchtelte er mit seinen Händen, strahlte wie ein Honigmuffin.

„Die Show beginnt gleich, die dürfen wir nicht verpassen!“, zog Shachi mich an meinem Arm mit. Für seine dürren Ärmchen hatte er echt verdammt viel Kraft. Willenskraft.

Ich stemmte mich gegen seinen Zug, bewegte mich keinen Millimeter, während er auf der Stelle weiterlief. Sieht genauso bescheuert aus, wie's klingt.

 

„Welche Show?“, verlangte ich zu wissen, blieb standhaft, kritisierte ihn mit Blicken und nahm eins meiner alten Hemden, mit dem ich ihm das Mehl vom Gesicht wischte.

Sein dümmliches Lächeln und der Glanz in seinen Augen verhießen nichts Gutes.

„Die Zirkus-Show!“, riss er die Arme hoch – meinen umklammerten mit – ich ahnte Übles. Da gab's doch diesen Typ, der mit der Wand redete und-

 

„Ich geh schonmal vor, halte dir einen Platz frei!“, sauste das Energiebündel aus der Wohnungstür, trällernd die Turmtreppe runter, Richtung Gruselvilla.

Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Allein mit den Irren, lass ich ihn ganz bestimmt nicht!

 

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Ende vom Lied – oder eher Anfang vom Leid:

Ein leeres Patientenzimmer. In dessen Mitte saß Shachi auf dem Boden, ich stand an der Wand gelehnt. Aus dem angrenzenden Bad erklangen wühlende Geräusche, ehe der behaarte Kerl mit Fellohren heraustrat. In seiner Hand einen großen Ring haltend.

Das hier war verrückt. Und es wurde noch verrückter!

 

„Willkommen, willkommen!“, tänzelte der haarige Hans-Hugo durch den Raum, nahm seinen Platz am anderen Ende ein. Wo er eine runde Wachs-Tischdecke auf dem Boden ausgebreitet hatte – was wohl 'die Manege' darstellen sollte.

„Ladys, Gentlemen und Ungesehene“, verbeugte der selbsternannte Zirkus-Direktor sich, „habt Dank für Euer zahlreiches Erscheinen“, blickte er durch die Reihen von nichts.

Und Shachi, der anfing übertrieben zu klatschen. Ich denk mich einfach weg. Vielleicht klappt's diesmal.

Tat's nicht. Natürlich nicht.

Der ein-Idiot-Applause hallte in den leeren Raum, der das Geräusch schluckte.

Direktor Doofdödel hob seine Hände beschwichtigend. „Bitte, bitte, zu viel der Ehrung.“

 

Manchmal fragte ich mich, ob die 'kreativen Leute' um ihre erhöhte Vorstellungskraft wussten und diese bewusst auslebten – ganz gleich, ob sie dadurch in der Gesellschaft für geisteskrank erklärt wurden. Von Außen erweckten sie vielleicht Mitleid, aber was, wenn sie doch eigentlich glücklich in ihrer fiktiven Welt waren?

Ist das ein Verbrechen, für das sie weggesperrt werden müssen?

Tun sie jemandem etwas, außer sich selbst?

Ich zweifelte an allem, besah mir das Ganze, versuchte neutral zu bleiben. Eigentlich war ich nur hier, um auf Shachi aufzupassen. Eigentlich.

Ja, ich bin neugierig, verdammt!

 

Die 'Show' begann mit weiterem Geschwafel und Anpreisungen über den ach so tollen Zirkus, den es nicht gab. Moji – wie der Kerl sich irgendwann mal vorstellte – schwang den großen Ring und trat in die Manege; auf das weiße Wachstuch.

Und die Zimmertür sprang auf. „Wachs!“, stolperte der Fanatiker mit der Dreier-Frisur rein, „was tust du dem armen Wachs an?!“, schlitterte er auf die Knie, vor das Tischtuch, an dem er zerrte, ergatterte somit einen Platz in den Zuschauerreihen. Glückwunsch.

 

„Immer hereinspaziert“, ließ der Zirkustyp sich nicht stören, hielt den Ring vertikal vor sich. „Richie!“, rief er seinen imaginären Löwen, „dein Einsatz, Richie!“

Shachis Kopf schnellte zur Wandseite links – Was zum?! – Sein Blick verfolgte irgendetwas, was ich nicht sah. Etwas, was im hohen Bogen zur Manege sprang – laut Shachis Kopf- und Augenbewegungen.

„Ui~“, bestaunte er die Illusion, „süßes Kätzchen!“

 

Wie auf Abruf kam der nächste ungebetene Gast; Ein Mann mit Butleranzug, runder Brille und viel zu langen Fingernägeln, die er sich mal schneiden sollte.

„Miau?“, schlich er auf allen Vieren durch die Tür und rieb seinen Rücken am Türrahmen. Gar nicht verstörend.

Plötzlich entdeckte er eine Gurke, die nur er sah – machte einen Katzenbuckel, sprang fauchend nach hinten und krallte danach. Ich... bin zu konfus, um dazu was zu denken.

„Blacky“, nannte Moji den Katzentypen, „sitz!“

Als ob – Tat er echt!

Der Butler setzte sich wie eine Katze; kniend, auf dem Hintern, die Hände auf den Boden vor sich, leckte seinen Handrücken, putzte sich hinterm Ohr und streckte sich einmal. Zum Glück hat er sich nicht woanders 'geputzt'. Verweilte dann in 'Brotstellung' – auf dem Bauch liegend, Beine kniend angewinkelt, Arme nach vorne ausgestreckt.

Noch ein Zuschauer für Zirkus zum Verrücktwerden.

 

„Kommen wir nun zur Hauptattraktion.“ Sind wir bald endlich erlöst? - Wunschdenken.

Der Vorführer nahm sich flüssiges Wachs, das er über den Ring träufelte. Einer klatschte – Der Wachstyp. Dieser war es auch, der dem Zirkus-Direktor das Streichholzpacken gab. Warte. Er wird doch nicht-?!

Er zündete den Ring an. Rauschend griff das Feuer um das runde Metall.

„Richie, meine Damen, Herren, Katzen und Geister, wird nun durch diesen Ring- Hey, Richie, nun hab dich nicht so! Nein. Keine Diskussionen“, diskutierte er mit dem Teppichfussel zu seinen Füßen, „so ist's brav... feiner Richie. Und hopp!“

 

Drei Köpfe bewegten sich von links nach rechts. Alle, außer mir, sahen dem unsichtbaren Löwen bei seiner Nummer zu. Ich fühlte mich echt ausgegrenzt. Was ist falsch mit mir? Oder richtig? Langsam wird’s echt verwirrend... Wer ist hier noch normal?

Tosender Beifall erklang. Obwohl keiner der Anwesenden klatschte.

Nochmal: Was geht hier ab?!

Ich werd irre, oder?

 

Nach der Löwennummer war's nicht vorbei. Wäre auch zu schön gewesen.

„Darf ich Ihnen vorstellen... Buggy, der Clown!“ Durch die Tür hereinstolzierte ein Blauhaariger mit roter Nase. Seine großen Schuhe erzeugten beim Laufen dieses Enten-Quietsch-Geräusch, das wohl lustig sein sollte.

...Shachi lachte.

Der Clown trug an seiner Brust eine große Blume – der älteste Taschenspielertrick, auf den keiner reinfallen würde. Keiner, außer-

der Clown selbst, der an die Blume fasste und sich damit Wasser ins Gesicht spritzte.

Fluchend wischte er sich übers Gesicht, zückte dann einen Langdolch. Ach du-! Was hat er mit dem Ding vor?!

 

„Ich kann meinen Körper in Einzelteile trennen!“, prahlte der Clown, „seht selbst und feiert mich! Gebt mir all euer Geld!“

 

Ist das erlaubt? Feuer, Waffen, Gas-Drogen?

Sollen die Patienten sich gegenseitig-?

 

Buggy hob die Waffe, ich reagierte, stieß mich von der Wand, streckte meinen Arm nach dem Dolch aus – zu spät. Ich würde ihn nicht rechtzeitig erreichen!

Jemand war schneller. Shachi, der die rote Clownsnase drückte. „Miep, Miep.“

 

Der Selbstmordclown gefror.

„Hast du... meine Nase angefasst?“, war er fassungslos. Bevor er wieder Klarheit fand, nahm ich ihm den Dolch ab. Sicher ist sicher.

Shachi nickte aufrichtig. Die rote Rundnase noch zwischen seinen Fingern, zog er an ihr. „Ich hab deine...“, hielt er sie in der Hand, „Nase...“

Der Clown hatte darunter-

„Hie Hie“, erklang plötzlich ein hoher Laut von draußen durchs Fenster. Michael J-?

Buggy schnappte sich seine Nase aus Shachis Hand, platzierte sie wieder auf seinem Gesicht und schäumte vor Wut.

„Du-!“, kam er nicht weiter. Übertönt von heulenden Sirenen.

Der Feueralarm, der losging. Der Teppich fackelte, die Katze versuchte ihn zu löschen. Der Strahl reichte nicht.

Unser Stichwort abzuhauen.

 

Ich griff mir Shachi unter seinen Armen, hob ihn hoch und schob ihn durch die Tür. Unbekümmert winkte er den Leuten, die affig um das Mini-Feuer hüpften. Schnell warf ich die Tür hinter uns zu. Hörte noch; „Richie hat das Feuer gelöscht!“

Und hatte keine Worte mehr hierfür. Echt nicht.

 

„Tolle Show!“, schwärmte Shachi, der neben mir lief. Bestürzt starrte ich ihn an, war sprachlos. Welch Glück, dass er genug Gesprächsstoff für uns beide hatte.

„Hast du den Tiger gesehen?“ Tiger. „Und den Elefanten? Der war sooo groß!“, breitete er seine Arme aus. So groß, dass er niemals in das Zimmer gepasst hätte.

 

Das Lächeln auf Shachis Lippen erweichte. Zu einem sanften Ausdruck.

„Sind sie nicht stark?“, lächelte er vor sich hin, blickte gen Boden, „die besonderen Menschen... sie kämpfen tagtäglich.“ Ein Schimmern fand in seine honigfarbenen Augen.

„Sie kämpfen... gegen sich selbst... die Ungerechtigkeit... gegen alles, was sie vom Leben abhält.“

Still lauschte ich seinen Worten, die so viel Wahrheit beinhaltete, welche niemand sonst sah. Shachi sah mehr, als alle anderen.

„Sie kämpfen für ihre Freiheit, wollen frei sein...“, verlor er sich in Mitgefühl.

„Peng?“, fanden seine Augen die meinen, entschlossen und voller Gefühl. „Ich möchte ihnen helfen. Sie brauchen uns. Lass uns ihnen ein Lichtblick sein!“ Du... bist ein Licht, ich nur-

„Peng!“, tadelte er mich, blickte mich 'böse' an, brachte mich zum schmunzeln. Sein Blick strahlte mut-machend. „Sei das, was du sein möchtest.“

 

Was will ich sein? Wer?

Was bin ich?

 

„Ich bin verrückt“, seufzte ich kopfschüttelnd, grinste. „Okay, Chi. Was ist der Plan?“

Shachis Gesichtszüge hellten sich auf, ehe er seine Faust in die Luft reckte. Auf seinem Unterarm ein X, das er der Welt zeigte.

 

Und lächelnd rief;

„Wir machen Fluffy zum König der Piraten!“

 

 

~*~

 

 

Shachis Master-D.saster-Plan zusammengefasst:

Liebe ist die Geheimzutat zur Genesung.

Fan-Liebe der Schlüssel.

Und die Schatztruhe?

Tja, davon wusste wohl nur der zukünftige Piratenkönig höchstpersönlich.

 

Was wir nun brauchten?

Das, wo ich genau wusste, an wen ich mich wenden musste...

 

Kräftig klopfte ich an die Stahltür, die mir geöffnet wurde.

„Dabe?“, begrüßte er mich in seinem eigentümlichen Akzent. Angewidert über die Störung rümpft er seine Nase mit goldenem Ring, schien durch die Luft zu schnüffeln.

Als seine roten Augen auf mich fielen, breitete sich ein biestiges Fangzähne-Grinsen auf seinem tätowierten Gesicht aus. „Oma hat gesagt, dass du wiederkommst.“ Oma?

Ähm, nein, ich will's nicht wiss-

 

Schon hatte er seinen schweren Arm um mich gelegt, zog mich mit, führte mich in seine Spiegelwelt. Das war der Moment, in dem mich das schlechte Gewissen überkam.

Ich hatte seine Spiegel kaputt geschlagen, war ausgetickt, als...

Ein scheuer Blick auf sie geworfen, erkannte ich die mühselige Feinarbeit, mit der er sie wieder zusammengeklebt hatte. Ihr Sprung blieb.

 

Barto blinzelte mich an, zog mich an seine tätowierte Brust, in einen kumpelhaften Drücker und warf seinen Kopf nach hinten. „Hehahaha!“ Ein Lachen, das Schwiegertöchter verscheuchte.

Murrend stemmte ich mich gegen ihn, befreite mich aus seinem Armutszeugnis und begegnete seinen rubinroten Augen.

„Chill, Bro“, fand etwas Wohlwollendes in seinen Blick, der zu funkeln anfing, als er zu seiner geheiligten Stalker-Wand schwebte. „Schau, schau!“ Wuff.

 

Schwungvoll zog er am Seil des Vorhangs, der sich öffnete. Die Fan-Poster von seinem Luffy-Senpai enthüllte. Wieder reflektierte sich das lächelnde Gesicht in den Spiegeln. Doch diesmal... umso öfter. In jeder einzelnen Spiegelscherbe, in einer Vielzahl kleiner und großer Luffys.

 

Erneut kullerten die Tränen des Fan-Boys. „Es sind mehr Senpais... dank dir.“

Zum Mitschreiben: Der gefährlich aussehende Punk bedankte sich bei mir für das Zerstören seiner Inneneinrichtung. Gern geschehen.

Ich seufzte, lüftete meine Kappe und konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel nach oben gingen.

Einmal Barto-Club-Mitglied, immer ein Yolo-Bro, huh?

 

„Ich brauch deine Hilfe“, eröffnete ich ihm den Grund, warum ich eigentlich hier war. „Die Strohpuppen“, wie Barto die Luffy-Anhänger nannte, „weißt du, wer das alles ist?“

 

Geräuschvoll zog er Speichel hoch.

„Geheime Infos, hä?“, steckte er seinen Finger in die Nase, während ich zwei Schritte auf Abstand ging. „Seh ich aus wie jemand, der ein pussy-pink-popeliges Tagebuch führt?“

Ich holte Luft, er kam mir zuvor; „Klaro!“, sprintete er zu einem der Spiegel – wohl ein Geheimfach – hinter dem er ein Heftchen hervorholte. Pink.

„Oma hat gesagt, Pink ist das neue Schwarz.“ Oma hat ihn lieb.

 

Mit beiden Händen und geröteten Wangen hielt er mir das Heft hin, auf dem 'super geheim' stand. Offensichtlicher ging's wohl nicht. Unter dem Schriftzug war ein gekritzelter Luffy-Kopf mit rundlichem Gesicht und Strohhut. Das Heft sogar benannt; 'Going Luffy-senpai'

Ich nahm es zögerlich, blätterte kurz darin und fand diverse Namen, von denen ich einige wiedererkannte. „Kannst du mich zu diesen Leuten bringen?“, wollte ich wissen.

„Kann ich“, zuckte er mit den Schultern, „mach ich aber nicht.“

 

Ein Versuch war's wert. „Okay“, meinte ich wiederum gelassen, rollte das Heft zusammen, klemmte es mir untern Arm und ging.

„Ey! Wo willst du mit der Going-Luffy-senpai hin?!“, eilte er mir hinterher, sah mein Grinsen nicht.

„Wir gehen auf große Fahrt. Alles einsteigen!“, streckte ich meine Faust nach oben, zeigte ihm mein X auf dem Unterarm. Woraufhin ihm wieder die Tränen kamen.

„D-Das Zeichen!“, schluchzte er, „w-wie hast du es dir verdient?“

Hab's mir draufgeklebt.

Das behielt ich dann doch für mich, antwortete stattdessen; „Einmal Nakama, immer Nakama.“

 

Er schnäuzte noch irgendwas Verrotztes und folgte mir dann, eine Tränenspur hinterlassend.

Und wieder zurück zur Gruselvilla.

 

 

Hätte nie gedacht, dass ich das mal tun würde...

 

„Ritter Tausendschön“, rief ich in den Aufenthaltsraum, musste mir den gequälten Gesichtsausdruck verkneifen und hüpfte im Galopp auf den blonden Schönling zu.

Jop, ich konnte mir denken, wie bescheuert das aussah und mir war's echt verdammt peinlich.

Half nichts. Alles für den Piratenkönig.

 

Der Blonde warf sein lockiges Haar zurück und hob sein Kinn. „Mein Ross ist heimgekehrt.“

Wenigstens war's nicht sein böses Ich, das eifersüchtig auf mich war, wegen-

„Hattest du einen angenehmen Ausritt?“, besah er mich mit diesem arroganten 'Ich-bins'-Blick. „Nächstes Mal nimm mich.“ Mit. Da fehlt ein Mit!

 

Schnell biss ich mir auf die Zunge, um mir den Kommentar zu verkneifen. Ich musste mitspielen, um ihn auf unsere Seite zu ziehen. Cavendish stand in dem Fan-Heft – mit schwarzem Herzchen als I-Punkt – somit waren die Chancen gut, ihn zu überzeugen.

Ich atmete durch. Hierfür brauchte ich all meine Überwindung.

 

„Werter Herr Ritter, wir benötigen Ihre Dienste für die große Schlacht“, kniete ich mich verbeugend vor ihn, unterdrückte den Drang, ihm auf die Schuhe zu kotzen. Wegen seiner übertrieben befunkelnden Ausstrahlung, die umso heller strahlte, bei der Lobpreisung.

 

Er roch an einer weißen Rose, die er zwischen seinen Fingern drehte, reckte sein Kinn noch etwas höher und sah zu mir herunter. „Erhebe dich, Ross. Du darfst mich nun anschmachten.“

Der Würgelaut entkam mir dann doch. Glücklicherweise übertönten ihn die klimpernden Nietenstiefel, die näherkamen.

 

„Mach nich so nen Aufriss, Cabbage.“ Der Hahnen-Punker spuckte auf den Boden, traf die teuren Schönlings-Schuhe und hievte mich am Arm hoch.

Der Nietenstiefel trat gegen den Sessel, in dem der Blonde saß. „Schieb deinen Adelsanus aus deinem Prinzessinnen-Thrönchen und zeig deine Klöten.“ Die will keiner sehen!

 

Die Queen erhob sich tatsächlich. „Nun gut. Ich werde gebraucht. Wer, wenn nicht ich, kann das Fußvolk retten?“ Cavendish betrachtete sich seine perfekten Nägel, ehe er erneut zum Schwafeln ansetzt. „Dafür-“

Und ich war weg. „Macht's gut, Jungs!“

 

So schnell wie ich aus dem Raum draußen war, konnte mir keiner nachsehen.

Außer einer. Dieser Grauhaarige mit dem Blick eines Wachhundes. Gehörte der nicht ins Altershei-? Seine Augen brachten mich zum Schweigen.

Die Augen eines Jägers. Warnend, wachend – weg von hier!

 

Aus der Villa draußen, atmete ich den kühlen Nebel ein, der hier immer rumhing. Bald brach die Nacht ein, seit Stunden war ich nur am hin und her laufen.

Aber für einen guten Zweck. Das redete ich mir zumindest ein.

 

 

Der nächste Weg war ein schwerer.

Jeder Schritt fühlte sich verzögert und bleiern an, der Kellerflur wirkte viel weiter als er war. Mein Herz stichelte. Je tiefer ich ins Dunkle ging, desto fester griffen die negativen Emotionen um meine Brust, schnürten sie zu.

Es roch beißend süß und streng alkoholisch.

Vor der Tür der stillgelegten Krankenstation angekommen, hob ich meine Faust zum Anklopfen, senkte sie wieder. Mehrere Momente stand ich einfach nur dort, blickte zu Boden, bis ich meine Augen erneut aufrichtete.

Und Marco entgegenblickte.

 

Er stand gegen den Türrahmen gelehnt, musterte mich mit seinen dauermüden Augen, in denen etwas lag, was ich nicht deuten konnte. Unsere Blicke begegneten sich; seiner ruhig, meiner zunehmend unruhiger.

Ich machte mich kleiner, wollte versinken. Von Schuldgefühlen überrannt, trieb mein Puls in die Höhe, meine Hände schwitzten.

 

Nach gefühlt zu schnellen Herzschlägen, setzte Marco zum Sprechen an. Seine Stimme neutral, doch zeitgleich tiefgreifend.

„Du hast...“ Ace im Stich gelassen. Zugelassen, dass er verletzt wird. Nichts getan! „...Ace gerettet.“

 

Nicht wieder das!

Wütend ballte ich meine Fäuste, wurde ungehalten.

„Nein!“, dröhnte meine starke Stimme durch die Flure.

„Meinetwegen ist es erst so weit gekommen. Ich habe gewusst, dass er in den Keller geht. Hätte die Gefahr kommen sehen müssen. Hätte handeln müssen, bevor das alles passiert ist!“, machte ich meinem Unmut Luft, wollte keine falschen Heldentaten an mir haften haben, konnte das nicht annehmen.

 

Marco ließ mich ausreden, blieb die Ruhe selbst, hob eine geschwungene Augenbraue. Dem tiefreichenden Blick aus Himmel-klaren Augen konnte ich nicht standhalten, sah weg, atmete durch. Sein Stimmton nahm Weisheit an.

„Wenn du so darüber denkst, dann... lerne daraus“, hatte seine Stimme dieses Beruhigende eines großen Bruders, „handele vorher, sehe Gefahren voraus, gehe gestärkt hervor.“

 

Ein Schweigen entstand zwischen uns, ich nickte verstehend.

Dann entschränkte er seine Arme und trat ins Krankenzimmer. „Möchtest du Ace sehen?“, ging er vor, wartete nicht auf mein Folgen – ich tat es.

 

Egal, was ich erhofft hatte... sein Anblick überraschte mich.

Ace lag auf dem Bett, das neuer als die ganzen alten Gerätschaften aussah. Seine Arme hinter dem Kopf verschränkt, sein Bein in einer Schlinge oben gehalten, den Oberschenkel verbunden.

Ace... chillte dort einfach.

 

Als er mich bemerkte, hoben sich seine Mundwinkel. Erschöpfung zeichnete sein sonst so aufhellendes Grinsen, das aber nichts an dessen Strahlekraft verlor.

„Wo ist mein Präsentkorb mit Essen?“, war seine ungewöhnliche Frage, die Marcos tadelnden Blick hervorrief.

„Du hast vor wenigen Minuten erst eine Pizza, eine große Portion Crème Brûlée und etwas von Sanjis 'Ar-lá-long' gegessen.“

 

„Stimmt“, lachte Ace ausgelassen, brach mittendrin ab, hielt sich den Bauch. „Aber ich muss mich schonen und Energie tanken. Hat mein Arzt gesagt. Heißt: umso mehr essen!“

„Du bist unverbesserlich...“, seufzte Marco, sah geschlagen in Ace' Hundeaugen.

„Und genau das ist es, was dich scharf auf mich macht, oder?“

„Ist es. Leider.“

 

Sollte ich besser gehen? Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz...

„Wie geht’s dir?“, fragte ich vorsichtig. Ace wollte zu einer gegrinsten Antwort ansetzen, bekam aber eine Sandale ins Gesicht gedrückt. Junge Liebe.

 

„Den Umständen entsprechend“, antwortete Marco aufrichtig, seine müden Augen nahmen etwas an, was nur Ace wecken konnte, „er... hat das Schlimmste hinter sich.“

Ich verstand, zeigte stumm Aufmerksamkeit mit meinen Augen. Marco fuhr fort, reichte Ace eine Schale mit Obst, die dieser sich einverleibte.

 

„Teach...“, änderte sich etwas in beider Mimik. Marcos Stimme kühlte zu Asche, als er weitersprach. „Er ist in meiner Krankenstation aufgetaucht.“ Ist er?!

Das... nenn ich mal Ironie.

„Blutend wie ein Schwein, hat um sein Leben gebettelt, um meine Hilfe gefleht...“

 

Ich traute mich nicht zu fragen. Meine Neugier siegte. „Was hast du...?“

Ace senkte den angebissenen Apfel, blickte in die weiße Stelle in der roten Frucht. „Marco hat... mich entscheiden lassen.“

 

Ich ahnte, was er tat. Marco schmunzelte warm, gar stolz. „Ace ist zu gutherzig. Der liebenswerteste Mensch, dem ich je begegnen durfte.“

Marcos Lippenzug nahm etwas Bitteres an. „Ich weiß nicht... was ich getan hätte. Ob ich Teach hätte ausbluten lassen“, gestand er, blickte zu einem willkürlichen Punkt an der Wand, ehe er wieder zu Ace schaute. Milde lächelte.

„Ace ist mein gutes und schlechtes Gewissen.“

„Ey! Was soll das denn heißen?“

„Dass ich dich liebe.“

 

Ich errötete. Das hat er einfach so rausgehauen!

Ace warf Marco den Apfel an den Kopf. „Vitamine. Damit du mir noch lange erhalten bleibst.“

Marcos Lächeln gefror, als Ace es tat. „Mit deinen 25 Plus...“ Ace wagte es! Er! ...nannte die eine Zahl. Schön, dich gekannt zu haben.

Mein Stichwort zu verschwinden.

 

Mein letzter Gedanke galt Ace, der nicht mal entkommen konnte. Das Abfallen seines lässigen Lachens zusammen mit dem „Hab's nicht so gemeint, Marco, nicht-!“ beschleunigte meine Schritte. Ich hab nichts gesehen und nichts gehört.

 

Die beiden wirkten glücklich, schienen ihr Glück gefunden.

Echt schön für sie. Ich bin so froh...

 

Jetzt hab ich vergessen,

wegen Fluffy zu fragen.

 

Nächstes Mal.

 

Es wurde echt spät. Bevor ich zum nächsten Kandidaten auf der Liste ging – falls dieser noch wach war – wollte ich in der Mitarbeiterküche einen Kaffee und neuen Zucker holen. Shachi war er beim Backen ausgegangen, brauchte also welchen für weitere Süßkatastrophen.

Was für ein toller Bruder ich doch war.

Apropos Backen... Wer macht die Sauerei eigentlich weg?

Ich seufzte ächzend. Weil ich das sein werde.

 

In der Küche angekommen, traf ich jemanden. Aus dem Augenwinkel erblickte er mich und werkelte dann weiter an dem Mixer herum, schaltete ihn an. Es ratterte und brummte, jede Begrüßung wäre sinnlos gewesen, würde ungehört bleiben. So ging ich an ihm vorbei zur Vorratskammer und nahm mir den Packen Zucker, fühlte seine Blicke.

Seltsam... Ich lass ihn besser in Ruhe.

 

Ich wollte schon wieder gehen, da hielt er mir das Glas mit Saft hin. Es roch fruchtig, süß und gesund. Dankbar nahm ich es an, stellte den Zucker ab. Nett von ihm.

Ich setzte das Glas an, trank einen großen Schluck und-

Erstarrte.

 

„Der junge Meister erwünscht deinen Tod.“ Faktisch, neutral, endgültig.

Die Stimme nicht wiederzuerkennen, beängstigen. Eiskalt schlugen die Worte ein, seine stürmenden Blicke belauerten mich. Ich fühlte mich ungut.

 

„Ist dein Durst gestillt?“, hakte er seltsam nach, meinte nicht diesen Durst. „Hat es geschmeckt? Eventuell etwas... bitter, ya?“

B-Bitter?

 

In Terror starrte ich auf das Glas in meiner Hand, die es nicht mehr halten konnte. Es rutschte aus meinem zitternden Griff, zerschellte. Krampfend sackte ich auf meine Knie, mein Körper brannte, fühlte sich wie in Feuer an.

E-Er hat...

Erschüttert, zornig, gekränkt sah ich zu ihm auf, erkannte die Silhouette nur noch unklar. Das Silber in grauen Nebeln verschleiert. Unnahbar, distanziert, entfremdet.

Lächelt er?

 

Law hat...

Mir etwas ins Getränk gemischt.

Bitterer Verrat. Das war es, was ich fühlte, während alles andere taub wurde.

Gerade, als ich wieder angefangen habe, dir zu vertrauen...

Es schmerzt.

Warum bist du es, der mir das antut?

Ich starrte in an, bis zum Schluss. Bis es nicht mehr ging.

Habe ich nicht schon genug Mist erlitten?

 

Wann hört es endlich auf?

Hört es je auf?

 

Haltlos fiel ich in seine Richtung, verlor das Bewusstsein, gerissen in die Furcht, die mein Herz wie Rasiermesser schnitt. Die Angst, die meine Psyche zertrümmerte.

 

Was hat er mit mir vor?

Wird er mich...?

Werde ich...?

 

Es war ein Gefühl,

das sich bewahrheitete.

 

Ich werde sterben.

 

⊱❁⊰

 

Sonnenblumen...

Ihr roter Schimmer ist tragisch schön.

 

Blut, das an ihnen haftete, die gelben Blüten zierte.

Ich, der gelähmt in ihnen lag, umringt von ihnen, meine Glieder nicht mehr spürte. Zweifelnd, verzweifelt.

Mir ist so kalt...

Nur meine Augen hielten das Feuer aufrecht. Mein Blick, der ihn zu greifen bekam.

Wäre mein Gesicht nicht fühllos, hätte ich einen Mundwinkel nach oben gezogen.

 

„Ist das deine Auffassung von Romantik?“, krächzte ich schwach hervor, aber bissig. Herzschläge vergingen, füllten das nichts, in das mein Knurren biss.

„Antworte mir, Killer!“

 

Still, teilnahmslos, grausam.

Auf einem unbeschrifteten Grabstein saß er, in seiner Hand die blutige Sense, die er betrachtete. Ihre Spitze zeigte nach oben, die scharfe Seite auf sich selbst gerichtet.

Das flüssige Rot perlte an der Klinge hinab, tropfte über seine Hand, auf seine Hose. Sein Blick hinter der Maske verborgen, die in der Mitte zerbrochen. Gespalten. Oder gebrochen?

Von irgendwo flatterte ein Schmetterling her, setzte sich auf die Sichelspitze nieder.

Makaber war kein Ausdruck für dieses Bild. Es wirkte brutal friedlich. Alptraumschwebend.

 

In der Stille das leise Rascheln der Blumen zu hören, von denen einzelne gelbe Blüten vom Wind getragen wurden, flimmerten vorbei an mir.

Eine verfing sich in meinem braunen Haar, verklebte mit dem Rot.

 

Ich Idiot. Habe geglaubt, dass nun alles besser wird, dass wir so etwas wie eine... Beziehung eingehen könnten. Gemeinsam in eine Richtung gehen, mit einem geteilten Ziel.

Es gab nie ein Besser, nie eine Chance zwischen uns, stimmt's?

Mein Blick spiegelte Enttäuschung. Wütend über mich selbst, der einer falschen Hoffnung erlegen. Schon wieder...

 

Kira. Wo bist du?

Ich... vermisse dich...

fürchte mich...

Vor ihm... vor mir...

 

Warum nur habe ich dich fortgeschickt?

Oder bist du freiwillig gegangen?

Abgehauen... weg, von mir?

 

Langsam erfasste ich das Ausmaß der Lage, in der ich mich befand. Auf mich allein gestellt, hilflos, völlig schutzlos. Das Blut unter mir kälter werdend, meine Körpertemperatur sinkend.

Ich lag vor dem Graben, den Killer hatte ausgehoben. Für mich.

 

Er machte mir Angst, eine Höllenangst, jagte mir verdammtes Grauen in meine Knochen, die sich nicht rühren wollten. Verflucht!

Was tue ich hier? Erneut diese Frage. Was hat sie jetzt noch für einen Sinn? Nichts ist mehr von Bedeutung... Nichts.

Ich... wollte doch nur lieben.

Panisch floh mein Herz, rannte um dessen Existenz. Weg. Weg von ihm!

 

Sag... fürchtest du dich vor mir?“ Das Erste, was Killer nach einer gefühlten Folter zu sagen hatte. „Mache ich dir Angst?“

Sein Stimmton klang leer und apathisch, ihm fehlte die dunkle Emotion, die er sonst hatte getragen. Das Schmunzeln, das nicht hörbar.

Dafür etwas anderes umso deutlicher. Trauer. Er klang erschreckend verloren.

„Lebendig begraben zu werden“, begann er zu erzählen, blasse Nostalgie finsterte die Silben. „Es beendet ein Leben auf die ein oder andere Weise.“

Wovon spricht er?

 

Was ist dir passiert, Killer?

Warum bist du so?

So... betrauernd.

 

Wäre ich nicht in so einer Scheißlage, hätte ich vielleicht Mitgefühl für ihn aufbringen können. Schrecken blendete mich, die Panik in mir drehte durch. Hat er wirklich vor, mich-?!

Ein Mörder, der seinen Opfern die Chance auf Leben gibt.“ - Seine Worte, an die ich mich erinnerte.

Heißt das... ich bin eines seiner Opfer? Nur eines von vielen?

Ein Es, kein Jemand...

 

Das tat mehr weh, als ich zugeben würde.

Hat er all das hier geplant?

Wie lange schon?

Warum... ich?

 

„Wir teilen das gleiche Schicksal“, stieß er sich vom Grabstein ab, trat auf mich zu, „wir sterben nicht, leiden weiter...“ Von welchem Wir redet er?

Kira und sich? Mir und ihm? ...Ihnen allen?

Ich bin so durcheinander.

 

Das Knirschen seiner Schuhe auf Erde erklang, mit jedem Schritt lauter.

Meine inneren Alarmsirenen schrillten. Gefahr. Lebensbedrohlich.

Verzweifelt versuchte ich von ihm wegzukriechen. Nichts konnte ich, kein Muskel gehorchte mir. Verdammt, verdammt, verdammt!

Selbst meine Stimme versagte, brachte keinen Ton mehr heraus.

Ich fühlte nicht, wie er seine Hände unter mich schob, mich problemlos hochhob. Vor sich trug, im Brautstil, als wäre dies die Schwelle, die wir gemeinsam überschritten.

 

Er nahm mich mit ins Grab. Abstrakt, skurril, bedauernswert wahr.

Nur ein Sprung, dann waren wir in der rechteckigen Grube, groß genug für zwei. Dort kniete er sich hin, legte mich ab, als wäre ich etwas Zerbrechliches. Zerbrochenes.

Killer hatte die Grube hübsch hergerichtet: mit Kerzen und Blumen. Ich lag auf einer verfluchten Picknickdecke. Als wäre das ein fucking Date. Kranker Psycho!

 

Es roch nach nasser Erde, Eisen und Sonnenblumen.

Stehend blickte er auf mich herab, neigte seine Maske zur Seite. „Weinst du?“ Weiß nicht, spür ja nichts. Steck dir die dämliche Frage-!

Sein Finger strich über meine Wange. Ich sah es, fühlte es nicht.

Ein Seufzen verließ seine Lippen, dann verdunkelte meine Sicht. Von hellen Löchern durchzogen, durch die Licht schien.

Killers Maske. Er hatte sie mir aufgezogen. Eine Totengabe?

 

Und er setzte sich zu mir ins Grab, neben mich, auf die Decke, griff zu einem der gefüllten Weingläser, die er vorbereitet hatte, trank in aller Seelenruhe.

„Hörst du dies?“, war es so still hier unten.

„Zusammen sind wir weniger tot“, faselte er weiter und trank das Glas aus, wollte mir wohl Zeit lassen, mir die letzte Ehre erweisen.

Über uns der Vollmond, der sich durch den Nebel kämpfte. Licht, das die Motten anzog. Nachtschwärmend.

 

Mein Kopf war blank, des Denkens unfähig, völlig zerstreut.

Ich hyperventilierte, was ich an dem kaputten Atemgeräusch merkte. Wieder seine Finger, die mich berührten – mein Körper, der reagierte; meine Atmung, die entschleunigte.

 

„Ich bin bei dir.“ Schnurrend legte er sich hinter mich, schlang seine Arme um mich, zog mich nah an seine Brust. Makaberer ging nicht.

„Shhh“, wisperte er beunruhigend, „es tut weniger weh, wenn du loslässt.“ Sagt der, der mich festhält.

 

Der Schattenmeister verwirrte mich, wiegte mich in seinen Armen, wollte das Zittern meines krampfenden Körpers lindern. Habe ich eine Panikattacke? Einen Nervenzusammenbruch? Kollaps?

...Ein gebrochenes Herz. Mindestens.

Dieses fühlte ich sehr wohl, schmerzlicher als alles andere.

 

Aus Schutz tat ich das, was am einfachsten war: Es abzustreiten. Ich wollte es nicht wahrhaben, konnte nicht glauben, was hier geschah.

Law, der mich betäubte, Killer, der mit mir in meinem Grab lag. Wessen Psyche würde da keinen Knacks bekommen?

„Lass los...“, redete er weiter auf mich ein, „lass es geschehen...“

 

Will er mich brechen? Mental spalten?

Was hat er davon?

 

Schwächlich flüsterte ich;

„Brauchst du... mich nicht?“

 

„Das Licht braucht den Schatten“, hauchte er mir ins Ohr, „wenn das Licht sich vom Schatten löst, wird er stärker.“

Ein Flüstern in Obsession. „Du machst mich schwach, my Sunshine~“

Ich... was? Weiter sprach er in Rätseln.

„Kira braucht uns... braucht uns bald nicht mehr...“ Uns?

 

Erwas Dunkles zeichnete seine Stimme, vertiefte sie.

„Ich will zumindest einmal mit dir schlafen“, umspielte düsteres Amüsement seine Lippen, die durch das Loch der Maske nah meinem Mund hauchten.

Sein Atem striff über meine Lippen. „Selbst wenn es der ewige Schlaf ist.“

 

Er will-?!

Mit mir zusammen... hier unten?

Ich... versteh gar nichts mehr.

 

„Mein armes, wirres Lämmchen“, nutzte er wieder diesen Ton, als wäre ich es, der sie nicht mehr alle hätte. Bullshit!

Ich wurde sauer, hatte leider keine Kraft, um daran festzuhalten. Jede Emotion schwand im nächsten Herzschlag wieder. Als würde Killer dessen Takte angeben.

 

Behutsam strich er mir über den Nacken, zogen eine Linie nach. Seine Finger schlüpften unter die Maske, streichelten mir durchs Haar.

„Du wirst früh genug verstehen... bis dahin... schlafe.“

 

Er begann, eine leise Melodie zu summen. Ein Schlaflied in düsterer Betörung.

„Sunshine~ You are my Sunshine~“

Wie damals, als er mir Smile verabreichte. Ist es noch in meinem Körper?

Es wirkte. Sein unheimlicher Gesang beraubte mich meines Bewusstseins, schickte mich fort, ins Dunkel, ins Still – sein Reich.

Doch anders als er, der stets die Einsamkeit erlitt, hatte ich ihn, der bei mir blieb.

Ob ich ihn bei mir haben wollte, das entschied er für mich.

 

Sanft hob er seine Maske, die ich trug, entblößte meinen Mund.

Auf meinen Lippen spürte ich seine, die meine nicht abwehrten. Ein Todeskuss.

 

Ich, eine willenlose Schattenscherbe – Er der zerbrochene Spiegel, dem ich gehörte.

 

Warum nur, kann er sich nicht aus meinem Herz schneiden...?

Sondern drang immer tiefer in es?

 

Das erlogene Herz

liebt die Lüge,

welche lebt.

 

Liebe.

Lüge.

Lebe.

 

Mit mir.

 

.

.

.

 

„Der Schnüffler ist beseitigt.“

 

Erde rieselte auf mich nieder. Ein schabendes Geräusch, wie Killer die Schaufel in den Boden rammte, bevor er sie auf mir auskippte. Das Grab zuschaufelte, in dem ich lag.

Staub rieselte hernieder, bedeckte den Himmelsstern, der nicht mehr schien. Von grauem Nebel verschluckt. Nur die Blumen leuchteten. Trotz ihres Namens, schimmerten sie auch zur finstersten Zeit.

Zur Sonnenwende.

 

Der ansteigende Klang eines dämonischen Lachens verdunkelte die Atmosphäre.

„Fu Fu Fu~“ Doflamingo höchstpersönlich, der bei meiner Beerdigung erschien. Welch Ehre.

Eine rosa Feder schwebte zu mir hinab, flog vor meinen erschreckend leeren Augen, die nicht mal mehr glasig, sondern fahl-trüb waren.

Die Feder landete auf der Maske, die mein Gesicht verbarg.

Ich wurde betrachtet. „Zufriedenstellend“, überwand sich der dunkle König zu einem geheuchelten Lob an... „Kamazou, the Manslayer.“

 

Ah... jetzt ergibt es Sinn.

Smile, Kamazou – Mingo hat diesen kranken Charakter erschaffen.

Er ist schuld an Killers Vergiftung.

 

Und...

Ich liege hier...

weil meine Zeit abgelaufen ist.

 

Die Schonfrist ist vorbei.

Die Uhr zeigte genau Null.

 

Der dunkle König köpft den weißen Ritter,

den schwarzen Soldaten vorgeschickt.

 

Ich hasse Schach.

Hab ich nie kapiert.

 

„Ne, ne, Doffy“, schniefte jemand, rotzte hier runter, „wann ist Law dran?“

Law?

Das albtraumhafte Lachen erzeugte einen tiefen Ton dunkler Verspieltheit. Der Spielmeister hatte entschieden. „Dann, wenn es am meisten schmerzt.“

Ich sollte nichts empfinden... kein Mitgefühl haben...

Nicht für einen Verräter, der verraten wird...

 

„Fahre fort“, wies er Killer an, der die Schaufel erneut in die Erde rammte. Der Thronbesetzer wandte sich zum Gehen, doch schien etwas seine Aufmerksamkeit zu locken.

Die Sonnenblume mit blutroten Blüten.

„König der Piraten... welch lächerliche Narretei.“ Verächtlich lachte er den Jungen aus, der die Welt ein Stück besser machen wollte. Der den Mut aufbrachte, zu helfen, wo längst jede Hilfe verspätet...

Den Willen, etwas zu ändern. Entschlossen, kampfbereit, unaufhaltsam.

Ich glaubte daran. An ihn.

 

Sonnenblumen blühen auch in der Finsternis.

 

Mit dem Gedanken wurde die Welt wieder schwarz. Meine Augen fielen zu, ich sank in eine Tiefe, die mich immer mehr in den Abgrund riss.

Fühlte sich so sterben an?

Wie ein Ende?

 

.

.

.

 

Nein...

Ein Neubeginn.

 

Twinkle, twinkle, little Star~

Verführende Gesänge, die mich in Leben wiegten. Sicher fühlen ließen, Halt gebend, mich aus der Stille zerrten, in seine kalten Arme legten.

Im Angesicht des Todes wandelte die Kälte zur Wärme. Dies lehrtest du mich.

 

„Willkommen auf der anderen Seite“, Killers Lippen auf meiner Stirn, „friedlich geschlafen?“

Flattrig öffneten sich meine Augen, die auf seine trafen. Schattenhaftes Nachtblau.

„Was...?“, meine Stimme kratzte, mein Hals tat weh.

Eine Flasche wurde mir an den Mund gehalten. Wasser?

Ich trank nicht.

 

„Es ist nicht vergiftet“, versuchte er mich zu überzeugen, erfolglos.

Letztlich setzte er den Flaschenhals selbst an, nahm einen Schluck, behielt ihn im Mund und drückte seine Lippen auf meine. Mein Körper wehrte sich nicht. Selbst wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte.

Ich war ihm längst verfallen. Fiel immer tiefer, stürzte mit ihm in den dunklen Abgrund.

 

Das Wasser führte er mir über seinen Mund zu, die Flüssigkeit leicht von ihm aufgewärmt. Ich schluckte. Seine Zunge folgte, fuhr die Konturen meiner Lippen nach, in die sie drangen.

Es fühlte sich vertraut an. Es gab meinem Herz Kraft zu leben. Es schlug, wegen und für ihn.

Weiter ging er nicht. Killers Mund lag auf meinem, zeitlos und still.

Meine Lippen erinnerten ihn.

 

Unsere Blicke verankerten sich, blickten in die Tiefen des anderen. Dort, wo Kira auf mich wartete. Für dich werde ich weitermachen. Stark sein. Kämpfen.

Schwerfällig rappelte ich mich hoch, in eine sitzende Position, hatte kaum Energie für irgendwas. Killer hielt mich noch immer, ich in seinem Schoß, zwischen seinen Beinen, sein Kinn auf meinem Kopf. Zusammen blickten wir zu den Sonnenblumen.

Er gab mir die Zeit, die ich zum Sprechen brauchte.

„Warum... das alles?“ Warum dieses Puppentheater?

 

„Hat dir die Show gefallen?“, klang er viel zu amüsiert, ein Zeichen dafür, dass er eine andere Emotion maskierte. „Dich zur ewigen Ruhe betten, hat mein kaltes Eisherz fast zu Asche verbrannt.“ Was auch immer das heißen soll.

 

Killers Stimmton wurde kühl. „Dein Tod musste echt aussehen.“ Mein Tod?

„Trafalgar hat die Blutkonserven besorgt sowie die richtigen Medikamente, ohne dein Herz zu schädigen. Sogar überzeugende Worte bei Pinki eingelegt, den Totenschein ausgestellt. Kid hat die Kameras manipuliert, die Patienten und das Wachpersonal abgelenkt.“ Sie haben...? Sie alle?

Mein Herz wummerte warm.

Alle wollen, dass ich lebe?

 

Du wolltest mich nie töten, stimmt's? Ihr alle... ihr wolltet nur mein Bestes.

Bin ich denn nicht gut genug gewesen? Seid ihr denn besser?

Wir... haben wir's hinter uns?

 

Ich glaubte meinen eigenen Gedanken nicht mehr. Sie waren so wirr.

Ungläubig seufzte ich, das alles zu makaber und skurril.

„Gab's da nicht Methoden, die weniger Horror-mäßig sind?“

„Gibt es.“ Und er schwieg!

Wechselte dann das Thema. „Es bleibt fraglich, ob der hohe Lord es uns abkauft... und wenn, für wie lange. Darum müssen wir weitere Vorkehrungen treffen.“

 

Es machte mich wütend. Alles. Spielt er nur mit mir?

„Vorkehrungen? Soll heißen?“, trotz Schwächeln schaltete ich auf Defensive.

Sein Mund nah an meinem Ohr riss meine Mauer sofort nieder.

„Ich lehre dich, ein anderes Ich zu sein.“

Irritiert sah ich ihn an. Was meint er denn damit wieder?

 

Killer lachte dunkel. „Es gibt da jemanden, der dich sehen will...“ Jemand, der-?

„Vertrau mir“, leckte er mir übers Ohrläppchen. Knurrend stieß ich ihn weg von mir.

„Dir vertrauen?!“, wurde meine Stimme bissig, schöpfte neue Kraft. „Du hast mir ein Grab geschaufelt, du verdammter Psycho!“

 

Lässig zuckte er mit den Schultern, schmunzelte.

„Du stehst auf verdammte Psychos.“

 

„Ich-“ fluchte.

Schweigend befeuerte ich ihn mit giftigen Blicken.

„Putzig~“, schnurrte er entzückt, legte seinen Kopf schief und strich mir mit seinem Zeigefinger an meiner Schläfe entlang, zu meiner Wange. „Schwarzer Kajal würde dir stehen, Darlin', deine Augenfarbe unterstreichen.“

Irritation wandelte sich zu Entsetzen. „Du willst... mich schminken?!“

 

Sein Schmunzeln der Inbegriff von Unheilvoll. „Oh, nicht nur das...“

Etwas funkelte finster-schön in seinen Augen.

„Ich mach aus dir mein perfektes Opfer.“

„Das nennt sich Liebhaber.“

 

„...Igitt“, schüttelte er sich angewidert. „Nimm das nicht in den Mund.“

Und seine Mundwinkel übten einen Spagat. „Nimm lieber meinen-“

„Sei kein Kid.“

„-Messer ins Herz.“

„'Meinen Messer'?“

„Meinen Messer.“

 

Ich lachte schwach. Das klang echt zu dämlich. Sturkopf, der er doch war.

„Stopp, stopp, stopp“, schaltete ich zu spät, meine Augen weiteten sich, „war das... eine Liebeserklärung?“

'Nimm mein Messer ins Herz' – mich in dein Herz?

 

Kurz hielt er meinen Blick, der seinige unergründlich, ehe er seine Arme um sich selbst schlang.

„Igitt, igitt!“, rieb er sich theatralisch über seine Arme, Schultern, Oberkörper... weiter.

Ich errötete. „Wir wissen's, lass das!“

„Was wissen?“, fragte er unschuldig, strich sich über die bedeckten Ni- cht hinsehen!

 

„Dass du unterstochert bist“, sah ich ja doch wieder hin, strafte ihn mit meinem gelangweilten Blick. „Such dir n Hobby.“

Tadelnd wackelte er mit dem Zeigefinger. „Ah, Ah“, verschwand seine Hand in seiner Hose und- „Ich bin gänzlich ssscharf~“, zückte er das Messer, das er genau da herhatte.

„Dass du noch Eier hast, wundert mich.“

„Immer für eine Überraschung gut~“

 

Sein verspielter Stimmton gewann an Tiefe.

„Und nun lass mich ran.“ Sein Messer hielt er zum Schnitt bereit.

„Okay.“

„Okay?“

„Ich steh halt auf verdammte Psychos.“

 

.

.

.

 

So geriet ich unters Messer, wurde gespalten.

Meine Haare geschnitten, dunkel gefärbt, schwarzer Kajal unter den Augen, dazu düstere Klamotten. Ob ich nun Emo, Metal oder Gothic darstellen sollte, war fraglich. Vielleicht alles, vielleicht nichts.

Killer formte mich nach seinem Begehr.

Es war ein Schattenbild meines Selbst. Schwarze Farben, die mich maskierten.

Als wäre ich sein Schatten geworden. Oder wir einer?

Ich verlor und gewann etwas. Was davon Ich war und was Du, blieb unklar.

 

Entschlossen schritt ich durch das Sonnenblumenfeld, vorbei an den gelben Blumen, deren gelblich-farbiger Staub an meiner Hose haften blieb. Unaufhaltsam steuerte ich auf das Grab zu, das mit Erde zugeschüttet. Sinnbildlich für das Loch, das in meinem Inneren gefüllt.

 

Die Wochen hier hatten mich verändert. Sind es Wochen? Tage? Oder schon Monate?

Ich verlor nicht nur die Zeit, suchte vergeblich den Überblick – fand, wurde gefunden, siegte.

Mein Gewinn: Ein Zuhause, eine Familie, eine Liebe. Nicht nur eine.

 

Mein Blick war unweigerlich nach vorne gerichtet, auf dich, das Uns.

Hinterm Horizont ging die Sonne auf, in der du standest. Auf mich wartend.

Ich grinste dir zu, über das Grabmal hinweg, zog meine Kappe aus, der ich einen letzten Moment widmete, sie betrachtete. In Erinnerungen.

Ehe ich die Mütze ablegte, schief auf den Grabstein, auf dem mein Name eingraviert.

 

„Mach's gut, alter Freund.“

Ein Abschied von mir selbst.

„Penguin“,

sprechend zu der Kappenaufschrift.

„Hast dich tapfer geschlagen.“

 

Es reichte nicht.

Ich war nie genug.

Nicht dir, nicht mir.

Für uns musste ich mich ändern.

Ein anderer sein.

 

Aufhören zu sein.

Anfangen zu leben.

 

Sterben ist wie Weglaufen.

Die Zeit läuft ewig weg.

Erst, wenn die Sanduhr bricht,

funkeln die Scherben des Neubeginns.

 

Aus Trümmern,

bauen sich Traumschlösser.

 

Hab doch gesagt, bin gestorben.

 

Ein Teil von mir ist es,

liegt begraben in der Grube,

in der Vergangenheit zurückgelassen.

 

So beginnt mein neues Leben.

Mit einer neuen Identität.

Kein zweites Ich,

ein Dich.

 

Dir allein.

Für euch.

Zusammen.

 

.

.

.

 

Dein Partner.

Dein Opfer.

 

Euer...

Liebhaber.

 

„Nicht wahr, Kira?“

Ich schmiegte mich an ihn,

legte ihm meine Lippen auf.

„Glückwunsch zum Jahrestag.“

 

Ich war sein Geschenk,

von Killer angerichtet.



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