KiraNatural von KiraNear ================================================================================ Kapitel 5: Nichts als Ausreden und Lügen ---------------------------------------- Stille, leise Rockmusik, die Fahrgeräusche des Impalas und meine eigenen Gedanken, das war alles, was ich in den letzten Stunden zu hören bekommen hatte. Und es würde sich vermutlich in der nahen Zukunft auch nicht mehr ändern. Mittlerweile war viel Zeit vergangen und außerhalb unseres Autos wurde es immer dunkler. Weder Sam noch Dean hatten etwas von einer Übernachtung erwähnt, nicht gesagt, dass wir ins nächstbeste Motel oder überhaupt zu irgendeiner Absteige fahren würden. Andy hatte ebenfalls nichts dazu gesagt und da ich eher nur zufälliger Ballast war, hielt es nicht für richtig, nach derartigen Dingen zu fragen. Vermutlich würden wir dann auf irgendeinem menschenleeren Parkplatz oder in irgendeinem Wald übernachten. Irgendwo abseits, wo uns niemand so schnell finden würde, egal ob geplant oder zufällig. Langsam begann ich auch, mich ein wenig zu langweilen und wünschte mir, ich hätte irgendwas zu lesen. Oder etwas anderes, mit dem ich mich hätte beschäftigen können. Doch das war leider nicht gegeben, nur mich und meine Gedanken. Nur gingen diese langsam nicht mehr nur im Kreis, sondern in mehreren Kreisverkehren und das war mir dann doch zu öde. Zwar hatte ich versucht mir zu überlegen, welche Dämonen hinter Andy her sein könnten, doch auch auf diese Frage hatte ich keine Antwort gefunden. Es könnte ein Dämon sein, den ich kenne, aber auch ein unbekannter. Und ich kannte auch das Motiv nicht. Die größte Wahrscheinlichkeit, die ich für den Augenblick sah, dass Andy einen Deal mit einem Kreuzungsdämonen gemacht hatte und dieser nun Andys Seele weit vor dem eigentlichen Ablaufdatum in zehn Jahren holen wollte. Oder war der Deal bereits zehn Jahre alt? Innerlich seufzte ich. Überlegungen konnte ich zig anstellen, doch ohne weitere Infos blieben es am Ende nur Vermutungen, die mich nicht weiterbrachten. Daher beschloss ich, mich anderen Gedanken zu widmen, die ich in meinem Kopf noch nicht durchgekaut hatte. Doch ich kam nicht dazu, mich gedanklich in ein anderes Thema durchzukämpfen, da Sam sich wieder zu uns umdrehte. Als er sprach, sah er abwechselnd mich und Andy an. „Hey, hört mal, das hier ist ja alles gerade sehr spontan und wir wollen wirklich so schnell wie möglich bei Ellen ankommen… einfach, damit euch beiden auch so schnell wie möglich geholfen werden kann“, fügte Sam noch hastig hinzu, damit ich ja nicht auf die Idee kommen würde, Fragen zu stellen. Fragen, die Sam nur mit weiteren Lügen hätte beantworten können. „Was das nun konkret bedeutet, ist, dass wir die Nacht über durchfahren werden. Keine Angst, wir haben das schon öfters gemacht, Dean und ich werden uns dabei abwechseln, es wird also keiner übermüdet fahren und einen Unfall bauen“, versuchte Sam mich sofort zu beruhigen. Dabei wusste ich gar nicht, was ich dazu fühlen sollte. Mir kamen schon die acht Stunden, die mein Freund und ich nach Köln oder Leipzig fuhren, wie eine Ewigkeit vor. Jetzt waren wir schon seit Stunden in dem Impala unterwegs und jetzt wollten die Jungs auch noch die komplette Nacht hindurchfahren? Ich war mir bewusst, dass die Entfernungen hier in den USA viel größer waren als die bei uns in Europa. Auch, dass die Amis offener dafür waren, große Entfernungen hinter sich zu bringen, da es für sie einfach normaler war. Es fühlte sich für sie natürlicher an. Während wir schon jammerten, wenn etwas 100 Kilometer weit weg war. Mir taten die beiden Jungs leid. „Du und Andy, ihr müsst übrigens nicht die ganze Zeit über wach bleiben, ihr könnt ruhig schlafen. Dean oder ich, je nachdem, wer gerade am Fahren sein wird, wird vermutlich nicht so viel reden, um den Rest von uns nicht zu wecken, daher wird es vermutlich ziemlich öde sein. Und auch anstrengend, ich denke nicht, dass ihr beiden solch lange Fahrten gewohnt seid. Der Impala ist zwar kein Bett, aber ihr könnt mir ruhig glauben, wenn ich sage, dass wir in so manchem Motel viel unbequemer gelegen haben.“ Dean nickte nur ein wenig mit dem Kopf, und wenn ich mir so vorstellte, wie günstig und schäbig so manche Unterkunft von ihnen gewesen war, glaube ich es ihnen auch. Für einen kurzen Moment musste ich an die kleine, schäbige Absteige denken, in der mein Freund und ich vor mehreren Jahren übernächtigt hatten und musste sofort ebenfalls mit dem Kopf schütteln. „Ach, das macht nichts. Ich denke, ich kann es mir hier gemütlich machen. Ich habe es auch mehrmals hinbekommen, dass ich im… Bus eingeschlafen bin“, sagte ich und hoffte, dass Sam meine kurze Gesprächspause nicht weiter auffiel. Fast hätte ich erwähnt, dass ich oft im Zug eingeschlafen wäre, bis mir einfiel, dass Züge in den USA größtenteils nur für den Transport von Waren existierte. Extrem lange Transportzüge, dank denen man schon fast zehn Minuten an einem Bahnübergang warten durfte, bis er einmal komplett an einem vorbeigefahren war. Busse waren hier stärker verbreitet und da ich auch schon in Reisebussen geschlafen hatte, war es keine Lüge. Nur nicht das, was ich zuerst im Sinn hatte. „Und mir würde es auch nichts ausmachen, ich habe auch schon mal unbequemer geschlafen. Alles gut“, sagte Andy und ich war froh, dass er nun einen Teil von Sams Aufmerksamkeit auf sich zog. Dieser lächelte uns an, wohl erleichtert, dass wir ihm das mit der Nachtfahrt nicht übelnahmen. Immerhin hatten sie wohl keine andere Wahl, ich war mir sicher, wenn sie diese hätten, hätten sie ein Bett ebenfalls vorgezogen. „Achja, Dean und ich haben auch noch beschlossen, dass wir natürlich nachher nicht mit leerem Magen schlafen sollten“, fügte Sam noch schnell hinzu. Gut, daran hatte ich im Augenblick nicht gedacht, aber er hat schon recht. Spätestens, wenn mir mein Magen in den Kniekehlen gehangen wäre, hätte ich wieder ans Essen gedacht. „Was zum Trinken werden wir aber auch brauchen, es ist ewig her, dass mir was Kühles die Kehle hinuntergerutscht ist“, konnte ich Dean reden hören. Sam warf sofort einen strengen Blick zu seinem Bruder hinüber. „Kein Alkohol heute, du weißt genau warum. Wir müssen uns mit dem Fahren abwechseln und da brauche ich dich nüchtern“, sagte er genauso streng, wie er aussah, was Dean mit einer seltsamen Wischbewegung seiner rechten Hand beantwortete. „Ich weiß, ich weiß, ich dachte auch eher an ein kaltes Cola“, sagte er grummelnd und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er eigentlich an Bier gedacht hatte. Aber Sam hatte recht, Alkohol wäre derzeit keine gute Idee. Die Gefahr, dass Dean betrunken fahren müsste oder so tief schlafen würde, dass Sam die ganze Zeit über das Autofahren müsste, war einfach zu groß. „Gut, dann ist es ja geklärt. Wir fahren einfach zu dem nächstbesten Drive-In und lassen uns dort etwas zu essen geben.“ Dabei sah er wieder zu uns hinüber. „Habt ihr irgendwelche Wünsche? Alles werden wir nicht erfüllen können, aber wenn, dann möchten wir versuchen, dem Wunsch nachzukommen. Normalerweise ist Fast Food nicht mein Ding, aber in der Not isst der Teufel auch Fliegen, nicht wahr?“ Irgendwie kam es mir merkwürdig vor, dass ausgerechnet Sam diesen Vergleich machte, aber er ließ sich nichts anmerken. Gleichzeitig sah ich zu Andy, welcher meinen Blick erwiderte. Dann schüttelte dieser mit dem Kopf. „Ich habe keinen besonderen Wunsch, ich will mir einfach nur was Kleines reinschieben, damit mein Magen wenigstens in der Hinsicht ein bisschen Ruhe gibt“, sagte er und gab damit mir das Blatt weiter. Energisch begann ich zu überlegen. Da ich schon lange nicht mehr in den USA unterwegs war, wollte ich unbedingt eine Kette nehmen, die es bei uns in Deutschland nicht gab. McDonald‘s und Burger King würden damit wegfallen. Gleichzeitig wollte ich auch etwas nehmen, wo es eine gesunder Alternative für Sam geben würde, damit er sich nicht in die gleiche Fast Food Hölle wie sein Bruder stürzen musste. Sofort musste ich an Taco Bell denken, doch der Gedanke, nicht an einem Tisch, sondern im Auto sitzend Nachos mit Käse zu essen, verschob die erste Idee wieder. Dann nannte ich einfach die zweite Idee, die mir in den Sinn kam. „Öhm, ich war schon lange nicht mehr bei Wendy’s, die haben eigentlich auch immer gutes Zeugs, also wenn ihr zu einem kommen würdet, das wäre cool. Also, wenn einer auf dem Weg liegen sollte“, fügte ich noch schnell hinzu. Deans Reaktion konnte ich dank des Rückspiegels nur so semi sehen, Sam dagegen war total in meiner Sichtweite. Und er schien mit der Idee einverstanden zu sein. „Wendy’s also…“, sagte er, als würde er bereits geistig das Menü der Kette durchgehen. „Soweit ich weiß, haben die bei Wendy’s auch den einen oder anderen Salat. Früher hatte ich hier und da mal einen, wenn Dean mich mal wieder zum Essen eingeladen hat“, sagte Sam und ich konnte seine Erleichterung quasi heraushören. „Gut, dann fahren wir zum nächstbesten Wendy’s und versorgen uns dort mit Essen und Trinken. Ihr müsst euch übrigens nicht zurückhalten, wir haben eine lange Nacht vor uns und werden jede Energiequelle brauchen, die wir bekommen können. Also wenn ihr Hunger habt, schlagt ruhig ordentlich zu.“ Ich, die gedanklich bereits überlegte, was sie sich alles bestellen könnte, aber so gut wie keine Erinnerung mehr an das Menu hatte, nickte eifrig. „Danke, das werde ich machen“, sagte ich zu Sam zurück, Andy murmelte nur etwas Unverständliches. Doch Sam war es wohl Antwort genug. So drehte er sich um und begann, sich ein wenig umzusehen, nach einer Filiale oder einem Schild, das uns zu einer Filiale führen würde. Damit war es wohl beschlossene Sache, was unser kurzer Versorgungsstopp sein würde.   Und er wurde auch recht schnell fündig, wie auch Dean selbst. Rasch folgte er den Schildern am Straßenrand, die den Weg zur nächstbesten Filiale zeigten und so hatten wir das Wendy’s recht schnell erreichen können. Neben einem großen Aufsteller, auf welchem man das gesamte Sortiment der Fastfoodkette sehen konnte, blieb Dean stehen. „Wir werden gleich durch den Drive-thru fahren, sucht euch am besten also hier aus, was ihr alles essen möchtet. Keine falsche Bescheidenheit, ihr könnt nehmen, was ihr möchtet“, sagte Sam, kaum, dass er sich zu uns umgedreht hatte. Andy und ich nickten ihm nur zu. Kaum hatten wir unsere Auswahl getroffen (wobei Sam und Andy dabei meine Hilfe brauchten, da sie nur die Hälfte der Karte hatten sehen können), fuhr Dean mit raschen Lenkbewegungen zu der kleinen Stelle, an welcher der Mitarbeiter unsere Bestellung aufnehmen würde. „Guten Tag bei Wendy’s, was möchten Sie bestellen?“, konnte ich es blechern aus dem kleinen Lautsprecher hören. Dass man noch heute auf diese vorsintflutartigen Dinger baute, bei denen sich beide Seiten nur schwer verstehen konnten, würde ich nie verstehen. Doch gleichzeitig konnte ich mir vorstellen, warum die Brüder lieber im Auto bleiben wollten. Es ging schneller und wir müssten dazu nicht aussteigen. Es war schnell und effizient. „Ja, hey, einmal einen Avocado Veggie Salat“, fing Dean mit der Bestellung an und ich konnte sein amüsiertes Augenrollen geradezu heraushören. Sam offenbar auch, denn er warf Dean einen kurzen, giftigen Blick zu, behielt aber jeglichen Kommentar für sich. „Dann noch einen Avocado Chicken Club, einen Baconator, nein, mach aus den Baconator lieber drei, eine Dave’s Triple Combo und 20 Chicken Nuggets. Ja, alles mit vier Cola und Eis“, gab Dean den Rest unserer Wünsche auf. Zu unserem Glück befand sich neben der kleinen Sprechbox ein Bildschirm und soweit ich es erkennen konnte, hatte der Mitarbeiter jeden einzelnen Punkt auf unserer Bestellliste richtig verstanden und aufgefasst. Doch als der Mitarbeiter dann schließlich den Preis mitteilte, den Dean nun zahlen musste, kam die Antwort so undeutlich, dass ich den Preis nur erraten konnte. „Fahren Sie vor zu Fenster Nummer Eins“, war das Einzige, was ich noch verstehen konnte, bevor Dean sein Fenster wieder schloss und zu dem erwähnten Punkt weiterfuhr. Wieder warf Sam einen Blick zu seinem Bruder herüber und dieses Mal war es wohl um seine Zurückhaltung geschehen. „Habe ich das richtig verstanden? Hast du dir gerade selbst zwei von diesen Bacon Burgern und noch ein Menü bestellt? Dean, ich weiß, du liebst Fast Food, aber ist das nicht ein bisschen zu viel?“ Dean erwiderte den Blick und sah nun zu seiner rechten Seite, doch wie sein Gesichtsausdruck aussah, konnte ich nur erahnen. Vermutlich grinste er ein wenig. „Ja, lass mich doch. Immer noch besser als das Kaninchenfutter, dass du dir bestellt hast. Denk daran, ich werde die meiste Zeit fahren, ich brauche also jede Energie, die ich brauchen kann. In Bacon steckt sehr viel Energie, das müsstest du wissen“, sagte Dean und drehte seinen Kopf wieder weg, so, als wäre damit alles bereits gesagt worden. Sam dagegen schüttelte den Kopf. Wir warteten etwa zehn Minuten, genau konnte ich es nicht sagen, bis schließlich das kleine Fenster geöffnet wurde und ein Mitarbeiter die ersten Tüten herausreichte. Dean gab ihm dafür seine Kreditkarte und nach wenigen Minuten waren wir bereits wieder auf der Straße, unterwegs zu einem Ziel, das ich als Einzige nicht kannte. Oder zumindest nicht genau wusste, wo sich dieses befand. Zumindest hatte es mich bisher noch nie wirklich interessiert, in welchem Bundesstaat Ellens Bar genau stand. Nachdem Sam mir meinen Baconator und Andy seinen Avocado Chicken Club zusammen mit zwei Getränkebechern gereicht hatte, aß er zufrieden seinen Salat. Dean dagegen grub seine Zähne in den ersten Baconator, den Sam ihm gegeben hatte. Sofort konnten wir zufriedene Geräusche von unserem Fahrer hören. Doch auch mir schmeckte die Kombination aus Hamburger und Bacon ziemlich gut. Während sich jeder auf sein eigenes Essen konzentrierte und seinen eigenen Gedanken nachging, sah ich wieder aus dem Fenster. Doch auch die Gegend, die ich sah, sagte mir nichts. Langsam verließen wir den Ort, den wir durchfahren hatten und es wurde etwas ländlicher. Ländlich, so wie ich die USA bereits kannte. Hier und da ein paar Wälder, die ich sehen konnte und ein paar Pferde, die in einem abgezäunten Bereich ihre Beine ausstrecken konnten. Doch neben irgendwelchen Leitungen, Telefon oder Strom, gab es nicht viel zu sehen. Das größte Highlight waren die einzelnen Häuser von Menschen, die es vorzogen, zum Einkaufen lieber eine Dreiviertelstunde zu fahren, als mal eben zum Supermarkt um die Ecke zu laufen.   Es verging ein wenig Zeit, die Landschaft zog an uns vorbei und irgendwann hatten wir unser Mahl beendet. Während Sam seinen Bruder weiterhin mit Essen versorgte, nicht ohne dabei auf seine wertenden Blicke zu verzichten, waren Andy und ich auf uns alleine gestellt. Die benutzten Tüten und Packungen hatten wir zusammengetan und als kleinen Müllhaufen zwischen uns abgelegt. Jetzt war ich zwar wohlgenährt und glücklich, aber gleichzeitig auch wieder ohne irgendeine Beschäftigung, die mich hätte ablenken können. Lange musste ich mich aber nicht langweilen, denn während ich versuchte einen Gedanken zu finden, den ich nicht schon bereits im Laufe des Tages zerdacht hatte, spürte ich ein Tippen auf meiner Schulter. Ich sah zu Andy herüber und er lächelte mich an. Es war ein aufrichtiges, kein aufgesetztes, verriet mir mein Gefühl. „Na, hat dir dein Burger geschmeckt?“, fragte er mich, während ich ihn mir näher ansah. Zwar sah er immer noch fertig aus, aber er hatte wieder mehr Farbe im Gesicht als noch vorhin. Und er machte auf mich den Eindruck, als würde er seinen Burger unten behalten können. „Danke, ja, er war sehr lecker. Ich war schon lange nicht mehr bei Wendy’s essen und ich konnte mich auch nicht mehr so genau an den Geschmack erinnern. Aber mein Burger war richtig lecker. Deiner auch?“, fragte ich ihn und er nickte zufrieden als Antwort. „Ja, meiner war auch richtig gut. Um ehrlich zu sein, ich habe noch nie dort gegessen, mich zieht es eher zu Burger King“, sagte er halblaut zu mir, als müsste er sich für seine Wahl des Fast Food Restaurants bei mir rechtfertigen. Was er eigentlich nicht müsste und ich kommentierte das auch nicht in irgendeiner Form. Stattdessen sagte ich ihm: „Ja, ich gehe auch hin und wieder zu Burger King. Oder zum McDonald‘s. Je nachdem, welches Spielzeug es derzeit im Happy Meal gibt“, sagte ich und konnte Andy damit kurz ein Grinsen entlocken. „Du weißt, dass es bei Burger King keine Happy Meals gibt, oder?“, sagte er leicht amüsiert, woraufhin ich nun ebenfalls zu grinsen anfing. „Ich weiß, ich weiß, aber ich kann mir nie merken, wie es bei Burger King heißt. Bei mir ist das alles einfach ein Happy Meal.“ Andy konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Bei Burger King heißt es King Jr. Meal, was du meinst“, klärte Andy mich auch und es war in meinen Augen eine liebe Geste, aber auch eine sinnlose. Denn ich wusste, spätestens in einer Stunde hatte ich den Namen wieder vergessen. Es entstand eine kurze Pause, eine kleine, die es uns beiden erlaubte, unsere Gedanken zu sammeln und uns ein neues Gesprächsthema zu überlegen. Doch während ich noch damit beschäftigt war zu überlegen, ob und worüber wir als nächstes reden könnten, war Andy erneut schneller als ich. „Weißt du, besonders als Teenager bin ich oft zu Burger King gegangen, das war immer ein beliebter Treffpunkt von mir und meinen Freunden damals“, begann Andy zu erzählen und ich sah zu ihm herüber. Zum einen, um ihm zu zeigen, dass ich aufmerksam zuhörte und zum anderen, weil es mich wirklich interessierte, was er mir sagen wollte. „Danach ist es weniger geworden, weil unsere Gruppe auseinandergebrochen ist. Teenagerdrama, du verstehst“, sagte er und ich nickte stumm, dabei verstand ich überhaupt nicht, was er damit meinte. Doch ich wollte ihn jetzt nicht durch eine dumme Frage unterbrechen. „Weißt du, ich hatte dann auch irgendwann die Nase voll von dem Drama und bin dann umgezogen. Habe mir einen Job gesucht, ging meinen Hobbys nach und habe mir hier und da ein bisschen angespart. Das übliche halt, verstehst du? Normales 08/15 Leben eben, nichts besonders Aufregendes. Naja, ich wollte aber mal wieder was anderes sehen und habe dann vor kurzem beschlossen, ein weiteres Mal umzuziehen, vielleicht in eine wärmere Gegend, ich hab‘s nicht so mit der Kälte, musst du wissen.“ Wieder nickte ich ihm zu. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie viel von dem, was er mir da erzählt hatte, wahr war und was nur ein Produkt seiner Fantasie, aber das war mir für den Moment auch eigentlich egal. Er war offen zu mir und das war alles, was zählte. Dass weder er noch ich noch überhaupt hier jemand ehrlich sein würde, was die persönliche Biografie anging, war mir schon die ganze Zeit über bewusst. Ihn also für etwas verurteilen, was ich genauso machen würde, käme mir falsch vor. Dennoch brachte es mich zum Nachdenken. Vermutlich kennt er die beiden Brüder noch nicht so lange…. Immerhin meinte er, er hätte das mit dem Umzug vor kurzem beschlossen. Was, wenn es kein Umzug war und er eigentlich meinte, er hätte vor kurzem mit der Flucht beginnen müssen? Würde jedenfalls mehr Sinn ergeben… wow, wenn ich die Umstände hier nicht besser kennen würde, hätte ich es ihm viel eher abgenommen. Aber ich sollte mir nichts anmerken lassen. Besser wäre es. So beschloss ich zu tun, als würde ich ihm jedes Wort abkaufen und nickte nur hier und da, als er weitererzählte. „So bin ich auch auf die Jungs aufmerksam geworden, als ich nach Hilfe für Umzugshelfer gesucht habe. Denn ich hatte nicht viele Leute, die mir hätten helfen können und die beiden wollten nur einen Kasten Bier und ein bisschen Essen haben. Naja, es wäre zumindest alles glatt gelaufen, wenn diese eine blöde Sache nicht passiert wäre. In die ich dich auch noch verstrickt habe, was mir wirklich leidtut“, sagte er und das war das Einzige aus seiner Erzählung, das ich ihm sofort glaubte. Immerhin war ich in seinen Augen eine normale, junge Frau, die die dunkle Seiten der Welt nicht kannte. Nicht wusste, dass es sämtliche Monster wirklich gab. Dass es in Wirklichkeit ganz anders aussah, konnte er ja nicht ahnen. „Das kann ich mir vorstellen, dass du um jede Hilfe dankbar bist. Ich bin auch vor ein paar Jahren umgezogen und konnte auch jede helfende Hand gebrauchen, die ich bekommen konnte“, sagte ich und begann ein paar kleine, oberflächliche Einzelheiten von meinem letzten Umzug zu erzählen. Unverfängliche Dinge, mit denen er nichts hätte anfangen können. Und obwohl sie mehr oder weniger der Wahrheit entsprachen, konnte ich mir vorstellen, dass Andy meinen Worten genauso wenig Glauben schenkte, wie ich es zuvor mit den seinen getan hatte. Doch auch er versuchte sich dies so gut es ging nicht anzumerken und hörte nur geduldig zu. Schließlich wechselten wir immer mal wieder das Thema, bis wir zum Reden viel zu müde waren. „Lass uns ein bisschen schlafen, denke mal, das würde uns ganz guttun, immerhin haben wir einen langen Tag vor uns“, sagte Andy und streckte sich, soweit er es jedenfalls konnte. Müde rieb ich mir den Schlaf aus den Augen. „Ja, das ist eine gute Idee“, sagte ich und wünschte Andy eine gute Nacht. Der erwiderte es und so drehte ich mich wieder von ihm weg. Zwar hatte ich keinen Rucksack, den ich an mich kuscheln konnte, allerdings eine Plastiktasche mit all meinem derzeitigen Hab und Gut darin. Welche sich dummerweise im Kofferraum des Impala befand. Kurz über diesen Fehler schnaubend lehnte ich mich im Sitz zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte an nichts zu denken. Der Müdigkeit sei Dank war ich dann doch schneller eingeschlafen, als ich es überhaupt aktiv mitbekam.   Offenbar hatte mein Körper den Schlaf gebraucht und ihn sich auch genommen, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war draußen bereits der Morgen angebrochen. Irgendwo zog sich die Sonne über den Erdenrand und ich konnte einzelne Vögel sehen, die bereits auf der Suche nach dem sprichwörtlichen Wurm waren. Irritiert, da ich mich erst noch in der Welt zurechtfinden musste, blickte ich mich im Auto umher. Offenbar hatten irgendwann, nachdem ich eingeschlafen war, die Brüder ihre Positionen miteinander getauscht, denn jetzt war es Sam, der sich am Steuer des Impala befand. Auch konnte ich sehen, wie Dean sich regte und seine Augen rieb, bevor er einen herzhaften Gähner von sich gab. „Heb dir die Hand vor dem Mund, ich kann deine letzten Mahlzeiten noch sehen“, mahnte Sam ihn, ohne seinen Blick von der Straße zu nehmen. Doch Dean schien noch nicht richtig wach zu sein, denn er murmelte nur ein kurzes, müdes „Ja ja, Mama“ vor sich hin. Anscheinend war die Fahrablösung noch nicht so lange her. Vermutlich hatte Sam seinen Bruder mehrere Stunden lang bedrängt, bis Dean sich schließlich doch hatte überreden lassen. Es hatte Sam sicherlich viele Worte und Nerven gekostet, das zu tun. Da die beiden nicht weitersprachen, blickte ich zu Andy hinüber, doch dieser befand sich noch mitten im Tiefschlaf. Dort wollte ich ihn lieber noch ein bisschen schlafen lassen und sah dafür aus meinem eigenen Fenster hinaus. Sehr viel gab es nicht zu sehen, nur ein Gebäude, welches Sam mit einem ruhigen Tempo anfuhr. Es schien ein Holzhaus zu sein, doch mehr konnte ich von meiner Position nicht zu erkennen. Direkt vor der Tür des Hauses brachte Sam das Auto zum Stehen. Kaum hatte Sam das getan, sahen beide Brüder durch die Windschutzscheibe ins Freie und blickten sich beim Gebäude vor ihnen um. Auch ich versuchte irgendwas zu erkennen, auch wenn ich nicht wusste, was ich suchen sollte. Schließlich klärten mich die beiden unbewusst darüber auf. „Schau doch mal, Dean, da drüben, bei dem Fenster ganz links, brennt ein Licht. Offenbar ist doch jemand hier“, sagte Sam, was mich dazu brachte, seitlich in beide Richtungen aus dem Fenster zu sehen. Doch ja, unser Impala war das einzige Fahrzeug, welches sich hier auf dem Parkplatz befand. Was mir ein wenig merkwürdig vorkam, doch so richtig wollte und konnte ich nicht darüber nachdenken. Dazu war ich dann doch ein wenig zu müde. „Gut, dann rufe ich kurz Ellen an, damit sie keinen Schrecken bekommt, weil wir so früh schon hier bei ihr auf der Matte stehen“, sagte Sam und hatte auch schon sein Handy gezückt. Zwar würde Ellen uns erwarten, immerhin hatten die beiden schon am Vortag telefoniert, aber sie hatte bestimmt nicht so früh mit den beiden gerechnet. Zumindest erklärte sich mein halbmüder Verstand dies so. Und so viel wollte ich nun auch nicht darüber nachdenken. „Hey, Ellen? Überrascht? Wir haben es doch noch heute hierher geschafft… ja, wir stehen vor deiner Tür. Dean wollte unbedingt die Nacht über durchfahren, du weißt, wie dickköpfig er sein kann…“, konnte ich Sam hören, wie er locker mit Ellen am Telefon plauderte. Offenbar hatte sie nicht ganz so früh mit uns gerechnet, mit meiner Vermutung hatte ich also richtig gelegen. „Lässt du uns bitte rein? Das wäre wirklich sehr nett von dir, danke“, sagte Sam, hörte Ellen noch ein paar Sekunden lang zu, bevor er sich von ihr verabschiedete und das Handy wieder herunternahm. Dann drehte er sich zu uns um. „Kira, kannst du bitte Andy aufwecken?“, fragte er mich, nachdem er einen ersten Blick auf uns beide geworfen hatte. Mangels Worte, die ich wegen meiner verbliebenen Müdigkeit kaum über die Lippen brachte, nickte ihm nur zu, doch kaum lag meine Hand auf Andys Schulter, war dieser sofort wach. Kurz hatte ich den Gedanken, dass Andy eigentlich schon längst wach war und nur so getan hatte, als würde er noch schlafen, doch den Gedanken schob ich zur Seite. Wenn, dann war es allein seine Sache und ging mich auch nichts an. „Danke fürs Aufwecken“, murmelte er vor sich hin, während ich wieder auf meinen Sitzplatz zurückrutschte. „Sind wir mittlerweile angekommen? Hab gar nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen war.“ „Doch, das sind wir beide. Und es hat dir wohl echt gutgetan“, sagte ich zu Andy, und sah ihm ins Gesicht. Dieses hatte im Gegensatz zum Vortag wieder viel mehr Farbe. Natürlich war es nur ein temporärer Zustand, doch immer noch besser, als würde er ständig nur in Angst und Schrecken leben. Zumal er das auf Dauer nicht aufrechterhalten könnte, ohne sich dabei selbst zu schaden. „Ja, das hat es wohl, da hast du recht“, entgegnete Andy und lächelte mich an. Im Gegensatz zu seinem Aufwachen wenige Augenblicke zuvor fühlte sich das hier real, echt an. So gut ich es konnte, erwiderte ich das Lächeln. „Nehmt am besten alles mit, auch eure Schmutzwäsche, ich bin mir sicher, Ellen ist so lieb und lässt uns ihre Waschküche benutzen“, sagte Sam mit einem Zwinkern, bevor sich wieder umdrehte und die Autotür aufmachte. Wir drei taten es ihm nach und wenige Sekunden später standen wir alle neben dem Impala. Während die drei Männer eine kleine Tasche oder Sporttasche mit sich trugen, hatte ich nur meine Plastiktüte in der Hand. Vielleicht konnte ich Ellen nach einer alten, leicht beschädigten Tasche oder was in der Richtung fragen. Eine, die sie sowieso weggeworfen hätte. Denn eine abkaufen könnte ich ihr nicht, das war mir bewusst.   Kaum hatten wir dem Impala den Rücken zugekehrt, hatte Ellen in der Zwischenzeit die Tür geöffnet und gewährte uns einen kleinen Einblick in das Innere des hölzernen Hauses. Welches ich auch mittlerweile besser erkennen konnte. Zwar hatte ich es lange nicht mehr gesehen, aber tief in meinem Gedächtnis konnte ich mich noch leicht an das Aussehen des Gebäudes erinnern. Ja, das vor mir war die Jägerbar, in der auch Sam und Dean hin und wieder abhingen. „Sam, Dean, dass ihr so schnell hier seid, hat mich wirklich überrascht. Gleichzeitig auch nicht. Schön, euch beide wieder zu sehen“, sagte sie, kaum hatten wir das Haus betreten. Kaum hatte Ellen die Tür hinter uns wieder abgesperrt, nahm sie erst Dean, dann Sam in eine kurze Umarmung. Nur um daraufhin gestenreich mit ihrer Hand vor der Nase zu wedeln. „Nun, offenbar habt ihr die Dusche auch schon länger nicht mehr gesehen. Ihr riecht beide nach totem Iltis“, sagte Ellen leicht amüsiert und ich wusste nicht, inwiefern sie das ernst meinte oder nicht. Sofort begannen die beiden Winchesters an sich zu schnuppern, um den Wahrheitsgehalt von Ellens Aussage zu überprüfen. Diese jedoch wandte sich sofort an den dritten Mann in der Runde. „Achja, Andy, wir haben uns auch schon länger nicht mehr gesehen. Lass dich drücken… wow, du musst wirklich auf deine Ernährung achten, ich kann deine Rippen deutlicher spüren, als mir lieb ist“, sagte sie, nachdem auch Andy in den Genuss einer Umarmung gekommen war. „Naja, du weißt schon, die Umstände“, versuchte Andy sich zu erklären, ohne gleichzeitig etwas zu verraten, was nicht für meine kleinen Ohren bestimmt war. Am Ende war nur noch ich übrig, ich wer die einzige, der Ellen noch nicht ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Und obwohl ich sie aus der Serie kannte, kam sie mir doch wie eine Fremde vor. Ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht benennen konnte. Als Ellens Blick auf mich fiel, sah sie mich irritiert an. Logisch, immerhin kannte sie mich nicht und konnte mich auch nicht so recht einordnen. Fragend sah sie mich an, vermutlich versuchte sie herauszufinden, warum ich die beiden Brüder und Andy begleitete. Doch bevor sie etwas dazu sagen konnte, kam Sam ihr zuvor. „Das ist eine alte Schulkameradin von uns, sie ging mit mir früher in eine Klasse. Als wir mal für vier Wochen in Texas waren, in dieser komischen Grundschule. Wir haben sie getroffen und sie scheint wohl ein paar private Probleme zu haben, da konnte ich sie nicht einfach stehen lassen. Sobald sie alles geklärt hat, trennen sich unsere Wege wieder. Wir waren als Kinder sehr gut befreundet, aber der … Montagejob meines Vaters hatte dann wieder dafür gesorgt, dass wir umgezogen sind und so haben wir uns aus den Augen verloren. Sorry, ich hab leider irgendwann den Comic verloren, den du mir mal geborgt hast“, sagte Sam nun in meine Richtung hinüber und ich begann langsam mit dem Kopf zu schütteln. „Schon in Ordnung, ich habe den Comic eh irgendwann nicht mehr vermisst“, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was er damit meinte. Einfach mitspielen, nicken und mitspielen, lautete die Devise der aktuellen Stunde. Ellen sah uns mit hochgezogenen Augenbrauen an, und ich konnte nicht sagen, ob sie Sams Ausrede glaubte oder nicht. Vermutlich war es auch für sie noch zu früh am Tag, vermutlich hatte sie ihre erste Tasse Kaffee noch nicht intus, denn sie ging nicht näher darauf ein. Zwar war es möglich, dass Sam irgendwann mal für ein paar Wochen auf einer texanischen Schule war. Aber dass er eine Person, die er nur für eine kurze Zeit gesehen hatte, nach zig Jahren wiedererkannt hätte, das war in meinen Augen doch etwas unglaubwürdig. Doch eine andere Alternative wusste ich auch nicht. „Wie auch immer, wenn Sam dich kennt und das in einem positiven Kontext, dann bist du jederzeit unter meinem Dach willkommen. Folgt mir, ich habe zufällig ein paar Zimmer frei, derzeit ist mein Haus nicht so stark besucht“, sagte sie und lotste uns zu den Gästezimmern. Eins wurde mir allein zugewiesen, vermutlich, weil ich die einzige Frau in dem gemischten Quartett war. Andy bekam das Zimmer direkt neben mir, er hatte also eine Wandlung vom Unterstands-Bruder zum Zimmernachbar durchgemacht. Die dritte Tür, die wir passierten, gehörte zu einem Raum mit zwei Betten und es war mehr als offensichtlich, wem dieses Zimmer nun für eine mir unbekannte Zeit über gehören würde. „Jedes Zimmer hat ein eigenes Badezimmer und einen Fernseher mit Kabelanschluss, falls einem von euch mal langweilig werden sollte. WLAN-Passwörter stehen auf den Bierdeckeln und in den Nachtischkästchen findet ihr Akkukabel für eure Handys, falls das nötig sein sollte. Ihr glaubt nicht, wie viele Leute ihre Akkukabel hier liegen lassen“, sagte Ellen und ich glaubte es ihr aufs Wort. „Nachher mache ich dann mal ein ordentliches Frühstück, so wie ich Dean kenne, habt ihr in der letzten Zeit bestimmt nichts anderes als Fastfood und noch mehr Fastfood gesehen“, sagte Ellen, woraufhin sich Dean mehr als ertappt fühlte. Der bestätigende Blick auf Sams Gesicht war Ellen Antwort genug. „Aber vorher könnt ihr euch gerne eure Zimmer ansehen und dort noch ein wenig ausruhen. Eventuell auch ein wenig frischmachen, ohne euch nahetreten zu wollen“, sagte Ellen, eher an mich und Andy gerichtet. Vermutlich wollte sie uns nicht als stinkende Iltisse bezeichnen, wie sie es mit den Brüdern gemacht hatte, sondern es uns freundlich durch die Blume sagen. Wobei sie auch nicht ganz unrecht hatte. „Sag mal, können wir auch…“, fing Sam an, doch Ellen unterbrach ihn flott. „Natürlich steht euch meine Waschküche zur Verfügung, aber … nein, besser, ich stelle euch nachher einen Wäschekorb hier hin und ihr werft mir alles, was ich waschen soll, dort rein. Keine falsche Scheu, weder meine Waschmaschine noch mein Trockner sind kleine Geräte, da passt schon was rein“, sagte sie und klang so, als wären wir Heimkinder und sie unsere Erzieherin. „Danke, ja, genau das wollte ich dich fragen“, sagte Sam, erleichtert, dass er das Thema doch leichter hatte über die Bühne bringen können wie zuvor noch befürchtet. „Aber ich werde dich dann noch etwas anderes fragen müssen, Kira wird eventuell noch frische Wechselsachen brauchen“, sagte er und erst jetzt fiel mir auf, dass ich Ellen gegenüber noch nicht namentlich vorgestellt worden war. Doch man musste schon ziemlich gehirntot sein, um nicht zu erkennen, wen Sam mit dem Namen meinte. Ellen musterte mich kurz, dann nickte sie ein wenig. „Das lässt sich machen, darüber mach dir keine Sorgen. Wenn du möchtest, kann ich dir auch gerne die Haare machen, mit ein paar Strähnen …und du brauchst vielleicht ein anderes T-Shirt. Das sieht zu sehr nach Dean aus“, sagte sie und schien sich wohl bereits ein paar Gedanken zu machen. Zwar vermutete ich, dass Ellen mich weiblicher aussehen lassen wollte, als ich mich eigentlich fühlte, aber ich spürte dahinter nur eine nett gemeinte Absicht und beschloss, sie einfach mal machen zu lassen. Hinterher konnte ich es ja immer noch umändern. Auch war ich mir sicher, dass Ellen es sich nicht so zu Herzen nehmen würde, wenn ich mit der einen oder anderen Änderung nicht einverstanden wäre. „Gut, dann werde ich das Angebot annehmen, und mich ein wenig zurückziehen. Ich hab noch was zum Wechseln“, ließ Andy uns wissen, bevor er sein Zimmer betrat und die Tür hinter sich zumachte. Unsicher, aber auch mit dem Bedürfnis eine Dusche zu benutzen, drehte ich mich zu meinem eigenen Zimmer um. „Denke, ich werde mich auch noch ein wenig ausruhen und gleich duschen gehen. Wäre doch mal besser“, sagte ich, um nicht zu wortkarg zu verabschieden. „Mach das! Im Bad hängt noch ein Bademantel, den kannst du nutzen, bis ich dir ein wenig Wechselwäsche herausgesucht habe“, sagte Ellen freundlich, wofür ich mich bei ihr höflich bedankte. „Nichts zu danken, immerhin bist du bei mir Gast“, erwiderte Ellen wieder in einem mütterlichen Ton und damit schien wohl alles gesagt zu sein. Dann wand sie sich ihren letzten Gästen, den beiden Brüdern zu und irgendwie schienen sie meine Anwesenheit für einen kurzen Moment zu vergessen. Zumindest glaubte ich es, denn Ellen fing wieder mit ihrer belehrenden „Ihr riecht wie Iltis! Wascht euch!“ – Rede an. „Das können wir gerne machen, nur zu gerne“, sagte Sam, bevor sein Ton ernster wurde. Während ich mit der Türklinke in der Hand bereits in meinem Zimmer stand und eigentlich wissen wollte, wie die Iltis-Geschichte ausging, wurde es dort draußen wohl etwas weniger spaßig. „Aber vorher möchten wir noch etwas wichtiges mit dir besprechen. Am besten im Schankraum, ist das möglich? Weil das Andy und Kira jetzt nicht unbedingt mitbekommen müssen“, sagte Sam nicht leise genug, offenbar dachten sie, ich hätte meine Tür verschlossen. Doch dabei war sie nur angelehnt und ich stand dahinter, lauschte jedem Wort, das sie dort miteinander teilten. „Hm, ja, das sehe ich ein. Aber danach ab sofort unter die Dusche … will jemand von euch Kaffee? Dann koche ich schnell einen und ihr könnt euch schon mal in den Schankraum setzen“, schlug Ellen vor. Der Vorschlag schien wohl auf Begeisterung zu stoßen, denn das Einzige, was ich jetzt noch hören konnte, waren mehrere Schritte, die sich erst entfernten und dann gar nicht mehr aus meiner Position her zu hören waren. Ich nutzte die Gelegenheit, dass sie mich nun ebenfalls nicht mehr hören konnten, schloss aber dennoch die Tür so leise wie es mir möglich war. Kurz überlegte ich, ob ich ihnen folgen sollte, denn ein bisschen würde es mich schon interessieren, was die Jungs Ellen zu erzählen hatten. Doch auf der anderen Seite … ich war nie gut im Verstecken und Lauschen, die meiste Zeit hatte ich das eher in Fortnite gemacht. Mich irgendwo versteckt und gelauscht, während irgendwelche Gegner geräuschvoll im Haus herumgelaufen waren. Aber sonst, ich echten Leben traute ich es mir nicht zu. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich ein Versteck finden würde, in dem ich genug hören könnte. Es würde mich in ziemliche Erklärungsnot bringen, wenn sie mich dabei erwischen sollten. Daher beschloss ich, in meinem Zimmer zu bleiben und mich ein wenig frisch zu machen.   Während ich mir Gedanken machte, was für Klamotten mir Ellen wohl geben würde, sah ich mich in dem Zimmer um, welches ich soeben betreten hatte. Doch es gab nicht viel zu sehen, außer einem Bett mit Nachtkästchen, einem Tisch mit Stuhl, einem Fernseher und einer 08/15 Wanduhr. Lediglich die ganzen Dekorationen an den Wänden, die vielen kleinen Figuren und Pflanzen, die hier und da verteilt standen, füllten den Raum mit so etwas wie Leben. Offenbar war es ein Raum, in dem man sich nicht oft und lange aufhalten wollte. Oder gar sollte. So genau konnte ich es nicht beurteilen. Spontan setzte ich mich auf das Bett, legte meine Plastiktüte neben mir ab und ließ meine Hand über die Decke fahren. Sie fühlte sich fest, aber auch warm an. Vermutlich würde ich heute Nacht ziemlich gemütlich schlafen können, sobald ich mein Problem mit dem Einschlafen überwunden hatte. Die letzten Nächte war ich ziemlich erschöpft gewesen, doch wie es nach dem heutigen Tag aussehen würde, das konnte ich noch nicht sagen. Eine kurze Weile blieb ich darauf sitzen, dann beschloss ich, nicht länger auf Ellen zu warten. Zur Not würde ich mich mit dem Bademantel abdecken, bis ich neue Kleidung haben würde. So führte mich mein nächster Weg ins Bad, in welchem ich mehr als positiv überrascht wurde. Dort befand sich nicht nur sämtliche Duschausstattung, vieles, was man im Bad benötigte, sondern auch kleine Extras. Ich konnte einen Föhn sehen, mehrere Flaschen, bei welchen es sich wohl um verschiedene Arten von Shampoo, Duschgel und Konsorten handeln sollte. Und an der anderen Seite der Badtür hing ein Bademantel, in einem zarten Pastellorange. Er fühlte sich sehr weich an, als ich ihn mit meinen Fingern berührte. „Ja, das tut es auch“, sagte ich leise vor mich hin, während ich den Bademantel betrachtete. Dass man das Badezimmer verschließen konnte, nahm ich positiv zur Kenntnis und tat das dann auch gleich. Kaum hatte ich den Drehverschluss umgelegt, drehte ich mich um und begann, mich aus meinen Klamotten zu schälen. Obwohl sie alle gewaschen werden würden, versuchte ich alles so gut es ging zusammenzulegen. Immerhin war ich hier zu Gast und wollte mich von der besten Seite zeigen, so gut es mir jedenfalls gelingen würde. „Gut, mal sehen, was wir hier so alles haben“, sagte ich wieder leise vor mich hin und wollte gerade nach der ersten Duschgel Flasche greifen, die sich vor mir befand, als sich jemand aus dem Nichts einmischte. Eine weibliche Stimme, die ich bisher nur einmal in meinem Leben gehört hatte. Eine Stimme, die sich recht schnell in mein Gedächtnis hineingebrannt hatte. Und die nun wieder zu mir flüsterte. „Ich an deiner Stelle würde nicht zu diesem Duschgel greifen, es sei denn, du willst wie ein männlicher Trucker riechen“, gab mir die Stimme einen Tipp und ich konnte nicht anders, als verlegen zu grinsen. „Naja, das würde mich jetzt nicht stören, im Gegenteil, ich denke, dass Zedernholz und Eiche auch eine gute Geruchskombination sein kann. Selbst wenn ich dann wie ein männlicher Trucker rieche, ich glaube, da gibt es schlimmeres.“ So recht wusste ich nicht, wie ich über die spontane Situationsänderung denken sollte. Auf der einen Seite hatte ich das Gefühl, mich dafür verteidigen zu müssen, gleich mal aus Gewohnheit das Männerduschgel angepeilt zu haben; auf der anderen Seite fand ich die Stimme aus dem Nichts unheimlich. Doch nach ein paar Sekunden, die mein Hirn zum Registrieren brauchte, kam noch eine dritte Emotion hinzu. „Hey, warte mal! Wegen dir denken die Brüder jetzt, dass ich Schizophrenie habe oder sonst irgendein geistiges Leiden! Dabei bin ich physisch gesund oder zumindest nicht labil“, sagte ich und wartete ein paar Sekunden lang auf eine Rückantwort. Gleichzeitig sah ich mich langsam in alle Richtungen um, doch ich konnte niemanden sehen. „Wie auch immer, es ist echt nicht nett, dass du mich hier ausspannen kannst und ich nicht mal weiß, wer du bist. Zeig dich mir!“, sagte ich und bereute es sofort. Wer weiß, um welches Wesen es sich hier handelte. Zumindest war es kein Mensch, der sich unsichtbar machen konnte, zumindest wäre es komisch, dass er erst in dem Motel und dann zufällig auch hier wäre. Da hätte er vor mir das Bad betreten müssen und wir hatten das Haus erst vor einer gefühlten halben Stunde erreicht. Ich stellte mir vor, dass das seltsame Wesen ihren Kopf schüttelte, sollte sie überhaupt einen solchen besitzen. „Meine Gestalt tut hier nichts zur Sache. Und keine Angst, dein Erscheinungsbild spielt für mich keine Rolle, ob du nun in Kleidung vor mir stehst oder nicht, darauf achte ich nicht. Es ist absolut kein Schamgefühl nötig. Zumal du nicht der erste nackte Anblick bist, den ich habe.“ Mit leicht geröteten Wangen überlegte ich, ob ich mich wegdrehen sollte, doch da ich nicht wusste, ob das überhaupt was bringen würde, nahm ich nur den Bademantel vom Haken und zog ihn mir so schnell wie möglich an. „Gut, wenn du mich nicht ausspannen willst, was sich sowieso nicht so wirklich lohnen würde…“, sagte ich, wofür ich mich selbst kurz innerlich zurechtwies. „Nein, ich meine, es gibt noch schönere Frauen als mich, wo sich das noch mehr lohnt, aber egal. Was willst du von mir?“ Die Stimme schien sich zu sammeln und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie mir ihre Antworten flüsterte. Offenbar brauchte sie dafür mehr Geduld, als sie anfangs vermutet hatte. Zumindest hörte sie sich für mich danach an. „Ich bin hier, um dich zu warnen. Erinnere dich an meine Worte. Etwas Dunkles ist auf dem Weg und du solltest diesen Weg auf keinen Fall kreuzen. Hüte dich davor, bringe dich in Sicherheit! Wie ich bereits sagte, du bist nicht sicher.“ Kurz überlegte ich, ob ich die Stimme dazu befragen sollte, doch ich kam nicht dazu, denn sie sprach nun weiter. Und sie klang nun noch ernster dabei als noch wenige Sekunden zuvor. „Dich bedroht eine starke, dunkle Gefahr.“ Wieder eine kurze Pause, in der meine Gedanken zu rasen begannen. Dennoch konnte ich mir noch immer keinen Reim darauf machen. „Hier bist du vorerst sicher, aber die Gefahr sitzt dir bereits im Nacken. Sie ist dir auf der Spur und sie wird dich jagen. Jagen, bis sie dich eingeholt hat. Verstehst du denn nicht? Du scheinst einen sehr aufgeweckten Eindruck zu machen, wie kannst du nicht sehen, was um dich herum passiert? So naiv kann man doch nicht sein, das kann ich mir nicht vorstellen. Verstehst du es nicht? Oder verschließt du mit Absicht deine Augen?“ Langsam kam mir die Stimme etwas emotional vor, doch aus Respekt starrte ich nur die Luft an. Ob ich mit der Gestalt gerade Blickkontakt hatte? Das konnte ich natürlich nicht sagen. Allein schon die Vorstellung, einem unsichtbaren Wesen in die Augen zu starren, fühlte sich unangenehm und schwer an. Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, das wäre ich dem Wesen schuldig. Vor allem, da es mich zum zweiten Mal warnte. Wovor auch immer. „Was, wenn es hier geschehen ist?“, fragte die Stimme mich und ich wusste nicht, ob sie von mir eine Antwort drauf verlangte. Meine Neugierde hatte sie damit auf jeden Fall geweckt. „Was meinst du? Was ist hier geschehen. Was ist ES?“, wollte ich von der Stimme wissen. Doch sie wollte es mir wohl nicht sagen. „Na, es halt. Du weißt schon. Es!“ Kurz schnaubte ich durch meine Nase aus und knabberte an meiner Unterlippe. „Wow, das könnte ja alles sein … aber gut, wenn du mir schon nicht sagen willst, was ES ist und ich hoffe mal, dass damit nicht dieser unheimliche Clown aus dem Buch gemeint ist… willst du mir wenigstens verraten, wer du bist? Wenigstens einen Namen? Ich meine, ich werde den Jungs nicht von dir erzählen können, aber so habe ich was in der Hand. Naja, du verstehst vielleicht, was ich meine“, sagte ich und begann, meine Hände in den Taschen meines Bademantels zu vergraben. „Nein, das ist unmöglich, ich kann dir keinen Namen nennen“, sagte die Stimme freundlich, aber bestimmt. „Schade, aber ok, das kommt vielleicht noch“, sagte ich als spontane Reaktion darauf. „Aber kannst du mir wenigstens sagen, was du bist? Bist du ein Mensch? Oder ein Dämon? Oder irgendwas in der Richtung?... Ich hab gehört, dass es sowas geben soll, auch wenn ich nicht daran glaube“, fügte ich noch hinzu, da ich mir nicht sicher war, ob ich auch der Stimme gegenüber meine Rolle als die nichtsahnende Kira aufrechterhalten müsste. Doch auf der anderen Seite, die Stimme machte den Eindruck, als wüsste sie, dass ich Bescheid wusste. Es war nur noch nicht ausgesprochen und so zu einem Tanz geworden. Zu einem Tanz ums Feuer, bei dem es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sich jemand die Füße verbrannte, weil sie sich dem Feuer zu sehr genähert hatte. „Nun, ich kann dich beruhigen, ich bin kein Mensch, aber ich habe dennoch einen festen Körper. Nein, ich lasse dich ihn nicht anfassen“, sagte die Stimme und ich fand es seltsam, dass sie angenommen hatte, ich würde das gerne tun. „Ich bin aber auch kein Dämon, solltest du das wirklich vermutet haben“, sagte die Stimme nun amüsierter, sie schien sich einen Spaß aus meiner Ahnungslosigkeit zu machen, die mir unweigerlich ins Gesicht gehuscht sein musste. „Es ist wirklich amüsant, dass du vermutet hast, dass ich ein Mensch wäre, oder ein Dämon. Aber nein, das bin ich wirklich nicht. Ich bin viel älter und mächtiger als es je ein Mensch oder Dämon war.“ Die Stimme kicherte ein wenig vor sich hin, doch mich machte sie mit dieser Aussage nur neugieriger. „Was… bist du dann? Ich meine, irgendwas musst du doch sein, wenn du so alt und mächtig bist. Und warum willst du dich mir nicht zeigen?“, wollte ich von der Stimme wissen. „Nun, meine Gestalt ist nach wie vor nichts, was für dich von Belang ist. Aber selbst, wenn ich es dir zeigen wollte, ich könnte es nicht. Als ich meine sterbliche Phase hinter mir gelassen habe, habe ich bezüglich meiner Macht eine Menge Einbußen machen müssen“, sagte die Stimme und ich brauchte ein paar Sekunden, bis der nächste Schalter in meinem Hirn umgeklappt worden war. „Deine sterbliche Phase? Heißt du, du bist mal gestorben? Bist du ein Geist?“, fragte ich die Stimme nun, mit immer mehr Neugier und Wissensdurst. Wieder stellte ich mir ein unsichtbares Kopfschütteln vor. „Nein, zumindest bin ich kein menschlicher Geist. Nein, als etwas derartiges könnte man mich nicht bezeichnen. Achja, auch wenn du mit dieser Information nichts anfangen kannst, ich stamme auch nicht aus dieser Gegend, meine Herkunft liegt eher in kühleren Gefilden.“ Damit gab mir die Stimme ein Rätsel auf, und ich hatte absolut keine Idee, was sie damit meinen könnte. Dass sie nicht von hier stammte, erschien mir logisch, immerhin hatte ich die Stimme ja bereits in dem Motel mehrere hunderte von Kilometern von hier getroffen. Ob sie damit meint, dass sie aus einer kälteren Region stammt, wie Alaska? Oder ist das eher symbolisch gemeint, wie dass sie aus der Hölle kommt oder sowas … echt seltsam. Ob sie mir das sagt, wenn ich sie frage?   Doch ich kam nicht dazu, die Stimme das zu fragen. Denn gerade, als ich nach ein paar Minuten Hin- und Herüberlegen meinen Mund öffnen wollte, konnte ich hören, wie jemand an die Badezimmertür klopfte. „Ja, wer ist da?“, fragte ich so laut ich konnte und war froh, dass ich die Tür abgesperrt hatte. Wer weiß, wer sich dort auf der anderen Seite der Tür befand? „Erschrick bitte nicht, ich bin es nur, Andy! Kann ich kurz mit dir sprechen, es dauert auch nicht lange, versprochen. Oder störe ich?“ Kurz blickte ich zur Dusche herüber, dann an mir herunter. Da ich bereits den Bademantel angezogen hatte und dieser alles an mir verdeckte, sprach nichts dagegen. Für einen kurzen Moment war ich mir unsicher, ob ich das wirklich tun sollte, doch den Gedanken schob ich fort. Schließlich öffnete ich die Badezimmertür und trat zu Andy heraus. Dieser bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, wirkte aber trotzdem immer noch ziemlich bekümmert. Auch versuchte er nicht zu starren, denn es war mehr als offensichtlich, dass ich unter dem Bademantel keine weitere Kleidung trug. „Ich möchte dich auch nicht so lange stören, ich meine, du wolltest bestimmt unter die Dusche gehen“, sagte er und kratzte sich nervös am Arm, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Achwas, schon in Ordnung. Ich meine, ich hab mich erst ein wenig auf dem Bett ausgeruht und dann konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich nun das Duschgel mit Zedernholz oder das mit Vanille nehmen sollte.“ Andy schien kurz erleichtert zu sein, bevor sich seine Stirn wieder in Falten legte. „Wenn ich dir einen Tipp geben darf, ich denke, Zedernholz passt irgendwie besser zu dir. Du bist stark, weißt du“, sagte er und unterbrach sich selbst. „Jedenfalls, ich möchte mich für gestern entschuldigen. Für vorgestern. Für einfach alles, was passiert ist, seit wir uns an der Bushaltestelle begegnet sind. Ich habe dich da in eine sehr unangenehme Sache reingezogen und ich hoffe, ich kann es dir irgendwann wieder gut machen. Vor allem, mit deiner Kondition und alles … du bist wirklich stark, weißt du das?“ Ich bemühte mich um ein leichtes Lächeln, was mir schwerer fiel als ich gehofft hatte. „Schon in Ordnung, ich meine, es war ja nicht deine Absicht. Sowas macht niemand absichtlich, zumindest kein so guter Mensch wie du. Und ich bin mir sicher, dass du einer bist, das habe ich im Bauchgefühl“, sagte ich offen und ehrlich zu ihm. Das schien ihn wieder zu beruhigen, wenn auch nur ein ganz kleines bisschen. „Danke, dass du mir so vertraust. Auch wenn du es nicht müsstest oder solltest. Aber auch du bist ein guter Mensch. Du hast mir viel weitergeholfen, als ich es brauchte. Vor allem, da du ohne mich gar nicht erst in dieser Situation gelandet wärst. Nicht jeder Mensch reagiert da so nachsichtig wie du.“ Sein Blick fiel überall hin, nur nicht zu mir und mir war bewusst, warum er es tat. Doch es hätte mich nicht gestört, hätte er stattdessen auf den orangenen Bademantel geguckt, der mich umgab. „Naja, das wollte ich unbedingt loswerden, bevor ich mich aufs Ohr lege. Also dieses Mal wirklich. Ich hab zwar schon versucht zu schlafen, aber das hat mir dann doch keine Ruhe gelassen. Zuerst habe ich an deine Zimmertür geklopft, aber du hast nicht geantwortet, da habe ich mir Sorgen gemacht, dass dir etwas passiert sein könnte. Ich bin froh, dass das nicht der Fall ist. Werde dich dann auch jetzt wieder alleine lassen, immerhin willst du ja duschen und das wird dir sicherlich mehr als guttun“, sagte er, ließ aber offen, inwiefern er das gemeint hatte. Ich wollte es aber auch nicht wissen. Ob er irgendwas von dem Gespräch zwischen mir und der Stimme gehört hatte? Sicher konnte ich es nicht sagen. „Danke, ich werde die Dusche so gut wie möglich genießen. Und auch danke für die Entscheidungshilfe, Zedernholz klingt wirklich sehr ansprechend“, sagte ich und lächelte ihn an. Er erwiderte das Lächeln, auch, als er den Raum verließ und ich die Tür hinter ihm zumachte. Dann war ich wieder alleine. Oder zumindest wieder die einzige mit fester Substanz. „Ok, Andy ist wieder weg…bist du noch da? Kann ich dich noch was fragen?“ Doch ich erhielt keine Antwort. Selbst nach den rund zehn Minuten, die ich anstandshalber wartete. Die Stimme jedoch blieb stumm und das Wesen, was auch immer es für eines war, hatte sich wohl wieder in die Ecke verzogen, aus der es zuvor gekrochen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)