Die Hände der Königin von Augurey (Wichtelgeschenk für ChiaraAyumi) ================================================================================ Kapitel 1: -----------   Es war früh. So früh, dass das graue Dämmerlicht, das den Augen der Reitgesellschaft kaum die Welt offenbarte, keinen Aufschluss darüber gab, ob es Nacht oder Tag werden wollte. Allein die Tautropfen, die sich wie schimmere Perlen an den wogenden Halmen der Gräser um den Weiher sammelten, zeigten an, dass der Morgen heraufzog und nicht der Abend. Einige Reiter scherten nach einem kurzen Blickwechsel mit ihrem Herrn, dessen Scharlachwams selbst in diesem trüben Licht weithin gut von ihren weißen Gewändern zu unterscheiden war, aus, um sich und ihren Tieren am Wasser eine kleine Erholungspause zu gönnen und mit dem kühlen Nass ihr erhitzten Gesichter zu erfrischen. Obwohl der Schleier der Nacht sich kaum erst gehoben hatte, war es nicht kalt. Der Frühling war über Mittelerde gekommen und beschenkte Ithilien, den Garten Gondors, mit warmem Sonnenschein, der ringsum alles wachsen und gedeihen ließ. Grillen surrten im Schilf um den Teich. Und oben an der Straße, ein Stück voraus des Pfads, säumten Blumen den Wegesrand. Ein Schmetterling, der gerade noch schlaftrunken auf seinem Nachtlager, einer Narzissenblüte, schwerfällig mit dem Flügel gewippt hatte, stieb jäh auf, als dort ein Huf mitten ins Gras fuhr, umtänzelte mit einigen Artgenossen die Beine des glänzenden Rappen und schwirrte gen Himmel empor. Doch die Reiterin, die das edle Ross führte, bemerkte nichts. Nicht den flatternden Schwarm der Falter, nicht den Schatten der hohen Tannen und den Mauerpfeffer an den Felswänden, nicht das Plätschern des herabstürzenden Gebirgsbachs, der dem Anduin entgegenfloss und auch nicht die Luft, die schwer war vom Duft des Thymians und Salbeis, des Wacholders und der Lorbeerbüsche.  Alle ihre Aufmerksamkeit sammelte sich in ihren Augen und die waren auf ein einziges Ziel gerichtet: Minas Tirith, deren hohen Mauern und sieben Stadtringe sich schon im schwankenden Grau des Weiherwassers zu spiegeln schienen.    Mit beherztem Griff zügelte Eowyn ihre Stute, bis diese stand. Dann blickte sie mit einem Stirnrunzeln noch weiter auf, studierte den Horizont, über den soeben die ersten Sonnenstrahlen krochen, und wandte sich um. Was immer der Anblick des Firmaments ihr gesagt haben musste, es blieb ihr Geheimnis. „Wie geht es ihm?“, waren die einzigen Worte, die über ihre Lippen kamen. Worte wie kühles Wasser ohne jedes Gefühl. Steif und aufrecht gleich einer Lilie saß Eowyn im Sattel und ließ sich in einem Kraftakt keinen Hauch von Erschöpfung nach dieser schlaflosen Nacht anmerken. Ganz anders als die Frau, der ihre Worte galten und die hinter ihr und hinter dem Rücken eines Weißgewandeten, der die Zügel hielt, zu Pferde saß. Klein blickten ihre geröteten Augen aus dem matten Gesicht hervor. Und nicht nur die Kapuze ihres Gewands warf Schatten darauf. Müdigkeit meißelte überdeutlich Züge hinein, die der Trägerin den Anschein eines Alters verliehen, das sie an Lebensjahren erst noch erreichen müsste. „Den Umständen nach gut, Herrin. Er greint nicht mehr und schläft ganz still. Seine Stirn hat aufgehört zu glühen, obgleich er noch nicht aus dem Fieber erwachte“, sprach die Dienerin dennoch ruhig, blickte sorgenvoll hinab und wiegte das Leinenbündel fürsorglich in ihren Armen. Sogleich presste Eowyn die Lippen aufeinander und wandte sich hastig ab, um den Stich in ihrem Herzen nicht zu spüren. Sie musste stark sein und durfte nicht daran denken. Nicht daran, welche Schuld auf ihr lastete, dass die Hände der Amme vollbrachten, wozu sie nie im Stande gewesen war. Und auch nicht daran, dass sie versagt hatte, wenn auch im Augenblick keine Gefahr bestand. Mit einer energischen Bitterkeit war sie schon im Begriff, ihrer Stute die Sporen zu geben, da erschallte hinter ihr ein Ruf und in einer aufwirbelnden Staubwolke rauschte ein Scharlachwams an ihr vorüber. „Brrrr!“, rief eine vertraute Stimme und ehe Eowyn den Kopf wenden konnte, kam der Reiter bereits dicht neben ihr zum Stehen. „Eowyn!“, sprach Faramir, den Kopf ihr zugedreht und mit gesenkter Stimme, sodass nur sie ihn hören konnte und sowohl sein Blick als auch sein Ton verrieten, dass ihr nicht gefallen würde, was er zu sagen hatte. „Eowyn“, bekräftigte er noch einmal, wohl um sicherzustellen, dass sie ihn hörte, „Wir können nicht weiterreiten. Unsere Männer sind erschöpft, sie brauchen eine Pause. Zwei Stunden oder drei, nicht mehr. Du hast ihnen mit deinem hastigen Aufbruch vom nächtlichen Lager kaum eine Stunde Schlaf gegönnt. Das wird sich rächen!“ Langsam, doch entschlossen, drehte Eowyn sich zu ihm wie die Fürstin, die sie war. „Nein“, erwiderte sie und fixierte die Augen ihres Liebsten, „Wir dürfen keine Zeit verlieren, Faramir, nicht eine Stunde. Elboron geht es von Tag zu Tag schlechter. Dein Sohn braucht Hilfe. Die Männer können in Minas Tirith ruhen. Es ist nicht mehr weit und König Elassar erwartet uns sicher bereits, wenn der Boten rechtzeitig war.“ Faramir schien etwas erwidern zu wollen. Doch ehe er die Lippen auseinanderbekam, stemmte Eowyn die Stiefel in die Seiten ihres Pferdes und jagte davon. Nur sein leises Seufzen und der Pfiff, der die Leibweiche wieder in die Sättel rief, folgten ihr gedämpft durch die Morgendämmerung.    Pfeilschnell trug Samtschweif sie dem Ort entgegen, zu dem ihre düsteren Gedanken schon vorauseilten. Die Stute war eine Nachkommin Schattenfells, die ihr Bruder ihr als Geschenk gesandt hatte und das ungestüme Blut des Vorfahren pulsierte auch in den Adern dieses Tieres. Ein Pferd wie gemacht für Ewoyn. Mochte sie nun auch die Fürstin Ithiliens sein, ihre Wurzeln lagen in der Riddermark und sie hatte nicht vergessen, dass sie einst die stolze Schildmaid der Rohirim gewesen war. Stolz, Rohan. Sie musste schlucken, denn ein bitterer Geschmack schnürte ihr die Kehle zu als die Erinnerungen sie einholten. Lange schienen ihr die Zeit her, als sie als Jungfer neben Eomer ausgeritten war und die Waffen mit ihm gewetzt hatte, gerade so leichtfüßig, dass es noch als Spiel gelten mochte, das ihrer beider Geschlechter nicht beschämte. Welch eine unwirkliche Zeit von Unbefangenheit. Heute erschien sie Eowyn nur noch als blasse, unwirkliche Geschichte, einem Märchen gleich. Abermals, wie schon damals als Grima ihrem Onkel Theoden sein Gift einträufelte und ihre eigene Stimme gegen tote Ohren sprach, hatte sich ein Schatten über ihr Leben gelegt. Und im Versagen all ihrer hart erarbeiteten Kunst, ihrer Verzweiflung, hastete sie der einzigen Zuflucht entgegen, die noch Rettung für ihr Kind versprach. Rettung, die sie selbst erfahren hatte durch die Medizin eines hohen Herrn, den sie damals liebte und heute noch immer verehrte, nicht nur wegen der Pflicht ihres Standes wegen. Ein Schmetterling tänzelte vor Eowyns Nase, als sie, hier in der Einsamkeit schwächer als vor den Dienstboten, träge und übernächtigt die Lider senkte, um der Erinnerung in einen Tagtraum zu folgen. Einem Tagtraum von sanften Händen voll von zerrieben Krauts, die sie aus dem Tal der Finsternis zurück in die Welt des Lichtes riefen. Die heilenden Hände des Königs.   Will you whisper to me? You’re the dejavu that wakes me up Now, is it you now? I can feel it coming, a mirage with wings How? is it true now? It surrounds me, holding me, wind Feels like i’m being born again Gaze that fills me up (You) Might be a dream This moment dreams, dreams, may come true   Eowyn schlug die Augen auf. Ehe die Müdigkeit sie übermannen und vom Sattel werfen konnte, erblickte sie wieder den neblig grauen Schleier der Morgendämmerung, der sich nur zögerlich vor dem Werk der Sonne hob. Warum nur hatte ihr Stern zu sinken begonnen? Zwei Jahre war sie mit Faramir in Glückstaumel geschwebt wie in einem ewigen Frühling. Und lag sie einmal nicht in seinen warmen, herzlichen Armen und schmeckte seine süßen Lippen, so sog sie uralten Bücher auf gleich ausgetrockneter Erde, zerrieb ganz Ithilien duftend in ihrem Mörser und legte dem einfachen Volk, das von ihrer Fürstin mehr erwarten konnte als ein Lächeln im Audienzzimmer, Verbände an. Und das alles in einem Fleiß als könne sie alle Heilkunst Mittelerdes in einer einzigen Stunde an sich bringen. Doch dann kam schleichend der Tag, der den Taumel beendete und Eowyn auf einem harten Boden aufschlagen ließ. Zaghaft begann es mit einem roten Strom, der in einem Monat nicht mehr fließen wollte. Zaghaft begann es mit einer sanften Wölbung ihres Bauches. Sogar mit Vorfreude und nicht grade geringer begann es. Mit Lachen, Freude und dem Gefühl eines wundervollen Schicksalsgeschenkes fing es an. Doch der Wind drehte sich.   „Eowyn, du musst dich schonen. Denk an dich, denk an das ungeborene Leben in dir“, sprach Faramir immer häufiger und die Schlüssel zu Heilstätte und Labor versanken zwischen den knochigen Fingern des betagten Vorstehers, der kurz zuvor noch Eowyn unterstand. Seitdem hatte sie nichts mehr gesehen als die Wände und Bogenfenster, goldbeschlagenen Truhen und feinen Gobelins ihres Gemachs und die Kammerzofen, die um sie herum huschten, ihr Luft zufächelten, aus schweren Folianten vorlasen und sie mit Schokolade und Gebäck versorgten. Und nur von Ferne hörte sie Faramirs Schritte durch die Burg gehen und das Rasseln der Kettenhemden der Leibwache; Faramirs Stimme, die im Audienzsaal rechtsprach und Faramirs Feder, wie sie übers Pergament glitt, Worte des Stadthalters an seinen König niederschrieb. Sie aber gefangen. Gefangen in einem Gefängnis aus Edelstein und Seide, das ihren hitzigen Willen zu Asche verglühte und ihre Seele in der Kälte erfrieren ließ, der Posse ihrer liebevollen Umsorgung zum Hohn.     So sehr fühlte sich Ewoyn in diesen Tagen in die Zeiten des Ringkrieges zurückversetzt. Verbannt, verkannt und eingesperrt. Ich bin die Fürsten von Ithilien, dachte sie in den langen, wachen Stunden der Nacht, Ich habe den König der Nazgûl besiegt und die Barden besingen meinen Ruhm landauf und landab. Ich sollte aufrecht neben Faramir sitzen, statt hier in meiner Kammer zu verrotten. Und doch hatte Eowyn es eisern ertragen und keine Klage erhoben. Wogegen auch? Hatte die Welt je eine Fürstin gesehen, die zur Königsstadt aufbrach, um mit dem Rat zu tagen? Das hier, dieses Wochenbett, wurde Eowy damals so klar wie nie zuvor, war ihr schicksalsgewiesener Platz. Nicht nur für neun Monate, nein, für alle Zeit. So wie sie damals im Kettenhemd und mit dem Hobbit auf dem Pferde nicht nur ihren verzweifelten Kummer um Aragorn verdrängte, sondern auch, was die Welt einem Weib zugedachte, so bekämpfte sie es nun mit ihrem Studium. Doch in dieser Zeit der Verdammnis zum Nichtstun, brach der Feind über sie ungeschützt herein. All ihr Schaffen in der Heilkunst galt in der Welt nur für einen Zeitvertreib. Die Aufgabe, die von ihr erwartet wurde, war es, Faramir einen Erben zu gebären. Und sie war nicht mehr Rohans Schildmaid, die sich in einer Verzweiflung davonstehlen konnte, um ihr Leben als Ritter auf dem Schlachtfeld zu lassen. Ihr aufgedunsener Leib selbst, das Kind unter ihrem Herzen, war die Fessel, die sie hielt. Eine Hoffnung aber blieb ihr damals noch. Eine Hoffnung, die von einem kleinen Funken zu einer wahren Glut heranwuchs. Mit Faramir als Gatten, der sie ebenso über alles liebte wie sie ihn, hatte sie wahres Glück gehabt.  Nicht alle Edelmänner, das wusste Eowyn wohl, hätten ihren Eifer mit einem milden Lächeln hinweggeblinzelt und ihr die größte Studierkammer jenseits der Königsstadt eingerichtet. Faramir aber war anders als viele tapfere Recken, die nur den Krieg verehrten, selbst voller Geist und liebte die Gelehrsamkeit. Und auch, wenn er ihren Ehrgeiz nicht verstand, bewunderte er sie doch und ließ Eowyn großzügig gewähren. Seine Gunst war ihr Trumpf in dieser von Männern bestimmten Welt. Bald, bald würde sie sich vom Lager erheben und einen Bundesgenossen haben, der sie tiefer verstand als es Faramir je könnte, einen Verbündeten, für den sie im heimlichen Einvernehmen die Welt neu formen könnte. Bald, bald würde die Einsamkeit enden, dachte Eowyn. Doch welch trügerische Hoffnung! Sie hatte es Faramir nicht gestanden. Sie hatte ihm nicht gestanden, was sie sich nie vergeben konnte: den Wermutstropfen, der in ihrer Kehle brannte und ihrer Mutterliebe narrte, an jenem Tag als die Hebammen das glückliche Ereignis ausriefen und Faramir einen Stammhalter in die Arme legten.      „Ist das Minas Tirith, Herr? Es sieht so anders aus als ich es in Erinnerung hab“, sprach der Junge von etwa dreizehn Jahren, der an seines Vaters Stelle mit der Leibwache geritten war und nun stirnrunzelnd neben ihr zu Pferde saß. „Das ist drei Jahre her, Bergil. Der Sand in den Uhren hat seitdem nicht aufgehört zu rieseln“, erklärte Faramir ruhig. Eowyn aber erwiderte nichts. Stumm blickte sie die trutzigen, weißen Mauern der sieben Stadtringe empor, die in der Vormittagssonne grell leuchteten. Kein Wölkchen bedeckte den strahlend blauen Himmel darüber und sie nahm es für ein gutes Omen. Noch immer war ihr bang ums Herz ob der Sorge um Elboron. Doch war ihr bereits ein wenig leichter zumute. Sie hatten ihr Ziel erreicht und die Krankheit, die nach seinem zarten, gerade einmal drei Monate während Leben griff, hatte sich auf der Fahrt zumindest nicht verschlimmert.   Bald hatten sie das Stadttor passiert und ritten, während ihre eigenen Männer Unterschlupf in der Kaserne fanden, von Aragorns Wache begleitet der Zitadelle entgegen. Einige Schmetterlinge tänzelten auch hier in der Frühlingsluft und in den Straßen wimmelte es von Zwergen. Gimli hatte wahrlich nicht zu viel versprochen. Das Volk vom Einsamen Berg war emsig beschäftigt, Minas Tirith wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen. Als sie wenig später endlich den Hof mit dem herrlichen Weißen Baum erreichten, stellte sich heraus, dass Eowyn rechtbehalten sollte. Aragorn erwartete sie bereits und keine halbe Stunde nach ihrer Ankunft in der Königsstadt, in der sie den Säugling seiner Amme überließen, betraten sie gemeinsam die Verschwiegenheit eines kleinen Gemachs, worin sie bald unter sechs Augen beisammensaßen.  „Ich gestehe, die Nachricht Eures Boten stimmt mich besorgt“, erklärte Aragorn nachdem alle Begrüßungsrituale vollzogen waren, „Auch wenn ich aus ihr nicht ganz schlau werde. Sagt, was ist geschehen? Welche Krankheit bedroht den Erben meines Stadthalters?“  Eowyn tauschte einen tiefen Blick mit Faramir bis dieser sich schließlich räusperte und das Wort ergriff.  „Mein König“, sprach er um Fassung bemüht, „Mein Sohn, ich bin tiefer Sorge um sein Leben. Von Geburt an war er von einer seltsamen Traurigkeit befallen. Ich habe das Kind kaum so selig schlummern sehen wie andere Säuglinge. Tage und Nächte waren von Greinen bis zur Erschöpfung erfüllt. Doch vor gut einem Monat begann sich sein Zustand noch weiter zu verschlechtern. Ein Fieber packte ihn und wütet seitdem in ihm. Eowyn, die, wie Ihr wisst, in den letzten Jahren mit Eifer unablässig die Heilkunst studierte, bot ihr ganzes Wissen auf. Doch kein kalter Guss und warmer Wickel, keine Salbe, kein Trank noch andere Arznei brachte Elboron Linderung, geschweige denn Genesung. Es ist zum Verzweifeln. Fast scheint mir, verzeiht mir die Worte, sein Leiden sei nicht von weltlicher Natur.“  Eowyn, die mit gespitzten Ohren lauschte, ließ ihren Blick zwischen den beiden Männern schweifen und studierte deren Mienen. War Faramir mit seinem erhitzten, roten Gesicht sichtlich bewegt, so hatten sich Aragorns Augen verdunkelt und tiefe Runzeln durchfurchten seine Stirn. Ernst und aufrichtige Sorgen standen ihm ins Gesicht geschrieben. „Oh weh! Oh weh!“, sprach er und erhob sich, „Das ist wahrlich eine traurige Kunde an diesem herrlichen Tag. Ich will nicht lügen, Faramir, Elborons Leben scheint mir tatsächlich in großer Gefahr. Doch Ihr habt gut daran getan, nach Minas Tirith zu kommen. In den Häusern der Heilung, wird man, so hoffe ich, den bösen Geist austreiben können.“ Bei diesen Worten war Faramir auf einmal wie elektrisiert. „Böser Geist? Ihr wisst, was meinem Sohn fehlt, mein König?“, rief und beugte sich in seinem Lehnstuhl vor.  „Ja, ich denke“, entgegnete Aragorn gedehnt und ließ seinen Blick auf Eowyn ruhen. Ein Schauer durchzuckte sie. Dieser Blick ging ihr durch Mark und Bein als sähe ihr König direkt in ihre Seele. „Der Schwarze Anhauch“, fuhr Aragorn fort, „Es kann passieren, dass eine solche Berührung nie ganz ausheilt. Das etwas zurückbleibt wie ein Splitter unter der Haut. Und auch wenn es selten genug geschieht, ist nicht ausgeschlossen, dass ein solcher Splitter auch auf die Nachkommen übergeht.“    Faramir, in dem es ebenso zu arbeiten schien wie in Eowyn, riss die Augen auf. „Ihr habt Eowyn damals nach der Schlacht geheilt, mein König. Also könnt Ihr auch meinen Sohn retten?“, sprach er aus, was sie dachte.   Doch Aragorn senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Meine Heilkunst endete als ich Eowyn das Athelas gab“, antwortete er.    Es waren nur wenige Worte, doch Worte, die die Welt anzuhalten schienen. Faramir sank wie getroffen in seinen Stuhl zurück und Eowyn hatte das Gefühl, ihr Herz werde Stein und falle zu Boden, um in tausend Stücke zu zerschellen. Hatte er sie nicht noch Augenblicke zuvor mit Hoffnung gefüttert?! Einer trügerischen ganz offenbar. Da jedoch atmete Aragon tief ein. „Arwen aber ist soeben in den Häusern der Heilung“, fuhr er fort, „Sie steht ihnen vor und berät die Heilerinnen. Als Erbin ihres Vaters ist sie in Elronds Kunst tief bewandert. Und Elrond war einer der größten Heiler Mittelerdes. Wir dürfen nicht zögern. Ruft eure Amme, damit sie das Kind sogleich hinab bringt. Eowyn, du solltest mit deinem Sohn gehen und bei ihm bleiben.“   Sie sah auf. Aragorns Augen waren direkt auf sie gerichtet und für einen Augenblick sah sie den Abglanz des Mannes in ihm, dem sie einst vergeblich ihre verzweifelte Liebe geschenkt hatte. „Ich danke Euch, Elassar“, sprach sie und folgte Faramir, der sich bereits verabschiedet hatte.  Aragorn nickte ihr noch einmal zu als sie über die Schwelle ging, mit festem Tritt und wachsender Zuversicht. Seine Worte hatten sie mit einer neuen Kraft beseelt. Doch es war nicht nur die Aussicht auf die Heilung ihres Sohnes, dessen Krankheit sie selbst krank vor Sorge zurückließ, die das bewirkte.  Die Königin von Gondor lächelt nicht nur in Audienzzimmern das Volk an, sie ist als Heilerin tätig, ging es Eowyn nicht mehr aus dem Kopf.   Blau. Das erste, das Eowyn in den Häusern der Heilung erblickte, war ein durchdringendes, himmlisches Blau, das durch die Fenster hereinstrahlte. Die Zimmer der Heilanstalt, die Gärten vor der Mauer, der Ort, an dem sie ihren Gemahl zum ersten Mal getroffen hatte, ließen Eowyn sogleich wieder heimisch fühlen. Doch konnte sie sich nicht erinnern, dass vor drei Jahren der Himmel je so wolkenlos blau gewesen war. Durch die gekippten Oberlichter kam eine leichte Brise herein und vor den Scheiben tänzelte abermals ein Schmetterling. Eowyn atmete tief durch und zusammen mit den Bildern ihrer Erinnerung durchströmte sie ein tiefes Wohlgefühl. Jeder Zweifel war hinfort gewischt: Hier würde ihr Sohn Heilung finden, ganz gewiss.    You just fly like a butterfly Taking me far away wings wings Just like this fly like a butterfly Sounds of winds blowing around my ears wing Eowyn blieb nicht lang allein im Krankensaal, in dem Faramir, ihre Amme und Aragorns Diener sie mit ihrem Sohn zurückgelassen hatte. Kaum hörte sie Abschiedsworte wie ein gebrochenes Echo in der Ferne, da stand die hohe Frau und hohe Heilerin zugleich bereits wieder vor ihrem Lager.  Arwen, so musste Eowyn abermals wie schon bei des Königs Hochzeit zugeben, war eine der schönsten Frauen Mittelerdes, selbst für ihr Volk noch eine Zierde. Und obgleich es seltsam war, einer ehemaligen Nebenbuhlerin gegenüberzustehen, so verstand Eowyn doch, wieso Aragorn sich unsterblich in sie verliebt hatte. Die Königin Ihrerseits zeigte keinerlei Argwohn gegen sie. Gedachte sie noch der alten Geschichte, für die Eowyn in ihrem Stolz sich inzwischen schämte, so ließ sie sie es mit keiner Geste spüren. Mit sanften Worten und einem stillen Lächeln, ihr dunkelblaues Gewand eine Nuance im Blau des Firmaments, wandte sie sich dem Säugling zu, der neben der sitzenden Eowy schlief und hob ihn vorsichtig auf. Eowyns Stimmung kippte augenblicklich.     Wie immer, wenn sie ihre Amme mit dem Jungen betrachtete, versetzte auch dieser Anblick Eowyn augenblicklich einen Stich. Doch anders als beim Ritt durch die Nacht konnte sie hier ihren Gefühlen nicht mehr fliehen. So herzlich wiegte die Königin ihren Sohn wie sie selbst es in drei Monaten nie gekonnt hatte. Ich bin eine schlechte Mutter, eine furchtbar schlechte Mutter, dachte Eowyn wie so oft in diesen Tagen. Es war nicht so, dass sie ihrem Sohn die Zuneigung verweigern wollte. Ihr Wille war stark und ihr Mutterherz, das Tag und Nacht geopfert hatte, um eine Medizin für ihn zu finden, voll der Liebe. Doch wann immer sie den Säugling aufnahm, fand es den Weg zu den Händen nicht. Es war eine Zärtlichkeit, die wie in Ketten in ihr eingeschlossen war. Zum Glück beachtete Arwen sich nicht. „Aragorn hat nicht geirrt. Es ist ein Splitter des Schwarzen Anhauchs“, dachte die Elbin laut, den Blick dem Kinde zugewandt, das sie eindringlich studierte, „Ihr habt eine Heldentat vollbracht, Eowyn, die zu viel eurer eigenen Kraft verzehrte. Solches hinterlässt stets Narben. Zuweilen geschieht es, dass das Gift in den Nachfahren wieder entflammt. Besonders dann, wenn ein Schatten auf der Seele der Ahnen das Band zu den Erben belastet.“  Eowyn horchte auf. Aragorn hatte bereits Ähnliches angedeutet. Doch in Arwens Worten lag etwas, das sie aufschrecken ließ gleich eines Rehs, welches das Sirren des Pfeils des Jägers vernimmt. Sie presste die Lippen aufeinander und wandte sich ab, damit die Elbin ihre Miene, die sie gewiss verriet, aus dem Augenwinkel nicht sehen konnte. Doch es half nichts. Nur einen Augenblick später tauchte Arwens schönes Gesicht vor ihren Augen auf und ihre Blicke hefteten sich an sie.  „Eowyn, wie erging es euch in den letzten Monaten?“, fragte sie ernst, doch ohne einen Hauch der Anklage, eher fürsorglich bemüht.   Eowyn wusste nicht, warum sie es tat. War es die besondere Kunst der Elben in einen zu dringen oder lag es daran, dass Arwen gleichen Geschlechts war? Selbst Faramir hatte sie sich nicht anvertraut, doch vor der Königin sprach sie zum ersten Mal offen.  „Ich kann nichts wirken in der Welt, seitdem das Kind auf Erden ist. Faramir wird Euch vielleicht berichtet haben, dass ich ebenfalls mit Eifer die Heilkunst studierte. Doch seitdem die Niederkunft nahte, bin ich von allem abgebracht. Mir ist als wäre ich von meinem Fürstenthron gestoßen, während der Ruhm meines Gatten stärker strahlt denn je.“ Einen Augenblick musterte Arwen sie eindringlich, ein nachdenklicher Zug um ihre Augen.      „Manchmal ist der Weg zu einem ersehnten Ziel lang und entbehrungsreich und das Opfer, das es zu erbringen gilt, ein großes“, entgegnete sie dann. „Denkt nicht, dass ich meinen Sohn nicht liebe!“, beteuerte Eowyn, „Tag und Nacht hab ich geopfert, um eine Arzei zu finden, die ihn aus den Klauen dieses Fiebers reißen könnte“.   „Das glaubte ich nicht, Eowyn. Doch Ihr seid zu ungestüm. Stolz und Ungeduld bergen so manches Verhängnis.“ „Mein Verhängnis scheint mir, dass ich als Weib geboren bin. An diesem Schicksal lässt sich nichts wenden“, entgegnete Eowyn verbittert. Arwens Mundwinkel zuckten, als ob sie etwas zu sagen gedächte. Doch dann erhob sich die hohe Frau und schritt zu einem kleinen Arzneischrank, der Eowyns Bett gegenüberstand. „Worte sind offenbar nicht die Medizin, die zu Euch dringen kann. Doch denke ich, dass ich Euch und Eurem Sohn zu helfen vermag. Was der Geist nicht zu greifen willens ist, muss die Seele erfahren. Trinkt dies, dann legt Euch hin und achtet darauf, dass Euer Blick aufs Fenster gerichtet bleibt, Eowyn.“ Die Elbin reichte ihr eine kleine Phiole. Eowyn hatte noch so einige Fragen, doch in der Stimme der Königin lag etwas Abschließend, sodass sie ihr nicht mehr über die Lippen kamen. Schnell war das Fläschchen entkorkt und ein würziger Schluck kühlte ihr die Kehle. Die Arznei schmeckte deutlich nach Athelas, an das sich Eowyn noch gut erinnerte, doch schienen noch etliche weitere Kräuter beigemischt. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ihre Heilerin eine weitere Phiole entkorkte und ein Leinentuch damit tränkte, an dem sie Elboron, der inzwischen auf ihrem Schoß lag, saugen ließ. „Ihr werdet bald müde werden und in einen tiefen Schlummer sinken“, erklärte Arwen, „Behaltet nur stets den Schmetterling vor den Scheiben, jenes schwirrende Abbild der herrlichsten Blüten Eures Fürstentums, vor Augen bis Euch die Sinne schwinden und so ich es vollbringen kann, werdet Ihr Heilung finden“ Eowyn tat wie ihr geheißen. Schlafdämmrig gingen die Worte der hohen Frau über lange und entbehrungsreiche Wege noch einmal durch den Sinn. Verblüfft fiel ihr ein, wie viele Jahrhunderte Elronds Tochter schon erlebt hatte und was sie aufgegeben hatte, um nun Königin von Gondor und Aragorns Gemahlin zu sein, doch da fielen ihr bereits die Lider zu.   Die Königin, die, ohne es zu wissen, in diesem Augenblick Eowyns tiefste Ehrfurcht auf sich gezogen hatte, verfiel in einen Singsang in der Sprache ihres Volkes, der in Eowyns Ohren wie ein Hohelied auf die Sterne klang. Und obgleich sie des Elbischen nicht mächtig war, formte die sanfte, hohe Stimme sich in ihrem Geist zu Worten, die sie über die Schwelle des Bewusstseins trugen.     Fly like a butterfly I feel like i could reach it I better be around you Fly like a butterfly Fly like a butterfly I better be around you   Und so begann der Traum. Eowyn sah sich noch immer auf ihrem Krankenlagern in den Häusern der Heilung liegen, doch ihre Augen mussten ihr Trugbilder vorgaukeln. Das Himmelblau hinter den Scheiben, das ihr schon zuvor auffallen war, strömte nun wie die Wogen des Meeres in hellen Strahlen ins Zimmer und füllte es ganz mit gleißendem Licht. Geblendet von dieser Flut begann Eowyn zu taumeln. Flüchtige Erinnerungen an den Mond und die Schlachtrufe, die über Minas Tirith hingen, in jener Nacht, als Aragorn sie aus dem Tal der Finsternis holte, flackten vor ihr auf und sie hatte das Gefühl, etwas reiße ihre Sinne fort, hinaus aus dem Fenster, in eine andere Welt.  It gets dizzy everything around me is blue Now, with you you now A folded paper moon like I’m wandering in-between I better be around you Etwas aber hielt Eowyn zurück. War der Raum auch von Licht erfüllt, sie selbst stand in Düsternis. Ein Mantel schwer wie Blei, eng wie ein Korsett und dunkel wie die Erinnerungen an die Finsternis in Mordor lag auf ihr. Wie aus Schatten gewebt schien der Stoff, in denen die Zeit zerfasert eingelassen war. Es war einer der Mäntel der Ringgeister. Er drückte sie nieder, schnürte sie ein, raubte ihr den Atem und die Kapuze, die ihr mehr und mehr ins Gesicht rutschte, schmälerte ihr Sichtfeld, bis ihr Blick in all dem himmlischen Licht, das sie umgab, nur noch jenen kleinen Flecken Dunkelheit gewahrte, der für sie zur Welt angeschwollen war. Langsam, wie als seltsames Gegengewicht zum schwindeligen Taumel, sank Eowyn in die Knie. Da vernahm sie auf einmal das Flüstern einer Frau, ohne die Sprecherin irgendwo zu sehen. “Befreit Euch, Eowyn, legt den Mantel ab”, befahl die Stimme, die ihr vage bekannt vorkam.  Eowyn, deren Gedanken unter dem Druck des Manteln zu zerstieben und sich aufzulösen drohten, rief sich angestrengt in Erinnerung, dass es nur ein Kleidungsstück war. Mit flattrigen Händen tastete sie zaghaft den Kragen nach einer Fibel ab. Doch ihre Finger griffen ins Nichts. „Kämpft, befreit Euch. Ihr seid stark. Ihr könnt es besiegen wie Ihr es schon einmal tatet“, drang die Stimme auf sie ein. Das Fenster ist noch da und es führt in die Freiheit, sprach Eowyn sich Mut zu, ich bin die Schildmaid von Rohan und die Fürstin Ithiliens, ich werde diesen Kampf gewinnen, ich werde gewinnen. Ihre Worte wurden zu einem Mantra und in ihrem Inneren regte sich ein Sturm. In einem gewaltigen Willensakt packte sie den Stoff und riss den Mantel geradewegs entzwei. Im selben Augenblick geschah es. Eowyn war es als atmete sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf. Ihre Lungen füllten sich mit Luft und etwas katapultierte sie hinaus aus dem Fenster, hinaus ins Blau. Sie selbst war der Falter vor den Scheiben und instinktiv flog sie dem blauen Himmel entgegen, der verheißungsvoll über ihr erstrahlte.    It starts with a small flap Now, inside my heart, a hurricane Been been there never been been there The world gets smaller and smaller Take me there, way too far becomes new This moment dreams, dreams may come true   Für eine Weile schwebte und flatterte Eowyn einfach nur durch die wohligen, blauen Lüfte, die ihr, von der Erdenschwere befreit und mit der Leichtigkeit des Schmetterlings beseelt, eine einzige Wohltat waren. Der Frühlingswind kitzelte sie und des drückenden Mantels entledigt, fühlte sich Eowyn zum ersten Mal seit langem fast heil und ganz. Es war ein herrliches Gefühl und eine vage Hoffnung keimte in ihr, dass sie diesen Moment vielleicht für immer halten könnte.     You just fly like a butterfly Taking me far away wings wings Just like this fly like a butterfly Sounds of winds blowing around my ears, wing Just like this Fly like a butterfly I feel like I could reach it I better be around you   Da regte sich auf einmal wieder die seltsame Stimme an ihrem Ohr, die fast schon vergessen hatte in diesem langersehnten Aufatmen. Sie sprach nicht viele Worte. Eine einzige Frage nur stellte sie: „Was seht Ihr, Eowyn?“ „Nichts“, antwortete Eowyn ohne langes Zögern, “nur den blauen Himmel um mich her” „Zu wenig“, sprach die Stimme, „Öffnet die Augen, schöpft aus Euch, aus Eurem Geist. Ihr müsst die Welt neu erschaffen.“ Eowyn wurde diesen kryptischen Worten nicht schlau, doch strengte sie sich an, ihren Blick zu schärfen. Auf einmal begannen die Pulverwolken um sie her sich zu verwandeln. Aus den Schlieren und Schleiern schälten sich Figuren gleich marmornen Büsten. Nicht starre Statuen! Es waren lebedinge Wesen, die sich bewegten. Und ehe Eowyn sich versah, flog sie über einer breiten, wolkigen Straße her, auf der sich dutzende solcher Gestalten tummelten und die sich am Ende in einem nebligen Tor verlor, das zu einem wolkigen Palast zu führen schien. Eowyn verstand nicht, was dies zu bedeuten hatte, doch je mehr sie ihren Blick schärfte, je mehr sie sich anstrengte, klare Formen zu erkennen, umso umrissener traten die Bilder hervor und begannen sich mit Farben zu füllen. Mit einem Mal erkannte sie die Gärten der Häuser der Heilung unter sich. Eine Frau, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, legte einem alten Zwerg, offensichtlich einem der Handwerker vom Einsamen Berg, einen Verband an, während eine Heilerin, die ein Leinenbündel in den Armen trug, ihr Werk aufmerksam betrachtete. Ein Stück weiter des Weges, in einer Landschaft, die Eowyn sogleich als ihre und Faramirs Heimat erkannte, strich ein kleiner Junge durch die Wiesen, pflückte wilden Salbei und brachte diesen zu weiterem Zwilling Eowyns, der die Kräuter sogleich im Mörser zerrieb. Und ganz in der Ferne, fast ihres Blicks entzogen, saß ein Mädchen von vielleicht von acht Jahren mit ihrem blonden Haar und Faramirs Augen neben einem dritten Ebenbild auf einer Bank im Burghof und studierte einen der großen Folianten, welche die Wände ihres Studierzimmers zierten.   „Ich heile das Volk vom Einsamen Berg. Ich sehe Ithilien. Das ist Elboron und er ist gesund. Ich lehre einem Mädchen die Heilkunst“, berichtete Eowyn der seltsamen Stimme. „Das ist gut, Eowyn. Folgt dem Pfad bis ans Ende, bis in die Wolkentürme hinein”, erwiderte die Frau, „Behaltet Eure Eindrücke gut im Gedächtnis, und dann, auf dem Gipfel der Zeit, webt daraus Euer neues Kleid.“ Und die Stimme verfiel in einen Singsang.    Fly like a butterfly till the end of that road Fly like a butterfly even further Fly like a butterfly till the end of that road Fly like a butterfly I better be around you   On top of the clouds, synchronize This new feeling Bling, bling, shine like a starlight Breath-taking time It becomes perfect Let me fly right now   Eowyn konnte den Worten keinen tieferen Sinn entnehmen, doch flößte allein der Gesang ihr Entschlossenheit ein. Zielstrebig flog sie dem nebligen Tor und dem wolkigen Palast entgegen, die Sinne raubtiergleich geschärft. Immer mehr Eindrücke, immer mehr der bunten Gestalten, wirbelten um sie her bis sie schließlich die Pforte passierte und die fliegenden Bilderfetzen sich zu einem brausenden Wirbelwind verdichteten. Wie Kampfestrommeln und Beschwörungsformeln, immer schneller, prasselten die Töne des Gesangs auf Eowyn ein.   You just fly like a butterfly (butterfly) Please fly higher, wings wings (Fly wings) Just like this fly like a butterfly (butterfly) Sounds of grazing winds, wing (Wind) I better be around you   Fly like a butterfly till the end of that road Taking me far away, Wings wings (To the end of the world) (Around You) Even further Just like this fly like a butterfly Sounds of winds blowing around my ears  (to the end) I feel like i could reach it I better be around you   Im Auge des Sturms blickte sie auf und erkannte, dass sich Wolken und Wind zu einem neuen Stoff, einem weißen Mantel verdichteten, der sich immer enger um ihren Körper schloss. Mit einem Mal fiel das Schmetterlingskleid von ihr und sie hatte wieder zwei menschliche Beine. Da schloss sich der weiße Mantel um sie, seidenweich und leicht wie gewobenes Licht. Und Eowyn begriff. Sie begriff, was dieser sonderbare Traum bedeutete. Ihr Geist war in einem dunklen, schweren Traum gefangen gewesen. Niederkunft und Wochenbett hatten sie nur Wände und Mauern sehen lassen. Doch hinter diesen Mauern gab es eine Zukunft für sie: die Zukunft als Heilerin.   Hastig schlug Eowyn die Augen auf. Arwens konzentrierte Miene schwebte über ihr, auf den Lippen noch immer das elbische Lied. “Meine Königin!”, rief Eowyn atemlos. „In diesen Hallen gilt keine Königstitel. Wir sind Schwestern, Eowyn. Nenne mich Arwen“, fiel die Elbin ihr ins Wort. „Arwen“, setzte Eowyn von neuem an, „Würdet Ihr mich lehren? Würdet Ihr mich Eure Heilkunst lehren? Verzeiht, wenn die Frage zu nahe geht. Doch wenn es Faramir, Ihr und mein König gestatten, so will ich für eine Weile hier in Minas Tirith bleiben und in den Häusern der Heilung studieren, was ich in Ithilien nicht lernen kann.“  Arwen schwieg für einen Augenblick, ihre Augen verschleiert. „Ihr seid wahrlich ruhelos, Eowyn“, tadelte sie, „Doch ich will Euch Antwort geben. Mein Volk verlässt Mittelerde. Viele meiner Ahnen sind bereits zu den Grauen Anfuhrten aufgebrochen. Ich selbst aber habe die Sterblichkeit gewählt, um an der Seite meines geliebten Gemahls auf ewig Gondor zu dienen. Heilkünste sollen den Völkern helfen. Ein Wissen aber, das auf Schriftrollen zerfällt, hilft niemanden. Ihr und Eure Töchter seid jederzeit in den Häusern der Heilung willkommen, um hier zu studieren.“ Eowyns Herz machten einen Satz und Blut stieg ihr in den Kopf als sie die letzten Worte hörte. „Ihr denkt, dass ich einmal eine Tochter haben werde?“, fragte sie ungläubig.    Arwen lächelte. „Ihr seid noch jung genug, Eowyn, um deren mehr als einer das Leben zu schenken“, erwiderte sie. Mit einem Mal bohrte sich etwas siedend heiß in Eowyns Gedanken. Sofort saß sie aufrecht in ihrem Bett. „Was ist mit meinem Sohn, Arwen, was ist mit meinem Kind? Ist er gesund?“ Die Elbin blickte auf das Leinenbündel in ihrem Schoß hinab und musterte den schlafenden Säugling. „Das Fieber ist während der Stunde, in der Ihr schliefet, gesunken. Noch ist er schwach und nicht geheilt. Doch ich denke, er kann genesen. Der Schatten um Euch hat sich zu lichten begonnen, Eowyn. Aber Ihr müsst die Hoffnung festhalten, deren kleiner Schimmer Ihr im Traum saht.“ Eowyn atmete tief aus. „Gebt ihn mir, bitte, ich möchte ihn halten“, murmelte sie kraftlos. Arwen legte ihr das Kind in die Arme und während diese aufstand, um mit einer Heilerin zu sprechen, drückte Eowyn es innig an ihre Brust. Es war das erste Mal seit seiner Geburt, dass sie ihren Sohn so herzlich und liebevoll in den Armen hielt. Der dunkle Schleier des Tages seiner Geburt hatte keine Macht mehr. Die Fesseln um ihre Zärtlichkeit waren gefallen. Endlich konnte sie ihren Jungen lieben wie er verdiente.  Tränen rannen über ihre Wangen als sie ihm Worte in das sanfte Ohr flüsterte: „Verzeih mir, Elboron, verzeih mir!“   Als der nasse Schleier endlich den Blick wieder freigab, stand am Ende des Saals auf einmal Faramir in Begleitung Aragorns und der Heilerin, die Arwen ins Gespräch gezogen hatte, auf der Schwelle. „Ist es wahr? Ist es wahr, dass mein Sohn geheilt ist?“, rief Faramir als er sich in schnellen Schritten näherte. „Es ist wahr“, erklärte Arwen knapp und in der Würde der Königin Gondors, die Eowyn in ihren Vertraulichkeiten bereits vermisst hatte, „Zumindest ist er auf dem Weg der Genesung“.   „Elassar, mein König, ein Wunder. Ein Wunder ist geschehen“, rief Faramir außer sich vor Freude, „Habt Dank, habt Dank für alles. Ich werde sogleich die Amme und meine Männer rufen, so müssen wir Eure Gastfreundschaft nicht länger als irgend nötig bemüßen.“ „Nein“, unterbrach Aragorn ihn scharf, „Ihr vergesst, Faramir, dass eine Wunde noch lange nicht ausgeheilt ist, nur weil sie gesäubert und verbunden ist. Arwens Wissen mag das Meine übersteigen. Doch der schwarze Anhauch ist nicht in einer Stunde ausgestanden. Eure Gemahlin und Euer Sohn bedürfen noch der Zeit und Ruhe und der Fürsorge der Häuser der Heilung. Bedeckt Euch nicht mit Bescheidenheit. Gondor und die Zitadelle haben genug Gastzimmer und Speisekammern, um Freunde eine Zeit lang zu beherbergen. Eowyn, es freut mich von Herzen zu sehen, dass Ihr und Elboron den Umständen nach wohlauf seid.“ „Und ich bin Euch zu tiefem Dank verpflichtet, mein König, meine Königin“, entgegnete Eowyn, indem sie den Blick zwischen dem Königspaar schweifen ließ.     Wenig später waren die Männer gegangen, um ihr und dem Kind Ruhe zu gönnen und die Königin schien ihnen folgen zu wollen. Da rief Eowyn sie noch einmal zurück. „Arwen?“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. Doch die Elbin, die schon fast auf der Schwelle stand, wandte sich noch einmal um. „Ihr habt noch etwas auf dem Herzen, Eowyn?“, fragte sie. „Ja, tatsächlich“, erwiderte Eowyn und senkte, was ungewöhlich für sie war, zum zweiten Mal in wenigen Stunden schuldbewusst den Blick. Ihre sonst so stolze Stimme brach zu einem Flüstern als sie endlich gestand, was so lange schon ihre Lippen versiegelte.  „Ich habe ein Geheimnis vor Faramir. Jetzt erkenne ich, wie fehlgeleitet meine Gedanken waren und ich mir und meinem unschuldigen Kind in meiner Ungeduld selbst die größte Schmach bereitet habe. Doch es ist wie es ist und ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Ich habe Faramir nie gesagt, dass…“, sie holte tief Luft, „dass ich stets von Herzen gehofft hatte, mein erstes Kind sei eine Tochter. Eine Tochter, der ich die Kampfkunst und Heilkunde lehren kann.“        Eowyn hätte wieder weise Worte von ihr erwartet. Doch Arwen Abendstern stand nur im Türrahmen und betrachtete sie still „Ich weiß, Eowyn, Fürstin von Ithilien“, sprach sie endlich, „Doch nun ist der Bann gebrochen. Ihr werdet heilen. Ihr und Euer Sohn“. Und mit einem Lächeln, das das Geheimnis zwischen zwei Frauen versiegelte, war sie im Blau der Flure verschwunden. Hosted by Animexx e.V. 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