Meeressturm von Coronet ================================================================================ Kapitel 20: Verlorene Stärke ---------------------------- „Möge die See ihre Seelen hüten.“ Vielstimmig hallen die Worte durch den Raum, Gläser werden in die Luft erhoben. „Auf Edy und Cordelia! Damit wir uns immer an sie erinnern.“ Ein leichtes Zittern schwingt in den Worten mit, als Finnick sie ausspricht. Er kann nicht begreifen, dass sie schon wieder fort sind. Die wenigen Tage mit den Tributen scheinen sich in seiner Erinnerung zu Wochen – gar Monaten – gestreckt zu haben. Und nun ist ihr Kampf vorbei. Mit geschlossenen Augen nimmt er einen Schluck aus seinem Glas. Das Salzwasser darin brennt auf seinen Lippen, so wie der Brauch es will. Ein Abschied für die tapferen Tribute aus Distrikt vier auf ihrer letzten Reise ans Ende der Gezeiten. „Mögen die Wellen sie leiten“, murmelt er leise für sich. Er hofft inständig, dass nach dem Tod Frieden wartet. Das Leben hat sie wahrlich genug gestraft. Stille breitet sich unter den Mentoren aus. Sie stehen in einem engen Kreis im Wohnzimmer beisammen, jeder in eigene Gedanken versunken. Keiner will es sich eingestehen, doch sie vermissen Mags. Wenn alle Hoffnung verloren schien, dann war es stets sie, die ihnen mit einer warmen Umarmung und weisen Worten den Mut zurückgab. Ihr Fehlen hinterlässt eine Lücke in ihrem Kreis, die niemand zu schließen vermag. Am Ende der Trauerrede verbleibt bloß trübe Leere. Jeder starrt in die Tiefen des Salzwassers, als läge darin eine trostspendende Wahrheit. Für den Moment kann Finnick sich nicht einmal darüber freuen, dass Katniss und sogar Peeta dem Angriff der Jägerwespen entkommen sind. Trotz allem Hoffen und Bangen für das große Ganze, wie Distrikt dreizehn es zu nennen pflegt, überwältigt die Trauer um die eigenen Tribute jede andere Empfindung. „Und jetzt?“, stellt Amber genau die Frage, die allen bereits durch den Kopf gegangen ist. „Amüsieren wir uns im Kapitol?“ Ihr Blick wandert zur Skyline und sie ballt eine Hand zur Faust. Floogs leckt sich das Salzwasser von den Lippen. „Jetzt überlegen wir, wer unsere Sponsorengelder bekommt.“ „Müss’n wir das wirklich überleg’n?“ Trexler sieht sich in der Runde um. „Es gibt nich‘ viele, die ne Chance haben, und sie auch verdienen. Katniss mag Cordelias Tod verursacht hab’n, aber sie is‘ stark. Hat das Zeug, den Karrieros die Stirn zu bieten. Zusamm‘ mit Rue aus Elf. Wenn’s eine verdient hat, dann sie.“ „Das hast du schön gesagt, Trex.“ Floogs ringt sich ein schmales Lächeln ab. „In der Tat wäre ich auch für Distrikt zwölf und elf, jeweils anteilig. Cordelias Tod war eine Verkettung unglücklicher Umstände, geboren aus der Not heraus. Vielleicht wäre es anders gelaufen, hätte sie nicht ein Karriero werden wollen. Was geschehen ist, ist geschehen. Noch können wir mit unseren Sponsorengeldern etwas bewirken. Damit die richtigen Tribute eine Chance haben gegen die Übermacht aus Eins und Zwei.“ Zustimmend nicken Trexler und Finnick. „Also ist es beschlossen?“, fragt Amber. „Wir werfen unser hart erarbeitetes Geld zwei Männern hinterher, die meist so betrunken sind wie eine ganze Hafenkneipe nach dem Präsidentenfest?“ „Und Seeder, vergiss das nicht“, wirft Finnick trocken ein. „Und genau das heißt es. Sie sind vielleicht oft blau – aber auch schlau und ich glaube jeder hier im Raum weiß, dass sie eine schmale Chance haben, für die sie alles an Geld brauchen können, um gegen den Reichtum in den Griffeln von Cash und Enobaria zu bestehen.“ Er und die übrigen Mentoren wenden sich Annie zu, die als Einzige noch nichts gesagt hat. Unter ihren Blicken scheint sie zu schrumpfen. „In Ordnung. Geben wir ihnen das Geld. Dann nützt es wenigstens denen, die sonst so wenig Hoffnung haben.“ Ihre Fingerknöchel treten weiß hervor, so fest krallt sie sich an ihr Glas. „Ich glaube nicht, dass Cordelia und Edy etwas dagegen hätten.“ Für ihre Worte und Tapferkeit will Finnick sie am liebsten sofort in seine Arme ziehen. Trotz allem, was das Kapitol ihr angetan hat, schafft sie es, dort zu stehen und an das Gute zu glauben. Obwohl ihm bewusst ist, wie sehr Cordelias Tod ihre Welt erschüttert hat, ist sie wieder aufgestanden. Hunderte Male hat er befürchtet, sie verloren zu haben, nur damit sie ihn Tag für Tag eines Besseren belehrt. „Gut, dann werde ich Bescheid geben, dass unser Geld übertragen wird“, sagt Floogs. „Was bin ich froh, dass Haymitch allen Berichten nach wirklich einen Bogen um die Bar macht.“ Amber tritt an das große Fenster und schaltet das Bild des nächtlichen Meers ab, das den Hintergrund für ihre Trauerfeier gebildet hat. „Wollen wir hoffen, dass Chaff ebenso klug ist wie sein Kumpel.“ „Sei nicht immer so pessimistisch“, schimpft Finnick sie. „Es hat sich wirklich etwas verändert. Ihre Tribute haben sie verändert.“ „Na, deine unerschütterliche Hoffnung möchte ich mal haben.“   Langsam zerstreut sich die kleine Trauergesellschaft, bis nur Finnick und Annie zurückbleiben. „Und was tun wir jetzt den Rest der Zeit?“ Aus großen Augen sieht sie ihn an. „Abwarten. Zusehen was geschieht. Die Mentoren unterstützen, deren Distrikte wir siegen sehen wollen. Oh, und man wird uns für ein Interview sehen wollen. Du weißt schon – eins von der Sorte, das nur zuhause ausgestrahlt wird. Um unserer Tribute zu gedenken.“ Ihr Gesicht sieht aus als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen. „Keine Sorge, Cece bereitet uns vor. Es ist nicht viel Raum für Spontanität in diesen Auftritten.“ Annie atmet tief durch und strafft ihre Schultern. „Ich hoffe, dass die Spiele nicht mehr lange dauern. Ich will nur, dass es vorbei ist.“ „Ich weiß.“ Zögerlich geht er auf sie zu und zieht sie in seine Arme. „Nicht mehr lange. Jetzt musst du wenigstens keine Angst mehr haben.“ Seine Lippen streichen über ihren Haaransatz. Doch Annies verkrampfte Muskeln entspannen sich nicht. „Oh Fin, ich habe nicht nur Angst um sie gehabt. Da ist noch so viel mehr ...“ Ihr Seufzen findet Widerhall in seinem Inneren. „Vielleicht ein anderes Mal“, flüstert sie so leise, dass selbst eine fallende Feder lauter wäre. Er will sie schon auf später, daheim in Distrikt vier, vertrösten, da fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Die ganze Zeit über ist die Möglichkeit direkt vor ihm! Wieso ist er nicht viel eher darauf gekommen? „Schon in Ordnung. Wir haben jetzt zumindest einiges an Freizeit“, erklärt er gedehnt, „genug, um ... dem Trainingscenter einen Besuch abstatten. Ein bisschen Frust ablassen.“ Damit das Kapitol die nachfolgenden Worte nicht hört, formt er sie nur stumm mit den Lippen. Vertrau mir. „Begleitest du mich?“ Innerhalb von Sekunden gleiten Verwirrung, Neugier und schließlich Überzeugung durch Annies Augen. „Okay ... ich werde es wohl mal ausprobieren.“ „Wunderbar. In zehn Minuten am Fahrstuhl?“ Sie nickt und wirft ihm einen skeptischen Blick zu, bevor sie sich in ihr Zimmer aufmacht, um die Trauerkleidung gegen etwas Sportlicheres zu tauschen.   Das Kellergeschoss liegt in Dunkelheit verloren vor ihnen, als Finnick und Annie aus dem gläsernen Fahrstuhl treten. Nur vor den großen Flügeltüren erhellt eine einsame Lampe den Wachtposten von Edmont. Der Friedenswächter lehnt an der Wand, sein Kinn auf die Brust gesunken. Ihre Schritte schrecken ihn offensichtlich aus seinem Schlummer auf, denn er reißt den Kopf hoch und schnappt erschrocken nach Luft. Mit einem ertappten Gesichtsausdruck greift er sich an die Brust. „Finnick, mein Junge, was hast du mich erschreckt.“ „Sorry, Edmont. Das nächste Mal lasse ich dich schlafen.“ Er zwinkert dem Mann zu. Der jedoch schneidet nur eine Grimasse. „Ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Die Nachtschichten waren schon mal aufregender.“ Neugierig schielt er an Finnick vorbei auf Annie, die unsicher die Arme um sich geschlungen hat. Bei ihrem Anblick scheint dem rundlichen Mann etwas einzufallen. „Mein Beileid übrigens für euer kleines Mädel. Sie war ne Tapfere. Hätte echt auf sie gewettet. Vielleicht habt ihr ja nächstes Jahr wieder mehr Glück.“ Ein kurzer Stich schießt durch Finnicks Herz, aber er strafft bloß die Schultern. „Wir werden sehen. Du weißt ja, nichts kann uns unterkriegen. Wir sind mit allen Wassern gewaschen – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Er schafft es, einen Mundwinkel zur Andeutung eines selbstsicheren Lächelns zu verziehen. „Bis es soweit ist, muss ich allerdings ein wenig Frust loswerden.“ „Natürlich, natürlich.“ Edmont klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Die Halle ist ganz dein – also euer.“ Er lächelt Annie zu, doch sie nickt nur distanziert. „Dann mal rein mit euch.“ Das lassen sie sich nicht zweimal sagen und schlüpfen schnell durch die schweren Türen. Ein kaum merkliches Zittern durchläuft Annie beim Anblick der düsteren Halle voller Waffen. Finnick ergreift ihre Hand. „Keine Sorge, heute Abend kommt niemand her außer uns. Es ist ein wohlgehütetes Geheimnis zwischen uns Siegern, dass man hier unten ungestört sein kann. Die meisten von uns nutzen es zum Trainieren, aber es ist auch ein guter Ort, um einfach zu reden.“ In einem großen Bogen zieht er sie mit sich in die Mitte der Halle, den Ständern voll feinsäuberlich aufgereihten Trainingswaffen ausweichend. Er schiebt ihr eine Kiste hin und bedeutet ihr, sich zu setzen. Von ganz alleine suchen seine Augen die Ecken des Raums ab, nur um sicherzugehen, dass nicht doch eine neue Kamera aufgetaucht ist, die sie ausspioniert. Zögerlich lässt Annie sich sinken. Ihre Augen glänzen in der spärlichen Beleuchtung, während sie sich in dem Gewölbe umschaut. „Es erinnert alles so sehr an sie“, bringt sie gepresst hervor. „Ich weiß. Es tut mir wirklich leid.“ Etwas unwohl reibt Finnick sich den Hinterkopf. „Leider ist das hier der einzige Ort, an dem du mir die Wahrheit sagen kannst – sofern du dazu bereit bist.“ Er lässt sich vor ihr auf den Boden sinken, ihre Hand immer noch fest in seiner. „Meinst du das ernst?“ Sie sieht ihn aus geweiteten Augen an. „Hier? Ich kann doch nicht ...“ Bevor sie weiterreden kann, schüttelt er den Kopf. „Ich weiß, was du denkst. Aber nein, hier sind unsere Gedanken, Worte und Geheimnisse sicher. Du kannst mir vertrauen. Johanna hat schon genug Flüche auf Präsident Snow hier unten zum Besten gegeben und sie hat auch noch keiner abgeführt.“ „Wie ...?“, fragt Annie verwundert. Wieder schüttelt er den Kopf. „Die ganze Geschichte wäre jetzt zu lang. Ich weiß, dass du diesen Ort hasst, aber er ist der Einzige, an dem du mir alles erzählen kannst. Ohne Angst.“ Er schluckt schwer. „Ich will nicht warten, bis wir zuhause sind. Ich halte diese Ungewissheit nicht länger aus.“ Sie holt tief Luft. Immer noch mustert sie die Umgebung, als fürchte sie, dass jederzeit weiß gewandte Soldaten aus den Ecken springen werden. „Was ist mit dem Friedenswächter?“ Beruhigend streicht er über ihren Handrücken. „Edmont trägt zwar die Rüstung, aber er ist nur ein einfacher Kerl, der uns Sieger verehrt. Er ist glücklich, wenn er uns einen Gefallen tut. Ich glaube nicht, dass er jemals an die Konsequenzen gedacht hat.“ Er zuckt mit den Schultern. „Unser Vorteil, denn er hält dicht.“ „Okay.“ Unbehagen schwingt in Annies Stimme mit, doch sie ringt sich zu der Andeutung eines Lächelns durch. „Wenn ich dir vertraue, muss ich wohl auch ihm vertrauen.“ „Danke. Vielleicht macht das hier ja alles etwas einfacher.“ Er greift hinter seinen Rücken und befördert den kleinen Stoffpinguin zutage. Sein Ausflug in den Zoo scheint ihm ein ganzes Leben zurückzuliegen. Dieses Mal weiten sich Annies Augen vor Überraschung. „Ein Pinguin?“ Er lächelt wehmütig. „Sagen wir einfach, ich habe meine Beziehungen spielen lassen. Ich hätte dir lieber den Zoo gezeigt, aber so hast du wenigstens etwas, das dich an die Tiere erinnert.“ Vorsichtig streichelt sie über den weiß-schwarzen Stoffpelz. „Oh Fin“, haucht sie. „Danke.“ Ein warmes Gefühl streicht durch sein Inneres, als sie das winzige Stofftier mit ihren Fingern umschließt. Er hasst es, die Zufriedenheit wieder vertreiben zu müssen, doch ihnen bleibt nicht unendlich viel Zeit. „Der einzige Nachteil unseres Verstecks ist, dass wir wenigstens den Anschein erwecken sollten, dass wir trainieren. Und mit wir meine ich mich.“ Entschuldigend sieht er sie an und steht auf, um mit den Dehnübungen anzufangen. „Zumindest ein paar Speere muss ich werfen. Nur falls doch jemand mal auf die Idee kommt, sich die Überwachungsbänder anzusehen.“ Annie seufzt schwer und zieht die Beine an den Körper, immer noch in Betrachtung seines Geschenks versunken. „Schon in Ordnung. Ich kann ohnehin nicht mein ganzes Leben lang davon laufen. Du siehst ja, wozu das führt.“ Ihre Stimme wird heiser. „Plötzlich sitze ich da und bin die weltschlechteste Mentorin.“ „Das darfst du nicht einmal denken!“, fährt Finnick ihr dazwischen. „Wir haben alles für die beiden getan. Aber am Ende waren es ihre Entscheidungen und ihr Kampf. Wir können nur zusehen, egal was passiert.“ „Ich war aber nicht da“, sagt Annie voller Verbitterung. „Sie haben mich weggesperrt und ich konnte nichts tun.“ „Und das war nicht deine Schuld!“ „Trotzdem ...“ Sie vergräbt ihr Gesicht hinter den Knien. „Alles hätte anders laufen sollen.“ Finnick gibt es auf, Dehnübungen vorzutäuschen. Hilflos legt er die Hände auf Annies Schultern und streicht über ihren Rücken. „Irgendwann kommt der Punkt, an dem wir akzeptieren müssen, dass wir keinen Einfluss darauf haben. Aber was zählt ist, dass wir alles getan haben. Und das hast du.“ „Wie hat es ihnen geholfen, dass ich in einem unterirdischen Labor gefoltert werde?“, schluchzt Annie trocken. Es ist nicht so, als hätte Finnick es nicht gewusst, oder vielmehr geahnt, doch die harsche Realität ihrer Aussage nimmt ihm den Atem. Jeder verzweifelte Luftzug sticht in sein Herz. Dieses Mal findet er keine passenden Worte. Er schließt sie in seine Arme, so fest er kann. „Jedes Mal, wenn ich geweint habe, hat sie Feuer durch meine Adern geschickt. Alles, was sie brauchte, war eine Fernbedienung. Und sobald ich weinte oder schrie, stand meine Welt in Flammen.“ Das Zittern, was ihren Körper durchläuft, erschüttert Finnicks Arme. „Wer?“, fragt er rau. „Tia, die Ärztin aus dem Labor. Die Frau, die uns alle hasst. Ich hab sie reden hören.“ Die Sätze stolpern immer schneller aus Annie heraus. „Die Schnattertölpel haben mir ihre Worte gezwitschert. Ihre und die von dem obersten Spielmacher. Sie hält die Sieger, uns alle, für eine Gefahr. Eine Gefahr, die man ruhig stellen muss. So wie sie es mit mir gemacht haben!“ Hilflos steht Finnick da. Keins ihrer Worte ergibt Sinn für ihn. Schnattertölpel? Was immer in den Tiefen des Kapitols vorgeht, es scheint jeden seiner schlimmsten Albträume zu übertreffen. „Diese dumme Regeländerung, sie soll uns alle nur ruhig stellen, damit wir uns nur damit beschäftigen. Sie spielen immer noch mit uns. Und wenn ich nicht gehorche, flößen sie mir das Medikament ein, das jeden Gedanken unmöglich macht.“ Wie eine Ertrinkende schnappt sie nach Luft. „Was sollte sie aufhalten, das auch allen anderen anzutun? Was, wenn ich nur ihr ... ihr Testkaninchen bin?“ Ein plötzlicher Anfall schüttelt ihren schmalen Körper. Der Stoffpinguin fällt zu Boden, als Annie ihre Hände auf die Ohren schlägt. Welcher Schrecken auch immer sie verfolgt, Finnick kann es sich nicht einmal ansatzweise vorstellen. Er sieht ihr gerötetes Gesicht in Panik erstarren und hört, wie sie leise Worte formt. „Nicht Edy, bitte nicht Edy. Bitte nicht. Er hat doch nichts getan.“ Ihre Augen geistern durch die Halle, ohne wirklich zu sehen. Er setzt sich neben sie, eine Hand zaghaft an ihrem Rücken und wartet darauf, dass sie wieder auftaucht. Eine ganze Weile sitzen sie so auf der Kiste, bis Annies Anfall sich löst. Für einen Moment scheint sie verwirrt über ihr Erwachen an diesem Ort zu sein. Dann erblickt sie Finnick mit dem Stoffpinguin in seinen Händen und er kann förmlich sehen, wie die Realität sie ergreift. Der Nebel in ihren Augen lichtet sich. Erschöpft lässt sie ihren Kopf auf seine Schulter fallen. Von ganz alleine fährt sie fort, zu erzählen. „Sie experimentieren dort unten an allerhand ... Kreaturen.“ Ihre Stimme ist matt, während sie ihm von den grausigen Experimenten der Forscher erzählt, aber das verstärkt den Horror nur. Ihm ist schon seit Jahren bewusst, dass die Monstrositäten in der Arena wenig natürlichen Ursprungs sein müssen, doch Edys Schicksal hinterlässt das Gefühl von Asche in seiner Kehle. Die Vorstellung der absoluten Kontrolle des Kapitols bringt seine Hände zum Zittern. Unfähig, länger ruhig sitzen zu bleiben, springt er auf und läuft erregt auf und ab. Wie gerne würde er jetzt aufschreien. Nur Annies Anwesenheit hält ihn zurück. „Ich kann nicht – es macht mich so wütend“, stößt er hervor. „Und verzweifelt. Ich kann nicht klar denken, da ist nur ein großer Sturm in meinen Gedanken.“ Er presst sich die Hand an die Stirn, in der Hoffnung, sich so zur Ruhe zwingen zu können. In seinem Inneren überschlagen sich die Sorgen. „Lass es raus“, sagt Annie leise. „Wozu sind wir schließlich hier?“ Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich darf mich nicht so überwältigen lassen.“ „Du sagst immer zu mir, dass ich es nicht verstecken darf.“ „Trotzdem.“ Hartnäckig hält er dagegen. Einer von ihnen muss der Welt die Stirn bieten und diese Aufgabe hat er schon vor Jahren akzeptiert. Plötzlich erhebt Annie sich und läuft hinüber zu den ordentlich aufgereihten Speeren. Fast trotzig reißt sie einen aus der Halterung. Voller Abscheu betrachtet sie die leichte silberne Waffe und dann – mit einem dumpfen Wump schlägt das Metall in eine der weit entfernten Zielscheiben ein. Keuchend starrt sie auf den vibrierenden Schaft. „Dann mache ich es eben!“, brüllt sie schrill wie eine verwundete Löwin und pfeffert einen zweiten Speer hinterher. „Verdammt sollen sie alle sein!“ Die Spitze schlägt nur eine Haaresbreite neben der Ersten ein. Obwohl Jahre seit ihren Hungerspielen vergangen sind, ganz zu schweigen von dem Ende ihres früheren Lebens, hat sie kein bisschen Talent eingebüßt, wie Finnick mit einem Schaudern feststellt. Der Zorn beflügelt es höchstens. Ihre Hand umklammert bereits den nächsten Speer, da tropfen die ersten Tränen auf den polierten Boden. Ein heftiger Schluchzer schüttelt sie. „Raus ... aus meinem Kopf“, stöhnt sie qualvoll. Angewidert schleudert sie die Waffe von sich, sodass sie klirrend ein paar Meter über die Trainingsfläche schlittert. „Lasst mich ...“ Bevor Annie zu Boden fällt, fängt Finnick sie auf.   ***   Die gespenstische Stille in der Trainingshalle wird nur von Annies erstickten Schluchzern durchbrochen. Ihre Tränen durchnässen Finnicks dünnes T-Shirt, aber das ist ihm egal. Er hält sie in den Armen, bis sich all ihr Leid den Weg nach draußen gebahnt hat. Was das Kapitol ihr angetan hat, wird er nie vergeben. Nicht nur, dass sie eine Figur in ihren Hungerspielen war, nein, sie haben darüber hinaus nichts unversucht gelassen, sie zu der perfekten Siegerin zu formen, die sie gerne hätten – und dabei fast alles zerstört, was sie ausmacht. Finnick erscheint es wie eine Ewigkeit, bis Annies Tränen endlich versiegen. Er sieht in ihre verquollenen roten Augen und verspricht ihr, wovon er schon seit Jahren träumt. „Ich werde einen Weg finden, das hier zu beenden. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Das Kapitol soll nie wieder Macht über uns haben.“ Annies zarte Schultern versteifen sich. „Fin, was redest du da? Du klingst, als würdest du ... neue dunkle Tage meinen!“ Sie mustert ihn unter zusammengezogenen Augenbrauen heraus erschrocken. Kurzzeitig überlegt er, alles von Distrikt dreizehn, der Rebellion und den Anzeichen für einen Umbruch zu erzählen. Doch als er die Unruhe in ihren blau-grünen Augen sieht, sinken die Worte wieder seine Kehle hinab. Er kann es nicht. Das Wissen würde ihr nicht helfen, wenngleich es ihm schmerzt, sie zu belügen. „Nein, das will ich nicht“, sagt er leise. „Aber ich werde dafür kämpfen, dass sie dich ... in Ruhe lassen.“ Zumindest ein Körnchen Wahrheit steckt in seinen Worten. „Fin, sei vorsichtig“, entgegnet Annie, einen Schluckauf unterdrückend. „Bitte. Ich kann dich nicht verlieren. Nicht deswegen.“ Unglücklich lächelt er. „Natürlich.“ Er drückt ihr einen Kuss auf den Scheitel. Schniefend zieht Annie die Nase hoch. „Ich weiß, es ist albern – ich habe nur so egoistische Angst, alleine zu sein. Zusammen können wir doch alles überstehen. So wie jetzt. Dann wird alles besser.“ Sie wischt sich mit dem Ärmel ihrer Jacke über das tränennasse Gesicht. Als ihre Wangen wieder trocken sind, tritt ein neuer, trotzigerer Ausdruck in ihre Augen. Ein weiteres Mal nimmt sie ihre ganze Stärke zusammen und steht auf. „Du hattest Recht. Ich fühle mich schon besser. Auch wenn ich diesen Ort lieber nie wieder sehen würde.“ Ihr Blick wandert zu den Speeren, die sich in die Mitte der Zielscheibe gebohrt haben. Sie streicht ihre langen Haare über die Schulter zurück. „Ich sollte zu Cece gehen und meinen Text für das letzte Interview üben. Wenigstens das kann ich tun. Edy und Cordelia einen würdigen Abschied geben.“ Finnick sitzt immer noch am Boden und ringt mit sich, wie er Annie je in sein gefährliches Geheimnis einweihen kann, da beugt sie sich herab und gibt ihm einen kurzen Kuss. „Danke, Fin. Jetzt bist du an der Reihe, es rauszulassen.“ Annie verschwindet raschen Schrittes aus der Trainingshalle, während er mit einem leeren Gefühl im Magen zurückbleibt. Früher oder später muss sie von Distrikt dreizehn erfahren. Doch wann wird der richtige Zeitpunkt sein? Seufzend lässt er den Kopf in die Hände fallen. Die plötzliche Stille in der Halle senkt sich wie ein bleiernes Tuch über ihn. Er findet nicht einmal die Kraft aufzustehen und zu trainieren – bis das Klappern der Tür ihn aufschreckt. Im fahlen Lichtschein steht Johanna und mustert ihn mit unergründlicher Miene. „Hier bist du also. Hätte ich mir ja denken können.“ Sie kommt auf ihn zu geschlendert. Beiläufig schnappt sie sich eine Axt aus einer Halterung und wirbelt sie mühelos in ihrer Hand herum. Zufrieden grinst sie. „Ach ja, Beetee sucht dich. Ich glaub, er will sein Beileid aussprechen.“ Für einen Moment testet sie schweigend die Axt aus, ehe sie fortfährt. „Jedenfalls – mein Beileid für euren Verlust.“ „Schon gut“, winkt er müde ab. „Ich weiß, dass es euch noch viel schlimmer erwischt hat, gleich am Füllhorn. Wenn, dann müsste ich dir Beileid aussprechen.“ Johanna schneidet eine Grimasse. „Wie ich vorhergesehen habe. Eure hatten ja wenigstens noch Hoffnung.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Also, wie siehts aus, kämpfen wir?“ Eigentlich hat Finnick dazu kaum Lust, aber er nickt dennoch. Vielleicht wird es ihn auf andere Gedanken bringen. Er schnappt sich einen schlichten Dreizack, der nur wenig an das protzige goldene Ding erinnert, das er damals in der Arena geschenkt bekam. Solange die Waffe drei scharfe Zacken hat, ist es ihm gleich. Ihm gegenüber bezieht Johanna Stellung. Ein lauernder Ausdruck tritt in ihre Augen, als sie ihre Muskeln anspannt. Einen Augenblick betrachten sie einander abwartend. Jede Faser in Finnick spannt sich an. Wartet darauf, vorzuschnellen. Sein Atem wird flacher. Da zuckt Johannas Augenlid. Wie immer, wenn sie angreift. Erwartungsvoll packt er den Dreizack fester. Mit einem wütenden Schrei stürzt sie auf ihn zu. Er duckt sich unter dem Hieb ihrer Axt weg und lässt sich zu Boden fallen. Unsanft berührt seine Schulter die harte Trainingsfläche. Geübt rollt er sich außer Reichweite. Sie setzt ihm hinterher, die Axt wieder erhoben. Gerade rechtzeitig reißt er den Dreizack hoch, um ihren nächsten Hieb abzufangen. Mit zusammengebissen Zähnen stößt er sie zurück. Die Waffe wirbelt in seiner Hand herum und er holt zum Gegenschlag aus. Klirrend schlägt Metall auf Metall. Der vibrierende Schock rast bis in seine Zehenspitzen. In einer heißen Welle durchspült ihn Adrenalin. Er fühlt sich so lebendig wie lange nicht mehr. Sein Herz bebt im Rhythmus mit dem Dreizack, der durch seine Hände rotiert. Alles andere schwindet zu einem unbedeutenden Nichts. Fluchend weicht Johanna zurück. Ihre Haut glänzt vor Schweiß und in den Augen lauert ein kriegerisches Funkeln. Sie fletscht die Zähne. Rasend schnell wirbelt sie ihre Axt durch die Luft. Ein Zischen ist die einzige Warnung, da schwingt sie schon auf Finnick zu. In letzter Sekunde fängt er die Attacke ab. Scharfer Schmerz schießt durch seine Schulter, doch er spornt ihn weiter an. Erst wenn jeder Zentimeter seines Körpers in Flammen steht, ist er zufrieden. Er weiß, dass es Johanna genauso geht. Sie täuscht einen Schlag auf seine Flanke an, nur um im entscheidenden Moment die Axt nach oben zu reißen. Ungelenk stolpert er zurück. Sein Kinn brennt leicht. Wütend über ihren haarscharfen Treffer wirft er sich vorwärts. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Der folgende Hieb trägt seine gesammelte Wucht in sich. Die Zacken seiner Waffen erwischen ihre Axt mitten in der Bewegung. Grinsend entreißt er ihr die Trainingswaffe. Aber Johanna gibt nicht auf. Entschlossen hebt sie die Fäuste. Ein grimmiges Knurren in der Kehle, stürzt sie sich auf seine ungedeckte Seite. Befreit von der Axt tänzelt sie leichtfüßig vor und zurück, immer außer seiner Reichweite. Seine Stöße gehen ins Leere. Wenn er doch nur ein Netz hätte! Sie ist zu klein, zu wendig. Genervt schmeißt er den Dreizack fort. Dann eben ein Faustkampf. Seine Gegnerin lacht. „Du kriegst mich nicht.“ Mit dem Unterarm blockt sie einen Schlag ab. Blitzschnell dreht sie seinen Arm nach hinten und zwingt ihn unter sich. Finnick ist allerdings nicht wehrlos. Entschlossen stößt er seinen Kopf zurück. Knacken und Fluchen ist zu hören. Johannas Griff lockert sich. Wendig entreißt er sich ihr und wirbelt herum. Keuchend stehen sie einander gegenüber, als wäre es wirklich die Arena. Getragen von der Euphorie des Kampfes umkreisen sie sich grinsend, bis Johanna sich von neuem auf Finnick stürzt. Begleitet von Schreien schlägt sie auf ihn ein. Wut verleiht ihren Hieben Kraft. Dort wo sie ihn trifft, wird er morgen blaue Flecke haben. Ihm ist es recht. Alles, was ihn weniger perfekt macht, ist willkommen. In ihren Übungskämpfen verliert er sich. Hier findet all sein Zorn ein Ventil. Keine Zurückhaltung oder falsche Scheu – sie sind einander ebenbürtig. Er weiß nicht, wie lange sie sich mit blanken Fäusten bekriegen, doch als Johanna schlussendlich mit den Knien auf seiner Brust hockt, ein triumphierendes Lachen im Gesicht, schreit jede Faser seines Körpers um Gnade. „Du bist außer Form“, stellt sie nüchtern fest. Er hustet, was ihm seine Rippen mit einem schmerzhaften Ächzen danken. „Ich trainiere jede Woche.“ Johanna zieht eine schmale Augenbraue hoch. „Nur?“ „Nur.“ „Anfänger.“ Ihr spöttisches Lächeln sagt ihm, dass sie es nicht so meint. Seufzend nimmt sie den Druck von seiner Brust und reicht ihm eine Hand. Dankbar lässt er sich von ihr hochziehen. Seine Rippen protestieren dennoch wehleidig. Er greift sich an die Seite und unterdrückt einen Fluch. „Oh verdammt, ich werde echt alt“, jammert er leise. Johanna prustet grinsend. „Du wirst nicht alt, du machst es dir nur zu bequem. Vielleicht sollte ich Amber mal beauftragen, dass sie dich ein bisschen rannimmt.“ „Bitte nicht.“ Er schneidet eine Grimasse. „Ich hab mich immer noch nicht von meinem letzten Training mit ihr erholt.“ Statt einer Antwort begnügt Johanna sich damit, mit den Augen zu rollen. Sie sammelt ihre fortgeschleuderte Trainingsaxt ein. Prüfend wiegt sie die Waffe in ihrer Hand, ehe sie diese mit einem pfeilschnellen Wurf in Richtung der Zielscheiben pfeffert. Krachend schlägt die Schneide neben Annies Speeren ein und bleibt stecken. Ein Riss trennt die Scheibe in der Länge. Zufrieden betrachtet sie ihr Werk. „Also, was geht vor sich? Ich hab Annie auf dem Weg nach unten getroffen. Sie sah ziemlich bescheiden aus. Nett gesagt.“ Finnick streckt sich langsam. „Eine Menge. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll.“ „Wie wär’s mit dem Anfang?“ „Haha.“ Er wirft Johanna einen bösen Blick zu. „Ich mach’s lieber kurz. Ich hatte eine äußerst unangenehme Begegnung mit Snow. Eine, bei der er sehr deutlich gemacht hat, dass er uns alle bedroht. Wir sind die faulen Rosen in seinem Garten der Pracht, oder so.“ Johanna lauscht stumm seiner Erzählung von dem Treffen im Rosengarten und Annies Erlebnissen in den Folterlaboren des Kapitols, aber in ihren Augen sieht er den uralten Hass auf den Präsidenten aufflackern. „Ich habe wirklich geglaubt, ich könnte ... das mit Annie geheim halten. Ich war so naiv!“ Finnick rauft sich die Haare. „Snow weiß alles und er hat genug Macht, um ihr wehzutun. Vielleicht hätte er sie in Ruhe gelassen, wenn ich nicht wäre. Aber alles, was er ihr antut, ist meine Strafe.“ Seine Hand ballt sich vor Wut zusammen. „Warum kann er nicht mir etwas antun? Warum sie? Er hat ihr schon alles genommen, ihr Leben, ihre Familie, ihr Zuhause ...“ „Wenn er dir etwas antut, verletzt sie das genauso.“ Johanna verschränkt die Arme vor der Brust. „Dann weiß er also von eurem kleinen Geheimnis. Das bedeutet er weiß, wie wertvoll sie ist. Snow wäre ein Dummkopf, wenn er sie jetzt einfach aus dem Weg räumen würde. Sie ist das perfekte Druckmittel für ihn! Dank mir hat er gelernt, dass es ein Fehler ist, einem alle zu nehmen, die man liebt.“ Ihr Mundwinkel zuckt verächtlich. „Und er wird es bald noch mehr bereuen.“ Er stöhnt. „Bitte sag sowas nicht.“ „Es ist die Wahrheit! Wach auf Finnick, so läuft das in diesem Leben!“ Sie wirft ihre Arme in die Luft. „Ein Grund mehr, alles hier auf die Grundfesten nieder zu brennen! Lass sie an ihrer gerechten Strafe ersticken!“ „Es ist noch nicht an der Zeit!“ Ihr Gelächter hallt durch die leere Halle, eiskalt und freudlos. „Zeit, Zeit, ich kann es nicht mehr hören. Wie lange wollen wir noch warten? Bis wir alt und grau sind? Wie viele willst du noch sterben sehen? Hast du noch nicht genug? Wie hießen sie? Edy? Cordelia? Sie waren Kinder, Finnick! Kinder! Hunderte Wespen haben dein Tributin zerstochen, bis sie aussah wie eine verdammte Mutation. Sie ist unter Qualen gestorben! Und für was? Für diesen Zirkus, der uns bis auf die Seele entblößt, uns vorführt ...“ Zitternd vor Wut richtet sie sich auf. „Wie lange noch?“, schreit sie ihm entgegen. „Sag es mir! Wann ist es genug?“ „Jo –“, versucht er sie zu beschwichtigen, doch ihr Zorn gewinnt die Überhand. Sie tritt gegen den nächstbesten Ständer voller Speere und scheppernd ergießen sich die Trainingswaffen auf den Fußboden. „Sei leise!“, zischt er genervt und vergräbt das Gesicht in den Händen. In seinem Hinterkopf melden sich mit stetigem Pochen Kopfschmerzen. „Glaubst du, mir geht es anders? Aber jetzt irgendwas zu versuchen wäre reiner Selbstmord!“ Sie atmet heftig, doch ihre Kontrolle scheint zurückzukehren. „Denk an Distrikt elf, denk an die Aufstände, von denen ich erzählt habe! Wir sind bald am Ziel. Nur noch ein wenig, Jo.“ „Es macht mich fertig, dich so zu sehen“, stößt sie hervor. „Wenn ich könnte, würde ich Snow hier und jetzt den Kopf abschlagen.“ „Ich weiß.“ „Bitte sag mir, dass du irgendeinen Plan hast. Egal was. Die Mächtigen da draußen wollen ja offenbar nur zusehen.“ Finnick zuckt hilflos mit den Schultern. „Wir geben unser Geld an Elf und Zwölf. Versuchen, ihnen zu helfen. Ich hasse es, das zu sagen, aber je länger ihre Tribute leben, desto größer die Wut, wenn sie sterben. Und wenn sie nicht sterben – umso besser. Dann haben sie endlich wieder einen Sieger, oder eine Siegerin. Und wenn wir ganz viel Glück haben, können wir uns die Regeländerung zu Nutze machen.“ Ihm geht Annies Warnung durch den Kopf, dass Seneca Crane nur mit ihnen spielt. Aber die Möglichkeit ist dennoch zu gut, um sie sich entgehen zu lassen. „Wir müssen nur einen Weg finden, daraus etwas Nützliches zu machen. Vielleicht haben die hinter der Grenze schon eine Idee.“ Jetzt ist es an Johanna, sich die Haare zu raufen. „Das ist ein beschissener Plan. Ach was, es ist überhaupt kein Plan!“ „Und was schlägst du vor?“ Sie stemmt die Hände in die Hüften und starrt wütend an einen Punkt hinter ihm. Ihre Stimme ist unerwartet leise, als sie endlich spricht. „Ich weiß es nicht. Verdammt Finnick, ich weiß es nicht.“ Ihm ist nicht einmal danach, ihr ein triumphierendes „Siehst du“ an den Kopf zu werfen. Er ist einfach nur müde. „Hauptsache, ich kann Annie irgendwie aus allem raushalten. Sie hat genug durchgemacht.“ Johanna senkt geschlagen den Kopf. Ihre Schultern sacken nach unten und sie lässt sich auf den Boden fallen. „Manchmal beneide ich dich um deine Liebe, aber das hier ist keiner dieser Augenblicke.“ Für einen Moment sitzen sie in Schweigen versunken da. „Glaubst du wirklich, Haymitch oder Chaff können das Ding reißen?“ „Warum nicht? Es gab schon ganz andere Wunder in den Hungerspielen.“ „Ein Sieger aus Distrikt zwölf braucht mehr als ein Wunder“, meint Johanna düster. Sie lässt sich auf den Rücken fallen. „Also, was glaubst du, welche Regeländerung wird es geben?“ Finnick entrinnt ein Seufzen. „Darüber habe ich viel nachgedacht, ohne eine Lösung zu finden.“ Er betrachtet den glänzenden Linoleumboden. „Von Titania Creed kamen jedenfalls nur irrwitzige Vorschläge.“ Vom Boden dringt spöttisches Kichern. „Wundert es dich? Sie glaubt ja schließlich auch, dass du sie liebst. Oder dass Peeta Katniss liebt. Wahrscheinlich ist das alles, was sie jetzt noch interessiert. Und wenn einer von beiden stirbt, ist es plötzlich doch wieder Distrikt eins oder zwei, dem sie ihre Kohle in den Rachen schiebt. Alles für den sicheren Sieg.“ „Da ist sie allerdings nicht die Einzige. Haymitchs Plan geht auf. Der Junge ist aber auch verflixt clever mit seinen Worten.“ „Verkehrte Welt“, grummelt Johanna. „Die, die sich nicht lieben, spielen es aller Welt vor und die, die sich lieben, müssen es verstecken. Ich wette, jemand würde diese Geschichte lieben.“ Darauf weiß auch Finnick keine Antwort. „Also, welche Regel würdest du ändern?“ Johanna starrt nachdenklich an die hohe Decke. „Ich fänd’s großartig, wenn alle die gleichen Chancen hätten. Keine Sponsoren, kein Füllhorn voller Vorräte, keine Fallschirme. Aber das wird uns auch nichts nützen.“ Zustimmend nickt Finnick. „Ich versteh die Idee, aber es würd unsere Lage nicht verbessern, nein. Zum Glück haben wir noch Beetee. Ich sollte ihn fragen, was ihm dazu einfällt. Er ist schlauer als wir alle zusammen.“ Vor lauter Überlegungen brummt ihm der Kopf gefährlich. „Lust auf noch eine kleine Runde, Jo?“ Grinsend springt sie vom Boden auf. „Darauf kannst du deinen Hintern verwetten, Odair. Aber glaub nicht, dass du mich beim zweiten Mal erwischst!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)