The Victor's Curse von stone0902 (Nothing Left) ================================================================================ Kapitel 1: Nothing Left ----------------------- Like those gasping for their last breath We cannot hide there's nothing left . .   Clove ging durch das Dorf der Sieger in Distrikt 2. Seit gut einem Jahr war dies nun ihr neues zu Hause. Und auch wenn sie sich schnell an den neugewonnenen Luxus gewöhnt hatte, fühlte es sich manchmal immer noch so an, als würde sie sich in einem Traum befinden, aus dem sie bald erwachte.   Sein Haus befand sich nicht weit von ihrem eigenen entfernt. Auf dem Weg dorthin begegnete sie niemandem. Sie konnte sich nur vorstellen, was hinter den Mauern vor sich ging. Die Sieger, wie sie sich vorbereiteten, auf den großen Tag. Wieder war ein Jahr vorüber.   Als sie ihren Finger auf die Klingel drückte hörte sie das Läuten durch das ganze Haus schrillen. Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde und sie einer großgewachsenen, blonden hübschen Frau gegenüberstand. Sie war einen halben Kopf großer als Clove, dafür aber nicht so muskulös und um einige Jahre älter. Auch diese Frau hatte für die Hunger Spiele trainiert, doch war dies schon über zwanzig Jahre her. Sobald man aus dem Alter war um für die Spiele ausgelost zu werden – oder wie es in Distrikt 2 üblich war, sich freiwillig zu melden –, trainierte kaum noch einer. Sie war nun eine normale Hausfrau und besaß die gleichen eisblauen Augen, wie ihr Sohn.   Als sie Clove erkannte, hielt sie die Tür auf. „Der Nichtsnutz schläft noch“, sagte sie trocken ohne ein Wort der Begrüßung und wandte sich wieder ab, um der Beschäftigung, was auch immer es sein mochte, wieder nachzugehen.   Clove stieg die Treppe hinauf. Der Weg war ihr vertraut, denn in den letzten zwölf Monaten hatte sie hier schon beinahe mehr Zeit verbracht, als in ihrem eigenen Haus. Sie stand vor seiner Tür, groß, weiß, makellos, und klopfte mit den Fingerknöcheln gegen das Holz.   „Bist du wach?“   Als keine Antwort kam öffnete sie die Tür, wodurch ein Lichtstrahl aus dem Flur in den dunklen Raum drang. Der Geruch von abgestandenem Alkohol und verbrauchter Luft stieß ihr entgegen. Ihre Augen wanderten zu dem übergroßen Doppelbett, auf dem selbst vier Leute genug Platz zum Schlafen finden würden. Zwischen all den weißen Satindecken erkannte sie ein paar Gliedmaßen und blondes verwuscheltes Haar. Cato lag auf dem Bauch, ein Arm hing von dem Bett herunter. Seine Finger berührten knapp den Boden. Das einzige Geräusch im Zimmer war sein ruhiges und gleichmäßiges Atmen.   Clove schlüpfte lautlos in den Raum und schloss hinter sich die Tür. Sie ging zu den Fenstern, stieg dabei über unzählige Gegenstände, die sie in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte. Vermutlich Kleidung, Zeitschriften, Flaschen. Mit einem erbarmungslosen Ruck zog sie die breiten Vorhänge auf und ließ die Sonnenstrahlen bis in den letzten Winkel des Zimmers leuchten.   Augenblicklich kam ein gequältes Stöhnen von Cato. Es war Musik in ihren Ohren. Er wandte sich um, auf die andere Seite des Bettes und drückte sich eins der Kissen auf sein Gesicht, um seine Augen vor der plötzlichen Helligkeit zu schützen. Clove schmunzelte.   „Steh endlich auf!“, befahl sie forsch. Er rührte sich nicht.   Mit verschränkten Armen sah sie sich in seinem Zimmer um. Hier herrschte das reinste Chaos. Cato war nie der ordentliche Typ gewesen. Im Kapitol hatte er wenigstens die Avoxe gehabt, die hinter ihm her räumten. Aber das hier war sein Haus. Und seine Mutter würde sich da bestimmt nicht einmischen – und er würde sie auch ganz sicher nicht lassen. Clove ging um sein Bett herum, bis sie neben ihm stand und starrte kopfschüttelnd auf ihren Distriktpartner herab.   Sie stemmte ihre Hände auf die Matratze direkt neben ihm und setzte ihr gesamtes Gewicht ein, um sie zu rütteln. Dadurch wippte Cato auf und ab. Er murrte genervt.   „Steh endlich auf, du Nichtsnutz!“, wiederholte sie die Worte seiner Mutter und rüttelte ihn wach. Mit einem Mal griffen seine Arme plötzlich nach ihr und zogen sie zu sich herunter. Überrascht japste sie nach Luft. Innerhalb eines Wimpernschlags lag Clove neben ihm, gefangen unter einem starken Arm, dicht an seinen Körper gedrückt. Mit der anderen Hand zog er die Decke über sie, sodass sie nun gemeinsam darunter lagen. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, seufzend.   Der Typ wollte doch wohl nicht immer noch weiterschlafen?   „Cato“, begann sie verärgert, aber er unterbrach sie.   „Schsch.“   Clove seufzte resignierend. Sie schloss die Augen. Sein warmer Atem streifte ihre blanke Haut an ihrem Hals, jedes Mal, wenn er ausatmete. Es nervte sie. Das Bett war weich und gemütlich, genauso einladend, wie ihr eigenes, und ebenso vertraut. Catos Nähe und die Wärme, die er ausstrahlte, waren angenehm. Aber sie war nicht müde und wollte nicht herumliegen. Sie öffnete wieder die Augen und starrte auf die Wand ihr gegenüber. Heute war die Ernte. Hatte er das etwa vergessen? Es würde nicht lange dauern, bis die Stylisten eintrafen. Oh, wie sie dieses aufgeblasene kichernde Pack aus dem Kapitol verabscheute.   Eine Bewegung unterbrach ihre Gedanken. Catos Hand wanderte über ihren Arm und seine Finger streichelten sanft über ihre Haut. Clove legte ihre eigene Hand auf seine, verhakte ihre Finger mit seinen und genoss dieses Gefühl der Vertrautheit. Diese Berührungen waren viel zu selten und auch wenn sie sie lieber weiter auskosten wollte, hatten sie dafür keine Zeit.   „Willst du nicht endlich mal aufstehen?“   „Wieso sollte ich?“, murrte er verschlafen.   „Du weißt wieso“, sagte Clove. „Heute ist der Tag der Ernte.“   Cato machte ein Geräusch, eine Mischung aus Knurren und gequältem Stöhnen. Er befreite sie aus seinem Klammergriff, setzte sich auf, saß an der Kante des Bettes, langte zu seinem Nachtschrank herüber und wischte mit einer einzigen Bewegung die Flaschen weg, die darauf standen, um freie Sicht auf seinen Wecker zu erhalten.   Er stöhnte erneut.   Clove konnte ein gluckerndes Geräusch hören. Einige der Flaschen, die er zu Boden geworfen hatte, waren anscheinend nicht leer gewesen. Cato schien das nicht zu kümmern. Er erhob sich und stand zerstreut im Zimmer, fuhr sich durch das blonde, in alle Richtung abstehende Haar.   Sie setzte sich auf und musterte seinen blanken Rücken. Seine Haut war makellos, nicht eine einzige Narbe zeugte mehr von den Kämpfen, die er in der Arena bestritten hatte. Das Kapitol hatte ganze Arbeit geleistet. So wie bei ihr auch. Nichts war mehr geblieben, von den Narben an Stirn und Schulter, genauso wenig wie ihre Verletzung am Bein.   „Ich will da nicht hin!“, murrte er laut und trat wütend gegen einen Stapel Wäsche. Die Hemden und Hosen flogen durch den Raum.   Clove beobachtete ihn vom Bett her und sah wie er die Hände zu Fäusten ballte. Nach all der Zeit war sie seine Wutausbrüche gewöhnt. Sie hingegen war nicht wütend. Auch wenn sie genug Gründe dafür hätte.   „Du musst aber.“   „Ich muss gar nichts!“, brüllte er, woraufhin sie zusammenzuckte. „Ich bin ein beschissener Sieger! Ich sollte tun und lassen können, was ich will!“   Daraufhin erwiderte sie nichts. Denn sie beide kannten die Antwort darauf.   Er starrte aus dem Fenster. Hing seinen eigenen Gedanken nach. Sie wusste, dass ihn der Gedanke an das Kapitol rasend machte. Nach allem, was man ihm angetan hatte war es ihm nicht zu verdenken. Er wollte nicht zur Ernte, an der jeder noch lebende Sieger des Distrikts teilnehmen musste. Wenn es sein müsste würde sie ihn dort hinschleifen, denn es wurde von ihnen verlangt, daran teilzunehmen, und Clove ließ es nicht zu, dass er sich unnötig Ärger einhandelte. Er war von ihnen beiden der Temperamentvolle, während sie den kühlen Kopf behielt und dafür sorgte, dass sie zurechtkamen. Wäre er sich selbst überlassen, hätte er sicher schon eine Dummheit begangen, sich totgesoffen oder sich von den Friedenswächtern erschießen lassen.   Clove sorgte für ihn. Sie fühlte sich für ihn verantwortlich. Denn sie stand in seiner Schuld. Einer Schuld, die sie wohl niemals begleichen könnte.   * * *   „Ich habe Cato versprochen, dass ich den Zuschauern eine gute Show liefern werde, wenn er dich mir überlässt.“   Endlich war es so weit. Vom ersten Tag an hatten sie sie gejagt. Egal, wie nah Clove an ihr dran war, es war Distrikt 12 immer wieder gelungen ihr zu entwischen. Dieses Mal würde Clove sie nicht entkommen lassen. Die Zuschauer würden nun endlich auf ihre Kosten kommen. Es würde ein ganz besonderes Highlight werden, wenn nicht für Panem, dann aber ganz sicher für sie.   Katniss lag nun unter ihr, wehrlos und sie konnte in ihren grauen Augen die Erkenntnis sehen, dass sie gleich sterben würde. In den letzten Tagen hatte Clove sich ihren Tod so oft vorgestellt, war verschiedene Szenarien durchgegangen und hatte sich selbst bei Laune gehalten, in dem sie von ihrem Tod fantasierte. Sie würde diesen Moment in allen Zügen genießen. Dieses Miststück hatte sie alle wie Idioten aussehen lassen und mehrere ihrer Verbündeten ausgeschaltet. Dass sie es so weit gebracht hatte konnte nur ein dummer Zufall sein.   Katniss starrte sie an und diese trotzigen Augen versetzten sie in Rage. Clove erkannte Angst in den grauen Augen, aber nicht genug, als das es ihr genügt hätte. Sie wollte sie flehen sehen, ängstlich, verzweifelt, um Gnade winseln. All die Zeit hatte dieses Miststück sie verspottet und nun, endlich, hatte sie sie in ihrer Gewalt. Clove würde nicht zögern sie zu töten. Diese Augen, sie konnte sie nicht länger ertragen. Sie griff in ihre Jacke und holte ein Messer hervor. Bei dem Anblick weiteten sich Katniss‘ Augen, und doch starrte sie ihr immer noch spöttisch entgegen, mit so viel Hass, als habe sie immer noch eine Chance.   Clove wollte diese bohrenden Augen nicht mehr sehen.   „Fangen wir an.“   Bald würde es vorbei sein. Bald würden sie wieder in ihrem Distrikt sein. Als Sieger. Sie beide. Gemeinsam.   Wenn sie nur nicht den Namen von diesem kleinen, dummen Mädchen ausgesprochen hätte.   In dem einen Moment setzte sie die Klinge an ihre bebenden Lippen, im nächsten Moment hing sie bereits in der Luft und ließ vor Schreck das Messer fallen. Von der Situation und der alles durchströmenden Euphorie im Bann gehalten hatte sie seine schweren Schritte gar nicht bemerkt. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie ihn erkannte. Er war so groß, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Mühelos packte er sie und hielt sie in die Luft, sodass ihre Beine nutzlos herum baumelten.   Dann warf er sie schmerzhaft auf den Boden. Ihre Aufmerksamkeit galt nur noch dem mächtigen Hünen, der vor ihr stand und mit einem wütenden Blick auf sie hinab starrte, in dem sie kein Erbarmen erkannte. Sie hätte rennen sollen, sie hätte kämpfen sollen, doch Clove war vor Angst wie gelähmt. Nun stand sie dem gegenüber, wovor sie sich in dieser Arena am meisten fürchtete: Thresh. Sie stand so unter Schock, dass sie nicht einmal nach ihren Messern griff. Sein komplettes Auftreten verängstigte sie. Er war so groß wie Cato, vielleicht auch so stark wie er und doch gab es einen gewaltigen Unterschied zwischen diesen beiden männlichen Tributen: Cato hatte ihr nie solche Angst eingeflößt. Der Hass in seinen Augen, als er von seiner Distriktpartnerin sprach, war unübersehbar, der Schmerz in seiner Stimme unüberhörbar.   In dem Moment, als er nach dem Stein griff, weiteten sich bei dem Anblick seiner Größe ihre Augen. Es war klar, was er vorhatte. Instinktiv rief sie um Hilfe.   „Cato!“   Entsetzt vor Panik war er alles, woran sie denken konnte. Ihre einzige Hoffnung. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solch eine furchterregende Angst gehabt.   „Clove!“   Sie hörte ihn rufen, doch seine Stimme schien viel zu weit weg und der letzte Hoffnungsschimmer erstarb.   Thresh kam auf sie zu und holte mit dem Stein aus. Noch einmal kreischte sie nach Cato. Dann wurde sie von Blut bespritzt. Die Sekunde, die verging, erschien ihr wie eine Ewigkeit. Thresh erstarrte mitten in der Bewegung. Die rot getränkte Spitze eines Schwertes bohrte sich durch seinen Brustkorb. Seine goldenen Augen sahen sie an, bevor alles Leben aus ihnen wich und er mit der Waffe in seinem Leib in sich zusammen sackte. Dahinter stand Cato, keuchend vom Rennen, die eisblauen Augen auf sie gerichtet. Für einen Moment sahen sie sich an und die Welt schien stehen zu bleiben.   Beim Klang der Kanone wurde Clove wieder ins Hier und Jetzt zurück gerissen. Sie wandte den Blick und schaute zu Distrikt 12. Auch Katniss schien aus ihrer Starre zu erwachen. Hastig versuchte sie aufzustehen, doch sie stolperte und kroch verzweifelt über den Boden, panisch darum bemüht ihrem Ende zu entkommen. Doch sie kam nicht weit. Nur wenige Sekunden später war Clove bei ihr, saß auf ihrem Rücken und drückte ihren Kopf gegen den schmutzigen Boden.   Nachdem was sie gerade erlebt hatte wollte sie es nur noch hinter sich bringen. Die Lust am Töten war ihr vergangen. Scheiß auf Panem! Scheiß auf die Show!   An ihrem Haar zog sie Katniss' Kopf hoch und setzte das Messer an ihren Hals. Ein ängstliches Wimmern entfuhr dem Mädchen unter ihr. Dann schlitzte sie ihr mit einer schnellen Bewegung die Kehle auf.   Sie ließ ihren Kopf zu Boden fallen und sah, wie sich unter ihrem braunen Haar das dunkelrote Blut langsam ausbreitete. Dann ließ sie das Messer fallen, glitt von dem toten Körper und sank zitternd neben ihr zu Boden. Tränen stiegen ihr in die Augen. Das Kapitol sollte sie nicht sehen, deshalb hielt sie ihren Kopf gesenkt. Niemand sollte sie weinen sehen. Niemand sollte sie schwach sehen …   Und doch war es genau das gewesen, was geschehen war. Ganz Panem war Zeuge geworden von ihrer Schwäche, ihrer Unfähigkeit. Noch immer versuchte ihr Verstand zu begreifen, was soeben geschehen war. Beinahe wäre sie gestorben. Beinahe wäre alles vorbei gewesen. Sie war dem Tod nur um Haaresbreite entkommen.   Die Angst, die Thresh in ihr ausgelöst hatte, war noch zu gegenwärtig, hielt sie immer noch gefangen.   Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Eine sanfte Berührung und doch fuhr sie erschrocken zusammen und wollte bereits zurückweichen, als sie in die vertrauten blauen Augen ihres Distriktpartners sah.   Er sagte nichts. Sah sie einfach nur an. Und ihr wurde klar, dass sie ohne ihn jetzt tot wäre. Er hatte ihr das Leben gerettet.   Ein weiteres Mal ertönte der Klang der Kanone.   * * *   Einige Stunden später saßen sie mit den anderen Siegern auf den Stühlen, die die Friedenswächter auf der Bühne aufgestellt hatten. Die Stylisten hatten sie herausgeputzt und sie sahen wunderschön und anbetungswürdig aus. Gloria und Daario hatten sie in goldene Gewänder gehüllt, in Anlehnung an ihren ersten Auftritt im Kapitol. Schließlich wurden sie nicht nur ihrem Distrikt, sondern durch die Kameras auch dem Rest von Panem als amtierendes Siegerpaar demonstriert. Und Gold war die Farbe, die einem Sieger gebührte.   Alle Augen waren auf sie gerichtet. Es war nur ein kurzer Moment, in denen sie noch einmal zur Schau gestellt wurden. Clove ließ den Blick über die anderen Sieger wandern, die stolz und erhaben von der Bühne auf die Menge herabblickten und sie fragte sich, ob sie wohl ebenso empfanden, wie sie. Ob sie immer noch glücklich darüber waren, dass sie zum Sieger gekrönt wurden oder ob sie auch so enttäuscht waren wie sie?   Hinter ihnen lag ein Jahr voller Höhen und Tiefen. Schon als Clove noch ein kleines Mädchen gewesen war hatte sie sich ausgemalt, wie das Leben eines Siegers sein würde. Lebend im Dorf der Sieger, mit Unmengen an Geld, den schönsten Kleidern, genug zu essen, dem Respekt von allen Bewohnern von Panem und keinen Sorgen mehr. Sie wäre die Schönste, die Stärkste, die Mächtigste. Alles was sie je wollte.   Die Wahrheit sah jedoch anders aus.   Sie beide hatten ihr Leben lang trainiert, um an den Hunger Spielen nicht nur teilzunehmen, sondern auch zu gewinnen. Ihr Traum hatte sich erfüllt. Sie waren wunschlos glücklich. So hatten sie es jedenfalls gedacht.   Es war, als würden sie ihr Leben ziellos führen. Direkt nach dem Sieg waren Clove und Cato der Mittelpunkt von ganz Panem. Ein Interview nach dem anderen. Die Siegestour mit den Besuchen in den anderen Distrikten, wo sie den Hass der Bewohner zu spüren bekamen. Sie wurden dafür gehasst, dass sie ihre Kinder umgebracht hatten. Im Kapitol wurden sie dafür mit Lob und Anerkennung, mit Schmuck und Geld überschüttet.   Aber was kam danach?   Nichts. So einfach war das.   Cato war schnell gelangweilt und unterfordert. Er wusste nichts mehr mit sich anzufangen. Sein ganzes Leben lang hatte er gekämpft, gekämpft und gewonnen, doch nun gab es keine Kämpfe mehr für ihn. Es war ihnen verboten zu arbeiten – Sieger brauchten sich nicht mehr die Hände schmutzig zu machen – und sie wurden in dieses Dorf verbannt, gemeinsam mit den anderen Siegern, und es gab niemanden, mit dem er streiten konnte, niemanden, mit dem er kämpfen, sich messen und seine Stärke unter Beweis stellen konnte. Er bekam keine Bestätigung mehr, eine Bestätigung, die er so dringend brauchte, die für ihn war wie die Luft zum Atmen.   Cato provozierte, wo es nur ging, er legte sich mit den Friedenswächtern an, war so gereizt, dass jeder Streit in einem Kampf ausbrechen konnte. Selbst mit Clove hatte er sich schon angelegt. Die blauen Flecken auf ihrer Haut waren immer noch zu sehen.   Was sollte er sonst tun? Ihm stand ein Leben voller Nichtstun bevor. Er konnte sich in seinem Ruhm sonnen, es sich gut gehen lassen, aber dennoch erfüllte es ihn nicht. Jeder Sieger kam in Frage für einen Tribut als Mentor zu fungieren, aber Cato war ganz klar nicht der Typ, ein Mentor zu sein. Dafür hatte er ein zu großes Temperament.   Und sie?   Clove dachte nicht gerne darüber nach. Es fiel ihr leichter, sich Gedanken über ihren Distriktpartner zu machen und ihn und seinen Charakter zu analysieren, als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Hunger Spiele hatten ihr eine völlig neue Seite an ihr gezeigt und ihr ihre schlimmsten Ängste und Schwächen offenbart. Etwas, von dem sie immer gedacht hatte, dass sie sie nicht besaß.   So konnte sie es nicht einmal genießen die Wiederholungen der Hunger Spiele zu sehen, vor allem jedes Mal, wenn das entschlossene und angsteinflößende Gesicht von Thresh auf dem Bildschirm erschien. Oft quälte sie sein Anblick in ihren Alpträumen. Sie träume von seinem hasserfüllten Blick und seiner tiefen Stimme. Wie er sie umbrachte, mit den verschiedensten Waffen. Wie ganz Panem zuschaute, wie sie starb und wie er Sieger wurde.   Clove hätte glücklich sein müssen, doch sie war es nicht. Seitdem sie die Arena verlassen hatte fühlte sie sich wie ein anderer Mensch. Ein Loch hatte sich in ihrer Brust ausgebreitet und es verströmte eine Leere, die kein Sieg und kein Preisgeld der Welt ersetzen konnten.   Sie spürte diese Leere, als sie ihre Eltern zum ersten Mal wiedersah und ihre Mutter sie in ihre Arme schloss. Sie lächelten zwar, doch Clove erkannte in ihren Augen, dass sie enttäuscht waren. Als würden sie sagen: Du hast den Sieg nicht verdient. Du bist nur seinetwillen am Leben. Du bist zu schwach, um Sieger zu sein. Und ganz Panem weiß das.   Und obwohl sie lebend aus den Spielen zurückkehrte, obwohl sie den Titel Sieger trug und die Leute im Kapitol sie anhimmelten, hatte sie das Gefühl, dass ihre Eltern nicht stolz auf sie waren. Die fehlende Anerkennung ihrer Eltern. Das, was sie sich immer gewünscht hatte.   Und sie spürte diese Leere, jedes mal, wenn Cato ins Kapitol reiste, ohne sie.   Die Menge jubelte, als Clove und Cato auf der Bühne standen. Stolz winkten sie ihnen zu. Sie warf einen Blick zu dem jungen Mann neben ihr. Immer hatte sie ein prüfendes Auge auf ihn. Aber er spielte seine Rolle gut. Das leicht arrogante Lächeln wirkte charmant und sicher schmolzen einige Herzen im Kapitol dahin. Nur sie konnte die tiefen Schatten unter seinen Augen sehen.   Ihr Auftritt war kurz und nachdem sie ihre Plätze wieder einnahmen begann auch schon die Ernte und es wurde nach den Freiwilligen gefragt. Wie jedes Jahr gab es ein Mädchen und einen Jungen, die sich freiwillig meldeten und entschlossen und zuversichtlich die Bühne emporstiegen. Die Menge feierte sie, während die Kameras auf ihre Gesichter zoomten. Clove betrachtete die zwei, die sie flüchtig aus der Akademie kannte, und fragte sich, ob die beiden es wohl schaffen würden. Natürlich hatten sie gute Chancen, bessere, als die aus den ärmeren Distrikten. Jedoch hatten die letzten Spiele ihr gezeigt, dass alles möglich war.   Die diesjährigen Tribute nahmen sich an den Händen und reckten sie siegessicher in die Höhe. Ihre Blicke trafen flüchtig den von Clove, bevor sie die Bühne verließen, um sich von ihren Familien zu verabschieden. Sie wusste, was sie dachten. Vielleicht würde es nicht nur einer von beiden zurück schaffen. Vielleicht würden sie gemeinsam zurückkehren, so wie sie und Cato.   Aber Clove wusste, dass das nicht möglich sein würde. Diese Spieländerung war etwas einzigartiges, etwas unwiederbringliches. Und nachdem sie die Aufnahmen von den beiden Liebestrunkenen aus Distrikt 12 angesehen hatte war ihr auch klar, weshalb die Spielemacher diese Regeländerung erwogen hatten.   Von Brutus hatte sie erfahren, dass einige aus dem Kapitol mit diesem Ausgehen nicht zufrieden waren, was der unerwartete plötzliche Tod vom Spielemacher Seneca Crane noch untermalte. Nein, ein Happy End passte nicht zu den erbarmungslosen und blutrünstigen Hunger Spielen.   Ob die beiden sterben würden oder nicht würde sie schon bald erfahren. Es interessierte sie jedoch wenig. Es gab nicht viele, um die Clove sich scherte. Allen voran lag ihr ihr eigenes Wohl am meisten am Herzen. Weshalb sie wohl auch nie Mentorin werden würde.   Die Sieger erhoben sich und noch einmal schenkte sie ein strahlendes Lächeln, bevor die Kameramänner ihre Werkzeuge ausschalteten. Sofort drehte Cato sich um und verließ schon beinahe fluchtartig die Bühne. Sie hatte etwas sagen wollen, doch es hätte nichts genutzt. Selbst wenn er es noch gehört hätte wäre er trotzdem gegangen. So starrte sie auf seinen Rücken, den goldenen Anzug, bis er außer Sicht war und spürte, wie die Leere in ihr noch größer wurde.   * * *   Clove gab der Erschöpfung nach, sackte zusammen, lag auf dem Boden, alle Viere von sich gestreckt und starrte lächelnd in den Himmel hinauf. Zwischen den Wolken brach das Hovercraft hervor, das sie nun einsammeln und aus der Arena holen würde. Sie blickte empor, glücklich, froh. Der letzte Tribut war nun endlich tot. Achtzehn Tage hatte es gedauert. Ein Tag schlimmer als der andere. Aber sie lebten. Sie hatten gewonnen. Sie hatten beide gewonnen.   Plötzlich war Cato über ihr. Eine Hand legte sich an ihre Wange. Auch er strahlte über das ganze Gesicht. Er sagte irgendetwas, Clove verstand es nicht. In ihren Ohren rauschte es, das laute Dröhnen der Hymne und der Lärm des Hovercrafts übertönten seine Stimme. Er kniete neben ihr, den Speer mit dem Blut von Loverboy immer noch in der Hand. Er hatte erstaunlich lange ausgehalten, obwohl Cato ihn bei ihrem Kampf an einer lebensbedrohlichen Stelle erwischt hatte. Diesmal achtete er darauf, dass sein Speer ihm direkt den Gnadenstoß gab. Er lehnte seine Stirn gegen ihre. Dann waren seine Lippen auf ihren und er hatte sie geküsst.   Der Moment der Euphorie hatte sie einfach dazu hingerissen.   Das nächste, was sie wusste, war, dass sie im Hovercraft waren und dass jemand ihre Wunden versorgte.   * * *   Die Szene, in der sie sich geküsst hatten, war vom Kapitol herausgeschnitten worden. Nichts davon war in Panem ausgestrahlt worden, niemand hatte es gesehen, außer den Spielemachern und ihnen war mitgeteilt worden, dass sich so etwas auch nicht wiederholen durfte.   Präsident Snow hatte ihnen das mehr als deutlich zu verstehen gegeben.   Es passte nicht zu ihrem Image. Sie waren die Sieger der vierundsiebzigsten Hunger Spiele, sie stammten aus Distrikt 2, sie waren die Karrieros und keine verdammten Star Crossed Lover. Diese Rolle hatte bereits ein anderes Paar gespielt: die beiden aus Distrikt 12, deren Leichen nun gemeinsam auf einem Friedhof in ihrer Heimat verrotteten. Nein, diese zwei waren brutal, erbarmungslos, gefährlich, tödlich. Das war das Bild, das sie dem Kapitol verkauften. Dieser kleine Ausrutscher würde sich nicht wiederholen.   Das Publikum liebte die erbarmungslosen Killer. Also würden sie ihnen dieses Bild auch weiterhin liefern.   Allerdings war es nur leider so, dass das Verbot die Sache nur umso reizvoller machte.   Es war in der Nacht nach ihrem Interview mit Caesar Flickerman im Kapitol geschehen, als sie zu Siegern gekrönt wurden. Das Publikum hatte sie bejubelt und vergöttert. Sie hatten es genossen. Denn sie beide hatten auf der Bühne gestanden, lebendig, während zweiundzwanzig andere Tribute tot waren. Ein Teil davon war durch ihre Hände gestorben. Sie fühlten sich unbesiegbar, aufgeputscht von den Beifallsrufen und den Jubelschreien der Kapitolbewohner, Euphorie, die in ihren Adern elektrisierende Impulse verströmte.   Während des Interviews hatten sie auf ihren Plätzen gesessen, nicht zu nah nebeneinander, nicht einander zugewandt und hatten nicht miteinander gesprochen, nur auf die Fragen, die ihnen gestellt wurden geantwortet, sich kaum angesehen. Ihre Blicke, ihr Lächeln, dies alles war für das Kapitol bestimmt und wurde von den Kameras in ganz Panem ausgestrahlt. Doch wenn sich ihre Blicke einmal flüchtig trafen, glühten sie, bohrten sich ineinander.   Sie waren Karrieros. Sie hielten sich selten an Regeln. Sie hatten ihr Leben lang für die Spiele trainiert, obwohl es nicht erlaubt war.   Ein weiteres Verbot würde sie ganz sicher nicht aufhalten.   * * *   Nach den Interviews gab es ein großes Fest, um das Ende der Hunger Spiele zu feiern. Auch wenn die Teilnehmer der Spiele fast alle tot waren, so gab es noch so viele andere, die an den Spielen beteiligt waren: Spielemacher, Stylisten, Mentoren, Interviewer, ehemalige Sieger, großzügige Sponsoren und selbstverständlich der Präsident des Kapitols, feierten, als hätten sie einen Sieg errungen, als wären sie die Helden. Sie feierten, aßen, tranken und tanzten und amüsierten sich auf Kosten der toten Tribute.   Ziemlich schnell hatten Clove und Cato sich verdrückt. Ihre Mentoren schienen kaum von ihnen Notiz zu nehmen, als sie sich von ihnen verabschiedeten. Entweder weil es ihnen egal war, wenn die eigentlichen Stars des Abends fehlten, oder aber weil sie ihnen den ersehnten Schlaf und die Ruhe gönnten, die ihnen nach den vergangenen anstrengenden und nervenzehrenden Tagen endlich vergönnt waren.   An Schlaf dachte jedoch keiner von ihnen.   Bereits im Fahrstuhl, auf dem Weg zu ihrem Stockwerk, fielen sie übereinander her. Ungesehen von den neugierigen Augen des Kapitols, ungesehen von den Kameras und den Augen ganz Panems, waren sie endlich allein. Die Tür hatte sich gerade geschlossen, als Cato sich auch schon zu ihr umdrehte, sie an sich zog und sie leidenschaftlich küsste. Seine Hände waren überall – an ihren Schultern, an ihrem Rücken, an ihren Hüften – und sie sehnte sich nach seinen Berührungen. Clove wusste nicht, ob es an den schicken Klamotten lag, oder an ihrem Sieg, oder an dem Alkohol, aber heute schien er noch attraktiver, noch begehrenswerter zu wirken, als ohnehin schon, sodass es ihr den Abend über schwergefallen war, ihn nicht ständig anzustarren. Cato sah immer gut aus, selbst verschwitzt, verdreckt und voller Blut schien er immer noch so attraktiv zu sein, wie ein junger Gott. Wer hätte je gedacht, dass sie mal etwas mehr wollen würde, als den Sieg?   Seine Finger versuchten gerade einen Weg unter die vielen Schichten ihres bordeauxroten Rüschenrocks zu finden, als die Glocke des Aufzugs ihr Stockwerk ankündigte und die Türen sich viel zu schnell öffneten.   Cato nahm sie bei der Hand und zog sie hinter sich her. Clove musste beinahe laufen, um mit ihm Schritt zu halten. Das Klackern ihrer hohen Absätze hallte laut durch den Flur. Als sie das Zimmer betraten schnauzte Cato die drei herumstehenden Avoxe an und warf sie kurzerhand aus dem Appartement.   „Verschwindet! Raus mit euch! Ich will euch hier heute nicht mehr sehen!“   Die Avoxe huschten schnell und verängstigt aus dem Zimmer. Sobald die Tür sich hinter ihnen schloss, zog er Clove an sich und küsste sie. Langsam bugsierte er sie in Richtung des Sofas, das im Raum stand, auf dem sie vor den Spielen schon so oft zusammen gesessen hatten. Durch die gläserne Front des Raumes drang das sanfte Licht des Kapitols, das vereinzelt und in bunt leuchtenden Farben signalisierte, dass die Stadt noch nicht schlief.   Cato riss sein schwarzes Hemd auf und warf es achtlos beiseite. Dieses edle Designerstück kostete vermutlich mehr, als ein Kohlearbeiter in Distrikt 12 in einem Jahr verdiente, doch es könnte ihn im Moment nicht weniger interessieren. Clove küsste seinen blanken Oberkörper, wanderte mit der Zunge über seine Brust und fuhr mit ihren Fingern sanft über seinen Bauch, immer weiter hinab. Er keuchte, legte den Kopf zurück und genoss für einen Augenblick ihre Berührungen. Dann machte er sich an ihrem Kleid zu schaffen.   „Wie geht dieses beschissene Kleid auf?“, fluchte er ungeduldig, überfordert mit der komplizierten Kleidung des Kapitols und zu ungestüm, um überhaupt großartig darüber nachdenken zu wollen. Sein Blut befand sich schon lange nicht mehr in seinem Kopf.   Clove grinste ihn frech an und schubste ihn unsanft auf das Sofa. Verwirrt sah er sie an. Sie hingegen reckte arrogant das Kinn und hob eine feingeschwungene Augenbraue. „Das ist typisch für dich – du kannst mit deinen Händen locker ein Genick brechen, bist aber zu ungeschickt, um ein einfaches Kleid zu öffnen.“   Ihre Finger wanderten zu ihrem Rücken und fanden schnell die Knöpfe, Schleifen und Reißverschlüsse, die sie nacheinander öffnete. Sie sah, wie seine Augenbrauen sich verärgert zusammenzogen und er hastig den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, als in dem Moment das Kleid auch schon von ihrem Körper zu Boden glitt und sie nur noch in einem schwarzen Slip und hohen Stöckelschuhen vor ihm stand. Sie gab ihm einige Sekunden, um sie zu betrachten und genoss den lustvollen Blick, der sich auf sein Gesicht legte. Sie hatte keinen Grund sich für irgendetwas zu schämen, denn die Stylisten des Kapitols hatten ihren verwundeten und ausgehungerten Leib bereits wieder in einen makellosen wunderschönen Körper verwandelt. Dann setzte sie sich rittlings auf seinen Schoß und drückte ihre Lippen gegen seine. Seine starken Arme schlossen sich um ihren Rücken und er warf sich schon beinahe mit ihr auf die Couch, sodass er über ihr lag.   Catos Lippen waren hungrig und besitzergreifend und so verführerisch, dass sie nicht anders konnte, als hineinzubeißen. Nicht leicht, aber auch nicht zu heftig, gerade so, dass sie ihm ein erregtes Stöhnen entlocken konnte. Ihn so zu hören versetzte sie in Ekstase. Clove wollte mehr davon hören und versuchte ihm weiter solcher Laute zu entlocken. Denn sie waren so viel befriedigender, als jeder Angstschrei ihrer Gegner es auch nur je sein könnte.   Wenig später, als auch die restliche Kleidung auf dem Boden lag, und immer mehr Lichter über dem Kapitol erloschen waren, stöhnte er, bewusst oder unbewusst, ihren Namen. Sie hatte ihn schon oft ihren Namen aussprechen hören. Meistens mit genervter oder wütender Stimme. Manchmal auch ungeduldig oder arrogant. Einmal sogar panisch und besorgt. Doch noch nie so voller Lust und Hingabe.   Und Clove beschloss, dass es die schönste Art war, wie er ihren Namen aussprach.   * * *   Eine Zeit lang hatte es oft solche Nächte gegeben und sie beide waren wie im Rausch. Berauscht vom Sieg, berauscht von der Lust. In diesen Wochen war das Loch in ihrer Brust noch ganz klein gewesen, kaum wahrnehmbar und mit Mühe verdrängbar. Nur sie beide zählten. In der Arena hatte Cato ihr Sicherheit gegeben und so war es auch weiterhin. In dieser kurzen Zeit hatten sie sich so aneinander gewöhnt, dass es nun unvorstellbar war ohne den jeweils anderen auszukommen.   Aber das Glück stand nicht auf ihrer Seite. Sie hatten bereits das große Glück gehabt, dass es zwei Gewinner geben durfte und es war nun einmal so, dass man in dieser Welt nicht zweimal Glück haben konnte. Und der Preis ihres ersten Glücks war sehr hoch.   Alles begann damit, dass kurz nach der Siegestour, als eigentlich ihr unbeschwertes Leben beginnen sollte, Cato ins Kapitol gerufen wurde – allein, was seltsam genug war, da sie bisher alles immer gemeinsam erlebt hatten – die Ernte, die Parade, die Interviews, die Spiele, die Siegestour, alles.   Als er nach einigen Wochen zurückkehrte hatte er sich verändert. Er distanzierte sich von ihr und rührte sie seitdem kaum noch an. Wenn sie sich ihm körperlich nähern wollte wehrte er ihre Bemühungen ab und mehr als nur Küsse konnte sie ihm nicht entlocken. Er sprach nie darüber, was im Kapitol vorgefallen war, doch Clove konnte eins und eins zusammenzählen.   Dass es dazu kam war im Nachhinein nicht einmal verwunderlich. Schon seit seiner Ernte war er der Liebling des Kapitols gewesen. Jung, attraktiv, verführerisch, gefährlich. Er hatte seinen Körper und seinen Charme eingesetzt für die Sponsorengeschenke. Anscheinend gab es im Kapitol aber einige Leute, die mehr wollten, als ihn bloß auf ihrem Bildschirm zu sehen. Einmal, als Clove im Distrikt unterwegs war, schnappte sie ein Gespräch auf. Cato scheint noch beliebter zu sein als Finnick, hatte jemand gesagt. Und Cloves Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Dadurch wurde ihr auch klar, weshalb Snow nicht wollte, dass die Zuschauer ihren Kuss sahen. Der beliebte Sieger ließ sich besser verkaufen, wenn die Frauen dachten, er wäre tatsächlich noch zu haben.   Kurz darauf fing er an zu trinken und Clove ließ ihn so seinen Schmerz betäuben und griff nur ein, wenn er das Maß überschritt. Sie selbst trank nie, denn sie wollte nicht riskieren die Kontrolle zu verlieren. Hin und wieder musste Cato ins Kapitol und sie erwartete ihn jedesmal, wenn er zurückkam, nur um jedes mal wieder einen gebrochenen Sieger zu sehen. Schon lange hatte er nichts mehr mit dem Cato gemeinsam, den sie damals kennengelernt hatte.   Jedes mal, wenn er in den Zug stieg, wurde die Leere in ihr noch größer. Und es brach ihr das Herz, ihn so leiden zu sehen und zu wissen, dass sie nichts dagegen tun konnte. Deshalb fühlte sie sich wieder schwach. So schwach … Ihr war jedoch bewusst, dass sie nichts ausrichten konnte, wenn nicht einmal Cato, der sich nie etwas gefallen ließ, sich nicht dagegen wehren konnte.   Hin und wieder beschlich sie die Angst, dass auch sie ins Kapitol gerufen wurde, um zu tun, was auch immer man von ihr verlangte. Doch es kam nie dazu. Die Erleichterung darüber überwog, doch hin und wieder fragte sie sich, ob sie vielleicht nicht hübsch genug war, nicht charmant genug oder woran es sonst liegen könnte. Manchmal kam ihr der Gedanke, ob Cato vielleicht etwas damit zu tun haben könnte. Vielleicht beschützte er sie auch weiterhin.   Noch dazu kam die Wut, die Wut auf die anderen Sieger, die Wut auf ihre Mentoren. Zwar war es kein Geheimnis, dass einige der Sieger sich mit Morfix oder Alkohol betäubten, doch dachte sie immer, dass es an der Schwäche der niederen Distrikte lag, und so etwas einem selbstbewussten und starken Sieger aus ihrem Distrikt nicht widerfahren würde. Weshalb hatten sie nie etwas gesagt? Sie nie gewarnt? Vorbereitet auf das, was folgen würde? Wäre es dann leichter gewesen? Vielleicht. Womöglich hatten sie geschwiegen und sich dem Kapitol gebeugt, so wie auch jeder andere in ganz Panem.   Clove begann das Kapitol zu hassen, das sie früher so vergöttert hatte.   * * *   Wenige Stunden später war sie wieder bei Cato, um sich gemeinsam mit ihm die Aufnahmen der Auslosungen aus den anderen Distrikten anzuschauen. Wie auch bei den Distriktbewohnern wurde durch die Friedenswächter streng darauf geachtet, dass sie alles, was mit den Spielen zu tun hatte, live mitverfolgten. Auf dem Tisch stand eine bereits angebrochene Flasche Schnaps. Cato trug noch immer die goldene Hose aus dem Kapitol. Das dazu passende Hemd war aufgeknöpft und entblößte das weiße Shirt darunter. Clove war inzwischen in etwas Bequemeres geschlüpft, etwas, das nicht aus dem Kapitol stammte. Er lungerte auf dem Sofa, halb sitzend, halb liegend und starrte auf den riesigen Bildschirm, der an der Wand hing, auf dem das Wappen des Kapitols leuchtete. Seine Augen wirkten seltsam leer, als würden sie durch den Fernseher hindurchschauen.   Clove setzte sich neben ihn und schmiegte sich an ihn. Ihr war es egal, was seine Eltern, die auf dem Sofa gegenüber saßen, davon halten mochten. Vermutlich war ihnen ohnehin klar, dass sie beide mehr als nur Distriktpartner waren, ebenso wie ihren eigenen Eltern. Ihr wissender Blick, den sie aufsetzten, jedes mal wenn sie ihnen sagte, sie würde zu Cato gehen, entging ihr nicht. Eigentlich spielte es auch keine Rolle.   Präsident Snow mochte es zwar nicht gutheißen, doch in Distrikt 2 wusste man, wie man wegschaute und Sachen tolerierte.   Die Hymne ertönte nun und das breit grinsende Gesicht von Caeser Flickerman erschien auf dem Bildschirm. Ein neues Spiel brach an, eine neue Saison, neue Tribute und bald auch neue Sieger.   Schon bald wären sie beide vergessen.   Doch sie selbst würden nie vergessen.   Cato griff nach der Flasche, nahm einen großen Schluck und murmelte bitter: „Fröhliche Hunger Spiele.“   . .   Like those gasping for their last breath We cannot hide there's nothing left  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)