神道 – Shintō von Sas-_- (Weg der Götter) ================================================================================ Kapitel 1: 目的 – Mokuteki ------------------------ Der Garten war das reinste Chaos wie alles andere. Die Hecke, die das Grundstück einst eingefasst hatte, sah aus, als hätten mehrere Menschen versucht sie zu überfahren. Vielleicht war genau das der Fall. Ino befand sich in einem kleinen Wohngebiet, nicht weit vom Stadtzentrum. Der schnellste Weg nach Norden führte sie dort durch. Sie könnte außenherum gehen, aber das würde viel zu viel Zeit kosten – es war bereits Nachmittag. Bis zum Schrein war es noch ein gutes Stück. Das Wohngebiet lag wie ausgestorben da. Das einzig Schreckliche, das es zu sehen gab, war eine Leiche in einem Pool, dessen Wasser sich rötlich gefärbt hatte. Ino nahm das am Rande wahr, aber fasste sie nicht weiter ins Auge. Sie wollte solche Dinge nicht sehen, nicht mehr. Ino kämpfte weiter um ihren Verstand. Sie durfte nicht dem Wahnsinn verfallen und das Chaos, das um sie herrschte nicht in sich hineinlassen. Umso weniger Ino von dem Grauen zu ihr durchdringen ließ und in Augenschein nahm, desto besser gelang es ihr, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Diese Art von Ablenkung konnte tödlich enden, nicht nur für ihre Seele. Ino blieb immer wieder stehen und lauschte, konnte aber nichts und niemanden hören; noch nicht mal Vögel oder andere Tiere, die sich hier sonst in den Bäumen und Sträuchern der Gärten aufhielten. Um Ino herum herrschte Zerstörung, aber neu war das nicht mehr. Kaputt gefahrene Gärten, gebrochene Mauern, plattgedrückte Zäune, brennende Häuser und querstehende Autos. Als hätte Krieg geherrscht, und vielleicht war das auch so, aber Ino war nicht dabei gewesen. Sie sah nur noch, was von ihrer Welt übriggeblieben war – und das war nicht viel. Dramatisch ausgedrückt lag Inos Welt in Scherben, doch sie hatte ein Ziel, welches sie durch all dieses Chaos führen sollte; einen Weg, den sie gehen würde, etwas, worauf sie sich konzentrieren konnte. Nach einigen Straßen wurde das Wohngebiet von der Innenstadt abgelöst. Es tauchten Häuserblocks auf und schließlich Geschäfte. Auch hier war es gespenstisch ruhig. Die Ruhe nach einem gewaltigen Sturm lag in der Luft. Das einzige, was Ino in regelmäßigen Abständen zu hören bekam, war das Schreien und Winseln von Verwandelten oder die Explosion eines Objekts – einem Auto, einem Topf auf dem Herd, solche Dinge. Alle Straßen waren wie ausgestorben. Die sonst so belebte Innenstadt lag zerstört da. Überall standen oder lagen Autos, die Fensterfronten von Geschäften waren eingeschlagen oder gar nicht mehr vorhanden. Die entsprechende Ware lag verteilt auf Gehsteig und Straße. Ino fragte sich, wer in so einer Situation nur daran denken konnte, Wertgegenstände an sich zu bringen. Wozu? Für wen? Für was? Das einzige, das jetzt noch wertvoll ist, ist Essen, Wasser, Kleidung und ein Platz zum Schlafen. Diamanten helfen mir nicht dabei, Shikamaru zu finden oder mich gegen sie zu verteidigen, dachte Ino und schüttelte stumm in Unverständnis den Kopf. Der Himmel blieb grau in grau, es fielen nur noch vereinzelte Tropfen. Laut Inos Uhr war es ungefähr halb fünf am Nachmittag. Es sollte Sommer sein, aber ihr war einfach nur kalt. Sie lief die große Einkaufspassage entlang, weiter Richtung Norden. Warum auch immer Shikamaru will, dass ich ihn beim Schrein treffe. Was ist daran nur so besonders? Und von welcher Person schreibt er da nur? Wen werde ich wiedersehen? Ich verstehe überhaupt nichts mehr! Große, graue Häuserfassaden ragten in den trüben Himmel, manche erschienen Ino schief, aber das konnte eigentlich nicht sein … Sie ging an einem Auto vorbei, das auf dem Dach lag und spärlich rauchte – irgendwie musste sie an einen Teekessel denken. In dem Auto saß jemand. Derjenige hatte sich nicht verwandelt. Er war einfach nur tot. Ob er allein in dem Auto war oder ob da noch andere Personen bei ihm waren wollte Ino gar nicht wissen – sie wandte hastig den Blick ab. „Heute Morgen bin ich wie immer … Wann ist das alles nur passiert?“, murmelte sie leise. Sie war morgens aufgewacht und nichts war mehr so wie am Tag zuvor. Aber wie? Das alles hier muss doch länger gedauert haben als ein Tag! Shikamaru konnte es ihr vielleicht erklären, ihr einfach alles erklären. Seine Nachrichten waren allerdings reichlich merkwürdig. Ino wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Teenager murmelnd aus einer Seitengasse getorkelt kam. Er war einer von denen und er sah bereits schlimm aus. Seine braunschwarzen Haare klebten ihm verknotet am Kopf, sein Gesicht war voller Schrammen und Schmutz, die Kleidung hing in Fetzen an ihm herunter. Er hatte sie auch, die milchigen Augen – der eindeutige Beweis. Blicklos starrte er ins Leere, mit diesem entrückten Gesichtsausdruck, den Ino kaum ertragen konnte. Der Teenager hatte sie noch nicht gesehen. Sie hielt die Luft an und ging langsam, möglichst geräuschlos, hinter einem auf der Seite liegenden Auto in Deckung. Wenn das Ding sie sah, würde sie rennen müssen und wenn es ganz schlecht ausging, würde sein scheußliches Gebrüll noch mehr von seiner absonderlichen Art anlocken. Ino war das noch nicht passiert, aber sie hatte zugesehen, wie es einem anderen Überlebenden dabei ergangen war. Nicht so gut – Ino konnte ihm leider nicht helfen. Nur daran zu denken zerrte an ihrem ohnehin schon sehr dünnem Nervenkostüm. Wie sehr wollte sie demjenigen beistehen, der um sein Leben schreiend vorbeigerannt war, aber an seinen Fersen hatten sich so viele Verwandelte geheftet … Sie waren nicht sonderlich schnell, teilweise sogar extrem langsam, aber sie konnten sehr schnell mehr werden, und Ino hatte wahrlich kein Interesse an einer Bekanntschaft mit einer ganzen Horde von ihnen. Die Schreie, die diese Wesen ausstießen, gingen einem jedes Mal durch Mark und Bein. Ino wusste, sobald sie die Augen schließen würde um zu schlafen, würden die grässlichen Schreie sie in jeden Traum verfolgen. Heute Morgen war Ino aufgewacht und ihre Welt war ins Chaos gestürzt worden. Eigentlich beginnt für die meisten Menschen auf diese Weise ein alltäglicher Montag, aber dieser hier war tatsächlich ein wenig schlimmer als alle anderen Montage zuvor. Ino war aufgewacht, allein zu Haus. Von ihren Eltern fehlte bereits jede Spur. Anfangs hatte die 17-Jährige sich nicht gewundert – ihre Eltern waren häufig früh morgens unterwegs. Als Ino beim Frühstücken aus dem Fenster blickte und die gesamte Nachbarschaft aussah, als wäre eine Bombe hochgegangen, war ihr sehr schnell klar geworden, dass etwas nicht stimmte. Ihr erster Impuls, nachdem sie minutenlang schockiert aus dem Fenster gesehen hatte, bestand daraus nach ihrem Smartphone zu greifen. Aber ein Smartphone ohne Internet stellte sich bald als weitaus weniger smart heraus. Auch das Festnetztelefon war tot. Das war der Augenblick, wo es schlimm wurde, aber noch nicht am schlimmsten – das sollte noch kommen. Der Teenager tappste auf die Straße, wankend, mit zuckenden Armen, und sagte immer wieder: „Oh Gott, hilf mir, hilf mir, bitte!“ Ino würde sich am liebsten die Ohren zuhalten, aber sie musste ihn hören können, wenn sie ihn nicht sah. Sie musste irgendwie an ihm vorbei … Es dauerte mehrere Minuten bis der Junge weit genug weggetorkelt war, damit Ino leise an ihm vorbeischleichen konnte. Sie fühlte sich für einen kurzen Moment wie in einem dieser Stealth Games – nur, dass es keinen Neustart gab, sondern entweder Permadeath oder Verwandlung. Zumindest nahm Ino das an, denn eine Verwandlung hatte sie noch nicht miterlebt, aber auf irgendeine grässliche Art und Weise musste das ja geschehen. Schade, dass man nicht leise rennen kann! Es wird bald dunkel … Der Strom ist komplett weg und ich hab keine Taschenlampe!, ging es ihr nervös durch den Kopf. Wenn Ino es nicht bis zum Schrein schaffte, musste sie sich eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Aber konnte Shikamaru so lange auf sie warten? Ino würde es am liebsten nicht darauf ankommen lassen. Außerdem würde das ohnehin eine schlaflose Nacht werden, selbst wenn sie eine einigermaßen sichere Umgebung finden würde. Immer weiter bewegte Ino sich die ehemalige Einkaufspassage hinauf, trat über zerstörte Möbel, die aus einem Laden gezerrt worden waren, Haushaltsgegenständen, einem Bügeleisen, Kleidung. Kleidung? Ist ja nicht so, als würde ich shoppen … Sie sah sich wachsam um, niemand in der Nähe, weder lebendig noch mutiert. Ihr war trotz der ganzen Aufregung eiskalt; das war die Gelegenheit, sich nach passenden Klamotten umzusehen, allerdings nicht hier draußen. Der Regen hatte sämtliche Kleidung durchnässt. Mit langsam Schritten stieg Ino gebückt durch das zerbrochene Schaufenster in den Laden hinein. Die Glasscherben knirschten unter ihren Schuhen. Immer, wenn eine Scherbe besonders laut zerbarst, zuckte sie zusammen und wartete mehrere Sekunden ab, ob etwas darauf reagierte. Erst, wenn die Stille nicht durch Gemurmel gebrochene wurde, ging Ino leise weiter. Der Eingangsbereich wurde von einem qualmenden Autowrack blockiert. Im Laden sah es aus als hätte kürzlich der berühmt berüchtigte Black Friday stattgefunden. Der Verkaufstresen stand nur deswegen noch an Ort und Stelle, weil er wohl zu schwer war, um ihn durch die Gegend zu wuchten. Nachdem Ino sich versichert hatte, dass sie alleine in dem Gebäude war, durchwühlte sie mit spitzen Fingern die Sachen; da es ja Sommer war, stand Ino in einem Meer aus Kleidern, Röcken, Tops, Leinenhosen und T-Shirts. Gibt's denn nichts Wärmeres?! Ich kann mir doch nicht drei Tops überziehen, da ist mir ja an den Armen trotzdem kalt! Oh! Eine Jacke! Endlich! Glücklich hob Ino sie auf, klopfte Dreck und vornehmlich Glassplitter weg und zog sie zufrieden an. Das gute Stück hätte sie vor dem ganzen Chaos nicht mal mit dem Hintern angesehen. Bevor Verwandelte die Straßen unsicher machten, hatte Ino Stunden mit ihren Freundinnen in Shopping-Centern verbracht. Scheiß Zeitverschwendung, ich hätte lieber Survival-Videos anschauen sollen, anstatt das perfekte Make-up rauszufinden! Die Jacke war ihr zu groß, dunkelgrün und schlicht – um es diplomatisch auszudrücken. Natürlich war Ino nicht blitzartig warm, aber sie fühlte sich schon viel besser. Leise seufzend kuschelte sie sich ins Innenfutter, hielt aber sofort erschrocken die Luft an. Hatte sie jemand gehört?! Mochte Ino noch vor einer Woche bereitwillig Kämpfe um das hübscheste Sommerkleid ausgefochten haben, stand ihr derzeit nicht der Sinn nach einer Keilerei um diese äußerst wertvolle Jacke. Als sich weiterhin nichts regte, scannte sie den Raum erneut. Ob's hier auch eine warme Hose gibt? Begierig sah sie sich um. „Alice!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)