Deine Tränen auf meiner Wange von Stiffy (Meine einzige Freiheit) ================================================================================ Kapitel 2: Dein Lachen hinter meinem Rücken ------------------------------------------- Am nächsten Tag ging es Lucius nicht gut. Er hatte kaum geschlafen und er war nicht bereit, zu essen. Er schob sein Frühstück Xaves hin, doch auch der nahm nur zwei Bissen und blieb mit gesenktem Kopf stehen. Aus den Augenwinkeln musterte Lucius ihn und fragte sich, um an nichts anderes zu denken, wann die Augenringe endlich vergehen würden. „Kannst du reiten?“, fiel es ihm da plötzlich ein. Er war schon seit Tagen nicht mehr hinunter am Stall gewesen; plötzlich merkte er, wie sehr er es vermisste, und dass es ihm gut tun würde. Vielleicht nicht nur ihm… „Mein Herr?“ „Nenn mich nicht so!“, zischte er. „Ich will wissen, ob du reiten kannst.“ Bereits malten sich in Lucius’ Kopf Bilder, wie sie beide die Wiesen entlang sausen würden. Xaves hingegen sah ihn leicht verwundert an, schüttelte dann endlich den Kopf, fast beschämt. „Nein. Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen.“ Lucius seufzte, die Bilder verschwanden sofort. „Hast du Angst vor ihnen?“, fragte er ohne Wertung. „Ich… denke nicht.“ „Dann komm mit!“ Lucius stand sofort auf und zog sich übereilt an. Er ertrug den Moment in dem plötzlich sehr kleinen Zimmer nicht noch viel länger; es verlangte ihn nach einer anderen Luft. Also marschierte er schnell hinaus und Xaves folgte ihm bis in den Stall. Vor einem schwarzen Hengst blieben die beiden stehen. „Das ist Calvaro“, erklärte Lucius hier. „Ich habe ihn, seit seiner Geburt.“ Lucius trat durch das Gatter und als er Calvaro die Hand hinhielt, schnaubte dieser und berührte sie liebevoll mit der Schnauze. „Komm her“, forderte Lucius Xaves auf, der nur sehr zaghaft in die Box trat. Lucius hielt ihm eine Karotte hin. „Die isst er gerne. Gib sie ihm.“ Xaves’ Hand zitterte stark, als er sie dem riesigen, pechschwarzen Tier entgegenhielt, neben dem er noch viel kleiner wirkte als er ohnehin war. Calvaro aber kannte keine Scheu, streckte den Kopf vor und nahm die Karotte entgegen. Vorsichtig, denn er war ein sanftes Tier, und doch so schnell, dass Xaves zusammenzuckte. Lucius grinste. „Keine Angst, er ist ganz lieb.“ Zärtlich streichelte er die Blesse des kauenden Tieres und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das Xaves nicht verstand, schmiegte sich an den starken Hals. „Willst du auch eins haben?“, sprach Lucius plötzlich, ohne dass er selbst darüber nachgedacht hätte. „Was?“ Xaves zuckte zusammen, da er sich wohl in die Betrachtung verloren hatte. „Ein Pferd.“ Der Junge machte große, überraschte Augen; ein Ausdruck, der sein Gesicht derart fremd wirken ließ, dass Lucius spürte, wie er selbst lächelte. Bisher hatte er nur zwei Ausdrücke auf dem Gesicht des Jungen gesehen; Furcht und Trauer. Dieser hier gefiel ihm um ein Vielfaches mehr und er spürte, wie sich ein wenig Anspannung in ihm verlor. „Aber ich… das darf ich doch nicht… ich…“ „Wenn ich es sage!“ Wieder fuhr Lucius über Calvaros Blesse, trat dann an Xaves vorbei und befahl diesem, die Box zu schließen, nachdem sie sie verlassen hatten. Er ging die Boxen ab und blieb schließlich bei einer jungen Stute stehen. Ein weiß-graues Tier mit einer wunderschönen Maserung. „Das ist Filena“, erklärte er. Xaves blieb mit noch immer großen Augen vor der Box stehen; es war deutlich zu sehen, dass er sich nicht sicher war, ob Lucius scherzte. Dies wiederum gefiel Lucius und er deutete mit dem Kopf in Filenas Richtung. „Na komm… geh zu ihr, streichle sie…“ „Aber…“ „Sie gehört jetzt dir, du musst sie kennenlernen.“ „Mir…“, wiederholte Xaves ehrfürchtig und seine unruhigen Hände öffneten das Gatter zaghaft. Lucius lehnte sich gegen eine Wand und beobachtete, wie Xaves in die Box trat. Die Stute beäugte ihn und es war deutlich, dass der Junge sich kaum traute, ihr näher zu kommen. Er schielte zu Lucius hinüber und wagte sich einen weiteren Schritt vor, streckte sogar die Hand dabei aus. Es schien fast, als habe Filena darauf gewartet, denn ihr Kopf stieß der Hand entgegen und ihre warme Schnauze drückte sich gegen die kleinen Finger. Xaves, der zunächst zusammengezuckt war, ließ es geschehen und bewegte sie dann sogar ein wenig. Als er die weiche Blesse hinauf glitt, erschien fast ein Lächeln auf den Lippen. Es war dieser Moment, in dem Lucius glaubte, die Kälte der Nacht endlich abgeschüttelt zu haben. Er grinste, während er der Annäherung zusah, und wusste, dass er eine gute Idee gehabt hatte. Nun musste er nur noch seinen Vater davon überzeugen, dass es okay war, wenn ein Diener sein eigenes Pferd besaß. Tatsächlich sprach Lucius schon beim Mittagessen das Thema an, während Xaves in der Küche aß. Wie erwartete rümpfte auch seine Mutter die Nase, mischte sich aber nicht ein. Der König verstand zunächst nicht, weshalb Xaves nicht immer irgendein verfügbares Pferd nehmen könnte, doch Lucius versicherte ihm immer wieder, dass es besser sei, wenn das Tier sich richtig an ihn gewöhnen könnte. „Ich möchte doch ausreiten“, erklärte er, „und wenn die Tiere dann bockig sind, weil sie ihn noch nicht kennen, geht das nicht.“ „Und welches hast du ausgesucht?“ „Filena.“ Sein Vater knurrte; auch damit hatte Lucius gerechnet. Er wusste, dass Filena aus einer besonders guten Züchtung hervorgegangen war und ein besonderes Pferd war; gutmütig, ruhig und sanft. Nicht zuletzt diese Punkte waren es aber gewesen, weshalb er gerade sie gewählt hatte. „Kann es nicht ein anderes sein?“ „Bitte Vater.“ Lucius setzte mit Absicht einen geübten Blick auf, dem seine Eltern kaum widerstehen konnten. Auch heute gewann er das Spiel genau damit. „Meinetwegen“, knurrte der König und stand auf. „Aber wehe er verdirbt sie mir.“ „Wird er nicht!“, versprach Lucius und triumphierte. Dann schlang er das Essen in sich hinein, bereits mit den Gedanken wieder im Stall; heute Nachmittag würde er Xaves zeigen, wie man in den Sattel stieg. Es zeigte sich sofort, dass es tatsächlich gut gewesen war, gerade Filena auszusuchen. Xaves hatte große Ehrfurcht vor den riesigen Tieren und es war schwer, ihn dazu zu überreden, direkt am ersten Tag auf einen solch hohen Rücken zu steigen. Er stellte sich ein wenig ungeschickt dabei an, riss dem gutmütigen Tier aus Versehen an der Mähne, doch sie schlug nur den Kopf zurück, blieb ansonsten vollkommen ruhig stehen. Als Xaves endlich auf ihr thronte, war ihm anzusehen, dass er einfach nur erleichtert war, sicher am Ziel angekommen zu sein. Hinab kommen war eine andere Etappe. Lucius lächelte noch darüber, als die beiden Jungen bereits zu Bett gegangen waren. Er hatte Spaß an diesem Tag gehabt, das musste er zugeben. Er hatte viel gelacht und Xaves war ein klein wenig gesprächiger geworden, auch wenn der Prinz ihm immer wieder die Worte aus der Nase ziehen musste. Er hatte dennoch Freude daran gehabt, die Stute mit ihrem neuen Herren zu beobachten, während er selbst Calvaro striegelte. Der Sonnenschein über ihnen hatte sein übriges dazu getan; selten hatte Lucius die Wärme als so angenehm wahrgenommen. Auch jetzt spürte Lucius sie noch, doch wurde sie bereits im nächsten Augenblick von einer Kälte ergriffen, welche er den Tag über vergessen hatte. Das Schluchzen, welches er nur zu gut vernahm, ließ ihm das Lächeln von seinen Lippen und die Wärme aus den Gliedern weichen. Es wirkt stärker als an den vorherigen Abenden. Langsam richtete er sich ein wenig auf. In der Dunkelheit konnte er viel zu schlecht etwas erkennen; stattdessen lauschte er auf das wiederkehrende, klägliche Geräusch. Tatsächlich hatte Lucius, seit sie bei den Pferden gestanden hatte, nicht ein Mal mehr daran gedacht, was Xaves in der Nacht zuvor zu ihm gesagt hatte. Er hatte den Gedanken verdrängt, dass Xaves, bevor er zu seinem Geschenk geworden war, Eltern gehabt hatte… ein eigenes Bett und Zuhause; doch nun drängte sich dies in seine Sinne. Xaves war bestimmt kein Diener gewesen, sondern ein normales Kind; doch ehrlich gesagt wusste Lucius nicht einmal, was es bedeutete, ein normales Kind zu sein. Er schluckte und es fiel ihm schwer, den Mund zu öffnen; doch er hatte das Bedürfnis, etwas zu sagen; irgendwas, das dem weinenden Jungen vielleicht gut tun könnte. „War es nicht schön heute?“, fragte er schließlich leise in die Dunkelheit, weil er sich schlecht fühlte, weil ihm noch viel kälter wurde. „Doch.“ Der junge Diener versuchte schon wieder, sein Weinen zu verbergen. „Aber warum… weinst du dann?“ Lucius ertrug es wirklich nicht gut; den Tag über hatte Xaves’ Stimme ihm viel besser gefallen. Es blieb still für wenige Minuten, in denen Lucius sich davor zurück hielt, die Frage drängend erneut zu stellen. Er verkrampfte seine Finger in seiner Decke, die ihn noch immer nicht zu wärmen schien. „Ich vermisse sie“, kam es dann flüsternd. „Von so was wie heute… würde ich ihnen gerne… erzählen…“ Nun fror Lucius richtig; er spürte die Gänsehaut, welche sich über seinen Körper legte. „Mir ist kalt“, erklärte er. Xaves ging nicht darauf ein, schluchzte nun aber weiter, weil er es nicht mehr unterdrücken konnte. „Mir ist kalt!“, sagte Lucius nun also lauter und richtete sich etwas weiter auf. „Soll ich euch… noch eine Deck-“ „Nein!“ Er fuhr ihn forsch an. „Komm her!“, befahl er dann. Er wusste nicht, wie er es sonst hätte sagen können, doch es half. Xaves sprang sofort auf, die Schritte kamen auf ihn zu. Vor dem Bett konnte Lucius das bleiche Gesicht erkennen; es glänzte vor Tränen. „Ja Herr?“, sprach die von Trauer gezeichnete Stimme. Lucius rümpfte die Nase aufgrund der Ansprache, sagte aber dieses Mal nichts dazu, sondern streckte die Hand aus und merkte, dass er selbst leicht zitterte. Er fand damit Xaves’ Arm und zog ihn zu sich. „Du bist warm“, erklärte er und er hob die Decke an. Er spürte sofort, wie Xaves’ Körper sich verzog. Der Kopf zuckte suchend herum, der Junge schien zu überlegen und etwas sagen zu wollen. Doch dann, ohne dass er einen einzigen Ton von sich gegeben hatte, senkte sich die Matratze und er krabbelte zu ihm heran. Kaum lag der Junge, da schlang Lucius auch schon seine Arme um den schmalen, bebenden Körper. Er war gar nicht wirklich warm, eigentlich war er ebenso von einer Gänsehaut überzogen wie Lucius selbst. Doch darüber dachte der Prinz nicht nach. Er verbarg seine Nase in den blonden Haaren und hielt den Körper fest. Er wusste nicht einmal, wieso er dies eigentlich tat oder was ihn dazu gebracht hatte. Das Zittern ließ langsam nach, dafür fing Xaves wieder das Weinen an. Lucius fühlte sich hilflos, da er nicht wusste, was er noch tun könnte. Plötzlich war das Schluchzen unerträglich laut in seinen Ohren. Schwach erinnerte er sich daran, was Liz getan hatte, wenn er als kleiner Junge geweint hatte. Also versuchte er es nun genauso und streichelte das Haar des Jungen, doch auch das brachte keine Linderung. Mehr wusste er nicht zu tun und so suchte er nach Worten, nach irgendetwas, das er vielleicht sagen könnte. Er konnte das Gefühl, welches Xaves haben musste, nicht wirklich nachvollziehen, aber er versuchte sich irgendwie in die Richtung zu bewegen. „Sie sehen dich“, fiel es ihm dann mit einem Mal ein und sofort erschien es ihm, dass es passen, gar stimmen könnte. „Sie können dich sehen und wissen, dass du heute ein Pferd bekommen hast.“ Er glitt etwas hinab, so dass ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren. Er erkannte Xaves zwar als solchen, nicht aber den Ausdruck seiner Züge. „Verstehst du?“, flüsterte er. „Sie sehen, wenn du lachst und wenn du weinst… und wahrscheinlich gefällt es ihnen besser, wenn du mehr fröhlich als traurig bist.“ Nach einer Weile nickte Xaves, wenn auch ganz zaghaft, was Lucius nur spürte, weil seine Hand noch immer in den blonden Haaren lag. „Morgen…“, kam es mit zitternder Stimme. „Gehen wir morgen wieder… zu ihr?“ „Ja.“ Lucius merkte, dass er selbst lächelte und dann zog er Xaves wieder an sich. Mittlerweile waren ihre beiden Körper wärmer geworden, hatten sich einander angepasst. Er schmiegte sein Gesicht gegen das des Jungen und spürte die Nässe. Er flüsterte: „Ab morgen bringe ich dir das Reiten bei.“ ~ * ~ Nachdem die beiden Jungen irgendwann Ruhe und Schlaf gefunden hatten, umgeben von wirren Träumen, aber auch von einer bisher unbekannten Wärme, brach der Morgen viel zu schnell über sie herein. Wohl um Xaves nicht zu lange ins Gesicht blicken zu müssen, sprang Lucius sofort aus dem Bett, als sie beide erwacht waren. Er holte seine Reitkleidung aus dem Schrank und warf auch Xaves welche hin. Er selbst war aus dieser bereits herausgewachsen; Xaves schien sie zu passen und der Junge fühlte sich darin, als habe er eine der edelsten Roben angelegt. Einen vergleichbar weichen Stoff hatte er noch nie auf der Haut getragen. Das Frühstück, welches Liz brachte, teilte Lucius aufgeregt mit Xaves, um ihn schnell zum Aufbruch zu treiben. Die Treppen hinab rennend, kamen sie an einer Reihe Bediensteter vorbei, welche die beiden Jungen mit großen Augen musterten. Selten hatten sie ihren Prinzen derartig munter erlebt. Erst als die beiden im Stall angekommen waren, keuchend und doch lachend, warf Lucius einen Blick auf den blonden Jungen. Und er verstand sofort, weshalb alle, eingeschlossen Liz, so merkwürdig geschaut hatten. Die silbernen Knöpfe an der samtblauen Jacke glänzten mit den Augen um die Wette; die dunkle Lederhose wirkte, als sei sie extra für diese Beine geschneidert worden; das blonde Haar wellte sich auf die verzierten Schultern hinab. Xaves sah wahrhaftig nicht wie ein Diener aus; für einen Moment hätte er als Lucius’ Bruder durchgehen können. Lucius musste grinsen, als er dies dachte, doch gleichfalls verwirrte der Gedanke ihn auch, also deutete er schnell auf Filenas Box. „Zuerst musst du sie striegeln“, erklärte er und trat einen Schritt näher. „Normalerweise machen das die Diener, aber sie wird sich besser an dich gewöhnen, wenn du es selbst machst.“ Er drückte Xaves eine Bürste in die Hand und schob den Jungen vorwärts. Selbst blieb er an der Boxentür stehen, während Xaves zögernd den Abstand überwand und die Bürste auf das Fell setzte. Filena ließ es gerne mit sich geschehen, sie schnaubte fast genießerisch und gegen Ende schubste sie Xaves mit ihrer Schnauze nieder. Doch dieser lachte darüber, stand wieder auf und liebkoste die Blesse des Tieres. Lucius konnte die Augen nicht von ihnen nehmen. Gemeinsam misteten die beiden Jungen die Boxen von Filena und Calvaro aus, nachdem sie die Tiere auf die Koppel geführt hatten. Schweigend taten sie diese Arbeit, eine der wenigen, welche Lucius auch sonst ab und an ohne dienliche Hilfe tat. Er mochte es, sich um Calvaro zu kümmern; der schwarze Hengst hing an ihm und das wollte er nicht hergeben, indem er ihn zu oft der Obhut anderer überließ. Außerdem, so zu zweit, machte die Arbeit fast Spaß. Das schien auch Xaves so zu empfinden, zumindest wirkte es so, denn er trug nicht seinen üblichen Ausdruck auf dem Gesicht, sondern war konzentriert mit dem Stroh am Gange. Gleichzeitig wurde Lucius auch klar, dass er ja eigentlich gar nicht wusste, was Xaves’ üblicher Gesichtsausdruck war, und er beschloss, noch viele mehr herauszufinden. Er hatte keine Lust darauf, die roten Augen und die Furcht zu Gesicht zu bekommen. Nachdem sie mit den Boxen fertig waren, gab es Mittagessen. Schweigend trennten sie sich an der Küche und Lucius begab sich zu seinen Eltern. Diesen wollte er von seinem gestrigen Tag erzählen, davon, dass Filena Xaves bereits zu akzeptieren schien, doch das Königspaar wollte nichts davon hören, sondern ging eigenen Gesprächen nach. Also schlang Lucius sein Essen herunter und sprang vom Stuhl, sobald er den letzten Bissen zu sich genommen hatte. Flink war er bei der Küche angekommen und zum ersten Mal, seit er denken konnte, betrat er diese. Zunächst bemerkte niemand den Prinzen, dieser hingegen sah sofort ein ganz spezielles Lachen. Xaves’ Gesicht trug es; seine Lippen waren fröhlich verzogen und seine Augen glänzten vor Freude, strahlten gar. Mit dieser Erkenntnis und einem komischen Magendrücken machte der Prinz einen Schritt nach vorne und stieß dabei unabsichtlich gegen einen Topf. Sogleich zog er damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Augenblicklich wurde es still und die Bediensteten, welche mit ihren Schüsseln auf dem Schoß um einen winzigen Tisch verteilt saßen, sahen ihn erschrocken an. Xaves saß mitten unter ihnen und selbst sein Gesicht zeigte nun Spuren des Schrecks; keine Spur der vorherigen Freude war geblieben. Liz war die erste, die sich fing und aufsprang, den Prinzen fragte, ob er etwas benötigte, suchte, brauchte. Er aber schüttelte bloß den Kopf und konnte seine Augen nicht von Xaves nehmen. Es schmerzte ihn, ohne dass er dies hätte benennen können, dass er dies Lachen zuvor noch nicht gesehen hatte. Dass er ja eigentlich noch keine zehn Tage mit dem Jungen verbracht hatte, schien ihm dabei unwichtig. „Bist du fertig?“, fragte er also den Blonden, obwohl er genau sah, dass in dessen Schüssel noch Reste waren. Doch sein Diener reagierte sofort, sprang auf und stellte die Schüssel weg. Lucius drehte sich um und verließ die Küche so schnell, wie er sie betreten hatte. „Mein Herr!“ Xaves folgte ihm flink. „Seid ihr wütend auf mich?“ „Nein.“ Lucius marschierte weiter, ohne ihn anzusehen. „Aber ihr-“ „Nein, hab ich gesagt!“ Er fauchte und der Junge neben ihm zuckte zusammen. Schweigend begaben sie sich zu den Ställen. Wut war nicht das richtige Wort… aber welches dann? Filena und Calvaro schienen die Stimmung, in der die beiden Jungen sich befanden, zu spüren. Sie bockten, als sie zurück in die Boxen geführt werden sollten; Filena war unruhiger als am Vortag, als Xaves versuchte, aufzusteigen. Also brach Lucius die Versuche ab und beschloss, dass sie aufhören sollten, da er selbst keine Lust mehr auf Reiten hatte. Sie gingen zurück in die Residenz ohne einander anzusehen. Ohnehin trafen ihre Blicke sich den gesamten Nachmittag über nicht ein einziges Mal. Die ein oder andere Sache ließ der Prinz seinen Diener machen oder bringen, doch die beiden beäugten sich bei alle dem nur sehr spärlich und kühl, nur von der Seite und verstohlen. Das war noch nicht mal Lucius’ Absicht, doch er konnte nicht darum herum, immer wieder an dem Moment zu denken, in dem er die Küche noch unbemerkt durchschritten hatte. Sie hatten gelacht; Xaves hatte gelacht, und was hatte er nun schon wieder für einen Ausdruck auf dem Gesicht? Furchtsam mit roten Augen. Das gefiel dem jungen Prinzen ganz und gar nicht. Doch er fand auch keine Worte, mit denen er dem Gefühl in seinem Inneren einen Namen hätte geben können. Die Stimmung hielt an, bis sie ins Bett gingen; selbst während er badete, befahl Lucius Xaves nicht, für ihn zu singen, sondern er starrte mürrisch auf die Schaumberge. Unter der Decke nun fror er fürchterlich und lauschte dabei in die Dunkelheit, versuchte auszumachen, ob er ein Schluchzen hörte. Da war keines in dieser Nacht und das gefiel ihm ebenso wenig. Er wusste nicht wieso, aber er hätte es gerne als Vorwand genommen, um mit Xaves zu reden. So aber lag er nun wach und fand keinen Schlaf. Stattdessen fragte er sich, was eigentlich mit ihm los war; er hatte bisher so wenig mit Jungen in seinem eigenen Alter zu tun gehabt, er wusste nicht viel darüber, wie man mit ihnen umging oder mit ihnen redete. Vielleicht lag es daran, dass er Xaves so genau beobachtete, bei allem was dieser tat. Vielleicht wollte er sehen, was andere Jungen in seinem Alter taten. Dass sie lachten, wie Xaves es getan hatte, das kam ihm fremd vor. Und ihm wurde klar, irgendwann, viel, viel später in dieser Nacht, dass er selbst vielleicht noch nie derartig gelacht hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)