Spiel ohne Limit von Lady_of_D ================================================================================ Kapitel 44: ------------ Der kleine Bummel durch Dominos unscheinbare Gegenden fühlte sich ein Stück weit befreiend an. Nachdem sie wochenlang von einem Duellschauplatz zum nächsten gerannt war, tat ein einfacher Spaziergang durch die verwinkelten Straßen der Altstadt gut. Es gab niemanden, der sie hetzte, sie hatte alle Zeit der Welt durch die Gassen zu schlendern, die nur Einheimische und Kenner der Stadt zu schätzen wussten. Mit ihren Wochenmärkten, den kleinen Ständen, in denen allerhand Krimskrams darauf wartete, beäugt und bewundert zu werden, war es ein angenehmer Kontrast zu den modernen und überfüllten Hauptstraßen der City. Schon als kleines Kind war sie von den Kuriositäten fasziniert gewesen, die Händler aus den verschiedensten Teilen der Welt aufgelesen hatten und nur hier zum Verkauf anboten. Neben Fleisch, Fisch und diversem Frischobst und -gemüse gab es die kuriosesten Souvenirs, von denen man vorher nicht wusste, dass sie überhaupt existierten, geschweige denn man sie gebrauchen könnte. Rin war oft mit ihrer Mutter hier gewesen. Hauptsächlich um den Wocheneinkauf mit allerlei Spezialitäten abzurunden. Schon früh hatte sie ihr die Vorzüge guter, frischer Küche nahegebracht. Kochen und Backen gehörte einfach zu den Grundlagen einer guten Hausfrau - so hatte sie es immer formuliert - und Yukiko Yamamori war der Inbegriff einer perfekten Hausfrau. Ihre Mutter hätte gut als Vorzeigeprojekt hingehalten - jede Frau, die glaubte, ihren Job Zuhause gut zu machen, wäre von ihr eines Besseren belehrt worden. Sie beherrschte alles, ohne jemals den Eindruck zu erwecken als kostete es sie Anstrengung. Über Nacht ein Festmahl für zwanzig Personen zaubern, während die Küche ihren alljährlichen Hausputz bekam? Oder die Kleider für den Abschlussball nähen, obwohl sie mit Grippe ans Bett gefesselt war? Für ihre Mutter kein Problem! Sie beherrschte die Riten der Teezeremonie, konnte in feinster Kalligraphie Einladungen verschicken und beherrschte die Kunst des Blumenbindens besser als so mancher Florist. Für Rin war sie die Verkörperung einer tadellosen, traditionellen Frau, die vor hunderten von Jahren jeder Familie Ehre gemacht hätte. Dass sie die Rolle manchmal zu streng nahm, war nur eines von vielen Nebeneffekten, die ihre einzige Tochter zu spüren bekam. Nicht selten trat zum Vorschein, dass sich ihre Mutter mehr als nur ein Kind gewünscht hätte, um das sie sich kümmern und dem sie all ihre Fürsorge schenken konnte. Dass Rin keine weiteren Geschwister hatte war ein Seitenhieb Seitens des Schicksals gewesen. So projizierte Yukiko die Erwartungen ihrer platonischen vier, fünf Kinder einzig auf Rin - eine gebündelte Ladung Sorge, Hoffnung und Ehrgeiz, die sie, seit sie denken konnte, verfolgten. Neben dem schulischen Erfolg musste Rin stets in sämtlichen häuslichen Pflichten versiert sein, dass nicht nur ein paar Geheimrezepte und Putztechniken hängen geblieben waren. Darum wusste Rin genau, wie ihre Mutter ein Dankesmahl zubereiten würde. Nachdem sie lange gegrübelt hatte, wie sie Yamato ihre Dankbarkeit ausdrücken könnte, war ihr schließlich eingefallen, wie ihre Mutter immer Okonomyiaki zubereitet hatte, wenn ihr Vater Geschäftskunden oder -partner mit nach Hause brachte. Sie hatte eine eigene Art, das Gericht abzurunden - sie vermischte die Stile von Osaka und Hiroshima und kreierte so eine eigene Komposition, die bisher bei jedem gut angekommen war. Rin hatte nicht vergessen, dass Yamato Okonomyiaki als sein Leibgericht betitelt hatte und wie schade er es fand, bisher kein gutes in Domino-City gegessen zu haben. Auch wenn es eine Weile her war, dass Rin richtig gekocht hatte (abgesehen von den schnellen Mahlzeiten für ihren flauschigen Kochmuffel), wusste sie wie, das Gericht zubereitet werden musste. Im Geiste hörte sie ihre Mutter, während die junge Frau von einem Stand zum nächsten lief, die einzelnen Zutaten einkaufte und ihre Wahl zweimal überdachte, wenn das Gemüse nicht so aussah wie man es sie gelehrt hatte. Ihr Mutter war da sehr penibel; das Gemüse durfte farblich und von der Konsistenz nicht mal um eine winzige Nuance abweichen. Es verdirbt den Geschmack Yukikos Stimme war so einnehmend, dass sie zwischendrin glaubte, ihre Mutter stünde neben ihr. Ein Gefühl, nur keinen Fehler zu begehen, nistete sich wie ein altes Lied in ihr ein, dass sie den Gedanken sofort abschütteln musste und sich lieber auf ihre eigene Intuition verließ. Ich sollte auch Mehl und Eier kaufen. Yamatos Küche hatte so tadellos ausgesehen, dass sie sich nicht vorstellen konnte, dass sie bisher eingeweiht worden war. Der Ofen und die Herdplatten glänzten wie frisch aus dem Katalog entsprungen, die Arbeitsplatten schienen wie poliert - kein Kratzer oder ähnliches. Für Rin war es eine Schande, dass das Potenzial der Küche bisher nicht genutzt worden war. Sie verstand, dass Yamato nach Arbeit wohl kaum Lust hatte, für sich etwas zu kochen, konnte es jedoch nicht akzeptieren, sie als bloßes Ziermittel zu betrachten. Die Küche von ihr und Lumina war da das genaue Gegenteil - ein zusammengewürfelter Haufen an Möbeln, die hauptsächlich von ihrer besten Freundin stammten - wie fast alles in ihrer Wohnung. Die kleine Arbeitsplatte und der noch kleinere Kühlschrank boten kaum Platz für ein ausgiebiges drei Gänge Menü, dass es meist nur für Ramen in den simpelsten Variationen reichte. Bei dem Anblick dieser hochmodernen, luxuriös ausgestatteten Küche, die sicher zum Repertoire seines Appartments gehörte, fragte sie sich nicht zum ersten Mal, wie viel der Schwarzhaarige verdiente. Als leitender Finanzplaner für die Stadtwerke musste für ihn schon ein respektables Gehalt abfallen, dass er sich ein Appartement in unmittelbarer Nähe des Geschäftsviertels leisten konnte. Normalerweise waren die Mieten in der Innenstadt und in deren Umkreis unverschämt hoch. Sogar die kleinen Wohnungen, die kaum saniert wurden und in ihrer Bezahlung völlig ungerechtfertigt, gingen schnell vom Markt. Rin erinnerte sich noch genau, wie sie und Lumina beinahe in Ohnmacht gefallen waren als sie die Preise gesehen hatten. Meist waren die Wohnungen noch kleiner als ihre Bruchbude. Größere Apartments wie sie Yamato bewohnte, waren nicht nur hoch im Preis, man kam auch nur sehr schwer an sie heran. Bei nächster Gelegenheit würde sie ihn nach seinen Beziehungen fragen. Anders konnte sie sich nicht erklären, wie er so viel Glück gehabt haben konnte. Weiter durch die Straßen schlendernd, sammelte sie noch die letzten Zutaten zusammen. Sie hatte sich für die dezentere Variante des Gerichts entschieden, die weniger üppig ausfiel, jedoch immer noch stark im Geschmack wäre. Für ausschweifende Details bliebe keine Zeit, wenn sie fertig werden wollte, bevor Yamato nach Hause käme. Hm, vielleicht noch- Ihre Aufmerksamkeit wurde unterbrochen als sie Blicke von der Seite bemerkte. Drei Jugendliche, vermutlich aus dem Abschlussjahr, sahen zu ihr herüber. "Das ist sie. Ganz bestimmt", hörte sie einen der Jungs sagen, während die anderen eifrig nickten. "Wahnsinn! Rin Yamamori. Sie sieht genauso wie im Fernsehen aus. Genau dieselbe gefährliche Coolness", sagte wiederum ein anderer, dass Rin sich direkt zu der kleinen Gruppe umdrehte, die darauf erschrockene Gesichter machte, als wäre es ihnen nicht bewusst gewesen, dass ihre Stimmen laut und deutlich zu hören gewesen waren. Rin hatte erst gedacht, dass die Kerle sie ansprechen würden. Etwas hinderte sie scheinbar daran, dass sie stattdessen ein paar Schritte zurück gingen und so taten als hätten sie nicht über die junge Frau gesprochen. Ihr war es nur recht. Es genügte, dass sie auf Arbeit von jedem angesprochen und beachtet wurde. Dass noch die Presse Zuhause auf sie wartete, verdrängte sie derweil. Sie versuchte nicht weiter über das seltsame Verhalten nachzudenken und setzte ihren Bummel fort. Allmählich erhellte sich der Himmel, der Regenschauer war nur noch ein leises Rascheln verirrter Tropfen, die über ihren Schirm glitten. Rin wollte noch so viele Eindrücke wie möglich in sich aufnehmen. Der Kontrast ihres derzeitigen Lebens war mit jedem weiteren Schritt spürbar. Vor allem die strahlenden Gesichter der Verkäufer und Marktfrauen, die eine Abwechslung zu den vielen falschen Gesichtern waren, denen sie die Woche begegnet war. Mit Freude, dass Rin ihnen die Begeisterung an der Arbeit abkaufte - dem Wetter zum Trotze - grüßten sie ihre Kundschaft, plauderten mit ihrem Nachbarn oder erzählten leidenschaftlich von ihren neuesten Waren, dass Rin nur noch mehr Lust aufs Kochen verspürte. Die Banalität des Alltags hatte Rin die letzten Wochen völlig verdrängt. Es hatte nur noch ein Thema in ihrem Kopf gegeben, dass es ganz schön war, einmal den Stress zu vergessen - auch wenn es ihr schwer viel. Für heute hatte sie es sich fest vorgenommen. Keine Firma, keine Idioten, kein Ärger Zielstrebig steuerte sie die nächste Kreuzung an. Von hier wusste sie, wie sie zu Yamatos Wohnblock käme. Ohne sich verlaufen zu haben stand sie eine viertel Stunde später vor dem Hochhaus. Sie klopfte sich innerlich auf die Schulter - ausnahmsweise hatte sie ihr Orientierungssinn nicht im Stich gelassen. Den Schlüssel in der Hand haltend betrachtete sie den kleinen grauen Anhänger, der wie ein aufgelesener Jackenknopf aussah. Kurz zögerte Rin. Seltsam war es, die Tür einer Wohnung zu öffnen, die nicht ihre war. "Yamato sagte, ich solle mich hier wie Zuhause fühlen. Also. Dann mal los!" Ihre Stimme hallte durch den breiten Flur, der so groß sein musste wie ihr Wohn- und Schlafzimmer zusammen. Sie streifte sich die Schuhe ab, die dem Regen nicht standgehalten hatten. Ihre Socken hatten die Tropfen ebenfalls aufgesogen, dass sie ein schmatzendes Geräusch gaben. Beides verstaute sie neben Yamatos Freizeitschuhen, die auf einer Gummimatte standen - ordentlich der Jahreszeiten sortiert. Anschließend schnallte sie sich die DuelDisc vom Arm ab. Im Gegensatz zu dem restlichen Outfit, war ihre wasserabweisende Disc so trocken wie vor dem Gewitter. Die Technik hat mal wieder über die Naturgewalt gesiegt. Das schafft aber auch nur einer...Stop! Du wolltest nicht mehr an die Arbeit denken. Also reiß' dich zusammen. Vorsichtig tippelte sie über den Flur, dass kein Tropfen auf den Teppichboden kam. Vorbei an der Wohnzimmercouch steuerte sie direkt den Küchenbereich an und packte die Lebensmittel aus. Ihre DuelDisc landete mit auf der breiten Küchenzeile. Sie zückte ihr Smartphone aus der mit Wasser vollgesogenen Hosentasche und stellte es neben die einzelnen Zutaten auf. Wenn sie rechtzeitig fertig werden wollte, musste sie die Uhr im Auge behalten. Kurz schrieb sie Yamato eine Nachricht, dass er sich nicht ums Essen kümmern musste, bevor sie schließlich los legte: Ganz im Vorbild ihrer Freundin Makoto schnibbelte sie in Rekordzeit das Gemüse, wusch das Fleisch und schnitt es ebenfalls in mundgerechte Stücke. Es dauerte nicht lang, da stand bereits ein Topf mit gesalzenem Wasser bereit, während daneben in einem etwas kleineren Topf die Sauce angerührt wurde. Direkt davor rührte sie den Teig, den sie erst ein paar Mal selbst gemacht hatte, jedoch schon hunderte Male bei ihrer Mutter beobachtet. Anschließend legte sie ein Geschirrtuch über die Schüssel und entschied sich kurzerhand noch schnell unter die Dusche zu springen. Mit dem Shoppingbeutel ihres Vaters flitzte sie ins Bad und hatte in handumdrehen die klebrigen Kleider abgestreift. Mit einem Klick verschloss sie die Badezimmertür - etwas woran sie sich hier gewöhnen musste, da sie und Lumina nach einem unglücklichen Missgeschick entschieden hatten, die Badtür nicht mehr zu verschließen. Aus dem Duschkopf schoss binnen Sekunden das heiße Wasser und rann über ihren Körper, bevor sie die Temperatur etwas runter schraubte. Selbst an Sommertagen war sie der klassische Warmduscher. Denk' an was anderes als an Sex unter der Dusche. Denk' an was anderes als an Sex unter der Dusche- Sie wickelte sich das Handtuch über, das ihr Yamato gestern gegeben hatte, stieg aus der Dusche und beugte sich zu der Papiertüte herunter. Wie Rin vermutete hatte, waren kaum nützliche Kleider darin. Nachdem sie aus ihrem Elternhaus ausgezogen war, hatte sie nicht viel zurückgelassen - zumindest kaum etwas Taugliches. Sie entschied sich für eine lockere Stoffhose, an die sich Rin nicht einmal erinnern konnte, sie jemals getragen zu haben und zog sich ein weites Shirt über, das früher einmal als Nachthemd umfunktioniert worden war. Ihr Aussehen spiegelte nichts von dem wider, womit sich die junge Frau identifizierte. Da sie bereits in ihrer Jugend ihren Look gefunden hatte, der sich anfangs stark an die Cyberpunk-Serie ihrer Kindheit orientierte und daher die Kleider nicht selten in die rockige Achtziger-Schiene gelenkt waren, war sie nie sonderlich stark von ihrem Kurs abgewichen. Wo früher Jeans und Leder dominierten, wurde sie mit der Zeit etwas dezenter - bis auf ihr rotes Mantelkleid, das wohl zu dem Exzentrischsten ihres Kleiderschrankes zählte. Langsam verstand sie, warum der ein oder andere Duellant sich durch das Tragen eines Kleidungsstücks identifizierte. Es gab einem ein Stück weit Identität, die man selbst geschaffen hatte, ohne sich selbst dabei aufzugeben. Ihr jetziger Look erinnerte kaum mehr an die Duellantin Rin - genauso wenig an ihr vergangenes Ich. Keines der beiden Teile hätte sie jemals in der Öffentlichkeit getragen. Für Zuhause - oder Yamatos Zuhause - reichte es. Wenn sie morgen auf Arbeit ging, musste etwas anderes her - auch wenn sie noch keine Ahnung hatte, was. Sie befreite sich von dem hohen Zopf und schüttelte die dunkle Mähne, während sie durch den Flur huschte. Hastig erhitzte sie die Pfanne, ließ das Salzwasser aufkochen und schätzte die Menge an Nudeln ab. Der Duft des Schweinefleischs stieg in ihre Nase, zusammen mit dem Kohl und den verschiedenen Kräutern nahm es einen intensiven Geruch an - genauso wie sie es haben wollte. Rin huschte ein Grinsen über die Lippen. Der Duft erinnerte an unzählige Wochenenden mit Bekannten und Freunden, Arbeitskollegen und Geschäftskunden, die alle spät abends satt und zufrieden nach Hause zogen. Je länger sie in der Küche stand, freundete sie sich mehr und mehr mit ihren Vorzügen an. Sie dachte an den letzten Gehaltscheck, die vielen Boni und daran, dass es gar nicht so abwegig war, in Zukunft öfter in solchen schicken Gegenden zu kochen - beim nächsten Mal schon in ihrer eigenen Wohnung? Der Gedanke kam plötzlich. Ein Leben ohne ihre beste Freundin. Sie musste sich schütteln. Bisher war es nie auszumalen gewesen, wie die Zukunft aussehen könnte. Fest stand immer, dass Lumina ihre Studien im Ausland fortsetzen würde. Anfangs hatte dies in weiter Ferne gelegen. Nun stand aber ihre beste Freundin bereits vor der ersten Zwichenprüfung - kurz vor der großen Abschlussarbeit. Wenn alles nach Plan verliefe, würde sich die Schwarzhaarige für ein Auslandssemester bewerben. Sechs Monate, auf denen weitere Monate und Jahre folgen könnten, sollte sie anschließend die heiß ersehnte Doktorantenstelle erhalten. Und Rin? Würde sie das Leben eines Profiduellanten leben, dass sie sich immer erträumt hatte? Allmählich kamen ihr Zweifel, ob der Alltag eines Spielers tatsächlich aus Duellieren, Gewinnen, und noch mehr Duellieren bestand. Die Zeit in der Kaiba Corporation zeigte ihr, dass sie mehr wollte. Mehr als ihr vielleicht gut tat. Klasse! Soviel zum Thema: Nicht darüber nachdenken. Sie knirschte mit den Zähnen, das sehr gut in den Tönen der spritzenden Pfanne unterging, und wendete den ersten Okonomyiaki. Beinahe hätte sie das Rumpeln überhört, als die Wohnungstür aufging und der Schlüssel in die Schale klatschte. "Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass der Geruch von hier kommt", grinste sie Yamato breit an, der sich am Türrahmen festhielt und zu Rin in die Küche linste. "Ich dachte", entgegnete die junge Frau und lächelte zurück, "dass ich mich so bei dir erkenntlich zeigen kann. Weil ich doch bei dir unterkommen darf und so", murmelte sie den letzten Satz und wandte sich den kochenden Nudeln zu. "Vorsicht", der Schwarzhaarige hatte sich zur Küchenzeile begeben und ließ sich dort auf einem der Barhocker nieder, "an so was könnte ich mich gewöhnen." Er hörte nicht auf zu grinsen und beugte sich begeistert zu den bereits fertigen Okonomyiaki. "Ich wusste nicht, dass du kochen kannst", er streifte sich das Jackett ab und hing es über den Hocker, bevor er sich daran machte, Teller aus dem Schrank zu holen. "Was denkst du, warum Lumina mich all die Jahre ausgehalten hat?", sie musste selbst lächeln und schaltete sämtliche Herdplatten aus. "Ich bin ein wenig aus der Übung, aber deine Küche hat es mir einfach gemacht." "Wenigstens jemand, der sie mal richtig nutzen kann", Yamato streckte sich zu einem der marmorierten Wandschränke. Seine Finger zogen eine Flasche Wein heraus. Rin war kein sonderlicher Weintrinker; bei dem Schwarzhaarigen würde sie eine Ausnahme machen. Wein stieg ihr wenigstens nie in den Kopf. "Ich bin ein miserabler Koch", sagte er und entkorkte die Flasche, "frag' meine Mutter. Als Teenager musste ich mich ein paar Mal selbst verpflegen. Es fehlte nicht viel und ich hätte die Küche in Brand gesteckt." "Wie schafft man denn das?", Rin schüttelte den Kopf. Mit der Kelle verteilte sie die Okonomyiaki auf beide Teller. "Bei einem Gasherd geht das schneller als du glaubst." "Wenn das so weitergeht", Rin setzte sich neben Yamato, der bereits die Weingläser gefüllt hatte und ihr ein frisches Pack Essstäbchen hinhielt, "wirst du noch ein paar Tage länger meine Kochkünste ertragen müssen." "Esch wäre mir eine Freude", kaum hingesehen, hatte Yamatos bereits den Mund mit allerhand Fleisch und Gemüse gefüllt. Sein Gesicht strahlte als hätte er seit Monaten kein richtiges Essen vorgehalten bekommen. "Und?", fragte die junge Frau, obwohl sein Blick Bände sprach. "So hab ich es noch nie gegessen...du bist eine Magierin, Rin Yamamori. Das Essen hat mich für alle weiteren Okonomyiakis verdorben." "Dann habe ich ja mein Ziel erreicht", lächelte sie und nahm selbst einen Bissen. Ihr Rezept kam nicht ganz an die Perfektion ihrer Mutter heran, geschweige denn an dem Feingefühl, die einzelnen Zutaten richtig und punktgenau anzuwenden. Für ihre ersten Okonomyiaki seit knapp drei Jahren war sie zufrieden mit sich. Der Ausdruck auf Yamatos Gesicht war die eigentliche Bestätigung. Die braunen Augen funkelten, während er seine Portion verschlang, dabei immer wieder Rin betrachtete, als müsste er sich vergewissern dass sie es war. Rin genoss derweil die Unbeschwertheit, die langsam in den restlichen Tag Einzug hielt. Die Gegenwart des Schwarzhaarigen fühlte sich nicht nur unbeschwert an, es war auch richtig in diesem Moment. Sie spürte es. Anders konnte es einfach nicht sein. Diese klaren Augen gaben ihr Sicherheit, dass sie nicht weiter darüber nachdenken musste, ob es ein Fehler war, sich bei ihm einquartiert zu haben. Yamatos lebhafte und lockere Art taten ihr übriges, dass es keinen einzigen Moment der peinlichen Stille gab, die jemand mit unnötigen Smalltalk aufheben musste. Dafür gab es zu viel zu erzählen. Der Schwarzhaarige war nicht nur gebildet, seine Art zu sprechen, lud dazu ein, sich ganz seiner Stimme zu widmen, dass sie noch eine Weile vor den leeren Tellern saßen und einfach nur redeten. Erst als Rin sich um den Abwasch kümmern wollte, kam er ihr zuvor, in dem er den Arm ausstreckte und meinte, ihm die Arbeit zu überlassen. "Keine Frau muss bei mir abwaschen." "Oder den Haushalt schmeißen", ergänzte Rin und erhob sich, "ich habe noch nie einen Kerl getroffen, der so... ordentlich ist. Das bekommst du sicher öfter zu hören." Ihre Augen fixierten den Armschmuck. Sie hatte das leichte Metall kein einziges Mal abgenommen seit sie es sich gestern Morgen in ihrem Schlafzimmer umgebunden hatte. Sie wusste nicht, warum es ihr gerade jetzt auffiel. "Normalerweise", damit riss er sie aus eine Art Trance, dass sie wieder zu ihm aufsah, "ist das nicht das Thema, über das ich mich mit Freunden oder Kollegen unterhalte." Obwohl er lächelte, schien er über ihren Kommentar etwas verwirrt, dass sie nicht weiter darauf einging. Stattdessen stellte sie erstaunt fest, wie schnell Yamato die einzelnen Küchenhelfer abgespült und getrocknet hatte: "Ich musste mich schon in meiner Kindheit um den Haushalt kümmern", Yamato legte das Geschirrtuch beiseite und stellte die Pfannen und Töpfe zurück in den Schrank, "meine Mutter war tagsüber arbeiten. Sie hatte nicht die Zeit, sich noch um die Wohnung zu kümmern. Also hab ich die Aufgaben übernommen, um ihr wenigstens etwas von der Last abzunehmen. Ich schätze, ich bin nie ganz aus dieser Rolle herausgekommen." Wenn er über seine Familie sprach, merkte Rin immer den Unterschied zwischen den einzelnen Elternteilen. Seine Mutter bewunderte er. Er lächelte, wenn er über sie sprach. Ebenso die auffallend warmherzige Stimme. Sie hatte ihn alleine großgezogen, ohne Hilfe von außen und der Unterstützung seines Vaters, über den er nur ungern sprach. Anders als Rin redete er gerne über die Vergangenheit, erzählte von Erlebnissen, die Rin begeisterten oder nachdenklich zurück ließen. Manchmal war sie sich nicht sicher, ob sie zu viel von sich zurückhielt. Wenn sie an die Offenheit des Schwarzhaarigen dachte, schien es nicht fair, dass sie selbst teilweise so verschlossen blieb. "Hast du noch Pläne für heute?", seine Stimme riss sie aus dem Gedankenstrudel, dass sie etwas zu heftig mit dem Kopf schüttelte: "Für heute steht nichts an. Ich muss mich erst morgen wieder mit Arbeit befassen." "Morgen auch?", Yamato kratzte sich an den Kopf, "ich dachte, die nächsten Runde geht erst nächste Woche los." "Schon, aber-, ich kann ihm ja wohl schlecht von dem geheimen Projekt erzählen, "ich muss noch jede Menge trainieren. Bisher hatte ich es kaum mit ernsthaften Gegnern zu tun und ich will nicht in der nächsten Runde wie ein Anfänger aussehen." "Wenn das so ist", er stemmte die Hände in die Hüften, "entscheidest du, wie wir den Tag nutzen. Du hast die freie Wahl...nur nichts Abgedrehtes, wonach ich anschließend nicht mehr alleine stehen kann." "Schade", schmunzelte Rin, "ich hatte mich auf eine Runde Windsurfing gefreut. Aber so", sie fuhr sich durch die Haare, die vom Regen noch etwas feucht waren, "würde ich sagen, bleiben wir Zuhause." "Echt?" "Ich komme nur noch so selten dazu, mich einfach mal auf die Couch zu setzen und einen Film zu gucken." "Bin ich dabei", nickte Yamato und griff nach den zwei halb leeren Weingläsern. Keine fünf Minuten später lümmelten beide auf der Couch, den Blick auf den Fernseher, der einen ihrer Lieblingsfilme aus der Neuzeit laufen ließ. Lange war es her, dass sie die langsam wachsende Trägheit ihrer Beine spürte; wie die Arme schwer wurden und der Kopf sich kaum mehr gerade halten konnte. Dann ergriff es sie - die schlaflose Nacht zeigte sich mit einem Schlag, dass jeder Wimpernschlag Kraft kostete, die Augen wieder zu öffnen. Die Worte des Protagonisten hallten in ihren Ohren, das Wimmern der Sirenen und die kraftvolle Melodie, die sie im Geiste immer mit summte. All das verblasste mit jedem weiteren Atemzug, bis die Müdigkeit die Oberhand gewann. Blitzende Bilder verschwammen, ihr Atem wurde ein leiser Hauch. Es war kein besonderes Geräusch, dass sie aus dem Schlummerzustand riss. Mit flatternden Lidern kam sie zu sich. Der Abspann ratterte herunter. Mit der linken Hand fasste sie sich an die Stirn und tat einen tiefen Atemzug. Ein leichtes Gegengewicht, das an ihrem rechten Ohr drückte, ließ sie den Blick zur Seite schweifen. Schwarze Haare lagen auf ihrem Nacken, ein ruhiger Atem berührte sanft das Kinn. Ohne es bemerkt zu haben, hatte sie sich an Yamatos Schulter gelehnt, der - wie Rin feststellte - selbst eingenickt war. Ihr Bewegung, so vorsichtig sie auch war, riss ihn aus seinem Ruhezustand. Seine Augen bewegten sich als hätte er sie nur für einen kurzen Moment schließen wollen. Sein Blick glitt zu ihrem herunter. Rin regte sich nicht. Seine Seelenspiegel bekamen etwas Ruheloses, leicht Stürmisches, dass sie nicht wegsehen konnte. Und sie wollte nicht wegsehen. Sie war so oft den Blicken ausgewichen, die immer eine klare Sprache gesprochen hatten, nur darauf zu warten schienen, dass Rin sie erwiderte. Er neigte nur leicht den Kopf, dass sein Gesicht direkt vor ihrem lag, kaum ein Papier dazwischen passte. Wie in Zeitraffer schloss sie die Augen als bereits seine Lippen zu ihren fanden. Sie zaghaft umschlossen, bevor Entschlossenheit zum Vorschein kam, der Kuss intensiver und selbstsicherer wurde. So lange hatte sie es hinausgezögert. Jenen Moment, der in jedem Augenblick ihrer Treffen präsent war. Nun, da der Moment gekommen war, fühlte sie - Nichts Panik machte sich in ihr breit. Nein. Nein! NEIN! Ihr Herzschlag beschleunigte sich, trotz geschlossener Augen begann sich für sie der Raum zu drehen. Bitte, das darf nicht sein?! Wieso-?! Wo war dieses intensive Gefühl - das alles beherrschende Kribbeln im Bauch, die weichen Knie. Nichts geschah - nichts, das ihr ein gutes Gefühl gab. Ein Gefühl der Bestätigung. Wenigstens ein klein wenig. Stattdessen nur Leere, die sich in ihrem Inneren ausbreitete. Was ist nur los mit mir? Ich will es fühlen! Ich! Will! Fühlen! Ihr Innerstes streikte, dass sie glaubte, keine Luft zu bekommen. Warum kann es nicht so sein wie...Nein! Hör auf! Es ist falsch! Falsch! FALSCH! FAAAAALSCH Ruckartig ließ er von ihr und sah sie überrascht an. Auch Rin hatte die Augen aufgerissen und ließ eine Hand über die feuchte Stelle unter ihrem Auge fahren. "I-ich", stammelte der Schwarzhaarige und starrte auf die verirrte Träne an Rins Wange, "es tut mir leid. Ich-", er rutschte ein Stück von ihr, da Rins Hautfarbe einen ungesunden Teint angenommen hatte, "ich wollte dich nicht überrumpeln... nicht, dass du denkst, ich wollte dich nur deshalb…" "Yamato", schüttelte Rin mit dem Kopf. Ihre Stimme war schwach, sie bemühte sich nicht zu krächzen, "mir tut es leid. Ich bin-" Es war furchtbar den Schwarzhaarigen so zu erblicken. Yamato sah aus als hätte er alles verdorben. Dabei war es Rin, die es vermasselt hatte, die ihn bereits über Wochen hinhielt und falsche Hoffnungen machte. Sich selbst hatte sie die letzten zwei Monate gut zugeredet, dass es ihr so vorkam als hätte sie sich selbst verraten. "Es war ein furchtbarer Tag", die junge Frau sah zur Seite, sie konnte ihm nicht länger in die Augen sehen, sie hatte das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben, "es ist...es war sehr aufwühlend...der Stress und der ganze Druck... meine Reaktion...es war heute einfach etwas viel." Beinahe hätte sie gesagt, dass es nicht seine Schuld war - mit letzter Mühe unterdrückte sie den verhassten Standardspruch, der sie mehr als einmal Wut schnaubend davon stampfen ließ. "Alles gut", seine Stimme nahm seinen gewohnt fröhlichen Ton an. Diesmal glaubte sie ihm nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)