Herz über Kopf von Maginisha ================================================================================ Kapitel 18: Abschied nehmen --------------------------- Die Siegerehrung des Drachenbootrennens fand am Abend im Speisesaal statt. Wir hatten die Tische beiseite geräumt und aus Getränkekisten ein Podest gebaut. Auf dem würde später ein Vertreter jeder Siegermannschaft stehen. Noch war es allerdings nicht so weit, denn immer noch strömten Kinder in den bereits gut gefüllten Raum. Der Lärmpegel stieg mit jedem von ihnen ein kleines bisschen weiter an.   Ich saß in der letzten Reihe auf einer Fensterbank. Kurt baumelte neben mir mit den Beinen und sah recht zufrieden aus, obwohl er mit Thies’ Mannschaft als Vierter ins Ziel gegangen und somit nur knapp an einer Platzierung vorbeigeschrammt war.   „Ich fand das Bootfahren toll“, sagte er jetzt auch noch und strahlte mich an.   „Ja, ich auch“, antwortete ich, ohne es wirklich zu meinen. Rückblickend war es zwar nicht unbedingt eine Katastrophe gewesen, aber irgendwie … Ich konnte den Finger nicht recht darauf legen. War es wirklich nur die Tatsache, dass wir als Letzte das Ziel erreicht hatten, die mich so störte?   Während ich den Grund für meine Unzufriedenheit zu ergründen versuchte, wanderte mein Blick wie von selbst durch den Raum. Er blieb an Benedikt hängen, der unübersehbar in einer der vorderen Reihen stand. Offenbar klärten er und seine Mannschaft gerade, wer von ihnen später auf dem Treppchen stehen würde. Als hätte er meinen Blick bemerkt, hob er den Kopf. Er lächelte kurz, bevor er sich wieder den Kindern zuwandte. Ich hingegen konnte meine Augen nicht von ihm nehmen. Etwas in meinem Inneren kitzelte meine Aufmerksamkeit, aber noch bevor ich mir dessen so richtig bewusst werden konnte, wurde ich von rechts angestupst.   „Kommen deine Eltern morgen auch?“, wollte Kurt wissen   Ich zog die Stirn kraus. Wie kam Kurt denn darauf? Sah ich etwa so aus, als würde ich keine drei Wochen ohne elterlichen Beistand aushalten? Oder lag es daran, dass ich in seiner kindlichen Wahrnehmung nicht viel mehr als ein zu groß geratener Spielkamerad war? Der Gedanke gefiel mir irgendwie nicht.   „Nein, ich … meine Eltern müssen arbeiten“, antwortete ich etwas verspätet.   Kurt zog eine Schnute. „Ach, das ist ja schade. Was arbeiten sie denn?“   „Wir haben einen Bauernhof, auf dem man Urlaub machen kann.“   Kurts Augen wurden groß. „Echt? Einen Bauernhof? Habt ihr da auch Tiere?“   Ich lächelte. „Na klar. Wir haben Kühe, Pferde, Ponys, Hühner, Ziegen und auch ein paar Katzen.“   Ich hatte nicht geglaubt, dass Kurts Augen noch größer werden konnten, aber er verblüffte mich. Gleich darauf zerbarst sein Gesichtsausdruck in pure Begeisterung.   „Kann ich dich da auch mal besuchen kommen?“ „Na klar. Wenn du magst.“   Ich wusste, dass ich ohne Probleme zusagen konnte. Seine Eltern würden sicher einen Weg finden, seinen Wunsch wieder und wieder zu verschieben, bis er ihn irgendwann vergessen hatte. Gleichzeitig wünschte ich mir, dass sie es nicht taten. Ich hätte mich gefreut, ihn nach den Ferien noch einmal wiederzusehen.     Die Siegerehrung begann. Wolfgang hatte sich ein Mikrofon organisiert, sodass seine Stimme laut und deutlich aus den Lautsprechern in den Ecken des Raumes zu hören war. Er hielt zuerst eine Ansprache, anschließend wurden die selbstgemachten Urkunden überreicht. Unter viel Geklatsche und Gejohle nahmen die Ratten als Letzte den Preis für den ersten Platz entgegen. Es waren wirklich fast alle von ihnen in Kilians Boot gewesen.   Ich beobachtete das Ganze mit gemischten Gefühlen. Ich wusste, was es hieß, ganz oben mit dabei zu sein. Den Stolz über die erbrachte Leistung in den Adern kreisen zu fühlen, die Bewunderung, die Blicke, die auf einem ruhten. Doch ich wusste auch, was es hieß, zu den Letzten zu gehören. Zu denen, die ausgelacht und herumgeschubst wurden.   Bei diesem Gedanken fiel mir das Foto ein, das bei uns zu Hause auf dem Klavier stand. Es stammte von Christophers Einschulung. Während er mit stolzgeschwellter Brust seine Schultüte in die Kamera hielt, stand ich mit unbewegter Miene daneben. Das linke Auge unter der Brille von einem Pflaster verklebt und mit einem noch nicht vollständig verheilten Kratzer auf der Wange. Den hatte ich bekommen, als mich ein Junge im Kindergarten in die Büsche geschubst hatte. Ich hatte es nicht erzählt, sondern behauptet, dass ich beim Laufen gestürzt war. Daraufhin waren wir zum Augenarzt gefahren und ich hatte das dumme Pflaster bekommen.   „Wenn wir es nicht aufkleben, musst du ins Krankenhaus und operiert werden“, hatte meine Mutter damals gesagt. Die Drohung hatte mich vor Schreck erstarren lassen. Ich hatte mitgemacht und war prompt von Christopher ausgelacht worden, als ich nach Hause gekommen war.   „Hey, Schielauge, bist du jetzt unter die Piraten gegangen?“, hatte er gerufen und von meiner Mutter sofort einen Rüffel kassiert.   „Wenn das Pflaster wieder ab ist, wird er nicht mehr schielen“, hatte sie erklärt und mich angelächelt. Ich hatte es erwidert, aber im Stillen schon gewusst, was mich am nächsten Tag erwarten würde. Eine Reise in die Dornenhecke am Rand des Spielgartengeländes. Dort, wo die Erzieher einen nicht sehen konnten. Es war der Platz, an den die größeren Kinder ihre Opfer immer verschleppten, um sie zu quälen. Wer den Mund aufmachte, wurde nur umso härter bestraft. Also hielten wir durch und freuten uns heimlich auf den Tag, an dem wir die Großen sein würden.   Ich schüttelte leicht den Kopf, um die Erinnerung loszuwerden. Diese Zeit war lange vorbei und das Pflaster hatte tatsächlich geholfen. Von meinem Schielen war lediglich ein leichter Silberblick zurückgeblieben, den man nur sah, wenn ich sehr müde oder alkoholisiert war. Einzig die Brille hatte ich noch. Manchmal fragte mich jemand, warum ich eigentlich keine Kontaktlinsen trug. Ich hatte mich jedoch nie mit dem Gedanken anfreunden können, mir irgendwas in die Augen zu setzen, das dort den ganzen Tag herumschwamm. Und außerdem … inzwischen lachte niemand mehr über mich. Ich hatte den Spott abgelegt wie ein zu klein gewordenes Kleidungsstück. Seit dem schwamm ich bei den Gewinnern mit und hatte wohl über die Zeit vergessen, wie es war, wenn man ganz unten saß. Unbeachtet in der letzten Reihe.   Ich sah rüber zu Kurt, der mit einem seligen Grinsen im Gesicht verfolgte, was vorne auf der Bühne vor sich ging. Wolfgang und Susanne hatten begonnen, die Trostpreise an die Kinder zu verteilen, die keine Urkunde bekommen hatten. Es gab goldglänzende Schokotaler.   „Die sind eh viel besser als die blöden Urkunden“, urteilte Kurt und machte sich auf den Weg, um sich seine Süßigkeit abzuholen. Insgeheim befand ich, dass er und die anderen viel eher eine Auszeichnung verdient hatten. Aber so lief es eben nicht im Leben. Preise gab es immer nur für die ersten Plätze.     Der nächste Tag brachte den lange erwarteten Besuchstag und mit ihm jede Menge Unruhe. Alle paar Minuten fragten die Kinder, wann es denn endlich soweit wäre, und als die ersten Autos auf den Parkplatz rollten, waren nicht nur die Kinder rechtschaffen erleichtert.   Eröffnet wurde die Veranstaltung nach einer kurzen Ansprache von Wolfgang mit einem Picknick auf der Rasenfläche des Sportplatzes. Überall standen, saßen und liefen Kinder herum, während die Erwachsenen es sich auf den mitgebrachten Decken gemütlich gemacht hatten. Ebenso unterschiedlich wie die besuchenden Eltern waren auch die Mitbringsel, die allerorts ausgepackt wurden. Während die eine Familie gesundes Obst und Gemüse in wiederverwendbaren Tupperdosen zutage förderte und artig herumreichte, riss man auf der Decke nebenan einfach eine große Chipstüte auf, aus der sich alle gleichzeitig bedienten. Es dauerte nicht lange, da hatten sich regelrechte Tauschketten entwickelt, bei denen zum Schluss niemand mehr aß, was eigentlich für ihn vorgesehen war. Da beäugte der Chipsvater kritisch die selbstgebackenen Dinkelstangen in der Hand seines Juniors, während die Bio-Mutter mit süßsaurem Gesichtsausdruck auf ihr Kind einflötete, doch bitte nicht so viele gehärtete Fette zu sich zu nehmen.   Als trotzdem irgendwann alle satt und zufrieden waren, wurden die Eltern mit der Lagerhymne und anderen gründlich einstudierten Darbietungen unterhalten. Sie durften die bisher gefertigten Bastelarbeiten begutachten, die Zelte und sanitären Anlagen besichtigen, die wir am Vormittag natürlich noch auf Hochglanz gebracht hatten, und wurden allgemein von A nach B gezerrt, damit sie sich noch dieses und jenes unbedingt ansahen. Die meisten ließen das willig über sich ergehen, was vielleicht auch daran lag, dass diejenigen, die zu lange an einer Stelle standen oder gar saßen, zu sportlichen Wettkämpfen zwangsverpflichtet wurden. Dabei wurde „Rasen-Ski“ mit Abstand zur unbeliebtesten Disziplin gekürt, die jedoch die meisten Lacher beim Publikum hervorrief. Alternativ konnte man sich auch noch im Sackhüpfen, Eierlaufen, Dreibeinrennen oder Gummistiefel-Weitwurf versuchen. Auf die weniger Sportlichen wartete eine Station mit dem „Heißen Draht“, Lieder gurgeln oder das große Wikinger-Quiz, bei dem immer zwei Elternteile gegeneinander antraten. Ganz besonders Mutige durften sich schließlich auf den Barfußpfad begeben, den Reike zusammen mit den Kindern angelegt hatte.   Bei der Verabschiedung am gemeinsamen Lagerfeuer kam es dann zu den ersten Tränen dieses ereignisreichen Tages. Aber auch die, die nicht weinten, waren aufgewühlt und kaum zur Ruhe zu bringen. Es dauerte lange, bis am diesem Abend alle Kinder im Bett waren. Das war der Moment des zweiten großen Aufatmens auf Betreuerseite.   „Ist jedes Mal so“, erklärte mir Stephan, während wir uns selbst für die Nacht fertig machten. „Wir haben schon überlegt, den Besuchstag ganz ausfallen zu lassen, aber das wäre für die meisten der kleineren Kinder doch zu lang.“   „Vielleicht sollte man das Lager verkürzen“, schlug ich vor. „Oder einfach zwei Lager anbieten für verschiedene Altersgruppen.“   „Das solltest du bei der nächsten Betreuersitzung mal zur Sprache bringen. Neue Impulse von außen sind nie verkehrt.“   Vermutlich hätte ich mich nicht so über dieses Lob, das eigentlich keines war, freuen sollen. Doch Stephans Zuspruch weckte in mir den Wunsch, noch mehr zum Gelingen der Gemeinschaft beizutragen. Mehr zu sein als nur der Springer mit der Gitarre. Ich wollte mich wirklich einbringen, statt wie bisher nur mitzulaufen.   Ich werde es ihnen beweisen, nahm ich mir vor und begann gleich am nächsten Tag, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Was immer es zu erledigen galt, ich war der Erste, der dafür die Hand hob. Ich bereitete die Pizzaralley mit vor, sägte Holz für das Insektenhotel zurecht, gab den Kindern Surfunterricht, bis meine Lippen blau waren und ich vor lauter Zähneklappern nicht mehr zu verstehen war. Ich half in der Küche, beim Holz hacken, beim Müllsammeln rund um den See und beim Toilettendienst. Ich war sogar so beschäftigt, dass ich nicht einmal dazu kam, mir über Benedikt Gedanken zu machen. Wenn ich doch mal ein paar Minuten Luft hatte, achtete ich darauf, nicht zu viel Zeit mit ihm zu verbringen. Nicht zu oft in seine Richtung zu sehen. Mich beim Essen nicht immer in seine Nähe zu setzen. Ich spielte ein pedantisches Wechselspiel aus Nähe und Entfernung und die Rechnung schien aufzugehen.   Er wurde entspannter in meiner Gegenwart. Lachte öfter. Machte Scherze. Zwar verbrachten wir so gut wie nie Zeit allein, aber wenn es sich mal ergab, war da etwas zwischen uns. Etwas, das ich nicht benennen konnte. Nicht in Worte fassen. Ich hatte keine passende Bezeichnung für dieses halbe Lächeln, das er manchmal auf dem Gesicht hatte, wenn er mich ansah. Diese Blicke, die meine für einen Moment einfingen, bevor er den Kopf wieder in eine andere Richtung drehte. Die körperliche Nähe, die sich ab und an für ein paar Herzschläge ergab, ohne dass einer von uns sie kommentiert hätte. Ich spürte sie jedes Mal überdeutlich, doch ich gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Ich wollte das, was sich zwischen uns entwickelte, nicht gleich wieder kaputtmachen. Stattdessen redeten wir über belangloses Zeug. Musik, Filme, Bücher, unsere Klassenkameraden und was noch viel wichtiger war: unsere Lehrer. Allzu persönliche Themen ließen wir aus, aber dann und wann ließ Benedikt ein Stück Information fallen. Ich sog alles gierig auf wie ein Schwamm. Es hätte nur noch gefehlt, dass ich heimlich Fotos von ihm machte, und man hätte mich für einen Stalker halten können. Trotzdem war es irgendwie … gut. Vertraut. Und ich genoss es in vollen Zügen.     Zu meinem Glück hielten sich auch meine Kopfschmerzen in einem Rahmen, der es mir erlaubte, unentdeckt zu bleiben. Nur einmal musste ich Annett um eine Tablette bitten. Sie händigte mir kurzerhand die ganze Schachtel aus.   „Hast du genug getrunken?“, wollte sie wissen und stellte damit eine der Standardfragen, die man anscheinend zwangsläufig zu hören bekam, wenn man Kopfschmerzen hatte.   „Ja, daran liegt es nicht“, antwortete ich, während ich gleich zwei Tabletten herausdrückte.   Annett beobachtete das mit gerunzelter Stirn.   „Willst du die beide auf einmal nehmen?“ „Ja, das mach ich öfter. Ist nicht weiter … wild.“   Ich stockte, als mir auffiel, dass ich wohl ein wenig zu viel verraten hatte. Annetts Augen wurden schmal.   „Wie oft hast du das?“ „Nicht so oft“, log ich ohne zu zögern. „Es ist nur … selten so schlimm.“ „Auch nachts?“ „Manchmal.“ „Mhm.“   Annett musterte mich jetzt kritisch von oben bis unten. Man sah, wie es in ihrem Kopf arbeitete.   „Hast du noch andere Symptome?“ „Nein.“   Wieder eine Lüge, wenn auch nur eine kleine. Ich hatte ja sonst keine Schmerzen. Ich schlief nur manchmal schlecht, was wohl einfach an der Wärme lag. Genau wie die Tatsache, dass ich mich hier und da nur mit Mühe beherrschen konnte, um nicht eines der Kinder anzufahren, wenn es Blödsinn machte oder aus der Reihe tanzte. Mir fehlte vermutlich der Sport. Die Touren mit dem Rad. Daran änderte auch das bisschen Lauftraining nichts, das ich manchmal in den Morgenstunden absolvierte. Ebenso wenig wie die Massen an Kaffee, die ich mittlerweile trank, etwas an meiner Müdigkeit änderten.   Annett nickte scheinbar beruhigt.   „Wenn es häufiger vorkommt, solltest du trotzdem mal damit zum Arzt gehen. Vielleicht ist es Migräne.“   „Ja, okay, ich merk’s mir“, sagte ich, ohne wirklich in Erwägung zu ziehen, ihrem Rat Folge zu leisten. Es würde schon wieder weggehen.     Die Kopfschmerzen kamen nicht noch einmal in der Heftigkeit zurück. Doch mit jedem Tag, der verging, rückte der Zeitpunkt näher, an dem das Zeltlager sein Ende finden würde. Man hätte wehmütig sein können, wenn nicht auch den Kindern anzumerken gewesen wäre, dass sich inzwischen auch die hartgesottensten unter ihnen nach ihrem Zuhause sehnten. Leider zeigte sich das besonders bei den älteren dadurch, dass sie vermehrt Streit suchten, Ge- und Verbote mutwillig missachteten oder sich so demonstrativ langweilten, dass selbst den motiviertesten Betreuern langsam die Puste ausging. Gerade als Ronya sich während einer Mittagspause mal wieder darüber beschwerte, machte ich meinen Vorschlag mit den zwei getrennten und dafür kürzeren Lagern. Ronya war sofort Feuer und Flamme.   „Das wäre so super“, stöhnte sie. „Dann melde ich mich nur noch für die Kleinen an. Der Zickenkrieg der pinken Panther ist echt nicht auszuhalten.“   „Und ich bin dann bei den Prä-Teens dabei“, ließ sich Annett vernehmen. „Ich hab’s nicht so mit diesem Dutzi-Dutzi-Getue für die ganz Kleinen.“   „Klingt ja fast so, als wäre das bereits beschlossene Sache“, urteilte Kilian und streckte sich demonstrativ auf dem Sofa aus. „Also ich wäre bei beidem dabei. Meinetwegen auch insgesamt vier Wochen.“   „Zehn Tage wären für die Kleinen wohl ausreichend“, gab Reike zu bedenken.   „Dann eben zweimal zehn Tage. Was haltet ihr davon?“   Kilian sah erwartungsvoll in die Runde, die mehr oder weniger einstimmig nickte.   „Na prima, dann machen wir das nächstes Jahr so.“   „Halt, halt“, rief Stephan lachend. „Wir müssen das erst mit dem Träger abstimmen.“   „Ja ja, stimmt ihr mal“, erwiderte Kilian gähnend. „Und weckt mich, wenn es Zeit fürs Mittagessen ist. Die Gummibären haben mich heute Nacht kein Auge zutun lassen. Ich brauche dringend eine Mütze voll Schlaf.“   Während er sein Nickerchen in Angriff nahm, fragte mich Ronya, ob ich wüsste, wo Benedikt sei.   „Nein, keine Ahnung. Warum?“ „Ach, nur so. Ihr beide steckt doch ständig zusammen.“   Ich hielt für einen Moment den Atem an. Hatte Ronya etwas gemerkt? Sie schien jedoch mehr daran interessiert, sich mit ihrer Illustrierten Luft zuzufächeln.   „Na ja, er wird schon irgendwo sein.“   „Ich glaube, ich hab ihn zum See runtergehen sehen“, meinte Kilian mit geschlossenen Augen vom Sofa aus.   „Ach so.“   Ronyas Neugier schien befriedigt, meine hingegen war geweckt worden. Was wollte Benedikt alleine unten am See? Und würde es auffallen, wenn ich ihm einen Besuch abstattete? Ich trommelte mit den Finger auf der Tischplatte herum, bis mich Annett anmaulte, das entweder zu lassen oder mal ne Runde um den Platz zu joggen.   „Okay, okay, ich bin ja schon weg“, sagte ich mit einem entschuldigenden Grinsen. Besser hätte es nicht laufen können. Was konnte ich denn dafür, wenn Annett mich rausschmiss?   Immer noch fröhlich vor mich hin grienend machte ich mich auf den Weg zum Strand. Ich fand Benedikt auf dem gleichen Baumstamm, auf dem auch ich am ersten Tag gesessen hatte. Er bemerkte mich nicht, sondern schaute weiter auf den See hinaus.   „Hey, hier bist du“, rief ich daher schon von Weitem. „Ich hab dich gesucht.“   Benedikt drehte sich zu mir und lächelte leicht. „Dann hast du mich jetzt gefunden.“   Ich überlegte einen Augenblick, bevor ich mich ohne zu fragen einfach ein Stück von ihm entfernt auf dem Stamm niederließ. Von dort aus richtete ich meinen Blick ebenfalls auf das Wasser, das in der Mittagshitze ruhig und spiegelglatt dalag.   Nach einer Weile räusperte ich mich.   „Ich … ich hab gehört, dass eure Nacht heute ganz schön unruhig war. Ist mit Kurt alles in Ordnung?“ „Ja, alles bestens. Ihm war nur zu warm, genau wie den anderen.“ „Kann ich verstehen. Bei uns stand die Luft auch.“   Wieder breitete sich Schweigen aus. Ich warf einen verstohlenen Blick aus den Augenwinkeln auf meinen Sitznachbarn. Er trug heute abgeschnittene Jeans und ein dunkelgrünes T-Shirt mit einem blauen Schriftzug. Ich versuchte gerade, ihn zu entziffern, als ich bemerkte, dass ich beobachtet wurde. Benedikt sah mich fragend an.   „Hast du was Interessantes entdeckt?“ „Äh, nein. Ja! Also … ich hab nur gelesen, was da drauf steht“, stotterte ich. „Und bist du jetzt schlauer?“ „Ja?“   Ich hatte das Bedürfnis zu flüchten und er grinste.   „An deinen Ausreden musst du aber noch feilen, wenn du unauffällig Typen abchecken willst.“ „Wer sagt, dass ich dabei unauffällig bleiben will?“   Ich wusste nicht, wo der Spruch gerade hergekommen war, aber ich dankte welchem Gott auch immer dafür. Benedikt wandte den Blick ab, doch ich sah genau, dass er sich sehr bemühen musste, seine Mundwinkel unter Kontrolle zu behalten. Das gab mir neuen Aufwind.   „Außerdem musst du dich nun wirklich nicht verstecken“, schob ich hinterher. Das brachte ihn dazu, mich kurz anzusehen und den Kopf zu schütteln, bevor er ihn wieder in Richtung Seemitte drehte.   „Was?“, fragte ich und tat so, als wäre mir meine Starrerei von vorhin so gar nicht peinlich. „Ich sage nur, wie es ist.“   Wie es immer schon gewesen ist.   Im Nachhinein hätte ich mich ohrfeigen können, dass ich so blind gewesen war. Benedikt war … heiß. Und sich dessen offenbar nicht bewusst. Zumindest wenn man seinem Gesichtsausdruck Glauben schenken konnte.   „Das sagst du wahrscheinlich jedem Kerl“, brummte er ein wenig unwirsch.   Nein, nur dir, hätte ich am liebsten geantwortet, aber dann ließ ich es bleiben. Ich hatte ohnehin schon viel zu viel gesagt. Stattdessen tat ich das einzig Richtige und hielt endlich die Klappe. Schweigend blieben wir nebeneinander sitzen, bis es Zeit wurde, die Kinder zu wecken. Als man Kilians Stimme über den Zeltplatz schallen hörte, stand Benedikt einfach auf und ging. Ich sah ihm noch einen Moment lang nach, bevor ich mich ebenfalls erhob und schweigend hinter ihm drein trabte.     Die letzten drei Tage des Lagers zogen sich mit Baden, Spielen und der großen Disko, die wir am Vorabend des letzten Tages im Speisesaal veranstalteten. Der ganze Raum war mit Girlanden und Luftschlangen geschmückt; jemand hatte eine Musikanlage und sogar eine Diskokugel besorgt. Die Kinder tanzten, was das Zeug hielt. Zwischendurch sorgte Susanne für kühle Getränke und Würstchen im Schlafrock sowie allerlei andere Köstlichkeiten, die sie, Melina und ich am Nachmittag im Schweiße unseres Angesichts zusammengebastelt hatten. Immer wieder kamen Mädchen, die mich zum Tanzen aufforderten, ich lehnte jedoch jedes Mal dankend ab. Beim fünften Mal, schnalzte Ronya vorwurfsvoll mit der Zunge.   „Du brichst ihre kleinen Herzen“, warf sie mir vor.   „Was denn?“, gab ich empört zurück. „Soll ich sie etwa noch ermutigen?“ „Nein, aber wenigstens nicht jedes Mal Nein sagen. Guck mal da! Selbst Benedikt tanzt mit.“   Ich schwenkte meinen Blick zurück zur Tanzfläche. Natürlich hatte ich gesehen, dass er zusammen mit Kurt und einigen anderen Gummibären vor sich hin zappelte. Er war einer der Gründe, warum ich auf meinem Stuhl hockenblieb.   „Ich bin kein großer Tänzer“, meinte ich achselzuckend. „Nicht? Dabei würdest du bestimmt eine gute Figur machen. Und du hast Rhythmusgefühl. Da müsste Tanzen doch ein Leichtes sein.“   Ich lächelte und dachte mit Grausen an den Tanzkurs, zu dem mich meine Eltern mal angemeldet hatten. Zum Glück war ich zusammen mit Jo dort gewesen, sonst wäre das Ganze nicht zu ertragen gewesen. Auch die Tatsache, dass sich gleich zwei Mädchen aus unserer Klasse dazu bereiterklärt hatten, mit uns zusammen hinzugehen, war eine Erleichterung gewesen. Das Vorhandensein einer Tanzpartnerin hatte mich davor bewahrt, an irgendein wildfremdes und womöglich an mir interessiertes, weibliches Wesen zu geraten. Witzigerweise war mir das Nicht-Vorhandensein von Interesse an Mädchen immer als ein Zeichen von Reife ausgelegt worden. Im Nachhinein war es geradezu ironisch.   „Na komm, nun hab dich nicht so“, holte Ronya mich wieder in die Realität zurück. Sie griff nach meiner Hand und zog mich einfach von meinem Stuhl hoch. Plötzlich stand ich inmitten der Menge, mit Ronya vor mir, die eigenartige Verrenkungen zur Musik machte. Ich musste lachen.   „Kann ich auch tanzen wie normale Leute?“ „Mir egal. Hauptsache du tanzt überhaupt. Sonst komme ich mir dämlich vor.“   Sie grinste mich an und ich gab meinen Widerstand auf. Ein bisschen Tanzen würde mich schon nicht umbringen. Ich sah Benedikt im Hintergrund feixen und schickte ihm einen finsteren Blick, der ihn nur umso breiter grinsen ließ. Ich seufzte und bewegte pflichtschuldig meine Füße. Das hier war definitiv nicht meine Welt.     Nichtsdestotrotz war ich traurig, als zwei Tage später die ersten Kinder von ihren Eltern abgeholt wurden. Ich hatte die Aufgabe bekommen, den großen Gepäckhaufen zu bewachen, damit nicht auf den letzten Metern noch jemand Unfug damit trieb. So gab ich Tasche um Tasche an die Kinder heraus, die sich bei der Gelegenheit gleich von mir verabschiedeten. Einige nur mit einem Gruß, einige inniger. So wie Kurt, der von seinen Eltern aus mit einem riesigen Strahlen auf dem Gesicht auf mich zugerannt kam.   „Theo! Stell dir vor! Ich bekomme einen Hund zum Geburtstag. Der ist nämlich nächste Woche. Wie findest du das?“   „Einen Hund?“, fragte ich lachend. „Kannst du denn überhaupt schon auf so ein Tier aufpassen?“   „Na klar. Ich weiß alles über Hunde. Ich werde ihn füttern und bürsten und mit ihm spazieren gehen und nachts schläft er bei mir im Bett.   „Na, da reden wir aber nochmal drüber“, sagte sein Vater und nahm Kurts große Reisetasche in Empfang. Ich drückte den Kleinen noch einmal an mich, bevor Kurt davonschoss, um sich auch noch von Benedikt zu verabschieden. Als er und seine Familie schließlich ins Auto stiegen, kam Benedikt zu mir herübergeschlendert.   „Ich werde auch gleich abgeholt“, sagte er. „Ausgerechnet heute ist meine Mutter mal früher dran. Angeblich hat sie mir was Tolles zu erzählen.“ „Ihr bekommt auch einen Hund?“, orakelte ich. „Vermutlich eher noch ein Baby. Meine Schwester faselt schon die ganze Zeit davon, dass sie ja unbedingt noch ein Geschwisterchen für Josie will.“ „Dann bist du zweifacher Onkel.“ „Ja, das bin ich dann wohl.“   Für einen Moment lag mir auf der Zunge zu sagen, dass er bestimmt ein ganz toller Onkel war oder sonst irgendwelchen Schwachsinn, aber meine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Ich brachte keinen Ton heraus.   Hinter ihm fuhr ein kleines, rotes Auto auf den Parkplatz. Ich erkannte es als das seiner Mutter wieder. Der Moment des Abschieds war gekommen.   „Tja, ich … also, wir sehen uns dann, oder?“ „Ja, das tun wir.“   Ich nickte. Das hier war so schwer. Fast so, als würde ich ihn tatsächlich nie wiedersehen.   „Steht unsere Verabredung für nächstes Wochenende noch?“   Ich blinzelte überrascht.   „Verabredung?“ „Du wolltest mit mir zum CSD gehen.“   Ach ja. Das hatte ich total vergessen. Und eigentlich hatte ich gedacht …   „Ich hatte gedacht, dass du nicht mehr mit mir hingehen willst.“   Er runzelte die Stirn.   „Warum nicht?“ „Weiß nicht. War nur so ein Gefühl.“   Benedikt lächelte einmal mehr dieses halbe Lächeln.   „Doch, will ich. Mehr als alles andere.“   Während ich noch überlegte, wie er das wohl gemeint hatte, hörte ich Benedikts Mutter nach ihm rufen. Er verdrehte die Augen.   „Du hörst es ja. Mein Typ wird verlangt. Also dann, Theo. Mach’s gut.“   Ich kam nicht dazu zu antworten, da war er schon vorgetreten und hatte mich in eine kurze Umarmung gezogen. Die Berührung war so flüchtig und gleichzeitig so kraftvoll, dass sie mir glatt den Atem nahm. Er lächelte mir noch einmal zu, dann drehte er sich um und stiefelte auf seine Mutter zu, die bereits mit einem breiten Lächeln auf ihn zukam. Er kassierte einen Kuss auf die Wange und ebenfalls eine Umarmung, bevor sich die beiden auf den Weg zurück zum Auto machten. Und ich stand da und hatte das Gefühl, im Innern auseinanderzubrechen. Da waren so viele, verschiedene Empfindungen, dass ich gar nicht wusste, welche ich zuerst fühlen sollten. Also atmete ich tief durch, wandte den Blick ab und mich dem nächsten Elternpaar zu, das die Tasche ihres Nachwuchses in dem bereits geschrumpften Haufen suchte.   Als schließlich auch das letzte Kind abgeholt worden war, wurde es auch für uns Betreuer Zeit, unsere Sachen zu packen. Reike war die Erste, die damit fertig war und sich von allen verabschiedete. Als ich an die Reihe kam, nahm sie meine Hand und legte mir etwas hinein. Es war eine kleine, gedrehte Muschel aus hellem Holz etwa halb so groß wie mein kleiner Finger.   „Die Muschel ist ein Symbol des Erwachens. Ich denke, du wirst sie brauchen können.“ Sie nickte mir zu. „Ich wünsche dir eine gute Zeit, Theodor, und viel Kraft für deinen weiteren Weg.“   Damit lächelte sie mir noch einmal mit diesem geheimnisvollen Lächeln zu und ihre großen, braunen Augen betrachteten mich ein letztes Mal, bevor sie ihren Motorradhelm aufsetzte und mit festen Schritten zu ihrer Maschine ging. Ich sah ihr nach mit der Muschel in der Hand und wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. Im nächsten Moment war jedoch schon Kilian heran und zog mich einfach in eine Umarmung.   „Mach’s gut, Theo, altes Haus. Und immer schön geschmeidig bleiben.“   „Äh, ja“, machte ich. „Gleichfalls.“   Er zwinkerte mir noch zu und übergab den Staffelstab an Thies und Stephan, der ersteren zum Bahnhof bringen würde. Sie beließen es ebenso wie Sönke bei einem einfachen Handschlag. Ronya hingegen umarmte mich wieder.   „Hat mich gefreut, Theo.“ „Mich auch.“ „Kommst du nächstes Jahr wieder?“   Ich hob unschlüssig die Schultern.   „Mal sehen. Ich weiß noch nicht, was ich mache, wenn ich mit der Schule fertig bin.“   Ronya grinste mich an.   „Na, vielleicht kommst du ja noch auf den Geschmack und wirst Kindergärtner.“ „Im Leben nicht!"   Sie lachte und umarmte mich noch einmal, bevor sie in Annetts Auto stieg. Darin saß bereits Melina, die sich zuvor von mir verabschiedet hatte. Blieb nur noch Annett.   „Na schön, Großer. Dann lass dich mal drücken:“   Bevor ich reagieren konnte, hatte sie schon einen sehnigen Arm um mich geschlungen und mich an ihre Brust gedrückt. Sie fühlte sich hart und schmal in meinen Armen an.   „Bleib gesund, ja?“ „Na klar.“   Ich rückte meine Brille wieder zurecht, während sie mir noch einmal das „Ich beobachte dich“-Zeichen machte, bevor sie ins Auto stieg und losfuhr. Zurück blieben nur noch Wolfgang, Susanne und ich.   Mit einem merkwürdigen Gefühl in der Brust ließ ich meinen Blick noch einmal über den verwaisten Platz schweifen. Da waren so viele Erinnerungen, große und kleine, die ich mit diesem Ort verband. Jetzt von hier fortzumüssen war irgendwie seltsam. Gleichzeitig glich das Lager ohne die vielen Kinder einer Geisterstadt. Man erwartete fast, einen losen Busch zu sehen, der über die Straße zwischen den Zelten geweht wurde.   Susanne lachte, als sie meinen vermutlich ziemlich verräterischen Gesichtsausdruck sah.   „Was denn? Hast du jetzt schon Heimweh?“   Ich erwiderte ihr Lächeln. „Vielleicht ein bisschen.“   „Dann komm doch einfach nächstes Jahr wieder. So jemand wie dich können wir immer brauchen.“   „Ich überleg’s mir“, antwortete ich und stieg endlich in den bis an die Decke beladenen Kastenwagen, damit wir losfahren konnten.     Am Hof meiner Eltern angekommen, ließ Susanne mich bereits an der Straße raus.   „Bei uns kommen heute die Handwerker“, erklärte sie mir. „Da muss ich pünktlich zu Hause sein.“   Ich klopfte noch einmal bestätigend an die Wagenseite, bevor ich meine Tasche und die Gitarre schulterte und die breite Einfahrt zu unserem Domizil hinaufschritt.   Auf dem Hof hatte sich nicht viel verändert und doch konnte man hier und dort Unterschiede erkennen. Vor den Ferienwohnungen lagen andere Fußmatten und die Blumenkästen vor den Fenstern waren neu bepflanzt worden. Großblütige Petunien in intensivem Violett und Pink wippten im warmen Sommerwind. Ansonsten war niemand zu sehen. Die Feriengäste hielten vermutlich gerade Mittagsruhe. Irgendwo muhte eine Kuh.   Ich schloss die Haustür auf und rief einen Gruß, aber auch hier antwortete mir niemand. Ein Zettel auf dem Esstisch informierte mich schließlich darüber, dass meine Eltern in die Stadt gefahren waren, um fürs Wochenende einzukaufen. Sie würden erst am Nachmittag zurückkommen.   Mit einem leichten Anflug von Enttäuschung legte ich den Zettel zurück auf den Tisch. Irgendwie hatte ich gedacht, dass jemand hier sein würde, wenn ich heimkam. Aber … ich war ja schon groß. Da musste man sich nicht mehr um mich kümmern.   Ich ließ meine Tasche mit der dreckigen Wäsche im Flur stehen als Zeichen, dass ich wieder daheim war, bevor ich den Gang in den zweiten Stock antrat. Die Luft hier oben war warm aber nicht abgestanden. Meine Mutter hatte gelüftet und offenbar auch ein wenig aufgeräumt. Die Sachen, die ich vor meiner Abreise noch wild im Zimmer verstreut hatte, waren zu einem ordentlichen Stapel auf meinem Schreibtisch zusammengetragen worden. Ich strich mit den Fingerspitzen darüber und ließ sie dann weiter wandern zu meinen Instrumenten, die auf den Ständern an einer Seite des Raumes standen. Wie lange hatte ich nicht mehr auf ihnen gespielt? Es schien mir eine Ewigkeit her zu sein.   Trotzdem fühlte ich auch jetzt kein Verlangen danach. Mein Blick fiel auf mein Bett. Es war gemacht und frisch bezogen. Ich legte mich darauf und steckte meine Nase in das aufgefluffte Kissen. Der Geruch von zitronigem Waschmittel und frischer Luft umfing mich. Meine Mutter hatte die Sachen draußen auf der Leine getrocknet.   Ich wusste nicht, wie lange ich so dalag und der Zeit beim Verstreichen zusah. In meinem Kopf herrschte eine Leere, in der nur das Lachen von Kindern, das Prasseln eines Lagerfeuers und der ruhige Klang einer männlichen Stimme nachhallte. Irgendwann hörte ich, wie sich unten die Haustür öffnete. Meine Eltern waren zurück. Meine Mutter rief nach mir. Ich brauchte einen Augenblick, bevor ich reagierte. An meinen Gliedern schienen Bleigewichte zu hängen.   „Ich komme“, rief ich nach unten und erhob mich endlich. Dabei kullerte etwas aus meiner Hosentasche. Es war die Muschel, die Reike für mich geschnitzt hatte. Ich betrachtete sie noch einmal von allen Seiten, bevor ich sie auf den Schreibtisch legte und zur Tür ging. Die Ferien waren vorbei. Jetzt wurde es wieder Zeit für den Ernst des Lebens. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)