神道 – Shintō von Sas-_- (Weg der Götter) ================================================================================ Kapitel 4: 儀式 – Gishiki ----------------------- Ein Schrei voller Verzweiflung wollte aus Ino herausbrechen, ihre Kehle brannte davon, ihn zu unterdrücken. Shikamaru ist nicht da! Warum ist er nicht da?! Sie sank auf die Knie und schlug stumm mit den Händen auf den Holzboden ein, bis ihre Hände sich taub und geschwollen anfühlten. Wenn Ino schon nicht schreien konnte, dann wollte sie sich wenigstens so Luft machen. Als die 17-Jährige aufsah, fiel ihr Blick auf einen Zettel, der an der Wand der Gebetshalle geklebt worden war; hastig und schief, und genauso hastig und schief war die Schrift darauf. Ino sprang auf ihre Füße und stürzte zum Zettel, so wie sie das erste Mal losgestürmt war, als sie Shikamarus Handschrift wiedererkannt hatte.   Der erste Zettel, den Ino von Shikamaru fand, befand sich in ihrem Klassenzimmer. Es war der einzige Ort, der ihr noch eingefallen war, wo sich noch jemand befinden könnte, den sie kannte. Jemand, der sich nicht verwandelt hatte, jemand, der nicht tot war. Der Weg dorthin war ein Spießrutenlauf, Zerstörung begleitete sie und einige Verwandelte, deren Anblick sie zu diesem Zeitpunkt noch zutiefst schockierte. Sehr schnell hatte Ino begriffen, dass diese Dinger gefährlich werden konnten, denn schon kurz darauf sah sie einen ihr Unbekannten um Hilfe schreiend über eine Straße rennen. Die Verwandelten waren ihm mehr oder weniger dicht auf den Fersen; manche waren gut zu Fuß, andere schlurften, wieder andere fielen ständig um und wurden von ihresgleichen überrannt, was sie gleichgültig über sich ergehen ließen. Wie versteinert war Ino dagestanden und hatte nur zugesehen, aber daraus gelernt. Diese Dinger griffen an, sie schienen keinen Verstand mehr zu haben und man musste sich von ihnen fern halten. Schnell stellte Ino auch fest, dass sie häufig blind waren, aber meist gut hörten. Die Angst, die sie zu Beginn ständig zu übermannen drohte, verlieh der 17-Jährigen auch Flügel, und dank vieler Schleichwege fand sie schnell ihren Weg zur Schule. Ihre Schule … Ino stand vor dem Eingang, mit offenem Mund und verarbeitete, was sie sah. Dasselbe Chaos, dieselbe Verwüstung wie überall anders auch. Eingeschlagene Fenster, ein Auto war gegen das Gebäude gerast, andere Autos standen auf den Parkplätzen in Flammen. Die Eingangstür stand offen, es war totenstill. Aber Ino wusste, hier waren bestimmt auch Verwandelte, und in einem Gebäude konnte sie nicht so gut ausweichen. Deshalb wählte sie den Weg um das Gebäude herum. Ino wusste nicht so genau, wonach sie suchte, oder warum sie glaubte, einen Klassenkameraden finden zu können. Sie versprach sich etwas davon hierher zu kommen, ohne sagen zu können, was genau sie sich erhoffte. Zu Inos großer Erleichterung befand sich ihr Hauptklassenzimmer im Erdgeschoss, das bedeutete, dass sie über ein Fenster hineinklettern konnte. Als die 17-Jährige am Gebäude entlang ging setzte ihr Herz einen Schlag aus. Es war tatsächlich jemand hier, den sie kannte! Ino machte die ersten schnellen Schritte, sie wollte winken, rufen, auf sich aufmerksam machen, als ihr auffiel, dass ihr Klassenkamerad Choji völlig verdreckte Kleidung trug, barfuß war und erschreckend still da stand. Sein Kopf war geneigt, er wirkte teilnahmslos und phlegmatisch. Ino blieb stehen und sah, wie Choji sich schlurfend in Bewegung setzte – ohne Ziel und ohne Verstand, mit hängenden Armen, seine Füßen vermochte er kaum anzuheben. Und Ino konnte nur da stehen, ihn anstarren, schlucken, fühlen, wie Tränen heiß ihre Wangen hinunterrannten. Erinnerungen an Choji stürzten gewaltig auf sie ein. Es war kaum zu ertragen, diesen leeren Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht zu sehen, wo Ino sein Lachen und seine Stimme in Gedanken hörte und sein Lächeln sah. Choji war da, und er war es nicht. Jemanden so zu sehen, den Ino kannte – einer ihrer schlimmsten Albträume wurde gerade wahr. Die 17-Jährige kämpfte den irrationalen Wunsch nieder, Choji ein letztes Mal zu umarmen, auf Wiedersehen sagen, zu sagen, dass sie zwar gesagt hat, dass sie ihn doof findet, es aber nie so gemeint hatte. Weinend wandte sie den Blick ab und stolperte weiter. Ihr Gedankenkarussell hatte neues Futter, schreckliches Futter; was, wenn ihre Eltern so aussahen? Wenn sie nicht da waren, weil sie eines von diesen Dingern geworden waren? Sofort stürmten Bilder von ihren Großeltern und Freunden in Inos Gedankenwelt. Sollten sie sich alle verwandelt haben, dann wollte Ino sie nicht sehen – niemals. Die anderen Verwandelten, die sich auf dem Gelände herumtrieben, sah Ino sorgfältig nicht an und wich ihnen auf Zehenspitzen aus. Sie könnte es nicht ertragen, noch einen Klassenkameraden so zu sehen! Schließlich erreichte sie ihr Klassenzimmer, fast alle Fenster waren auch hier eingeschlagen worden. Ino fragte sich, wie das sein konnte, wann das nur gewesen war. Tags zuvor war alles in bester Ordnung! Sie war später aufgestanden, hatte eine Freistunde, aber eine Stunde reichte doch nicht, ihr ehemaliges Klassenzimmer in so ein Chaos zu verwandeln! Denn genau das war es nun. Nachdem Ino einen Fensterrahmen von seinen restlichen Splittern befreit hatte, um gefahrlos reinklettern zu können, sah sie sich in einem Raum wieder, in dem alle Tischen umgeworfen und verschoben worden waren. Gegenstände waren an die Tafel geworfen worden, weshalb sie tiefe Risse aufwies; unter Inos Füßen knirschte Glas und zersplittertes Holz, wenn sie sich bewegte. Eine Weile sah sie sich, die Arme um sich geschlungen, um. So lange, bis Ino den Zettel bemerkte, der an die Tafel geklebt worden war. Als sie sich diesem näherte, erkannte sie Shikamarus Handschrift. Nach einem kurzen Moment des Verstehens und Begreifens stürzte sie sich auf den Zettel wie ein Ertrinkender sich an die Oberfläche kämpfte.   „Ich weiß nicht, ob du hierher kommen wirst, Ino. Aber ich hoffe es. Ich verstecke mich bei Alice. Das rotweiße Haus. Alice hilft uns. Ich will versuchen auf dich zu warten, aber ich kann es nicht versprechen. Ich weiß, wen du suchst. Wir finden ihn.   Shikamaru.   PS: Alles was wir sehen oder scheinen, ist es nichts anders als ein Traum in einem Traum?“   Über die letzten Worte hatte Ino viel nachgegrübelt, während sie verbissen das rotweiße Haus gesucht hatte, ohne zu wissen, wer Alice war. Dass Shikamaru noch die Zeit fand irgendwelchen philosophischen Quatsch von sich zu geben wunderte die 17-Jährige gar nicht so sehr, so war Shikamaru, irgendwie. Und es war beruhigend, dass er so war! Trotz all dem Horror war er immer noch er selbst, zumindest etwas. Aber es gab einiges, das Ino einfach nicht verstand: Wen suchte sie, laut Shikamarus Woten? Ihre Eltern? Aber das passte nicht … Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto eher bekam sie Kopfschmerzen, weshalb Ino es bald darauf sein ließ, bis sie Shikamarus zweiten Zettel fand. Und nun den dritten.   „Ino. Bestimmt hast du den Wunsch zu schreien und den Zettel aufzuessen, …“   Sie zog die Augenbrauen hoch, ihre Verzweiflung war der Erleichterung etwas gewichen, als sie den Zettel gesehen hatte, aber wenn sie so über Shikamarus Worte nachdachte … Ja, ich könnte schreien und den Zettel aufessen! Da kennt er mich wie kaum ein anderer!   „… aber dafür haben wir keine Zeit. In diesem Schrein befindet sich die einzige Waffe, die uns helfen kann. Der Shintai ist ein Spiegel, hab ich gehört. Ich hoffe, du hast die Rituale durchgeführt so wie immer! Du musst bereit sein, für den Kami! Wir brauchen ihn! Nimm den Spiegel! Du weißt, was du tun musst. Alice findet dich.   Shikamaru.“   Ihre Hände zitterten, da Ino sich davon abhalten musste, den Zettel zusammnzuknüllen und schreiend durch die Halle zu werfen – was sich absolut nicht in einem Schrein schickte. Wieso denkt der Wichser die ganze Zeit, dass ich wüsste, was los ist?! Ich hab keine scheiß Ahnung, was ich mit dem Spiegel dann machen soll!, dachte sie vor Wut schäumend. „Du musst bereit sein, für den Kami!“ Schön, dazu gehörte noch das Beten, so weit kam Ino noch mit. Aber den Honden, den Hauptraum, den darf ich doch nicht betreten!, ging es Ino erschrocken durch den Kopf. Das geht nicht, das dürfen nur Priester. Wie kommt Shikamaru darauf, dass ich das darf?! Und wie kann ein Spiegel …? Es klatschte herrlich laut, als Ino ihre Hand gegen die Stirn schlug. Jaah! Wie kann man nur so blöd sein! Die 17-Jährige überlegte kurz, woraus ihr Gebet bestehen sollte, hielt sich dann aber kurz mit dem Gedanken, dass ihr Vorhaben ihr gelingen möge und wünschte sich Glück für ihr weiteres Vorgehen. Ino atmete für ein paar Sekunden tief ein und aus, ehe sie ihre Hände auf die holzvertäfelten Türflügel legte und diese aufdrückte. Es war bereits sehr dunkel, sie konnte nicht viel erkennen. Der Spiegel, von dem Shikamaru gesprochen hatte, befand sich auf einem kleinen Podest und reflektierte das hineinfallende Restlicht. Er war rund, circa 30 Zentimeter im Durchmesser, und glatt poliert. Eigentlich hätte er staubig sein müssen, verkratzt, alt aussehend … aber das tat er nicht. Inos Herz klopfte so laut, dass sie es in ihren Ohren hämmern hörte, während sie langsam Schritt für Schritt auf den Shintai zuging. Spiegel … sind sehr mächtig. Sie vertreiben das Böse, und Dämonen, die einen Blick in ihn werfen, sterben. Es hatte ein wenig gedauert, aber nun hatte sie begriffen, worauf Shikamaru hinaus wollte. Warum er nicht einfach schreiben konnte: „Hey, mit dem Spiegel kannst du vielleicht die Verwandelten loswerden!“ wusste die 17-Jährige zwar nicht, aber vielleicht hielt er es einfach für unnötig, solch „offensichtlichen“ Dinge zu erwähnen. Inos Hände schlossen sich schweißnass um das eisige Metall und hoben den Shintai ehrfürchtig an.Als sie ihn in den Händen drehte sah sie, dass die Rückseite mit Ornamenten und Figuren verziert worden war. Die Figuren schienen Fabelwesen aller Art darzustellen, Ino erkannte den Schild als Shinjū-kyō wieder – einem Spiegel, der Gottheiten und Biestern gewidmet war. Wie passend … Noch nie hatte ein Laie, zumindest nahm sie das an, einen Shintai angetatscht, um ihn anschließend durch die Gegend zu tragen. Sie war sich nicht sicher, ob die Seele des Kami, der sich darin befand, damit einverstanden war. Hoffentlich … Plötzlich brandete ein stechender Schmerz, so heftig und unerwartet, durch Inos Kopf. Er zwang sie, mit dem Spiegel in den Händen, stöhnend in die Knie, kraftlos sank sie zu Boden. „Ino? Ich bin's … Ino … Bitte sprich mit mir … Sag doch was!“ Genauso plötzlich wie der Schmerz gekommen war, war er auch wieder weg. Keuchend saß Ino vornüber gebeugt da, die Hände um den Spiegel gekrampft. War das der Kami, der da mit mir gesprochen hat?! Unglaublich! Mit großen Augen starrte die 17-Jährige den Spiegel in ihren Händen an. „Herzlichen Glückwunsch. Ich weiß schon, einen Shintai sollte man sich nicht einfach unter den Arm klemmen und dann ab durch die Mitte, aber etwas weniger Knien und Anbeten wäre angebracht. Ich hab eine Menge auf mich nehmen müssen, um diese Dinger vom Schrein fernzuhalten, damit du, wie Shikamaru es so gerne wollte, den Spiegel an dich nimmst. Hättest du jetzt die Güte aufzustehen?“ Ino war zu Tode erschrocken, als eine männliche und sehr gelangweilte Stimme sie von hinten ansprach. Sie zuckte zusammen, als hätte ihr jemand einen Stromschlag verpasst, schrie spitz auf und drehte sich, noch halb auf dem Boden liegend, zu dem fremden Sprecher um. „Bist … bist du Alice?!“ „Ja, na klar. So einen bescheuerten Namen haben wirklich nicht viele. Na los, steh schon auf, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)