Spiel ohne Limit von Lady_of_D ================================================================================ Kapitel 42: ------------ Es war zu viel. Der Kloß in ihrem Hals war wie ein Felsbrocken, den man ihr in den Rachen gedrückt hatte. Ihr Körper begann zu zittern, jede Faser ihres Körpers reagierte auf diesen kalten Schauer. Im Inneren des Fahrstuhls angekommen, lehnte sie sich an die Wand und beugte ihren Oberkörper nach vorne als müsste sie sich jeden Moment übergeben. Schwer stieß sie den Atem hinaus, als wollte sie jeden finsteren Gedanken damit heraus pusten. Die Luft im Fahrstuhl wurde drückend, die Leere machte sie wahnsinnig. Das Brennen in ihren Augen wurde stärker. Sie wusste, es fehlte nicht viel bis sie dem Drang zu weinen nicht widerstehen könnte. Die heutige Schlagzeile hatte ihr Gefühlschaos auf die Spitze getrieben. Jede Emotion der letzten Wochen kroch aus jedem Winkel ihres Bewusstsein, wollte sich bemerkbar machen und seinen Anspruch an der Oberfläche behaupten. Weniger der Tropfen auf dem heißen Stein, war es wie ein Eimer voll kaltem Wasser, das ihr über den nackten Rücken gegossen wurde. Nach all dieser Zeit mit der Vergangenen konfrontiert zu werden, die sie mal mehr mal weniger erfolgreich von sich fort geschoben hatte, prallte nun die gesamte emotionale Bandbreite der letzten vier Jahre auf sie hernieder. Noch immer sah sie die verachtenden Blicke, die Enttäuschung. Gleichzeitig zeigte sich ihr eigenes Gesicht - unsicher und voller Selbstzweifel. Wie sie diese Rin hasste! Doch hatte sich wirklich etwas geändert? Wo sie so naiv gewesen war und ernsthaft geglaubt hatte, dass die Vergangenheit nicht herausbrechen würde? Es hätte ihr klar sein müssen. Rin fasste sich an die Stirn und versuchte ihren Atem zu beruhigen. Der Puls hämmerte ihr in den Ohren, die Wände des Raumes drängten sich ihr auf. Nie hätte sie gedacht, dass die Ereignisse von damals sie noch so emotional mitnahmen. Nach Wochen des Verdrängens, hatte es irgendwann einen Lichtblick für sie gegeben, dass Rin geglaubt hatte, darüber hinweg gekommen zu sein. Es hatte geholfen, dass sich das Schuljahr dem Ende geneigt und sie sich ganz auf sich konzentriert hatte. Die lausigen Jobs, so nervtötend sie auch gewesen waren, hatten sie vergessen lassen, wie sehr sie mit sich zu kämpfen hatte. Auch Rin war enttäuscht, über eine lange Zeit hatte sie es jeden spüren lassen, um irgendwann festzustellen, dass es zwecklos war. Erneut schüttelte sie mit dem Kopf, während der Fahrstuhl unaufhörlich nach unten rauschte, sie weiter weg von der Chefetage brachte. Ein Gedanke erfasste sie sprunghaft. Er war so klar und ließ sich mit den anderen nicht im Einklang bringen: Zwischen Wut, Angst und dem Gefühl, nicht davon laufen zu können, war etwas Neues auf sie zugekommen. So als wäre sie von einem Stromschlag getroffen worden. Er hat mich nicht gefeuert Diese Tatsache stellte sie geschockt fest, während ihr Innerstes noch immer zu glauben schien, dass es vorbei war. Ihr Kopf hatte die Informationen aufgenommen, aber mental war sie nicht darauf vorbereitet. Man hatte ihr geglaubt - oder zumindest ihre Sicht nicht untergraben. Es machte sie fassungslos - gerade weil es hier geschah, in diesen Gemäuern. Die junge Frau war überrumpelt ob der unerwarteten Reaktion Seto Kaibas. Nach ihrem gemeinsamen Fauxpas hätte sie es ihm nicht einmal verübelt, wenn er ihre Sicht verspottet hätte. Wie musste es für ihn ausgesehen haben, nachdem sie ihm klar gemacht hatte, dass sie keine dieser Frauen war. Wenn er sie ausgelacht hätte - damit hätte sie umgehen können. Doch der junge CEO hatte sie einfach gehen lassen. Hatte die Sache abgehakt, so wie Rin es in den letzten vier Jahren versucht hatte. Im zwölften Stockwerk öffneten sich erstmalig die Türen, dass Rin sich zusammen nahm und sich gerade hinstellte. Ein schlacksiger Kerl aus der Buchhaltung nickte ihr zu, bevor er den Blick auf die sich schließenden Türen richtete. Sie war selbst überrascht, wie gefasst sie in Gegenwart anderer wirken konnte. Mit finsterem Blick, der geradezu danach schrie, nicht angesprochen werden zu wollen, sah sie auf die Anzeige neben den Knöpfen und beobachtete wie der Aufzug von Etage zu Etage zog, nun immer mehr Leute mit sich nahm, die wohl in ihre Mittagspause gingen. Jeder grüßte die junge Frau - jeder auf seine eigene Weise, und nicht immer mit Worten oder Gesten. Sie alle lenkten Rin von ihren wüsten Gedanken ab, dass sie zum ersten Mal dankbar für den Menschenrummel war, der ihr sonst immer die Luft zuschnürte. Der stupide Alltag in der Kaiba Corporation mit all seinen gesichtslosen Mitarbeitern war im Moment wohltuend. Niemand sah sie mit diesen Blicken der Verurteilung an, keiner wagte es in ihrer Gegenwart zu tuscheln oder zu feixen. Es gab nur gestresste Menschen, ein paar gelangweilte Gesichter und einige ehrfürchtsvolle Blicke, welche die junge Frau jedoch nicht mitbekam. Dafür war sie bereits wieder zu sehr in ihren Gedanken vertieft, die schließlich von einer aufschäumenden Wut dominiert wurden, die Irgendwie ausbrechen wollte, nur keine passende Gelegenheit fand. Im Erdgeschoss angekommen, stieg sie als erste aus. Ihr war gar nicht bewusst, dass man ihr den Vortritt gelassen hatte. Sie war so mit sich beschäftigt, dass sie nicht merkte, wie einige Mitarbeiter zur Seite auswichen um der jungen Frau Platz zu machen. Ihr harscher Schritt zusammen mit diesem hasserfüllten Blick ließ den ein oder anderen eingeschüchtert hinterher sehen. Seit dem letzten Duell wusste jeder, wer Rin Yamamori war und wenn man ihr nicht unbedingt mit falscher Freundlichkeit begegnen wollte, blieb nur noch ein Ausweichmanöver übrig. Wie Rin an die Mitarbeiter vorbei marschierte, ließ den Gedanken aufkommen, als würde sie dem nächstbesten an die Kehle gehen, sollte er es wagen, ihren Weg zu kreuzen. "Frau Yamamori?", die krächzende Stimme der Empfangsdame riss sie mit einem Mal heraus, dass Rin abrupt stehen blieb. Ihre Augen blitzten zu der jungen Frau, deren Ansätze erst frisch nachblondiert sein mussten. Danach wirkte die Farbe wie ein von Gel durchtränkter Platinschimmer, der ihren Zähnen Konkurrenz machen konnte. Hinter ihrem Arbeitsplatz wedelte sie mit ihrem rechten Arm als versuchte sie mit diesem ein Rieseninsekt zu vertreiben. Am liebsten hätte sie gehässig aufgelacht. Sie war noch derart emotional aufgeladen, dass sie sich nur schwer zurücknehmen konnte. Nur der großgewachsene Mann vor dem Empfangstresen, der langsam seinen Kopf in ihre Richtung drehte, ließ sie nichts dergleichen tun. Stattdessen nahm sie sich zusammen und schritt langsam auf den Empfangsbereich zu. Ohne den neugierigen Blick der Blondine zu beachten, wandte sie sich dem Mann zu, der ihr auf halbem Weg entgegengekommen war - sehr zum Frust der Empfangsdame, die wohl gehofft hatte, dem Gespräch unauffällig lauschen zu können. Rin wusste um ihre lockere Zunge und ihrer Vorliebe der Plauderei und des Tratsches. Besonders mit einem Kollegen aus der Personalabteilung, mit dem sie während ihrer Arbeitszeiten öfters telefonierte. Die junge Duellantin wusste, wieso sie nie mit solchen Frauen klar gekommen waren. Charakter und Interessen lagen weit auseinander - so war es schon immer gewesen. Noch immer lag ein überraschter Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie mit großen Augen zu ihm hinauf sah: "Vater", ihre Begrüßung glich mehr einer Frage, dass sie von Neuem ansetzte, "ich wusste nicht, dass du vorbeikommen wolltest. Was machst du hier?" Ganz toll, Rin. Das war jetzt kein Stück besser Mit einem sanften Lächeln erwiderte er die Frage. Dabei bekam sein Gesicht eine jugendlich Frische, von der viele behaupteten, sie in Rins Gesichtszügen wiederzuerkennen. Auf den ersten Blick ähnelten sie sehr einander. Seine dunkelbraunen Haare, dazu die große schlanke Statur. Er hatte sogar grüne Augen, die jedoch weniger die Wildheit besaßen wie ihr Gegenüber. Wenn er nicht lächelte, war sein Blick eher von einer Strenge durchzogen, die manchmal an einen Lehrer erinnerte. Sein gesamtes Auftreten konnte Respekt und Ernsthaftigkeit ausstrahlen. In ihrer Kindheit hatte es oft genügt, wenn er sie so ansah, damit sie Reue verspürte. Ihn jetzt mit diesem Lächeln zu sehen, beruhigte sie. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Sie sehnte sich gerade stärker denn je nach dieser Wärme. All die Menschen um sie herum, die ihr zwar aus dem Weg gingen, jedoch interessiert von der Seite musterten, hinderten sie daran. Ihr Blick wurde distanzierter: "Du bist doch nicht gekommen, um mich zu besuchen - oder?" "Nicht ganz", nickte er und sah sich im Eingangsbereich um, "auch wenn ich zugeben muss, dass es mich schon interessiert, wo genau meine Tochter arbeitet. Sonst hört man von dieser Firma ja nur aus den Medien." "Und", sie streckte die Arme aus, "was sagst du?" "Ich hätte mehr Hightech erwartet." "Die gibt es in den unteren Stockwerken", erwiderte sie und ließ den Blick hinunter zu seiner rechten Hand schweifen. Ihr Vater hielt eine Shoppingtüte in der Hand, die nicht mit seinem restlichen Auftreten übereinstimmte. Er trug seinen schwarzen Anzug von Arbeit, dass er zwischen den anderen Mitarbeitern kaum weiter auffiel. Vermutlich hatte er gerade selbst Mittagspause, obwohl der Weg zu seiner Versicherungsfirma mehr als nur ein paar Minuten gekostet haben mussten. "Nun", er bemerkte ihren Blick und hob die Tüte näher an ihr Gesicht, "ich soll dir das von deiner Mutter geben." Rin beugte sich nach vorne und betrachtete den Inhalt. "Sie hat in deinem alten Zimmer noch Sachen gefunden, die du damals nicht mitgenommen hattest. Vielleicht kannst du sie gebrauchen, wenn du schon nicht in deine Wohnung zurück kannst." "Danke", murmelte Rin. Sie wusste nicht, ob sie ein schlechtes Gewissen haben sollte, dass sie ihrer Mutter noch immer grollte, wo sie doch extra ein paar Kleider für sie zusammen gesucht hatte. Unachtsamkeit konnte man dieser Frau wirklich nie vorwerfen. "Und wie läuft es bei euch?", murmelte sie und nahm die Tüte entgegen, "belästigt euch die Presse immer noch?" Saito Yamamori schüttelte den Kopf. "Gestern Abend sind sie abgezogen und haben sich auch nicht mehr blicken lassen." "Da bin ich froh. Ich hatte befürchtet, dass sie bei euch dasselbe Spielchen abziehen wie bei uns." Erst heute Morgen hatte ihr Lumina geschrieben, dass noch immer ein dutzend Fotografen und Journalisten auf der Lauer lagen. "Darum machen wir uns die wenigsten Sorgen", sein Blick wurde ernst, dass Rin von einem weiteren Blitzschlag getroffen wurde. Ihre Augen wurden dunkler: "Hat Mutter schon die Schlagzeile der Klatschpresse gelesen?" , dabei war ihre Stimme wie die eines aufgezogenen Roboters. Saito sagte nichts. Das genügte Rin als Antwort, dass sie pfeifend die Luft ausstieß. Der kurze Anflug eines schlechten Gewissens war von ihr gewichen. Natürlich. Wie hätte es auch sonst sein sollen. "Deine Mutter macht sich nur Sorgen um dich", sagte Saito im ruhigen Ton. Doch der Standardspruch erreichte sie nicht. "Du kannst ihr ausrichten, dass ich mich nicht dafür rechtfertigen werde - nicht noch einmal", sie schüttelte den Kopf und lächelte, dass es ihre Augen nicht erreichte, "auf Arbeit schenkt man mir mehr glauben, als ich es von meinem eigenen Zuhause je erwartet habe." "Rin", Saito sah sie versöhnlich an. Anders als ihre Mutter hatte er sich aus der damaligen Situation gänzlich heraus gehalten. Wenn es womöglich auch das beste war, was er hätte tun können, hatte sie sich damals von ihm im Stich gelassen gefühlt. Zum ersten Mal dachte sie bewusst daran, dass er nicht ihr leiblicher Vater war und hatte sich oft die Frage gestellt, wie er wohl reagiert hätte, wenn es anders gewesen wäre. "Es geht doch nicht um uns", sagte er, doch Rin nahm es ihm nicht ab. "Schon gut", winkte sie ab. Ihr war nicht nach reden - nicht darüber, "danke für die Sachen. Sie helfen mir tatsächlich weiter... Und sag' ihr, dass sie aufhören soll, sich ständig Sorgen zu machen." "Du weißt doch, wie sie ist", entgegnete er und versuchte sie sanftmütig anzublicken, was ihm nur leider nie gelang. Die Strenge dominierte. "Pass' auf dich auf und melde dich mal bei ihr. Ich weiß, sie wartet nur darauf, dass du sie zurück rufst." "Ich weiß", Rin sah zur Seite, "sobald sich alles beruhigt hat, werde ich mich bei ihr melden." Wenn sich alles beruhigt hat… hörst du dir eigentlich selber zu? "Aber nicht erst nach diesem Turnier", Saitos Lächeln kehrte zurück, dass sich Rin ertappt fühlte und selbst lächeln musste. Er stemmte die Hände in die Hüften, wobei es seiner Statur zusätzliche Größe verlieh. Von der Seite bemerkte sie die Blicke einiger weiblicher Mitarbeiter, die den fremden Mann interessiert musterten. Mit seinen Mitte vierzig war Saito Yamamori ein attraktiver Mann, der schon immer der Blickfang vieler Frauen gewesen war. Rin erinnerte sich noch an die Blicke ihrer Klassenlehrerin und wie sie jedes Mal errötet war, wenn er an einem der Elternsprechstunden teilgenommen hatte. Seine Gesichtszüge waren markant und kantig, er besaß zudem eine tiefe, leicht brummende Stimme, die sowohl herrisch klingen konnte als auch seinem selbstsicheren Auftreten den nötigen Charme verlieh. Hinter diesem Auftreten versteckte sich eine andere Seite, die Rin zu sehen bekam, wenn er mit ihrer Mutter zusammen war. Seine Augen, unter denen bereits kleine Fältchen sichtbar wurden, begannen zu strahlen. Aus seinem Gesicht war abzulesen, dass er ihr jeden Wunsch erfüllen würde - und Rin wusste, dass er das tat. Es war schon fast eine Art der Vergötterung, die Rin sonst aus kitschigen alten Streifen kannte. Die junge Frau war sich auch sicher, dass dies der Grund war, warum ihr Vater seine gesamte Pause opferte, um Rin ihre Kleider auszuhändigen. Ihre Mutter hatte ihn um den Finger gewickelt, dass er auch bis nach Tokyo gefahren wäre. Rin hatte über diese Vernarrtheit immer schmunzeln müssen. Es passte nicht zu seinem restlichen Auftreten, dass so kontrolliert und stringent war. Sie verabschiedeten sich, ohne dass einer von ihnen Anstalten für eine herzliche Geste machte. Rin war ihrem Vater dankbar, dass er ihr keinen dieser konventionellen Wangenküsse aufzwang. In dieser Hinsicht hatte sie viel von ihm abgeschaut und die weniger geheuchelte Art bevorzugt. Er betonte noch einmal, wie sehr sich ihre Mutter auf einen Anruf freuen würde und verließ schließlich das Firmengebäude mit zügigen Schritten. Einmal tief einatmen und - "Ich bringe dieses Arschloch um!" Rins Wangen glühten, sie hatte sich derart in Rage geredet, dass ihre Stimme von mal zu mal lauter wurde, dass sie schließlich das halbe Café zusammen brüllte. Zum Glück war Makoto die einzige im Raum, dass sonst niemand ihren Wutausbruch miterlebte - außer Lumina am Telefon. Kaum war die junge Frau selbst aus dem Firmengebäude geflüchtet, rief sie ihre beste Freundin an. Es genügte ein hitziges Fauchen, sowie eine Reihe von Beleidigungen, die Rin nur in Tobsuchtsanfällen verwendete, dass die Schwarzhaarige wusste, von wem die Rede war. "Dieser Wichser kann es echt nicht lassen", knurrte Lumina und atmete tief aus, "der hat das Geld der Kaiba Corp. gerochen und meint jetzt, dasselbe Spielchen nochmal abziehen zu können." "Ich schwöre dir, Lumina, wenn ich ihn jemals wieder zu Gesicht bekomme, leg' ich ihn übers Knie - und nicht auf die angenehme Art." Ihre Stimme zitterte leicht, ebenso ihre Hände, dass ihre DuelDisk zu vibrieren begann. Wortlos schob Makoto ihr eine frische Tasse Kaffee hin, die Rin nickend entgegennahm. "Lass' dich nicht von diesem Vollarsch runter ziehen", sagte schließlich Lumina, die wusste, dass Rin auf weitere Sticheleien nur noch fuchsiger reagierte, "du bist nicht mehr die kleine verletzliche Rin, die sich in ihrem Zimmer verkriecht. Die Zeiten hast du hinter dir. Konzentrier' dich auf den Worldcup und lass' diesen Spinner doch sagen, was er will. Du weißt doch, wie die Presse ist - heute so, morgen so." "Ich bin froh, dass sie mich deswegen nicht gefeuert haben", seufzte Rin. "Dein Großkotz von CEO wäre auch ganz schön dumm, wenn er dich wegen so was gehen ließe. Wenn du es noch nicht gesehen hast: du bist gerade deren Vermarktungsmaschine. Und außerdem ist schlechte Publicity immer noch besser als keine." "Ich weiß nicht, ob mich das jetzt aufbaut." Langsam beruhigte sie sich und ließ sich auf den Hocker neben der Theke nieder. "Aber vermutlich hast du recht. Ich muss mich jetzt auf die Duelle konzentrieren." Sie dachte an übermorgen und daran, wer ihre nächsten Gegner sein würden. Da gab es Typen, die eine weitaus größere Gefahr für sie darstellten als ein dahergelaufener Betrüger. "Danke", murmelte Rin in den Hörer. Sie konnte deutlich spüren, wie Lumina zurück grinste: "Und sorg' Mal dafür, dass unser Zuhause eine pressefreie Zone wird." "Na klar. Ich spreche mit meinem Bodyguard, dass er sie mir vom Hals schaffen soll." "Kannst du dir nicht einen dieser Kerle mit Stacheligelfrisur leihen?" Rin musste lachen. "Ich frag' mal, ob gerade einer freisteht." Jetzt fühlte sie sich besser. Als sie auflegte, huschte ein leichtes Lächeln über ihre Lippen. Sie war noch immer aufgebracht und zerstreut. Das Telefon half, dass sie sich selbst nicht mehr so sehr verabscheute. "Alles klar bei dir?", fragte vorsichtig ihre Lieblingskassiererin. Sie hatte sich einige Brötchen geschnappt und begann diese mit frischen Salatblättern zu garnieren. "Geht so", gestand die junge Frau, die das Gefühl hatte, der Braunhaarigen vertrauen zu können. "Meine Fehler der Vergangenheit haben sich nur bei mir gemeldet. Ich dachte eigentlich, dass das Thema abgehakt wäre, aber die Presse schien das anders zu sehen "Ich muss zugeben", flink schnitt Makoto die Tomaten in Scheiben, "ich hab bisher nur von deinem fulminanten Sieg gehört", sie lächelte warmherzig, dass sie es erwidern musste. "Wenn ich Glück habe, wird die Geschichte schnell im Sande verlaufen. Ich ärgere mich einfach bis heute noch über meine Dummheit." Sie stützte sich mit dem Ellenbogen ab und beobachtete weiterhin Makoto. Ihre routinemäßigen Bewegungen hatten eine meditative Wirkung auf sie. "Worum ging es denn? Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie du eine Dummheit begangen haben sollst." "Im Grunde war ich einfach nur naiv", Rin legte den Kopf schief, "in der Oberstufe hatte ich eine Beziehung mit einem Typen, von dem ich glaubte, dass er der Richtige wäre. Dass es für immer sein könnte, obwohl wir erst ein paar Monate zusammen waren." "Was ist passiert?" "Seine Familie ist in eine andere Stadt gezogen. Er sagte es mir als es beschlossen wurde und machte am selben Tag noch mit mir schluss. Er meinte, dass eine Fernbeziehung keinen Sinn macht und dass er das Absehbare nicht hinauszögern will. Ich war am Boden zerstört, ich konnte nicht fassen, dass es ihm so leicht viel. Er hat zu mir geredet als wäre es ganz selbstverständlich. Ich war verletzt und hatte Zweifel an mir", Rin nahm einen kräftigen Schluck. Sie hatte ihren Schuss Milch vergessen, aber die Bitterkeit tat ihr gerade gut, "kurz darauf lernte ich jemanden im Internet kennen. Einen Kerl. Er war etwa zehn Jahre älter als ich und sah verdammt gut aus. Er war nett, wir haben viel miteinander geschrieben und uns kurz darauf getroffen. Bei unserem ersten Date war er aufmerksam und zuvorkommend. Zum Abschied haben wir uns geküsst, es fühlte sich richtig an, auch wenn ich noch nicht mit meiner letzten Beziehung richtig abgeschlossen hatte. Wir trafen uns ein paar Tage später wieder. Noch immer zeigte er mir sein Interesse und ich sprang voll darauf an. Naja, zumindest bis er mich fragte, ob ich noch zu ihm nach Hause will... Auch wenn etwas in mir aufgeregt war, konnte ich diesen Schritt nicht machen. Ich habe gemerkt, dass ich noch nicht bereit für was Neues war. Es ging mir zu schnell. Er brachte mich noch nach Hause, er wirkte auch nicht sauer oder so. Aber", sie krallte ihre Finger in die Tasse, "danach hat er sich nicht mehr gemeldet, selbst wenn er online war, antwortete er nicht. Und mein Selbstwertgefühl ist wieder ein wenig mehr angekratzt worden. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass ich es nicht hätte schlimmer treffen können. Was für ein Irrtum", lachte sie auf und spürte wie die Galle zurück in ihren Rachen kehrte, "danach ging es richtig los: Auf einmal erzählte sich die halbe Schule, ich würde mit fremden Männern schlafen und mich dabei fotografieren lassen. Ich dachte erst, es hätte sich jemand einen Scherz erlaubt. Nur fühlte es sich nicht wie einer an. Lange Rede kurzer Sinn: am Ende stellte sich heraus, dass der Kerl, mit dem ich geschrieben hatte, sich unter falschen Namen in die Chatportale einloggt, Mädchen anschreibt, mit denen er sich dann verabredet...und mit ihnen schläft. Danach beginnen die Drohungen. Unzählige Mails, Briefe, Posts in sozialen Netzwerken. Am Ende geht es um eine Stange Geld, die die Betroffenen zahlen sollen. Damit die Fotos nie an die Öffentlichkeit kommen." "Aber du hast doch nicht mit ihm geschlafen!", erhob nun Makoto ihre Stimme und stellte das Messer beiseite, "da kann es doch keine Fotos geben." "Gibt es auch nicht", mit zwei weiteren Schlucken war der Kaffee leer getrunken, "worum es geht ist doch, dass die anderen glauben, dass es welche gibt...am Ende hat er bekommen, was er wollte und ich scheinbar das, was ich für meine Naivität verdient hatte", die letzten Worte knurrte sie in die Tasse. "Das war doch nicht deine Schuld", lehnte sich die Kassiererin nach vorne, dass sie nur eine Handbreite von Rin entfernt war, "jeder wäre auf so eine Masche reingefallen. Du darfst dich von so was nicht runterziehen lassen." "Der Kerl", entgegnete Rin und schob die Tasse beiseite, "ist nicht das eigentliche Problem. Klar, ich bin wütend und ich will ihm am liebsten an die Gurgel gehen...ich hatte größere Probleme damit, dass mir niemand glaubte. Dass diese Geschichte hingenommen wurde und das Geld einfach bezahlt-" Sie hielt inne. Das Gesicht ihrer Mutter fiel ihr wieder ein. Wie sie ihre einzige Tochter angesehen und ständig mit dem Kopf geschüttelt hatte. Dazu ihre Worte - die ihr keinen Spielraum zum kontern gegeben hatten. Hastig schob sie diesen Gedanken beiseite. Vergiss' sie. Du hast Lumina, die dir immer geglaubt hat. Die anderen brauchst du nicht. "Ist das der Grund", Makoto stemmte die Hände in die Hüften, "warum du seit drei Jahren keine Beziehung hattest?" "Möglich. Wenn es ernst werden könnte, spüre ich, wie sich Panik in mir aufbaut. So als könnte eine Traumblase platzen und mich in die Tiefe reißen." Ihre letzte Beziehung war ein zaghafter Versuch gewesen, aus diesem Kreislauf der Minderwertigkeit heraus zu kommen. Dieser Versuch war nach hinten losgegangen, dass sie sich mehr denn je auf ihr Ziel der Berufsduellantin gestürzt hatte. "Auch wenn es ziemlich abgedroschen klingt", die Braunhaarige blickte sie sanftmütig an, "aber wenn du den Richtigen findest, wird es keine Rolle mehr spielen." Rin musste an Yamato denken, und daran wie geduldig und einfühlsam er zu ihr war - egal wie wenig Zeit sie hatte. Ihr war klar, dass sie sich mehr darauf konzentrieren sollte, was vor ihr lag. Sie nahm sich vor, das heute noch in die Tat umzusetzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)