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Maskenball

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Pengs Sicht
Trigger-Warnung: Arachnophobie
Für Leser, die sich beim Lesen von Spinnen unwohl fühlen;
Das Stichwort 'Spinnen!' zwei Absatzblöcke weiter bis 'Ekelhafte Mistviecher!' überspringen. Komplett anzeigen

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Puppentheater

„Fu Fu Fu~“

 

In der Zeit zurückgedreht,

eine andere Lebensuhr umgestellt,

wie es dazu kam...

 

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„Mein Name ist Killer...

Massaker Soldat Killer.“

 

 

Lauf.

 

Egal, wohin ich lief...

Sein Schatten folgte mir.

 

Wie die Dämmerung eines nie endenden Tages.

Eines immerwährenden Alptraums ohne Erwachen.

Im Zwielicht lauernd, im Zerrbild der Nacht jagend.

Ein Phantom; Das Trugbild, das Wirklichkeit wurde.

 

Killer.

Kiras unsichtbares Spiegelbild in Scherben.

Der Nahtod auf der Nulllinie meines EKG.

Still, tödlich, herzbrecherisch.

 

Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, war es, als würde ich dem leibhaftigen Tod gegenüberstehen.

Eine Ausstrahlung wie das finsterste Nachtstill. Eine Aura, die dir die Seele raubte. Ein Blick wie die Schwärze selbst.

Kira war gefühlskalt; Killer glich der personifizierten Kälte – Ein Innen und Außen, wie die Kehrseite einer Maske.

Kira war schizophren. Und ich der Spalt, der seine Persönlichkeiten trennte.

 

Ich hatte seine seelische Wunde geöffnet. So würde ich sie auch wieder schließen.

Ihn heilen – um jeden Preis.

 

Meine Augen fielen auf das Verdienstkreuz, welches Killer mir gab, ehe er mich wegjagte.

Das Abzeichen in Gold zierte auf der Vorderseite den Schriftzug: 'Für Verdienst und Treue'

Auf der Rückseite: 'verliehen an den Kriegshelden Kira Lawliet'

Die kleine Randprägung datiert auf 2010 – vor zehn Jahren.

Das abgenutzte Band blau-weiß gestreift, das Kreuz selbst von einer Delle verformt. Beinahe so, als hätte es eine Kugel abgefangen.

 

Mit meinem Daumen strich ich über die unförmige Oberfläche, ging in Gedanken versunken den Kellerflur entlang.

So viele Fragen in meinem Kopf, auf die ich keine Antwort wusste. Warum hat er im Krieg gedient? Welche Grausamkeiten hat er erleben und mitansehen müssen? Was hat all das mit seiner Seelenkrankheit zu tun?

Und wieso hat Killer mir das Kreuz gegeben?

Ich hatte nicht viel Ahnung vom Kriegsdienst, konnte nur erahnen, wie schrecklich es war. Wusste, dass es nicht annähernd an die traurige Wahrheit herankam.

Zu jener Zeit, vor zehn Jahren, da... Nein. Erinnere dich nicht.

 

Vehement schüttelte ich meinen Kopf, zwang die Bilder zurück in die Tiefen meines Unterbewusstseins. Verdrängen, versuchen zu vergessen.

Killers dunkle Stimme flimmerte durch meine Gedanken. „Menschen helfen... tun diejenigen, die sich selbst nicht zu helfen wissen...“

Einen Mundwinkel schief nach oben ziehend, konnte ich nicht leugnen, dass da etwas Wahres dran war. Ein Seelenschatten durchschaute das Schattenmal innerer Bruchstücke. Durchschaute mich.

In Killer hatte ich einen hochgefährlichen Gegenspieler gefunden. Jemand, der mir einen eigenen Spiegel vors Gesicht hielt.

Nein, ich fürchtete den Tod nicht – sondern das Leben.

Darum möchte ich es erhalten, Leben retten, Menschen heilen.

Weil ich mich meinen Ängsten stellte.

Weil jede Emotion des Lebens so viel herausfordernder war, als der schnelle Tod.

Weil zu leben, zu fühlen bedeutete.

 

Ich seufzte. Die Begegnung mit Killer hatte mich mehr aus der Bahn geworfen, als ich zugeben wollte.

Fürs Erste schob ich die Selbstreflexion beiseite, wollte eine Nacht drüber schlafen. Vielleicht auch zwei... oder drei-

Unerwartet lief ich in jemanden rein. Stolpernd wankte ich nach hinten, während ich bestialisch angemault wurde.

„Pass doch auf, dabe!“ 'Dabe'? Is das ne Beleidigung oder ein komischer Akzent?

Leise nuschelte ich ein Sorry und strich mir ein paar Weben von den Ärmeln. Was er bemerkte, mit einem obskuren Grinsen mit spitzen Fangzähnen kommentierte. „Eine defekte Strohpuppe, huh?“

 

„Wie meinen?“, sah ich zu ihm auf, betrachtete seine Erscheinung. Sein grünes Haar, das einem Hahnenkamm ähnelte, seine Weste mit dunkelviolett-rötlichem Federkragen, offen tragend, sein dunkles Brust-Tattoo zeigend; Ein Halbring mit Hörnern und Reißzähnen, einem Dämon ähnelnd.

Halt. Hat er einen Dolch in seinem Hosenbund stecken?!

Nennt man wohl: Selbstkastration...

 

Auf meine Frage hin, rümpfte er seine Nase, in der ein goldener Ring steckte.

„Porzellan oder Stroh?“, fragte er mich plötzlich, in einem so gravierenden Ton der Ernsthaftigkeit, dass ich aus Reflex sofort antwortete.

„Stroh.“

Und sein Biest-Grinsen zog sich weiter auseinander. „Willkommen im Barto-Club.“ Was fürn Club-?

Ohne Vorwarnung legte er seinen Arm um meine Schultern, zerrte mich zu seiner Zelle – rechts neben Kiras – und hielt mich im Schwitzkasten fest. Was zum?! Das grenzt an Freiheitsberaubung!

 

Seit meiner Antwort, hatte sich sein Verhalten mir gegenüber drastisch geändert; von bedrohlich zu kumpelhaft. Eine bipolare Störung?

Vorsichtig sah ich in die Zelle und- blickte mir selbst entgegen. Spiegel. Eine Vielzahl von ihnen, die drei von vier Wände komplett bedeckten, plus der Decke. Da wird man ja automatisch wahnsinnig.

Die vierte, gegenüberliegende Wand war hinter einem roten Vorhang verborgen. Der Kerl entließ mich aus seiner Achsel, ging direkt auf den Vorhang zu, betrachtete ihn in Obsession. Seine rubinroten Augen funkelten entzückt, total gestört.

„Willst du sie sehen?“, wisperte er so leise und andächtig, als würde er von seinem geheimen Schatz sprechen.

Ich wollte was-auch-immer nicht sehen. Verdammte Neugier!

Zögerlich nickte ich und bereute es noch im selben Moment.

 

Tänzelnd stolzierte er auf das Vorhangseil zu, zog daran und offenbarte es:

Die Poster. Dutzende Fotos, die auf Großformat gedruckt waren. Allesamt von einer Person. Fluffy?!

Ist der Typ ein bipolarer Stalker?

„Sieh ihn dir an“, bekam der gefährlich aussehende Punker echt Tränen in die Augen, schluchzte theatralisch, „unseren zukünftigen König.“

 

Bei genauerer Betrachtung wirkten die Fotos nicht so als wären sie heimlich geschossen. Im Gegenteil: Fluffy blickte auf ihnen allen in die Kamera, lächelte und zeigte ein/one Piece-Zeichen. Was geht hier ab? Und warum frag ich mich das eigentlich noch...

„Lu~Lu~Lu~ Luffy-Senpai~!“

Der Fanboy war so vertieft in sein Heiligtum, dass ich mich unbemerkt davon schlich. Nichts wie weg von hier!

 

Eilig flitzte ich zum Ausgang, kletterte nach draußen, schloss die Kellerluke hinter mir ab und begab mich auf den Rückweg, durch den Vorgarten des Schlosses.

Meine Augen weiteten sich, als ich den Blick auf mir spürte. Den Blick der Nachtwache.

Ebendiese wank mich zu sich.

 

Als ich ihn erkannte, atmete ich erleichtert aus. Wenigstens ein Normaler unter all den... Besonderen.

Im kühlen Wind wehten die schwarzen Federn seines Mantels. Gegen das Schlossgemäuer gelehnt, zündete er sich eine Zigarette an.

Das Zippo-Licht erhellte sein Gesicht, spiegelte sich in seiner violetten Sonnenbrille wider. Lässig klappte er den Verschluss des Feuerzeugs zu, das eine seltsam aussehende Frucht in Herzform zierte.

Rocinantes Gesichtszüge wirkten ernst, der tiefe Zug an der Zigarette unterstrich seine angespannte Stimmung.

„Hast du Law gesehen?“ In seiner Frage schwang Sorge mit, die er nicht versteckte.

Verneinend schüttelte ich meinen Kopf, was ihn gedehnt seufzen ließ. „Was stellt der Junge nur wieder an? Und ich dachte, in seiner Pubertät wäre er anstrengend gewesen...“

 

Ich versuchte mir Law als jugendlichen Rebell vorzustellen. Das passte gar nicht ins Bild.

Rocinantes Blick war gen Nachthimmel gerichtet, während er in Erinnerungen schwelgte. Ein stolzes Grinsen umspielte seine weinrot geschminkten Lippen.

„Als Kind hat er oft Doktor gespielt, nie sein Zimmer verlassen. Die einzige Chance, an ihn ranzukommen war, sich freiwillig als sein Patient zu melden.“ Kurz verzog er sein Gesicht, ehe er schmunzelte. „Das Herz fand er am Interessantestes.“ Trägt Rocinante das Symbol deswegen überall an seiner Kleidung?

Ein erneuter Zug an der Zigarette, deren Asche er abklopfte. Langsam blies er den Qualm zwischen seinen Lippen aus.

„Er ermahnt mich heute noch, wie ungesund rauchen ist. Es ist seine Art von Sorge... darum zünde ich sie immer in seiner Nähe an. Nur, um zu sehen, wie er sich um mich sorgt. Das nennt man wohl Selbstzerstörung aus Vaterliebe.“

Etwas Trauriges ergriff seine Mimik, als er den kaum gerauchten Glimmstängel zu Boden fallen ließ und austrat.

„Er ist ein besonderer Junge. Deswegen meiden ihn die meisten, nicht umgekehrt.“

 

Locker stieß er sich von der Wand ab, richtete seinen Blick auf mich. „Sei gut zu ihm“, bat er mich, steckte seine Hände in die Hosentaschen und legte einen coolen Abgang hin – bei dem er auf seinen Federmantel trat und eine Rolle vorwärts vollführte.

„Nichts passiert!“, hörte ich ihn noch rufen, sein Lachen klang ausgelassen.

Ein Mensch, der über sich selbst lachen konnte, war ein freierer Mensch.

 

Warum er Law wohl gesucht hat?

Ich zuckte mit den Schultern. Sollte ich ihn zufällig sehen, würde ich ihm Bescheid geben.

Bei der Leiter zu unserem Schlafturm angekommen, fiel mein Blick auf das Dacharbeiten-Schild. Überrascht zog ich meine Augenbraue in die Höhe. Auf dem auffällig unauffälligen Schild hatte jemand unterschrieben!

['Corazon']

Wer auch immer das war, ich dankte ihm im unbekannten Namen. Dann kletterte ich die Leiter herauf, zu unserem Schlafzimmerfenster, in das ich so leise wie möglich stieg. Shachi schlief bereits, ich wollte ihn nicht wecken. Um mir sein Puderzuckergeplauder zu ersparen.

 

Die in Decken eingewickelte Figur regte sich minimal, als ich durchs Zimmer schlich. Ich war hundemüde.

Schlaftrunken schlüpfte ich unter die freie Decke auf meiner Bettseite und drehte mein Gesicht zu- Heat?!

Und schon war ich wieder aus dem Bett gestolpert. Hellwach.

Langsam, ganz langsam sickerte die Erkenntnis zu mir durch. Shachi hat- Er hat!!

 

Poltern aus dem Wohnzimmer. Mit angesäuertem Blick folgte ich der Geräuschquelle, die mich zum Übeltäter führte. Sorglos pfeifend bestickte er Heats Korsett mit Smiley-Stoff-Bildern, saß auf dem mittelalterlichen Sofa und konnte kein Zuckerwässerchen trügen. Von wegen!

Ein Rumpeln ertönte – Die umdekorierte Wanduhr, die der Masse an übertrieben vielen Dekorationsartikeln nicht standgehalten hatte. Wer platziert einen bemalten 2-Kilo-Stein auf einer kleinen Uhr, die nur mit einem winzigen Nagel gehalten wird? – Die Antwort: Shachi.

 

Noch hatte er mich nicht entdeckt, noch begnügte ich mich damit, ihm saure Blicke vom Türrahmen aus zuzuwerfen. Als ich ihn gedanklich ausreichend pulverisiert hatte, verschränkte ich meine Arme vor der Brust und sprach ihn an, verbarg meine miese Laune kein bisschen.

„Da liegt ein Typ in meinem Bett, der hoffentlich nicht nackt ist, und ich will wissen, wieso. Ein Wort.

 

Shachis Augen schweiften zu mir, blind stickte er weiter, ehe er mir eines seiner sorry-not-sorry-Lächeln schenkte.

Das Wort, das er wählte war: „Aaalso...“ Also am Arsch! Wehe dir, wenn du-

Er holte Luft, tief Luft. Und- bekam einen Stoff-Sticker von mir in den Mund gesteckt.

Die Ruhe währte nicht lange. „Danke!“, nahm er den Sticker und nähte ihn ins Korsett, das nicht mehr als solches erkennbar war.

Dann ging's los.

 

„BlaBla Trafalala~“, begann er zu trällern, erzählte mir in aller Ausführlichkeit von seinem Tag – beginnend bei seinem Morgenritual des Sonnengrüßen, bis zum Abschiedswinken der Abendsonne – bis er endlich mit der Sprache rausrückte.

„Heat stand einfach so vorm Fenster, was hätte ich da tun sollen?“

Grummelnd murrte ich: „Die Leiter wegtreten, ihn runterschubsen oder das Fenster mit Brettern verbarrikadieren.“

Empört formte Shachis Mund ein O. „O, wie gemein! Der arme Luther!“

„Luther?“

„Die Leiter.“ Seine hat-alles-lieb Kosenamen werden auch immer bescheuerter.

 

Ich seufzte schwer. „Was will der Typ hier?“

„Schlafen.“ Das machst du doch extra!

„Wieso in unserem Bett?“

„Na, weil man im Bett schläft, Dummerchen.“

„Und wo soll ich schlafen?“

„Im-“ „Wenn du Bett sagst, spül ich deinen Keksvorrat im Klo runter.“

 

„Das! Würdest du nicht tun“, bohrte sich sein 'böser'-Blick in meinen absolut ernsten, „würdest du?“

Ich nickte, er knickte ein. „Nur diese eine Nacht, okay?“, schob er seine Unterlippe nach vorne.

„Heat ist ein Lieber“, suchte er nach überzeugenden Argumenten, „hier, schau!“, zeigte er mir ein Fledermaus-Plüschtier, das aussah, als wäre es unter den Rasenmäher geraten, von einem Hund als Kaugummi missbraucht worden und dreimal durch die Kanalisation nach Kanada und zurück gewandert.

„Das hübsche Kunstwerk hat Heat für seinen besten Freund genäht... der ist auf der Krankenstation.“

Mist. Stark bleiben. Nein, nein, bleib mir fern Mitgefühl!

 

Warum kann ich kein Eisklotz sein? Wahlweise tut's auch n Stein.

Deko-Stein-Detlef hat's gut, der hat's wenigstens überstanden.

 

Nach langem Schweigen setzte ich zum Sprechen an. Noch ehe ich meinen Mund öffnete, hellten sich Shachis Gesichtszüge penetrant strahlend auf.

Ein Nuscheln meinerseits. „O-“ Und er fiel mir um den Hals. „Danke, Danke, Danke!“

Unbeholfen drückte ich ihn von mir. „Unter einer Bedingung“, hielt ich ihm meinen Zeigefinger hin. „Keine Übernachtungspartys mehr ohne Absprache.“

Jetzt lächelte er. Weil ich es ihm allgemein nicht verboten hatte.

„Du bist der Beste, Peng!“

„Ich weiß.“ … „Und du bist du.“

„Aww, das ist aber nett von dir.“

Grinsend tätschelte ich seinen Kopf.

„Ja, Shachi, das ist es“, ließ ich ihn in seinem Glauben.

 

Lächelnd hielt er mir eine Tasse hin, „Presso?“, nahm ich das koffeinhaltige Getränk dankend an, das er fürsorglich für mich warmgehalten hatte.

Hastig trank ich den dreifachen Espresso mit einem Zug leer. Hab ich echt gebraucht.

Schwungvoll warf ich mich aufs Sofa neben ihn, legte meinen Hinterkopf auf die niedrige Rückenlehne und ergab mich meinem Schicksal. Wenn Shachi die Nacht durchmachte, dann ich auch.

Meine nächste Frage würde ich bereuen.

„Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“

Und ich beschwor die Flut der unaufhaltsamen Blubber-Buchstaben.

 

„Heat und ich? Das ist witzig!“ Ist es das echt oder nur in deiner Phantasie? „Auf meinem nächtlichen Rundgang bin ich ins nächstbeste Zimmer gesprungen und hab laut BOOM gerufen, um den Überraschungseffekt zu untermalen.“ Einmal Schock-Wecken à la Shachi.

„Heat ist aufgeschreckt und hat 'die Russen kommen!' gebrüllt... Dabei war Mihawk gar nicht da.“ Wer ist Mihawk? Wie viele Bekanntschaften hat Chi eigentlich geschlossen? ...In der Geschlossenen. Badum-tsss.

„Dann hab ich ihn umarmt und ihm gesagt, dass alles gut wird. Und er hat mir seinen rieeesigen Sprengkörper gezeigt.“ Nicht falsch denken, nicht falsch denken... „Er baut echte Bomben! Die Bumm machen! Von ihm haben Fluffy und ich auch die tollen Kerzen für den naja-Kuchen bekommen.“

 

Skeptisch sah ich ihn an. „Bomben? Ist das erlaubt?“

„Klaro!“ Klaro.

„Und Law hat den Kuchen angefaucht, hihi. Weil ich Brotteig verwendet hab.“ Du Monster.

„Am Ende waren alle glücklich und die Akten gaben ein super Konfetti ab.“ Stopp, Stopp, Stopp!

„Du“, schluckte ich trocken, „du hast die Patientenakten vernichtet?“

 

Dümmlich blinzelte er mich an. „Jupp.“

Ich war fassungslos. „Warum?“

In einer Sorglosigkeit, die mich kirre machte, schnipste er einen Zuckerwürfel in seinen Mund, kaute summend, ließ mich auf heißen Kohlen sitzen.

Und schluckte. „So ein netter Onkel kam vorbei und hat mir ein Candy gegeben.“ Jetzt wird’s echt makaber. „Hat sich als Doffi vorgestellt und-“

„Doffi?!“, wich mir alle Farbe aus dem Gesicht. „Shachi, weißt du überhaupt, wer das ist?“

„Der Hausmeister?“ Weiß er nicht. Obwohl Haus&Meister überraschend passend ist.

„Jedenfalls hat er mir aufgetragen, die Papiere zu verbrennen, also hab ich daraus ein Konfetti-Feuerwerk gemacht.“ Er hat dich benutzt, du Volldepp!

„A-ber! Davor hab ich sie alle gelesen.“ Hast du?

 

Überrascht fragte ich ihn; „Was hast du herausgefunden?“

Wir grinsten uns beide spitzbübisch an, ehe er näher zu mir rückte und mir den entscheidenden Hinweis zuflüsterte.

„H2S – Die Formel des Giftes, das sowohl in Gasform, als auch Tabletten verabreicht wird. Zu 'Smile' verarbeitet werden kann. Die Zusammensetzung ist-“

 

Ein lautes Klopfen. Aggressiv. An der Haustür.

Wir schreckten heftig zusammen. Das kann kein Zufall sein!

In tiefster Nacht hämmerte nicht einfach so jemand an fremde Türen. Ich ahnte Übles.

Shachi wollte nach kurzem Zögern aufspringen, doch hielt ich ihn am Oberarm zurück, schüttelte meinen Kopf und ging selbst zur Tür. Mir schlug das Herz bis zum Hals, mein Puls raste, meine Hand schwitzte, die ich um die Türklinke legte. Und sie herunterdrückte.

Ein Hoch auf Sicherheitsketten!

Ich öffnete einen Spalt, schaute alarmiert hindurch, um den Unbekannten zu mustern.

Ein gestriegelter Kerl in weißem Anzug stand dort, einer der 'auf-den-erste-Blick-unsympathisch'-Sorte. Mit Steroiden vollgepumpt, Stiernacken, nach hinten gegelte Haare und schwarzer Brille. Absolut unseriös und falsch wirkend.

 

Er betrachtete mich stumm, sein Kopf überheblich gehoben.

Ich versuchte mich an einer Begrüßung. „Guten Abend...“ Und biss auf Granit.

„Mitkommen.“ Sein harter Ton wie der Hieb eines Titan-Schlagstocks, duldete keine Diskussionen.

Mein Zögern ließ ihn handeln; brutal riss er die Eisenkette von der Tür. Mit seinen bloßen Händen!

„Master Doffi wünscht, dich zu sehen“, erklang seine mechanische Stimme erneut, gnadenlos und kalt. „Entweder du kommst freiwillig mit mir oder ich schlage dich bewusstlos und bring dich zu ihm.“

Wie nett, dass er mir eine Wahl lässt. Bei den super Angeboten muss man doch zuschlagen.

 

„Peng?“ Shachis besorgter Stimmklang, der mir einen Stich im Brustkorb setzte.

Beruhigend grinste ich ihm über meine Schulter zu. „Alles gut, keine Sorge!“ Das hab ich mir sogar abgekauft. „Warte nicht auf mich, Brüderchen. Könnte spät werden.“

Damit trat ich aus der Wohnung, schloss die Tür hinter mir zu und ließ mich von dem Ekelpaket zu Top-Spinner-Nummer-1 führen.

Noch scherzte ich. Das Lachen sollte mir bald vergehen.

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Ich will da nicht reingehen...

Hätte ich doch nur nicht den Espresso getrunken, der meinen Herzschlag drastisch beschleunigte. Nie wieder Koffein!

Zweifelnd stand ich vor der gigantischen Tür, die mich dreimal überragte. Nach oben hin spitz zulaufend, bestehend aus weiß vergoldetem Massivholz, die Doppeltüren verziert mit den vier Symbolen: Pik, Karo, Kreuz und Herz, die akribisch symmetrisch ins helle Holz eingraviert waren. Der zweifache Türknauf wie ein Würfel geformt, der die Seite der 6-fachen Augen zeigte.

Der Thronsaal. Dort, wo der Hausherr mich erwartete.

 

Etwas abgrundtief Böses lauerte hinter diesen Türen. Selbst von hier spürte ich die allmächtige, dunkle Energie, die über das gesamte Anwesen herrschte. Ein Gefühl, als würde es meine Brust zuschnüren, mein Herz mit dünnen Fäden langsam erdrosseln.

Meine Beine schwer wie Zementblöcke, meine Arme versteift, sich nicht bewegen wollend – wurden plötzlich in Bewegung gebracht, als ob sie ferngesteuert werden würden. Meine Hand in Richtung Türknauf gehend, den ich rechtsdrehend entriegelte.

Die Tür öffnete sich, mechanischen Schrittes trat ich hindurch, begab mich ins Innere. In die Box der Pandora.

Und ich wusste: Mein Leben hing am seidenen Faden.

 

Eine Spinnenwebe strich hauchzart über meinen Hals. In einer stummen Botschaft. Bedrohend.

Ich schluckte. Dann zwang ich meine Augen durch den Saal zu schauen. Mit Abstand war dieser Raum der prunkvollste. So viel Gold hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen. Von den zwei Flamingo-Statuen, zwischen denen ich stand, war eine mehr wert, als ich je verdienen konnte. Ihre Augen bestanden aus roten Wein-Topas. Allgemein waren alle dekorativen Objekte geschmückt mit Edelsteinen aus Rot- oder Pinktönen. An Luxus wurde hier wirklich nicht gespart.

Ein persischer Teppich durchzog den Saal, die Kronleuchter aus edelstem Reingold, selbst die Vorhänge vergoldet vor dem Mosaikfenster, das fast die komplette Wand der gegenüberliegenden Seite darstellte. Der Boden ein Schachbrettmuster aus schwarz-weißem Marmor.

Das Licht eine matte Farbe von warnendem Rot, tauchte den Raum in eine beklemmende Atmosphäre.

Ich fühlte mich hier absolut unwohl, nicht willkommen und fehl am Platz. Hätte ich gekonnt, wäre ich längst abgehauen.

Kein Akt von Feigheit – purer Überlebensinstinkt. Mein Gefahrensinn war seit dem Betreten auf Alarmstufe Blutrot.

 

Dann sah ich ihn. Das Böse. Das Oberhaupt des Puppenhauses: Der Puppenmeister.

Als mein Blick ihn erfasste, kroch mir das Grauen bis ins Mark. Stumm saß er dort, am anderen Ende des Saals, in seinem erhabenen Thron, belauerte mich mit einschüchternden Blicken. Die dunkelrot getönte Sonnenbrille ließ seinen Blick nur ausdrucksvoller wirken.

Lässig lehnte er mit seinem Ellenbogen auf der Thronlehne, seinen schräg liegenden Kopf locker auf seine Faust gestützt, ein Bein angewinkelt über dem anderen. In rosa gemusterter Halbhose bekleidet, seine weiße Weste offen tragend, an den Ärmeln das Familien-Logo als Manschettenknöpfe. Teils auf seinem pinken Federmantel sitzend, der über den Thron reichte.

Was mich in tiefsten Schrecken versetzte, war nicht seine majestätisch bösartige Ausstrahlung.

Es war etwas viel Schaudererregendes: Die großen Spinnen, die auf ihm krabbelten. Spinnen!

 

Die schwarzen Monster zierten seinen Körper, als wäre er ihre Brutmutter. Auf Schulter, Brust und Thron krochen die haarigen Biester überall herum, verpassten mir ekelhafte Schauer. Mich kribbelte es so heftig, dass ich mir panikartig über die Arme strich, um das fürchterliche Gefühl loszuwerden. Es half nur minder. Wenigstens trennen uns zwanzig Meter-

Und er erhob erstmals seine Stimme, die einen tiefen Unterton der Manipulation besaß.

„Trete näher.“ Keine Einladung – Ein Erlass. Endgültig, unausweichlich, bezwingend.

Zur Unterstreichung bewegte er seine langgliedrigen Finger in einer anlockenden Geste, als würde er mich an unsichtbaren Schnüren zu sich ziehen wollen. Gegen all meinen Ekel musste ich meine Beine widerwillig in Bewegung setzen, musste zu ihm treten, Schritt für Schritt mich meinem Schicksal ergeben.

 

Je näher ich dem Thron kam, desto mehr veränderte sich die Haltung der Spinnenviecher. Ihre zuvor leichtfüßig kriechende Bewegung stoppte.

Alle fixiert auf mich, stellten sie sich auf ihre Hinterbeine, fuhren ihre giftigen Zahnstacheln aus, gaben ein leises Zisch-Geräusch von sich. In Angriffsstellung, mich als Feind betrachtend.

Fünf Meter vor dem Thron hielt ich an, verschreckt, verängstigt, versuchend es mir nicht anmerken zu lassen.

Und der Horror begann. Die Spinnenplage ging auf mich los, sprang in einer Vielzahl auf mich zu. Reflexartig riss ich meine Arme hoch, in einer Schutzposition, schlug wild um mich.

Aber gegen meine Erwartung spürte ich keine haarigen Zusatzgewichte, spürte keine Giftzähne. Stattdessen hörte ich das trommelnde Klopfen auf Boden, das sich entfernte. Die Viecher krochen in ihre Löcher zurück, ließen mich total lächerlich aussehen. Ekelhafte Mistviecher!

 

Dann die Stille. Gegensätzlich zu Kiras, die stets eine Emotion vermittelte, hatte diese etwas Leeres und Abgründiges.

Ein ansteigendes Geräusch bebte durch die Atmosphäre. Ein Lachen – sein Lachen. Erst nur gedämmt, unheilvoll und verächtlich, drang es aus seiner Brust. Ein Lachen, das dich wissen ließ, dass er gewonnen hatte.

Seine Mundwinkel verzogen sich zu einer grauenhaft grinsenden Grimasse. Sein dunkler Stimmton besaß etwas gerissen Bösartiges.

 

„Ist es nicht stets der Schmetterling, der sich im Spinnennetz verirrt?“, betrachtete er mich von oben bis unten, unterzog mich einer ausgiebigen Musterung, als würde er mit Blicken meine Seele wie ein Insekt einwickeln.

„Je mehr er sich wehrt, desto tiefer schneiden sich die Fäden in seinen Körper.“

 

Langsam beugte er sich im Thron nach vorne, nur ein Stück. Ich wollte sofort zurückweichen, wären meine Beine nicht wie gelähmt. Gelähmt vor Angst.

Dieser Mann strahlte etwas so beängstigend Mächtiges aus, dass er die Welt vor ihm knien lassen konnte. Ein König, dessen Fußvolk nicht den Dreck an seinen Schuhen wert war. Er ließ dich mit einem Blick spüren, wie unwürdig, wertlos und unperfekt du im Vergleich zu ihm warst.

Als er sich aus seiner erhabenen Position bewegte, zuckte ich automatisch zusammen. Von oben herab sah er auf mich nieder, sein tückischer Lippenzug reine Niedertracht, legte er seinen Kopf in anmaßender Arroganz in den Nacken und streckte mir seine Hand hin.

Er trug einen goldenen Ring, in den ein luxuriöser Flamingo-Topas eingesetzt war, hielt mir das Juwel hin.

Mit maliziös finsterem Stimmton verlangte er:

„Küss ihn.“

 

Eine Aufforderung zur Unterwürfigkeit. Gehorsam, Demut und Fügsamkeit verlangte er von mir.

Alles in mir sträubte sich dagegen. Mein letztes bisschen Stolz wollte rebellieren, wollte Gegenwehr leisten, wollte sich ihm nicht unterordnen. Was würde es bringen, sich ihm zu widersetzen? Ich gehörte längst zu einer seiner Schachfiguren, war längst auf dem Schachbrett platziert, war in seinem manipulierten Spiel involviert. Ich konnte nur verlieren.

Das Klügere war, sich ihm zu fügen. Es zögerte das Unheil heraus, verzögerte mein unglückliches Schicksal.

Ich fühlte mich mickrig und klein, fühlte mich meines Selbstwertes beraubt, meines Stolzes entehrt.

Widerwillens verbeugte ich mich in einer demütigen Haltung, hielt meinen Blick gesenkt, platzierte meine Lippen auf dem kalten Edelstein und zwang mich dazu, mein Gesicht nicht vor Abscheu zu verziehen. Igitt. Wer weiß, wie viele Münder da schon drauf waren.

 

„Brav“, lobte er mich wie einen getretenen Straßenköter, der ihm die Schuhe lecken durfte.

Angeekelt zog er seine Hand zurück, als hätte ich soeben sein Eigentum beschmutzt, streckte seinen Arm seitlich über die Thronlehne und befahl an jemand anderes gewandt: „Säubern.“

 

Ich drehte mich um, zu der angesprochenen Person, die ich erst jetzt bemerkte. Erkannte hinter mir die vier nebeneinander gereihten Stühle: Pik, Karo, Kreuz und Herz.

Meine Augen weiteten sich. Mein Herz setzte aus.

Vom Herz-Sessel erhob er sich, würdigte mich keines Blickes, schritt auf den Hausherren zu, um ihm den Ring mit einem Desinfektionstuch zu putzen.

Seitlich gegen den Königsthron gelehnt, die Arme verschränkt, besah er mich eines mitleidigen Ausdrucks, beschmunzelte amüsiert meine blasse Mimik.

„Überrascht, Penguin-ya?“ Das- Nein... Nein!

 

Wie ein Felsbrocken schlug es in meinen Magen, setzte sich dort bitter fest. Das Gefühl betrogen worden zu sein. Ich wollte es nicht wahrhaben, wollte es nicht akzeptieren. Dass Law mich eiskalt hintergangen hatte.

Irre funkelten seine silbernen Augen, süffisant legte er seinen Kopf schief, stützte mit Zeigefinger und Daumen sein kurzbärtiges Kinn, als er mich fragte: „Hattest du Vergnügen auf deinen Erkundungen?“

Die Anspielung auf die Schlüssel deutlich herauszuhören. Bitte, bitte sag mir nicht, dass...

„Sie sind mit einem Peilsender versehen.“

Sie wussten es. Die ganze Zeit über. Wo ich wann war. Überwachten all meine Schritte.

Ich fühlte mich elend, verraten, benutzt.

Weil ich meiner Stimme nicht traute, schwieg ich, biss mir stumm in die Innenlippe.

Warum?!, wollte ich ihn fragen, wollte Antworten fordern.

Nichts konnte ich.

 

Der Hausherr besah sich Law mit stolzem Ausdruck.

„Patient Nummer Eins... oder: mein treuestes Spielzeug.“

Als er seinen von Brillengläser verhüllten Blick wieder auf mich richtete, sah ich es. Nur für den Bruchteil eines Wimpernschlags: Laws zuckende Augenbraue. Die abwertende Bezeichnung gefiel ihm nicht, doch legte er keinen Widerspruch ein.

Momentan hatte ich ganz andere Sorgen: Ich war aufgeflogen, meine Vergehen aufgedeckt.

Was für eine Strafe erwartet mich?

 

Der König verkündete mein Urteil.

„Was machen wir mit dir?“, zögerte er es heraus, ließ meine Panik in die Höhe schießen, „öffentliche Steinigung? ...Zu altmodisch. Am Schlossturm erhängen? ...Nicht ästhetisch genug. Lebendig verbrennen? ...Inakzeptabel.“

Immer weiter zählte er todbringende Foltermethoden auf, von einigen wusste ich nicht einmal, dass es sie gab. Jede einzelne war erschreckender als die andere. Wie viele Menschen hat er bereits zu Tode gefoltert?

Letztlich wuchs eine pulsierende Ader auf seiner Stirn. Er hatte mein Schicksal entschieden.

„Ich bin heute spendierfreudig“, ließ er gönnerhaft verlauten, „ich überlasse dir die Wahl.“ Über meinen Tod? Wie wahnsinnig ist der Kerl eigentlich? Als ob ich das einfach so hinnehmen würde!

Ich wollte nicht sterben. Der Gedanke vom Tod fühlte sich so fern an, so surreal, unmöglich begreifbar.

 

Fieberhaft überlegte ich nach einer Lösung, suchte nach etwas, was mein Schicksal wenden könnte. Dachte an Flucht, dachte ans Untertauchen, dachte an so vieles. Nichts konnte mir jetzt noch helfen.

Etwas Endgültiges ergriff mich, setzte sich in meinem Kopf fest. Etwas, was Hoffnungslosigkeit spürbar kalt in mein Herz kehren ließ. Ich hatte keine andere Wahl als sein Spiel mitzuspielen.

Der Herrscher wartete auf meine Antwort. Er hasste Warten, ließ mich den Druck spüren, der schwer auf meinen Schultern lastete. Die Ader auf seiner Stirn wuchs, pulsierte hörbar.

Jetzt oder nie.

Jetzt entschied ich meinen Tod.

 

Aus meinem Innersten heraus, griff ich den letzten Strohhalm, der mich am rettenden Faden hielt.

Strohhalm!

„Killer!“, schoss es über meine Lippen, ehe meine Stimmbänder in Zweifeln zu schwanken begannen. „E-Er soll...“ 'mich töten.' konnte ich es nicht aussprechen. Es klang so makaber, so unwirklich, so verdammt dumm.

 

„Killer?“, wiederholte der König, erhielt von Law eine Erklärung. „Patient Nummer Acht.“ Der Herrscher hält sein Volk für so unwichtig, dass er sich nicht einmal ihre Namen merkt.

Die erhabenen Lippen verzogen sich zu einem diabolisch düsteren Grinsen. „Akzeptiert.“ Weil er um meine Beziehung zu ihm weiß... weil er sehen will, wie ich an meinen Gefühlen verende.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung verkündete er mein Schicksal.

„Er soll dich richten. Ich werde ihm eine Botschaft diesbezüglich zukommen lassen.“ Bis wann er mich zu töten hat.

„Bis dahin“, fuhr er fort, während ein sadistischer Ausdruck seinen Lippenzug umspielte, „wirst du im Behandlungstrakt arbeiten.“ Im Behandlungstrakt?! Dem Horrorort? Oh du verdammte-

Hat Kira nicht gesagt, er wäre stillgelegt?

 

„So viele Akten sind vernichtet worden...“, überlegte der Größenwahnsinnige laut. Der Schuldige spielte den Unschuldigen, „welch Tragik. Wir müssen die Untersuchungen erneut durchführen.“

Er lachte. Lachte die Leidenden aus, die seinem Wahn zum Opfer fielen.

Wie abscheulich kann ein Mensch sein? Nein. Dieses Monstrum hat nichts Menschliches mehr in sich.

Tiefste Übelkeit ergriff mich, überschattete die Angst. Wie gern hätte ich ihm die Brille eingeschlagen, wenn ich gekonnt hätte.

Als er das lebendige Funkeln meiner Augen bemerkte, sah er mich voller Abscheu an. Seine Mundwinkel fielen in Ekel.

„Weiche nun aus meinen Augen. Ich ertrage deinen widerlichen Anblick nicht länger.“ Gleichfalls, Arschloch!

 

Mit verkrampft geballten Fäusten stampfte ich davon, spürte Laws Blick in meinem Nacken. Du bist keinen Deut besser! Ich habe dir vertraut, verdammt!

Meine kräftigen Schritte verloren an Kraft, dennoch schaute ich nicht zurück. Es tat weh. Das Gefühl des bitteren Betrugs klemmte mir den Brustkorb ab, verpasste mir einen seelischen Tiefschlag.

Als die massive Doppeltür hinter mir geräuschvoll zuschlug, saß mir noch etwas anderes im Nacken. Die Sanduhr meiner Schonfrist.

Die Zeit läuft...

 

Ich war nicht die Art Mensch, die sich Zuhause verkroch, um auf mein Schicksal zu warten. Ich preschte vor, um mich ins Unglück zu stürzen.

Statt zurück zu meinen Schlafgemächern zu gehen, ging ich in Richtung Kellertrakt. Wenn einer die Hiobsbotschaft verkündete, dann ich selbst.

Einen Blick auf den Schlüsselbund in meinen Händen, dem ich entgegen knurrte. Sollten sie ruhig wissen, wo ich hinging.

Dann schloss ich die Kellerluke auf und sprang hinunter. Ins Unheimliche.

Die gruselige Atmosphäre im Untergrund war die gleiche geblieben, aber lagen meine Nerven ohnehin so blank, dass mich nichts mehr gruseln konnte, als der seidene Faden in meinem Nacken, den der Spinnenkönig mir netterweise gesponnen hatte.

Im dunklen Kellerflur wucherten die Weben überall, doch schienen sie mich nicht zu bedrohen. Nur knapp reichten sie bis zu meiner Kappe, als würden sie ihre seidenen Finger nach mir ausstrecken, mich aber durchlassen.

Als wäre ich ein Teil von ihnen, doch noch nicht vollständig verwoben.

 

Plötzlich huschte ein Schatten zu meiner Rechten vorbei, ließ mich schreckhaft zu ihm sehen.

Zu der Spinne. Moment, verengte ich meine Augen, besah das Tierchen genauer, beugte mich zu ihm herunter und erkannte es:

Das war kein Tier. Es war ein Spielzeug!

Spielzeugspinnen. Mein Verstand hatte mir die ganze Zeit über Streiche gespielt.

Shachis 'Spinni'... Ich hätte wissen müssen, dass er ausschließlich leblose Gegenstände und Liebmenschen benannte. Keine Tiere! 'Weil sie niemandem gehören.' – Shachis Worte. Warum ist mir das nicht früher eingefallen?

Das haarige Spielzeug war versehen mit mehreren Mini-Kameras, die die Augen der Spinne darstellten. Das Teil wirkte gar nicht mehr so ekelerregend, wie zuvor. So studierte ich es eingehender, sah die Prägung am Bauch der mechanischen Puppe; 'Made by Moria'

 

Die acht Kamera-Augen fixierten sich auf mich. Ich grinste, hob meinen mittleren Grußfinger und- zertrat das Teil.

Zischend und knackend fiel es meinem Stiefel zum Opfer. Sachbeschädigung – schreib's auf meine Rechnung, bezahl ich im nächsten Leben. Vielleicht.

Das Unsichtbare schien nicht erfreut. Auf einmal rückten mir die Fäden auf die Pelle, versuchten mich vom Weitergehen abzuhalten, doch boxte ich mir den Weg frei. Sucht euch einen andren Tanzpartner.

Meiner ist...

 

Killer. Zu dem ich ging. In dessen Zelle.

...Der nicht dort war.

 

„Killer?“, rief ich ins Leere.

Keine Antwort. Natürlich nicht.

 

Seufzend lüftete ich meine Kappe, fuhr mir durch mein Haar und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, in dem ich ziellos umherwanderte. Ohne ihn wirkte die Zelle noch trostloser und einsamer. Wie muss es sich erst anfühlen, hier zu wohnen?

Wie hält Kira das nur aus?

Wenige Augenblicke war ich hier und empfand das Nichts bereits als unerträglich. Noch nicht einmal etwas Persönliches war hier zu finden. Bekanntlich spiegelte die Inneneinrichtung das Innenleben des Besitzers wider. Was bedeuteten dann die leeren Kisten, kahlen Wände und Fesseln?

...Innere Leere, Monotonie, Befangenheit.

Die unpersönliche Ausstattung reflektierte Kira, wie er sich sah: Nicht mehr als Person. Als eine nichtige Persönlichkeit ohne Recht auf Leben.

Es machte mich zugleich traurig und wütend. Gebe dich nicht einfach so auf, du Idiot!

Ich kannte seine Geschichte nicht – aber werde ich sie ab hier umschreiben!

 

'Ich bin ein Einbrecher aus Höflichkeit', hatte ich ihm bei unserem ersten Treffen gesagt.

So wühlte ich mich durch die Kisten, von denen eine einzige einen mickrigen Inhalt aufwies. Fand einen zerbrochenen Bleistift und hinterließ ihm höflich eine Notiz.

Beginnend mit: 'Du Idiot'

Schrieb mir den Frust von der Seele, setzte abschließend einen Punkt mit zu viel Krafteinwirkung, löcherte den Zettel und platzierte ihn an einem Ort, an dem er ihn definitiv finden würde. Später.

Und was jetzt?

 

Erneut stand ich wie bestellt und nicht abgeholt hier, minutenlang, bis ich es spürte.

...Ihn.

Seine unverkennbare Präsenz, die sich näherte. Ein Gefühl wie der nahende Winter, die ersten fallenden Schneeflocken.

Eine Kälte, die zugleich Wärme brachte. Mir warm werden ließ.

Der Raum wurde mit einem mal viel erträglicher, besaß seinen prägenden Geruch, den ich nun wahrnahm. Schwarze Kirsche – Eine Note zwischen lieblich und herb; Ein Zwiespalt zweier Gegensätze.

Je näher er kam, desto mehr wirkte seine starke Aura auf mich. Vertrautheit, gepaart mit etwas Beschützendem.

Eindeutig: Kira.

 

Er stoppte im Türrahmen.

Ich sah ihn, nur für den Bruchteil eines Herzschlags.

Fühlte sein Lächeln hinter der Maske.

Ging ihm entgegen, wie durch ein unsichtbares Band geführt.

Und wurde von seinen schützenden Armen umschlossen.

 

Körper an Körper, Brust an Brust, konnte ich seinen wilden Lebensimpuls spüren. Er wirkte so lebendig.

Es war einer dieser Momente, der viel zu schnell vorbei war. Einer derer, die schlimm enden mussten.

Das Verdienstkreuz fiel aus meiner Tasche, klirrte zu Boden.

Mit ihm gefror der Seelensee seines Abgrunds zu Eis.

 

Ich schaute zu seiner knienden Figur hinab, die das Abzeichen mit verlorenen Blicken betrachtete.

„Kira-?“

„Geh.“ Ein tiefer Einschnitt, der seine geschärfte Stimme in die Luft ritzte. „Verschwinde aus meinem Leben, Penguin.“

Statt mich abschrecken zu lassen, strahlten meine Augen vor Mitgefühl.

„Du hast zugegeben, dass du lebst!“

 

Auch er schien es zu realisieren, verfiel in Stummheit. Erhob sich, umfasste mein Kinn.

In seiner zärtlichen Berührung etwas so Liebevolles, das mein Herz krampfen ließ. Weil es sich entschieden hatte.

 

Verführerisch hauchte er mir zu. „Küss mich.“

Und ich konnte es nicht. Nicht, bevor ich es ihm gesagt hatte.

Ein lügender Kuss wäre nicht fair ihm gegenüber, wenn er mir so viel Aufrichtigkeit entgegenbrachte.

Kira sollte es sein.

 

Friedlich lächelnd sprach ich es aus.

„Du musst mich umbringen.“

Du – nicht Killer.

 

Mit dem Aussprechen spürte ich seinen Wärmefunken ersticken.

Gleichzeitig kratzte es aus dem Deckenlautsprecher.

Das grässlich gehässige Lachen.

 

„Fu Fu Fu~“ Fu-Fu dich selbst!

 

Ich konnte nicht anders, konnte mich nicht zurückhalten.

Von Zorn gepackt, nahm ich den nächstbesten Gegenstand – meinen Stiefel – und pfefferte ihn gegen den Lautsprecher, der einmal laut knackte, ehe er nur noch Funken sprühte. Sachbeschädigung die 2te.

Jetzt kannst du uns nicht mehr stalken, du kranker Bastard.

 

Kiras monotone Stimme.

„Was ist passiert?“, forderte er von mir zu wissen.

Schwer seufzend sackten meine Schultern nach unten.

„Doofi ist passiert“, ersparte ich ihm die Einzelheiten, blieb aber bei der Wahrheit. „Er hat mir ein Ultimatum gestellt... Meinen Freitod.“

 

Ist er wütend?

Kiras Stimme klang geschliffener, emotionaler.

„Ich bin ein gefühlskalter Mistkerl, aber kein Killer!“, richteten sich seine Emotionen gegen mich.

„Wie kannst du mich um etwas solches bitten?“, zischte er toxisch, „dich umbringen? In Doflamingos Namen? Und zu einer seiner Marionetten werden?“

Beherrscht atmete er durch. „Niemals.“

Sein gehaltvoller Stimmklang erfror zu Eiseskälte. „Eher kämpfe ich.“

 

Und ich grinste. „Das wollte ich hören.“

Ich wusste, dass du nicht aufgibst... Ich wusste es...

 

Mit schief-gelegter Maske – rechts; aufmerksam – betrachtete er mich.

Lauschte meinen Worten. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch habe. Aber werde bis zuletzt kämpfen“, hob ich meine Faust zur Unterstreichung meiner entschlossenen Stimme.

Lächelte ihn warm an.

„Ich könnte einen Mitstreiter gebrauchen“, hielt ich ihm meine lockere Faust hin. „Kann ich auf dich zählen, Partner?“

 

Partner – Es ist dieses eine Wort, welches seine Maske durchbricht. Das Porzellan zu Scherben werden lässt, wie Kristallsplitter in seine Seele schimmern und das Feuer des Lebens entfachen. Verstecke dich nicht vorm Leben. Lebe!

Und er tat es. Ich traute meinen Augen nicht – aber er tat es wirklich!

 

Mein Herz schlug schnell, viel zu schnell, als er seine Maske abnahm. Vollständig. Wahrhaftig.

Und ich sein Gesicht zum ersten Mal in dessen Gänze sah. … Mit einem Vorhang aus wilden blonden Haaren, die es überdeckten.

Doch dahinter lächelte er. Ehe er ebendieses Lächeln auf den Knöcheln meiner gehobenen Faust platzierte.

Eine Lippenberührung in tiefer Innigkeit.

 

„Zu Befehl, Partner.“ Betonte er das 'Partner' in Verbundenheit, verbeugte sich einbeinig kniend vor mir, hielt seinen blau-weiß gestreiften Helm vor seine Brust und senkte seinen Kopf.

Bei der Intimität seiner rauen Stimme flatterte mein Herz. Der Flirt-Profi und sein Kavalier-Getue!

Hitze schoss mir in Brust und Wangen, mein Blick glitt verlegen zur Seite. „Hör auf damit.“

Er schmunzelte, sichtbar. „Oh, ich habe gerade erst begonnen.“

Seine Zunge, die zwischen meinen Ring- und Mittelfinger eintauchte, schickte einen prickelnden Schauer über meinen Arm, den ich ruckartig wegzog.

„L-Lass das, hab ich gesagt!“, schwankte meine Stimme, verriet sich.

Verriet es ihm, der es mir unter die gerötete Nase halten musste.

„Dir gefällt es mehr, als du zugeben möchtest.“ Ja, verdammt!

Aber jetzt ist nicht die Zeit dafür... Leider.

 

Sehnsucht umspielte meine Lippen, als ich meine Finger nach seinem langen Pony streckte, die blonden Strähnen sacht zur Seite schob, eines seiner Augen enthüllte. Diamant-Blau. So hell wie ein Mond-Brillant, zeitgleich so kalt wie ein Eiskristall.

Scheu ließ ich meine Lippen sprechen, lehnte sie flüchtig gegen seine Stirn. In einer wertschätzenden Geste.

Ein sehnsüchtiges Seufzen meinen Mund verlassend, kurz das Gefühl der geteilten Nähe auskostend, bevor ich wieder von ihm abließ.

Und sah, dass sein Gesicht Schmerz trug.

 

„Was...?“ Beantwortete er mir meine Frage mit einer Geste; dem Aufsetzen seiner Maske. Ein Phantom-Schmerz? Ausgelöst durch ein Trauma?

Ich wollte ihn aufmuntern, wollte ihm beistehen, schaffte es jedoch nur zu einem mitfühlenden Halb-Grinsen. „Wir schaffen das.“

„Wir?“, hauchte er abwesend, in Nachwirkung der Pein.

Mein Stimmton sanft und flüsternd.

„Na, das tun doch Partner in einer Partnersch-“ Shit. Wortwahl!

 

Hüstelnd räusperte ich mich, überspielte meinen Ausrutscher mit einem viel zu übertriebenen Optimismus, der nicht im Geringsten zu einem Pessimisten wie mich passte. „Kameraden sind füreinander da!“ Friendzoned.

Seine Reaktion? Er lachte. Lachte mich eiskalt aus! Dieser Arsch.

Als der tiefe Bariton seines Lachens verebbte, legte er mir seine flache Hand auf meinen Kopf.

 

„Ich habe dich gänzlich verstanden“, gefiel mir sein mieses Schmunzeln nicht, als er im scharfen Flüsterton beifügte; „Mein Partner.“ Sprich es nicht so aus!

Nicht so... intim.

 

Murrend verschränkte ich meine Arme, duckte mich unter seiner Hand weg und strafte ihn mit Giftblicken, die er natürlich nicht unkommentiert ließ.

„Sexy“, rollte er das S, „wenn du mich weiter so anblickst, werde ich noch wahnsinnig...“ Wie kann er so locker darüber scherzen?

Ist es... Akzeptanz? – Ein erstes Zeichen von einem Heilungsprozess!

 

Lange konnte ich den Giftblick nicht aufrecht halten, viel zu deutlich das stolze Funkeln, mit dem ich ihn besah.

Sanft lehnte ich meinen Kopf gegen seine Schulter, flüsterte gegen seine Brust.

„Sag es...“, hauchte ich bittend, „sag, dass du leben willst.“

 

Seine Muskeln verkrampften sich spürbar, ehe er seinen Kopf schüttelte.

„Dies will ich nicht“, sank mein Herz, das er befreite. „Ich tue es bereits.“

 

Mein Grinsen gewann an Wärme.

„Nochmal“, wollte ich es hören. Sein Herz.

„Ich lebe.“

„Nochmal.“

„Ich l-“

 

Plötzlich hielt er sich seine Maske. Ein Kopfschmerz – seelischer Natur.

Auch ich fühlte es. Die Stille. Seine.

Sie ist anders... so aufgewühlt.

Mein Inneres erspürte es. Als würde die Stille mit mir kommunizieren, mir etwas ausrichten.

Einen Hilferuf.

 

Das Signal stammte von ihm, ohne Zweifel.

Ich sah Kira an, blickte hinter seine Maske.

 

„Lass mich mit ihm sprechen“, verlangte ich entschlossen, „mit Killer.“

 

Ablehnend verschränkte er seine Arme, neigte seine Maske rechts nach oben, zur Erhabenheit.

Seine monotone Stimme kompromisslos. „Nein.“

„Nein?“, akzeptierte ich selbiges nicht, begegnete ihm mit gleicher Haltung; eisern und verschlossen. „Wieso nicht?“

 

„Deshalb“, argumentierte er, als würde dieses Wort alles erklären. Tat es kein bisschen!

Zischend ließ ich Luft zwischen meinen Zähnen entweichen. „Killer wird mich schon nicht-“

„Wird er“, unterbrach er mich scharf, „und schlimmer.“

 

„Schlimmer?“, spie ich ungläubig aus. „Verurteile ihn nicht grundlos!“, nahm ich Killer in Schutz. „Nur weil er-“

„Grundlos?“, grollte Kiras Stimme vor Verachtung. „Er ist ein fucking Mörder“, wurde auch sein Umgangston schneidender. Hat er gerade geflucht?

 

Anspannung knisterte spürbar in der Luft zwischen uns, brodelte durch meine Adern, ließ meine Stimme an Gefühlsstärke gewinnen.

„Hast du ihn jemals morden sehen?“, ging ich einen festen Schritt auf ihn zu, „hast du ihn jemals danach gefragt? Nach seinen Beweggründen?“, stand ich vor ihm, sah unerbittlich zu ihm auf, zu seiner sich verdunkelnden Maske. „Lass mich raten... Hast du nicht. Weil du dich vor der Antwort fürchtest.“

 

Ein abwertender Laut seinerseits.

„Ich fürchte mich vor nichts.“ Lügner.

Mein Blick wandelte sich zu etwas Mitleidigem. „Tust du doch“, fand ein milderer Ton in meine Stimme, „du fürchtest dich davor, dass er dich ersetzt. Dass er besser ist als du... du gegen ihn verlierst. Mich an ihn verlierst.“

Ein warmer Zug umspielte meine Lippen. „Bist du eifersüchtig?“

 

„Nein.“ Natürlich nicht.

„Gut“, nickte ich grinsend, „dann lass mich mit ihm sprechen.“

 

Schweigen. Wortlosen Blickes musterte er mich, seufzte dann tonlos.

„Welch listiger Schachzug“, schmunzelte er lobend, „du hast mich ausgetrickst.“

 

„Jap.“ Mein Grinsen siegessicher. „Hat es geklappt?“

 

„Bedauerlicherweise“, gab er zu, schüttelte tadelnd seinen Kopf. „Doch kann ich dir deinen Wunsch nicht erfüllen. So simpel ist ein Tausch nicht. Es benötigt einen Trigger.“

 

„Einen-?“ Weiter kam ich nicht.

Binnen eines Herzschlag befand ich mich in seiner Gewalt; sein starker Arm um meine Hüfte, zog mich ruckartig zu sich, an seinen erhitzten Körper, während seine andere Hand in meinen Nacken griff, meinen Kopf zur Seite kippte, meinen Hals freilegte.

In einer gezielten Bewegung, schob er seine Maske mithilfe meiner Schulter nach oben. Heiß traf sein Atem auf meine Halsbeuge, die von seinen rauen Lippen graviert wurde. Einmal, zweimal... so oft, bis er sich die Berührung auf seine Lippen geprägt hatte.

Als er sprach, flimmerte sein Atemhauch mir einen warmen Schauer über meine Haut.

„Dein Blut“, strich seine Zunge über meinen Hals, „er hat es gekostet, nicht wahr?“

 

Eifersucht vibrierte in seiner Brust, ließ seinen Stimmklang tiefer und bedrohlicher klingen.

Ich nickte – Er biss zu.

Strom durchfuhr meinen Körper, ließ mich atemlos keuchen. Ein berauschender Schmerz benebelte mich.

Nur kurz, ehe ich merkte: Kira verletzte mich nicht. Durchbrach meine Haut nicht.

Weswegen ich knurrend begehrte; „Fester!“

 

Tiefer bohrten sich seine Zähne in mich, wankend zwischen Widerwille und Genussfreude. Die ersten Anzeichen des Switches.

Zwei Emotionen spürbar, zwei Persönlichkeiten.

Kira wollte mir nicht wehtun, wollte zeitgleich meiner Bitte nachkommen. Und das Biest in seiner Brust brüllte nach mir – nach meinem Blut.

„Noch fester!“, flehte ich in Atemlosigkeit.

Kira markierte mich – für Killer.

Wie schmerzhaft muss das sein?

 

Wir teilten einen Schmerz, auf unterschiedlichste Art; Ich körperlich, er seelisch.

Je tiefer seine Zähne sanken, desto tiefer fiel er in die Untiefen seines Innersten. Ich spürte ihn schwinden, spürte ihn fallen.

Und umarmte ihn, als wenn ich ihn dadurch halten könnte, ihm Halt geben könnte.

„Ich warte auf dich, Kira“, versprach ich ihm. „Ich bleibe bei dir.“

 

Ein Lächeln. Seines. Fühlbar.

Dann durchstach er meine Haut, hinterließ einen blutenden Biss-Abdruck.

Und die Atmosphäre änderte sich. In Dunkelheit, Stille, Kälte.

Killer.

Er leckte mir das Lebensrot von der Haut, schnurrte genießerisch.

 

„Mein Opferlamm~“, schwärzte ein betörender Sing-Sang-Ton seine finstere Stimme, die völlig anders als Kiras klang. Viel diabolischer, unmenschlicher, gar dämonisch.

„Sag meinen Namen.“

 

„K-Killer.“ Mist. Verfluchter Zungenausrutscher!

„Brav~“, summte er ergötzend, bevor er pfeilschnell handelte.

Seinen Körper gegen meinen drängte, mich gegen die Tür pressend, schlug er seine Unterarme neben meinen Kopf. Der doppelte Aufprall in meinem Rücken bebend, fand ich mich zwischen seinen Armen gefangen wieder.

 

Killers Maske mir so nah, dass ich die verdunkelte Farbe seiner Augen durch die schattigen Löcher sah. Dämonisches Schwarz. Es verdüsterte Kiras hellen Augen. Killers Augen das Finster von Nachtschatten-Mitternachtsblau.

Die dunkle Aura, die ihn umgab, prägte den gesamten Raum. Mitsamt seiner Stille, die etwas Hochgefährliches besaß.

Lauernd legte er seine Maske schief, roch an mir. Perversling.

 

„Dein Blut weckt das Monster in mir“, flüsterte er scharf.

„Es will dich“, wurde sein rauer Stimmklang eine Oktave tiefer, „will dich verschlingen.“

 

„Ich schmecke furchtbar“, meine trockene Antwort, die meine wiedergefundenen Stimmbänder erzitterten, „an mir verdirbst du dir nur den Magen.“

Zur Krönung meiner Unfähigkeit hing ich noch ein nervöses Lachen dran, das eher wie ein schrottiger Motor klang. Passend zu meinem holprigen Herz.

Sein viel zu heißer Körper, gepaart mit seiner viel zu aufdringlichen Nähe, erschwerte mir das Atmen.

Und er wusste es. Wusste um seine Wirkung auf mich.

Doch diesmal ließ ich mich nicht in seinen düsteren Bann ziehen.

Wenn er spielen will...

Dann kann er vom Pechvogel lernen, was Verlieren bedeutet!

 

Ich sah ihn an. Innig.

Mit beiden Händen umfasste ich seine Maske, federleicht, in einer gefühlvollen Geste – was ihn sofort auf Abstand gehen ließ. Schwachstelle gefunden.

Wieder Platz zum Durchatmen, stellte ich mich ihm unerschrocken entgegen. Was seine Ausstrahlung spürbar auf Alarm stellte.

„Mir kannst du nichts vormachen“, festigte sich auch meine Stimme, die einen Hauch Wehmut annahm. „Warum hast du mich um Hilfe gerufen?“

 

Killer knurrte. Animalisch und feindselig.

Ehe er in Hass spie; „Was kümmert es dich?“

Die gleiche Frage, die Kira mir bei der Gas-Rettungsaktion stellte – Gleiche Situation mit völlig unterschiedlichen Wesenstypen.

 

Meine Antwort blieb die selbige; „Was es mich kümmert?“, grinste ich in aller Überzeugung. „Wenn ich nicht wenigstens versuche, jemanden zu retten, bin ich nicht besser als ein...“, wehte es provokant über meine Lippen.

„Ein herzloser Killer.“

 

Ein Schuss – Ein Treffer.

Killers Knurren wurde tiefer, als er hasserfüllt wisperte; „Ich bin kein-“ Kein...?

Er stoppte. Nur, um zu schmunzeln. „Touchè.“

Beinahe hätte ich ihn dazu gebracht, zuzugeben, dass er ein Herz besaß. Beinahe.

 

In dunklem Amüsement raunte er mir zu.

„Du gefällt's mir immer mehr, Sweetheart.“ Sweetheart?!

„Nenn mich nicht so!“, zog ich murrend meinen Kappenschirm beschämt tiefer.

Und ging ihm ins Netz. „Glaubst du wirklich, du kannst mit mir umgehen? … S w e e t heart“, ließ er sich den Namen auf seiner Zunge zergehen. Er kann sich meinen richtigen Namen bloß nicht merken, das ist es ganz bestimmt!

Diverse Flüche in meinen Kappenschirm pfeffernd, spürte ich unverhofft, wie er mich meiner Kappe beraubte. „Hey!“

Ihren gelben Schirm zwischen seinen Fingern haltend, belauerte er mich mit Blicken.

„Zeig sie mir. Deine Emotionen... alle“, verlangte er dürstend, gar fasziniert. „Ich will sehen, wie du an ihnen erstickst.“ Nette Aussichten – Nein, Danke!

 

„Ich bevorzuge die romantischere Variante“, fuhr ich mir nervös durch mein braunes Haar, „ich will nicht unbedingt behaupten, dass du atemberaubend bist... aber... doch schon.“

Ich flirte jetzt nicht ernsthaft mit ihm, oder? Wann hab ich gelernt zu flirten?

Und warum fällt es mir bei Killer leichter, als bei Kira?

 

„Wie schmeichelhaft“, erfreute er sich an meinem Sarkasmus, „dann werde ich dir den Gefallen tun... dich zärtlich zu zerschneiden.“

Ich lachte auf. „Ha! Ohne Mess-? ...Mit Messer.“ Wo hat er das auf einmal her?!

Sein Instrument gezückt, ließ er es spielerisch zwischen seinen Fingern rotieren. Bevor er dessen Spitze in Richtung meiner Kappe hielt. Auf die rote Plüsch-Bommel zielend.

Und den Kämpfer in mir hervorlockte.

„Nicht. meine. Kappe!“, eilte ich auf ihn zu, griff nach meinem Heiligtum. Verfehlte es – und stolperte gegen ihn, landete mit meinem Gesicht in seiner muskulöse Brust. Ich hätte wissen müssen, dass das eine Falle ist. Ich Idiot.

 

Sein Unterarm in meinem Rücken, drückte mich an ihn. An seine Bluse, die nach Kira roch. Verdammt. Jetzt bloß nicht einlullen lassen. Fokus!

Moment. Es ist Kiras Körper, also...

Blitzschnell zog ich mein Knie nach oben – und traf seine gekillten Weichteile. Den hatte ich frei!

Zwang ihn in die Knie, seine Beine ruckartig zusammengezogen, hielt er sich seine geläuteten Glocken. Ding-Dong~

 

Doch statt einem gepeinigten Laut, summte er sinnlich. „Welch s-süßer Schmerz.“ Ein masochistischer Sadist. Okaaay.

Durch den Positionswechsel fühlte ich mich mutiger, zog einen meiner Mundwinkel schräg nach oben. „Na, hart geworden?“

„Hart an der Grenze“, keuchte er, ehe er zur gewohnten Arschigkeit zurückkehrte.

„Attraktive Aussicht“, starrte er in meinen Schritt, auf dessen Höhe seine Maske war. Nicht pervers denken, nicht pervers- Mist.

Meine Wangen erhitzten – wie er es wollte. Der Spielmeister ließ die Würfel immer zuletzt rollen.

Das Schlimmste daran: Der verbale Schusswechsel machte mir Spaß. Auf eine seltsam verschrobene Art. Jap. Es is soweit – Ich bin irre geworden.

 

Ich bot ihm meine Hand an, die er nahm – nur, um mich zu sich herunterzuziehen.

Und seine Lippen waren auf meinen. Brutal, räuberisch, heiß.

So plötzlich, dass es mich erstarren ließ. Ein Kurzschluss.

Schockgefroren reagierte ich nicht, wenige Millisekunden, bis es mich wie ein tausend Volt Blitz traf. Killer. küsst. mich!!

Erbost schubste ich ihn von mir weg, funkelte ihn triefend giftig an und wischte mir mit meinem Handrücken grob über meinen Mund. Während er sich über seine Oberlippe leckte. Völlig unberührt von meiner Abweisung.

 

Ich fühlte mich mies. Als hätte ich Kira betrogen.

Und der Arsch in Monstergestalt überspielte seine unverschämte Attacke. Als hätten seine diabolischen Lippen mich nicht geschändet. Arschloch!

„Ich suche jemanden“, wechselte er einfach das Thema, in mir brodelte es weiter.

Ich wollte ihm nicht zuhören, wollte ihn zum Teufel schicken. Verfluchter Helferkomplex!

„Wen?“, nuschelte ich, sah ihn nicht an, strafte ihn mit so wenig Aufmerksamkeit wie möglich.

„Hakuba.“

„Kenn ich nich.“

„Cavendish.“ Und meine verstörten Augen waren wieder auf ihm. Er sucht den Prinzessinnen-Schreck?

„Ich muss mit ihm reden... jedoch lässt er mich nicht in seine Nähe. Dich hingegen...“ Oh nein, ich ahne wo das hinführt. Vergiss es, nicht mit mir!

 

Ein gequälter Ausdruck ließ mich meine Lippen verziehen.

„Ich soll dir eine Audienz bei der Kohlheit verschaffen?“

„Exakt.“

„Soll den Lockvogel spielen?“

Er nickte. Ich stöhnte gepeinigt.

„Wenn du aufhörst so verstörend zu schmunzeln, Kiras Gesicht zu verunstalten, mach ich's.“

„Deal.“

 

Das konnte nur im Desaster enden.

Wann bin ich der Mittäter eines Killers geworden?

Ich bin doch nur ein einfacher Zivi, verdammt nochmal!

...Und ein absolut bescheuerter Depp dazu.

 

 

~*~

 

 

„Was sehen meine entzückenden Augen... mein Ross ist zu seinem Stall zurückgekehrt.“ Jap, mit 'Stall' meint er echt seinen Hosenstall.

Darf ich mich bitte erhängen? ...In Hang-Man war ich schon immer lausig.

 

Ich zwang mich zu einem scheppen Grinsen. „Hi, Cavendish-“

„Nenn mich Ritter Tausendschön.“ In tausend Jahren nich!

Cabbage!Die Stimme kenn ich doch.

 

In den Aufenthaltsraum stampfte der Fluffy-Fanboy, direkt auf den Möchtegern-Schönling zu, dessen makelloses Gesicht sich zu einer arroganten Grimasse verzog. Die Queen hat soeben ihre Tage bekommen.

Und es ging los.

Die beiden Streithähne – Pardon: Hahn und Henne – befeuerten sich gegenseitig mit faulen Eiern.

„Cabbage, du ranziges Stück Fäulnisgemüse! Schieb deinen gepuderten Arsch her, damit ich ihn dir aufreißen kann, dabe!“ Also doch ein Akzent.

„Du unzivilisierter Trampel. Hüte deine scheußliche Zunge. Siehst du nicht, dass du störst? Ich wollte soeben mein Pferd striegeln.“ Bitte, was?!

 

Ich fühlte mich total fehl am Platz zwischen den beiden. Gefangen im Kreuzfeuer ihrer blitzenden Blicke und fechtenden Worte, wollte ich mich mit einem schnellen Seitschritt vom Acker machen – kam aber nicht weit, weil beide mich an je einem Arm festhielten.

„Hiergeblieben!/Hiergeblieben!“ Ah, da sind sie sich einig.

Mir blieb nichts anderes übrig, als in den sauren Kohl zu beißen. Streitschlichter zu spielen.

So gab ich mir einen Ruck und fragte den grünen Gockel; „Was ist los? Warum bist du so aufgebracht?“

 

„Was los is?!“, krakeelte er zurück, gestikulierte wie ein Blöder und zeigte schließlich anprangernd auf Ritter Rosenkohl. „Der hat sein Schwert zu tief im Arschloch stecken!“ Sehr hilfreiche Information. Danke für das Horrorbild, da hab ich lange von.

Der Punker krallte sich in meinen Ärmel, sackte auf die Knie, zog mich gezwungenermaßen mit sich runter und stotterte; „Er hat-! Hat!“ Jetzt mach's nich so dramatisch! Is ja schlimmer als Shachi – Dass das geht, hätt ich nich gedacht.

„Er hat meinen Strohhalm geklaut!“ Aha. Dürfte ich vorstellen: Queen Nummer 2 – Drama-Queen vs Beauty-Queen.

Mein Kommentar würde ich bereuen. „Nur ein Strohhalm?“

 

Den Blick, mit dem er mich kannibalisch häutete, ließ es mir eisig den Rücken herunterlaufen.

„Nur ein Strohhalm?!“, wechselte er von Drama zu Destruction, „es ist ein heiliges Relikt des einzig wahren Strohhuts!“

Cavendish schmunzelte herablassend. „Und dient mir als Schmuck für meinen Federhut“, strich er sich beschönigend über die hellblauen Bausch-Federn seines schwarzen Huts; Die Strohnadel hielt beides zusammen.

Er berührte das Stroh wie sein schönstes Schmuckstück. Noch ein Fanboy.

 

Der Hahn ging auf ihn los, wollte ihm beide Augen mit seinem Hosen-Dolch auspiken – wäre ich nicht dazwischen.

„Aufhören!“ Mit ausgebreiteten Armen stand ich vor der Blondine, die ich tragischerweise erneut rettete.

„Ein Angebot“, schlug ich dem Punk vor, sah ihn fest an. „Ich besorg dir was Besseres, als ein Stroh-Fitzel.“

„Tch. Luffy-Senpais Hut ist das Beste! Es gibt nichts Besseres“, funkelte er mich vernichtend an, doch zeigte sein biestiges Fangzähne-Grinsen. „Versuch mich vom Gegenteil zu überzeugen, Kollege.“ Kollege? Ah... unfreiwilliges Barto-Club-Mitglied und so...

Jetzt ergibt zumindest meine Stroh-Antwort Sinn.

 

„Abgemacht“, schlug ich ein, besiegelte es mit einem Händedruck, bei dem er die meine fast zerquetschte.

Knurrend schüttelte ich meine Hand aus, blickte dann zu der Kohlheit, die sich ihren perfekt gepflegten Nägeln widmete. „Du schuldest mir was!“

Seine langen Wimpern blinzelten mich übertrieben bezaubernd an. „Alles, was du willst, mein-“ „Sprich es aus und das Pferd tritt dich zur Prinzessin!“

Die Aussicht auf das Krümmen eines seiner kostbaren Goldsäckchen-Haare ließ ihn empört japsen.

Ich grinste siegreich. „Als Wiedergutmachung treffen wir uns in einer halben Stunde im Vorgarten.“ Ohne mich.

Das war zu einfach. Lockvogel 1, Flitzpiepe 0.

 

Zusammen mit dem Punk verließ ich den Aufenthaltsraum – Er mit doppelt erhobenen Mittelfingern, ich mit heruntergezogener Kappe.

„Zeig mir, wo ich Fluffy finden kann“, forderte ich ihn auf, erntete ein gezischtes Flüstern.

„Psch! Die streng geheime Basis von König Luffy ist-“

„Gleich dort hinten.“ Wer ist das jetzt wieder? ...Der Hutmacher höchstpersönlich. „Sabo“, stellte er sich vor, zog seinen Zylinder aus und knickte in einer höflichen Verbeugung, bei der er seinen Zylinder vor seine Brust hielt.

Das vertrauenswürdige Minzgrün seiner Augen nahm eine beschützende Nuance an, funkelte dunkler.

„Du willst zu meinem Bruder? Dann musst du erst an mir vorbei.“

 

Lässig lehnte er sich an die Wand, neben der Tür, in die ich musste, versperrte mir so den Weg. In seinem Mund eine Salzlette, die seltsamerweise seine Coolness unterstrich.

Was mir auch auffiel: Die Brandnarbe, die eine Gesichtshälfte in dunklerer Hautfarbe prägte, ihm etwas Verwegenes verlieh.

Gibt es hier nicht einen Pyromanen? Hängt die Narbe mit dem Feuerspieler zusammen?

 

Sabo grinste. „Also, was wollt ihr von Luffy?“, ließ er sich auf Verhandlungen ein. Darin war ich noch nie gut.

Aber ehrlich. „Ich brauche...“ 'ein persönliches Andenken.' Niemals könnte ich das aussprechen! Nachher denkt er noch, ich will Unterwäsche klauen oder sowas. „...brauche etwas von ihm.“

„Was?“ Genau die Frage hab ich umgehen wollen.

Wie nett, dass mein – Sarkasmus, Ahoi! – Club-Bro-Yolo zur Hilfe eilte.

„Lass uns durch, Brandy!“

 

Scharf zog ich die Luft zwischen meinen Zähnen ein. Kein Grund, gleich persönlich zu werden.

Doch statt sich von der Beleidigung angreifen zu lassen, blieb Sabo völlig locker, schien eher belustigt.

„Jemanden auf äußerliche Accessoires zu reduzieren, ist ein Zeichen von charakterlicher Schwäche“, nahm sein ruhiger Stimmton etwas Erlesenes an, ehe er zum verbalen Gegenschlag ansetzte.

„Deine provokante Erscheinung kompensiert dein Jugendtrauma nicht genügend. Du fühlst dich missverstanden, nicht ausreichend beachtet. Dein innerer Rebell muss sich durch Kontroverse bemerkbar machen.“ Definitiv ein Psychologe. Luffys?

Wage erinnerte ich mich an die Rundführung im Herrenhaus, bei der Shachi in ein Therapiegespräch geplatzt war. Erinnerte mich an einen Strohhut und einen Zylinder. Wieder ein Puzzleteil gefunden.

 

Als Antwort auf die Analyse des seelischen Saboteurs, fauchte der Punk. „Hah?!“ Sehr geistreich.

Die Hände in seine karierte Hose steckend, trat er einschüchternd auf Luffys Bruder zu – der in aller Engelsgeduld seine Salzlette knabberte.

Nachdem das Mini-Gebäck in seinem Mund verschwunden war, glitt sein Blick ignorierend am grünen Kobold vorbei, zu mir.

„Hast du ein überzeugenderes Argument?“ Hab ich eins?

„Nein“, grinste ich schief, „kann ich trotzdem durch?“

„Du darfst.“ Echt? So einfach?

 

Lässig stieß er sich von der Wand ab, ging seines Weges, ließ mich ihm irritiert nachsehen. Barto knurrte ihm hinterher, wie ein Wachhund, der die Tür seines Herrchens bewachte.

Mein Blick richtete sich auf mein Ziel: Luffys Zimmer.

Und der Polarbär wandelte sein Gemüt erneut im Stimmungskontrast. Seine roten Augen befunkelten die Tür, auf die ich zutrat.

 

Der Fanboy hyperventilierte, versteckte sich hinter meiner kleineren Figur, packte mich von hinten an meinen Schultern und rüttelte aufgeregt an mir. Hallo, Schädelhirntrauma!

Als ich meine Hand zur Tür streckte, ließ er schockiert von mir ab, beobachtete in Zeitlupen-Intensität meine Bewegung, knabberte gespannt an seinen Nägeln und-

„Niemand da.“ -kippte fast aus den abgetretenen Latschen, als die Tür verschlossen blieb. Sabo hat uns geleimt!

„Sorry“, zuckte ich mit meinen Schultern und ließ Green-Lantern stehen. „Ich versuch's morgen nochmal. Wir haben kein Zeitlimit ausgemacht.“

„Dabe! Dabe! Du kannst doch nich-!

„Kann ich. Siehst du doch.“

 

Für heute hatte ich wirklich genug von komischen Begegnungen und seltsamen Situationen. Dabei hatte der Tag erst begonnen, nicht mal die frühen Morgenstunden waren angebrochen. Und zum Frühdienst erwartet mich der Horrortrakt. Tolle Aussichten. Die waren im Fremdenführer aber nich enthalten!

Blieb nur noch Eines zu erledigen:

Zum Vorgarten gehen und hoffen, dass Killer nicht seinem Namen gerecht wird.

.

.

.

Egal, was ich erhofft hatte, zu sehen – Das übertraf alles.

Cavendish. Sein Gesicht. Es war völlig entstellt, absolut grauenhaft verzerrt.

Wo seine Augen waren, befanden sich nur noch zwei weiße Augäpfel ohne Iris.

Sein Mund zu einer schauerlichen Grimasse verunstaltet, waberten seine gelockten Haare schauerlich im Wind.

Er war mir unheimlich. Auf die echt-kranker-Horror Art.

 

Was das Gesamtbild umso abstrakter machte:

Dieses Ding – das absolut nicht menschlich war – kniete vor Killer und überreichte ihm eine schwarze Rose. Da haben sich zwei Gestörte gefunden.

Zu meiner Erleichterung machte mir die Szene gar nichts aus, kein Funke Eifersucht spürbar. Yesss! Ich bin dem Psycho noch nicht verfallen!

Zu meiner Überraschung lehnte Killer die Blume ab, schlug sie ihm gewaltsam aus der Hand und zertrat sie. Autsch. Die Abfuhr muss wehtun.

Was seh ich mir hier an?

Killers Maske drehte sich zu mir. Mein erster Reflex: Lauf!

Was ich in Echt tat, war eine meiner idiotischen Schnapsideen;

Ich folgte der stummen Aufforderung und ging zu den beiden.

 

Je näher ich Cavendish(?) kam, desto intensiver spürte ich seine veränderte Aura. Sie wirkte pechschwarz und strahlte etwas Bösartiges aus.

Seine leeren Augäpfel fielen auf mich. Ich zuckte zusammen, meine Schritte wankten.

Und er ließ einen zischelnden Schrei aus seiner Kehle erklingen. Etwas so markerschütternd Ekelhaftes, als wäre es nicht von dieser Welt. Sondern-

„Dämonisch“, erklärte Killer unberührt, doch schmunzelte düster. „Cavendish ist besessen. Besessen von... mir.“

 

Verstört sah ich ihn an, kam echt nicht mehr mit.

Woraufhin Killer amüsiert erzählte; „Cavendish war Kiras Psychologe, bevor er von mir... verbessert wurde. Ich trieb ihn in den Wahnsinn.“ Wie stolz er das zugibt... total krank.

„Dürfte ich vorstellen“, deutete er mit dem Nicken seiner Maske zu dem Dämon, „Hakuba. Mein Leibeigener.“ Sein... Sklave? Was zum Henker?!

 

Hakuba ist japanisch für 'weißes Pferd'... Die Erkenntnis traf mich wie ein Eisblitz. Darum nennt der selbsternannte Ritter mich Ross?!

Ein Geheimcode... mit dem er mich um Hilfe bittet.

 

Aber wie soll ich ihm helfen?

Ich bin kein verdammter Exorzist!

 

„Wir sind hier fertig“, entschied Killer und streckte seine Hand zu Hakubas Stirn, die er mit seinen Fingerkuppen berührte, „schlaf.“

Auf seinen Befehl hin, fiel Cavendishs Körper nach hinten, ins Gras. Friedlich schlafend, seine Gesichtszüge wieder normal, als wäre er nicht bis eben ein besessenes Etwas gewesen.

Ungläubig starrte ich auf die schlummernde Figur, traute meinen Augen nicht. Was für kranke Sachen gehen hier eigentlich noch ab?

Killer schob seine Hände in die Hosentaschen seiner gefransten, blauen Westernhose und schlenderte davon. Soll ich mit ihm gehen?

„Kira ruft dich.“ Entscheidung getroffen.

 

Moooment. Ich hielt in meiner Bewegung an. Ist das noch eine Falle?

Killer schmunzelte tückisch. „Du lernst...“, gab der Manipulator offen zu, dass er mich reinlegen wollte. Du mieser-!

Aus reinem Trotz lief ich neben ihm her, zeigte ihm, dass ich keine Angst vor ihm hatte. Was er mit einer gehobenen Augenbraue belohnte.

Meine Neugier wollte gestillt werden. „Was hast du da eben gemacht? War das... Hypnose?“

„Nenn es, wie du möchtest“, spannte er mich auf die Folter, „ich erwecke die Schatten der menschlichen Abgründe, nichts weiter.“ Nichts weiter. Ist ja auch das normalste der Welt.

 

Seine Maske starrte mich intensiv an.

„Wir spiegeln uns“, schnitt sein Blick sich in meine Seele, „wie sagtest du noch gleich... 'Jedes Licht braucht seinen Schatten'?“

Ich knurrte. „Anders rum! Jeder Schatten braucht sein-“ Oh verdammt.

 

„Herausforderung angenommen“, wurde sein dunkler Lippenzug maliziös. „Ich werde dich dazu bringen, mich zu brauchen.“

Tch. Als ob!“, spie ich provokant, „für wie wichtig hältst du dich eigentlich?“

„Für das Wichtigste.“ Arroganter Mistkerl.

 

In all seiner herablassenden Art sprach er;

„Versuche du nur, das Licht des Lebens zu erhalten... Es wird im Dunkel des Todes verunglücken.“

Grinsend zog ich meinen Kappenschirm tief. „Unglück ist mein zweiter Vorname, Mister Lovekiller.“

„Hast du mich einen Liebestöter genannt?“, empörte er sich schnaubend. Ein Treffer unter die Gürtellinie!

Belustigt buchstabierte ich: „Ist dir Fein-R.I.P. lieber?“

Und er lachte. Lachte diabolisch.

„'ILoveKiller' genügt.“

 

Seufzend verdrehte ich die Augen. Mein Grinsen blieb.

Wir bündelten tatsächlich an. Nicht auf der Zuneigungsebene – dafür hatte er zu viele Minuspunkte auf der Sympathie-Skala – Nein, wir entwickelten viel mehr so etwas wie... Rivalität.

Wir rivalisierten. Echt jetzt. Kaum zu fassen.

 

Heimlich musterte ich ihn von der Seite. Je länger ich ihn anschaute, desto mehr Unterschiede fielen mir zwischen Killer und Kira auf.

Selbst ihre Gangart war anders; Kiras kontrolliert und grazil, Killers leicht federnd und selbstbewusster.

Killers Haltung war lässiger und dünkelhaft. Kiras defensiver und kühler.

Sogar die Bewegungen der blonden Mähne war verschieden, minimal, doch anders.

„Gefällt dir, was du siehst?“, legte er seine Maske schief. Das haben sie gleich!

 

„Jap, gefällt mir“, gab ich ehrlich zu.

Verschränkte meine Arme hinter meinem Kopf, grinste ihn frech an. „Aber bloß, weil es Kiras Körper ist, nicht deiner.“

Warum kann ich nie meine Klappe halten?

Verdammt, verdammt, verdammt!

 

Plötzlich wurde die Stille aggressiv. Reflektierte seinen Gemütszustand.

Während Killer selbst keine Gefühlsregung zeigte, wie versteinert wirkte.

Seine messerscharfe Stimme nahm den Schliff von schwarzem Obsidian an.

 

„Wie würde es dir gefallen, wenn ich diesen Körper zu dem meinigen mache?“

Eine Drohung, die nicht mehr als Androhung erkennbar war. Ein Versprechen. So stark die dunkle Machteinwirkung, die er ausübte.

„Wenn du Kira nie wiedersehen würdest?“, flüsterte er in eisiger Kälte, die mir in Angstschauern den Rücken herunter jagte. In meinem Brustkorb einen Eissturm alarmierte, der mir zig Splitter ins Herz stieß.

Mit jedem seiner Wort tiefer schneidend.

„Preisfrage: Was geschieht, wenn ich meine Schatten wecke?“

 

Killer zog seine Maske aus.

Langsam, gefährlich langsam.

Biss auf etwas;

Ein Candy.

Smile.

 

Zeigte es mir.

Nicht das Biest;

Das Monster.

 

Ich spürte ihn.

Den Alptraum.

 

Hörte ihn.

Den Soziopathen.

 

Fa Fa Fa!!

 

Lernte ihn kennen fürchten.

 

.

.

.

 

...Kamazou...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Bei Interesse: Killers Theme Song
Hat jemand die kleine Death Note-Anspielung gefunden? ^-^
In Andenken an L ♥ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hisoka_Hebi
2021-09-05T07:16:18+00:00 05.09.2021 09:16
Huhu,

Bis jetzt war es das düstere Kapitel, meiner Meinung nach. Du hast alle Charaktere und Situationen wieder wunderbar in Szene gesetzt, sodass ich mir alles bildlich vorstellen konnte. Besonders doffy und seine Art und Weise, dass er so einfach über Pengs Leben bestimmen kann, gibt einen gleich ein Gänsehaut Moment. Gruselig *sich schüttelt*
Armer Peng, bin gespannt wie es weiter geht.
Aus Law werde ich noch nicht schalu, bin gespannt was da noch kommen wird und ob bald wieder ein Sichtwechsel Erfolg.
Die Sicht aus Sachi würde mich interessieren :D
Gruß Hiso
Antwort von:  blackNunSadako
12.09.2021 21:48
Kapitel 5 fandest du von den ersten als mit am düstersten? Wow, das ist mega interessant! Danke fürs Mitteilen. (⺣◡⺣)*♡
Doflamingo ist einer der Charaktere, vor denen ich mit am meisten Respekt habe. Law, Luffy und Kid gehören auch in die Kategorie. Zu den komplexen Chars, die viel Liebe zum Detail benötigen, damit ich sie so wiedergeben kann, wie ich sie mir vorstelle. Meine Ansprüche an mich selbst sind sehr hoch. ^-^'
Das kennst du vielleicht, kannst es vielleicht nachempfinden. Der eigene Perfektionismus kann einem beim Schreiben im Weg stehen, aber auch hilfreich sein, sich zu verbessern und anzuspornen. Alles hat seine Vor- und Nachteile. :)

Law ist ein Mysterium, das soll auch so sein. Erst nach und nach werden alle Geheimnisse aufgedeckt. Ich hoffe, dass sich all deine Fragen mit der Zeit beantworten und du weiterhin Spaß am Lesen haben wirst. ^-^

Shachis Sicht. Ein interessanter Gedanke... bisher war eine solche nicht geplant, aber vielleicht ergibt sich die Möglichkeit für einen Switch zu Shachi. :3
Danke für den lieben Denkanstoß! ♥

Du bist mir eine große Hilfe, Liebes.🌷
Bist so liebenswert und wertvoll.✨
Schön, dass es dich gibt!💐


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