Einsamkeit von Niomie ================================================================================ Kapitel 10: Danach ------------------ Es war vollkommen still um den Chinesen als er sich zwischen den Gräbern bewegte. Nur das leise auftreten seiner Füße auf Stein war zu hören. Endlich war er vor dem neuen Grabstein angelangt und verneigte sich respektvoll vor ihm, bevor er die Räucherstäbchen erneuerte und frische Kerzen aufstellte. Ohne auf den harten Boden oder den leichten Nieselregen zu achten ließ Feilong sich auf die Knie fallen um Zwiesprache mit dem Verstorbenen zu halten. Er hatte Yan Tsui vor sechs Monaten von Taiwan nach Hongkong überführen lassen um ihm in seiner Heimat eine würdige Beerdigung zukommen zu lassen. Denn egal was der Ältere auch getan hatte, er gehörte zur Familie. Und wie es jetzt aussah war dieser Grabstein auch alles was er noch an Familie hatte. Tao war vor vier Monaten aus Hongkong abgereist. Direkt nachdem Feilong ihm erklärt hatte wer sein Vater gewesen war. Seitdem ging der Jüngere weder ans Telefon wenn er anrief, noch öffnete er die Briefe die er schickte. Das einzige was den Triaden-Führer beruhigte, war das der Junge sich eine Schule ausgesucht hatte die im Machtbereich des Albatof-Syndikats lag. Niemand dort würde es wagen sich an Tao zu vergreifen, hatte sich doch Jefim persönlich hinter den Jungen gestellt und der Patriarch war trotz seines Alters noch immer ein furchterregender Gegner. Was auch immer der Jüngere an Russland fand, immerhin hätte er sich jede Schule auf der ganzen Welt aussuchen können. Doch irgendwie war er auch dankbar dafür das es nicht Tokio geworden war. Der Niesel wurde immer dichter, und mittlerweile war der Chinese bis auf die Haut durchnässt. Trotzdem erhob er sich nicht, während er seine Gedanken schweifen ließ. Vor seinen Augen tauchten die besseren Tage auf, als sie noch Kinder waren. Bevor sie zu Gegnern wurden und sich unaussprechliches gegenseitig antaten. Nicht weit von ihm entfernt war das Grab seines Vaters, doch dort ging Feilong nie hin, auch wenn er den Mann noch immer innig liebte, so konnte er sich einfach nicht überwinden dort die Räucherstäbchen zu erneuern und seinen Respekt zu zeigen. Nicht nachdem er dessen einzigen leiblichen Sohn getötet hatte. Erst nach einer Ewigkeit erhob sich der Triaden-Führer schwerfällig und verneigte sich ein letztes Mal vor dem Stein. Wasser lief ihm die langen Haare herab, während sich sein Cheongsam schon völlig mit der Feuchtigkeit vollgesogen hatte. Müde strich er sich die Haare aus dem Gesicht und machte sich auf den Rückweg zu seiner Limousine. Noch immer schmerzte die Schusswunde und brachte ihn dazu leicht zu humpeln. Verärgert verzog Feilong das Gesicht, konnte jedoch nicht verhindern das er immer wieder leicht zusammenzuckte wenn er seinen Fuß aufsetzte. Hätte Asami nicht so schnell reagiert und ihn in die nächste Notaufnahme gebracht, wären jetzt zwei Steine hier aufgestellt worden, anstatt nur einer. Er hatte bereits eine beträchtliche Menge Blut verloren als der Yakuza in buchstäblicher letzter Minute mit ihm auf seinen Armen im Krankenhaus aufgetaucht war. An die anschließende Zeit konnte sich der Chinese kaum noch erinnern. Nur das Asami die Tage nicht einmal von seiner Seite gewichen war, auch das dieser mit ihm gesprochen hatte. Viel gesprochen. Doch die Worte waren nur so an ihm vorbeigerauscht. Nicht einmal hatte er ihnen Beachtung geschenkt. Viel zu gefangen war Feilong in seinem eigenen Schmerz. Er hatte nicht gerettet werden wollen. Was erwartete ihn jetzt auch noch im Leben? Es gab niemanden mehr, hatte er sich vorher schon einsam gefühlt, so war er es jetzt endgültig. Ohne zurückzusehen stieg Feilong in den Wagen und ließ sich zum Baishe Hauptquartier zurückbringen. Entspannt setzte sich Eury dem Yakuza gegenüber in den Sessel. Es überraschte ihn nicht im geringsten Asami in seinem Wohnzimmer sitzen zu sehen, immerhin kam das mittlerweile mindestens einmal im Monat vor. Egal wo sich der Ältere sich gerade aufhielt er schaffte es immer auf dem Rückweg über Sankt Petersburg zu fliegen. Allmählich hatten sich auch die russischen Leibwächter an den japanischen Yakuza gewöhnt und ließen ihn ohne Schwierigkeiten in Eurys Villa kommen. Der Blonde lächelte leicht, als er von Alexei einen frisch aufgebrühten Tee entgegennahm. Mit einem Seufzen lehnte er sich in das weiche Polster zurück. „Deinem Gesichtsausdruck nach hat er deine Anrufe wieder nicht entgegen genommen.“ Der Russe musste keinen Namen nennen, Asami wusste auch so wen er meinte. Müde strich Asami sich mit einer Hand durchs Gesicht. Deutlich konnte der Jüngere sehen wie erschöpft der Japaner war. Ließ er sich diesen Umstand sonst nicht anmerken, hatte er doch damit angefangen sich in der Gegenwart Eurys offener zu zeigen. Was jedoch nicht hieß das sie sich noch einmal so nahe gekommen waren wie im Penthouse. „Egal was ich unternehme, er nimmt weder meine Anrufe entgegen, noch ist er bereit mich persönlich zu empfangen.“ „Tröste dich. Feilong empfängt noch nicht einmal Michel. Der Chinese ist in den letzten Monaten zum Geist geworden. Niemand hat ihn gesehen oder gesprochen, weder geschäftliches noch privates.“ Seufzend griff Asami nach seinen Zigaretten, steckte sich eine zwischen die Lippen und zündete sie an. Er atmete den beruhigend Qualm tief in seine Lungen bevor er antwortete. „Nichtsdestotrotz ist er nach Hongkong zurückgekehrt. Er muss die Geschäfte wieder aufgenommen haben, selbst wenn er nicht selber in Erscheinung tritt. Man hätte es auf den Straßen Hongkongs bemerkt, wenn er aufgehört hätte. Außerdem hat mein Informant durchgegeben das er noch immer einmal in der Woche zum Friedhof fährt.“ Dunkel lachte der Russe auf. „Heißt dein Informant zufällig Yoh?“ „Und wenn?“ Abrupt wechselte der Blonde das Thema. „Und wie siehts bei dir aus?“ Abwertend schnaubte der Japaner und schlug die Beine übereinander. „Wie du siehst verstecke ich mich nicht.“ „Nein,“ stimmte der Jüngere zu. „Du läufst weg.“ Kaum merklich zuckte Asami zusammen, doch Eury hatte genug Zeit mit dem Älteren verbracht um es zu erkennen. „Wie lange ist es her das du zwei Wochen am Stück in Tokio warst?“ „Es ist nicht von Belang wie lange ich dort bin. Meine Geschäfte führen mich derzeit über den gesamten Erdball.“ Ein dünnes Lächeln legte sich auf Eurys Lippen während er seine leere Teetasse auf den Tisch stellte. Er schüttelte nur leicht den Kopf um Alexei zu signalisieren das dieser seine Tasse nicht nachzufüllen brauchte. „Korrigiere mich wenn ich falsch liege, Ryuichi. Doch bist es nicht du der über seine Geschäfte bestimmt?“ Leicht verzog sich das ebenmäßige Gesicht Asamis als habe er Zahnschmerzen, doch dann antwortete er ehrlich. „Es fühlt sich leer ohne ihn an.“ Mühsam atmete Eury aus, wie immer wenn ihre Gespräche auf Akihito kamen. „Das tut es,“ stimmte er dem Anderen ohne zu zögern zu. „Trotzdem ist das kein Grund aufzugeben, das hätte er nicht gewollt.“ Knurrend stellte der Yakuza seine Tasse auf den Tisch und griff nach der nächsten Zigarette, während er die andere im Aschenbecher ausdrückte. „Und wie stellst du dir das vor?“ Nicht zum ersten Mal waren sie an diesem Punkt angelangt. Diesmal jedoch lehnte sich der Blonde nicht ohne eine Antwort zu geben zurück. Stattdessen nickte er Alexei zu, der daraufhin den Raum verließ. „Dir dürfte bekannt sein, dass ich letzte Woche geschäftlich in Taiwan zu tun hatte.“ Asami sah nur kurz von seinem Feuerzeug auf, bevor er antwortete. „So nennt man das jetzt also. Wenn sich meine Quellen nicht täuschen warst du dann wohl geschäftlich in Shao-tsens Schlafzimmer.“ Ein Grinsen lag in den Mundwinkeln Eurys als er den säuerlichen Gesichtsausdruck des Yakuzas bemerkte. „Da du mir nicht mehr zur Verfügung stehst muss ich mich eben wo anders umsehen. Doch Shao-tsen war so zuvorkommend mir ein Geschenk für dich mitzugeben. Er hing erstaunlicherweise sehr dran und ich musste ziemlich nachdrücklich darum bitten.“ Wieder verzog sich das Gesicht des Yakuzas, konnte er sich doch sehr gut vorstellen was der Russe unter nachdrücklich bitten verstand. „Und warum glaubst du das ich ein Geschenk haben möchte? Vor allem eines aus Taiwan?“ Es klopfte leise an der Tür und nach einem Augenblick betrat Alexei den Raum. Asami achtete nicht auf den Leibwächter, während er den Blonden vor sich fixierte. „Wärst du ein anderer, hätte ich in Erwägung gezogen dir einen Hund zu schenken. Mein Vater hat eine sehr exzellente Zucht von Barsois. Meine Familie züchtet diese Hunderasse schon seit Generationen und wir sind sehr stolz darauf das wir sogar einige Nachfahren aus der Zucht des Zaren unser Eigen nennen können. Allerdings kommst du mir nicht unbedingt wie ein Hundeliebhaber vor, weshalb ich dir etwas anderes mitgebracht habe um dein Heim wieder mit Leben zu füllen.“ Unwillkürlich standen Asami die Haare zu Berge, wusste er doch das Huang Don-Sphynx züchtete. „Du hast mir jetzt aber nicht wirklich eines dieser haarlosen Viecher mitgebracht?“ ächzte der Yakuza. Jetzt ehrlich lachend winkte der Russe in Richtung seines Leibwächters und eine kleine Gestalt trat unsicher nach vorne. Nervöse rot-braune Augen richteten sich auf Asami, während sich der Junge tief vor dem Japaner verbeugte. „Anjing!“ Überrascht hatte sich der Yakuza nach vorne gebeugt und starrte jetzt auf den Jungen. Fast ein Jahr war es jetzt her das er den Jüngeren in Taiwan gesehen hatte und er hätte lügen müssen wenn er behauptet hätte nicht einmal an ihn gedacht zu haben. Doch den Jungen aus Taiwan zu holen, daran hatte er nie gedacht. Leicht fassungslos sah er dem Russen in die kalten Augen. „Das kann nicht dein Ernst sein, weißt du wie alt er ist?“ Entspannt hatte sich Eury zurückgelehnt. „Er ist neun. Aber ich habe ihn dir auch nicht geholt damit er dir dein Bett wärmt, wir wissen beide dass du nicht auf Kinder stehst.“ „Warum hast du ihn dann geholt?“ „Sieh ihm in die Augen.“ Genervt winkte Asami den Jungen zu sich ran. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf die Lippen des Yakuzas als er die Nervosität Anjings bemerkte, als dieser von einem Fuß auf den anderen trat. Trotzdem tat er das was Eury ihm gesagt hatte. Er brauchte einen Moment bis er es erkannte. Es war beinahe begraben unter Furcht und gehorsam, doch dann sah er es. Einen Funken, der wenn er ihn nur hegen und pflegen würde, leicht wieder zu einem Feuer werden konnte. Ein Feuer das er schon einmal so geliebt hatte. Langsam um den Jüngeren nicht zu erschrecken griff der Yakuza nach seinem Kinn und hob es leicht an. Natürlich verspannte sich Anjing trotzdem, blieb aber gehorsam direkt vor dem Älteren stehen und trat schließlich sogar zwischen seine Beine als Asami ihn zu sich heranzog. Fasziniert beobachtete der Yakuza das Flackern in den roten Augen. „Wie hast du es bemerkt?“ „Erst gar nicht. Ich habe aber dein Interesse an dem Jungen bemerkt als wir das erste Mal in Taiwan waren. Deshalb hielt ich es für eine gute Idee ihn dir zu schenken.“ „Mir zu schenken?“ Es kam nicht oft vor das Asami nicht wusste was er sagen sollte, doch in diesem Moment sah er so ratlos aus, das Eury nicht an sich halten konnte. Ein vollkommen befreites Lachen hallte durch den Raum und brachte den Yakuza zurück. „Und was soll ich mit ihm anfangen?“ Schulterzuckend lehnte sich der Russe zurück. „Was immer du möchtest, ich hielt es allerdings für angebracht ihn von Shao-tsen wegzubringen, wenn du verstehst was ich meine.“ Asami verstand sofort, war Anjing mit seinen neun Jahren bald alt genug um auf den Straßen angeboten zu werden. Gerade mit den ungewöhnlichen Augen, würde er auf dem Markt einen guten Preis einbringen. Nachdenklich musterte er das Kind vor sich und registrierte die Unsicherheit des Jüngeren. „Kirishima!“ Sofort öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer und der Sekretär betrat den Raum. „Bitte nimm Anjing mit. Ich möchte das du den Jungen keinen Moment aus den Augen lässt.“ Ohne irgendeinen Anflug von Überraschung zu zeigen, verneigte sich Kirishima vor seinen Boss und verließ zusammen mit dem Kind das Zimmer. Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Yakuzas als er auf den schmalen Rücken Anjings sah. „Wenn du schon dabei bist Kirishima, sei doch so gut und geh gleich mit Anjing einkaufen. Er braucht eine komplette Garderobe und sei bitte auch so gut und statte ihm mit einem vernünftigen Smartphone aus. Falls er Interesse an einem Hobby haben sollte, besorge auch dafür alles was er benötigen sollte.“ Unter dem amüsierten Gelächter des Russen zog der Sekretär die Schultern hoch und schloss hastig die Tür hinter sich. „Also nimmst du dein Geschenk an?“ Kaum waren die beiden weg, sank der Yakuza in sich zusammen. Müde strich er sich über die Augen. „Natürlich nehme ich ihn an. Immerhin ist er jetzt schon hier.“ Unbeeindruckt zuckte Eury mit den Achseln. „Ich könnte ihn auch einfach wieder zurückschicken.“ „Das kann nicht dein Ernst sein.“ Wieder zuckte der Russe mit den Achseln. „Warum nicht? Er wäre nicht der erste, der für das Syndikat auf diese Art arbeitet.“ Da war sie wieder, die Eiseskälte die diesen Mann zu durchdringen schien. Trotzdem störte sich Asami nicht daran, hatte er doch täglich mit solchen Menschen zu tun. „Es wäre mir neu das, dass Albatof-Syndikat mit Kindern handelt.“ „Das ist nichts neues, allerdings schicken wir sie nicht in die Bordelle bevor sie siebzehn sind.“ Seufzend schloss der Yakuza die Augen. „Du weißt das ich nicht mit Kindern handle und ich deshalb auch nicht auf dem Laufenden bin was diesen Geschäftszweig angeht.“ „Wir sollten dieses Thema beenden.“ Dankbar nahm Asami die ruhige Stimme zur Kenntnis und nickte sofort. Er wollte dieses Thema wirklich nicht weiter vertiefen. Mittlerweile spürte der Japaner die Müdigkeit immer stärker, was auch Eury zu bemerken schien. „Wir sollten den Abend wohl einfach ausklingen lassen.“ Zustimmend nickte der Yakuza und erhob sich langsam aus dem Sessel. Der Japaner musste sich nicht mehr zu einem der Gästezimmer führen lassen, er hatte ein eigenes. Trotzdem verharrte er zögernd an der Tür. Fragend hob Eury eine Augenbraue, war er diese unsichere Handlung von dem Yakuza nicht gewöhnt. Als Asami jedoch einfach so stehen blieb, erhob sich der Russe seufzend und blieb hinter dem Älteren stehen. „Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“ Ein Achselzucken, das genauso untypisch für den Yakuza war, beantwortete die Frage. Erneut seufzte Eury, bevor er nach den Schultern des Japaners griff und diesen in sein eigenes Schlafzimmer dirigierte. „Und da sagen alle ich bin ein Gefühlslegasteniker.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)