Philomathie von Rakushina (Wenn Neugier nicht wäre) ================================================================================ Kapitel 1: Precuneus -------------------- „Habt Dank, habt vielen vielen Dank, ehrfürchtiges Digimon.“ „Ist doch schon gut. Du musst dich nicht so oft bei mir bedanken. Das war selbstverständlich“, sagte Sanzomon und hob ihre Hände, als Geste, dass DemiDevimon sich doch beruhigen sollte. Er war immer noch aufgewühlt und hatte Tränen in den Augenwinkeln. Die gelben Augen, die bekanntermaßen nur seine listige und feige Natur wiedergeben sollten glänzten durch die Nässe. Das Digimon tat ihr Leid. Von Server hörte Sanzomon viel. Es war der größte Kontinent und der weitgehend modernste Teil der Digiwelt. Sie kam vor zirka einem Monat über ein Schiff hier an, eine Reise, die mit viel Mühe und Kosten verbunden war. Aktuell versuchten alle Digimon von Server wegzukommen, statt freiwillig einen Fuß auf diesen verfluchten Boden zu setzen. Unheilvolle Digimon rissen die Macht an sich. Armut und Angst dominierte den Alltag der mehrheitlichen Bevölkerung. Über die Meister der Dunkelheit berichtete man in jedem Winkel der Digiwelt. Sanzomon hörte durchaus schaurige Geschichten über sie und Digimon, die gleichen Gemütes und Besinnung waren, aber viele von ihnen traf sie bisher nicht. Einem Etemon begegnete sie, aber er war kein angenehmer Zeitgenosse und dazu jemand der – wie sollte sie sagen – simpel gestrickt war, was ihn aber keines Falls ungefährlich machte. Vermutlich ließ dieses Digimon sie auch nur gehen, da er ahnte dass Sanzomon keine Bedrohung war. Das Puppen-Digimon wies sie auch darauf hin, wenn sie etwas Interessantes sehen wolle, sollte sie gen Norden und durch die düsteren Wälder, da bekäme sie genug zu sehen. Wenn sie es bis dahin überhaupt schaffen würde. Aber auch von diesem Interessanten sah sie bisher nichts. Die Region war dichter besiedelt, aber die Digimon standen unter Spannung. Die Angst jeden Moment von feindlichen Digimon angegriffen zu werden war hoch. Die Digimon trauten sich kaum heraus, in der Nacht schon gar nicht. Das Koromon-Dorf, nicht weit von der Küste, an der ihr Schiff anlegte war der einzige Fleck Servers, der noch ansatzweise normal wirkte. Und selbst diese Digimon lebten in ständiger Angst. MetalSeadramons Truppen zogen ihre Bahnen in den Gewässern und wenn eines der Koromon zum Rookie digitierte (meist in irgendeine Agumon-Variante) nahmen die Truppen Machinedramons sie mit. Was mit ihnen geschah vermutete man nur. Die letzten Jahre war es etwas ruhig um die Meister der Dunkelheit geworden. Einige sagten, sie hätten das Interesse verloren, andere, dass sie einfach Kräfte sparten. Schließlich hatten solche Digimon immer Feinde und das gab den Koromon Hoffnung, dass es irgendwann besser werden würde. Damit waren sie aber auch die einzigen Digimon, die diese Zuversicht im Herzen trugen. Sanzomon erfreute sich dieses Anblicks, war dieser fast noch seltener geworden wie der Hauch von der versprochenen Kultur, von der man sonst immer so schwärmte (versucht ging auch das auf das Konto der dunklen Meister). Im Gegenzug war auch Sanzomon selbst ein seltener Anblick. Wenn sie in einem Dorf oder in einer Stadt ankam, bat sie den Digimon Segen und Gebete an. Obwohl dieses spirituelle Angebot gerne angenommen wurde, hatte Sanzomon nicht das Gefühl, viel bewirkt zu haben. Vielleicht war sie zu unerfahren und nicht überzeugend genug. Vielleicht saß die Verzweiflung in den Digimon einfach zu tief. Egal welches Sutra sie sprach, welches Gebet sie sang und welche Fähigkeiten sie benutzte um zu heilen, der Schleier der Verzweiflung blieb über ihnen. Die meisten Digimon begegneten Sanzomon zudem mit viel Misstrauen. Sie hatte sich darauf eingestellt als fremdes Digimon wenig Hilfe zu bekommen und musste selbst zusehen, wie sie klarkommen würde. Aber so viel Argwohn hatte selbst sie nicht erwartet. Beinahe traurig, galt Server in Sanzomons Heimat als Schmelztiegel von Fortschritt und altertümlicher, magischer Macht. Doch bisher hatte Sanzomon weder das eine, noch das andere gesehen und Sanzomon würde so schnell auch nichts davon zu sehen bekommen, schließlich hatten sich die Meister der Dunkelheit das Beste vom Besten an sich gerissen, während die Schwachen und Kranken sich selbst überließen. Ihr war es ein Rätsel, wie man so sein konnte. Zu ihrem Glück besaß Sanzomon Züge eines Optimisten und lebte bereits als Ausbildungs-Digimon die Einstellung aus, dass unter jedem öden Stein etwas Spannendes sein konnte. Für ihre ausgeprägte Neugierde von Artgenossen gepiesackt und geschnitten, entwickelte Sanzomon ein Eigenbrödler-Dasein mit einem immer größer werdenden Interesse für alles, was fernab ihrer Heimat lag. Während ihre Artgenossen stärker wurden, las sie und lernte schreiben noch vor den anderen. Nach ihrer Ultra-Digitation, nachdem sie sich mehrmals weigerte in den Krieg gegen die dunklen Truppen zu ziehen, brach sie ihre Reise zur Selbstfindung auf und auf die Suche nach allem, was Geist und Herz erweitern würde. Und ihr Herz trug sie nach Etemons Äußerung weiter in den Norden, obwohl Digimon sie warnten. Furchtbare Dinge geschahen in diesem Teil Servers. Es lebten gefährliche Digimon dort und ihr Herrscher war blutrünstig und grausam, vielleicht sogar noch grausamer wie die Meister der Dunkelheit. Doch so wenig Angst Sanzomon vor dem Unbekannten hegte ging sie dennoch los ins Ungewisse. Nach ein paar Tagen des Wanderns stand sie dann vor diesem Wald, der, so erzählte man ihr die Grenze aufzeigte zu den Territorium dieser Grausamkeiten. Obwohl Pflanzen bekanntlich, auch digitale ihren Kopf immer Richtung Sonne reckten, so schienen diese hier sich so sehr vor dem Licht zu fürchten, dass sie sich krümmten und zu Spiralen drehten. Es war Sommer, doch die Luft im Wald stand nicht nur, sie war kalt, als stünde der Wintereinbruch bevor. Es roch nass und erdig. Die Blätter wirkten gelblich und von irgendwo hörte sie einen Bach plätschern. Und dazwischen hörte sie schließlich DemiDevimons Schreie. Er wurde von Devidramon eingekesselt und wäre als Abendessen geendet, wäre Sanzomon nicht gekommen. Die Devidramon ergriffen sofort die Flucht, was Sanzomon nicht sehr wunderte. Sie war ein heiliges Digimon, natürlich suchten sie sofort das Weite. „Und bitte, sag nur Sanzomon zu mir“, sagte Sanzomon und betontes es laut, da DemiDevimon nicht den Anschein erweckte als höre er zu, so sehr war er damit beschäftigt sich ausgiebig zu bedanken, so ausgiebig, dass es Sanzomon peinlich wurde. DemiDevimon rieb sich mit seinen schwarzen Flügeln die Tränen aus den Augen. „Entschuldigt, Sanzomon. Ich habe nur selten ein Digimon getroffen, dass so nett zu mir war. Die meisten Digimon vertrauen mir aufgrund meines Typus nicht. Dabei will ich doch nur Hilfe. Ich bin das schwächste Digimon, dass meinem Meister dient und er gibt mir immer sehr viele und schwierige Aufgaben, weil ich nur so stärker werden würde. Und wenn ich versage, wird er sehr böse“, wimmerte DemiDevimon ungehalten und mitfühlend tätschelte sie den Kopf des Rookie-Digimon. „Man wächst und wird stärker durch Erfahrung und dazu gehört auch manchmal etwas nicht ganz so gut zu machen oder zu versagen. Dein Meister ist ein schlechter Meister, wenn er nicht anerkennt, dass du dir große Mühe gibst.“ „Pscht, nicht so laut“, ermahnte DemiDevimon sie und hielt sich dabei die Flügel vor seinen Mund. „Sonst hört mein Meister Euch.“ „Ich habe keine Angst davor mich für meine Überzeugungen einzusetzen, insbesondere, wenn andere leiden müssen.“ „Ihr seid so gütig und klug. Doch bitte ich Euch zur Vorsicht. Mein Meister ist streng, aber legt wert auf Etikette und Intelligenz. Ich bin sicher, er wird erfreut sein Euch kennenzulernen.“ „Mich?“, wiederholte Sanzomon ungläubig. „Du hast vor mich deinem Meister vorzustellen?“ „Aber sicher doch. Bestimmt möchte er dem Digimon, dass seinen Diener geholfen hat persönlich danken. Außerdem -“, beschämt landete DemiDevimon auf seinem Stein und kauerte seine Flügel um seinen rundlichen Körper, „ - bin ich überzeugt, dass er dann weniger streng mit mir sein wird. Mein Meister bekommt wenig Besuch. Bestimmt ist er auf eine Bekanntschaft mit gleichleveligen Digimon nicht abgeneigt. Ich war doch richtig der Annahme, dass Ihr auch ein Ultra-Digimon seid?“ „Ja, bin ich“, bestätigte Sanzomon, doch statt auf DemiDevimon zu achten betrachte Sanzomon den Weg, der vor ihr lag und eigentlich hatte sie nur vor DemiDevimon nur so lange zu begleiten, bis sein zu Hause in Sichtweite war. Der Pass um die vom Nebel umhüllten Bergreihen war lang und recht steil, aber sie konnte das Schloss von ihrem Standpunkt aus sehen. Eine unheimliche Aura schien den gesamten Berg in seiner Gewalt zu halten. Man fühlte sich beobachtet und die Paranoia verleitete dazu, dass man plötzlich Dinge im Nebel sah, die nicht da waren. Vielleicht eine Warnung des Schlossherren, oder der eigenen Instinkte. Doch es vertrieb Sanzomon nicht, vielmehr zog es sie weiter an. Nicht der Wunsch ein Digimon kennenzulernen, dass auf dem gleichen Level wie sie war (Ultra-Digimon waren selten geworden, sie waren mit dem Leid gestraft direkt in Kämpfe gegen die Meister der Dunkelheit verwickelt zu werden und, wenn sie nicht folgten, zu sterben), aber der Wunsch zu wissen was dort lauerte verlieh ihr die Motivation und die Kraft den Pass weiter zu laufen, unabhängig der Tatsache, dass DemiDevimons Meister laut dessen Beschreibung ein unsympathischer Zeitgenosse sein musste. Was dort oben lauerte? Eine Präsenz wie diese hatte Sanzomon bisher nie gespürt. Mit dämonischen Digimon war sie vertraut und sie vermutete, dass dies auch das Werk eines solchen war, aber dort wo Dämonen-Digimon lauerten war es stickig, elektrisierend und heiß. Doch hier war es einfach nur kalt. Merkwürdig. „Also, was sagt Ihr? Ich kann meinen Meister bitten, dass Ihr etwas bei uns bleiben könnten, damit Ihr Euch erholt. Wenn Ihr wirklich schon so viel gewandert seid, müsst Ihr sicher erschöpft sein. Bitte. Ich möchte mich so sehr bei Euch für die Rettung bedanken“, bettelte DemiDevimon weiter, während Sanzomon immer noch zum Schloss hochschaute. Allmählich überkam sie das Gefühl dieser Nebel war kein gewöhnlicher und er schien sehnsüchtig zu warten, dass sie näher kam. Es hatte etwas vorsintflutliches an sich und Sanzomon hörte bereits die mahnenden Rufe derer Digimon, bei denen sie einst aufwuchs, dass sie bloß keinen Schritt weiter bergauf gehen sollte. Vor Unbekannten und Unheimlichen machte man besser einen großen Bogen, ansonsten könnte es übel, gar tödlich enden. Doch Sanzomon hatte sich aus diesen Worten und Weisheiten nie viel gemacht und auch nie auf sie gehört. Und das, was immer hier auch zu lauern schien verkörperte so einiges, was Sanzomons Neugierde, ihre herausragendste Eigenschaft nährte. „Ich nehme deine Einladung dankend an. Ich werde auch deinen Meister bitten, dass er nicht so streng mit dir sein soll.“ „Oh habt Dank, habt vielen Dank“, jubelte DemiDevimon und erhob sich wieder in die Lüfte. „Ich wusste, ihr seid großzügig. Nun kommt schon, kommt schon.“ DemiDevimon flog voraus und mit gemischten Gefühlen folgte Sanzomon ihm weiter über den Pass.   * * * *   Was vom Fuß der Berge und auf etwa der Hälfte des Weges als eher schlicht erschien, stellte sich beim näheren Betrachten für Sanzomon noch eine Spur interessanter heraus. Die Bauart des Schlosses war durchaus schlicht, aber stellte sich zudem als überaus verworren heraus. Die Steine waren dunkelgrau und die Fenster klein, hell schien es im Inneren also nicht besonders zu sein. Das Schloss bestand aus mehreren Blöcken, die sich über die Spitze dieses Berges erstreckten und mit Brücken und Türmen miteinander verbunden waren. Es wirkte teilweise etwas abstrakt und Sanzomon musste sich doch fragen, was der Erbauer sich dabei dachte. Hier im Innenhof des größten Gebäudekomplexes spürte Sanzomon die dunkle Präsenz ganz deutlich. Sie war im Zentrum dieser Macht, die ein außerordentliches negatives Karma mit sich zog. Teilweise überkamen sie kalte Schauer und das Gefühl, als wäre sie durch etwas hindurch gelaufen, was nur logisch wäre, denn das Erste, was Sanzomon sah waren Bakemon. Sehr viele Bakemon und auch Soulmon. Und doch glaubte Sanzomon das noch etwas hier wäre. Etwas, was nicht zu diesem Ort passte und von dieser dunklen Aura unterdrückt und begraben wurde. Waren darum so viele Geist-Digimon hier? Ein Bakemon kam aufgeregt auf DemiDevimon zugeflogen und seiner Reaktion und damit, wie es DemiDevimon tadelte ließ sich schließen, dass man bereits nach ihm suchte. Relativ schnell auch bemerkte das Geist-Digimon, was für ein Digimon mit DemiDevimon hierher gekommen war. Nach und nach wurde Sanzomon immer mehr zum Objekt der Aufmerksamkeit und da sie nie besonders gerne im Mittelpunkt stand, wurde ihr das sofort unangenehm. Die Bakemon trollten sich zu kleinen Grüppchen zusammen, während sie Sanzomon nur aus der Ferne beobachteten. Bei ihrem Versuch einer Dreiergruppe freundlich zuzunicken vergrößerten diese ihren Abstand nur. Sanzomon nahm es ihnen nicht übel. Digimon wie diese hatten selbstredend Angst vor einem Digimon wie ihr. „Bis du komplett bescheuert? Erst verschwindest du und dann schleppst du so ein Digimon hierher?“ „Es tut mir Leid, es tut mir Leid!“, winselte DemiDevimon und schlug seine Flügel über seinem Kopf zusammen. Ein Phantomon schwebte wütend vor ihm. Da Phantomon Ultra-Digimon waren und meist die Anführer der Geist-Digimon, dachte Sanzomon für einen Moment ,dass dies DemiDevimons Meister sein könnte, doch stellte sie fest dass diese Aura, die in Form des Nebels über den Boden kroch und den Himmel über ihr mit dicken, schwarzen Wolken bis zum Randes dieses dubiosen Waldes überzog nicht zu diesem passte. Geist-Digimon waren jedoch Digimon, die den Kontakt mit anderen Digimon-Arten mieden und Phantomon waren keine Digimon, die sich einfach irgendwelchen Digimon verschrieben, selbst wenn diese deutlich stärker waren. Was für ein Digimon hier also der Herr des Schlosses sein sollte und dem selbst ein Phantomon diente erschloss sich Sanzomon nicht. Die einzigen Digimon, die ihr einfallen würden gab es schon lange nicht mehr und kannte Sanzomon nur aus Gruselmärchen am Lagerfeuer von vor langer, langer Zeit. „Ich wurde bei einem Botengang für den Meister angegriffen und sie hat mich gerettet“, erklärte DemiDevimon wehleidig. „Tse, wärst du nicht so ekelhaft schwach hättest du solche Probleme nicht. Ich habe dir Training angeboten, aber du bist ja nie aufgekreuzt.“ „Training? Herumkommandiert hast du mich, dabei bist du nicht einmal mein Meister.“ „Aber dein General.“ „Und ich bin die rechte Hand des Meisters, also muss ich nichts von dem tun, was du sagst!“ „Rechte Hand? In deinen Träumen vielleicht“, lachte Phantomon, heimlich lachten auch ein paar der Bakemon und Soulmon mit. Das reizte DemiDevimon so sehr, dass sich sein dunkelblaues Fell die auch die Federn an Brust und Bauch aufplusterte und er sich in die Luft erhob. Für einen Moment schwebte er über Phantomon, aber ein kurzer Blickkontakt genügte um DemiDevimon wieder daran zu erinnern, wo er überhaupt stand und er verlor an Höhe. Von einem der Dächer sprang ein weiteres Digimon hinunter, dass zwar genauso weiß wie die Bakemon war, aber gewiss keines von ihnen. Das Digimon landete auf DemiDevimons Kopf und warf ihn damit direkt zu Boden während es selbst ohne weiteres auf seinen Füßen landete und zwischen Phantomon und Sanzomon stand. Dieses Digimon blinzelte mit den großen, blauen Augen und da es so ansteckend war, blinzelte auch Sanzomon. Sie war überrascht. Ein Gatomon hätte sie hier nicht erwartet. „Was sollte das jetzt?“, schimpfte DemiDevimon erbost, woraufhin Gatomon nur entgegnete mit einer sehr femininen Stimme: „Ich wollte dich nur auf den Boden der Tatsachen zurückbringen.“ „Ging das nicht auch freundlicher?“, schimpfte er, doch Gatomon ignorierte ihn und betrachtete stattdessen schweigend und misstrauisch Sanzomon. „Also hatte der Meister Recht. Er hat gespürt, dass ein heiliges Digimon hier ist. War ja klar, dass du so etwas anschleppst.“ „Sie hat mir geholfen, ja?! Ich wollte mich nur bei ihr dafür revanchieren. Ist doch so, oder, Sanzomon?“ „Ähm... ja“, antwortete Sanzomon zurückhaltend, dann verbeugte sie sich leicht. „Ich bin auf Reisen und kam zufällig hierher. DemiDevimon bat um eine Gegenleistung für die Rettung vor einer Gruppe Devidramon. Er tat dies aus freien Stücken. Ich möchte nichts und brauche auch nichts. Wenn Euer Meister es mir doch erlauben könnte mich eine Nacht auszuruhen, ehe ich weiterziehe wäre ich sehr dankbar.“ „Also, was sagt ihr?“, fragte DemiDevimon aufgeregt und schaute zwischen Gatomon und Phantomon hin und her. Beide schienen im Gegensatz zu DemiDevimon eher skeptisch gegenüber ihrem Gast zu sein. Insbesondere Gatomon beäugte Sanzomon so intensiv, von den nackten Füßen bis hin zur Spitze ihrer Buddahkrone, als versuchte sie selbst die tiefsten Daten in ihrem Digikern zu entschlüsseln. Phantomon hob schließlich sein Haupt, sah aber dabei nirgendwo hin. Vielmehr schien er etwas gehört zu haben, das aber weder DemiDevimon noch Gatomon nachzuvollziehen schienen. Auch die Gruppen der ebenso misstrauischen Bakemon und Soulmon lösten sich auf und während eine handvoll noch im Innenhof blieb, verschwanden der größte Teil von ihnen wieder ins Inneres des Schlosses. „Der Meister ist einverstanden“, sagte Phantomon, worauf Sanzomon erst nicht reagierte, da sie sich eher fragte, wohin die Geist-Digimon verschwanden. „Ist er?“, fragte sie zurückhaltend. „Habt ihr ihn fragen können?“ „Er hat es uns mitgeteilt. Uns Geistern zumindest“, erklärte Phantomon weiter, doch Sanzomon war sich nicht sicher, ob sie wirklich verstand, was dieser ihr sagen wollte. Besaß er besondere Fähigkeiten und Kenntnisse über Magie? „Wir werden ein Zimmer für Euch herrichten und zu Essen vorbereiten. Aber vorher möchte der Meister Euch noch persönlich kennenlernen.“ „Danke, aber ich bin nicht hungrig“, erklärte Sanzomon, aber Phantomon ging nicht mehr darauf ein, sondern widmete sich Gatomon zu. „Du bringst sie zum Meister?“ „Selbstverständlich.“ „Hey, warum darf sie das erledigen und ich nicht?“, protestierte DemiDevimon trotzig und plusterte sein Fell wieder auf, bis Phantomon bestimmend den Kopf unter der scharlachroten Kapuze wie auch die Brust unter der grauen Kutte anhob. „Weil der Meister dich vorher unter vier Augen sprechen will.“ „O weia...“ Von DemiDevimons Temperament war nun nichts mehr zu sehen. Der Mut verließ ihn gänzlich, so wie DemiDevimon den Hof verließ und durch eines der kleinen Fenster der höheren Stockwerke hineinflog. Sanzomon rief ihm hinterher, aber er hörte sie nicht mehr. „Vergesst ihn“, sagte Gatomon fast monoton. „Er ist nicht so unscheinbar und arglos wie er sich gibt.“ „Es klingt jedoch, als bekäme er oft Ärger mit Eurem Herrn.“ „Nicht ohne Grund, seid Euch sicher.“ Ehe Sanzomon mit einer weiteren Frage darauf eingehen konnte, kehrte Gatomon ihr bereits den Rücken und lief zu einem der Tore, das sich ihr auch schon öffnete. Es war finster und würde Sanzomon nicht die schwachen Konturen von Treppenstufen erkennen, würde sie glauben das Tier-Digimon liefe geradewegs ins Nichts. Sie folgte Gatomon, wenn auch angespannt. Sie fühlte sich beobachtet, sie glaubte sogar in den Steinen der Mauer etwas zu sehen oder in den Schatten der Fenster Gestalten zu erkennen. Aber Sanzomon redete sich ein, dass sie sich das nur einbildete. Der Nebel, vielleicht auch die dünne Luft spielten ihr Streiche. „Kommt schon“, befahl Gatomon herrisch und lief weiter, ohne nach Sanzomon zu sehen und obwohl es zu keinem Augenkontakt kam nickte sie ihr zu. Gatomon führte sie Treppen hinauf, durch eine Galerie, von der sie aus einen großzügigen Blick auf den Pass werfen konnte und in den Hof. Es hingen zwar Bilder hier mit durchaus pompösen Rahmen, aber die Farben waren verbleicht. Man hatte sich nicht gut um sie gekümmert. Sie waren nicht nur verblichen, dass Bild selbst war beinah schwarz, aber schwache Farbkleckse und Reste von Konturen ließen Sanzomon erraten, was dies für Bilder waren. Bilder mit humanoiden Gestalten, die schrien, die gefoltert wurden, in einer Welt des unbeschreiblichen Grauens, von Monstern gejagt und Opfer irgendwelcher Perversionen. Sie versuchte weiter etwas in den Bildern zu erkennen. Sanzomon wusste nicht was sie abstoßender fand, dass jemand so etwas zeichnete oder dass ein Digimon das freiwillig aufhing, so faszinierend diese Kunst auch war. In den unteren Ecken der Gemälde stand ganz klein der Name, aber mehr wie B O S C H konnte Sanzomon nicht entziffern. „Trödelt nicht“, rief Gatomon zurück und Sanzomon nahm noch einmal einen Gang zu, um das Katzen-Digimon nicht zu verlieren. Die Galerie lag hinter ihnen und Sanzomon war umgeben von Türen mit dicken Vorhängeschlössern oder welchen, die nicht einmal Klinken besaßen. Nur Fackeln erleuchteten die Korridore, doch sie hingen falsch herum, die Flamme mit ihnen. „In diesem Schloss verläuft man sich schnell. Solltet ihr falsch abbiegen kann es passieren, dass Ihr nicht mehr herausfindet“, erklärte Gatomon und schaute seit langem wieder ihrem Gast ins Gesicht. Diese aber schien von dieser Warnung zwar überrascht, aber nicht verängstigt oder dergleichen, was Gatomon eher erwartet hätte. „Wo lande ich dann?“, fragte Sanzomon wenig eingeschüchtert, schon gar nicht besorgt, vielmehr verspielt. „Das weiß ich nicht.“ „Hat bisher niemand versucht diese Geheimnisse zu lüften? Euer Meister weiß doch sicher, was hier verborgen liegt.“ „Selbst wenn, würde er uns das nicht sagen“, erklärte Gatomon weiter. Sanzomon hingegen, trotz der harschen Worte schien gar nicht mehr an die Gefahren zu denken, sondern tatsächlich eher als versuchte sie sich vorzustellen, was es hier für Geheimnisse geben könnte. Gatomon glaubte sogar, das Mönch-Digimon schaute, während sie sie weiter durch die Gänge und eine Wendeltreppe nach oben führte, ob in irgendeiner dunklen Ecke oder einem Winkel etwas Verdächtiges sein könnte. Gatomon beobachtete über die Schultern Sanzomon und wie ihre Augen plötzlich strahlten. Kein Hinweis auf die Unsicherheit zuvor oder ihrer ruhigen Art. Ihre Lippen formten einem schmalen Strich und ihre Ohren ließ sie hängen. Dann traf Sanzomon auf ihren verstimmten Blick, lächelte aber zurück. Ihr rotes Halstuch verbarg ihren Mund und ihre Nasenspitze, aber ihr Lächeln ließ sich doch erahnen. „Was lacht Ihr jetzt?“ „Nur so. Du hast etwas an dir. Ich weiß nur nicht so genau was es ist“, erklärte Sanzomon. Ihre Stimme war ruhig und weich. „Deine Augen sind so klar. Etwas dergleichen findet man selten. Und doch wirken sie verloren...“ „Lasst das gefälligst!“, brüllte Gatomon schließlich und blieb stehen. Nun fingen ihre Lippen zu zittern an. Ihr Schrei hallte im Korridor, der zwar schmale Fenster besaß und doch kein Licht durchließen. Sanzomon blieb stehen, nicht schockiert, nur weiter ruhig. „Bist du ein Salamon zuvor gewesen?“, fragte Sanzomon, als hatte es Gatomons Gefühlsausbruch gar nicht gegeben oder sie hätte ihn nicht bemerkt. Verwirrt antwortete Gatomon vorsichtig: „Ja. War ich. Ist das wichtig?“ „Mir gefällt nur dieser Zufall. Ich bin unter Salamon groß geworden. Aber die meisten von ihnen digitieren zu D'arcmon, so wie ich auch, statt zu Gatomon. Vielleicht liegt dies an unserer Umwelt oder unserer Sozialisierung. Heilige Digimon sind in meiner Heimat hoch angesehen und beschützen die Dörfer vor den Virus-Truppen.“ „Dann seid Ihr auch ein Salamon, wenn Ihr zuvor auch ein D'arcmon wurdet gewesen?“, harkte Gatomon nach. Von ihrem Zorn war keine Spur mehr, stattdessen beobachtete sie Sanzomon mit großen Augen weiter, die aber ihren Kopf schüttelte. „Nein. Ich war mal ein Tinkermon. Aber weil in meiner Heimat nur Puttimon und Cupimon zur Welt kommen, bin ich mit sehr vielen Salamon und Patamon groß geworden. Man bringt uns bei artig und gewissenhaft zu sein, damit wir alle zu heiligen und Engel-Digimon werden. Aber ich habe gemerkt, dass dieser Weg nicht der war, den ich einschlagen wollte. Mich zog es nie in den Kampf“, erklärte sie und blickte aus dem Fenster, auch wenn sie nichts weiter wie Nebel sah. Ein wenig erinnerte es Sanzomon schließlich doch an ihre alte Heimat, die sie jedoch nicht vermisste. Ein Wald aus weißem Holz und rotgoldenen Blättern, der Nebel wie ein Teppich auf dem Gras und dazwischen tollten die Digimon herum, doch wissend, dass jeder Zeit die Truppen der Dunkelheit kommen würden. Die der Meister der Dunkelheit um genau zu sein, die Jagd nach heiligen Digimon machten, ehe sie zu stark und eine Bedrohung wurden. Das zumindest hatte man ihnen immer wieder eingebläut. Um so wichtiger war es sich an biedere Regeln zu halten. Und das Regeln nicht gleich mit Ordnung waren lernte Sanzomon früh. „Was ist mit dir? Ich kenne nicht viele Gatomon, aber ist dieser Lebensstil für deinesgleichen nicht auch ungewöhnlich?“ „Kann sein“, antwortete Gatomon nachdenklich und starrte auf den Steinboden. „Ich weiß es nicht. Ich habe nie Artgenossen getroffen. Ich lebe schon lange hier.“ „Oh. Dann... sind wir uns wohl etwas ähnlich. Ich habe auch lange nicht gewusst, wohin ich muss oder wohin ich soll. Ich sehe deine Augen und sehe mein Spiegelbild vor mir. Es hat sehr lang gedauert bis ich wusste, welchen Weg ich einschlagen würde. Welchen möchtest du einschlagen?“ „Was geht Euch das an? Ich bin bestimmt nicht wie Ihr.“ Gatomons große Augen wurden nicht nur klein, auch ihre runden und ebenso großen Pupillen wurden zu Schlitzen. Sie fuhr ihre Krallen weiter heraus und durch den starken Kontrast zwischen ihrem weißen Fell und der dunklen Umgebung erkannte Sanzomon jedes einzelne ihrer Haare, dass sich aufstellte. Was immer Gatomon schreien wollte, sie entschied sich es runterzuschlucken und ging erst weiter, ignorierend, dass Sanzomon ihr nicht folgte. „Aber du gestehst solche Gedanken zu haben? Ansonsten könntest du es auch einfach verneinen.“ „Könnt Ihr jetzt gefälligst damit -“ Doch als Gatomon sich umdrehte war Sanzomon nicht mehr da. Dafür stand eine der Türen zu ihrer rechten offen und das Tier-Digimon schluckte schwer, da sie genau wusste welcher Raum das war hinter dieser hölzernen Doppeltür, auch wenn alles gleich aussah. Es war die Bibliothek ihres Meisters. Es gab zwar mehrere Räume, die bis unter die Decke mit Büchern gestapelt waren, aber dieser Raum war der Größte und der Liebste ihres Meisters und Gatomon hielt den Atem an, als sie Sanzomon dabei zusah, wie sie durch den Raum und die Regale entlang lief, sich die Bücher ansah und die Titel las. „Was macht Ihr da?“, zischte Gatomon hinüber, blieb aber vor der Türe stehen. Sie traute sich nicht ohne die Erlaubnis ihres Meister dort hinein. Sanzomon spazierte weiter umher, die Hände waren hinter ihrem Rücken verschränkt, während die ihren Kopf in den Nacken legte, um so die Bücher weiter oben in den Regalen anschauen zu können. „Ich bin fasziniert von Büchern. Es ist lange her, dass ich so eine Sammlung gesehen habe.“, sagte sie deutlich beeindruckt. „Ja. Der Meister mag Bücher und sammelt sie. Es gibt noch mehr Räume, aber das ist das Größte.“ „Kann ich nicht hier auf ihn warten? Ich fasse auch keines der Bücher an. Aber mich interessiert, was für eine Lektüre dein Meister bevorzugt.“ Gatomon bemühte sich ihr Gesicht nicht unnötig zu verzerren, aber Sanzomon sah ihr an, dass allein bei der Vorstellung es ihr regelrecht schlecht wurde. War ihr Meister so penibel? Oder gar cholerisch? Sanzomon konnte es schwer sagen, so sehr bemühte Gatomon sich ihr Pokerface aufrecht zu erhalten. Um so überraschender für Sanzomon war es schließlich, als Gatomon nach langem, regungslosen Starren und unterdrückter Übelkeit einverstanden war. „Na schön. Ich sage ihm Bescheid“, nickte sie zustimmend ab, aber misstrauisch wie sie zu sein schien verließ sie nur rückwärts und langsam den Raum und hielt solange wie möglich Sanzomon im Blick, bis das Katzen-Digimon hinter dem Türrahmen schwand und Sanzomon nur noch das Echo ihrer schnellen Schritte hörte. So viel Skepsis machte Sanzomon sonst eher traurig, aber sie konnte es Gatomon nicht übel nehmen. Sie fand es sogar irgendwie süß. Dieses Digimon hatte eine besondere Ausstrahlung trotz ihrer Kratzbürstigkeit. Schmunzelnd flog ihr Blick durch die Reihen und blieben an diversen Büchern hängen. Keine Bücher, die Digimon schrieben, sonst wären die Namen der Autoren andere. Merkwürdige Namen, aber es mussten bekannte Namen sein, wenn es so viele Bücher und Daten von ihnen gab, dass die Digiwelt sogar gewillt schien ihnen eine Form zu geben, dass selbst Digimon wie sie darin lesen konnten. So oder so ähnlich erklärte man es ihr einst, doch ganz begreifen tat sie es nicht. Die Bücher wirkten alt. Es roch stark nach alten Papier, die Lettern auf den Buchrücken blätterten schon ab, dass man Angst bekam sie auch nur zu berühren, ansonsten könnten sie noch in sich zusammenfallen und das wäre schade um jedes einzelne Wort, dass in ihnen verewigt war. Doch vertraut waren Sanzomon Grün, Hegel, Kant oder Konfuzius. Dubiose Begriffe. Aber ihr nicht unbekannt. Ihre Bedeutung? Die wusste sie nicht. (Namen Tinkermon Namen aber keine Name unserer Welt oder unseres Begreifens du liest sie und du denkst dabei nichts und sie wollen dass du nicht darüber nachdenkst darum - ) Wie gerne hätte sie eines der Bücher aus den Regal gezogen und darin gelesen, wenn es nicht so schrecklich unhöflich wäre. So ging es ihr auch, als sie GLASPERLENSPIEL und FARM DER TIER-DIGIMON auf einem Einband las und fast schon verärgert presste sie die Lippen zusammen. Diese Bücher kannte sie, hatte es aber nie zu Ende gelesen. Die Digimon, die sich um die zukünftigen heiligen Soldaten kümmern sollten nahmen es ihr weg und weil Verstecken nicht half, zündete man es an, bis nichts als Asche und Datenreste von ihnen übrig blieben. Wie schrecklich. Wie absurd. Sie musste sich ablenken und sah sich im Raum um. Die Fenster waren komplett mit schweren Vorhängen zugezogen, Helligkeit gab es nur durch die Kerzenhalter an den Wänden und den Kamin, der vor sich hin loderte. Doch wirklich hell oder warm wurde es hier drinnen nicht und anstatt dass das Licht die Dunkelheit vertrieb, die den Raum trotz der vielen Lichtquellen dominierte, schien die Düsternis eben jenen orangeroten Schein zu verschlingen. Holzscheite lagen daneben, ordentlich aufeinander gereiht und Sanzomon warf einen davon in den loderten Kamin. Funken und Glut wirbelten auf und sie sah zu wie die Flammen an den Kanten des Holzscheites nagten, aber es wurde weder wärmer noch heller. Zwischen zwei tiefroten Sesseln stand ein runder Tisch. Ein Schachbrett war darauf zu sehen und einzig dafür schien es auch da zu sein, denn das weiß-schwarze Muster nahm fast die ganze Fläche ein. Die weißen und schwarzen Schachfiguren standen an ihren Plätzen, steif und nur ihre Schatten bewegten sich durch den Tanz der Flammen im Kamin. Ab und an hörte man ein Knistern, sonst nichts. Obwohl es schlichte Figuren waren, schienen sie sich zu drohen und ihr Gegenüber einzuschüchtern, aber ehrgeizig den König zu Fall zu bringen, egal welches Opfer es brachte. Die Partie hatte bereits begonnen. Ein weißer Bauer stand auf e4, der schwarze Bauer ihm genau gegenüber und sie stierten sich in ihre nicht vorhandenen Gesichter. Ohne einen besonderen Gedanken, mehr reflexartig schnappte sich Sanzomon einen der weißen Bauern und setzte ihn auf f4, direkt neben dem ersten. Und der schwarze Bauer, eben noch steif und leblos war bewegte sich von selbst von seiner Position fort, direkt zu dem Bauern den Sanzomon eben erst spielte. Der schwarze Bauer schob den weißen Bauern einfach zu Seite und Sanzomon sah dem mit weit aufgerissenen Augen zu. Als der Bauer zum stehen kam schaute sie erst auf den Sessel vor ihr und dann hektisch im Raum um. Beinah rutschte ihr die Krone vom Kopf. Sie sah niemand, aber doch war Sanzomon als spürte sie etwas. Hier war etwas in diesem Raum. Ihre goldenen Augen sahen wieder auf den Tisch mit dem Schachbrett hinab. Die Oberfläche glänzte vom Schein der Flammen. Ein letzter, wenn auch skeptischer Blick fiel auf den ihren gegenüberliegenden Sessel, dann jedoch entschloss sich Sanzomon direkt auf den neben ihr Platz zu nehmen. Noch einmal sah sie auf, dann galt ihre Aufmerksamkeit einzig dem Schachbrett vor ihr. Sie hatte schon lange ein Schach mehr gespielt. Sanzomon griff nach ihrem weißen Läufer und legte ihn auf c4. Ein typisches Läufergambit. Die schwarze Dame kam ihr gefährlich nahe und Sanzomon zwang sich dazu ihren König ein Feld nach rechts zu schieben. Ein schwarzer Bauer fuhr zu f5 und Sanzomon ergriff die Chance den Bauern gleich vom Feld zu nehmen. Ein leichtes Lächeln kam auf, blieb jedoch unter ihren roten Halstuch versteckt. Das ist praktisch mit dem Nichts spielte, dass irgendwie doch so präsent schien vergaß Sanzomon bereits. Nun war es ihr nicht mehr unheimlich, stattdessen genoss sie es nach so langer Zeit sich wieder auf dem Schachbrett duellieren zu können. Der schwarze Springer fuhr auf f6, Sanzomons weißer Springer auf f3. Die schwarze Dame rückte zu h6 und Sanzomon wunderte sich, warum sie nicht ein Feld weiter nach vorne ging. Nachdem sie ihren eigenen weißen Bauern auf d3 legte, wurde ihr klar warum. Der schwarze Springer stand nun auf h5, direkt vor der schwarzen Dame. Sanzomon setzte ihren eigenen weißen Springer direkt neben diesen. Schwarze Dame g5. Weißer Springer f5. Schwarzer Bauer c6. Weißer Bauer g4. Dann zog der schwarzer Springer zu f6 und Sanzomon kam in die missliche Lage, dass sowohl ihr Turm wie auch ihr Läufer sich in einer schlechten Position befanden. Die Bauern waren zu weit weg. Einen von beiden musste sie opfern. Also entschied sie sich ihren Turm ein Feld nach links zu schieben und sah zu wie ihr Läufer von einem schwarzen Bauern aus dem Spiel genommen wurde. Etwas verärgert, aber ohne einen Hauch von Missmut legte sie ihre Figur zur Seite und zog mit einem ihrer Bauern auf h4. Nach fünf weiteren Zügen, in denen unter anderen die schwarze Dame einmal fuhr und wieder einmal zurück bekam Sanzomon nun eine günstige Gelegenheit. Ihr Springer ging auf g4 und schmiss einen Bauern aus dem Spiel. Keine große Errungenschaft, aber sie waren somit wieder gleich auf, so schmerzlich das Opfer ihres Läufers jedoch war. Sie wollte den Bauern zur Seite legen, als ihr Springer sich auf das Feld begab, doch vor ihr erschien eine Hand, die Hand ihres Gegenspielers und wartete darauf, dass Sanzomon ihm seine so eben verlorenen Figur überreichte. Reflexartig tat Sanzomon dies auch, das war immerhin gutes Benehmen sie einem Gegenspieler zu geben, der auf einmal wie aus dem Nichts, gänzlich unbemerkt und lautlos erschienen war und die Hand, wessen Hand war da- Sanzomon glitt der Bauer aus ihren Fingern, doch die Schachfigur landete dennoch in die in einen grauen Handschuh gekleidete Hand. Noch geschockt wo diese plötzlich herkam – sie war doch alleine hier, die Tür war zu, sie hätte es hören müssen - wanderte ihr Blick den Arm hoch und dann sah sie das Gesicht ihres Gegenübers. Das Gesicht eines Digimon, dass so humanoid wie sie war, fast genauso blond und schlank, jedoch im Gegensatz zu ihr nicht nur maskulin, sondern auch so... bleich. Kalt. Sein Gesicht mit dem gräulichen Teint war kalt. Die blauen Augen waren kalt. Die violetten Lippen trotz des Lächelns waren kalt. Alles an ihm drückte Kälte aus. Sie erinnerte sich. Es waren so viele Fabeln in ihrer Heimat bekannt. Die meisten waren nicht besonders nett, geschweige denn harmlos, sondern machten Angst und waren nicht selten ziemlich brutal. Und eine von ihnen erzählte tatsächlich von Digimon wie diesem, weil Bücher, wo Digimon wie er auftauchten und böse waren und am Ende von den Heiligen besiegt wurden erlaubt waren. So einer wie er war dabei. Bei den Digi-Göttern, sogar mit Bildern. Und er sah aus wie die Digimon in diesem Büchern. Er war eines davon. Das war ein Myotismon vor ihr und als Sanzomon dies realisierte erinnerte sie sich an viele Nächte aus der Vergangenheit, in denen sie als einziges Tinkermon zwischen den ganzen Salamon und einzelnen Tapirmon und Patamon um das Lagerfeuer saß und sich die schaurigen Geschichten solcher Digimon anhörte. (vor langer langer Zeit lebten Myotismon in den düstersten Wäldern der Digiwelt sie kommen nur nachts heraus und verstecken sich in den Schatten und warten dort auf ihre Beute wenn sie ein Digimon erspähen locken sie es mit Freundlichkeit und List in ihrer Nähe doch sie wollen nicht dein Fleisch sie wollen Blut und sie beißen dir in den Hals und saugen die Daten aus dir heraus bis nichts mehr von dir übrig ist) Mit den Gesichtern ihrer einstigen Spielkameraden und den Sistermon vor sich, versank Sanzomon tiefer in den Sessel. Ihre Fingernägel kratzten über den Stoff der Armlehnen. Doch Myotismon grinste, ihre Furcht ignorierte er. „Ich bitte Euch um Entschuldigung. Ich habe Euch erschreckt. Doch Ihr schient so vertieft in dieses Spiel, darum wollte ich Euch nicht stören“, erklärte er sehr höflich. Seine Stimme war tief, aber nicht sehr rau und obwohl er sich sehr förmlich ausdrückte, barg sein Ton eine gewisse Arroganz. Sanzomon glaubte aus ihrem Inneren ein schweres Pochen zu hören. Der Druck ging bis zum Hals. „Wenn ich mich vorstellen darf. Ich bin -“ „Ich weiß, was für ein Digimon Ihr seid“, knurrte Sanzomon, aber sie sagte es nicht ruhig oder entspannt. Man hörte nur, wie sie versuchte so zu klingen, aber stattdessen wirkten ihre Worte genauso verkrampft wie ihr ganzer Körper. Ihre Fingerknöchel wurden weiß, vermutlich, so dachte sie, sogar so weiß wie ihr Gesicht in dem Augenblick. Myotismon stutzte für einen kleinen Moment , weil sie ihn einfach so unterbrach und dann grinste er weiter, als sei nichts gewesen. Nein. Vielmehr als amüsierter er sich über sie. Im Gegensatz zu ihr legte sich Myotismon entspannter in den Sessel, die Ellenbogen auf den Armlehnen und faltete die Hände ineinander. „Und weiter? Was wollt Ihr tun? Wenn Ihr wisst, wer und was ich bin, müsstet Ihr ja ahnen, was Euch blühen könnte. Wollt ihr kämpfen? Flüchten?“, fragte er. Sanzomon glaubte sogar zwischen den Silben ein Lachen gehört zu haben. Dass er sie auslachte verübelte sie ihn nicht wirklich. Er saß so gelassen ihr gegenüber und gleichzeitig mit erhobenen Haupt, während sie immer mehr in den Sessel versank und sich wünschte, sich könnte sich auflösen. Zeit, sie brauchte Zeit, Zeit zum Nachdenken, Zeit um sich zu überlegen, was sie tun sollte. Dieses Digimon schien so undurchsichtig. Normalerweise war Sanzomon geübt darin allein durch einen Blick in die Augen zu erkennen, was in einem Digimon vorging. Aber an Myotismon stieß sie an ihre Grenze. Dass er sich über sie lustig machte war ihr klar – doch was hatte er vor? Wollte er sie wirklich fressen, so wie sie das aus den Horrorgeschichten kannte? Hätte er dies aber dann nicht längst getan? Sie war immer noch ein heiliges Digimon und es gab nichts was Digimon wie Myotismon mehr fürchteten als heilige Macht. Es war ihr größter Schwachpunkt. Sie schnell loszuwerden wäre sicherer für ihn. Aber er saß da, vollkommen ruhig und spielte Schach mit ihr. Das Spiel - „Ich würde gerne die Partie beenden“, sagte Sanzomon schließlich und schluckte dabei noch den Kloß in ihrem Hals hinunter. Myotismons Schmunzeln blieb zwar und doch hob sich eine Augenbraue hinter seiner Maske, die Sanzomon von ihrer Form an Fledermäuse erinnerte. „Beenden?“ „Es ist sehr unhöflich, ein angefangenes Spiel abzubrechen.“ „Habt Ihr keine Angst?“, fragte er mit einem schelmischen Grinsen. Doch Sanzomon antwortete nicht. Sie war sich nicht sicher, ob sie Angst hatte. In erster Linie war sie überrumpelt und noch etwas baff davon, ein Digimon vor sich zu haben, von denen man ihr sonst nur erzählte, dass sie von den Gesegneten und Auserwählten längst verbannt oder vernichtet wurden und nur noch einfältige Baby-Digimon an diese Gruselmärchen glaubten. Myotismon gäbe es doch schon lange keine mehr - Wie sehr das stimmte sah Sanzomon ja in diesem Moment. Sie war sich nach langem Überlegungen immer noch nicht mit ihren Gefühlen einig, aber sie war sicher, dass es Angst nicht war. Also schüttelte Sanzomon den Kopf, was Myotismon lustig fand und nun zu lachen anfing. Ein doch unheimliches Lachen. „Ihr seid amüsant. Was seid Ihr? Ich sehe ein Digimon wie Euch zum ersten Mal“, forderte Myotismon auf, ohne sich zu bewegen und doch fuhr seine schwarze Dame zu f6, allein dadurch dass er seine Figur kurz ansah. Telekinese. Das würde einiges erklären. Doch kurz wunderte sie sich, dass er ein Digimon wie sie nicht zu kennen schien. Ob er wusste, dass sie ein heiliges Serum-Digimon war? Ob er es spürte, dass sie so eines war? „Nennt mich Sanzomon, mein Herr.“ „Bitte. Nicht so förmlich. Ihr seid immer noch ein Gast und mein aktueller Gegenspieler. Außerdem war es sehr zuvorkommend von Euch, dass Ihr meinen Boten gerettet habt.“ „Ihr müsst mir nicht danken. Es war selbstverständlich. Bitte, seid nicht zu streng zu ihm.“ Ohne sich von Myotismon abzuwenden nahm Sanzomon ihren Springer, setzte diesen auf c3 und zog fast zu schnell ihre Hand wieder zurück. Myotismon betrachtet kurz nachdenklich das Feld vor sich, doch bevor er seinen Zug machte, widmete er sich noch einmal Sanzomon. „Nicht selbstverständlich für die Digimon auf Server. Hier ist sich jeder selbst der Nächste. Dunkle, dämonische Digimon oder auch Untote-Digimon sind aufgrund der jüngsten Ereignisse, die mitunter die Meister der Dunkelheit zu verantworten haben nicht gern gesehen.“ Dann, ohne dass sich Myotismon rührte fuhr sein schwarzer Läufer zum Feld c5. „In meiner Heimat ist dies auch nicht selbstverständlich. Digimon, die sich dem Druck der Erwartung der Gruppe nicht beugen, werden ausgegrenzt. Um so mehr müssen Digimon wie ich beweisen, dass wir dennoch unseren Platz in dieser Welt haben. Ergeht es Euch und euren Bediensteten genauso?“ „Wir sind überwiegend Untote und Untote geben nichts auf gesellschaftliche Erwartungen. Wir sind für uns und meiden den Kontakt zu anderen Gruppierungen.“ Sanzomon schwieg vorerst und sah nachdenklich auf das Feld. Die Kacheln des Schachbrettes schimmerten gelblich durch das Feuer, die Schatten der Schachfiguren erweckte den Eindruck sie zitterten. Doch das Flackern tat Sanzomon in den Augen weh und sie fing an bunte Punkte zu sehen. Sie entschied sich mit ihrem Springer weiterzuziehen, doch ihre Hand blieb über ihren Figur schweben. Skeptisch hatte Sanzomon zu Myotismon aufgeschaut und stellte fest, dass er nicht hochkonzentriert das Spielfeld betrachtet und sich nebenbei ausrechnete, welche Möglichkeiten es für einen nächsten Zug gab, sondern dass er sie zu analysieren schien. Sie und jede einzelne ihrer Bewegungen. Und als Sanzomon ihm in die Augen sah, schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Wie in einer vollkommen anderen Welt. Es wirkte plötzlich so dunkel um sie herum. Sie sah weder den Karmin noch die bis zur Decke hohen Bücherregale. Myotismons alleinige Anwesenheit ließ einen regelrecht erfrierend. Langsam zog Sanzomon ihre Hand wieder zurück und legte sie mit ihrer anderen auf ihren Schoß ab. Schweigsam saß sie im Sessel, nicht mehr verkrampft oder verängstigt von dem plötzlichen Erscheinen des Schlossherrn, sondern ruhig, gefasst und ihren Springer fokussierend. Sie holte einmal tief Luft und atmete sie langsam wieder aus. Ihr Springer rückte erst nur wenige Millimeter nach vorne, dann zog er, wenn auch nicht fließend zum Feld d5. Die Dunkelheit um sie herum schien schließlich verschwunden. Die Atmosphäre eines vom Feuer aufgeheizten Raumes und dem Geruch von Papier kehrte wieder zurück. „Ja... Ich hörte Untote-Digimon seien sehr kompliziert“, sagte Sanzomon, aber mit einem etwas abwesenden Ton. Sie benutzte ihre Telekinese nicht oft, schon gar nicht für so etwas. Myotismon schaute sich kurz das Feld an, dann wieder das Mönch-Digimon ihm gegenüber und lachte. „Kompliziert? Das war aber eine sehr beschönigte Formulierung.“ „Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich bin schließlich nie welchen begegnet. Geschweige denn Euresgleichen. Und ich möchte frei von Vorurteilen oder voreiligen Schlüssen sein.“ „Ihr seid also nie Untoten-Digimon begegnet?“ Seine schwarze Dame rückte vor auf b2. Die Dame so tief im eigenem Spielraum zu wissen machte Sanzomon zugegeben nervös. „Nein. Bin ich nicht. In meiner Heimat gibt es keine untoten Digimon.“ „So? Von wo kommt Ihr denn?“ „Ich entstamme den östlichen Protokollwäldern von Web Continent.“ „Dann lag ich wirklich richtig, dass ihr nicht von Server stammt?“ „Was verriet mich? Meine Aussprache?“, fragte Sanzomon und sah hoch konzentriert auf das Feld. Ihre Lage war schlecht. Mehr wie schlecht. Zu viele Figuren lagen ungünstig oder zu viele von Myotismon standen auf einer Position, die ihren Weg behinderten. Noch einmal schaute sie kurz zu Myotismon auf und als ob sie sich schämte, dass ihre Lage so schlecht schien starrte sie wieder hinunter auf das Spielfeld. Ihr blieb nichts, wie etwas zu opfern. Und bei ihrer Überlegung, was sie opfern wollte wurde Sanzomon noch mehr bewusst, wie schlecht ihrer Lage war. Aber sie brauchte eine freie Bahn, ohne Angst haben zu müssen nach ihren Zug sofort eine Figur an der vorderen Front zu verlieren. Sie zog scharf Luft ein, doch weil ihr Halstuch ihren Mund verdeckte atmete sie nicht viel davon ein und ihre Muskeln spannten, als sie ihren Läufer auf d6 bewegte. „Eure Art. Man riecht es geradezu“, erzählte Myotismon weiter. Sie verkniff es sich ihn darum zu bitten, ihr zu erklären wie ein Digimon wie sie roch. Einer seiner Mundwinkel hob sich, als sein schwarzer Läufer ihr Opfer annahm und einen ihrer Türme, der auf g1, direkt neben ihrem König stand aus dem Spiel nahm. „Und was ist dies für eine so deutliche Art?“ „Nun, schwer zu sagen, wenn man einem Digimon wie Euch noch nie begegnet ist. Aber Eure ganze Präsenz wirkt nicht wie die eines Bewohners von Server.“ „Also wirke ich sonderbar?“, fragte Sanzomon und klang ungewollt leicht gekränkt. Ihr weißer Bauer fuhr nach e5 und Myotismon entgegnete diesem Zug mit leichter Skepsis. Er zögerte. Dennoch nahm er das weitere Opfer ebenso an, einzig mit dem Gedanken den weißen König bereits im Matt zu haben. Der weiße Turm auf a1 war aus dem Spiel. „Nicht sonderbar. Das klingt so abnorm und abwertend. Eure Ausstrahlung ist ungewohnt. Das macht Euch interessant.“ „I-interessant?“ Sanzomon stutzte, hob die Augenbrauen und blinzelte sogar einmal vor Überraschung. Schon beinahe vergessen, wie schlecht es um ihren König stand und noch bevor sie diesen nach vorne auf e2 schob, traute sich Sanzomon Myotismon nicht nur anzusehen, sondern ihm direkt in die Augen zu blicken. Es machte sie noch mehr nervös und ein leichter Schauer lief ihr über den Rücken. Gleichzeitig jedoch kribbelten auch ihre Fingerspitzen. „War das unangemessen Euch gegenüber? Ist man in Eurer Heimat solche Direktheit nicht gewohnt?“ „.. Ja. Kann man durchaus so sagen.“ Sie atmete auf . Der schwarze Springer nach a6 fuhr. Dieser Springer machte ihr Sorgen. Genauso wie die schwarze Dame. „Ich muss auch sagen, ich habe auf Server bisher nur harsche Worte zu hören bekommen. Von feindselig bis... anzüglich. Dagegen sind Eure geradezu schmeichelhaft. Die meisten Digimon jedoch scheinen keinerlei Interesse an mir zu haben.“ „Wie bedauerlich.“ „Nein, ganz im Gegenteil. Nicht beachtet zu werden ist mir lieber.“ Interessiert hob Myotismon beide Augenbrauen an, doch Sanzomon sprach nicht weiter. Sie tat, als bemerkte sie seine Reaktion nicht und nachdem sie nach langen Überlegen eine Lücke zwischen der Armee schwarzer Soldaten entdeckte, setzte sie ihren weißen Springer auf g7, tiefer ins gegnerische Feld. Es reichte nicht für ein Matt, dennoch entschied Myotismon sich dafür seinen König auf d8 zu bewegen. Trotz des Zuges standen Sanzomons Chancen gut, wie sie feststellte, doch die Verteidigung der schwarzen Figuren war besser. Dame und Springer versperrten ihr alles. Jeder Zug bedeutete eine Figur zu verlieren und eigentlich konnte sich sich genau das nach solchen wichtigen Verlusten nicht mehr leisten. „Schade dies von Euch zu hören. Sind heilige Digimon wie Ihr nicht sonst so begehrt?“ „Ich identifiziere mich nicht dadurch. Ich glaube daran, dass ein Digimon weit mehr ist als ein Teil einer Art. Es erfordert nur etwas Beobachtungsgabe, Geduld und... Wissensdrang.“ Statt ihre Figur wieder mit Telekinese zu bewegen, griff Sanzomon mit ihren schmalen Fingern nach ihrer weißen Dame und setzte sie auf f6. Myotismons Augen weiteten sich, sah auf die Dame, die ihm praktisch auf dem Silbertablett serviert wurde, sah noch einmal prüfend in Sanzomons Gesicht, dann wieder zur Dame und zu seinen eigenen Figuren. Es war zu offensichtlich – aber dennoch nahm Myotismon mit seinem Springer die weiße Dame aus dem Spiel. Kaum dass die Figur der Dame, die nach ihrem Rauswurf durch den Springer umgefallen und an den Rand des Tisches rollte, ehe sie wie durch Geisterhand wieder aufstand, griff Sanzomon nach ihrem Läufer und setzte ihn auf e7. Als Sanzomon ihre Figur losließ versank sie wieder in ihrem Sessel. Myotismon hingegen, der zwar nun in der schlechteren Lage stand wirkte weiter absolut gelassen. Sein Kinn lag auf seinen gefalteten Händen. Er war ruhig, sein Gesicht verzog sich keinen Millimeter. Nur seine raschen Augenbewegungen verrieten, dass er ins Grübeln geriet. Und nun, da Sanzomon die Zeit kurz nutzte um sich dieses untote Digimon genau anzusehen, kam sie zum Schluss, dass er sich eigentlich gar nicht verhielt, wie man es ihr von klein auf erzählte. Die Erkenntnis überraschte sie eigentlich nicht, aber doch war sie verblüfft darüber. Seine Haltung, seine Gestik, wie er sprach betonten seinen eher doch ruhigen Charakter. Natürlich schloss Sanzomon nicht gänzlich aus, dass er schauspielerte, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass eine blutrünstige Bestie so spielend leicht einen eloquenten Adligen mimen konnte. Und wenn doch? Oder schloss sich beides wirklich aus? Gerade als sich Sanzomon wünschte, dass er ihr in die Augen sah, damit sie dies eher prüfen konnte, schloss Myotismon diese kurz, lehnte sich zurück und sagte, fast emotionslos: „Ihr gewinnt, Verehrteste.“ „Was?“, ächzte sie überrascht auf. „Das Spiel ist vorbei. Mein König steht im Matt.“ Ungläubig betrachtete Sanzomon das weiß-schwarze Spielbrett und die restlichen Figuren, die darauf standen. Der König ihres Gegners war umringt von so vielen schwarzen Figuren und im feindlichen Raum standen lediglich ihr Springer und ihr Läufer. Aber es stimmte. Der König war schachmatt und Sanzomon konnte sich nicht erinnern, dass ihre Chancen – insbesondere nachdem sie nicht einmal mehr einen Turm hatte – doch gut genug standen, dass sie gewinnen könnte. Die letzten vergangenen Züge hatte sie sich gar nicht so wirklich auf das Spiel konzentriert und selbst wenn es ewig weitergegangen wäre, hätte sie es nicht realisiert. Als Myotismon sie anlächelte, finster und alles andere als vertrauenerweckend wusste sie auch wieder, was sie so abgelenkt hatte und dass sie sich immer noch fühlte, als sei sie in einer dunklen Box hier mit ihm eingesperrt. „Ihr spielt sehr risikofreudig. Ich wunderte mich schon, warum ihr Eure Türme einfach so aufgabt.“ „Habt Ihr mich etwa gewinnen lassen, weil ich Euer Gast bin?“, fragte Sanzomon und machte sich dabei nicht die Mühe ihre Entrüstung zurückzuhalten. „Ganz gewiss nicht. In einem Kampf ist Rücksicht fehl am Platz. Ich wollte einfach nur sehen, was Euer nächster Zug nach so einem riskanten Opfer gewesen wäre. Außerdem pflege ich stets die Mentalität, Truppen zu minimieren. Der König im Schach ist nutzlos. Er ist lediglich der Kopf, seine Armee sein verlängerter Arm.“ „Ihr habt Erfahrung mit... Schach?“ Dass Sanzomon nicht von Schach sprach offenbarte ihre Betonung und da Myotismons Lächeln auch nicht verschwand, schloss sie daraus, dass er genau verstand, von was sie sprach und was sie wissen wollte. Zu ihrer Enttäuschung jedoch gab ihr das Vampir-Digimon keine Antwort. Stattdessen erhob er sich aus seinem Sessel und lief langsam auf Sanzomon zu, die jedoch weiter versteinert sitzen blieb. Er war nicht muskelbepackt oder stämmig wie andere Digimon seines Levels. Aber er war groß und als würde so, wie er zu ihr hinabblickte nicht schon eine gewisse Arroganz mit sich bringen, verstärkte seine Körperhöhe den Unterschied zu Sanzomons eher ruhigeren Art nur. „Habt Ihr Angst?“ Stumm, aber ihm direkt ins Gesicht schauend schüttelte Sanzomon ihren Kopf und mit ihm bewegten sich ihre blonden Strähnen. Sie versank auch nicht mehr im Sessel, sondern saß mehr oder weniger aufrecht. Doch ihre krampften Finger und ihr Brustkorb, der sich zwar langsam, aber deutlich hob verriet ihre Nervosität. „Aber Ihr traut mir auch nicht.“ „Ich kenne einige Geschichten über...“, resigniert hielt Sanzomon innen und schluckte leicht, ehe sie weiter sprach, „- Digimon wie Euch.“ „Das erwähntet Ihr bereits. Und doch sitzt Ihr immer noch hier. Warum?“ Myotismon beugte sich nun leicht nach vorne und näher an sie heran. Zwar waren sie fast schon so etwas wie auf Augenhöhe, aber dennoch existierte genug Distanz, dass er auf sie herab sah. Der Raum wirkte weiter wie von der Realität abgeschottet und Sanzomon war sich nicht einmal mehr sicher, ob überhaupt der Kamin, dessen flackerndes Licht sie zwar im Augenwinkel sah, aber das Knistern nicht hörte überhaupt hier war. War überhaupt irgendetwas da? War das Schachbrett überhaupt noch da? Einzig Myotismon schien wirklich real zu sein und Sanzomons digitales Herz hämmerte in ihrem Inneren so stark, dass sie den Schmerz in ihren krampfenden Fingerknöcheln fast vergaß. „Ich habe noch nie einfach jeder Geschichte geglaubt, ohne selbst zu überprüfen wie viel an ihnen dran ist. Meiner Erfahrung nach werden die meisten Geschichten nur mit Hintergedanken und überaus überspitzt dargestellt.“ „Eine interessante Einstellung. Jedoch auch sehr gefährlich. Ihr scheint das Risiko ja sehr zu lieben. Passt zu Euer Art zu spielen.“ Die Hand, die sich ihr nährte hielt Sanzomon anfangs ebenso erst für ein Trugbild oder eine Fehlwahrnehmung, bis die kalten Fingerspitzen ihr Gesicht streiften. Und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Diese Kälte war merkwürdig. Nicht vergleichbar mit einem kühlen Wind, Eis oder einem Stück Metall, dass nie zuvor in den Genuss von Sonnenlicht kam. Diese Hand fühlte sich nicht einfach nur kalt an, sondern gar leblos. Und das allein stellte sie nur durch eine kurze Berührung fest. War sein ganzer Körper so? Irgendwas aber, vielleicht Myotismons arrogante Ausstrahlung holte Sanzomon aus ihrer Starre. Unter ihrem roten Halstuch leckte sie sich kurz über ihre plötzlich trockenem Lippen. „Ihr klingt wie die Digimon, bei denen ich aufgewachsen bin. Alles sei heimtückisch, alles sei gefährlich und nur Krieger sollten in die große, weite Digiwelt. Ein engstirniges Verhalten. Die meisten Dinge, die als gefährlich galten stellten sich letztlich als recht harmlos heraus.“ „Also geht Ihr auch davon aus, dass ich nur ein harmloser, eigenbrödliger Adliger bin, der sich in seinem Schloss verkriecht?“, fragte er, fast zu überspitzt freundlich und Myotismon reichte Sanzomon seine Hand, die eiskalte Hand, die Sanzomon erst so einen Schrecken einjagte. Sie zögerte jedoch nicht ihre eigene, helle Hand in seine zu legen. Myotismons lange Finger schlangen sich um sie und hielten sie fest, während Sanzomon sich langsam erhob. Sie stand direkt vor ihm, musste aber dennoch leicht den Kopf in den Nacken legen um so in Myotismons blaue Augen schauen zu können. Er war wirklich groß. „Harmlos wäre nicht das Wort, dass ich wählen würde. Jedoch würde ich Euch gerne unvoreingenommen entgegenkommen. Ich bin Viren gegenüber nicht anders gesinnt wie Dateien oder anderen Serums.“ „Wir Untoten-Digimon sind jedoch etwas – wie soll ich sagen – speziell. Hattet Ihr schon Bekanntschaft mit solchen wie mir gemacht, außer in ein paar Horrorgeschichten?“ Sanzomon überlegte. Außer Troopmon war sie bisher keinen untoten Digimon begegnet. Und einem Digimon wie Myotismon schon gar nicht. Dabei bezog es sich nicht einmal auf die Tatsache, dass er dem absolut gegensätzlichem Typus zu ihr angehörte. Auch humanoiden Digimon war Sanzomon bereits begegnet, wenn auch selten, aber auch diese waren keinesfalls auf irgendeine Weise mit Myotismon vergleichbar. „Nein“, antwortete sie ehrlich, vielleicht auch etwas zu naiv. Dass Myotismon sie weiter so anlächelte bereitete ihr einerseits ziemliches Unbehagen, genauso wie die Tatsache, dass dieser Raum in ihrem Augenwinkeln weiter nur schwarz, leer und abgeschottet wirkte. Das musste am Licht liegen. Sicherlich. Andererseits besaß er eine deutliche Aura, ein negatives Karma. Ein Gefühl, sämtliche Schatten im Raum seinen mit ihm in Bunde, schattenhafte Arme die seine eigene Reichweite vergrößerten, nur auf sein Kommando wartend endlich zuschlagen zu dürfen. Der Gedanke war beängstigend und gleichzeitig würde Sanzomon zu gerne wissen wollen, ob er wirklich so viel Macht besaß. Nicht nur seine purpurne Maske verriet, dass er etwas verbarg. „Und doch glaubt Ihr, ich wäre so freundlich und so harmlos, dass ich Euch einfach hereinspazieren und wieder gehen lasse? Oder seid Ihr einfach nur sehr von Euch überzeugt, dass Ihr wisst, dass ich Euch nichts anhaben kann?“ „Nein. Ich bin nicht so mächtig, auch wenn ich ein heiliges Digimon bin. Ich bin einfach nur sehr neugierig.“ „Neugierig?“ Myotismon warf den Kopf leicht zurück, als ihm erneut ein lachen entwich. Den Spott verübelte Sanzomon ihn nicht allzu sehr und überrascht war sie darüber auch nicht. Es war schließlich nicht das erste Mal. Wieder kam Myotismon ihr ein Stück näher. Fast zu nahe. „Das ist aber keine besonders tugendhafte Angewohnheit.“ „Findet Ihr? Ich meine, wo wäre der Sinn im Dasein, wenn man nicht in Erfahrung bringen will, was in dieser Welt geschieht? Wissensdurst ist der Energiequell des Lebens.“ „Oder des Lebens größter Widersacher.“ Obwohl sich Myotismon nicht bewegte, war Sanzomon dennoch als würde allein seine Präsenz sie weiter in die Ecke drängen. Und seine Zähne. Kein Funken Licht war in diesem Raum, nicht einmal das Feuer des Kamins schien diesen Raum zu erhellen, wie also konnte seine Zähne so aufblitzen, diese verdammt langen und spitzen Zähne mit denen er, mit denen Digimon wie er - Sanzomon ging einen großzügig Schritt zurück, oder eher sie sprang regelrecht weg, stieß dabei an den Sessel, aber sie behielt ihr Gleichgewicht. Ihre Hand gilt aus der von Myotismon ohne Probleme, obwohl sie deutlich einen Druck spürte, der sie hindern wollte auszuweichen. Und genau diese Hand zitterte. Sanzomon packte sich selbst am Handgelenk, damit es aufhörte, was es auch schnell tat. Doch der Rest ihres Körper bebte weiterhin und ihr Kopf pochte. Und Myotismon stand ihr gegenüber, als sei nichts. Ungläubig schaute Sanzomon drein. Keine Spur mehr von der absolut erdrückenden Art, als hätte man einen Schalter umgelegt. Er schmunzelte nur noch leicht und Sanzomon war sich im ersten Moment nicht sicher, ob sie das, was sie empfunden hatte wirklich passiert war, bis sie sich an das kalte Gefühl in ihrem Gesicht wieder erinnerte. Das war echt gewesen, ganz sicher. Das Zimmer bekam seine gemütliche Atmosphäre wieder. Das Licht des Kaminfeuers war seh- wie spürbar, die Regale und vor allem die Bücher waren selbst in den dunkelsten Ecken deutlich erkennbar. „Wisst Ihr, Ihr scheint ein sehr intelligentes und redliches Digimon zu sein. Und Redlichkeit ist eine Tugend, die ich schätze, aber nicht viele Digimon besitzen. Ich bekomme wenig Besuch, wie Ihr Euch denken könnt und noch weniger besitzen diese Eigenschaft. Ihr seid wirklich eine willkommene Abwechslung“, erklärte Myotismon. Freundlich, aber auch distanziert, nicht wie vor wenigen Sekunden noch. Seine Aura hatte sich mit dem Raum verändert. Oder, dass fragte sich Sanzomon eher, war es umgekehrt gewesen? War seine Macht so groß, dass er seine Umgebung beeinflussen konnte? Was für ein Digimon war das vor ihr? „Ich würde mich daher freuen, wenn Ihr noch etwas hier bleiben würdet bis Eure sogenannte Neugierde gestillt ist. Wie klingt das?“ „Ich...“ Nachdenklich rieb sich Sanzomon das Handgelenk und sie packte noch fester zu, als sie wieder spürte wie das Zittern wieder aufkam. Das Gefühl des Unbehagens blieb in ihrem Bauch wie ein schwerer Stein und diese Woge der Anspannung breitete sich von dort immer weiter aus. Das hatte sie schon lange nicht mehr gefühlt. Angst. Zweifel. Sanzomon war zwar von klein auf ein neugieriges Digimon, aber nicht gänzlich dumm und der Konflikt zwischen Wissensdrang und natürlichen Warnsignalen brachte sie immer wieder in die Situation, dass Spielkameraden sich über sie lustig machen. Dazu kam noch die strenge Erziehung. Schon seit dem Ausbildungs-Level aber wusste sie, dass das, was sie zu Hause lernte nicht ihre Bestimmung war. Erst mit ihrer Digitation zum Champion und schließlich zum Ultra-Level überwand sie diese Unsicherheit. Vielleicht war sie auch nur digitiert, eben weil sie diese Angst überwand oder überwinden wollte. Sich nun von Myotismon so verunsichern zu lassen wäre ein totaler Rückschritt. Ruhig atmete Sanzomon Luft ein, dann wieder aus. „Ich freue mich über dieses Angebot. Und ich würde es sehr gerne annehmen“, sagte sie so ruhig wie sie ihre Stimme auch kannte und schob ihre Nervosität auf Nachwehen des Schocks und den Schreck, den Myotismons Erscheinen zu verursachen hatte. Schließlich hatte sie nie geglaubt, so ein Digimon je zu Gesicht zu kriegen. Die Chance solch ein Digimon genauer unter die Lupe zu nehmen würde sie nie mehr bekommen. Sie könnte aus erster Hand erfahren, wie Digimon wie er waren und was an den Gruselmärchen wirklich dran war. Und wenn Sanzomon etwas auf ihrer bisherigen Reise gelernt hatte, dann dass man am besten nicht von Gleichgesinnten, sondern von Andersdenkenden lernte. „Freut mich zu hören“, entgegnete Myotismon höflich. Er holte mit seinem Arm aus und ließ ihn einmal um sich schweifen. „Ihr könntet Euch in aller Ruhe hier umschauen. Meine Lektüre steht Euch natürlich zur Verfügung, ohne dass Ihr mich vorher um Erlaubnis bitten müsst. Und wir hätten etwas Zeit uns besser kennenzulernen.“ „Kennenlernen...?“, wiederholte Sanzomon, mit einem leichten Hauch von Unsicherheit. „Ihr sagtet doch, Ihr hattet noch nie das Vergnügen untote Digimon kennen zu lernen, oder nicht? Ich würde auch gerne zusehen, wie Ihr arbeitet. Wenn Ihr mir dies erlaubt, versteht sich.“ Nur ungläubiges Blinzeln war auf Sanzomons Gesicht zu sehen. Einerseits fragte sie sich ob dies dasselbe Digimon war, mit dem sie eben noch Schach gespielt hatte, dann war sie sich aber ziemlich sicher. Er tat freundlich, aber seine Hochnäsigkeit und seine grenzenlose Selbstüberzeugung konnte er nicht kaschieren. Hatte er keine Sorgen? Ein Mindestmaß an Intelligenz reichte aus um zu wissen, dass Sanzomon es zwar körperlich nicht mit ihm aufnehmen konnte, aber sie allein durch ihren Typus einen großen Vorteil besaß und wenn sie wollte, wenn, dann wäre sie ihm sogar irgendwo überlegen (und dass sie gänzlich unerfahren im Kampf war musste er nicht wissen). Sanzomon glaubte keineswegs, dass Myotismon so freundlich war, wie er es tat und dass er ihr so offen entgegenkam hatte entweder einen Hintergedanken oder war getränkt von einem gewaltigen Ego. Selbst wenn es nur reine Vorsicht seinerseits war, vielleicht auch irgendwo Spaß, fühlte sie sich auf eine gewisse Weise sogar geschmeichelt. Ein Digimon, von dem man sagte dass es eine absolut brutale und kaltherzige Art hätte hatte mit ihr ohne weites Schach gespielt und behandelte sie wie einen Gast, obwohl sie sozusagen natürliche Feinde waren. Nicht einmal Artgenossen waren Sanzomon gegenüber je so freundlich gewesen. Sie wollte sich das nicht verscherzen. „Oh, doch. Natürlich. Würdet Ihr mir auch erlauben, dass ich mich Euren Bediensteten annehmen darf? Ich würde sie gern etwas beobachten und ein paar Dinge fragen.“ „Solange Ihr nicht ihre Arbeit stört, dürft Ihr das gerne.“ Die Türe des Raumes öffnete sich wie von Geisterhand. Sanzomon erwartete noch, dass einer von Myotismons Diener hier reinkommen würde, dies geschah jedoch nicht. Der Korridor war ebenso dunkel und brachte kein bisschen Helligkeit mit in das Zimmer. „Wo wir gerade von ihnen reden, ich glaube, sie haben Euer Zimmer vorbereitet. Und gegessen habt Ihr auch noch nicht, oder? Ich werde meiner Dienerschaft sa -“ Myotismon, schon drauf und dran zu gehen und überzeugt Sanzomon folgte ihm blieb stehen, denn gegen seiner Erwartung hörte er gar eine Schritte hinter sich. Als er über die Schultern schaute stand Sanzomon nicht hinter ihn, sondern wieder bei den Bücherregalen und zog mit ihren zarten Fingern eines der Bücher vorsichtig heraus. Sie hatte es noch nicht ganz herausgezogen und der Titel war nur halb lesbar, aber es reichte um zu wissen, dass dort DIE FARM DER TIER-DIGIMON stand. Wie aber Sanzomon in selben Moment bemerkte, dass Myotismon dies aufgefallen war hielt sie abrupt inne. Dann schließlich schob sie das Buch wieder vorsichtig zurecht und beschämt fing sie gezwungen an leise zu lachen. „Ist... ist es eventuell in Ordnung, wenn ich noch etwas hierbleiben könnte?“, fragte Sanzomon schüchtern. Nervös fuhr sie sich mit ihrer Hand über durch die schweren Haarsträhnen. „Ihr besitzt so viele bemerkenswerte Bücher. Ein paar davon sind in meiner Heimat sogar verboten worden. Eine Schande, Schriften zu verbieten oder zu zerstören. Verfluchte Worte, die ihren Ursprung in einer anderen Dimension haben sollen und den Geist vergiften. Offene Blasphemie und Propaganda versteckt in Fabeln, sagte man in meiner Heimat. Absurd, oder?“ Immer noch blieb Sanzomon an den Reihen von Büchern hängen und las Titel und viele Namen, die keine Digimon-Namen waren. Namen die sie schon kannte und gänzlich neue. Doch sie ignorierte dabei Myotismon für diesen Moment vollkommen. Seine Lippen formten zwar bereits wieder ein höfliches Lächeln mit seiner gehobenen Ausstrahlung, doch für einen kleinen Moment zeichnete sich genau auf diesem Lächeln etwas düsteres und unheilvolles, vielleicht sogar etwas wahnsinniges ab. Es hielt nicht länger wie eine Millisekunde, doch diese kurze Zeitspanne hatte schon andere Digimon in die Flucht geschlagen. Als Sanzomon wieder ihre Aufmerksamkeit ihrem Gastgeber schenkte, war dieser winzige Moment bereits passé. „Dann nehmt Euch Zeit. Ihr könnt hier alles lesen und wann Ihr wollt.“ „Ich... Ich danke Euch“, presste Sanzomon fast schüchtern heraus, aber so euphorisch wie sie in diesem Moment war stürzte sie sich beinah auf die Sammlung, die sich vor ihr auf tat und brauchte nicht lange um die ersten Bücher, die ihr Interesse auf sich zogen zu finden und herauszunehmen. Vier Bücher legte sie auf den Tisch, wo zuvor noch das Schachbrett lag, das fünfte schlug sie aufgeregt auf. Ehe Sanzomon überhaupt anfing das erste Kapitel zu lesen – das Inhaltsverzeichnis übersprang sie aus Prinzip, das nahm nur die Spannung – blickte sie noch einmal von den Seiten auf. Myotismon stand zwar vor der Tür, beobachtete sie aber weiterhin grinsend. Sie grinste zurückhaltend zurück und nickte einmal. Zusätzlich nuschelte sie etwas über ihre Lippen, dass eigentlich „Habt vielen Dank“ hätten heißen sollen, aber letztlich in ihrem Ohr anders klang. Peinlich davon berührt ließ sie ihre Augen wieder auf die Seiten sinken und hörte nur, wie Myotismon den Raum verließ. Ihr Herz schlug wieder schneller. Sie schob es ohne weites auf die Aufregung und auf die Vorfreude auf die nächsten Stunden, die sie mit lesen verbringen könnte. Ihr Freude wich jedoch, als sie sich beim richten ihres Halstuchs an ihrem Hals streifte. (locken sie es mit Freundlichkeit und List in ihre Nähe) (und sie beißen dir in den Hals) Sie musste vorsichtig sein. Auch wenn Sanzomon Gerüchten immer etwas skeptisch entgegnete und nicht jedes Wort direkt auf die Goldwaage legte, hatten Vorurteile immer einen Hintergrund. Sie musste auf der Hut sein. Myotismon, ohne diesen Hauch von Aufregung und ohne ein pochendes Herz – zwar besaß er einen Kern wie alle Digimon, doch mit einem solch schwachen Schlag, wie es nur ein Untoter haben konnte – traf nach wenigen Metern bereits auf DemiDevimon. Das Fledermaus-ähnliche Digimon hing kopfüber von einem der Kronleuchter, die zwar etwas Licht, aber keine Wärme in dieses Gemäuer brachten und als dieser seinen Meister erblickte, ließ er davon ab und flog ihm entgegen. „Und, was sagt Ihr, erhabener Meister?“, fragte DemiDevimon, aufgeregt, aber sich mit seinen Erwartungen zurückhaltend. In der Vergangenheit war Myotismon oft genug wenig von DemiDevimons Plänen überzeugt gewesen. Zu überstürzt, zu plump, nicht so weit gedacht, zu aggressiv. Doch zum ersten Mal sah DemiDevimon ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen seines Meisters. „Sie ist perfekt. Gute Arbeit, DemiDevimon.“ DemiDevimon konnte seine Freude nicht in Worte fassen. Er wollte schreien, presste die Lippen fest zusammen und seine Federn und Fell plusterten sich etwas auf durch die Gänsehaut, die dieses Lob in ihm auslöste. Kapitel 2: Hippocampus ---------------------- „Erzähl, an was du dich erinnerst“, forderte Sanzomon das überfragte Bakemon auf. Es erstand nicht so ganz, was Sanzomon von ihm wollte, denn eigentlich war es nur gekommen um ihr etwas zu trinken zu bringen – dem gast des Meisters sollte es an nichts mangeln -, doch kaum hatte Sanzomon es bemerkt, ließ sie das Geist-Digimon nicht mehr ziehen. Sanzomon bat um Hilfe und um Ärger mit Meister Myotismon zu vermeiden erklärte es sich einverstanden, auch wenn Bakemon nicht ersichtlich war, was Sanzomon denn von ihm wollte. Sie kniete auf dem Boden von Myotismons Bibliothek, mit Schreibutensilien auf dem Schoß und Feder in der Hand. Sanzomons Blick war zwar sanft, aber Bakemon war mulmig dabei. Heilige Digimon hatten, bewusst oder nicht immer dieses gewisse Etwas um sich, die dunkle und verdammte Digimon wie die Bakemon entweder anzogen oder in die Flucht trieben. „Was genau möchtet Ihr denn von mir wissen?“ „Erinnerst du dich daran, wie du zu Bakemon wurdest? Weißt du noch, welches Digimon du zuvor warst?“, fragte Sanzomon ruhig, aber Bakemon musste nicht lange überlegen. „Eh... Nein, dass weiß ich nicht mehr.“ „Hm. Schon das dritte...“ Sanzomon senkte die Augenbrauen und schrieb etwas auf ihr Papier, dass Bakemon aber verborgen blieb. Bakemon öffnete den Mund, die Zähne blitzten auf, so weiß wie sein zerfetztes Laken über seinem Körper. Die Augen waren Löcher ins Nichts. Der modrige Geruch des Todes kam Sanzomon entgegen, aber sie hatte sich schnell daran gewöhnt. Diese drückende Präsenz erfüllte des gesamte Schloss und verfinsterte die Mauern, selbst am Tage, wenn man auch anmerken musste, dass Sanzomon hier bereits jedes Zeitgefühl verlor und sie sich gar nicht mehr so sicher war, ob nun morgens oder abends war. Sie war schon drei Tage hier in diesem Schloss auf diesem Berg, der, wie sie noch feststellte auf keiner Karte verzeichnet war. In diesen drei Tagen hatte sie die Bibliothek so gut wie nicht verlassen. Oder war sie schon vier Tage hier? Oder gar nur zwei? Bei der ständigen Dunkelheit in dieser Gegend konnte man sich nie ganz sicher sein. „Das dritte?“, wiederholte Bakemon mit seiner tiefen und trägen Stimme. „Ich habe ein paar von euch schon diese Frage gestellt und sie alle sagen, sie erinnerten sich nicht. Aber digitiert ihr nicht ganz normal aus einem Rookie-Digimon? Gab es keine Candlemon unter euch?“ „Na ja...“, fing Bakemon an. „...Ich denke nicht. Die unter uns, die ganz normal digitieren sind ein wenig anders.“ „Dann seid ihr wirklich... Nun, gestorben?“ Überfragt starrte Bakemon Sanzomon nur an. Die Augen des Geist-Digimon wirkten so leer. Sanzomon erinnerte sich gelesen zu haben, dass dieser weiße, zerfledderte Laken nur Tarnung war und das wahre Erscheinungsbild dieser Digimon sei schlicht ein schwarzes Loch umgeben von Nichtigkeit. Und wenn Sanzomon so in die Augen des Digimon sah, glaubte sie das auch. „An was erinnerst du dich, bevor du hierher kamst?“, fragte sie weiter. „Da ist nicht besonderes. Ich war schon immer bei Meister Myotismon.“ „Und davor? Bevor du ein Geist-Digimon warst? Erinnerst du dich vielleicht daran, wie du gestorben bist? Was war, bevor das passiert ist?“ „Ich... I-I-ich weiß es wirklich nicht“, jammerte es und aus seinen zuvor leer wirkenden Augen flossen Tränen. „O-Oh Nein. Bitte weine nicht. Ich wollte dich nicht verletzen. E-e-es tut mir Leid“, stammelte Sanzomon los, doch dass Bakemon vor ihr beruhigte sich nicht, sondern verfiel seiner Trauer. Sanzomon streckte ihre Hände nach dem Geist-Digimon aus, zögerte zuerst zwar, presste es aber dann an sich. Das Tuch war rau und dafür das angeblich das unendliche Nichts darunter versteckt sein sollte fühlte sich das Digimon mehr nach einem gut gefüllten Reissack an. Ihre Augen schlossen sich, ihr Mund bewegte sich, doch bis Zunge und Lippen die Worte formten und damit ihre Umgebung erfüllte, hörte Sanzomon das Gesagte noch nicht mehr. In ihrem trancegleichen Zustand vernahm Sanzomon so gut wie nichts mehr, nicht einmal ihr eigenes Wort. Wichtiger war auch, dass diese das Digimon vor ihr erreichten und dass dieses sie nicht nur hörte, sondern auch in seinen Gedanken vernahm. Eine weiche Stimme erklang im Kopf des Geist-Digimon und der entsetzliche Knoten in Hals und Brust schien sich zu lösen, bis er nach und nach sich aufzulösen schien. Die bösen Erinnerungen, nicht mehr wie die Fetzen von Geräuschen und Bildern aus vergangenen Tagen, die das Unterbewusstsein zwar verbannte, aber nie ganz löschen konnte, verkrochen sich wieder in die Endlosigkeit des Gedächtnisses. Und wenn man sich doch kurz daran erinnerte, war der Schmerz nicht so schwer. Denn die Stimme, die es hörte und wie die des Mönch-Digimons klang sagte, dass alles gut sei. Es klang glaubwürdig. „Geht es dir besser?“, fragte Sanzomon. Sie blinzelte sie rieb über die Augen. Ein leises, aber erschöpftes Stöhnen entwich ihr, während sie nun auf ihre Hände starrte. Ihre Fähigkeiten funktionierten von mal zu mal besser und effektiver, doch die Nebenwirkungen blieben. Der Schwindel war nicht so schlimm. Dafür jedoch das Gewicht der mentalen Last, der sich Sanzomon annahm. „Ja. Ein wenig“, schniefte das Bakemon. Es runzelte jedoch seine Stirn deutlich. Es begriff nicht, was Sanzomon gemacht hatte. „Aber was war das? Habt ihr etwa ein Sutra benutzt?“ Sanzomon schüttelte sanft den Kopf. „Uh-umm. Nur ein altes Kinderlied. Die Sistermon die mich und meine Geschwister aufziehen haben das für uns gesungen, wenn wir weinten. Ich dachte, vielleicht gefällt es dir, auch wenn es eine fremde und veraltete Sprache ist“, erklärte Sanzomon sanft. Bakemon blinzelte mehrmals stutzig, dennoch behielt Sanzomon ihre freundliche Ausstrahlung. Und Misstrauen war sie schließlich gewohnt. „Wieso seid Ihr so nett? Heilige Digimon wollen mit unsereins nichts zu tun haben“, fragte Bakemon weiter, seine Stimme immer noch leicht bebend von seinem Weinen. „Ich wüsste nicht, wieso ich dies tun sollte. Ich bin keinem Digimon aus Prinzip misstrauischer oder feindseliger gestimmt wie einem anderem.“ „Habt Ihr etwa Mitleid mit uns? Wie erbärmlich...“, murmelte Bakemon betrübt. „Nein. Ich möchte einfach nur ganz neutral bleiben. Und immerhin seid ihr auch freundlich zu mir, obwohl ich ein heiliges Digimon bin.“ Wenn nun auch etwas munterer gestimmt, blieb Bakemons Argwohn, doch sie verübelte es ihm nicht. Schnaufend warf sie den Kopf zurück und sah zur Decke des Raumes hoch. Ein großer, schwerer Kronleuchter, der zwar Kerzen besaß von denen aber keine einzige erleuchtet war, schwebte über ihr. Das Metall war dunkel und obwohl Sanzomon die Vorhänge geöffnete hatte, sah man ihn kaum. Generell blieb dieser Raum überaus dunkel, das Licht hatte so gut wie keinen Effekt. Lag es am Nebel? Sie sah weiter zu Decke hoch. Nicht jedes Zimmer hatte so eine hohe Decke und allgemein wirkte das Schloss wie ein einziges Durcheinander. Es gab zwar Flügel, die eine gewisse Einigkeit und Symmetrie innehielten, doch allgemein ließ sich sagen, dass dieses Schloss eher wie zusammengeflickt wirkte. Das begann beim Stein und endete mit der Bauart. Die Gänge und Flure waren teilweise wie neu, genau geplant und sogar verziert, einzelne Zimmer hingegen wirkten dafür als hätte jemand, der keinerlei Ahnung von der Arbeit besaß einfach Steine aneinander gerückt. Und dabei hatte Sanzomon noch nicht alles gesehen. Bei ihren seltenen Runden durch das Schloss traf sie viele Zimmer, die verschlossen waren. Sie fragte nicht was dort hinter diesen Türen war, das wäre schließlich unhöflich und vermutlich hätte man ihr ohnehin keine Antwort gegeben. Aber sie wüsste es zu gerne und sei es nur um zu sehen, welche architektonische Chaos dort anzutreffen war. „Dieses Schloss... Habt ihr es gebaut? Oder Euer Meister?“, fragte Sanzomon, weiter die Decke hochschauend. Sie merkte dennoch wie das Bakemon den Kopf schüttelte. „Nein, nein. Das Schloss war schon da, als wir diesen Berg fanden.“ „Und wer hat es erbaut?“ „Wissen wir nicht.“ Der Kronleuchter bewegte sich. Sanzomon dachte etwas wäre vom Kronleuchter gefallen, dann sah es aber eher danach aus, als flog es in eine der Ecken. Da alles dunkel und schwarz war, sah sie nur Konturen, aber sie vermutete, dass es eine von Myotismons Fledermäusen war. Diese waren überall im Schloss und saßen kauernd in jeder Ecke. Es sah immer aus als schliefen sie, aber Sanzomon hegte den Verdacht, dass sie mit ihrem Meister verbunden waren. Alles was sie mitbekamen, bekam auch er mit. Natürlich beobachtete er sie. Das Gegenteil hätte sie mehr überrascht. „Warum lebt ihr überhaupt hier? Ich dachte immer, Bakemon halten sich nur auf Friedhöfen und in dichten Wäldern auf, nicht in solchen erhöhten Regionen.“ „Der Meister hat diesen Ort als sein zu Hause auserkoren. Wir folgen ihm nur“, erklärte das Bakemon weiter und war weniger irritiert darüber, dass Sanzomon sich mehr im Raum umsah um die Fledermäuse weiter zu verfolgen. Es wusste Bescheid. Auch sie würden den ganzen Tag beobachtet werden. Sanzomon neigte die Kopf wieder vor und rieb sich über den Nacken, dann bemerkte sie etwas. Sie sah etwas weißes aufblitzen und hielt es erst für einen Fetzen des Lakens, dass die wahre Gestalt des Bakemon verdeckte. Aber es war nicht nur weiß, sondern reinweiß. Ein Klingeln ertönte, direkt in ihrem Kopf. Die Tür stand einen Spalt auf. Leise erhob sich Sanzomon und lief auf leisen Sohlen zur großen Holztür. Als das Bakemon ihr irritiert nachsah, legte sie einen Finger vor ihre Lippen. Ohne die Türe zu berühren, geschweige denn sie zu öffnen lugte Sanzomon durch den Spalt und sah erst auch nichts als Dunkelheit. Dann, etwas tiefer erblickte sie schon den weißen Schweif und den Heiligen Ring. „Und du?“, fragte Sanzomon freundlich, dann erst öffnete sie die Türe langsam. Gatomon schnappte erschrocken nach Luft und sprang einen Satz zurück. Vor Schreck wurden ihre Pupillen ganz klein und ihre spitzen, weißen Ohren lagen an. „W-w-wie...?“ „Ich habe deinen Heiligen Ring... gehört, könnte man sagen“, erklärte Sanzomon weiter. Gatomon rümpfte die Nase und ihr ganzer Körper war steif bis zu den Schnurrhaaren. „Artverwandte wie wir sind wohl miteinander verbunden. Dein inneres Licht muss viel Potenzial besitzen, sonst wäre es nicht so deutlich. Ich bin außerhalb meiner Heimat zwar schon genug Digimon mit Heiligen Ring begegnet, aber kaum eines von ihnen hatte dieses Potenzial. Da werde ich fast nostalgisch.“ „I-I-Ihr spinnt doch!“, brüllte Gatomon schließlich, dann sprintete sie los und ließ Sanzomon verwirrt zurück. Lange starrte sie in die Dunkelheit der Flure, bis Gatomon nicht einmal mehr ein weißer Fleck in diesem war. Das Klingeln des Heiligen Ringes hörte Sanzomon noch, oder eher spürte sie ihn über die Entfernung hinaus. Sie dachte kurz an zu Hause, aber Sanzomon wusste selbst nach all der Zeit nicht, wie sie über diese Erinnerungen denken oder empfinden sollte. „Ist sie immer so schreckhaft?“, fragte Sanzomon das Bakemon, drehte sich langsam zu diesem um, jedoch scheint das Geist-Digimon ihre Frage nicht einmal gehört zu haben. „I-Ich muss an die Arbeit“, stotterte es und flog hastig an Sanzomon vorbei. Noch während es um die Ecke bog wurde sein Körper durchsichtig und verschwand, doch seine Präsenz blieb noch einige Minuten darüber hinaus spürbar. Verdutzt sah Sanzomon dem Geist-Digimon nach, bis jede Spur der schwachen Aura verflog. Fragend, was es so verschreckt hatte schaute sie den Korridor zu beiden Seiten hinunter, sah aber nichts als die bläulichen Strahlen des Mondlichts durch die Fenster scheinen oder das orangene Glimmen der Fackeln an der Wand. Dann schritt sie wieder zurück in die Bibliothek und auch im ersten Moment schien nichts verdächtig zu sein. Sanzomons Kopf bewegte sich ganz langsam von links,durch den Raum nach rechts, doch als ihr Blick die Bücherregale streifte schien etwas merkwürdig, sie konnte aber nicht bestimmen was daran merkwürdig war. Sanzomon schob es erst auf die Tatsache, dass sie viele Bücher ausgeräumt hatte um sie für ihre Forschung (und ihrem eigenem Interesse) zu nutzen und der Anblick der teilweise leeren Reihen einfach ungewohnt war. Doch je länger sie zu ihrer Rechten schaute, um so merkwürdiger wurde das Gefühl, dass sie überkam. Durch das Fenster kam wenig Licht, ein Kerzenständer erhellte den Raum und die Sessel warfen lange Schatten durch den Raum. Einer davon reichte bis zu eben diesen Regalen. Und irgendetwas war merkwürdig an diesem Schatten, obwohl es einfach nur ein Schatten eines leblosen Möbelstückes war. Nicht auffällig. Absolut schlicht und ordinär. Doch ihr war, als lebte der Schatten. Sanzomons rechte Augenbraue hob sich leicht. Auch ihr Kopf neigte sich nachdenklich zu Seite, dann auf die andere, während sie in diesen Schatten stierte. Sie glaubte etwas zu spüren. Ein Atem oder dergleichen. Da war etwas, spürte jedoch nichts und auf die Erkenntnis ahnte sie schließlich, warum das Bakemon so schnell die Flucht ergriffen hatten. Nun verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. „Ihr macht mir meine Arbeit nicht einfacher, wenn Ihr Euer eigenes Personal verschreckt.“ „Aber dann wäre es zu einfach.“ Nun spürte sie diesem vermeidlichen Atem nicht nur, sie hörte ihn, sie hörte das Lachen dazu und Sanzomon war schon fast wütend darüber, dass sie Myotismon nicht sofort bemerkte. Er kam aus dem Schatten gelaufen, als sei dieser nur eine weitere Türe, erhobenen Hauptes und düster lächelnd, wie immer. „Wie lange steht Ihr da schon?“, fragte Sanzomon in einem deutlich verstimmten Ton. Auch sie hob ihren Kopf an, aber es erzielte nicht annähernd die Ausstrahlung, die sie Myotismon verlieh. „Nicht lange. Ich wollte Euch nicht bei Eurer Arbeit stören. Oder was auch immer Ihr mit meiner Dienerschaft gemacht habt.“ „Ich habe nur ein paar Fragen gestellt. Aber ich bitte Euch um Entschuldigung. Ich habe die Gefühle Eures Dieners verletzt. Er soll mir nicht böse sein“, versicherte Sanzomon. Ihre Ausstrahlung wechselte schlagartig und von ihrem kurzem Moment der Erhabenheit und Autorität blieb nichts. Sie war gänzlich dahin und Sanzomon wirkte bescheiden wie eh und je. „So wie ich meine Diener einschätze, haben sie es bald vergessen. Sie merken sich nur notwendige Dinge. Ein Fluch wie Segen zugleich“, erklärte Myotismon, tat als hätte ihr ihren Stimmungsumschwung nicht wahrgenommen, sondern starrte an ihr vorbei. Hinter ihr erstreckte sich ein Meer aus Büchern. Sie waren gestapelt und die Stapel und vereinzelten Wälzer erstreckten sich von einem Punkt in der Mitte – Sanzomon hatte dort gesessen – in alle Richtungen und sie lagen dicht beieinander. Dieses Mosaik aus Papier nahm fast den ganzen Raum ein. „Was macht Ihr hier überhaupt?“, fragte er schließlich. Auch seine Mimik bröckelte und statt dem sonst resignierten Selbst mit einem Hauch Arroganz, machte er nun einen verwirrten Eindruck. Sanzomon schmunzelte kurz über dieses so ungewohnte Bild des Schlossherren. In den drei Tagen (oder zwei, oder vier) hatte sie kaum ein anderes Gesicht von ihm gesehen. „Nun, Ihr habt zwar erlaubt, dass ich Eure Bücher nutzen darf, doch ich habe mich hinreißen lassen. Ihr besitzt außergewöhnliche Lektüre, sogar von anderen Kontinenten. Ich habe etwas System einbringen müssen um alles zu finden, aber ich habe interessante Entdeckungen gemacht.“ „Meine Sammlung ist nicht umsonst mein ganzer Stolz“, antwortete er, bedacht sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen über Sanzomons Art zu arbeiten, es gelang ihm jedoch weiterhin nicht. Auch dieses angebliche System erschloss sich ihm nicht. Sie waren weder alphabetisch, noch nach Thematik, nicht mal nach Umfang oder (wenn überhaupt vermerkt) nach Autor zusammengelegt worden. So beobachtete Myotismon Sanzomon einfach dabei, wie sie sich wieder in das Zentrum ihres Chaos kniete, nach einem Buch griff und wie bei einem komplexen Memory das Gegenstück suchte. Dieses lag hinter ihr, zwei Reihen weiter weg, dass Sanzomon auch nur erreichte, nachdem sie sich zurück warf und ihren Arm so weit es ging ausstreckte. Auch warum sie nicht einfach ihre telekinetischen Fähigkeiten benutzte verstand Myotismon nicht. Er vermutete, und so war es auch, dass Sanzomon in ihrem Eifer nicht daran dachte. „Aber das meinte ich nicht. Wieso sitzt Ihr hier, statt in dem Zimmer, dass ich Euch zur Verfügung gestellt habe? Beim Abendessen seid Ihr auch wieder nicht gewesen.“ „Nun ja, ich war so in meine Arbeit vertieft, dass dass ich nicht einmal bemerkt habe, dass ich müde war“, erklärte Sanzomon und lachte gezwungen, bis ihr Verstand Myotismons Satz verarbeitete. Abendessen. Es war schon wieder Abend. Dabei kam es ihr so vor, als sei sie vor ein paar Stunden erst aufgewacht. Vielleicht war sie das auch. Vielleicht hatte sie die letzte Nacht durchgearbeitet und war dann mittags doch eingenickt. Sie wusste es wirklich nicht. „Das passiert mir leider öfter.“ „Sind meine Bücher denn so spannend?“ „Spannend... Kann man so sagen. Was ich hier finden konnte grenzt an einem Schatz. Versteht Ihr?“ Seiner Mimik und dem Schweigen zu urteilen entnahm Sanzomon, dass er es nicht verstand. Augenblicklich griff Sanzomon nach einem Buch, dass direkt rechts neben ihr lag. Es trug den Titel DIE ENTSTEHUNG DER ARTEN. „Wisst Ihr, dass dieses Buch in meiner Heimat verboten ist? Man kann sie erwerben, doch wurde man erwischt hagelte es Beschimpfungen. Und das hier -“, sie griff wieder nach einem Buch, diesmal genau vor ihr, wo auch DIE FARM DER TIER-DIGIMON lag, „- gibt es auf Web Continent nur in zensierter Fassung.“ Myotismon las DER HERR DER FLIEGEN. Allmählich schien er Sanzomons System zu begreifen. „Zensur also. Eine Schande.“ „Durchaus. Als ich meine Ammen fragte, warum sie Bücher zensieren, sagte sie es muss sein. Gute Bücher sind die, die man zum Guten verändern kann. Die schlechten gehören vergessen.“ Die Bitterkeit in ihre Stimme kratzte in Sanzomons Hals. Ein Pochen strömte in ihre linke Hand, wo nicht weit davon noch ein Buch lag. Dieses war sogar aufgeschlagen. FAHRENHEIT 451. Mit fast mütterlicher Zärtlichkeit fuhr Sanzomon über die aufgeschlagene Seiten. „Das war das erste Buch, dass ich selbst gelesen habe. Da war ich noch ein Ausbildungs-Digimon.“ „Das ist aber sehr schwere Kost. Habt ihr denn damals begriffen, worum es geht?“, fragte Myotismon. Er klatschte einmal in seine Hand und der Sessel rückte zu ihm hinüber, dass er sich einfach nur noch niederlassen musste. „Nicht so ganz. Ein Sorceymon schenkte es mir. Er galt als Ausgestoßener und ich solle mich von ihm fern halten. Aber ich mochte ihn sehr. Er brachte mir auch das Schachspielen bei. Das war zu Hause noch erlaubt. Spiele mit Karten und Würfeln galten als Glücksspiel und war verboten.“ „Hatte man Angst vor der Sucht?“, scherzte Myotismon, doch Sanzomon schüttelte den Kopf bedrückt. „Eher die Angst, da sich Karten und Würfeln schwerer kontrollieren lassen.“ „Welche Kontrolle?“, fragte Myotismon vorsichtig. Er versuchte Sanzomon in die Augen zu schauen, aber ihr Kopf blieb gesenkt, während sie weiter das Buch streichelte. Bis vor kurzem wusste sie nicht einmal was eine Fahrenheit war und schon damals fand sie alles an diesem Buch überaus merkwürdig. Die Protagonisten hatten keine bekannten Digimon-Namen, denn sie endeten nicht einmal mit -mon und die Städte trugen komische Namen und überhaupt agierten sie allesamt so.... fremd. Und doch hatte sie es begeistert gelesen, denn in der Leidenschaft des Lesens und darüber nachzudenken, sich zu fragen was in ihnen war und warum die Fragen nach der Außenwelt unbeantwortet blieben verband sie mit der Hauptfigur. Nur dass in Sanzomons Heimat keine Bücher verbrannt wurden. Oder nicht so häufig. „Nun, wenn man zu oft die Regeln ständig ändern muss, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, fällt es auf. Aber beim Schach ist es relativ einfach absichtlich zu verlieren.“ „Warum sollte ein Digimon das?“ „Weil wir das so lernten. Weil wir alle gleich sind und wir sind alle gleich gut. Ständig zu verlieren säe Wut, ständig zu gewinnen Arroganz. Also gewinnt man abwechselnd oder verliert so lange, bis alle den gleichen Punktestand haben. Das fördere die Gemeinschaft. Das fördere unser inneres Licht. Und das ist doch so wichtig, wenn man ein heiliges Digimon ist, nicht wahr?“ Sanzomons Stimme klang nicht nur hoch, sondern scharf. Myotismon konnte schwören er hörte, wie sie sich auf die Zunge biss. Ihre Hand, die das Buch streichelte als wäre es ein Baby-Digimon stoppte, dann zitterte sie, doch sie legte ihre andere Hand auf diese, um es zu dämmen. „Wie lange seid ihr schon auf Reisen?“, fragte Myotismon nach einigen Sekunden. Nichts an ihm deutete an, dass er noch weiter Interesse an der vorhergehende Thema hegte, aber Sanzomon zweifelte daran, dass Myotismon dies einfach so auf sich beruhen lasse würde. Sie ließ ihre erst zitternde Hand los und nachdenklich fuhr sich Sanzomon durch die Haare. „Ich bin nicht sicher. Ich reiste vom Web Continent zuerst nach Folder Island, besuchte kleinere Inseln zwischen den Kontinenten und dann Server.“ „Und was sucht Ihr auf Euer Reise? Abenteuer? Antworten?“ „Antworten? Ich kenne nicht einmal die Frage“, erklärte Sanzomon. Ihr Lachen klang erneut gezwungen. Nun drehte sie eine ihre Strähnen um den Finger. „Ich hoffte, ich könnte auf meiner Reise die Digiwelt besser kennen lernen. Die verschiedenen Arten und Typen besser verstehen oder was in der Digiwelt alles geschehen ist. Wie die Welt wirklich ist. Keine Beschönigungen oder Verteufelungen mehr. Ich wollte es selbst sehen. Aber je weiter ich gehe, um so mehr begreife ich, dass ich nichts weiß und ich auf vieles wohl nie eine Antwort bekomme. Aber ich möchte Antworten. Ich möchten alles sehen. Darum mag ich Bücher. Sie halten Dinge fest, die man sonst vergessen würde. Jedoch...“ Sanzomon fixierte einen Stapel auf fünf dicken Büchern. Allesamt waren Geschichtsbücher und alle fünf kannte sie. Sie hatte dennoch einen Blick hinein geworfen und erkannte durchaus signifikante Unterschiede in der Umschreibung bestimmte Gegebenheiten. Neben gewissen sprachlichen Änderungen waren diese Geschichtsbücher weniger wertend und lenkten den Leser nicht subtil in eine gewisse ideologische Richtung. Sie dachte an Sorcerymon, an die vielen Abende die sie mit Schach verbrachten und nebenbei seinen Weisheiten kund tat. Denke nicht an das, was du siehst, und an das, was dir nicht gezeigt wird, das musst du entdecken und begreifen sagte er ihr. Sie hatte es als Ausbildungs- oder auch als Rookie-Digimon nie begriffen, was das hieß. Es dämmerte ihr erst, als sie zum Champion digitierte. Doch bereits davor war ihr großer Drang nach Wissen und ihre Neugier bei ihren Ammen und Spielkameraden bekannt und auch nicht selten verpönt. So viel zu fragen und alles wissen zu wollen sei... „Ihr könntet auch mich fragen“, warf Myotismon schließlich auffordernd ein. Sanzomon stutzte und blickte dann ungläubig zu ihm auf. Myotismon streckte die Hände von sich, fast symbolisch, dass er ihre Fragen geradezu mit offenen Armen anfangen würde, wäre im Kontrast dazu nicht seine Mimik, die Sanzomon nicht immer klar zu deuten vermochte. Sein ganzes Gesicht schien eine Maske zu sein. Noch nie hatte sie solche Probleme ein Digimon zu lesen, folglich reagierte Sanzomon auch zurückhaltend auf dieses Angebot. „Ihr wollt doch Dinge wissen. Ich weiß viele Dinge. Und ich rede gerne, aber ich habe selten interessante Gesprächspartner“, sagte er weiter und gerade als Sanzomon Luft für eine Antwort einzog, sagte er weiter, ohne dass sich an seiner Tonlage etwas änderte: „Oder wollt Ihr nicht mit mir reden? Ihr verbringt so viel Zeit mit meinem Gefolge, aber an mich habt Ihr bis jetzt nicht gedacht?“ „Klingt fast, als seid Ihr eifersüchtig?“, sagte Sanzomon scherzhaft und kicherte leise. Myotismon lachte nicht mit. „Es ist nur, Ihr wirkt immer so beschäftigt. Ich möchte Euch nicht mit meinen albernen Fragen belästigen.“ „Ihr belästigt mich doch nicht. Ich finde Euch unterhaltsam“, erklärte Myotismon weiter. Diesmal schmunzelte er und es war Sanzomon, die nicht darauf ansprang. „Unterhaltsam?“ „Ein Digimon wie Ihr, dass so voller Wissensdurst ist finde ich amüsant. Und wollt Ihr denn nicht wissen, ob die Horrorgeschichten wahr sind? Ich bin eine fast ausgestorbene Art. Diese Chance bekommt Ihr kein zweites Mal.“ „Versucht Ihr mich zu umschmeicheln?“ Er antwortete nicht. Zwar hoben sich seine Mundwinkel, aber Sanzomon würde nicht behaupten, dass er lächelte. Ohne das der Augenkontakt unterbrochen wurde ließ er seine Hand im Halbkreis schweifen und deutete auf den anderen Sessel. Sie solle sich zu ihm setzen, doch Sanzomon zögerte das Angebot anzunehmen. Dass sie Myotismon selbst kaum etwas fragte lag neben ihrer Vorsicht und dem Misstrauen daran, dass er selbst schon eine überaus verschlossene Ausstrahlung besaß. Und wenn sie ihn was fragte, wich er wenn möglich einer klaren Antwort immer aus. Sie hatte ihn zu Anfang viel über das Schloss gefragt, jedoch bekam sie von Myotismon keine Antworten. Nicht das er schwieg, nur hatte dieses Digimon das unfassbare Talent viel zu reden und letztlich doch nichts auszusagen. Er umging die Antworten. Es war Absicht. Er wollte ihr keine Antworten über das Schloss geben. Das er nun so ein Bedürfnis nach einer Konversation hatte kam ihr suspekt vor. Sanzomon setzte sich. Der Tisch, wo einst das Schachbrett abgebildet war hatte nur kein Schachmuster mehr. Was für ein Muster es war konnte sie nicht erkennen (sie glaubte den Teil einer Mondsichel zu erkennen), zwei Teetassen und eine Kanne versperrten die Sicht. Dass sich das Muster veränderte überraschte Sanzomon mittlerweile auch nicht mehr, so merkwürdig eigenwillig das Schloss war. Hier veränderte sich öfter etwas. Oder das Dinge auftauchten, so wie der Tee. Sanzomon überlege noch, ob ein Bakemon ihr diesen vielleicht gebracht hatte, aber sie konnte sich nicht erinnern. Dem aufsteigenden Dampf zu urteilen vermutlich nicht. Der Tee roch gut, ihr war aber nicht danach ihn zu probieren. Sanzomon saß angespannt Myotismon gegenüber. Papiere lag auf ihrem Schoss. Die Feder, die sie zum schreiben nahm zwirbelte sie zwischen ihren Fingern. Sie schwieg und starrte. Vielleicht zehn Sekunden. Vielleicht auch zehn Minuten. Ihre Skepsis, zusammen mit all den Fragen die sie hatte ließen dieses sonst so gesprächige Digimon verstummen. Myotismon nahm nur seelenruhig ein Schluck Tee und stellte die Tasse wieder ab. „Fragt.“ Doch es kam wieder erst nur Stille. Sanzomon blieb resigniert und kämpfte mit aller Kraft dagegen an irgendwelche Gesten von sich zu geben, die andeuten könnten sie sei nervös. Sie zwang sich regelrecht dazu ruhig zu atmen und widerstand dem Verlangen sich auf die Lippen zu kauen. Dass Myotismon anders wie sie so entspannt war ärgerte sie beinahe und sie vermutete, dass dies hier für ihn einzig nur ein Spiel oder ein Zeitvertreib war. Wenn man nicht das Schloss verlassen konnte wurde einem sicherlich langweilig. Vermutlich war es für ihn Unterhaltung. Er nahm erneut die Tasse in seine Hand, diesmal mitsamt der Untertasse und trank noch einen Schluck. Tee. Seit wann trank ein Blutsauger Tee? „Das mit dem Blut trinken stimmt aber, oder nicht?“ Abrupte Stille und Erstarren. Die Feder, die Sanzomon in ihrer Hand hielt schwebte zwar knapp über dem Papier, aber bei der Feststellung wie plump und unangemessen diese Frage schien hatte sie sich mit dieser Hand lieber ins Gesicht geschlagen. Ihr Bedürfnis wurde durch Myotismons Schmunzeln noch einmal verstärkt. „Es ist etwas komplexer. Meine Art hat sich wie jede andere Digimon-Art den Umständen angepasst. Blut mag meine bevorzugte Speise sein, aber die Jagd wird schwieriger und riskanter für meinesgleichen. Und wenn man dann noch eine so seltene Art ist, muss man auf der Hut sein. Wenige Generationen vor mir begannen normale Speisen zu sich zu nehmen und dieses Wissen trugen spätere Generationen weiter. Daten sind Daten. Ein rohes Steak füllt den Magen... Für eine geraume Zeit zumindest. Und natürlich nicht so effektiv und stärkend wie meine Leibspeise.“ Er hielt inne, um Sanzomon die Zeit zu lassen sich Notizen zu machen. Obwohl sie schnell schrieb, war ihre Schrift doch ordentlich, geschwungen und gut lesbar. Ein Wort, dass sie besonders groß schrieb und sogar unterstrich, zwischen BRAUCHT BLUT FÜR ENERGIE KANN ABER AUCH NORMALES SPEISEN ZU SICH NEHMEN und HUNGERGEFÜHL / BAKEMON NICHT das Wort EVOLUTION. Und schließlich, nach einer kurzen Pause neben dieses EVOLUTION = LEBEN, UNTOT = LEBEN? SEHNSUCHT NACH LEBEN? LEBENSGEFÜHL AUFRECHTERHALTEN? „Ihr seht es viel zu philosophisch“, rief er sie schließlich. Sofort hörte Sanzomon auf zu schreiben und sah zu ihm auf, nicht wissend, was er meinte. „Zwischen Leben und Tod existiert nichts. Wir sind eher fast tot. Wir Untote-Digimon sind ein uralter Virus, der Legenden zufolge seinen Ursprung in den Tiefen der Dark Area hat. Er ist simpel, aber über die Äonen oft mutiert. Er ist leicht zu vernichten, aber gerade weil er so uralt ist, unmöglich aus der Welt zu tilgen. Ich habe sogar die Theorie, er steckt in allen von uns. Da ist nichts mit Sehnsucht oder Lebensgefühl aufrecht erhalten. Wir sind Digimon, die Dank bestimmter Daten noch nicht ganz dahingeschieden sind. Entsprechend passt sich unsere Form an.“ Mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen beobachtete er Sanzomon, wie sie ihre Papiere etwas anhob, damit er ihre Notizen nicht mehr lesen konnte. Es war zu dunkel im Raum und vielleicht lag es an den Kerzen, aber es sah aus, als hätte sich ihre Wangen rot verfärbt. Anders auch wie Myotismon, der seelenruhig noch einen Schluck zu sich nahm, schluckte Sanzomon und rieb sich einmal über ihre Hand, hoffend es würde das Kribbeln in ihnen etwas dämmen. Digimon hatte sie immer nur aus der Ferne beobachtet und das was sie sah notiert. Aber sie war nie direkt auf diese zu gegangen oder hatte mit ihnen geredet, auch wenn sie die Kapazität besaßen mit ihr komplexe Diskussionen zu führen, geschweige denn sinngemäß auf einfache Ja- und Nein-Fragen zu antworten. Obwohl Myotismon ihr sagte, sie sollte es nicht philosophisch betrachten, schrieb sie neben dem Wort VIRUS Randbemerkungen daneben. WAS IST VIRUS? WAS BEDEUTET VIRUS UND WAS BEDEUTET SERUM? NUR DATEN? Kaum dass sie das Fragezeichen auf ihrem Papier ausschrieb, kehrte eine alte Erinnerung aus ihrem Unterbewusstsein auf. Zu Hause, oder das was Sanzomon früher als zu Hause bezeichnete lebte man so streng und borniert, dass es eigentlich schon bigott war. Obwohl alle Typen vertreten waren, sehnte man sich nach dem Licht, dass seit dem Auftauchen der Meister der Dunkelheit so selten geworden war, verkörpert durch heilige und Engel-Digimon. Heilig war gut, Dunkelheit war böse, dass bekamen sie von klein auf erklärt. Licht ist Leben, Dunkelheit ist Tod. Licht ist Vernunft, ist Bescheidenheit, ist Gelassenheit ist Großzügigkeit, ist Redlichkeit. Und etwas, was ihre Lehrmeister und Ammen als Dunkelheit, als Böse bezeichneten fassten sie nur mit einem einzigen Wort zusammen – Triebhaftigkeit. Und triebhaft war alles zu besitzen, alles zu verschlingen, alles zu zerstören, alles zu - „... wissen...“, begann sie, obwohl es nicht Sanzomons Absicht war ihre Gedanken laut auszusprechen. Sie bemerkte es auch nur daran, dass Myotismon die Augenbrauen unter der Maske hochzog und plötzlich gespannt darauf wartete, dass sie ihren Satz aussprach. Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Schon gut. E-es war nicht so wichtig“, antwortete sie seufzend und rieb sich über ihr immer noch warmes Gesicht. „Wo war ich – Ja, also... Ihr sagt, Ihr seid fast tot. Aber Ihr habt ein Herz, oder? Man erzählt sich in Horrorgeschichten schließlich, man solle dieses aus Euersgleichen herausschneiden. Oder etwas spitzes hineinrammen.“ „War das eine Drohung?“, fragte Myotismon und grinste noch breiter. Sanzomon jedoch erwiderte es nicht. Sie stierte ihm nur ernst in die Augen. Und ihre doch plötzlich aufrechte Haltung verriet Myotismon, dass es zwar nicht ihre Absicht war zu drohen, aber ihre Aussage nicht gänzlich naiv. „Nun, einen Digikern haben wir alle. Aber bei den meisten Bakemon ist er schwer beschädigt. Ob er wegen dieses Virus so beschädigt ist oder er es schon zuvor war und nur Dank des Virus noch zusammen gehalten wird, das weiß ich nicht... Fakt ist, sie haben erhebliche Einschränkungen, insbesondere in ihrem Denken. Ohne einen Anführer könnten sie sich nicht organisieren. Wenige Ausnahmen schaffen es die nötige Stärke zu erlangen zu digiteren und werden wie mein treuster General.“ „Und was ist mit Euch? Seid Ihr auch wie die Bakemon gewesen?“, fragte Sanzomon weiter. „Nein. Ich war nie ein Bakemon, oder irgendein anderes untotes Digimon. Um so überraschter bin ich, dass sie mich, als ehemaliges Tier-Digimon akzeptieren. Geist-Digimon sind etwas xenophob, müsst Ihr wissen. Sie misstrauen anderen Digimon grundsätzlich. Rückblickend, wie man sie behandelt durchaus verständlich.“ „Tier-Digimon?“, murmelte Sanzomon, während sie weiter Notizen schrieb. „Aber... was, und -“ Sie sprach ihren Satz nicht zu ende. Als sie auch ihren Blick von ihrem Papier abwandte und aufsah, schien der Raum dunkler. Sie brauchte einen Moment, bis sie realisierte, dass nicht der Raum dunkler geworden war, sondern dass sich eine Finsternis vor ihr sammelte, eine Finsternis mit glühenden Augen, einer langen Schnauze und auf vier schlanken Beinen stehend. Und sie könnte schwören, dieses Etwas hätte vor ihr mit seinen Zähnen gefletscht. Bis aber Sanzomons Gedächtnis die Form etwas Bekannten zuordnen konnte zerfiel diese Erscheinung wieder in den Schwarm zahlloser Fledermäuse. Diese verschwanden in den Schatten der Ecken und nichts machte plötzlich den Anschein mehr, dass sie überhaupt noch hier sein, sondern sie wären mit den Schatten verschmolzen und verschwunden. Das beachtete Sanzomon jedoch weniger, sondern starrte überrumpelt vor sich hin, die Gestalt immer noch in ihrem Kopf und sich erinnernd, dass das nicht einfach irgendeine Gestalt, sondern ein Digimon war. Eines, dass sie wie Myotismon nur aus Gruselgeschichten oder Weissagungen aus ihrer Heimat kannte. Die alten Büchern nannten diese Art Digimon abwertend einen Grimm, sowie man Myotismon Vampir nannte. „Ein... Dobermon?“, fragte Sanzomon überrascht, Myotismon grinste jedoch weiter. „Aber.. Wie?“ „Ich sagte doch, dieses gewisse Etwas liegt in jedem von uns. Man muss es nur zu Nutze wissen und die richtigen Veranlagungen haben. Daran scheitern jedoch die meisten. Dass Digimon meiner Art von den Untoten zum König ernannt werden liegt an unseren Fähigkeiten und unserer Stärke, die nicht jedes Digimon nutzen, geschweige den kontrollieren kann, selbst die untoten Digimon nicht. Um so seltener ist meine Spezies. Es haben genug Digimon versucht so zu werden wie ich und fast alle scheitern. Vielleicht ist dies auch ihr Glück. Ein Leben zu führen wie ich kann... eintönig sein.“ Seelenruhig nahm Myotismon noch einen Schluck Tee. Zwar griff Sanzomon auch nach ihrer Tasse, trank aber nichts. Sie fragte sich stattdessen, wie oft er überhaupt dazu kam mit irgendeinem anderen Digimon Tee zu trinken. Er hatte sicherlich nicht ohne Grund wenig Besuch, dennoch verspürte Sanzomon etwas wie Mitleid. In einem Schloss eingesperrt zu sein, egal wie groß es ist und nicht hinaus in die Digiwelt zu können musste ein mehr wie nur eintöniges Dasein sein. Ein Leben, dass auch sie auch fast geführt hätte. „Der Punkt ist, wir unterscheiden uns. Nicht nur durch unsere Anpassung an die Digiwelt. Es kommt darauf an wie wir so werden. Manche sterben beinah bei dieser Digitation, sie werden vom Virus in uns komplett korrumpiert oder es ist eine Laune der Natur.“ „Wenn ich das also richtig verstehe, hängen die Fähigkeiten davon ab, aus was ihr digitiert?“, harkte Sanzomon nach. Myotismon nickte ihr erst zustimmend zu, dann beugte er sich nach vorn. Das war nicht das erste Mal, dass Sanzomon von dieser Theorie hörte bezüglich der Entwicklung verschiedener Digimon-Arten. Jedoch in ihrer Heimat davon zu reden war blasphemisch. Ein Digimon zu sehen, dass Ihre Theorie – oder eher die Theorie der Digimon, dir ihr diese Lehre näher brachten durch ihn bestätigt zu bekommen faszinierte sie um so mehr. „Ich gebe Euch ein Beispiel. Mein Meister war überaus lichtempfindlich. Ich denke, er digitierte aus einem Geist-Digimon. Er war stark. Sehr stark. Vielleicht sogar stärker als ich. Doch nur ein Hauch Tageslicht nahm ihm fast seine gesamte Kraft. Er musste nur seine Hand aus den Schatten ragen und er fing regelrecht Feuer.“ Demonstrativ streckte Myotismon seine Hand auf, drehte sie leicht, bis er einer Flamme in der Hand hielt, die zwar nicht groß oder sonderlich hell war, aber die Temperatur im Raum dennoch nach oben trieb. Von der Zaubershow an sich weniger beeindruckt wie von den Worten, die aus dem Mund dieses Digimon kamen schrieb Sanzomon stumm weiter. „Ich habe dieses Problem nicht. Ich digitierte aus einem lebenden Tier-Digimon. Selbstverständlich werde ich niemals einen Spaziergang schutzlos im Sonnenlicht wagen, auch wenn es mich nicht sofort umbringen würde. Doch erlauben es mir dichter Nebel und Wolken, die das Licht verschlingen, dass ich auch am Tage meinen Schritt aus meinen Schloss wagen kann, ohne gleich in Flammen aufzugehen.“ Aufs Stichwort verschwand das Feuer wieder. Sanzomon widmete dem aber auch nur ein kurzes Aufschauen, nicht einmal eine Sekunde, dann sah sie wieder auf ihr Papier. Myotismon wartete so geduldig, so fast unheimlich ruhig dass man gar das Kratzen der Feder auf dem Material hörte, dabei schrieb Sanzomon trotz der Geschwindigkeit und der Bemühung, ihn nicht lange warten zu lassen sacht. „Und so zeigen sich bei verschiedenen Artgenossen verschiedene Stärken und Schwächen.“ „Habt Ihr den viele Euersgleichen getroffen?“ „Mit meinem ehemaligen Meister sind es haargenau... Eines.“ Das kratzende Geräusch auf dem Papier verstummte abrupt. Sanzomon stutzte, dann sah sie fragend von ihrem Papier auf, während Myotismon weiter um gänzliche Neutralität und Emotionslosigkeit in seinem Auftreten bemüht war. „Eines?“ Myotismon zuckte nur mit den Schultern. „Wir sind selten geworden. Ich wüsste nicht, dass es aktuell mehr von meiner Sorte gebe. Zumindest auf Server. Und wenn, werden die Meister der Dunkelheit sie vermutlich getötet haben und sie haben sich zurückgezogen, so wie ich.“ „Wollt Ihr nicht wissen, was mit ihnen geschehen ist?“ „Was hätte ich davon?“, fragte er, in einem Ton als hätte Sanzomon ihm eine Beleidigung an den Kopf geworfen. Da wurde ihr klar, dass sich Myotismon sich nicht um Neutralität scherte. Ihm war es schlicht gleichgültig. „Nun, vielleicht könntet ihr zusammen zum Beispiel die Macht der Meister der Dunkelheit eindämmen. Sie werden für Euch sicherlich genauso eine Bedrohung sein wie für jedes andere Digimon auch.“ „Meine Artgenossen würden mir nur mein Reich und mein Essen streitig machen. Ich bin ohne sie besser dran. Glaubt mir“, beteuerte Myotismon eisern und gerade als Sanzomon widersprechen wollte unterbrach er sie auch schon. „Ihr wisst nicht wie Krieg funktioniert, oder?“ Es herrschte Stille. Dann bewegte Sanzomon leicht ihren Kopf hin und her und erntete dafür von Myotismon ein spottendes Seufzen. „Natürlich nicht. Ihr entstammt ja einer anderen Zeit. So wie ich Euch einschätze, seid Ihr gar zu jung um überhaupt einen Krieg miterlebt zu haben. Wie beneidenswert.“ Wieder ein Grinsen. Sein überspitzter Ton war sogar Sanzomon aufgefallen. Er spottet über sie und wartete gespannt, ob und wie sie kontern würde. Sanzomon entschied sich hingegen nicht darauf anzuspringen, ließ aber anmerken, dass sie dennoch verstanden hatte, was er ihr indirekt sagen wollte. „Wer schon so viel gesehen hat wie ich weiß, wie solche Bündnisse früher oder später enden, insbesondere mit meiner Art. Wer so naiv ist und an Dinge wie bedingungslose Freundschaft, Zusammenhalt oder gar Moral glaubt, wird der Erste sein, den man einen Pflock in die Brust rammt.“ „Aber es wäre doch vernünftiger“, entgegnete Sanzomon. Und ganz plötzlich verschwand Myotismons schelmisches Grinsen komplett. Nicht einmal ein Hauch davon blieb zurück. Seine Miene war wie Stein, steif und todernst. „Vernunft ist die Ausnahme. Nicht die Regel.“ Sie hatte anschließend auf ein Lachen gehofft. Aber Myotismon lachte nicht. Er tat rein gar nichts, außer darauf zu warten, was sie nun schreiben würde, aber jeder Satz der in Sanzomons Kopf entstand verwarf sie noch im selben Augenblick, denn keiner davon hätte auch nur annähernd das beschreiben können, was ihr wirklich durch den Kopf ging oder was sie in Myotismons Augen glaubte erkannt zu haben. Vielleicht wollte sie diese Gedanken auch einfach nicht in schriftlicher Form sehen, ansonsten hätte sie noch schwarz auf weiß, wie ahnungslos sie war. Eine Tür schien sich vor Sanzomon geöffnet zu haben, die eigentlich immer offen war, an die sie sich jedoch kaum getraute heranzugehen. Die Welt war nicht so friedlich wie man es ihr als junges Digimon immer verkaufte, ehe sie ihre Heimat verließ. Das Digimon kämpften war jedem klar. Die Gründe dieser Kämpfe waren mannigfaltig. Auch was Krieg war wusste Sanzomon selbstverständlich und sie hielt solche Machtdemonstrationen für mehr wie nur sinnlos, barbarisch und insbesondere nicht mehr zeitgemäß. Zu hören dass auf Server, einem so modernen Kontinent so etwas wie Krieg herrschte klang absurd und fremdartig. Etwas, was nur primitive und von der Dunkelheit zu brutalen Bestien mutierten Digimon taten. Nun jedoch wo sie Myotismon vor sich hatte kam sie sich vor, als wüsste sie gar nichts. Sie kannte die Zeit von damals nicht. Sie kannte die raue Natur solcher Digimon wie er eines war nicht. Sie wusste nicht, dass Krieg oftmals alles andere als nur primitiv und triebhaft war. „Ich fürchte, Ihr seid doch noch nicht so weit. Zu schade. Ich hätte von einem Digimon, dass noch so jung und so wenig gesehen hat nicht zu viel erwarten sollen“, sagte Myotismon bedauernd. Er wartete noch darauf, dass Sanzomon etwas sagte, doch es kam nichts über ihre Lippen. Stattdessen senkte sie ihren Blick reumütig und merkte auch erst nicht, dass Myotismon wieder dabei war aufzustehen. Vernunft ist nicht die Regel. Das hatte sie schon einmal gehört. Die Digiwelt sei ein furchtbarer Ort, darum gab es so etwas wie Krieg oder eben Digimon, wie Myotismon eines war. Sie brachten Ungleichgewicht. Sie, die Triebhaftigkeit, gehöre ausgelöscht, dass war das Dogma der Digimon, die sie aufzogen um heilige Digimon heranzuziehen. Triebhaftigkeit war etwas, für was man sich zu schämen hatte. Was gelöscht gehört. Reine Vernunft war der Segen, den nur heilige Digimon zu verstehen wüssten, hieß es. Und es war bitter zu hören, ihr Wissensdrang gehöre mit zu dieser Triebhaftigkeit. Die jahrelange strenge und fromme Erziehung würde Sanzomon nur schwer aus sich heraus bekommen, dass hatte schon Sorcerymon prophezeit. Ein Magier-Digimon, dass so plötzlich erschien, wie es auch wieder verschwinden würde. Sorcerymon war viel gereist, hatte viel gesehen und hatte ihr einiges davon erzählt und sie wusste, sie wollte genauso durch die Welt reisen. Normalerweise förderte Sorcerymon ihren Enthusiasmus, aber da wurde er plötzlich ruhig und zurückhaltend. (Bist du sicher dass du das auch wirklich willst?) Allmählich verstand sie seine Bedenken. Jedoch... „Was habt Ihr damals gesehen?“ Myotismon bewegte sich plötzlich nicht mehr, aber er hob den Kopf um Sanzomon in die Augen sehen zu können. Und ganz plötzlich waren ihre Augen klarer wie zuvor, aber sie wirkten nicht sanft. Sie wirkte so ernst. So entschlossen, aber auch so aufgeregt. Das war so ungewohnt, machte Sanzomon doch sonst er einen sanftmütigen und leicht verträumten Eindruck. Er versuchte zu lachen, wenn Sanzomon sich nicht aber erklären konnte warum er das versuchen sollte. Vielleicht um zu kaschieren, dass ihre Bitte ihn doch etwas überraschte. „Ein Pazifist der Kriegsgeschichten hören möchte? Ist das kein Widerspruch?“ „Ich möchte es hören. Von Euch.“ Eine Aura schien sich um sie zu legen. Sie war nicht dick, aber schwer genug, dass Sanzomon sie auf ihren Schultern spürte, wie eine Hand oder ein Vogel-Digimon, dass auf ihr Platz nahm. Dass dieses Vakuum der Finsternis, dass in diesem Schloss hauste sie zu erdrücken versuchte war Sanzomon nicht neu. Manchmal schlich es sich an sie heran, manchmal überfiel es sie regelrecht. Licht und Dunkelheit waren in ständiger Konkurrenz, selbst wenn dieses Licht pazifistisch und möglichst unauffällig war. Aber irgendwie war dieses Vakuum, dass Sanzomon wie auch Myotismon einschloss in diesem Fall doch seltsam. Myotismon starrte sie an, in seiner Bewegung erfroren und sie starrte nur zurück. Und wie so oft wusste auch hier Sanzomon nicht, was der untote Schlossherr von ihr dachte. Ihr Papier und auch ihre Feder legte Sanzomon nur Seite und ihre hellen Hände legte sie gefaltet auf ihrem Schoss ab, hoffend, dass er ihre Geste verstand. Er musste, oder zumindest weckte es in Myotismon Interesse, ansonsten hätte er sich vielleicht nicht wieder zurück in den Sessel gesetzt. „Ich kämpfte im Krieg und in vielen Schlachten. Ich sah Digimon aufsteigen, ich sah Digimon fallen und nur die stärksten und klügsten setzten sich durch“, begann er. Seine Stimme war deutlich. Er sprach ein klein wenig langsamer. Er wollte, dass sich Sanzomon jedes Wort einprägte. Oder er ließ sich einfach Zeit, um so besser beobachten zu können wie Sanzomon reagieren würde. Zumindest bestätigte Myotismons eindringlicher Augenkontakt ihre Gedanken. Und sie würde zuhören. Sehr gut zuhören. „Ich war eines vieler Tsukaimon, die mein ehemaliger Herr aufnahm um aus ihnen gute Soldaten zu machen. Er nahm sehr viele von uns auf. Zu viele. Das Essen reichte nicht für uns alle. Ich erkannte später, dass dahinter ein Plan steckte. Mein Meister ließ uns ums Essen kämpfen. Die Stärksten bekamen, was sie wollten. Die Schwachen verhungerten. Wer teilen wollte oder zu gutmütig war, wurde früher oder später hintergangen.“ Wieder hielt Myotismon inne und wartete darauf, die Sanzomon reagierte. Sie würde versuchen nicht zu reagieren, sie würde es zu unterdrücken versuchen, doch kleine Bewegungen, leichte Zuckungen oder nur leichte Veränderungen ihrer Position würden sie verraten, ihre Erschütterung darüber wie Digimon, die eigentlich als so intelligent galten ohne jeden Grund so sadistisch sein konnten. Myotismons Schätzung traf ein, doch Sanzomon verpasst seine Überraschung darüber wie sie reagierte. Nicht entsetzt. Nur nachdenklich. Sie neigte den Kopf, schaute kurz weg. Seine Beschreibung der Lage und der psychischen Belastung, die diese mit sich brachte klang für sie grausam, obwohl er davon erzählte, als sei es so banales wie ein Schluck Wasser zu trinken. „Ich habe mich schon früh durchzusetzen gewusst und war meinem Mitstreitern in allen überlegen. Auch in jeder Schlacht, in denen ich unsere Ländereien vor den digitalen Abschaum befreite, der in die Digiwelt strömte und sich ausbreitete wie eine Seuche“, sprach Myotismon weiter und Sanzomon vernahm etwas wie einen Hauch von Zorn und Ekel in seiner Aussprache, wunderte sich aber mehr über seine Wortwahl. Daten, die in die Digiwelt strömten. Meinte er die Digimon der Dark Area? Die Meister der Dunkelheit? So offensichtlich Sanzomon zeigte, dass sie eine genauere Nennung dieser Seuche wünschte, so offensichtlich war Myotismon nicht geneigt dazu genauer darauf einzugehen. Er lehnte sich nur weiter zurück, die Hände ineinander gelegt. „Die Digiwelt kam mit so vielen neuen Daten und besonders vielen korrupten Daten nicht hinterher. Die Umwelt und die Natur veränderte sich. Überschwemmungen und Hunger schnürte noch mehr Unzufriedenheit. Weil sich aber damals niemand mit der Wissenschaft der Digiwelt beschäftigte, schob der Pöbel die Missernten und starken Unwetter auf die Landesherren und diese wiederum auf die Nachbarländer. Auch mein damaliger Meister schickte uns in die Schlachten, die mehr dazu dienen sollten seinen bereits beschädigten Ruf zu retten, statt wirklich sein Volk zu schützen. Ich kämpfte am Anfang als schlichter Soldat, kaum dass ich Dobermon wurde. Kämpfe dauerten manchmal Tage. Kameraden, die neben mir in einer Reihe standen lösten sich auf und starben. Ich habe aufgehört zu zählen wie viele Kämpfe es waren und wie viele dabei drauf gingen. Manchmal sah ich monatelang nichts als Ödland und meine verletzten Kameraden im Sand. Hätten wir mehr Ressourcen, hätten vielleicht mehr überlebt. Und mir wäre oftmals die Entscheidung erspart geblieben, entscheiden zu müssen ob es sich lohnt sie zu retten, oder ob man ihnen nicht den Kopf abbeißt, damit sie wenigstens schnell sterben. Denn egal wie man sich entscheidet, es beschwert sich im Nachhinein immer jemand und meist die, die zu feige waren diese Verantwortung zu übernehmen.“ Er trank noch einen Schluck Tee, mit einer Seelenruhe, die Sanzomons Magen fast zum drehen brachte. Sie hörte ihm zu und konnte sich das Gesagte bildlich vorstellen. Um so weniger verstand sie, wie gelassen er das erzählen konnte. „Verantwortung zu übernehmen zahlt sich aber früher oder später aus. Irgendwann wurde ich aufgrund guter Leistung, Stärke und Intelligenz im Kampf Leutnant. Dann Oberleutnant. Dann Hauptmann. Dann Mayor. Irgendwann General. Und letztlich bekam ich die Krone, die mein Meister anstrebte.“ Sanzomon nickte vorsichtig. Auch wenn ihr Körper weiter einen versteinerten Eindruck erweckt, ein Blick in die Augen reichte um zu erkennen, dass ihr Verstand regelrecht auch Hochtouren lief. Insbesondere als ihr Verstand versuchte eine Zeit für das alles zu finden, eine Epoche, in die es diese einordnen konnte und sich mehr und mehr Fragen stellte. Ja, es gab solche Bürgerkriege. Um genau zu sein waren es mehrere, kleiner Kriege, die irgendwann die Grenzen überschritten und zu einem einzigen Chaos verschmolzen. Als die Kontinente sich teilten und der Abstand größer wurde, legte es sich etwas und neue, politische Strukturen innerhalb der Kontinente sorgten für Waffenstillstände (zumindest bis die Meister der Dunkelheit auf der Bildfläche erschienen). Aber wann war das? Sanzomon hörte davon selbst nur in Büchern. Digimon, die das noch aktiv miterlebt hatten, kannte sie keine. Eigentlich war Sanzomon sogar überzeugt davon, dass es keine Digimon mehr gab, die noch in diesem Krieg gekämpft hatten. Diese Ereignisse waren hunderte Jahre her. „Wie alt seid Ihr?“, fragte Sanzomon. Es war eine nebensächliche Frage, die sie nicht einmal besonders ernst meinte. Sie lachte sogar etwas, als sie diese stellte – und hörte sofort wieder auf, als Myotismon mit ihr lachte. „Alt genug“, antwortete er, mit einer Mehrdeutigkeit in seinem Grinsen, dass Sanzomon Gänsehaut bereitete. Alt, alt genug, alt genug um eine Zeit zu kennen vor den Meister der Dunkelheit, eine Zeit, die über das Alter ihrer Bücher hinausging. (Daten, die in die Digiwelt strömten) Sie fragte sich, was er alles schon sah. Was wusste er? Wie war die Digiwelt früher? Wie waren die Digimon früher? (wie war er früher?) So viele Fragen kamen ihr in den Sinn, aber sie sprach keine aus, auch wenn ihr dies schwer fiel. Gänsehaut zeichnete sich auf ihren Armen ab, doch Sanzomon traute sich nicht ihre Ärmel weiter hinunter zu ziehen. Das würde sie nur verraten. „U-Und mit Eurem ehemaligen Meister zusammenzuarbeiten kam Euch nicht in den Sinn? Zu Zweit hätte man den Krieg doch leicht für sich entschieden. Oder nicht?“, fragte sie weiter. Wenn sie das Thema weiter vorantrieb, würde dieser Erregungszustand vielleicht von selbst verschwinden. Oder wenn Myotismon anfangen würde sich klarer zu äußern, wie nur kurz zu antworten, aber anhand der Wortwahl doch so viel anzudeuten. Da er dies aber bewusst tat und er trotz Sanzomons Mühen sah, wie sehr seine Erzählungen sie fesselten, würde er es so schnell nicht tun. Es machte ihm Spaß sie zappeln zu sehen. Sanzomon griff nach ihrer Tasse, wie auch nach der Untertasse, statt sie aber nach einem große Schluck wieder abzulegen, behielt sie diese in ihrer Hand. „Ich sagte Euch doch, wir sind dissozial. Für uns ist der andere nur Konkurrenz. Meinesgleichen ist der Auffassung, dass je weniger von uns existieren, um so besser es für einen selbst ist. Andere Digimon begrüßen diese Einstellung selbstverständlich.“ „Und... was ist mit Eurem Meister passiert?“ „Was denkt Ihr denn, was passiert sein könnte?“ Sanzomons Mund öffnete sich zwar, doch dass, was sie sagen wollte blieb ihr im Hals stecken.Dass der ehemalige Meister tot war, war nicht schwer zu erraten. Doch die Frage war das Wie und dieses Wie wurde ihr in dem Moment bewusst, als sie Myotismon ins Gesicht sah. Sein Gesicht blieb erst noch neutral, dann schloss er kurz die Augen um zu blinzeln und als er sie wieder öffnete hoben sich auch seine Mundwinkel und plötzlich schien ihr, als wüsste sie auf einen Schlag alles. „Ich habe Euch doch verraten, dass mein Meister sehr lichtempfindlich war. Auch er konnte das Wetter beeinflussen, doch es half ihm nicht. Ich habe von ihm gelernt. Ich habe schon damals, als er mich mitnahm gespürt, dass ich es sein würde, der ihm irgendwann den Hals umdreht“, erklärte Myotismon weiter. Zwar klang er nicht anders wie zuvor, doch passend zu seiner Umschreibung ballte sich seine rechte Hand zu seiner Faust. „Er war mächtig, aber kein guter Anführer, in einer Zeit in der man gezielt Jagd nach blutsaugenden Digimon machte. Das machte ihn zusätzlich paranoid. Er sperrte sich ein und wir Soldaten müssten zusehen, wie wir zurechtkamen. Seine frustrierte Gefolgschaft auf meine Seite zu ziehen war mehr als einfach. Er hatte schon immer wenn es zu brenzlig wurde und er mit seiner Stärke nichts erreichen konnte die Verantwortung auf uns abgeschoben. So was gehört sich als Anführer nicht.“ Während Myotismon sich zu erinnern versuchte, wanderten seine blauen Augen zur Seite, schlossen sich für einen Moment, um nach dem Öffnen wieder Sanzomon zu fixieren, die steif da saß und sich vorzustellen versuchte, was geschehen war. Es gelang ihr zum Teil, doch das wahre Ausmaß dieses Chaos würde sie sich aufgrund der mangelnden Erfahrung nie vorstellen können, so sehr sie es versuchte. Und weil sie es eben weiter versuchte, behielt Myotismon sein Grinsen auf den Lippen. „Es geschah an einem sehr trockenem, aber düsteren Tag. Es waren sehr viele, dicke und schwarze Wolken am Himmel. So dicht, dass man nicht einmal sicher sein konnte, ob es Tag oder Nacht war. Nicht einmal mein Meister. Unsere innere Uhr sagt uns zwar, welche Tageszeit herrscht, doch der verlorene Krieg und diese Präsenz, die seit Tagen in seinem Schloss umher wanderte, die seiner so ähnlich war machten ihn schrecklich nervös und unvorsichtig. Seine Paranoia wurde von Tag zu Tag schlimmer. Sie beraubte ihn jeder Besonnenheit und statt zu kämpfen, wie es sich für einen Anführer gehörte, schlug er um sich wie ein dummes Tier-Digimon, dass man in die Ecke drängte. Und erst, als er nach einen langen Kampf erschöpft zu Boden ging und die ersten Sonnenstrahlen ihn berührten, erkannte er wer der Artgenosse und Verräter war. Binnen von Sekunden wurde er zu Asche. Selbst die Überreste seiner Daten, die sich im Winde verstreuten, rochen verbrannt und -.“ Das Klirren der Tassen unterbrach Myotismon. Sanzomon wäre sie beinahe aus der Hand gefallen, die mittlerweile so stark zitterte, dass sie die Porzellantasse mit beiden festhalten musste. Dann fasste sie sich an den Kopf. Lebhafte Fantasie, welch ein Fluch. Er erzählte und sie sah die Bilder vor sich. Sie schwor sogar, sie hätte die Datenreste in der Luft gerochen. Metallisch und erdrückend. Dass simpel gestrickte Digimon, die mehr aus animalischen Instinkten heraus agierten so waren war das eine. Sie kämpften um ihr Revier oder um Essen, zu meist waren sie friedlich. Die meisten zumindest. Die anderen hatten eine durch und durch aggressive Natur, gegen die keine gute Erziehung half. Aber wie vernunftbegabte Digimon, die so intelligent waren gleichzeitig doch so sadistisch und ignorant begriff sie nicht. „Wie wusstet Ihr, dass Euch das Sonnenlicht nicht so sehr zusetzen würde?“, fragte sie und holte dabei tief Luft. Das Entsetzen war ihr ins Gesicht geschrieben und der klägliche Versuch sich durch weitere Fragen zu fassen und auf andere Gedanken zu kommen halfen ihr kaum. Sie war blass im Gesicht geworden, selbst Myotismon bemühte sich, sich nicht über ihr unschuldiges Wissen lustig zu machen, sondern sagte ganz trocken: „Gar nicht.“ „Nicht?“, rief sie erschrocken, mit fast viel zu hoher Stimme. Ihr Gesicht war immer noch bleich, aber gleichzeitig warm. Dieses Digimon machte sie fertig. „Hattet Ihr keine Bedenken, dass Ihr auch so enden könntet?“ „Durchaus. Ich hegte jedoch nicht die Angst vor Licht wie mein Meister. Obwohl mir unwohl bei den Gedanken an Tageslicht war, sagte mir meine Intuition, dass ich nicht allzu viel zu fürchten hätte, solange ich mir meiner Grenzen bewusst blieb. Mattes Licht hielt ich stand, aber ob und wie lange ich in der direkten Sonnen überlebte, bis mein Meister ausgeschaltet sei, dass wusste ich nicht.“ „Wieso dann dieses Risiko?“, fragte sie. Sie klang wieder etwas ruhiger. „Nun... Ich bin eben neugierig. Nur bin ich nicht das Digimon, dass Ewigkeiten nur kleine Versuche unternimmt oder passiv in einer Ecke sitzt und beobachtet. Ich teste die Dinge lieber selbst aus. Ich bin da etwas eigen.“ „Aber hatte Ihr keinerlei Bindung zu Eurem Meister? Er hat Euch aufgenommen. Hattet Ihr nicht eine Sekunde Bedenken?“ In dem Moment als Sanzomon ihre Frage aussprach wusste sie Antwort auch schon. Myotismon musste ihr nicht antworten, er tat nichts und das sagte genug aus. Natürlich war ihm das gleich, wie so viele andere Dinge. Darum klang alles, was er von früher erzählte auch so gefühlsarm. Manche Geschichten die man über ihn und seinesgleichen erzählte hatten also doch einen wahren Kern. „Wir sind keine sozialen Digimon. Wir sind unsere größten Konkurrenten. Wir denken alle so. Zur Evolution gehört nicht nur, dass die Starken sich anpassen, sondern auch dass die Schwachen sterben. Und glaubt mir – jede Digimon-Art verfolgt dieses Prinzip. Selbst die Eure, wenn auch nicht so brutal wie es meine Art pflegt. Die stärkste Art überlebt und entwickelt sich weiter, um schließlich über die schwachen zu bestimmen. Wer schwach ist und stagniert stirbt früher oder später aus. So ist es vielen Digimon-Arten ergangen und es werden in der Zukunft noch genug folgen. Erschüttert Euch das so sehr?“ Auf die Frage war Sanzomon nicht vorbereitet und weil es sie so überraschte, wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Und weil sie keine Antwort hatte schaute sie beschämt zur Seite. Ihre Finger krallten sich in ihr Gewand. „Das gehört dazu, wenn man sich Wissen aneignen will. Man muss sich auch mit den unschönen Dingen beschäftigen. Hunger, Tod und Krieg gehören nun einmal in diese Welt. Das sind keine Abnormalitäten, die aus Mangel an Intelligenz entstehen. Vielmehr ist es das Natürlichste der Welt, anders wie die Schwachen durchzufüttern. So grausam es klingt, es garantiert, dass diese Welt sich weiterdreht und sich verändert. Das Streben nach Macht sichert unsere Position und unser Überleben. Ressourcen sind knapp in dieser Welt, darum sterben die Schwachen. Sie sind die Opfer die man bringt, damit man selbst, als treibende Kraft unserer so fragilen Gesellschaft überlebt.“ Myotismon nahm den letzten Schluck Tee zu sich, legte sacht die Tasse auf den kleinen Teller und ebenso leicht legte er beides auf den Tisch. Geduldig, behutsam, ohne zu hastig zu reagieren, ohne zittern und sie konnte es überhaupt nicht nachvollziehen. Jedes andere Digimon, dass über solch schreckliche Dinge erzählt hätte, würde zumindest ein wenig aufgewühlt sein oder man könnte es an seiner Körpersprache erkennen, egal wie viel Mühe es sich gab. Das erschreckte Sanzomon fast mehr wie seine Erzählungen und seine Einstellung. „Grundgesetz Null – Fressen oder gefressen werden. Die Welt da draußen ist nichts für Pazifisten. In der Regel sterben sie zuerst.“ „War dies ein Versprechen?“, fragte Sanzomon. Sie klang ernst, doch Myotismon lachte, als sei es ein düsterer Scherz gewesen, wenn es auch offensichtlich keiner war. Ihr Gesicht war klamm, ihre schwitzigen Hände verkrampften sich fester. Ihre Brust tat weh. Das Korsett der Nervosität spannte sie immer mehr an und wurde fast unerträglich fest, als Myotismon nicht nur aufstand, sondern auch noch direkt auf sie zu lief. Sanzomon realisierte dies aber erst nicht, bis sein Gesicht direkt vor ihrem war. Seine Arme stützte er auf beiden Armlehnen ab. Sein Schatten fiel direkt auf sie und hüllte Sanzomon in Dunkelheit. Sie war gefangen und glaubte Schweißperlen liefen ihre Stirn hinunter. Myotismons Finger legten sich unter ihr Kinn und hielten ihren Kopf fest. Nun konnte sie nicht einmal mehr wegsehen. Ihr Körper verkrampfte sich noch mehr. „Ihr müsst keine Angst haben. Ihr seid schließlich keine Konkurrenz. Außerdem würde es meine Ehre niemals erlauben Gäste anzugreifen, solange sie die Regeln des Hauses respektieren“, erklärte er. Jede einzelne Silbe aus seinem Mund klang, als unterdrückte er gerade so es loszulachen. Seine Selbstsicherheit, gepaart mit seinem arroganten Erscheinen raubte Sanzomon den Atem. Dennoch - Seine Augen, kreiste es in ihren Gedanken. Dass Myotismon einen Blick besaß, bei dem das digitale Blut schlagartig im Körper gefror hatte Sanzomon schon am ersten Tag bemerkt. Der Boden der Bibliothek war ein einziger großer Teppich, doch die Kälte ging dennoch bis zu den Füßen. Nun aber so vom Nahen merkte sie erst, wie stechend, wie intensiv und vor allem wie er sie ansah, wie (Beute Beute und dann rammen sie ihre Zähne in deinen Hals und saugen die Daten aus dir heraus, bis nichts mehr von dir übrig ist) Nein. Nicht nur wie ein Digimon, dass seine Beute fixierte. Eher wie ein Digimon, dass versuchte ihre Gedanken zu lesen, dass jede ihrer Bewegungen genau beobachtete um zu verstehen, was in ihr vorging. Er hatte kalte Augen. Intelligente Augen. Und mal nicht der Beobachter zu sein, der das Objekt des Wissensdranges analysierte, sondern selbst von so einem ebenso intelligenten Digimon angestarrt und so genau beobachtete zu werden empfand Sanzomon, wenn sie es auch nicht so gerne zugab als interessant. Reizvoll. Was Sanzomon aber fast noch ansehnlicher fand wie seine Augen, waren die Lippen. Violett, bläulich, ein Anzeichen, wie kalt sie sein mussten, aber die Fülle und Form, zusammen mit seiner gräulichen Blässe schmeichelte ihnen. Nur seine langen Zähne bereiteten etwas Unbehagen – machten seine Lippen jedoch kein bisschen uninteressanter und Sanzomon erwischte sich selbst dabei, wie sie mit ihrer Zungenspitze kurz ihre eigenen berührte. Sie hoffte, es war, trotz dass ihr Halstuch über die Nasenspitze ging nicht aufgefallen. Sie hoffte es inständig. Den Ansatz eines Lächelns jedoch und das leichte Zucken in ihren Augen konnte sie nicht komplett unterbinden. „Meine Kriegs-Geschichten scheinen Euch doch zu gefallen“, stellte Myotismon amüsiert fest. „Ihr seid kein besonders guter Pazifist.“ „Mein Pazifismus scheint nur wie so oft meinem Drang nach Wissen zu unterliegen.“ „Aber obliegt Euer Wissensdrang auch Eurer Angst?“ „Angst ist der Neugierde größter Widersacher. Also gilt es für mich Angst zu überwinden. Auch wenn das Thema schon fast obszön ist.“ „Angst ist ein ganz normaler Überlebensinstinkt. Ohne Angst würden wir stets nur in unser Unglück rennen. Und die Schwachen würden, trotz des Luxus in dem sie aktuell leben vor mich treten und frech werden, ohne zu merken, dass sie damit nur ihr eigenes Grab schaufeln. Das widert mich, trotz vieler Fortschritte so sehr an an der heutigen Digiwelt an. Die Schwachen haben vergessen, am welchen Ende der Nahrungskette sie stehen.“ Zum ersten Mal wurde ihr wirklich warm unter dem Stoff und sie glaubte, ihr ginge die Luft aus. Ihr wurde geradezu schwindlig und Sanzomon glaubte sogar, sie halluzinierte. Kam Myotismons Gesicht ihrem wirklich näher, oder dachte sie das nur? Ihre Wangen glühten. Ihre Umwelt schien sich zu drehen. „Ihr habt ja plötzlich wieder Farbe im Gesicht. Habt ihr keine Angst nach meinen Geschichten?“ „Ich vertraue einfach darauf, dass Euch Euer Wort und Eure Ehre wichtiger sind wie einfachen Bedürfnissen zu unterliegen, wie Hunger oder Machtdemonstration.“ „Ihr haltet mich also nicht für brutal und gewaltig? Da fühle ich mich ja fast geschmeichelt.“ Diesmal war Sanzomon sich sicher, dass dass das Gesicht dieses Digimon ihrem näher kam. Zu nah. Viel zu nah. Ein Geruch kam ihr entgegen, den sie zuvor noch nie gerochen hatte. Erstickend süßlich, aber irgendwie auch so erdig, beißend und schwer. Rochen Untote-Digimon so? Roch so der Tod? „Aber Ihr habt Recht. Ich bin nicht an kämpfen interessiert. Vor zwei-, dreihundert Jahren hätte es vielleicht anders ausgesehen, aber auch Ihr genießt den Luxus, dass Digimon wie ich auf Alternativen zurückgreifen können und auch wir uns entwickeln. Und solange Ihr mich nicht angreift, sehe ich keinen Grund Euch zu attackieren.“ „Ihr haltet mich also für schwach?“, fragte Sanzomon. Ihre Augenbraue hob sich leicht und sie klang für ihren Geschmack über dieser Äußern empörter, wie sie es sich dachte, obwohl sie nicht einmal wusste, warum sie es auch nur im Ansatz abwertend empfinden sollte. Vielleicht, aber auch nur vielleicht weil sie sich das vorstellte, weil Myotismon nun einmal keine schwach Digimon mochte, wie auch immer er schwach definierte. „Schwach klingt so hart. Ich behaupte nur, zu meiner Zeit hättet Ihr nicht so sorglos durch die Digiwelt spazieren können.“ „Damals hat man wohl auch Kameraden einfach sterben lassen, weil es einfacher war. Dabei hat jedes Digimon Potenzial über sich hinauszuwachsen. Man muss ihm nur die Möglichkeit geben. Stark ist nicht automatisch stark.“ „Man muss Prioritäten setzen. Nur die besten Daten setzen sich durch. Einmal schwach, immer schwach.“ „Wie lässt sich das damit vereinbaren, dass Ihr Digimon beschäftigt, deren Daten beschädigt sind, so wie die Bakemon?“ Als Myotismon stutze, vergrößerte sich der Abstand zwischen ihren Gesichtern wieder. Sanzomons verwirrter und verunsicherter Ausdruck verschwand, stattdessen stierte sie das Digimon vor ihr nun an. Überraschend stur und überraschend überzeugt von dem, was sie sagte. Die beiden Ultra-Digimon blickten sich stumm in die Augen, beinah wie in Trance. Wie so oft versuchte Sanzomon zu erahnen was in Myotismons Kopf wirklich vorging, aber wie so oft scheiterte sie daran. Sie fing an sich zu fragen, was diese Augen noch in all den Jahren gesehen hatten. Zu gern würde sie noch mehr von seiner Geschichte hören. Nicht nur um die Vergangenheit der Digiwelt, sondern auch ihn vielleicht besser verstehen zu können. Gelächter holte Sanzomon aus ihren eigenen Gedanken und sie war sich sogar erst gar nicht sicher, ob das wirklich von Myotismon kam. „Eure scharfe Zunge gefällt mir. Ihr seid witzig“, lachte er und es war tatsächlich sein überhebliches Lachen, dass Sanzomon allmählich von ihm gewohnt war, sondern einfach nur ein Lachen. Ein Lachen wie jedes andere normale Lachen auch. Und weil es so normal schien wirkte es bei Myotismon nicht nur untypisch, sondern aufgesetzt und Sanzomon war sich einig, dass das viel unheimlicher an ihm war, wie sein sonst typisches Verhalten. Es fehlte nur noch dass er ihr fast kumpelhaft auf die Schultern klopfte, wie das Digimon machten die im Pub in der Runde saßen und vor Lachen fast erstickten, tat er aber nicht. Er blieb auf Distanz, mied den Körperkontakt, ob der Abstand zwischen ihnen mittlerweile so gering schien, dass nicht einmal mehr ein Blatt zwischen ihnen Platz gefunden hätte. „Meine Bakemon oder auch der Rest meiner Dienstschaft mag nicht so stark sein. Aber manche haben Potenzial. Und wichtig ist, sie schmarotzen nicht, sondern machen sich nützlich. Sie sind sehr anpassungsfähig. Auch das ist Stärke und Entwicklung, nicht einfach nur zu digitieren. Aber das wisst Ihr, nicht? Ihr seid nämlich gar nicht so arglos, wie Ihr Euch gibt. Ich bin aber sicher nicht das erste Digimon, dem Eure störrische, nicht ganz so brave und fromme Art ins Auge sticht.“ „I-Ich...“ Eigentlich wollte sie Myotismon zustimmen. Er war wirklich nicht das erste Digimon, dass zu diesem Schluss kam. Sorceymon hatte das schon zu ihr gesagt, die Sistermon hatten dies schon gesagt, jedoch haben sie sich weniger direkt ausgedrückt. Und doch bekam sie kein Wort heraus. Als hätte sie schlagartig vergessen, was ihr auf der Zunge lag. Sie kam sich Myotismon gegeben über so dumm vor. Sie kannte sich so nicht. „Ihr besitzt auch Potenzial. Das sieht man in Euren Augen. Ich weiß nur nicht, ob ich das begrüßen oder verfluchen soll.“ „Ich bin nicht besonders stark. Ich war schon immer ein Bücherwurm“, erklärte sie nervös. Angespannt. Sie wusste nicht einmal warum sie das ihm offen zugab. Er würde sie nicht angreifen, dafür war ihm sein Ansehen als Schlossherr zu wichtig und es gab kaum etwas ehrloseres als Gäste, die unter dem Schutz des Hauses und der Einladung des Herrn standen zu attackieren. Obwohl Sanzomon sich das immer wieder sagte, glaubte sie mit jedem Mal weniger daran. Eingepfercht hier zu sitzen vermittelte ihr das Gefühl von Gefangenschaft. Die Hände zitterten, ihr Magen drehte sich und der Hals war staubtrocken. „Ihr wiederholt Euch. Und reine Stärke ist nicht alles und ich sehe Euch an, dass Ihr das ganz genau wisst und Ihr Eure Fähigkeiten ganz genau kennt. Ansonsten würdet Ihr nicht so unbeschwert hier bleiben.“ „Mich interessiert nur, wie Ihr und die anderen Untoten-Digimon leben. Angst würde meine Nachforschungen nur behindern.“ „Also habt ihr keine Angst?“ Sanzomon versuchte den Kopf zu schütteln, denn Worte bekam sie aus ihrer Kehle keine heraus. Doch auch ihr Nacken blieb steif, die Bewegungen ihres Kopfes waren minimal. „Wirklich nicht?“ „Nein. Ich habe keinen Grund“, sagte sie beinahe atemlos. „Und was macht Euch so sicher, dass ich Euch nicht doch einfach überwältige, wie jedes andere Digimon auch, dass es wagt in mein Reich einzutre-“ Zwischen Myotismon und Sanzomon lag nun auch ihre Malakette, die das Mönch-Digimon in ihren gefalteten Händen hielt. Noch in der selbe Sekunde begannen die einhundertundacht Perlen nach und nach zu leuchten an, während Sanzomon, nicht laut sondern nur in ihren Gedanken ein Sutra sprach. Sie wusste nicht einmal was für eines es war, es war ihr auch egal, solange es wirkte und dies tat es. Was sich in ihren Händen nur leicht warm anfühlte, glich dieses wenn auch schwache Licht für ein Digimon wie Myotismon einem unerträglich heißen Feuer. Er sprang regelrecht von Sanzomon fort und hielt sich seinen schwarzen Umhang vor das Gesicht, um dieses vor dem heiligen Licht zu schützen. Sein schlaksiger Körper zitterte, auch noch als Sanzomon vorsichtig ihre zugekniffenen Augen wieder öffnete, ihre innere Stimme verstummte und das Licht nachließ. Sie wollte sich entschuldigen, sie war sich plötzlich nicht mehr sicher gewesen ob er sich nur einen Scherz erlaubte oder nicht und hatte überreagiert. Doch Myotismon so zu sehen, krümmend und geschwächt von dieser Kraft war plötzlich so surreal, dass ihr die Worte wegblieben. Er war eben doch wie die Myotismon in den Horrormärchen, auch wenn er es überaus überzeugend kaschierte. Sie hatte ihn fauchen gehört. Fauchen. Wie ein in die Ecke getriebenes Tier-Digimon. Er krümmte sich. Er atmete hastig und immer mal wieder schnappte Myotismon nach Luft. Was jedoch erst wie ein Würgen klang – und Sanzomon konnte sich kaum vorstellen dass so etwas simpeles und ein Hauch von Licht so einen Effekt auf ein Digimon haben sollte – waren Lacher. Er fing an zu Lachen. Selbst in so einem Zustand nach so einer Situation. Sanzomon schüttelte den Kopf, ihren Mund versuchte sie zu schließen, schaffte es aber nicht. Auch überlegte sie, ob sie Angst haben oder wütend sein sollte. „Ihr könnt ja doch kämpfen“, lachte Myotismon laut, wie Sanzomon empfand auch viel zu arrogant und von Oben herab, dafür dass sie ihn zuvor noch einen Schreck einjagte. Sie hatte sich somit für Wut entscheiden, war aber zu empört, um zuvor zu antworten. „I-I-Ich wehre mich nur wenn es sein muss. Ich bin und bleibe Pazifist“, antwortete Sanzomon energisch. Die Perlenkette verschwand in ihrer Hand, dafür sprang Sanzomon nun aus dem Sessel. Für einen Moment fehlte jedes Gefühl in den Beinen und sie verlor etwas den Halt, stürzte sich aber nicht, allein dem Trotz Willen Myotismon keinen weiteren Grund zu geben sie auszulachen. Er lachte immer noch, aber leiser. Dieses Lachen klang tatsächlich komisch, als hätte er sich wirklich amüsiert, nicht von oben herab wie sonst. Selbstverständlich war alles an Myotismon getränkt von Hochmut, selbst wenn er nur dastand und gar nichts tat. Aber dieses Lachen, das allmählich erstarb klang nicht wie das, was Sanzomon von ihm kannte. Es klang schon fast natürlich. Das war fast genauso unheimlich. „Schon gut, schon gut. Ich mache doch nur Witze. Ihr seid einfach zu leicht aus der Fassung zu bringen. Zu schade, würde man das nicht auskosten. Ich weiß nicht was davon amüsanter war, dass Ihr mich wirklich angreifen wolltet oder Euer unbeholfenes Gesicht.“ „Ich – Bin – Pazifist. Ich greife niemanden an“, zischte Sanzomon deutlich und biss sich dabei auf die Zähne. Myotismons Lachen wurde eher ein Kichern, das leiser und leiser beim Anblick von Sanzomon, die ernst vor ihm stand und die Arme vor ihrer Brust verschränkte. Dann blieb sein Lachen aus. Ehe Sanzomon etwas sagen konnte, griff Myotismon nach ihrer Hand und das, was sie sagen wollte vergaß sie augenblicklich. „Verzeiht. Ich scheine wirklich übertrieben zu haben“, sagte er reuevoll, ohne dabei ihre Hand loszulassen. Auch wenn die Geste Sanzomon etwas überrumpelte, lenkte sie das kalte Gefühl von Myotismons eigener Hand sie ab. Das war nicht einfach wie Eis oder Stein, dafür waren seine Hand zu weich. Trotz des Handschuhs spürte sie es ganz deutlich. Die Finger waren lang und dünn unter den Stoff. Und kalt. So fremdartig. Diese Hand fühlte sich nicht wie die Hand eines Digimon an, obwohl sie doch offensichtlich einem gehörte. Sie fühlte sich leblos an, obwohl der Körper dazu noch intakt war. Untot eben. „Ich hatte viel zu lange kein Besuch von einem Digimon meines Levels, mit dem man sich ungezwungen unterhalten konnte. Einsamkeit macht sehr eigen und zynisch. In all den Jahren scheine ich meine Manieren und mein Gefühl für Diskretion vergessen zu haben. Solches Verhalten gehört sich nicht. Ich hoffe, Ihr nehmt meine Entschuldigung an.“ „I-Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Ich war nur überrascht und habe es versäumt zu sagen, dass es mir unangenehm war“, nuschelte Sanzomon. Sie zog ihre Hand wieder zu sich und hielt ihre andere darüber. Das Zittern ließ aber nicht nach. „Außerdem sind mir die Digimon, die etwas eigen sind die liebsten.“ „Ist dem so?“ Nun war kein Hauch von Betroffenheit mehr zu hören. Sie war so schnell verschwunden, wie sie erschienen war. Sanzomon war sich sogar nicht einmal sicher, ob es von Myotismon nicht einfach geschauspielert war. „Ist es, weil sie aus dem Raster fallen, dass man sonst kennt?“ „Weil sie meiner Erfahrung nach die Aufrichtigeren sind.“ Zeitgleich, als das Zittern in ihrer Hand erstarb traf sich Sanzomons Blick wieder Myotismons. Wieder überkam ihr das Gefühl von Schwindel und Benommenheit. Sie glaubte bunte Flecken vor ihren Augen zu sehen und der Boden schaukelte wie auf einem Boot bei aber doch gemäßigten Wellengang auf hoher See. Woran lag das? Lag es am Schloss? Lag es an der erdrückenden Art seines Herrn? Seine blauen Augen wirkten so leer. Sanzomon glaubte nicht einmal wirklich, dass sie eine schwache Spiegelung ihrer Gestalt darin sah. Sie wirkten bedrohlich und (untot) Leer. Wie alles an diesem Digimon. Dann sah sie auf seine Lippen. Und seine Zähne. Nur kurz, höchstens eine Millisekunde, dann wieder in die Augen. (saugen dir das Blut aus) Myotismon war gefährlich. Sie musste ihn im Augen behalten und ihn genau studieren. Er war nicht so freundlich wie er tat. Sie musste ihn genau studieren und kennen. Bis ins kleinste Detail. Vielleicht erfuhr sie dann mehr über seine Art und natürlich auch mehr über ihn und als Sanzomon sich sogar für einen Moment vorstellte seine Haut, seine Lippen und sogar die Zähne zu berühren, riss Myotismon sie aus ihrer Trance, indem er einfach nur einen Schritt von ihr zurücktrat. „Ihr seht müde aus. Ihr solltet Euer Gästezimmer endlich einmal nutzen“, sagte er nüchtern zu ihr. Sanzomon blinzelte zweimal etwas ungläubig. Das Schwindelgefühl war fort, nicht aber das Gefühl, das dem nach einem zu großzügigen Schluck Alkohol glich. „Ich glaube, Ihr habt Recht“, sagte Sanzomon schwach. Sie rieb sie über die Augen. „Könnte ich vorher jedoch etwas essen? Ich glaube, ich habe die letzten zwei Mahlzeiten verpasst.“ „Ich werde meine Diener darum bitten. Und bitte, esst dieses Mal wirklich. Ich mag es nicht wenn Essen verschwendet wird.“ Noch einmal fuhr sich Sanzomon über das Gesicht. Der Schwindel kehrte kurz zurück, in der Sekunde als Myotismon an ihr vorbei lief und dabei war den Raum zu verlassen, den Eindruck hinterlassend, dass ihm Sanzomons Zustand nicht auffiel. Oder nicht auffallen wollte. Sie selbst war zu müde um zu realisieren, dass er es mehr wie nur zu offensichtlich ignorierte. Sie blinzelte. Sie sah für einen Moment wieder Farben, die vor ihren Augen erliefen, überwiegend in rötlichen Tönen. Fast wie die Bäume zu Hause. Oder das Feuer, lieber Himmel, das Feuer... Sie hörte Regen prasseln. „Myotismon...“ Ihr Ruf, war mehr wie ein Flüstern. Sie hatte noch etwas gesagt oder sagen wollen, sie hatte gespürt dass ihre Lippen sich noch bewegten um Worte zu formen, doch ihre Stimme verstummte zu schnell und letztlich kam nur ein schwaches, tonloses Hauchen heraus, während Sanzomon allmählich aus dem Karussell im ihrem Kopf zu entkommen schien und die Farben von der Dunkelheit, die das Schloss innen und außen dominierte wieder verschlungen wurde. Sanzomons erst trüber Blick wurde wieder ganz klar, aber man las aus ihnen, dass sie sich selbst fragte, was sie denn eigentlich gerade wollte und hoffte, Myotismon würde etwas sagen, damit sie sich wieder daran erinnerte, was es denn war. Mit ihrem aufgeklarten Augen kam auch Sanzomons Sinn für die Realität zurück und ihre Erinnerungen an die Flut von Informationen, die ihr Verstand in nur dieser kurzen Zeit aufnahm. Sie fing wieder an Myotismon von oben bis unten anzusehen. Viel zu lange und viel zu intensiv, wie sie selbst bemerkt. Sie blieb erneut an seinen Lippen hängen und an seinen Zähnen. Sie schluckte und ihr Herz schlug für einen Augenblick schneller. „Könntet Ihr mir beim nächsten Mal wieder etwas von damals erzählen? Bitte?“, fragte Sanzomon vorsichtig, aber freundlich. „Ich würde mir sehr gern mehr über die vergangenen Epochen der Digiwelt hören. Ich bin überzeugt, wenn ich die Vergangenheit die Digiwelt verstehe, dann begreife ich auch ihre Zukunft. Erzählt mir bitte alles, was Ihr wisst. Alles.“ Myotismon blieb still. Eine Augenbraue hob sich. Man konnte nicht sagen, dass er skeptisch gegenüber diesem Wunsch war, eher überrascht davon, dass so ein viel zu junges, noch viel zu naives und unerfahrenes Digimon solle Dinge wissen oder hören wollte. Vielleicht waren die Erwartungen und Hoffnungen zu hoch, aber wenn Myotismon Sanzomon so ansah, schien sie diese Äußerung nicht leichtfertig von sich zugeben. Sie wirkte plötzlich so ernst. So reif und gewillt nicht nur zu lernen, sondern auch zu verstehen. Er konnte nicht sagen, ob es wirklich der Wille war oder einfach Neugierde. Aber es brachte ihn zum schmunzeln. „Natürlich dürft Ihr. Ach und, Sanzomon -“ Sie freute sich zuerst, als Myotismon seine Zustimmung gab, hielt aber innen, als sie ihren Namen hörte. Sanzomon war sich sogar sicher, dass das das erste Mal war, dass er ihren Namen überhaupt aussprach in all der Zeit. Mit Myotismons Stimme hatte es einen merkwürdigen Klang. Aber er gefiel ihr. Sie spürte wie ein Mundwinkel sich unter ihrem Halstuch hob und ein Lächeln andeutete. Myotismon hob die Hand und deutet auf etwas hinter ihr. „Schließt das Fenster, wenn Ihr geht. Es regnet. Ich will nicht das meine Bücher durch die Luftfeuchtigkeit beschädigt werden.“ Ihr mehr gehauchtes „Selbstverständlich“ war kaum hörbar und wurde nur durch ein Nicken deutlich. Grinsend ging Myotismon aus dem Raum und wurde von der Schwärze umschlungen. Sie hörte keine Schritte, sah keine Schemen in der Finsternis. Er hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst. Mit seinem Verschwinden löste sich auch das elektrisierende Feld der Anspannung wieder auf und versickerte irgendwo in den Tiefen des Schlosses. Ein kalter Wind streifte Sanzomons Rücken. Als sie sich umdrehte flatterte der weinrote Vorhand, aufgescheucht durch den Wind und wie Sanzomon feststellte, als sie danach griff schon an einigen Stellen nass vom Regen. Hatte sie das Fenster geöffnet? Sie konnte sich nicht erinnern wann sie das getan haben sollte. War es eines der Bakemon gewesen? Aber warum sollten sie? Der Regen war nicht all zu stark wie der Wind erst vermuten ließ und Sanzomon wagte einen ausschweifenden Blick nach draußen. Das Dach eines andern Flügels war nicht weit weg. Das Fenster des Nachbarzimmers auch nicht. Aber warum klettern? Genug von Myotismons Gefolgschaft konnte fliegen... Dann begann sie ihren Kopf zu schütteln. Nun wurde sie wirklich paranoid. Sanzomon streckte, als auch der Wind nach ließ ihren Arm hinaus in die Nacht. Einige Tropfen sammelte sich auf ihrer rosigen Haut, andere verliefen und flossen ihren Arm hinunter. Dann klatschte sie sich die nasse Hand ins Gesicht und nun liefen einzelne Tropfen ihr Gesicht entlang. Müde... War sie wirklich nur müde? Hatte sie wirklich Hunger? Ihr war nicht wirklich nach Essen zumute, sie war zu... aufgeregt. Es war der Ort. Dieser Ort war von negativen Karma benebelt und wahrlich von den Digi-Göttern verlassen. Für sie hier zu sein war, wie wenn ein Meeres-Digimon sich in der Wüste verirrte oder ein Maschinen-Digimon im Dschungel. Es war geradezu widernatürlich so lange hier zu verweilen. Als Sanzomon das Fenster schloss, beschloss sie nach dem Essen sogar richtig zu schlafen. Sie schlief nicht viel, zudem meist spät in der Nacht, um dann früh morgens wieder aufzustehen, aber vielleicht täte ihr das gut. Sie brauchte Kraft, wenn sie weiter der dunklen Aura dieses Schlosses trotzen wollte und mit ihr die unheimlichen Stimmen und Schatten, die sie hörte und sah und überall zu seien schien. Und sie würde hier noch eine Weile bleiben. Solange bis sie das Gefühl hatte ausreichend über die Untoten-Digimon erfahren zu haben. Insbesondere über Myotismon wollte sie noch mehr wissen. Sie hatte so viele Fragen. Sie hatte so viele... Ideen. Sie spürte ein Ziehen im Bauch. Hunger. Sicher doch nur Hunger. Sie sollte wirklich essen. Das redet sich Sanzomon zumindest ein. Kapitel 3: Striatum ------------------- Sanzomon waren eine überaus alte Digimon-Art, die einst auf Web Continent gängiger war, aber nach und nach zu einer Rarität wurde. Als Puttimon schlüpfte, dass später einmal das Sanzomon sein würde, dass mit einem gefürchteten Myotismon in seinen eigenem Schloss Schach spielte, war die letzte Sichtung eines Sanzomon schon einige Jahre her. Web Continent war etwas wilder und auch konservativer wie Server, jedoch waren in den Gebieten, die einst von Sanzomon auf ihren Pilgerreisen gesegnet und gereinigt wurden heiliges Land. Das, was man auf File Island als Stadt des Ewigen Anfangs kannte nannte man dort das Tal der Wiederkehr und weil dieser Ort geradezu heilig war, war jedes Digimon, das in dieser Region schlüpfte ein Puttimon, die sich im Laufe ihres Dasein zwar in unterschiedliche Ausbildungs- und Rookie-Digimon entwickelten, deren Schicksal es durchweg sein sollte, die Reinheit der Digiwelt zu bewahren. Die meisten Puttimon wurden zu Cupimon und diese meist zu Salamon. Sie nicht. Sie war ein Tinkermon geworden, war aber mit einem Salamon befreundet. Noch bevor aber sie zum Rookie wurde traf sie auf Sorcerymon. Die Puttimon und Cupimon wurden von Sistermon rund um die Uhr betreut, aber manchmal durften sie auch Ausflüge machen durch den Wald aus rotgoldenen Blättern, der rund um den Berg Mount Boot wuchs. Unter einem dieser Bäume saß dieses Sorcerymon. Es hielt ein Nickerchen, aber wurde wach, als er den Gesang der jungen Digimon hörte. Sorcerymon winkte ihnen verschlafen zu und neugierig schauten die jungen Digimon zu dem Magier-Digimon, wurden aber augenblicklich von den Sistermon Blanc und den Sistermon Noir dazu ermahnt weiterzugehen und den merkwürdigen Fremden zu ignorieren. Nur ein einziges Cupimon hielt sich nicht daran und ging zu dem unbekannten Digimon, das im Schatten des Baumes, umringt von Büchern saß. Sanzomon würde sich später nicht mehr ganz erinnern, was sie beide miteinander sprachen. Aber Sorcerymon war freundlich. Sorcerymon machte Witze und Kunststücke für sie, um sie zum lachen zu bringen. Er fragte sie, was sie war, was sie so machte, woher sie kam und sie antworte eifrig, bis plötzlich Sistermon Ciel, die Anführerin der Sistermon und die stellvertretende Äbtissin auftauchte, Sorcerymon bedrohte, sollte er keinen Bogen um ihre Schützlinge machen und zerrte Cupimon von ihm weg. Doch sich dem Digimon bereits verbunden fühlend, sollte es nicht lange dauern, bis das kleine Cupimon wieder auftauchte, nachdem es sich heimlich von seiner Gruppe trennte. Erst wollte Sorcerymon sie meiden, bis er sah, dass dieses Ausbildungs-Digimon eines seiner Bücher in der Hand hielt, dass er schon eine ganze Weile suchte. FAHRENHEIT. Schwere Kost. Wie es geschafft hatte, ihm es heimlich zu klauen war ihm ein Rätsel. „Kannst du denn lesen?“, fragte Sorcerymon sie und Cupimon nickte zögerlich. „Verstehst du denn, was da steht?“ Es schüttelte den Kopf. „Aber ich möchte es verstehen.“ „Die Frage ist nicht das Wollen, sondern das Können.“ „Bitte. Ich will mehr lesen. Ich will mehr von deinen Büchern lesen.“ „Lesen euch die Sistermon nicht genug Bücher vor“, meinte Sorcerymon. Jeder weitere Versuch seinerseits das Cupimon zu verjagen, um nicht doch noch Ärger zu kriegen – er haste Konfrotationen – scheiterte. Dieses Cupimon war für sein niedriges Level verbissen und stur. Aber wissbegierig. Und den großen Kulleraugen konnte er die Bitte schließlich noch nicht abschlagen. * * * *   Die Tage und Wochen zogen durchs Land. Nachdem Cupimon zu Tinkermon wurde, wurde sie etwas eloquenter. Sie war etwas schüchtern, aber entwickelte schnell Interesse für alles was Sorcerymon ihr erzählte. Er erklärte ihr die Natur, die Sterne am Himmel und Bücher zu begreifen. Sie konnte zuvor schon lesen. Nur wirklich begreifen, dass brachte ihr erst Sorcerymon bei. „Bücher sind das Wichtigste, was wir besitzen. Wir schreiben sie nicht selbst, aber sie sind die Brücke in eine Welt, die wir sonst vergessen würden. Und vergessen wir, lernen wir auch nicht mehr.“ Tinkermon nickte, während sie dabei zwischen zwei Büchern hin und her sah. Ein Buch handelte von Biologie und es zeigte neben vieler, vieler Buchstaben ein Bild von einem Wesen, dass wie ein Divermon aussah wohl zu etwas wie einem ziemlich hässlichen Kudamon digitierte. Zumindest glaubte sie, sie digitieren. Das andere Buch war eine Geschichte an einer Schule, wo einer von den anderen gemobbt wurde und sein Lehrmeister nun seine Schützlinge näher zusammenbringen will, aber es im Chaos endet, weil sie, so Sorcerymon, vergessen haben zu denken. Genau dieses Buch nahm Sorcerymon ihr auch weg. „Du sollst nicht mehrere Dinge gleichzeitig tun und schon gar nicht mehr wie ein Buch lesen. Konzentriere dich auf eines.“ „Aber es ist so viel und so viel spannendes. Ich will alles lesen. Alles!“, jauchzte sie und Tinkermon sprang dabei in die Luft, aber wurde von Sorcerymon wieder sachte zu Boden gedrückt. „Wenn du so durcheinander liest vergisst du die Hälfte nur. Willst du das?“ „Ah! Nein. Nein, das will ich nicht!“ „Gut. Dann Anfang damit an richtig zu lesen.“ „Aber ich lese doch richtig“, protestierte Tinkermon. „Nein, tust du nicht. Sag, was ist in dem ersten Buch passiert, dass du gelesen hast?“, forderte Sorcerymon auf. Sie überlegte. „Ähm... Also, das war so, da ist dieses Montagmon und -“ Sie sprach den ersten Satz nicht zu Ende, da schlug ihr Sorcerymon mit dem stumpfen Ende seines Stabes auf den Kopf. „Mein Kind, du hast nichts gelernt.“ „Aber ich war doch noch nicht einmal fertig!“ „Brauchst du auch nicht. Der Protagonist heißt nicht Montagmon. Vergiss dieses -mon endlich. Vergiss, dass die Figuren Digimon sind, nur weil du eines bist, dass in der Digiwelt lebt.“ „A-Aber wir sind doch in der Digiwelt. In der Digiwelt haben wir alle ein -mon im Namen.“ „Ja. In der Digiwelt trifft diese Regel auch zu, Tinkermon. Ich habe es dir bereits erklärt. Sind diese Namen hier, die du siehst Digimon-Namen?“ Zögernd starrte Tinkermon auf die Bücher, die vor ihr lagen. Der Nebel war an diesem Tag nicht sehr hoch und man erkannte, dass das Gras genauso rotgold war wie die Blätter in den weißen Bäumen. So wie die Bücher im Gras lagen zwischen diesen Rottönen und den schwachen Nebel dazwischen, sah es ein bisschen aus, als brannten sie. Wie in dieser einen Geschichte. „Nein“, antwortete sie schließlich zurückhaltend. „Es sind... Namen.“ „Namen ja. Aber keine Digimon-Namen. Sie wollen, dass du denkst, dass es welche wären, aber es sind keine. Bücher sind Brücken, Tinkermon. Brücken zu Dingen und Ideen, die uns manchmal nicht klar sind, die wir ansonsten vielleicht nie sehen würden. Was ist der logische Schluss, wenn diese Namen keine Digimon-Namen sind, aber alle Digimon doch Digimon-Namen haben?“ Überfordert blickte Tinkermon drein und wechselte zwischen Sorcerymon und den Büchern hin und her. In einigen Jahren würde sie diese Frage beantworten können, doch im Rookie-Stadium noch erschloss sich für Tinkermon in dieser Frage keinerlei Logik, zu sehr war sie von den Lehren ihre Gemeinschaft noch eingenommen, dass es nur die Digiwelt gab und wie wichtig die Balance zwischen Licht und Dunkelheit. Statt ihr wieder mit seinem Stab auf den Kopf zu hauen, tätschelte Sorcerymon, der so weiß gekleidet wie die Bäume war ihren kleinen Kopf. „Schon gut. Du wächst noch da hinein. Du bist eben noch jung und ich war in deinem Alter auch so“, sagte Sorcerymon, fürsorglich und freundlich. Er schaute über Tinkermon hinweg und erblickte ein Salamon in der Ferne. „Ich glaube, dein Freund ist hier.“ „Oh, bestimmt holt sie mich zur Abendmesse ab. Wenn die Sistermon merken, dass ich wieder schwänze, gibt’s Ärger.“ „Dann, auf auf. Flieg los. Komm wieder wenn du Zeit hast.“ Schnurstracks, aber lachend sauste Tinkermon zu dem Salamon hinüber, auf dessen Rücken sie sich auch gleich setzte. Mit besagtem Salamon´war Tinkermon seit dem Tag ihrer Geburt befreundet und Salamon tolerierte daher Tinkermons kleine Ausschweifungen (wie die Sistermon und die Äbtissin es nannten) was Fragen und ihren Drang nach Neuem anging. Aber dass Tinkermon so viel Zeit mit diesem Aussätzigen verbrachte ging auch ihr ziemlich gegen den Strich. „Du hast gesagt, du willst nicht mehr so viel Zeit mit ihm verbringen“, schimpfte das Säugetier-Digimon, das etwas größer wie Tinkermon selbst war. „Wenn das so weiter geht, decke ich dich nicht mehr. Und wenn die Sistermon das rauskriegen, werde ich nicht bei den Engel-Digimon aufgenommen.“ „Aber sonst redet niemand mit ihm. Sorcerymon tut mir Leid. Er ist immer so allein.“ Traurig schaute Tinkermon zurück. In seinem weißen Kleidern fiel das Magier-Digimon zwischen den gleichfarbigen Bäumen kaum auf. Er las. Er schrieb. Tinkermon wüsste zu gerne was. „Er sagt, er kommt von ganz, gaaaanz weit her, von einem ganz fernen Land jenseits des Meeres und Himmels. Seine Brüder hätte er schon ewig nicht mehr gesehen und Freunde hat er keine.“ „Bei dem Zeug, was er sagt ist es kein Wunder, dass ihn andere meiden. Käme er von so einem Land, würden wir das kennen“, meinte Salamon überzeugt und streng. „Bestimmt kommt er von Server. Dort sollen alle Digimon so hochnäsig sein. Dort, wo die bösen Digimon oft sind und Unheil stiften. Jetzt komm endlich, sonst verpassen wir die Messe!“ Salamon rannte schon los, Tinkermon zögerte noch, weil sie bei dem Wort Server so intensiv nachdachte, dass sie vergaß hinterherzufliegen. Zeit hatte Tinkermon wenig. Die Ausbildung, damit sie irgendwann ein ehrenvolles, heiliges Digimon werden würde um die Balance der Digiwelt zu sichern nahm viel davon in Anspruch. Bis zum Rookie-Level lebten sie untereinander, ab dem Champion-Level trennten sich ihre Wege. Wer kein heiliges Digimon wurde, musste den Orden verlassen. Er hatte den Segen nicht empfangen, konnte aber ein wertvoller Teil der Gesellschaft Web Continents werden. Wer zu einem Sistermon wurde, wurde dazu ausgebildet zukünftige Generationen großzuziehen. Und wer ein Engel-Digimon wurde, zog hinaus, um das Licht in die Welt zu senden. So wurde es ihnen von klein auf gesagt. Salamon wurde trotz gleichem Alters vor Tinkermon zu einem D'arcmon. Sie wurde mit Lob überhäuft und sie wollte hinaus und für die helle Seite der Digiwelt kämpfen. Ein wertvoller Teil der Gesellschaft. Ein Teil des Gleichgewichtes. Also ging sie mit einigen anderen Digimon, die zeitgleich mit ihr zu D'arcmon wurden. Der Abend, ehe sie mit ihrer Truppe aufbrach brannte sich in Tinkermons Gedächtnis. Ihre Freundin lächelte sie an und versprach ihr, wenn sie wiederkommt ihr von der Welt zu erzählen, die sie so sehr interessierte,stand dabei entgegen der Sonne und leuchtete wie Gold. Sie kehrte nie wieder. Es war zu erwarten. Nie kehrte eines der Digimon wieder zurück, außer sie wurden im Tal der Wiederkehr wiedergeboren. Das war das Gesetz der Digiwelt. Dunkelheit und Licht trafen aufeinander. Dunkelheit und Licht bekämpften sich. Starb wer von der Dunklen Seite, so starb auch ein Digimon auf der Seite des Lichtes. Das war ein Naturgesetz, dass ihnen früh, wenn auch etwas kindlicher erklärt wurde. Von Tod war nie die Rede. Was bedeutete auch Tod in einer Welt, in der Digimon wiedergeboren wurden? Es wurde auch kein Geheimnis daraus gemacht, wenn Truppen im Kampf fielen, den sie starben den Märtyrer-Tod. Ein erstrebenswertes Ziel. Ein wertvoller Akt, den es nicht zu betrauern galt. Nur weiter die nächstes Generation heranzüchten, die das gleiche Schicksal ereilen sollte. Und doch trauerte Tinkermon und in ihrer Traurigkeit gab es nur ein Digimon, dem sie sich anvertrauen konnte, nämlich Sorcerymon, der weiter allein im Wald lebte. Er hörte Tinkermon erst gar nicht an diesem Abend. Doch dann, als er von seinen Schriften aufschaute und das weinende Digimon vor sich schweben sah, war er erst schockiert und fand keine Worte. Er kam nicht einmal dazu zu fragen, denn Tinkermon begann sofort zu erklären: „Sie ist gestorben. Meine Freundin und ihre Kameraden, sie -“, schluchzte sie und presste die Arme aneinander. „Hat die Äbtissin das euch mitgeteilt?“, harkte Sorcerymon nach und Tinkermon nickte. „Sie sagt, sie haben ihren Beitrag zum Wohl der Digiwelt geleistet. Das sagt sie immer wenn von uns welche sterben. Und sie beten dann wieder. Sie beten ständig, dabei bringt es überhaupt gar nichts!“ Mitleidig blickte Sorcerymon drein und zum ersten Mal wirkte er nicht wie ein schrulliger Außenseiter. Er wirkte ernst und obwohl ihn die anderen Digimon, mit denen Tinkermon lebte eigentlich nicht interessierten, fühlte auch er mit ihr Trauer. Dicke Tränen rangen über Tinkermons rote Wangen. Ihr blonder Pony hing ihr im Gesicht, aber man sah dennoch die gequollenen Augen und wie sehr Tinkermon versuchte, sich zurückzuhalten, aber nicht konnte. „Sie ist gestorben. Sie wird wiedergeboren, aber sie wird nicht das Digimon sein, das ich kenne. Sie ist nicht mehr meine Freundin! Meine Freundin ist weg, sie ist gestorben für dieses blöde, sinnlose System und niemand trauert! Sie reden nur davon! Sie reden nur von der Balance, aber niemand trauert um die Digimon. Ich durfte nicht trauen. Tränen machen traurig. Tränen sind unangenehm, sagen sie! Aber, dass sie – sie...“ „Komm her, mein Kind...“ Sorceymon streckte sie Hände aus und hielt Tinkermon in beiden. Das kleine Feen-Digimon klammerte sich an seinen Kragen, heulte und schrie ihre Wut in den Stoff hinein.   * * * *   Der Versuch, das Schloss auf den Landkarte zu finden blieb weiterhin vergebens. Sanzomon schnaufte und zog das Handteleskop, dass ihr Myotismon freundlicherweise zur Verfügung stellte wieder ein, dann lehnte sie sich gegen die Mauer des Schlosses. Sie war tatsächlich einmal draußen und trotz allem konnte sie nicht sagen, welche Tageszeit war. Hier war es rund um die Uhr finster. Der Wind blätterte die Seiten der Bücher um, erst in die eine, dann in die andere Richtung. Pflanzen, die Sanzomon um das Schloss gesammelt hatte bewegten sich. Einige ihrer Notizen flogen weg, darunter auch ihre selbstgezeichnete Karte des Schlosses, die Sanzomon jedoch nicht half. Sie hatte sich selbst vorgenommen, dass Schloss zu erkunden und die Wege einzuzeichnen, jeden Winkel, jeden Raum und jeden Gang, aber mittlerweile hatte sie viele wieder durchgestrichen oder viele andere einige male überzeichnet. Wo eine Treppe hoch führte, führte plötzlich eine hinunter, wo ein Raum war, war plötzlich eine Sackgasse, wo eine Kreuzung war, war nur noch ein schmaler Gang. Manchmal wusste Sanzomon nicht einmal wo oben und unten war und sie schob es allmählich auch nicht mehr auf einen mangelnden Orientierungssinn, sondern dass es das Schloss selbst war. Es veränderte sich ständig. Vielleicht war es eine Art Schutz, darum reagierte Myotismon wohl auch so gelassen, als er von ihrem Vorhaben erfuhr. Bestimmt lachte er sie heimlich aus. Sanzomon rümpfte leicht die Nase bei dem Gedanken, während sie sich ihr Skizze ansah, dann faltete sie sie zusammen und legte sie zwischen die Seiten eines ihrer Bücher. Im Innenhof, auf den sie einen guten Ausblick hatte herrschte rasches Treiben. Das geschah zweimal am Tag, in etwa immer zur selben Zeit (das glaubte Sanzomon zumindest). Sie hatte Gatomon und Phantomon schon dabei zugesehen, wie die die Truppen einteilten und ihnen die Befehle übergaben, die sie zuvor von ihrem Herrn erhielten. Was für Aufgaben das waren bekam Sanzomon nie so ganz mit, aber das meiste dürften Boten- und Kontrollgänge sein. Dass Myotismon irgendwelche Geschäfte pflegte bekam sie am Rande schon mit und sie ging davon aus, dass dies auch seinen großzügigen Essensvorrat erklärte. Zwar gab es auch Acker, die unter anderem die Bakemon verwalteten, aber das was sie anbauten war nicht viel und reichte niemals für alle. Sanzomon schwor sogar, der Wein den es manchmal zum Abendessen gab schmeckte wie der, der auf Web Continent hergestellt wurde, allerdings in der südlichen Region. Doch an diesem Abend (Sanzomon vermutete es war Abend) war es Myotismon persönlich, der zu seinen Truppen sprach. Die Distanz war aber zu groß und Myotismon sprach nicht laut, darum hörte Sanzomon auch nicht um was es ging. Die Bakemon lauschten aufmerksam, nickten zwischendrin und lauschten weiter. Phantomon stand abseits, beobachtete seine Truppen, aber die meiste Zeit konzentrierte auch er sich auf seinen Herrn. Und Myotismon selbst stand da, erhaben, kerzengerade und erhobenem Kinn und egal was er sprach und obwohl sie kein Wort von ihrer erhöhte Position aus entziffern konnte, war sie sich sicher seine Stimme war bebend, bestimmend und kraftvoll. Zu gerne würde sie das aus nächster Nähe sehen. Sanzomon merkte zu spät, dass die Bakemon sie bemerkten und eines nach dem anderen zu ihr hochsahen. Bis sie das aber selbst erkannte, unterbrach auch Myotismon seine Ansprache und schaute auf zu Sanzomon, der es unangenehm war erwischt worden zu sein und verkroch sich mit einem schüchternen Lächeln wieder hinter die Mauer. Es war so peinlich. Eine kalte Brise zog an ihr vorbei. Nicht weit weg von ihr knisterte halbvertrockneter Efeu, aus dem aber bereits neue, hellgrüne Triebe wuchsen. Als das Geräusch verstummte und sie schließlich gar nichts mehr hörte, wagte Sanzomon es wieder über die Mauer zu schauen, aber sie sah weder Myotismon, noch einen seiner Untergebenen. Sie werden sich wohl zurückgezogen oder sich einen anderen Ort gesucht haben. Sich über sich selbst ärgernd kräuselten sich Sanzomons Lippen unter ihrem Tuch. „Wie kommt Ihr voran?“, rief Myotismons Stimme plötzlich hinter hier. Der Schreck ließ Sanzomon zusammenfahren und ihr entwich ein ein hoher, aber kleiner Schrei. Ihren Schreck ignoriere Myotismon gekonnt, vielmehr fand er es ziemlich amüsant, Sanzomon so erschreckt zu haben. Eine Freude, die sie nicht teilte. „Ihr habt Euch schlechte Bedingungen ausgesucht“, sagte er freundlich (für Sanzomons Geschmack zu freundlich), während er zum Himmel schaute. „Ich hörte, ein bewölkter Himmel und Nebel wären nicht optimal um eine Landschaft zu erkunden.“ „Anderweitig komme ich aber nicht dazu, die Gegend zu studieren“, sagte sie mürrisch und misstrauisch und erhob sich langsam wieder. „Ihr hättet mich auch fragen können. Ich habe sicher irgend eine Schriftrolle oder ein Buch, dass alles festhält was auf und um die Berge wächst und gedeiht.“ „Ein freundliches Angebot. Aber ich bevorzuge es gewisse Dinge mit einen Augen zu sehen und zu erleben, als nur von ihnen zu lesen.“ „Das überrascht mich nicht“, meinte Myotismon. Er sah schmunzelnd zu, wie Sanzomon eine der wenigen Pflanzen, die sie in einem Topf hatte auf die Mauer abstellte, um sie genauer zu studieren. Eine zierliche Pflanze, die Blätter waren gelbgrün und liefen spitz zu. Mit ihrem Finger berührte sie vorsichtig die kleinen, hellroten Blüten - Sanzomon mochte die Farbe Rot – und die grünen Kapseln dazwischen. Sie war sich nicht sicher, ob das neue Triebe, Beeren oder etwas anderes war. Definitiv konnte sie nur feststellen, dass sie diese Pflanzenart nicht kannte. Myotismon hob derweil einige von Sanzomons Papieren auf und studierte das, was sie schrieb und das, was sie so gut wie es ging versucht hatte zu zeichnen. Neben der Pflanzen fand er auch Notizen und Zeichnungen zu den Bakemon. „Verzeiht übrigens die Störung von gerade eben.“ „Aber, aber, wie kommt Ihr auf so etwas? Ihr stört doch nicht“, sagte Myotismon ohne seinen Blick vom Papier zu nehmen. Genugsam blätterte er sich durch Sanzomons Notizen, während sie wartete, ob er irgendwas dazu sagen würde. Sie starrte in sein Gesicht und wie seine Augen den Buchstaben und Worten folgten, bis Sanzomon auffiel, dass sie für ihren Geschmack ihn viel zu lange anstarrte. Sie fuhr mit ihren schmalen Fingern weiter über die Triebe der Pflanze. „Na ja, ich scheine Eure bewegenden Ansprache unterbrochen zu haben, Eure Bakemon ha-“ Sanzomons blieben die Worte im Hals stecken und sie gab ein zaghaftes, hohes „Huch!“ von sich, als die Kapseln dieser ihr unbekannten Pflanze, die Myotismon als simples Springkraut bekannt war – und wenn er sich recht entsinnte war sie sogar giftig - , zwischen ihren Fingern platzte. Die schwarzen Samen darin flogen dabei in alle Richtung, ein paar blieben an Sanzomons weißem Gewand und dem gelbgoldenen Obergewand hängen. Auch Myotismon blieb nicht unversehrt. Ein, zwei der Samen trafen in an seinem dunkelblauen Anzug haften. Entsetzt starrte Sanzomon zwischen der Pflanze und Myotismon hin und her und nach einigen Sekunden entsetzten Schweigens, kicherte sie und fing dann an zu lachen. „Entschuldigung“, lachte Sanzomon und hielt sich ihre Hände vor den Mund. Da Myotismon aber nicht mitlachte, sondern nur kommentarlos und mit ernster Mimik die Samen von seinem Anzug schnipste, verstummte Sanzomon letztlich beschämt und streifte ebenso die Reste der Pflanze von ihren Kleidern. „Wo ist eigentlich Gatomon? Ist sie nicht normalerweise für Eure Truppen zuständig? DemiDevimon habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen“, fragte Sanzomon um die Stimmung wieder etwas zu heben und von der Peinlichkeit abzulenken. „Die beiden erledigen Dinge für mich.“ „Dinge?“ „Geschäftliches. Neue Soldaten anwerben, feindliche Mächte auskundschaften, Handel mit anliegenden Dörfern und Städten, um meine Truppen zu versorgen -“ Rasch hielt Myotismon Sanzomon einen Teil ihrer Unterlagen wieder entgegen und sie nahm diese schnell wieder an sich. „Übliche Dinge.“ „Ihr handelt mit den Nachbarn, die Euch vermutlich lieber an einem Pflock sehen wollen?“ „Im Vergleich zu Digimon wie den Meistern der Dunkelheit bin ich für viele doch das kleinere Übel und nicht selten bitten sie um Hilfe, die feindseligen Truppen los zu werden. Aber mein Preis für diese Unterstützung ist hoch.“ „Nicht nur eigennützig, habgierig seid Ihr also auch“, bemerkte Sanzomon, teils scherzhaft, teils verstimmt. „Oh, mir geht es nicht um mich. Aber viele Truppen brauchen viel Essen und mein Land ist nicht fruchtbar genug, um so viele Mägen zu füllen. Als König habe ich eine Versorgungspflicht gegenüber meinen Soldaten.“ „Dafür, dass Ihr scheinbar so sehr um das Wohl Euer Soldaten besorgt seid, haben sie ziemliche Angst vor Euch. Man sieht es an ihrer Haltung.“ „Ich bin mächtiger als sie und ohne mich hätte sie in dieser Welt keinen Platz, keinen Sinn und keine Chancen. Das sollen sie ruhig wissen. Zudem traue ich keinem Digimon, dass keine Angst vor mir hat.“ Myotismon Lächeln ließ Sanzomon gefrieren. Es wirkte einerseits so aufgesetzt und falsch, dass sie gar befürchten musste gleich von ihm überfallen zu werden. Vorsichtig versuchte Sanzomon den Rest ihre Notizen wieder zu erhaschen, aber Myotismon streckte seinen Arm fort, als er dies bemerkte und sie kam nicht mehr heran. Ihren Ärger darüber beachtete er nicht. „Aber genug von mir. Es ist unhöflich als Gastgeber nur von sich selbst zu sprechen. Ihr erzählt gar nichts von Euch.“ „Ich habe auch nicht viel zu berichten. Ich rede auch nicht gern von mir. Ich finde das eitel.“ „Selbst wenn ich sage, dass es mich interessiert, so wie Ihr Euch für mich interessiert?“ Nun endlich hielt Myotismon Sanzomon ihre Papiere wieder hin, aber so erpicht darauf, sie schnell wieder an sich zu bringen war sie nun nicht mehr. Bedacht streckte sie ihre Hände nach dem Papier aus, ließ dabei Myotismon aber nicht aus den Augen. Je unscheinbar er wirkte, um so mehr misstraute sie ihm. Als sie ihre Notizen wieder in den Händen hielt, drückte Sanzomon diese eng an ihre Brust. „Mit gefällt Eure Schrift“, sagte Myotismon und Sanzomon stutze. Es kam so aus dem Nichts und sie glaubte auch erst sich verhört zu haben. „Sie ist sehr geschwungen, aber Ihr schreibt sauber und schnell. Ihr habt schon viel geschrieben.“ „...Ja. Seit ich auf dem Rookie-Level war, habe ich geschrieben“, gab sie zu, etwas schüchtern, aber auch geschmeichelt. So sehr sie sich bemühte es nicht zu zeigen, Myotismon erkannte die Anzeichen doch, dass solche Worte ihr Herz beflügelten. Sie wollte ihn ansehen, traute sich aber nicht, das Gesicht in Röte getaucht, das nervöse Streichen durch ihre Haarsträhnen, die sich dabei um ihre Bänder, die an ihrer Krone befestigt waren wickelten. „Das sieht man. Beneidenswert. Ich selbst lernte erst sehr spät schreiben. Lesen konnte ich durchaus, aber mein Meister hielt es nicht für nötig, dass Fußsoldaten schreiben lernten. Es war damals allgemein nicht sehr verbreitet. Meiner Schrift sieht man es an.“ „Ihr habt es Euch selbst beigebracht?“, fragte Sanzomon aufgeregt, aber Myotismon hob die Hand. „Wir reden nicht von mir. War es üblich, so viel zu schreiben und zu lesen in Euer Heimat?“ „Nein. Eigentlich nicht. Außer bestimmten Schriften und Gebeten lernte ich von den Sistermon nichts dergleichen. Keine wissenschaftlichen Bücher... Keine Philosophie. Nicht einmal Poesie. Dabei gibt es so schöne Werke, simpel, aber doch so.... künstlerisch. Es hat was filigranes in ihrer Art, obwohl manche so wenig Worte benutzen. Von Alleen und von Blumen...“ Sanzomon erinnerte sie an ein Gedicht, dass sie in einem von Sorcerymons Büchern einmal fand und im Grunde eigentlich fast nur aus drei Worten bestand. Es ging laut Sorcerymon um natürliche Schönheit und der Anmut von Frauen. Was eine Frau war wusste Sanzomon nicht, aber Sorcerymon erklärte ihr einst, dass sie so etwas ähnliches sei – Frauen waren etwas weibliches und sie hatte auch sehr viel weibliches weil sie feminin war, und feminin, das Worte kannte sie doch, richtig, also war es fast dasselbe, so seine dürftige Erklärung - und dieses Wissen gepaart mit so einem Gedicht schmeichelte ihr irgendwie (Gedichte waren in Sanzomons Heimat auch verboten, weil sie unnütz seien). Myotismon neben ihr verdrehte die Augen. „Warum neigen Digimon wie Ihr immer zu solchen Kitsch?“ „Digimon wie ich?“ „Ihr wisst schon. Feminin. Humanoide Digimon mit Eurem Verhalten und Eurem Körperbau.“ Sie hielt kurz inne und schmunzelte schließlich. „Klingt, als hättet Ihr öfters Damenbesuch“, sagte Sanzomon und schmunzelte unter ihrem Halstuch, obwohl sie sich nicht einmal wirklich sicher war, ob andere feminine Digimon in der Regel auch so handelten. Zwar war sie fast nur unter weiblichen Digimon aufgewachsen, aber sie wurden allesamt sehr fromm erzogen. Außerhalb ihrer Heimat hatte Sanzomon wenige getroffen, doch dass nicht nur bezüglich Körperbau sondern auch im Verhalten von maskulinen und femininen Digimon große Unterschiede lagen war nicht zu widerlegen. Und dann fragte sie sich, was für Damenbesuch sich Myotismon ins Haus holte und neben ihrem gewohnten Wissensdrang empfand sie eine gewisse Abneigung gegenüber der Vorstellung, dass andere Digimon, die nicht wie er oder seine Dienerschaft waren, dafür ihr aber ähnlicher hier herumspazierten, diese Bücher in die Hand nahmen, mit ihm so redeten oder von ihm so angesehen wurden. Zu ihrer Überraschung schmunzelte Myotismon ebenfalls. „Oft – vielleicht. Nur nicht für allzu lange. Ihr seid der erste Gast, dem ich so lange Aufenthalt gewähre. Für gewöhnlich bevorzuge ich es meine Besuche schnell wieder loszuwerden.“ „Ihr besitzt eine interessante Art anderen zu schmeicheln. Aber Danke“, entgegnete Sanzomon. Leicht schüttelte sie ihren Kopf, als das Gefühl in ihr aufkam, ihr Gesicht würde warm werden. Und sie glaubte die Temperatur stieg, als Myotismon näher an sie herantrat. „Wie kommt es denn dazu, dass Ihr Bücher so gerne habt? Wenn Ihr nicht gerade meine Bücher auf den Boden verteilt, scheint Ihr Respekt vor Literatur zu haben. Auch dies erlebe ich durchaus selten. Meine Bücher sind mir sehr wichtig. Sie sind oft die Einzigen, die mir von der Welt da draußen erzählen.“ „Ihr kommt also nicht oft dazu Euer Schloss zu verlassen? Seid Ihr so beschäftigt?“ „Mir bekommt das Licht nicht gut.“ Kurzer Schweigen. Sanzomon glaubte von weitem Bakemon schimpfen zu hören, die sich gegenseitig antrieben schneller mit der Arbeit voranzukommen. Als ihre Stimmen jedoch in die Ferne rückten fiel ihr just in dem Moment wieder ein, dass Myotismon ja nicht ohne Grund nachtaktiv war und sie fast sich beschämt an die Stirn. „Entschuldigt. Ich habe das vergessen.“ DemiDevimon kam wieder zurück. Man hörte, wie er sich mit Phantomon stritt (Sanzomon vermutete zumindest, es war mit Phantomon). Von Gatomon fehlte weiterhin der Hauch jeder Präsenz. Ob es ihr gut ging? Obwohl Gatomon ihr stets nur Desinteresse entgegenbrachte, mochte Sanzomon sie irgendwie doch. „Also? Wer brachte Euch dass alles bei, wenn nicht die, die Euch aufzogen?“, fragte Myotismon weiter. Erst hauchte Sanzomon nur ein „Es war“ heraus, kurz aber lenkte DemiDevimon sie noch ab, der ganz aufgebracht davonflog zu einer weiteren Mission für seinen Meister, von denen er Sanzomon so gut wie nichts erzählte. Das fledermausähnliche Digimon flog hinunter in den Wald, dessen Kronen von einen Nebelschleier verdeckt wurden. Einige der Bäume waren bereits rotorange. Und dazwischen die in Weiß gehüllten Bakemon. „Sorcerymon...“ Der Wind peitschte Haarsträhnen von Sanzomons ins Gesicht, während sie weiter vom Schloss hinunterblickte. Außer dem rotgold und dem Weiß hatte sie jegliche andere Farbe und Farbnuance ausgeblendet. Die Bakemon waren nicht so reinweiß wie Sorcerymon, aber nah dran. Vielleicht eher wie ihre erste Freundin Salamon. Und nur weiß und rot vor ihr. Dieses Rot zwischen dem Nebelqualm. Wie ein Brand. (Feuer macht rein Feuer macht sauber) „Er war Euch ein Vorbild?“, harkte Myotismon nach, nachdem sein Gast so lange schwieg. „Vorbild würde ich nicht sagen. Für einen Entdecker und Forscher war er ziemlich feige. Er drückte sich vor Konflikten aus reiner Bequemlichkeit, nicht wegen seiner Überzeugung.“ „War er ein... wie sagt man? Freund?“ „Ich schätze schon. Ich hatte ihn gerne. Freunde haben sich doch gerne?“ „Ich halte Freundschaften für nutzlos, darum pflege ich auch keine“, antwortete Myotismon, ohne Bedauern, ohne Abscheu, sondern ganz neutral. Sanzomon stimmte dies jedoch fast schon traurig. „Doch wieso fragt Ihr? Ihr seid doch sicher mit vielen anderen Digimon aufgewachsen?“ „Schon. Doch ich bekam eigentlich beigebracht, das man keinen Freunde haben soll“, fing Sanzomon an zu erklären und Myotismon hörte einen Hauch Melancholie in ihrer Stimme. „Freundschaften waren verboten. Freundschaften hieß, ein Digimon bedeutete einem mehr wie die anderen. Das gehörte sich nicht. Man hatte immer alle gleich gern zu haben. Dennoch war ich mit einem Salamon befreundet... Zumindest bis sie digitierte, in den Krieg zog und nie mehr wiederkam.“ Seufzend lehnte sie Sanzomon nach vorne und stützte sich mit den Unterarmen an der Mauer. Sie schaute zwar in das Tal hinab, aber doch sah sie nicht diesen düsteren Wald oder den Pass, sondern ihr zu Hause von sich und wie es von der Spitze des Mount Boot aussah. Sie fühlte sich schwer in diesem Augenblick. Ihre Krone, ihr Schmuck, selbst ihr Halstuch drückten plötzlich so ein entsetzliches Gewicht auf Sanzomon. Wind streifte über sie. Er war zwar bitter kalt, aber angenehm „In meiner Heimat gilt es aber als große Ehre, ein heiliges Digimon zu werden und dann in heiliger Mission für die Digiwelt zu kämpfen. Wer fällt, wird im Tal der Wiederkehr wiedergeboren und empfängt den Segen des Lichts erneut. Das ist die Aufgabe des Ordens, der seinen Ursprung in den Lehren des ersten Sanzomons hat, dass angeblich neunzehn Jahre einmal rund um Web Continent wanderte und den Boden reinigte, indem es die Sünden der Digimon in sich aufnahm. So sollen erst überhaupt die Engel-Digimon in dieses Land wiedergekehrt sein, nach jahrelanger Zeit der Finsternis. Wir, die in dieser Gemeinschaft aufwachsen sind die direkten Übermittler und Bewahrer dieser Reinheit. Und eine noch größere Ehre soll sein, für dieses hohe Ziel sein Leben zu lassen und neu geboren zu werden. Wer weiß, wie oft ich schon im Kampf gefallen und wiedergekehrt bin. Mit der Zeit erschien dieses hochgepriesene System doch immer... sinnloser. Wir stehen auf, wir beten, arbeiten, beten, essen, beten, lernen, beten, essen wieder und beten vor dem zu Bett gehen erneut. Wir haben keinen Kontakt zu anderen Digimon, die auf Web Continent lebten. In den östlichen Wäldern lebten feminie Digimon. Wer mehr… so wie Ihr war, wurde in die westlichen Wälder geschickt. Umgekehrt genauso. Alles für das Licht der Digiwelt, damit wir rein werden und es blieben...“ Wieder seufzte Sanzomon. Länger und tiefer. Ihre Brust fühlte sich nun genauso schwer an wie die nicht vorhandene Last auf ihren Schultern. Der Wind drehte sich, verlor aber an Stärke. „Keine sinnlosen Tätigkeiten. Keine Fantasie. Keine Freundschaften. Keine Kunst. Keine Fragen. Kein Entdecken.“ „Was erhofften die ach so heiligen, reinen Digimon sich davon?“, fragte Myotismon nach. Er klang angewidert. Natürlich. Für Sanzomon schien es logisch, dass er solchen Digimon abgeneigt war. Ob er vielleicht, vor vielen, vielen Jahren einmal gegen heilige Truppen kämpfen musste? Vielleicht sogar gegen Digimon aus ihrer Heimat? Einerseits wollte sie es wirklich wissen, andererseits musste Sanzomon sogar zugeben, dass es vielleicht nicht schade darum war, wenn Myotismon ihr auf diese Frage keine Antwort gab. „Dass wir starke Engel-Digimon werden und die Dunkelheit in Schach halten, damit die Balance zwischen Licht und Dunkelheit niemals kippt. Das sei unsere heilige Pflicht, für die wir vorbereitet wurden“, antwortete Sanzomon nach kurzem Zögern. „Die Sistermon schimpften oft mit mir, weil ich schon als junges Digimon zu viele Fragen stellte und ich alles wissen wollte. Ich bin ziemlich oft ohne Essen ins Bett geschickt worden. Fragen stellte man nicht. Fragen sind unangenehm. Neugierig zu sein lässt unangenehme Dinge entdecken. Es verderbe den Geist.“ Sanzomon lachte, obwohl die Erinnerungen sie nicht fröhlich stimmten. Sistermon Ciel, bei allen Digigöttern, wie oft hatte sie Tinkermon damals vor allen ihren Kameraden ausgeschimpft? Wie oft ihr auf die Finger gehauen, wenn sie nicht das schrieb oder las, was ihr aufgetragen wurde? Und wie oft bekam sie Strafen, weil sie Sorcerymon besuchte? Zu oft. Und mit Ausnahme mit ihrer einzigen Freundin, die sie laut den Sistermon gar nicht haben dürfte machten ihre Kameraden einen Bogen um sie. Sie war ein Sonderling. Hielt sich nicht an die simpelsten Regeln. Sie brachte Unruhe, weil sie nicht so war wie die anderen und das war schlecht. Vermutlich mochte sie dieses Buch, FAHRENHEIT 451 deswegen so gerne über diesen Feuerwehrmann mit dem komischen Namen, der kein Digimon-Name war – und was auch immer ein Feuerwehrmann war – der in der wohl schrecklichsten Stadt der Welt lebte, wo alle empathielos waren, alles nachplappern was man ihnen vordichtete und sich mit schönen Farben und inhaltslosen Gesprächen berauschten, um nicht zu bemerken was für eine nichtssagende Existenz sie führten, in der es nur darum ging, dass jeder dem anderen glich. (Wir müssen alle gleich sein nicht frei und gleich geboren sondern gleich gemacht jeder ein Abklatsch des anderen dann sind alle glücklich dann gibt es nichts Überragendes mehr vor dem man den Kopf einziehen müsste nichts was einen Maßstab abgäbe Also ein Buch im Hause nebenan wie ein geladenes Gewehr Vernichte es) Wie viele schreckliche Parallelen zu ihrer Heimat. Sanzomon legte ihre Hand in die andere und faltete sie zusammen, wie bei einem Gebet. „Und dann kam Sorcerymon. Er war schrullig. Er war feige. Er war faul. Aber er war viel gereist. Er hat so viel erzählt. Auch von Server. Wie viele verschiedene Digimon hier leben und von der Technik. Ich war so gefesselt davon. Er erzählte von den Wüsten, den Meeren, den Bergen und den Sternen die er sah. Und ich wollte das auch sehen.“ „Wo ist er nun? Haben die Sistermon ihn vernichtet?“, harkte Myotismon nach, aber Sanzomon schüttelte den Kopf. „Nein. Er floh. Nachdem meine Freundin starb verbrachte ich sehr viel Zeit bei ihm. Er las mir kritische Lektüre vor, wie die Sistermon es nannten. Er brachte mir Dinge über Biologie bei und dass wir uns von den ach so bösen Digimon gar nicht unterschieden und den selben Ursprung hatten. Er erklärte mir, wie Digitation funktionierte. Es war blasphemisch. Aber ich wollte mehr hören.“ Der Wind heulte über den Pass. Irgendwo hinter ihr raschelten trockene Blätter, die über den steinigen Boden getragen wurden, ehe ein kräftiger Luftzug sie davon tragen würde, oder sie würden sich in einer Ecke sammeln, die eines der Bakemon später aufkehren würde. Das Schloss wirkte trotz seiner Dunkelheit nicht wie ein typisches Geisterschloss, allein dadurch wie sauber es war. Durch seine verschiedenen Bauarten, den Räumen die manchmal nicht so ganz mit der Architektur des Flügel übereinstimmte kommt es eher vor als entsprang dieses Schloss einem Nonsens-Gedicht. „Die Sistermon müssen das herausgefunden haben. Vielleicht war auch ich Schuld, weil ich zu viel fragte. Ich habe nicht alles mitbekommen. Ich weiß, es kam zu einem Kampf. Er digitierte zu einem Wisemon und dann löste er sich auf und ich weiß bis heute nicht wohin. Ich wünschte damals, er hätte mich mitgenommen. Eine Zeit war ich wütend auf ihn. Aber vielleicht war es auch besser so.“ „Ihr seid also nicht los, ihn zu finden?“ „So wie ich ihn kenne, wird er sich irgendwo versteckt haben, wo ihn niemand bei seinem Mittagsschläfchen stören kann“, lachte Sanzomon. „Ich würde ihn niemals finden. Ich könnte mir denken, wo er ist. Aber nicht, wie ich dahin komme.“ „Zu weit weg?“ „Nicht wirklich. Eher...“ Ihre Hand schloss sich enger um ihre andere. Ihre Fingernägel kratzten über ihre Haut und hinterließen Abdrücke. „Eher..?“ „Nicht so wichtig. Ich wollte etwas Dummes sagen.“ Sie lachte, doch ihr Lachen klang hohl und auch, als sie sich fast spielerisch durch die Haare fuhr, wirkte es unecht. „Wieso habt Ihr Eure Heimat verlassen?“, fragte Myotismon nach einem Moment des Schweigens und in sich Gehens. Sanzomons letzte Äußerung ignorierte er, als hätte es sie nicht gegeben. Doch er wirkte nachdenklich und gerne würde Sanzomon wissen, was in seinem Kopf vorging. „Heilige Digimon sind begehrt. Selbst als ein Digimon, dass zu viele Fragen stellte wird man Euch doch mit offenen Armen empfangen haben.“ „Ich... bin gegangen“, gestand Sanzomon, erfüllt von Scham. „Ich hielt es dort nicht aus. Aber ja. Die Freude war anfangs groß.“ Sie schnaufte tief, als die Erinnerungen sie durchfluteten. Ja, die Freude war wirklich riesig, als ein Sanzomon nach so vielen Jahren wieder auf dem Boden Web Continents stand. Die Sistermon und die Äbtissin kamen aus dem Staunen nicht heraus. Sie hatten sich sogar vor ihr verbeugt. So viel Ehrfurcht war Sanzomon nicht gewohnt, obwohl sie als D'arcmon stets Ärger hatte. Ständiges Genörgel. Ständige Diskussionen. Ständige Rechtfertigungen und Kritik, nur weil sie sich weigerte ihr Schwert zu ziehen. Manchmal jedoch war Sanzomon, als spürte sie es noch an der Hüfte hängen, genauso wie sie manchmal noch ihre Flügel spürte. Etwas von den vorherigen Stufen blieb immer in einem Digimon zurück. „Ich sollte erst in den Krieg, hab mich aber geweigert. Ich lief weg. Nicht weit, aber weit genug um Ruhe zu haben. All die Gedanken, die in meinem Kopf waren, all die Dinge, die mir klar wurden schrieb ich auf. Sorcerymon war fort, aber Papier sei geduldig. Dem Papier meine Gedanken zu erzählen war erleichternd. Ich schrieb viel Zeug. Manches habe ich danach gelesen und ich versteh selbst nicht, was ich da eigentlich geschrieben habe. Ich schrieb nächtelang. Und eines Morgens war ich -“, Sanzomon blickte von sich herab, von den Armreifen an ihren Handgelenken, zu ihren nackten Füßen, „- dies. Das ich zu Sanzomon wurde, nicht zu einem der ersehnten Engel-Digimon machte für mich Sinn. Ich wollte nie kämpfen. Ich dachte, dass ist der Beweis, dass ich anderen das, was in meinem Kopf ist erzählen sollte. Die Äbtissin sah das auch so. Ich sollte da weiter machen, wo jenes Sanzomon von einst, das Mount Boot segnete aufhörte. Aber...“ „Aber?“ Ein Kloß bildete sich in Sanzomons Hals, den sie nur mit Mühe runter schlucken konnte. Kurz war sie auch den Tränen nahe. Dabei hatte sie doch mit der Sache abgeschlossen. Sich nun aber daran gezielt zu erinnern schmerzte. Schließlich war es ihr zu Hause, egal was geschehen war. Es wurde kühler und Sanzomon zog ihr Gewand höher, um die Schulter zu bedecken. „Ich wurde über Nacht quasi vom Schüler zum Lehrmeister. Ich sollte nun die jungen Digimon erziehen und lehren. Doch die Vorstellung der Äbtissin und mir gingen sehr weit auseinander. Meine Ideen und Theorien schimpfte sie Blasphemie. Meine Überzeugungen und mein Wissensdrang nannte sie sündhaft. Meine Lehren seien ein schlechter Umgang. Sorcerymon sei daran Schuld. Die Bücher seien Schuld. Und dann haben sie...“ Sanzomon erstickte ihre Bitterkeit damit, dass sie ihre Lippen zusammenpresste und hinter diesen die Zähne zusammenbiss. Ihre Hände schloss sie enger zusammen und für einen Moment wünschte sie, Sorcerymon wäre bei ihr. Er war der Einzige der wusste, was in ihr vorging und sie verstand. Der vor allem Bücher verstand. So kostbar. Im Nachhinein kam sich Sanzomon dumm vor. Hatte sie wirklich geglaubt, sie hätte die Digimon in dem Orden ändern können? Und letztlich hatten die Bücher dafür büßen müssen. Dieser Abend. Alles war rot. Die Baumkronen. Die Baumstämme. Die Tempel am Mount Boot. Die Häuser. Alles war im roten Licht getränkt, in diesem warmen Rot, der Farbe von Leidenschaft, einer der vielen Übel und Triebe, die in ihren Kreisen nichts zu suchen hatten. Rot war das Feuer und es war auch gleichbedeutend mit Zerstörung und das sah Sanzomon vor ihren Augen, voller Entsetzen, dass sie sich nicht einmal mehr auf den Beinen halten oder etwas sagen konnte. Die Bücher. Die Asche, die in die Luft flog, der Geruch. Und die Bewegung der Flammen, die das Papier auffraßen. (Verbrenne es verbrenne es ist den Ofen damit Feuer ist sauber Feuer ist rein) Die Seiten wurden schwarz, kräuselten sich, ein Teil wurde zu weißen Staub, ein Teil flog wie schwarze Federn zum Himmel, ehe sie sich gänzlich auflösten. Fort. Es war nicht die Trauer über die Bücher, die Sanzomons Stimme verstummen ließen. Materielles war ihr eigentlich egal. Doch zu sehen wie man mit Wissen, mit Worten und Informationen, mit Wissenschaft und Kunst umging verpasste ihr einen Stich ins Herz. Nur weil es unangenehm war. Nur weil es nicht so war wie man es wollte. Was sollte denn an Worten nur so falsch sein, dass man sie fanatisch zu Asche verwandeln wollte? Es waren nicht die Worte, die unangenehm waren. Fakten, Geschichten, Weisheiten, Kunst - Worte waren unschuldig. Der Geist, der sich ihrer verweigert und seine Werte über ihren Inhalt stellte, war er nicht das Problem? War Zensur wirklich die Lösung? War alles unangenehme zu verbannen wirklich der einzige Weg? „Ignoranz. Gepaart mit Dummheit. Kleingeistigkeit war schon immer ein stiller und schwer zu besiegender Feind“, murmelte Myotismon und lehnte sich etwas gegen die Mauer. Zuerst war es Sanzomon nicht bewusst, dass dies eine Antwort auf ihren inneren Fragen waren, sie hatte ja auch keine erwartet. Aber war es eine Antwort? Zufall sicher nicht? Hatte er ihre Gedanken gelesen? Konnte er das? Selbst wenn, hätte es sie nicht einmal in diesem Augenblick gestört. Myotismon war nicht nur das erste Digimon seit Sorcerymon, dem sich Sanzomon öffnete, sondern auch das erste Digimon seit langer Zeit, dem sie sich irgendwie verbunden fühlte. Sie schüttelte ihren Kopf. „Jedenfalls ging ich. Ich konnte dort nicht leben. Vielleicht treffen sich unsere Wege wieder. Ich bin ihnen nicht böse und sie ließen mir immerhin die Wahl. Und ich habe mich hierfür entschieden. Ich habe in der kurzen Zeit atemberaubende Dinge gesehen. Auch wenn es sehr einsam ist.“ „Das Leben eines wandernden Einsiedlers hat eben seine Probleme, nicht zuletzt, weil man angreifbar ist. Man ist stets auf sich selbst gestellt und leichte Beute, umzingelt von Einsamkeit. Andere Digimon macht die Einsamkeit irgendwann wahnsinnig“, erklärte Myotismon. Wie Sanzomon auch schaute er von der Mauer in die Ferne, nur was er genau anvisierte vermachte Sanzomon nicht zu sagen. Auch seine Wortwahl empfand sie als interessant. Sprach er von seinen Erfahrungen? Wenn man vom Feind umzingelt war, Kameraden so sterben sah oder sterben lassen musste, konnte sie sich vorstellen dass Einsamkeit so etwas mit einem Tat. Ob es den D'arcmon, die in den Kampf zogen auch so erging? Sie schaute weiter zum Wald hinunter, der auf eine paradoxe weise ihrem Heimatwald plötzlich so ähnlich sah. „Ich vermisse das durchaus. Ich wäre gerne ein Teil einer Gruppe. Aber ich habe diesen Weg gewählt. Vielleicht finde ich meinen Platz eines Tages. Aber zuerst muss ich die Digiwelt sehen. Ich will sie begreifen. Dann kann ich vielleicht meine eigene Gemeinschaft gründen, wo Digimon wie ich leben können. Gleichgesinnte, mit denen man sich austauschen kann. Gänzlich unvoreingenommen. Wo die Frage nach Licht und Dunkelheit eine sekundäre Rolle spielt“, seufzte Sanzomon. Dieser Seufzer erleichterte ihre Brust etwas, also stützte sie sich von der Mauer ab und schaute Myotismon wieder ins Gesicht. „Was ist mit Euch? So eine Gemeinde wäre vielleicht auch für Euch und eure Untertanen nicht falsch. Sie wären nicht ausgegrenzt.“ „Ich sagte doch, wir sind eigen und darum lieber unter uns. Außerdem interessieren mich andere nicht.“ „Und was interessiert Euch?“ „... Nichts“, antwortete Myotismon. Doch sein Zögern war verräterisch und machte Sanzomon nur neugieriger. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da draußen nichts gibt, dass Ihr nicht mit eigenen Augen sehen wollt. Jedes Digimon hat das“, meinte sie sehr überzeugt und nichts deutete mehr bei Sanzomon auf ihre anfängliche Melancholie hin. Myotismon sagte daraufhin erst gar nichts, er sah weiterhin nur nachdenklich ins Tal hinab und Sanzomon befürchtete schon, ihn verärgert zu haben und ob es wirklich so taktvoll war ein Digimon so etwas zu fragen, wenn es doch an sein Schloss gebunden war, um zu überleben und daher sicher keine großen Reisen unternehmen könnte, selbst wenn es wollte. Dann aber zeigte sich ein schmunzeln. „Mich interessieren, wie soll ich es umschreiben – Dinge, außerhalb der uns bekannten Grenzen.“ In seinem Gesicht zeigte sich Erwartung, doch Sanzomon schien erst wie erstarrt. Vielleicht hatte sie ihn missverstanden, vielleicht auch interpretierte sie zu viel in seine Worte hinein, doch in diesem Moment klang Myotismons Wortwahl der von Sorcerymon so erschreckend ähnlich. Dieses vage drumherum Reden und diese anschließende Erwartungshaltung, um zu testen ob ihre Gegenüber auch wirklich verstand, was man ihm sagen wollte. Sanzomon war sich nicht sicher, ob sie es wirklich verstand. Es klang einerseits deutlich. Aber wer sollte daran glauben? Kein Digimon tat das. Keines, nur... „Ihr glaubt an andere Welten?“, fragte Sanzomon. Sie bemühte sich nüchtern zu klingen, aber es gelang ihr nicht. „Ihr stellt diese Frage einem Digimon, dass mit einem Fuß bereits in der Dunklen Zone steht. Und sind wir beide nicht der Magie mächtig? Und Magie ist nicht gerade etwas, was üblich in der Digiwelt ist. Magie wurde importiert. Wie die Bücher mit Namen, die keine Digimon-Namen sind. Doch woher, so frage ich mich.“ Obwohl Myotismon den Augenkontakt suchte, wich Sanzomon ihm aus. Andere Welten. Daran glaubte niemand. Sorcerymon höchstens, auch wenn er es nie deutlich sagte, doch seine fadenscheinigen Äußerungen machten es deutlich, dass er mehr wie nur dran glaubte. Er käme wohl sogar aus einer anderen Welt, die aber eng im Kontakt mit der Digiwelt stand. Man glaubte zwar an das Goldene Land und die Dunkle Zone, die dem Prinzip von Himmel und Hölle glichen, aber an mehr wie das... Sanzomon schloss es nicht aus und irgendwie war sie sich sicher, Sorcerymon – beziehungsweise Wisemon war nun irgendwo in so einer anderen Welt und vielleicht beobachtete er sie dabei, wie sie durch die Digiwelt wanderte und hoffte, eines Tages die Grenze zu überschreiten. Wenn es sie denn gab. Es gab keinen Beweis, dass es mehr Welten gab, nur Erzählungen, nur Gerüchte, nur Aberglaube. Keine Schriften. Nichts. Das machte das glauben so schwer. Und was sollte es denn in diesen anderen Welten geben? Es müsste doch einen Beweis geben, doch letztlich hat sich jeder Verdacht und jede Sichtung über eine andere Welt als schlichte Anomalie in der Digiwelt herausgestellt. Eine Laune der Natur oder der zunehmende Einfluss der Dunklen Zone mit dem Anstieg der Macht der Meister der Dunkelheit, das war schwer zu sagen. Jedoch... (Was ist der logische Schluss wenn diese Namen keine Digimon-Namen sind aber alle Digimon doch Digimon-Namen haben?) „Also... Angenommen, es stimmt, dass es andere Welten gibt... Und man könnte wirklich so leicht diese Grenzen überschreiten – was erhofft Ihr Euch in einer anderen Welt zu finden, anders wie in der Digiwelt?“ „Weswegen habt Ihr denn Eure Heimat verlassen?“ „Wieso folgt auf jede meiner Fragen eine Gegenfrage von Euch?“ „Ich hörte, so zeigt man Interesse.“ „Nein. So gibt man nur unterschwellig zu, dass man Geheimnisse hat, die man niemanden verraten will“, meinte Sanzomon verärgert und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Energisch griff sie nach ihren Unterlagen und ihren Schreibutensilien um an dem weiter zu arbeiten, wofür sie eigentlich hier war. Die Pflanze stellte sie auf den Boden, um Platz zum schreiben zu haben und sie begann die letzten Sätze, die sie geschrieben hatte noch einmal zu lesen, um den Anschluss wieder zu finden. Jedoch kaum, dass ihr die Worte wieder einfielen und sie dabei war die ersten Zeichen zu schreiben, kam ihr Myotismon etwas näher. Da sie vermutete, dass er ihr nur bei ihrer Arbeit zu schauen wollte, schenkte sie dem nicht so viel Beachtung, auch als Myotismon die Distanz noch einmal etwas verringerte. Doch schließlich schreckte Sanzomon auf, als er ihr zuflüsterte: „Soll ich Euch ein Geheimnis verraten?“ Ungläubig starrte Sanzomon Myotismon an. Er grinste nicht nur, er zeigte sogar tatsächlich etwas wie Emotion. Erwartung und – kaum zu glauben – Neugierde, was sie dazu zu sagen hätte. Sie konnte darauf erst nicht antworten, sondern stand mit offenem Mund da. Doch ihre Augen wurden groß und ihre Pupillen so schmal, dass ihre Augen wie Goldmünzen erschienen und ebenso strahlten wie die Mittagssonne. Er hielt Sanzomon die Hand hin, leicht geöffnet, um ihre ergreifen zu können, sobald sie ihre eigene reichte, doch Sanzomon zögerte zuerst. Myotismons Offenheit machte sie skeptisch, so sehr sie auch gern wüsste, was er zu verbergen hatte und warum er nun bereit war es ihr zu offenbaren. „Was soll das für ein Geheimnis sein? Könnte Ihr es mir nicht einfach sagen?“ „Ihr sollt es mit eigenen Augen sehen. Ich dachte, so sei Eure Art zu arbeiten. Selbst sehen, statt es sich erzählen zu lassen. Und wo ist der Spaß an der Neugierde, ohne Risiko und etwas Nervenkitzel?“ Sanzomon ließ sie Schultern sinken und stöhnte auf, als sie ihre eigenen Worte aus Myotismons Mund hörte und sie damit in die Enge trieb. Abzulehnen widerstrebte ihr jedoch noch viel, viel mehr. Ihr Puls stieg, der Hals kratzte und sie schluckte schwer. Zwar streckte Sanzomon schließlich doch nach Myotismons Hand aus, blieb aber noch unsicher schweben. Es wirkte zu einladend, zu nett. (denk daran was er ist) Sanzomon musste sich fragen, ob sie ihm wirklich trauen konnte. Sie sah in seine Augen und würde sagen, ja, sie vertraute ihm, sie waren doch beinahe Gleichgesinnte, doch dann sah sie seine Zähne und sie schwor, seine Handschuhe waren eng genug um sie erkennen zu lassen, wie scharf und spitze die Fingernägel waren, wie Krallen. Sie war hin und her gerissen. (denk daran was er ist) Sie dachte daran, was er war. Aber ihr Verlangen, zu wissen, was er ihr zeigen wollte war enorm. Und gerade von ihm, der so viele Geheimnisse zu verbergen schien. Das war sogar auf eine gewisse Weise für Sanzomon schmeichelhaft. Sie musste es wissen. Sie musste. Neugierde barg immer ein Risiko. Und zur Not konnte sie sich wehren. Er war ein untotes Digimon, sie ein heiliges. Sie hatte einen Vorteil. Sanzomon holte tief Luft, die sie langsam wieder ausblies. Dann, langsam und vorsichtig, legte sie ihre zierliche Hand in die von Myotismon, die sich gleich einer fleischfressenden Pflanze um sie schloss. Augenblicklich drehte sich die Welt um sie herum. Die Nuancen aus Grautönen verliefen ineinander und wurden zu einem einheitlichen, tiefen Schwarz. Der Boden unter ihren Füßen blieb steinig. Die Wände kamen näher, doch weil Sanzomons Welt sich zu schnell drehte konnte sie nicht sagen wie schnell und wie nah sie kamen und in einem Anfall spontaner Klaustrophobie riss sie ihre Hand wieder aus Myotismons Griff. Kurz übermannte sie der Schwindel und sie stützte sich an der Wand ab. „Kein Grund zur Panik. Der Schwindel ist normal. Leider ist dies der einzige unkomplizierte Weg“, sagte Myotismon seelenruhig zu ihr. Sanzomon schaute sich um und tastete die Wand ab, an der sie sich lehnte. „Wo sind wir?“ „In einem verborgenen Teil des Schlosses.“ Dabei seinen Umhang um sich werfend kehrte Myotismon ihr den Rücken und lief die Treppen hinab. Der Korridor war eng und die gewölbte Decke niedrig. „Und was machen wir hier? Wo geht Ihr hin?“ „Gemach, Gemach. Das werdet Ihr früh genug erfahren“, antwortete er freundlich und lief die Treppe weiter abwärts, die in eine absolute Schwärze führte und deren Ende sich nicht erahnen ließ. „Und bleibt dicht bei mir. Ich möchte schließlich nicht, dass Ihr mir hier verloren geht. Ihr werdet sicher bereits gemerkt haben, dass das Schloss seine Launen hat.“ Die Fragen, die sich ihr auftaten stellte sie vorerst beiseite. Der Korridor war sowohl vor ihr als auch hinter ihr stockfinster. Es gab zwar Fackeln, deren Abstände auch nicht groß war, doch ihr Licht ragte kaum einen Meter weit. Würde sie Myotismons dunkelblonden Haarschopf nicht sehen, würde Sanzomon selbst ihn nicht mehr in dieser Finsternis erkennen und denken, er sei verschwunden. „Wieso ist denn das Schloss so... launisch, wie Ihr sagt?“ „Ich denke, es ist ein Schutzmechanismus des ursprünglichen Erbauers. Selbst ich kenne nicht alle seine Winkel, obwohl ich bereits viel Zeit darin investiert habe, alle Geheimnisse dieses Gemäuers zu entschlüsseln“ „Was will das Schloss denn beschützen? Habt Ihr das in Erfahrung bringen können?“ „Vielleicht... Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.“ Sanzomons wütendes Schnaufen über diese wage Aussage ignorierte Myotismon. Doch sie folgte ihm, den langen, schmalen Korridor entlang, der weder Fenster noch Ecke besaß und je weiter es nach unten ging und zwischen den beiden nur Schweigen herrschte, so beunruhigter war Sanzomon. Für einen Moment kam ihr gar der Gedanken, dass sie einen Fehler gemacht hatte, bis Myotismon vor einer großen Türe stehen blieb, deren Holz so dunkel war, dass es fast schwarz schien. Sie gab ein entsetzliches Quietschen von sich, als sie geöffnet wurde. Myotismon ging zur Seite, um Sanzomon den Vortritt zu lassen. Sie schluckte, schritt aber anschließend in den Raum. Ein Raum, der nicht größer war wie all die anderen Räume, voll mit Regalen und diese wiederum voll mit Büchern. „Wir sind in der Bibliothek?“ „In meinem Arbeitszimmer“, antwortete Myotismon knapp. Sanzomon presste ihre Augen zusammen, um sich so besser an die Dunkelheit gewöhnen zu können und als sie sie wieder öffnete, erkannte auch sie, dass das ein völlig anderer Raum war. Kein Mobiliar außer einen Tisch, einen Stuhl und einen Kerzenleuchter, der genauso effektiv war wie die Fackeln im Korridor. „Es ist nicht leicht zu finden, selbst wenn man weiß, wo man hin müsste. Das Schloss birgt vieler solcher Geheimnisse, wie Ihr sicher schon bemerkt habt“, erklärte Myotismon, Sanzomon antwortete ihm nicht. Sie starrte die aufgestellten Bücher an. Sie sah die Symbole, sie sah die alten Digimojis. Diese Bücher mussten uralt sein, dennoch waren sie ihr nicht unbekannt. „Ihr kennt diese Bücher?“, fragte Myotismon, beim Anblick von Sanzomons Gesicht, dass klamm wurde beim lesen der Titel und der Erkenntnis, was das war. Einerseits war sie auch von Ehrfurcht erfüllt. „Die selben Bücher bewahrte auch die Äbtissin auf. Sie hat sie weggesperrt. Man sagt, die göttlichen Digimon selbst hätten diese Schriften verfasst. Heilige wie dämonische...“ „Und Ihr versteht die Sprache?“ Zögerlich nickte Sanzomon. Es war schon lange her, dass sie etwas mit den alten Digimojis in den Händen hielt, aber sie konnte die Titel entziffern und zum Teil reichte schon ein genauer Blick auf den Einband. Dunkle Magie. Okkultismus. Verbotene Alchemie. Ihr wurde mulmig bei diesem Anblick. Dieser Inhalt wurde von Dämonen-Digimon überliefert und auch wenn Sanzomon sich selbst immer als neutral bezeichnete, waren diese Bücher letztlich doch auch ein Beweis für die Extreme unter den finsteren Digimon. So wie die heiligen Digimon von Kontrolle und Reinheit besessen waren, drehte sich alles bei ihnen um die Zerstörung und zu oft hatten sie es schon fast geschafft. Und nicht nur in dieser Welt, rief Sorcerymons Stimme in Sanzomons Gedächtnis. Es überraschte sie nicht, dass Myotismon so etwas besaß, nur war sie sich nicht sicher, ob sie wirklich davon so angetan sein sollte. „Ihr habt doch keine Angst, oder?“ „Ich weiß nur nicht so Recht, was ich denken soll“, murmelte Sanzomon nachdenklich. Im Augenwinkel sah Sanzomon noch, wie Myotismon etwas aus einer dunklen Schatulle holte und den Inhalt in seiner Faust hielt. Es ließ sich nicht erahnen was es war, nur dass es wohl nicht sehr groß sein konnte. „Was habt Ihr da?“ „Zuerst aber, sagt mir ob Ihr etwas spürt.“ „Spüren? Was soll ich spüren?“ „Sagt einfach, ob Ihr etwas Vertrautes spürt, genau hier.“ Nicht wissend wovon Myotismon sprach konzentrierte sich Sanzomon dennoch auf ihre Umgebung. Wenn sie diese drückende Energie, die von diesem Raum ausging ignorierte, spürte sie neben Myotismons eigener erdrückenden Präsenz nichts. Sie hörte nichts, was sie nicht schon vom Schloss kante. Sie sah nichts. Sie fühlte auch nichts, nicht auf ihrer Haut und auch nicht in ihrem Innersten. „Nein. Hier ist nichts“, sagte Sanzomon, als täte es ihr Leid das gestehen zu müssen, auch wenn sie nicht verstand was ihr daran Leid tun sollte. Myotismon verzog die Lippen. „Dachte ich mir schon“, murmelte er und ballte seine Faust noch fester. Sanzomon hörte etwas zerbrechen. Ein kratziges Geräusch. Sanzomon hätte spontan auf Glas oder Keramik getippt und als Myotismon seine Faust öffnete, rieselten Scherben auf den Boden. Ein kurzer, letzter Funke verriet, dass, das immer es war mal goldenen und rosa glänzte, dann verlor sich aber jeder Hauch von Farbe. Die Scherben wurden erst steingrau, dann lösten sie sich auf. „Was war das?“, fragte Sanzomon und sah noch einen Moment den Datenpartikel hinterher, ehe sie gänzlich verschwanden. „Ein Replikat eines, wie soll ich sagen – Artefaktes. Es besitzt eine nicht ganz zu begreifende Macht. Und eine durchaus auch heilige Macht.“ Seine Hand verschwand unter seinem Umhang und holte ein weiteres Exemplar hervor. Sanzomon vermutete, dass dies das Original war. Die Farben waren gleich, golden und rosa und nun wurde ihr auch klar, dass das eine Kette war. Der Anhänger baumelte an einer weißen Schnur. Der Anhänger war vielleicht drei Zoll groß und etwa in der Mitte war dieses rosa Stück. Glas? Kristall? Es war schwach eingezeichnet und wegen der geringen Helligkeit sah Sanzomon es nicht sofort, aber auf diesem rosa Feld war ein Blumenmuster. Spontan hätte sie gesagt es sähe wie ein Lotus aus. Und die Farbe und die Art wie es dargestellt wurde sah einem bestimmten Symbol ähnlich. Schnell erinnerte sich Sanzomon auch wieder. „Das -“ Sanzomon erschrak zu sehr, den Rest des Satzes verschluckte sie. Das Tifareth-Symbol. Sie hatte es schon ewig nicht mehr gesehen. Dieses Zeichen, das Symbol der Reinheit und des Lichtes, dem Licht, dem sich der Orden, in dem Sanzomon mit den anderen erzogen wurden, verschrieben hatten. Neben der Kette der Äbtissin erinnert sich Sanzomon an eine Fensterrose, in deren Mitte das Tifareth-Symbol war und wenn die Sonne durch das Glas schien, fiel das Licht auf sie, die Sistermon und ihre Spielkameraden hinab. Und anders wie beim der Kopie spürte Sanzomon, dass von diesem Ding eine Macht ausging. Schwach, aber spürbar. Sie hörte das sachte Läuten von Glocken. Dieses kleine Ding trug heilige Macht in sich. Verdutzt wandte sie sich wieder an Myotismon. „Wieso ist etwas mit heiliger Macht in Eurem Besitz? Und dann auch noch mit diesem Symbol?“, fragte Sanzomon entsetzt und sah dem Amulett zu, wie es sich in der Luft langsam um die eigene Achse drehte. Es schimmerte schwach rosa im Kerzenlicht. „Dieses Amulett und dieses Wappen bewahre ich anstelle seines wahren Besitzers auf, der sich aktuell jedoch nicht ermitteln lässt. So verhindere ich auch, das jemand Unfug damit treiben könnte – oder gar Schlimmeres. Ich habe nicht wenig Feinde. Die Meister der Dunkelheit sind nur ein Beispiel. Ich habe Kopien angefertigt, die mir nicht nur helfen sollen seinen wahren Träger zu finden, sondern auch um das Original vor eventuellen Feinden zu schützen. Doch ohne den Funken heiliger Macht sind die Kopien wertlos. Ihr könnt Euch denke ich vorstellen, wieso mir das Probleme bereitet.“ Ohne von dem Amulett wegzusehen nickte Sanzomon stumm, dann fuhr Myotismon fort: „Mein Meister war magisch überaus begabt. Er kannte jedes einzelne Zitat und jeden einzelnen Spruch in jeder Sprache auswendig. Diese Bücher sind schon im Besitz vieler Myotismon gewesen und jedes von ihnen hat ihren Inhalt erweitert. Ich, mein Meister, sein Meister, dessen Meister und viele Generationen zurück.. Sie erzählen von der Magie, die Zeichen wie dieses enthalten. Kräfte, die in unserer Welt nicht zu begreifen sind. Prophezeiungen und Visionen, die nicht nur das betreffen sollen, was wir kennen. Dinge, die nur wenige Digimon begreifen können, weil es ihr Verstand einfach nicht zulässt. Es könnte eine Vorsichtsmaßnahme der Digiwelt sein. Oder schlicht Dummheit.“ Die Worte klangen in Sanzomons Ohr verdächtig vertraut. Die Äbtissin ließ auch manchmal Bemerkungen los, die sehr mehrdeutig zu interpretieren waren und den Verdacht erweckten, dass es mehr gab wie die Digitalen Welten. Die Sistermon, besonders Sistermon Ciel als ihre Stellvertreterin schoben es auf das hohe Alter der Äbtissin. Doch Sanzomons Misstrauen hielt sich damals und viele der Bücher, die verboten waren, zu denen sie jedoch Zugang nach ihrer Ultra-Digitation erhielt sprachen für sich. Beide Digimon blieben stumm, aber doch verriet etwas in ihrer Mimik und ihrer Haltung genug, um den anderen mitzuteilen, was sein Gegenüber dachte. Ihr kennt das, das ist Euch nicht neu, diese uralten Geschichten, dieser Aberglaube, Ihr kennt es, die Geschichten über andere Welten, nicht nur digitale, Ihr hört davon und Ihr habt nicht nur den Verdacht, Ihr glaubt daran, genau wie ich, hörte Sanzomon Myotismon sagen, obwohl er nicht einen Laut von sich gab. Glaubte sie es? Sie war sich unsicher. Aber dann erinnerte sie sicher wieder an Sorcerymon. Das Digimon, dass von einem Land kam hinter dem Meer, hinter der Sonne, nicht im Westen aber auch nicht im Osten. Und sie ahnte damals bereits, was er ihr damit sagen wollte. Andere Welten... Sollte doch etwas dran sein? Obwohl es außer mehrdeutigen Schriften von uralten Digimon nichts gab, was darauf hindeutete? „Ich habe zwar schnell gelernt und auch die Jahre nach seinem Dahinscheiden mit dem Studieren magischer Schriften verbracht. Doch all das Lernen hat nichts gebracht. Ich bin und bleibe eben ein untotes Geschöpf und dieses hier ist eine Macht, die sonst nur meinen natürlich Erzfeinden vorenthalten ist“, erklärte Myotismon weiter. „Aber das Ihr, als heiliges Digimon nichts spürt vergewissert mir, dass ich mit einen Befürchtungen Recht hatte. Diese Kopien sind wertlos.“ „Und was tut Ihr nun?“, fragte Sanzomon aufgeregt. Myotismon stand entgegen des Kerzenlichtes, dennoch erkannte Sanzomon in den Schatten wie er die Lippen verärgert und missmutig verzog. „Ich bin zugegeben etwas ratlos. Mir bliebt wohl nur, als schnell seinen seinen Besitzer zu finden. Aber ich werde nicht der Einzige sein, der ihn sucht. Ich hoffte, die Kopien für die Suche zu nutzen und das Original derweil sicher zu verwahren. Aber wie es scheint werde ich einen anderen Plan benötigen. Diese Magie ist etwas komplex. Vielleicht eine Magie, die kein Digimon zu begreifen versteht. Und für mich, als ein Digimon, dessen Heimat die Dunkelheit ist erst Recht nicht. Ein Jammer.“ Myotismon seufzte, aber sagte nichts. Er war ratlos und das an ihm zu sehen überraschte Sanzomon. Sonst wirkte der untote Schlossherr so sehr von sich überzeugt und immer voraus schauend, aber hier schien er an seine Grenzen zu stoßen. Und Sanzomon starrte weiter auf das Schmuckstück und überlegte. Und überlegte. Sie würde im Nachhinein nur schwer erklären können, was sie zu dieser Entscheidung ritt, denn eigentlich hätte sie merken müssen, das etwas nicht koscher war. Vielleicht war es ihre Neugierde, die genau wissen wollte was dieses Ding nun war. Vielleicht jedoch auch, weil sie anfing etwas für Myotismon zu fühlen. Was es war, hätte sie schwer sagen können. Nicht eine tiefe Verbundenheit, aber es ging über ihren Wissensdrangs hinaus, da war sie sich sicher. Sie hätte es in etwa mit dem Vergleichen können, wie sie Sorcerymon damals sah. Zugegeben war Myotismon, trotz dass er Charisma besaß kein vertrauenswürdiges oder sympathisches Digimon, aber Sanzomon fühlte doch etwas, was vielleicht dem Wunsch nach Freundschaft nahe kam. Und Freunde halfen sich gegenseitig. Freunde unterstützen sich, ohne etwas zu verlangen, so hieß es doch. „Vielleicht kann ich ja helfen“, schlug Sanzomon ganz euphorisch vor und überzeugt. Myotismon schien überrascht, runzelte dann aber skeptisch die Stirn. „Ich weiß nicht, ob Ihr mir helfen könnt.“ „Ihr sagtet doch, das es sich hierbei um heilige Macht handelt. Und da ich über solche Fähigkeiten verfüge, wäre es nicht allzu weit hergeholt. Ihr könntet es mich einfach versuchen lassen.“ „Ihr wollt doch nur einen Blick in die Schriften meines Meisters werfen“, bemerkte Myotismon. Sanzomon fühlte sich ertappt. „Und selbst wenn es so ist, was spricht dagegen? Ihr solltet doch mittlerweile wissen, dass ich Eurer Lektüre nichts Schädliches antun würde. Ich verspreche Euch, ich werde einen Weg finden Eure Idee in die Tat umzusetzen. So lasst es mich versuchen. Zu verlieren habt Ihr schließlich nichts.“ Um noch überzeugender zu wirken hob Sanzomon ihr Kinn, so wie Myotismon selbst sonst so gerne tat und hob die Brust an, doch ihre Augen funkelten und waren groß vor Erwartung wie die eines jungen Digimon. Myotismon wechselte den Blick immer wieder zwischen Sanzomon und dem Amulett, das mittlerweile aufgehört hatte sich gemächlich um die eigene Achse zu drehen. Er gab ein lautes und langgezogenes „Hmm“ von sich. Irgendwann veränderte sich sein Takt und er fokussierte Sanzomon wesentlich länger als den Anhänger und schließlich: „Nun gut... Ich überlasse es Euch“, sagte er streng, aber Sanzomon beachtete dies gar nicht. Mit großen Augen streckte sie ihre Hand aus, um das Amulett an sich zu nehmen. Das Material schien nicht schwer, die Oberfläche war glatt und es strahlte eine gewisse Wärme aus. Wie bizarr, hatte es eben doch noch in Myotismons kalten Händen gelegen. Es war wirklich mit heiliger Macht getränkt. Ihre Händen schlossen sich wie eine Blume zur Nachtdämmerung und Sanzomon drückte sie an sich. Kurz erinnerte diese Gefühl, dass dieses Amulett durch seine Macht verursachte sie an zu Hause. Dann nickte sie entschlossen. „Ich werde mein Bestes tun“, sagte sie von sich überzeugt und ernst. „Seht dies als meinen Dank.“ „Ihr seid doch mein Gast und als Gastgeber kann ich nicht von Euch erwarten, dass Ihr Euch für eine Selbstverständlichkeit revanchiert.“ „Ich meinte, als Dank, dass ich mich hier in Eurer Bibliothek umsehen und aufhalten durfte. Das... hat mir sehr viel bedeutet.“ Im Glauben, man erkannte dass sie sich für diese Aussage schämte schaute Sanzomon zur Seite. Eigentlich war sie so nicht, aber in Myotismons Nähe fühlte sie sich komisch. Sein ganzes Auftreten war erdrückend. Unheimlich wollte man sagen und Sanzomon würde nie behaupten, dass sie gar keine Angst vor ihm hätte. Aber sie war in erster Linie gefesselt von einem Digimon, dass so gegensätzlich nicht nur zu ihr, sondern auch zu allem anderen war, was sie bisher zu Gesicht bekam. Das Gefühl, dass in ihr aufkam glich der Faszination eines Buches, dass man nur aus der Hand legte, weil biologische Bedürfnisse einen dazu zwangen. Ein Buch jedoch gab keine Reaktion von sich. Ein Digimon hingegen schon und Sanzomon wusste nicht so recht wie sie agieren sollte. Sie war unsicher. Denk daran was er ist, rief ihre eigene Stimme in ihrem Kopf – und doch ließ sie zu, dass Myotismon den Abstand zwischen ihnen minimierte, ihre Haare zurückschob, nur um mit dem Finger über ihre Wange zu streichen und ihr zuflüsterte, während er ihr gleichzeitig tief in die goldenen Augen sah. „Ich habe vollstes Vertrauen in Euch und Euer Wissen.“ Seine Worte gingen Sanzomon unter die Haut. Das Pochen in ihrer Brust nahm zu, ihre Beine zitterten. Die Muskeln ihrer Unterleibs zogen sich zusammen und es nahm zu, als Myotismon ihr einen letzten, eindringlichen Blick mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen schenkte und erneut um ihre Hand bat, um sie aus diesem Raum zu führen. Sie redete sich ein, dass das Hunger sei, obwohl Sanzomon ganz genau wusste dass man Hunger dort nicht spürte. Vertrauen. In sie. In ihr Wissen. Er wusste, was ihr gefiel und ihr schmeichelte. Fast zu gut. Doch ihr Verstand riet sie zur Vorsicht und verbat ihr, dass Gefühl zu sehr zu genießen. Sie durfte nicht vergessen was er war. Digimon wie er galten als Charmeure, die ihre Beute nicht jagten, sondern umschmeichelten und sie somit in ihren Bann zogen. Er spielte mit ihr. Sie musste auf der Hut sein, auch wenn Myotismons Worte Gänsehaut verursachten. Es war wie mit Alkohol – man wusste es war in zu großen Mengen schädlich, doch der liebliche Geschmack und des angenehme Gefühl in Bauch und Kopf ließen eventuelle Folgen bei Übertreibung unwichtig erscheinen. Sanzomon rieb sich mit der Hand über ihr warmes Gesicht, während sie Myotismon folgte, unter fast zu offensichtlichen schwärmenden Blicken, die er nicht zu bemerken schien und überlegte, ob sie die Bakemon, wenn sie ihr das Essen brachten fragen sollte, ob sie ihr einen Drink bringen könnten. Sie könnte einen vertragen.     Kapitel 4: Gyrus cinguli ------------------------ Bücher Bücher und Ideen Ideen Ideen und Träume Bücher Bücher und Träume Bücher und Ideen und Träume und ein Feuer, dass sie alle verschlingt   * * * *   Rosa Licht durchflutete die Räume. Das Tifaret reihte sich durch die Halle der höchsten Tempel von Mount Boot, als Fenster oder als Zierde an den Wänden. Die heilige Macht hüllte zwar den kompletten Berg ein, aber hier oben in den höchsten und ältesten Tempeln war die Konzentration so hoch wie nirgendwo. Und die Glocken. Überall hörte man das Schlagen von Glocken, obwohl es nirgendwo welche gab, die dieses Geräusch erzeugend könnten. Sanzomon war regelrecht von Ehrfurcht ergriffen. Sie war noch nie auf der Spitze von Mount Boot gewesen, ein spitzer, fast weißer Berg umringt von roten Wäldern. Diese Ehre galt nur den Sistermon und der Äbtissin, die auf der Spitze hauste. Diese Ruinen waren uralt, zu Zeiten des ersten Sanzomon erbaut. Nach ihrer Reise durch die Web Continent lebte sie hier und nahm sich der Sorgen der verzweifelten Digimon an. Nicht nur die Engel-Digimon erkannten sie anschließend als heiliges Digimon, ihr wurde erlaubt in das Goldene Land einzutreten. Die Digimon, die hier lebten waren ihre direkten Nachfolgerinnen und übermitteln über Generationen hinweg ihre Weisheit. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet sie zu so einem Digimon wurde und nun von Sistermon Ciel persönlich zur Äbtissin gebracht wurde. Der Aufstieg war steil, doch sie legten in der Zeit weit mehr Strecke zurück, wie eigentlich möglich gewesen wäre. Vermutlich verursachte diese viele Energie, die um den Berg floss eine Verzerrung im Raum zu ihrem Gunsten. Die Ruinen waren alt und verfallen, der Boden nicht sehr üppig, und Sanzomon konnte sich kaum vorstellen, dass hier ein Digimon lebte oder wertvolle Schriften hier verwahrt werden sollten. Rosenranken waren an den Mauern nach oben geklärte, aber es waren so gut wie keine Rose mehr zu sehen. Im Tempel selbst brannte kein Licht, nur die Fenster erhellten den langen Flur, durch den Sistermon Ciel Sanzomon schweigend führte. Und überall sah sie das Tifaret. Es wirkte schon übertrieben. Auf dem Pfad, auf dem sie beide gingen waren Kreise gezeichnet die sich überschnitten und ein fast blumenähnliches Muster bildeten. Sanzomon meinte, so was nannte man ein Mandala. Der Pfad endete schließlich vor einer großen, weißen Türe und an der Spitze dieser Türe schaute ein Kopf auf sie herab. Sanzomon glaubte sogar wirklich, dieser Kopf würde sie direkt ansehen. Er war humanoid und wiederum von drei anderen Köpfen umringt. Zu seiner rechten thronte der Kopf eines Vogel-Digimon, zu seiner linken der eines Stier-Digimon und über ihm der eines Löwen-Digimon. Wenn es denn Digimon waren, sagte etwas in ihr, das verdächtig nach Sorcerymon klang, wieso aber auch immer sie mit Skepsis erfüllt war. Vielleicht lag es auch einfach an ihren Kopfschmerzen, die dieses Glockenläuten verursachte. Wieso hörte das nicht auf? Zaghaft klopfte Sistermon Ciel an die Türe. „Äbtissin. Ich habe sie hergebracht, wie ihr befahlt“, rief Sistermon Ciel, kaum dass sich die große Türe vor ihr öffnete. Der Raum war wesentlich heller wie der Flur vermuten ließ, weit größer wie geschätzt und rund. Die Decke war eine einzige Sternenkarte, wie Sanzomon fasziniert feststellte und sie glaubte auch trotz der Entfernung Sternbilder zu erkennen, die den Löwen, den Schützen und den Affen. Dann sah sie die Bücher und ihr wurde warm uns Herz. Der Anblick dieser Bücherstapel berührte sie. Und zwischen all diesen Büchern lief ein altes, kleines und unscheinbares Digimon auf und ab, das auch gar nicht erst zu bemerken schien, dass noch jemand anwesend war. Erst als Sistermon Ciel sich räusperte, sah das Digimon von seinen Papieren auf. So unscheinbar und klapprig die Äbtissin Babamon war, so soll sie ein stolzes Wesen und ungeahnte Kräfte besitzen, dass alleine verschaffte ihr einen großen Respekt, den sowohl Sistermon Ciel als auch Sanzomon fühlten. „Schau an. Es stimmt also wirklich“, sagte sie, wenn auch wenig überrascht. Ihre Stimme war rau, kratzig und auch etwas schrill. Babamon griff nach ihrem Besen, der ihr eigentlich als Waffe diente, benutzt ihn aber als Gehstock, um auf die beiden Digimon zuzulaufen. Babamon war klein, von Sanzomon aus betrachtet ging sie ihr knapp über die Knie. Ihr Gesicht war faltig und fahl, ihre Haare ein strenger, grauer Dutt. „Das ist also der Unruhestifter, von dem ich so viel gehört habe?“, fragte sie ungläubig und hob dabei die Stimme. Demütig nickte Sistermon Ciel und ging einen Schritt zurück, dass Babamon freie Sicht auf Sanzomon hatte. Babamon verzog den Mund und verschränkte ihre Arme. „Hm. Ich hätte ja ein Digimon mit mehr Elan erwartet. Kindchen, steh nicht da wie ein Häufchen Elend!“ „Es tut mir Leid, Äbtissin. Ich habe nur Kopfschmerzen“, erklärte Sanzomon schwach und hob die Hand vor ihr Gesicht. Dieses helle Licht mochte einerseits angenehm sein, doch es tat in ihren Augen weh und damit auch ihrem Kopf, von dem sie fürchtete, er explodierte jeden Moment. „Ich fühl mich komisch, seit ich digitiert bin. Ich bin so müde... Und diese Glocken.Wo kommen sie her?“, fragte sie schwach. Schließlich aber ging Sanzomon in die Knie und stützte sich mit ihren Armen ab. „Sanzomon! Ist alles in Ordnung?“, fragte Sistermon Ciel und das brachte Sanzomon fast zum lachen. Sistermon Ciel, die sie sonst immer adelte und noch vor wenigen Stunden beschimpfte machte sich Sorgen um sie. Ihre Haare und die Bänder fielen in ihr Gesicht und verdunkelte etwas ihre Sicht. Der Schatten half tatsächlich etwas gegen die Kopfschmerzen. „Das was du hörst ist nur die Macht des Lichtes, die um diesen Berg strömt. Unsereins nimmt die heilige Macht in dieser Form wahr“, erklärte Babamon und ignorierte Sanzomons Schwächeanfall komplett. „Du bist noch sehr unerfahren, aber sobald du gelernt hast deine Kräfte richtig zu kontrollieren, wirst du dieses penetrante Glockenschlag nicht mehr die ganze Zeit hören. Aber du schlägst dich wacker. Andere Digimon, die diese geballte Energie sonst zum ersten Mal zu spüren bekommen übergeben sich dabei und sind überreizt.“ Das sie sich übergeben musste würde Sanzomon nicht behaupten, dennoch war ihr, als drehte sich ihr Magen. Aber sie beherrschte sich. Gereizt fühlte sie sich auch nicht. Nur schrecklich müde. Babamon nutzte das stumpfe Ende ihres Besens, legte diesen unter Sanzomons Kinn und hob dieses damit hoch, um dem Mönch-Digimon in die Augen schauen zu können. Babamons eigene waren hinter dem Pony versteckt. „Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich noch einmal ein Sanzomon zu Gesicht bekomme und dass es ausgerechnet so ein kleiner Unruhestifter sein würde, der sich als heilige Priesterin entpuppt. Ich gebe zu, ich hatte eine Ahnung, als ich dich und deine Spielkameraden von hier oben so beobachtet habe und von deinen kleinen Schandtaten hörte. Das es aber wirklich so kam erstaunt mich doch. Vor allem nach dem Vorfall mit diesem Wisemon.“ Der Besen wurde weggezogen und Sanzomon ließ ihren Kopf hängen. Sie wünschte sich, sie könnte sich beherrschen um ihre Ohren zuzuhalten, aber vermutlich würde das nichts bringen, wenn es so stimmte, was Babamon ihr sagte. Doch das Läuten war laut. Sie hoffte, auch die Aussage, dass es bald nachlassen könnte würde sich bewahrheiten. „Sistermon Ciel, lass uns bitte alleine. Ich habe mit ihr Dinge zu bereden.“ „Jawohl, Äbtissin.“ Sistermon Ciel verbeugte sich und verließ den Raum schnurstracks. So wenig Sanzomon sie mochte, sie wünschte, sie bliebe hier. Allein vor der Äbtissin zu stehen jagte Sanzomon Angst ein und machte ihr ihre Lage erst wirklich bewusst. Vor allem nach der Auseinandersetzung zuvor. Sie war einfach abgehauen. Sie hatte ihr Schwert in die Ecke geworfen und war abgehauen, weil sie es ohne Sorcerymon nicht mehr aushielt. Warum sie, ausgerechnet sie zu einem Sanzomon wurde, einem Digimon dass in der Historie von Web Continent so verehrt und geschätzt wurde erschloss sich ihr nicht. Warum sie? Sanzomon schaute zu Babamon auf und sofort wurden ihre Kopfschmerzen stärker, als sie ins Licht sah. „Äbtissin... Muss ich in den Krieg?“, fragte Sanzomon zurückhaltend, kaum dass Sistemon Ciel den Raum verließ und sich die Türe schloss. Sie kniete noch auf dem Boden, aber auch so hätte sich Sanzomon so klein vor Babamon gefühlt. Die Äbtissin besaß zwar den Ruf etwas schrullig zu sein und manchmal etwas chaotisch, aber sie war eine starke Persönlichkeit, die angeblich schon sehr lange lebte und viel gesehen hatte. Sie hieß sogar, dass sie sehr streng sei. Das gab ihr eine etwas einschüchternde Art. „Einen Pazifisten in den Krieg zu schicken wäre ein Verschwendung“, sagte sie schließlich kühl. „Du überlebtest keine Sekunde in dieser harten Welt. Nein, du bist zu etwas anderem bestimmt. Zu etwas Großem.“ „Ich? Zu etwas großen?“, harkte Sanzomon ungläubig nach. Beinahe hätte sie gelacht, zu oft hatte sie schließlich gehört, sie sei nicht tüchtig genug und stellte viel zu viele Fragen, als das je ein anständiges Digimon aus ihr werden würde. Einzig Sorcerymon hatte geglaubt, dass sie was erreichte, aber auch dies nur mit Vorsicht, betonte er schließlich auch oft, dass sie erst einmal noch lernen sollte richtig zu denken. Babamon aber nickte zustimmend. „Es wird dauern, bis du dich und deine Fähigkeiten im Griff hast, aber sollte das eines Tages geschehen, wirst du sicher ein sehr mächtiges und weises Digimon werden, nach dem sich viele sehnen werden“, erklärte sie. Sie sah zum Fenster hinter ihr auf, ebenfalls geziert mit dem Tifaret. Das blassrosa Licht fiel auf sie beide und umhüllte sie, so warm und angenehm wie eine mütterliche Umarmung. „Licht und Dunkelheit sind im Ungleichgewicht, die Angst und die Unsicherheit sind groß. Digimon vertrauen auf unsere Kämpfer des Lichts. Aber auch sie sind eben nur Digimon. Sie brauchen einen Anker, einen Sinn. Jemand, der sich ihrer Laster annimmt, damit ihre Hoffnung nie erlischt. Und du kannst dieser Anker für andere Digimon sein, mein Kind.“ Sanzomon war zu ergriffen, um antworten zu können. Babamons Worte, trotz ihrer Stimme erwärmten ihr Herz. Die Vorstellung, das sie anderen Digimon mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen helfen konnte gab ihr die Kraft zurück, die sie brauchte um wieder aufzustehen und das Glockenläuten zu ignorieren. Sie legte ihre Hände auf ihre Brust. Ihr Herz, oder vielmehr ihr Digikern pochte bei der Vorstellung vor Freude. „Freu dich aber nicht zu früh“, ermahnte Babamon sie weiter, als sie das Leuchten in Sanzomons Augen sah. „Du musst noch viel lernen. Aber ich denke, ich kann dir dabei etwas helfen.“ „Ihr wollt mir helfen, Äbtissin? Wie?“ „Ich nicht. Zumindest nicht direkt.“ Auf dieser rätselhaften Aussage folgte nichts mehr, doch stattdessen setzte Babamon sich in Bewegung, direkt auf eine Türe zu ihrer rechten zu. Sie klopfte mit ihrem Besen ein, zweimal gegen die Tür, die, wie Sanzomon gerade bemerkte weder Klinke noch Schlüsselloch besaß, aber sich nach Babamons Klopfen von selbst öffnete. Sie winkte Sanzomon zu sich, die ihr auch gleich folgte. Hinter dieser Türe bestand sich erst nur ein kleiner Durchgang, der wieder an einer Tür endete. Auch diese Türe war mit dem Tifaret geschmückt und statt dem Klopfen wurde diese durch das Leuchten von Babamons Perlenkette geöffnet. „Komm schon. Wer sich Weisheit aneignen will braucht viel Material. Hier wirst du alles finden, was du brauchst“, sagte sie und schritt in den Raum. Etwas nervös folgte Sanzomon ihr und fand sich schließlich in einem riesigen Saal wieder. Der Raum war rund, erstreckte sich aber nach unten, mitsamt einer Wendeltreppe. Und trotz des gedämmten Lichts sah Sanzomon, dass hier alles voll mit Büchern war. Die Regale, keine Holzregale, sondern in Stein gemeißelt waren voll mit Büchern, mit Schriftrollen und Karten, von oben bis unten. Dieser Raum war im Mount Boot und ging tiefer ins Innere des Berges, vielleicht sogar noch weit unter den Weg. „Unglaublich“, hauchte Sanzomon atemlos und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie sah nur Bücher. Sie sah die Wendeltreppe hinunter und sah noch einige Platte als Zwischenebene, auf denen man Stehen konnte, da war sogar Mobiliar zum niederlassen. Kristalle brachten Helligkeit hinein. Aber sonst waren hier nur Bücher. Aber und aber alles voll mit Büchern. „Hier findest du alles was du brauchst. In dieser Bibliothek bewahren wir sämtliche Schriften auf, die ich und alle Äbtissinnen vor mir, bis zu Sanzomon zurück gesammelt, übersetzt und selbst verfasst haben“, erklärte Babamon stolz und lief mit Sanzomon die Wendeltreppe hinab. Doch Sanzomon hörte kaum zu, sondern sah erstaunt in alle Richtungen. „Diese heiligen Schriften sind kostbar und bieten den Grundstein sämtlicher Lehren unseres Ordens.“ „Und i-ich darf sie alle lesen?“ „Selbstverständlich. Wie willst du dir sonst Wissen aneignen? Und wie sollen andere von dir lernen?“ „Lernen?“ Sanzomon blieb abrupt stehen. „Von mir lernen? Redet ihr von den jüngeren Digimon? Was soll ich denn ihnen beibringen? Ich bin doch erst vor ein paar Stunden digitiert!“ „Das wirst du früher oder später herausfinden“, meinte Babamon nur ganz gelassen. Dann lief sie weiter hinunter. Sie waren schon an drei Platten vorbeigelaufen und es ging immer noch runter. Auch die Kristalle wurden weniger, je näher sie den Boden kamen. „Die Bücher sind dein Leitfaden, solange du noch unerfahren bist. Auch das erste Sanzomon war unerfahren, doch mit ihrer Weisheit rettet sie diesen Kontinent und Digimon, die der Dunkelheit zum Opfer fielen konnten endlich wiedergeboren werden. Sie nahm sich der Laster dieses Landes an, indem sie tif in ihr Herz blickte. Eine besondere Fähigkeit deiner Art. Dafür wurde ihr der Eintritt ins Goldene Land gewehrt. Der Tag wird kommen, dann weißt du auch ohne sie, was zu tun sein wird. Wir erwarten Großes von dir, Sanzomon.“ „Großes...“, wiederholte Sanzomon. Ihre Freude war gedämmt. Vielmehr fühlte sie sich nun überfordert. Sie wünschte, sie könnte Sorcerymon fragen, was er davon hielt. Wie sollte sie, ausgerechnet sie mit so einem historisch bedeutendem Digimon mithalten? Sie waren ganz unten angekommen und dies war mitunter die größte Ebene von allen. Vermutlich war dieses Gewölbe genauso breit wie der Berg. Selbstverständlich war auch hier alles voll mit Büchern. Was Sanzomon jedoch stutzig machte waren die vielen Talismane, die an und zwischen den Büchern hingen. „Und diese solltest du sehr gut kennen. Halte dich am besten von ihnen fern. Diese Bücher entstammten aus den dunkelsten Ecken der Digiwelt und sie werden hier verwahrt, ehe sie noch ein Unheil mit sich bringen.“ „Unheil? Aber das sind doch nur Bücher“, meinte Sanzomon und nahm auch Babamons Warnung nicht sehr ernst. Interessiert starrte sie durch die Reihen, die Talismane, einige mit dem Tifaret darauf, andere mit Sutras und Psalmen, die das Böse abwendeten sollten. Automatisch streckte sie ihre Finger aus, die es liebten über den Einband eines Buches zu fahren, es zu fühlen und vielleicht auch seinen Inhalt fühlen und erahnen zu können, vielleicht auch um zu überprüfen ob sie wirklich so eine dunkle Macht in sich trugen, aber da ging Babamon dazwischen: „Finger weg!“, brüllte sie und Sanzomon erschrak so sehr, dass sie einen Satz vom Regal regelrecht wegsprang. Mit großen Auge schaute sie zu der Äbtissin. Ihre Finger schwebten noch in der Luft, als wollte sie etwas ergreifen, aber Sanzomon war wie erstarrt. „Hast du nicht zugehört? Das sind verbotene Bücher! Lass die Finger von ihnen!“ „Verbotene Bücher?“, wiederholte Sanzomon ungläubig. „Wieso verboten? Und warum werden sie dann hier verwahrt, wenn nicht um sie zu studieren? Und warum vernichtet ihr sie nicht, wenn sie angeblich so viel Unheil bringen?“ „Besser hier als sonst wo. Sie sind ein Mahnmal für uns alle. Außerdem kehren sie immer wieder. Manche Bücher schneller, manche etwas später. Warum? Tja, das weiß niemand?“ „Liest sie denn jemand? Bücher wollen gelesen werden“, sagte Sanzomon scherzhaft. Sie schmunzelte sogar, weil sie an Sorcerymon denken musste. Trotz ihres roten Schales vor dem Mund war Sanzomon, als hätte Babamon es doch gemerkt und war nicht amüsiert darüber. „Tu dir selbst einen gefallen und lass die Finger davon. Viele der Bücher wurden von hochrangigen Dämonen-Digimon gepriesen. Zwischen ihnen sind auch die Schriften dieser Kreaturen“, mahnte Babamon weiter. Sanzomon schien auch genau zu wissen welches es waren. Es waren die Bücher mit dunklen Einband und einem Zeichen darauf, das stark einer Fledermaus ähnelte. Sie würde Jahre später dieses an Myotismon wiedererkennen. „Sie sind eine Warnung, dass manche Schriften besser niemals das Tageslicht erblicken sollten“, sagte sie weiter und schritt voran, ungeachtet, das Sanzomon zögerte zu folgen. Sie sah weiter durch die Reihen. Trotz der Warnung würde sie dennoch gerne lesen, was darin stand. Ehe sie Babamon aber folgte, blieb sie wieder stehen, zu den verbotenen Bücher schauend. Zwischen einen von ihnen las sie FAHRENHEIT 451.   * * * * Dies war nun der dritte Unterrichtstag mit den Cupimon, der Sanzomon bevorstand. Es war zwar immer eine andere Gruppe, den mit über fünfzig Ausbildungs-Digimon in einem Raum war es schwer effektiven Unterricht zu gestalten, aber mit ihrer neuen Aufgabe etwas überfordert, hätte sie die Digimon, die vor wenigen Wochen und Monaten noch ihre Spielkameraden waren ohnehin nicht voneinander unterscheiden können. Missmutig saß Sanzomon da und blies ihre Haare in die Luft. Gespannt standen die Cupimon vor ihr und warteten, was Sanzomon ihnen beibringen sollte, aber sie war etwas überfordert. Was sollte sie ihnen beibringen? Sie war regelrecht ins kalte Wasser geworfen worden. Sie wusste nicht, wie man Digimon etwas beibrachte, aber die Äbtissin und Sistermon Ciel meinten, sie würde das von selbst erkennen und begreifen, sie müsse sich nur Gedanken machen und überlegen, dann käme es von selbst. Doch es verstimmte Sanzomon nur mehr. „Sanzomon. Seid ihr traurig oder so?“, fragte eines der Cupimon schüchtern, Sanzomon schüttelte den Kopf, der in ihren Händen lag. „Nein, ihr Lieben. Ich bin nur etwas überfragt. Ich weiß nicht, was ich Euch beibringen soll“, seufzte Sanzomon. Rätselnd schauten sich die Cupimon an, einige verzogen die Lippen, andere hoben die Schultern. Auch zu dem Sistermon Blanc, dass an der Türe stand schaute Sanzomon einmal verzweifelt hinüber, aber auch sie wusste keinen Rat. Sie war eigentlich als Assistentin für Sanzomon gedacht, aber sie hatte diese Hilfe abgelehnt. Nun lehnte sie sich an die Wand, wirkte genauso gelangweilt. Das Hasen-Gesicht ihrer rosa Haube schlief. Verzweifelt schaute Sanzomon sich im Zimmer um, vielleicht bekäme sie dann eine Eingebung, jedoch merkte sie nur wie langweilig dieser Raum war. Ja, er war hell, es gab Dinge, die die Ausbildungs-Digimon gebaut und bemalt hatten, aber es wirkte alles absolut gleich. Sie hatten Türme gebaut, aber obwohl jeder davon von einem anderen Cupimon erbaut wurde, sahen sie gleich aus. Sie waren sogar alle gleich hoch. Auf den Bildern, die sie malten war auch überall das Gleiche Motiv zu sehen. Ein Baum mit roten Blättern und ein Vogel-Digimon in der Ecke und einem Pilz, links vom Baum. Alles absolut identisch und Sanzomon fragte sich selbst, ob dass so auch schon war, als sie noch ein Cupimon war. Dann dämmerte ihr die Erinnerung, dass sie ein paar Mal versucht hatte etwas anderes zu machen und sie Ärger bekam, weil sie nicht das tat, was die anderen taten. Nur wusste sie nicht mehr ob sie Ärger von den Sistermon bekam oder von ihren eigenen Spielkameraden. „Wir können doch beten“, schlug ein Cupimon vor, die anderen nickten ihm zustimmend zu. „Im Zweifel ist beten immer gut. Beten ist wichtig, damit wir unser Licht finden.“ „Ach Kinder, ihr betet schon zu viel am Tag“, seufzte Sanzomon. „Da könnt ihr die Zeit, die ihr mal nicht betet nicht auch noch damit verbringen. Außerdem kann man sein Inneres Licht auch ohne Beten finden.“ „Hä? Ohne Beten?“, fragte ein Cupimon in den hinteren Reihen. „Aber das geht doch gar nicht. Ohne Beten kann man kein Licht haben.“ „Unsinn, Kinder. Ein Licht hat jeder von uns, von Geburt an. Dass muss man nicht erst neu entdecken. Man muss es nur begreifen und es fördern. Licht ist das, was in uns steckt und werden kann.“ Mit offenen Mündern starrten die Cupimon in die Runden.Ihre Augen waren ganz groß, aber verstehen taten sie nichts von dem was Sanzomon ihnen versuchte zu erklären. Es wunderte Sanzomon anfangs, bis sie sicher immer mehr an ihren Unterricht erinnerte. Genauso wie die Kleinen es ihr vortrugen, so hatte sie es selbst ja von den Sistermon gelernt. Auch Sistermon Blanc schaute verwirrt, gar besorgt, aber Sanzomon ignorierte sie. Sie sah sicher wieder im Zimmer um. Hinter den Cupimon waren jedoch nur die Tische und Stühle, mit Papier und Stiften, Bauklötze, Bücher – aber nur einfache, von der Äbtissin ausgewählt – ein paar Pflanzen, an denen kleinen Blumen oder Bohnen gediehen. Am Fenstersims jedoch stachen Sanzomon fielen ihr ein Würfel, eine Kugel und ein Prisma ins Auge. Diese waren eigentlich für den Mathematik-Unterricht, aber sie waren aus Glas und Sanzomon bekam einen Geistesblitz. „Ich erkläre es euch ganz einfach“, sagte sie nun euphorisch, sprang auf unter den weiter irritieren Blicken der Cupimon. Einige begannen auch zu tuscheln, als Sanzomon gerade stolz das Prisma ergriff und hochhob. „Nehmen wir diese schlichte Form. Einfach. Nichts besonderes. Die Zahlen mögen zwar anders sein, aber die Formel dieser Form ist immer die gleiche. Doch hält man sie ins Licht -“ Daraufhin hielt Sanzomon das Prisma in den Lichtstrahl der Sonne, woraufhin Farbkleckse auf dem Boden vor den Cupimon erschienen. Sanzomon drehte das Prisma in ihren Händen noch ein wenig, bis sie den richtigen Winkel fand und schließlich war der Großteil des Raumes in Regenbogenfarben getaucht. Ein großer Regenbogen zog quer durch den Raum, die Cupimon versuchten einzelne Farbflecken zu fangen, doch Sanzomon drehte das Prisma immer ein wenig und nun jagten die Ausbildungs-Digimon den Farbpunkten jauchzend hinterher. „Seht ihr. Das ist Potenzial“, sagte Sanzomon nun und legte das Prisma wieder ab, aber stellte es so wieder ab, dass noch ein schwacher Regenbogen über den Cupimon an der Decke leuchtete. „Potenzial ist das, was in euch steckt. Potenzial ist die Kraft, die vielen Facetten in sich selbst zu erkennen und sie zu fördern. Euer Licht zu finden bedeutet, eure Fähigkeiten zu finden und welche Optionen sie bringen.“ „Heißt das wir werden... bunt?“, fragte ein Cupimon, nicht sicher ob es verstanden hatte, was Sanzomon versuchte ihnen beizubringen. Sie schüttelte lachend den Kopf. „Nein. Die Farben waren nur eine Metapher für euch. Die Farben sollen für euer Potenzial stehen. Ihr habt die Möglichkeit so viele Wege einzuschlagen. Ihr müsst nur das Licht in euch entdecken, wie jedes andere Digimon auch, auch wenn sie es nicht Licht nennen. Dann wird euch auch klar, wohin euch euer Weg bringen wird und zu welchen Digimon ihr später werden könnt.“ „Gilt das auch für... die Dämonen-Digimon?“, fragte ein anderes Cupimon vorsichtig und Sanzomon nickte ihm zu. „Natürlich gilt dies auch für sie. Die Dämonen-Digimon pflegen eine andere Kultur, aber auch sie sind Digimon wie ihr oder ich. Und jedes Digimon hat das Potenzial Teil einer großen Gemeinschaft zu werden, in der wir alle friedlich leben können. Ein Digimon wird nicht automatisch als gut oder böse geboren. Das ist Unfug.“ „Unfug?“, wiederholten die Cupimon verwirrt, aber auch interessiert an dem, was Sanzomon ihnen erklärte. Sistermon Blanc schien immer nervöser zu werden über das, was Sanzomon von sich gab, aber ihre Erziehung verbat ihr, ihrer Vorgesetzten einfach dazwischenzufunken und zu widersprechen. „Ja, Unfug. Es ist wichtig das wir lernen, auch von anderen Kulturen und Digimon-Gruppen, weil dann wachsne wir auch und unser Licht viel größer, selbst wenn man kein heiliges Digimon ist“, bestätigte Sanzomon weiter den staunenden Cupimon, dann blieb sie an Sistermon Blanc hängen, die eher aber danach aussah, als wollte sie sich am liebsten in Luft auflösen. „Nehmen wir hier zum Beispiel Sistermon Blanc. Wenn sie jetzt vielleicht irgendwann ein LadyDevimon werden würde, wäre sie ja auch nicht automatisch böse, richtig? Sie kennt uns, wir sind ein Teil ihrer Gesellschaft und sie kennt die regeln des Ordens. Ihr Aussehen und ihre Kräfte würden sich verändern, aber sie wäre immer noch das selbe Digimon wie zuvor.“ „W-Was?! Ich soll zu einem LadyDevimon werden?“, schrie Sistermon Blanc entsetzt auf, wie Sanzomon erst dachte, wie sie einfach erschrocken über diesen Vergleich war. Doch bei genaueren Betracht wurde Sanzomon klar, dass sie nicht nur erschrocken war, sondern regelrecht entsetzt. „Beim besten Willen, Meister Sanzomon. Wie könnt Ihr nur so etwas behaupten?! Ich bin eine ehrenwerte Dienerin des Ordens!“ „Ich habe nicht behauptet, dass du ein LadyDevimon wirst. Das war nur Rhetorik. Und das Potenzial zu einem LadyDevimon zu digitieren ist in deiner Spezies vorhanden. Das nur bösartige und abtrünnige Digimon zu dämonischen Digimon werden ist eine veraltete These.“ „Meister Sanzomon, bitte, Ihr widersprecht den Lehren des Ordens.“ „Aber so steht es auch in Büchern geschrieben.“ „Da müsst Ihr Euch verlesen haben! Ich würde niemals ein hinterhältiges, boshaftes, kaltherziges, grausames, brutales Dämonen-Digimon werden, niemals!“ „Was ist das für ein Tumult?!“, rief die Stimme von Sistermon Ciel von draußen. Sie selbst öffnete daraufhin auch gleich die Tür des Studierzimmers, aber bevor sie einen Schritt ins Innere tat, drängte sich Sistermon Blanc an ihr vorbei. „Das werde ich der Äbtissin persönlich melden!“ schrie sie vom Korridor aus zurück und nur noch ihre schnellen Schritte auf dem glatten Steinböden waren zu hören. Sistermon Ciel schaute ihr nach, wandte sich anschließend zu Sanzomon. Sie brachte kein Wort heraus, aber ihr Blick war fordernd auf das Mönch-Digimon gerichtet, hinter dem sich die Cupimon verkrochen, als hätten sie diese Unruhe zu verantworten. Sanzomon ließ sich jedoch vor ihnen nicht anmerken, dass sie selbst genauso fassungslos war und nahm ihr letztes bisschen Ruhe zusammen. „Ihr Lieben, geht spielen. Der Unterricht ist für heute beendet.“ * * * * Weiter in den unteren Ebenen, wo die Tempel weniger zerfallen und neuer waren lebten die Puttimon ihr sorgloses Dasein. Die Tempel, die mehr nur ein Übergang ins Innere des Berges waren, waren ihr Unterschlupf, wo sie die meiste Zeit in ihren Bettchen schliefen und von den Sistermon betreut wurden. Für gewöhnlich war der Berg vom Rot der Bäumen umgeben, doch hier in der Höhle wuchsen blasslila, fast samtblaue Glyzinen hinein und erstreckten sich über die gesamte Decke. Die Puttimon schliefen seelenruhig unter dieser Blütendecke und auch der Boden war nichts weiter als ein blauer Blütenteppich. Vereinzelt segelten Blütenblätter hinab und landete in einer der Wiegen. Eine landete im Gesicht eines Puttimon, das daraufhin zu niesen anfing und dadurch auch wach wurde. Durch das unsanfte Erwachen nicht ganz bei sich, aber weiterhin müde fing es bereits an zu Schluchzen. Dicke Tränen rannen aus seinen Augen, während es wimmerte und es würde nicht lange dauern, dann würde es auch anfangen zu weinen. Doch ehe es dass konnte trat ein Digimon an seine Wiege und holte das Digimon mitsamt seiner Decke aus dem Bettchen. Das Digimon sah einerseits zwar den Sistermon ähnlich, aber es war kein Sistermon. Dieses goldene Digimon, in weiß und rot gekleidet blickte herzlich zu dem Puttimon hinab und so herzlich und warm wie ihre Umarmung war auch ihre Stimme. „Pscht, pscht. Kein Grund zu weinen. Es ist doch alles gut, mein Kleines. Schlaf ruhig weiter“, redete Sanzomon sanft auf das Baby-Digimon ein, dass aber noch weiter winselte, aber nicht so aussah, als würde es jeden Moment zu weinen anfangen. Langsam begann Sanzomon schließlich ihre Arme, in denen das Puttimon lag zu bewegen und es damit hin und her zu schaukeln. Sie summte eine Melodie dabei was genau für eine Melodie konnte Sanzomon nicht sagen oder ob es ein ihr bekanntes Lied war. Vermutlich war es ein Gemisch aus verschiedenen Melodien von Liedern, die ihr die Sistermon gesungen hatten, als sie noch ein Puttimon war. Jedoch, die Melodie, Sanzomons sanftes Selbst, das Schaukeln und die Glyzinen, die wie Federn hinunter segelten waren so friedlich, so liebevoll und ruhig, dass das Puttimon auch irgendwann das Wimmern sein ließ. Es schloss die Augen, döste und schlief schließlich in Sanzomons Armen wieder ein. Sie hielt es aber noch weiter in ihren Armen. „Meister Sanzomon. Was macht ihr denn hier?“, rief ein Sistermon Noir mit gedrückter Stimme zu ihr, bedacht die anderen Baby-Digimon nicht zu wecken. Auf Zehenspitzen drängelte sie sich an den Wiegen vorbei und zu Sanzomon hinüber. „Oh, ich dachte ich schaue etwas nach den Puttimon. Ich sehe sie doch viel zu selten. Dabei sind sie so süß und so unschuldig“, sagte Sanzomon lächelnd und drückte das schlafende Puttimon enger an ihre Brust. Doch Sistermon Noir schien sich mit dieser Antwort nicht zufrieden zu geben. „Aber sich um die Puttimon zu kümmern ist die Aufgabe von uns Sistermon. Müsst Ihr nichts für den Unterricht vorbeireiten? Und das Abendgebet?“ „Das habe ich doch schon alles erledigt. Ich hatte Zeit. Außerdem habt ihr mit den Cupimon und den Rookies doch genug zu tun.“ „Aber jeder von uns hat feste Aufgaben, die er zu bewältigen hat. So sind die Regeln des Ordens.“ „Wir leben in einer Gemeinschaft, Sistermon Noir. Und in einer Gemeinschaft hilft man auch einander, fernab der Regeln“, erklärte Sanzomon weiter. „Aber wenn andere plötzlich die Aufgaben machen, die sie nicht tun sollen, dann bringt das die Ordnung doch aus den Fugen.“ „Wir helfen einander. Wir bringen kein Chaos“, erklärte Sanzomon weiter, doch Sistermon Noir schien nur noch unruhiger zu werden. „Aber... Die Regeln. Die Äbtissin -“ „Sie kann sich gerne bei mir persönlich beschweren.“ Sistermon Noir ließ nun gänzlich von ihr ab, nicht aber weil sie überzeugt war, sondern da sie einsah, dass sie Sanzomon nicht umstimmen konnte. Vorsichtig lief sie wieder an den Wiegen der schlafenden Puttimon vorbei und auch wenn sie die Türe so zaghaft wie möglich schloss, hörte Sanzomon ihre Frustration regelrecht. Doch sie kümmerte sich vorerst nicht darum, sondern war berührt davon, das schlafende Baby-Digimon zu sehen und legte es zurück in sein Bett. Zufrieden schaute sie durch den Raum. Alle schliefen. Sie seufzte erleichtert. Ehe sie noch einmal, nur zur Sicherheit, durch die Reihen ging schaute sie zur Decke hoch. Zwischen den Glyzinen jedoch sah sie etwas rötliches Aufflackern und für einen Moment glaubte sie, etwas hätte Feuer gefangen. Es stellte sich jedoch schnell als ein rotes Blatt heraus, dass nun mit all den blauen Blüten langsam zu Sanzomon hinunterfiel. * * * *   Wieder stand Sanzomon hier, vor Babamon und Sistermon Ciel. Wieder hatte sich ein Digimon über sie beschwert. Das wievielte Mal war es diesen Monat schon? Das fünfte Mal? Sechste? Es könnte auch schon mehr gewesen sein. Wer hatte sich beschwert? Eines der Sistermon? Ihre Differenzen mit den Sistermon und Babamon häuften sich im Laufe der letzten Monate, dabei bemühte Sanzomon sich bereits weniger aufzufallen, so sehr es sie jedoch widerstrebte und so sehr sie es haste gedankenlos und kritikfrei das nachzuplappern, was man ihr vordiktierte. Sie hasste es. In jeder ihrer Unterrichtsstunden standen zwei Sistermon dabei und beobachteten sie, manchmal sogar Sistermon Ciel persönlich. Hätte sie sich nicht durchgerungen, den Jüngeren Mathematik beizubringen, wie man Sterne las oder was in der Natur giftig und ungiftig war, wäre sie vermutlich schon durchgedreht. Babamon saß erzürnt in einem hohen Stuhl. Sistermon Ciel stand neben ihr und funkelte Sanzomon so wütend an, dass sie fürchtete sie würde jeden Moment ihr Katana ziehen und sie vielleicht angreifen. „Was habt Ihr diesmal für eine Ausrede?“, fragte Sistermon Ciel, nach langen Minuten des Schweigens. „Ich weiß nicht einmal, wieso ich schon wieder hier bin.“ „Ihr wisst wieso, Sanzomon.“ „Nein, tue ich nicht“, behaarte sie weiter, was Sistermon Ciel nur noch ungehaltener machte. „Also erinnert Ihr Euch nicht mehr an gestern? Wegen den beiden Salamon?“, berichtete sie und langsam dämmerte es Sanzomon auch und sie hatte damit auch einen Verdacht wer sie verpfiffen hatte. Am Tag zuvor digitierten zwei Salamon, eines wurde zu D'arcmon, dass andere zu Angemon. Während D'arcmon nun von Sistermon Ciel im Kampf trainiert wurde, wurde Angemon in die westlichen Protokollwälder versetzt. Die anderen Rookie und auch die Cupimon fragten Sanzomon warum das so war. Sie stellten allgemein viel mehr Fragen und das schien der Äbtissin und den Sistermon zu missfallen. Und sonst erklärte ihnen niemand gewisse Umstände und Regelungen. „Die jüngeren Digimon wollten wissen, warum Angemon fort musste und D'arcmon nicht. Also habe ich versucht es ihnen zu erklären“, verteidigte Sanzomon sich mühselig. Sie waren diese Verhöre immer mehr Leid. Sistermon Ciel rümpfte abfällig die Nase. „Das merkte man. Die Cupimon fragen die Sistermon rund um die Uhr deswegen. Sie benutzen Wörter wie maskulin und feminin, sie reden davon dass solche Digimon sich sehr gern haben können, zu gerne sogar und man sie deswegen trennt. Die Sistermon sind überfordert und können ihre Arbeit nicht in Ruhe erledigen, weil Ihr Euch mal wieder nicht an die Regeln hielt.“ „Ich hätte ihn auch gerne den wahren Grund erklären können. Wäre Euch das lieber gewesen?“, fauchte Sanzomon. Sie erschrak über ihre Bissigkeit, amüsierte sich aber darüber, die rot Sistermon Ciel bei dem Gedanken wurde. „I-I-Ihr hättet einfach gar nichts sagen sollen!“ „Die Kleinen sind doch nicht dumm. Sie sehen doch, dass es einen Unterschied zwischen einem Angemon und einem D'arcmon gibt. Sie haben ein Recht darauf, dass man es ihnen erklärt.“ „Sie sollten nicht einmal auf die Idee kommen, dass es Unterschiede gibt. Wir sind alle gleich, wir sind alle gleichwertig. Wir mögen andere Arten sein, doch wir sind gleich und wir sorgen dafür, das alle gleich sind.“ „Ja, so gleich, dass einer gehen und der anderen bleiben darf! Merkt Ihr nicht, dass Ihr Euch widersprecht?! Die ganzen dummen Regeln sind ein einziger Widerspruch!“, keifte Sanzomon zurück. Ihr Magen brodelte. Wütend ging Sistermon Ciel einen Schritt auf sie zu, doch Babamon hielt sie davon ab, indem sie ihr ihren Besenstiel in den Bauch rammte. „Hier wird nicht gekämpft, damit das klar ist“, krächzte sie verärgert. „Äbtissin, dieses Digimon beleidigt Euch und den Orden, der ihr überhaupt diese Möglichkeit gegeben hat, dass zu werden was sie nun ist!“, schrie Sistermon Ciel Sanzomon an. „Ich wurde nicht gefragt, ob ich diese Position will! Ihr wolltet das. Und bei allem Respekt, ich werde meine eigenen Prinzipien nicht verraten! Ihr habt mir all die Schriften zur Verfügung gestellt und ich nutze ihren Inhalt weiter um den jüngeren Digimon etwas beizubringen! Nicht durch diese lächerlichen Kopien, sondern mit den Originalen!“ „Hast du deswegen die verbotenen Bücher genommen?“, fragte Babamon merkwürdig gelassen. Sanzomon vermutete, sie unterdrückten ihren Ärger einfach nur. „Habe ich dich nicht davor gewarnt? Nicht anfassen, diese Regel sollte auch ein Unruhestifter verstehen, oder nicht?“ „Wir sind im Krieg mit den dämonischen Digimon. Wenn wir etwas erreichen wollen, dann muss man seinen Feind auch verstehen“, zischte Sanzomon durch die zusammengepressten Zähne. „Sie sind kaum anders als wir. Ihre Schriften ähneln der unseren. Wenn wir zukünftigen Generationen das nicht klar machen – wenn wir ihnen nicht erklären, dass wir letztlich alle verbunden sind, sterben nur noch mehr Digimon in diesem sinnlosen Kampf! Warum also macht ihr diese Bücher nicht zugänglich? Stattdessen entfernt ihr ganze Kapitel und schreibt die Texte um!“ „Es gilt zum Wohle aller und um Chaos zu vermeiden“, schrie Sistermon Ciel dazwischen. „Es ist Zensur!“ „Ruhe jetzt!“ Sanzomon und Sistermon Ciel fuhren zusammen. Kaum eine von beiden wagte es die Äbtissin anzuschauen, die allmählich ihren Zorn auch nicht mehr verbergen konnte. Ihr Besen zitterte in ihren krampfenden Händen und ihre Lippen waren schmal. Auch wenn man ihre Augen wegen des Ponys nicht sah, war Sanzomon sich sicher, dass Babamon einzig sie anstarrte. Und auch wie. „Sistermon Ciel, du übernimmst den Unterricht für heute. Eventuell auch für Morgen. Ich muss mit Sanzomon einige Dinge klären. Stört uns nicht, verstanden?“ Sistermon Ciel nickte nur. Sie ging, wenn auch nur widerwillig und warf Sanzomon einen letzten, giftigen Blick zu, als sie an ihr vorbeilief. Ihre Schritte hörte man noch sehr lange. Sie war wirklich wütend. Babamon und Sanzomon hingegen schwiegen sich erst an und jeder wartete darauf, dass der andere etwas sagte, während das Licht der Abendsonne durch die Fenster schien und das Tifaret in den Fenstern anleuchtete. Das sonst so zartrosa Licht wirkte knallrot und verlieh dem allem etwas bedrohliches. „Eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass du so eigenwillig und stur bist. Einerseits ist deine Überzeugung in deine Prinzipien beeindruckend“, sagte Babamon erst in ihrer gewohnten, etwas gemächlichen Stimme, dann jedoch schwang sie um, „Jedoch wäre es angemessener wenn du diese Eigenschaften zum Wohl anderer und im Sinne des Orden nutzen würdest.“ „Ich soll Wissen vermitteln und das tue ich. Keine Meinungen und keine Ideologie und nichts anderes sind die Lehren des Ordens. Ich verstehe nicht, wie Ihr so etwas diesen Digimon beibringen könnt und dann noch andere zensiert!“ „Ich und andere Äbtissinnen vor mir haben uns schlicht auf das Wichtigste beschränkt. So viele Schriften wie es gibt, ist es unmöglich, dass ein Digimon, gerade in jungen Jahren und niedrigen Level das begreift. Wir lehren also, was für unsere Gemeinschaft an wichtigsten ist.“ „Und warum soll ausgerechnet dass das Richtige sein?“, fragte Sanzomon weiter und nun hob sich auch ihre Stimme. „Wir haben immer noch Krieg mit den dämonischen Digimon, die aus der Dunklen Zone hierher kommen und nichts, was wir bisher den Digimon beigebracht haben hat irgendetwas dazu beigetragen, dass dieser Krieg ein Ende findet!“ „Mein Kind -“ Babamon lehnte sich nach vorne, viel zu ruhig, viel entspannt und da wurde Sanzomon schon mulmig. Die Worte, die aus dem Mund der Äbtissin kamen wollte sie erst nicht wahrhaben. Sie zweifelte an ihrem Gehör, gar an ihrem Verstand. Das hatte sie nicht gehört. Das konnte nicht sein. „- war je die Rede davon, dass wir diesen Kampf beenden wollen?“ Stille. Ein schweres Pochen in ihrer Brust, ein Stromschlag durch ihren gesamten Körper. Wie lange diese Stille hielt, war Sanzomon selbst nicht ganz klar. Aber es dauerte lange, bis sie ihren Mund wieder öffnen konnte. „N... nicht...?“, presste Sanzomon aus sich heraus, vergaß sie regelrecht zu atmen. Für einen Moment war ihr sogar schlecht. Die Stille kam ihr wie eine Unendlichkeit vor und jeder Satz, der Sanzomon einfiel und sie aussprechen, sogar herausschreien wollte erstickte im Schock. „Dieses Wisemon hat dir ziemlich den Kopf gewaschen. Gewinnen oder verlieren, tse. Das ist so eine typische dämonische Polemik. Entweder oder. Es geht um Balance, mein Kind. Alles muss im Gleichgewicht sein und darin ist schon das Wort. Die Antwort. Gleich. Ja, wir werden nicht gleich geboren. Also müssen wir alle gleich werden. Hast du das in der Zeit immer noch nicht gelernt?“ Sanzomon blieb weiter wie erstarrt. Erinnerungen zogen an ihr vorbei. Die Bilder, die alle gleich aussahen. Die Türmchen, mit immer der selben Anzahl an Klötzen, immer in gleicher Höhe und Form. Sie hatten keine Freunde, man mochte ja immer alle. Es gab keine Gewinner oder Verlierer beim Spielen, sie waren ja alle gleich gut. Auf die Frage,was sie mochten kam immer die gleiche Antwort. Auf die Frage, ob ihnen dies oder jenes gefiel kam immer die gleiche Antwort. Es gab nichts anderes. Kein dazwischen, ein darüber hinaus. Kein Hauch von Individualität. „Es... es geht gar nicht darum diesen Krieg zu gewinnen?“, sagte Sanzomon schließlich, doch ihre Stimme klang heiser und als ob sie es immer noch nicht glauben konnte, was sie da hörte. „Gewinnen bedeutet, dass eine Macht die Oberhand gewinnt. Das dürfen wir nicht zulassen. Weder die dunkeln Digimon, noch die unser.“ „Wofür dann diese Tode? Wofür kämpfen wir dann? Wofür ist meine Freundin gestorben? Wofür sind alle anderen gestorben? Warum lernen wir ständig, wie wichtig unserer Gemeinschaft und unsere Reinheit ist, wenn es doch kein Ziel hat?!“ „Es gibt auch mehr Ziele wie nur gewinnen oder verlieren. Es ist nur vielleicht nicht gleich ersichtlich. Oder begreifbar. Schau her.“ Babamon schlug mit ihrem Besen auf den Boden. Der Raum zu Sanzomons rechten wurde stockdunkel. Genau über ihr war die Schnittstelle von Licht und dieser plötzlich Finsternis. Doch so klar war dieser Übergang nicht, er war fließend und sowohl das Licht, als auch der Schatten versuchten über die Mitte des Raumes hinwegzukommen, um den anderen zu verschlingen. „Licht und Dunkelheit sind wie sehr ungleiche Geschwister. Sie können weder mit, noch ohne einander. Während es bei den meisten Elementarenkräften, wie Wasser, Feuer oder Blitz so ist, dass sie in einer Art Dreifaltigkeit existieren, die stets in eine Richtung geht, sind Licht und Dunkelheit in ständiger Wechselwirkung. Und treffen diese Mächte aufeinander erzeugen sie eine enorme Menge an Energie. Dieser Energie ist die Quintessenz der Digiwelt.“ Zeitgleich zu Babamons bewegender Rede, gerieten der Schatten und die Lichtstrahlen aneinander und Sanzomon fühlte regelrecht das Karma, das dabei freigesetzt wurde, obwohl es nicht mehr wie eine Illusion war. Es gab ein Aufleuchten. Dann waren sie verschwunden und der Raum schimmerte wieder im abendlichen Rot. „Ohne dies wäre das Leben in der Digiwelt nicht möglich. Das hat auch schon Sanzomon erkannt. Sie war ein heiliges Digimon und nahm doch die Dunkelheit auf ihre Schultern, die in der Luft, in der Erde, im Wasser und in den Herzen der Digimon verankert war, trotz unvorstellbarer Qualen. Doch ihr Opfer setzte die Energie frei, um diesen Kontinent zu retten. Wir gedenken ihrer Taten und ihrem Leid, dass sie aufnahm und all jedes Digimon, dass hier aufgezogen wird, tritt in ihrer Fußstapfen.“ „Das heißt... wir sind nichts als Opfergaben?“ Ihre Sicht verschwamm. Das Entsetzen hatte sie erstarren lassen. Gegen die Tränen konnte Sanzomon sich nicht wehren. „Ihr seid Teil eines wichtigen Kreislaufes“, schimpfte Babamon, als hätte das Wort Opfergabe sie persönlich beleidigt. „Und auch die Dämonen-Digimon wissen das. Auch die Kämpfen nicht um den Sieg, sondern ums überleben. Je heller unser Licht, so größer wird ihr Schatten. Sie können jedoch nur zerstören. Sie brauchen uns. Und wir brauchen sie, um einen ehrenvollen Tod zu sterben und unser Karma zu steigern. Von diesem Wechselspiel aus Leben und Tod profitieren wir alle. Wir, sie. Die Digiwelt. Doch das funktioniert nur, wenn wir unser Licht in Ordnung halten. Chaos – Dinge, die uns vielleicht zweifeln lassen können wer und was wir sind erschüttert die Balance.“ Die Kraft in den Beinen verließ sie. Sanzomon ging in die Knie, starrte nur den Boden an und kämpfte mit allem darum, die Übelkeit in ihrem Bauch zu tilgen oder sich zu beruhigen. Aber sie konnte nicht. „Begreifst du jetzt, warum ich dir gesagt habe, du sollst die Finger von diesen Büchern lassen? Wir bewahren sie auf, damit niemand anders sie in die Finger bekommt. Würde dieser blasphemische Schwachsinn seine Runden drehen, würde das nur Verwirrung bringen. Und die Digimon würden zweifeln. Sie würden sich und alles hinterfragen. Das könnte ihr Licht auslöschen. Das könnte sie selbst zu dämonischen Digimon machen. Das können und dürfen wir nicht riskieren.“ Stumm schüttelte Sanzomon nur den Kopf. Ihr Mund schmeckte säuerlich und Wasser sammelte sich. Ihr war wirklich als müsste sie sich fast übergeben. Salamon erschien wieder in ihren Erinnerungen, wie fröhlich sie war ein D'arcmon zu werden und in den Krieg zu ziehen, für das Wohl aller. Hatte sie davon gewusst? Hatte irgendeiner von ihnen das gewusst? Ihr war klar, dass die Puttimon ihre wiedergeborenen Kameraden waren, die im Krieg gefallen waren. Aber war ihnen klar, in welchen Teufelskreis sie gefangen waren? „Gibt es... gibt es denn keinen anderen Weg...?“, fragte Sanzomon, aber ihre Stimme war so hoch und gedrückt, dass sie sich selbst kaum hörte. „Sag du es mir. Gibt es einen anderen Weg als diesen, der so viel Energie frei setzt und dabei die natürlich Balance hält? Vorhin warst du noch so selbstbewusst. Aber spar dir die Luft. Es gibt keinen.“ „Es muss aber einen geben!“ Ihr Schrei ließ Sanzomon selbst zusammenfahren. Er hallte sogar noch darüber hinaus in den Räumen der Äbtissin. Die Übelkeit war fort, aber es brodelte immer noch in Sanzomon. „Es muss einfach! Es kann nicht sein, dass das der einzige Weg ist“, sagte sie weiter. „Was willst du denn machen? Vor allem - du, ein Pazifist, noch nie gekämpft, ohne Ahnung wie es da draußen zugeht?“ „Es muss aber eine Lösung geben! Was ist denn mit den Dämonen-Digimon? Ihre Schriften sind unseren so ähnlich! Sie sind uns ähnlich! Im Kern sind wir gleich! Es muss noch eine vernünftige Lösung geben. Dieser sinnlose Kampf kann doch nicht die einzige Antwort sein.“ „Denkst du, das hat keiner versucht?!“ Wieder schlug Babamon mit ihrem Besen auf dem Boden. Etwas neben Sanzomon, dort wo sich der Schatten tummelte ragte etwas heraus. Es war eine Illusionen, nichts anderes, es war ihr klar, aber doch weckte dieses Bild Angst in ihr. Eine Kreatur, die aus dem Schatten auftauchte wie aus dunklem Wasser erstreckte sich vor ihr. Ihr Gesicht war humanoid, doch der Rest war geradezu monströs. Es war riesig. Die Schwingen so groß wie das ganze Digimon. Seine Zähne und Krallen waren lang, seine Augen leer und seelenlos, aber doch auf Hüfthöhe, wo der rot gepanzerte Körper plötzlich schwarzes Fell bekam starrten sie sechs Augen an. Sein Brüllen klang wie nicht von dieser Welt und Sanzomon konnte kaum glauben, dass dies ein Digimon sein sollte. Als diese Illusionen verschwand, stürzte Sanzomon wieder zu Boden, obwohl sie es erst geschafft hatte wieder aufzustehen. Ihr Gesicht war blass. „Willst du mir immer noch weismachen, dass Digimon wie dieses zu irgendeinem Hauch von Vernunft fähig wären? Das sie sich auf einen Kompromiss einigen könnten? Das sie Balance haben wollen?“, fragte Babamon, fordern und angewidert zugleich. „Sie sind triebhafte Geschöpfe, die nur zerstören wollen. Hätten sie uns nicht, die Kontrolle üben, würden sie aussterben. Sie sind der Trieb, wir sind die Vernunft. Sie sterben, wir sterben. Licht und Dunkelheit haben sich und werden sich immer bekämpfen. Und wir können nicht einen Funken Chaos in unseren Reihen dulden.“ „Nein“, presste Sanzomon über ihre zittrigen Lippen. Dann breitete sich dieses Zittern in ihrem ganzen Körper aus. „Es gibt eine Lösung... Ganz sicher. Es... es hat vielleicht einfach noch keiner versucht.“ „Tse. Wie arrogant bist du, dass du denkst, dass es keiner versucht hätte?“, schimpfte Babamon weiter und schlug anschließend wieder mit dem Besen auf den Boden. Was folgte war ein Glockenschlag. Ein einzelnes Läuten, doch langgezogen, tief und unerträglich laut, dass glaubte ihr Trommelfell würde jeden Moment reißen. Sie hörte nicht einmal mehr ihre eigenen Gedanken, nur das Echo der Glocke, mit einem entsetzlichen Druck im Kopf, als würde dieser jeden Moment explodieren. „Wir haben alles versucht und es ist immer gescheitert. Nichts erzeugt so viel Energie wie der Kampf zwischen Licht und Dunkelheit. Willst du, dass die Digiwelt unter geht? Willst du dass die Digimon nicht mehr wieder geboren werden? Wir sind all unsere Schriften durch und fanden keine Antwort.“ „Eure Schriften, so wie die zensierten? Die wo nur davon schreiben, dass sich alle um Reinheit zu drehen hat? Das wir keine Freunde haben dürfen? Das wir keinen Hauch von Individualität haben dürfen und keine Träume? Wie soll so eine kleinkarierte Gesellschaft, die nur in ihrer eigenen Welt lebt eine Lösung für alle finden?“ Wieder schlug der Besen auf, als dieser sich aber erhob, wurde Sanzomon mit hochgezogen. Sie selbst konnte sich nicht rühren und irgendwann schwebte sie wenige Zentimeter über den Boden, nicht in der Lage einen Muskel zu rühren. Es war, als packte sie jemand am Hals und zog sie hoch. „Ich hätte dieses Wisemon früher aus den Weg räumen sollen“, knurrte Babamon verärgert. Sanzomon wurde von der Kraft, die sie in der Luft hielt befreit, doch sie fiel und rang nach Luft. „Er hat deinen Geist vom rechten Pfad gebracht. Genau darum akzeptieren wir keine Aussätzigen. Sie bringen Unruhe in unsere Ordnung, sähen Zweifel. Und Zweifel sind der Nährboden aller Übel. Zweifel bringen Chaos und so die Dunkelheit wieder zurück.“ „Sorcerymon hat kein Chaos gebracht“, schrie Sanzomon dazwischen. „Er hat mir gezeigt wie wichtig der Blick über seine eigenen Grenzen ist. Aber allein wie ihr die Bücher behandelt zeigt, dass ihr nichts ändern wollt! Ihr macht es euch so einfach. Ihr wollt nichts ändern, weil es einfacher ist. Was mit anderen Digimon ist interessiert den Orden nicht und niemand ist interessiert sich weiterzuentwickeln! Die Welt da draußen ist so riesig und man kann so viel und von Büchern lernen! Ich will nicht begreifen, wieso ihr euch alle verschließt!“ Sie weinte fast wieder, aber Sanzomon unterdrückte die heißen Tränen oder ihre Stimme weiter anzuheben. Ein Kloß saß in ihrem Hals, aber sie stand wieder, auch wenn ihre Haltung nicht respekteinflößend genug war um Babamon allein dadurch zum nachdenken anzuregen. Vielmehr schien sie noch wütender darüber, dass Sanzomon es wagte ihre Meinung durchzusetzen. Die Sonne sank tiefer. Der Saal war nun so tief rot, als stünde er in Flammen. „Neugierde... Ein furchtbares Laster“, zischte Babamon nach einer Weile. „Eine so noble Eigenschaft, die außer Kontrolle gerät und durch Mangel an Einsicht ins Verderben führt. Und du bist ohne jede Einsicht, ohne jeden Halt, ohne jede Kontrolle. Doch wenn du dazu weiter verstehen willst, sehe ich nur ein Mittel...“     * * * * Der eigentlich vom Nachtschleier umhüllte Mount Boote schimmerte bedrohlich Rot. Das Feuer an der Lichtung am Fuß des Berges war hoch, vielleicht sogar höher wie die meisten Bäume, deren eigenes, sattes Rot neben dem des Feuer erblasste. Schwarze Fetzen stiegen durch die warme Luft nach oben, segelten nach einer gewissen Höhe aber hinab, doch lösten sich in Daten auf, ehe sie die Chance erhielten auch nur ein Grashalm zu berühren. Weitere Bücher wurden ins Feuer geworfen. Das Holz, mit dem dieser Scheiterhaufen entzündet wurde war schon längst verbraucht, nur die Bücher hielten das Feuer am leben. Wieder flog eins hinein. Dann noch eines. Wieder eines. Sie Seiten glühten, zerfiel und tanzten wie schwarze Schmetterlinge ums Feuer. Ungläubig stand Sanzomon daneben. Sie konnte es nicht einfach nicht glauben. Alle Bücher aus dem geheimen, unteren Ebenen wurden verbrannt. Nüchtern betrachtet war es absolut sinnlos und nicht tragisch. Die Bücher würden sich nach einer gewissen Zeit wieder von selbst herstellen. Daten waren Daten und die einen würden länger, die anderen weniger brauchen für diesen Prozess. Was Sanzomon jedoch mehr schockierte war die Symbolik hinter dieser Tat. Es ging nicht um die Zerstörung, sondern um klar zu machen, wie unerwünscht sie waren. Diese Bücher, etwas, was über die eigenen Dogmen hinausgeht und Sanzomons Drang wissen zu wollen, was über diesen Grenzen liegt waren unerwünscht und keiner war bereit es zu versuchen. Die Sistermon Blanc und die Sistermon Noir standen in einer Reihe, stumm, ohne ein Zucken in ihren Gesichtern und Sanzomon musste sich fragen, ob ihnen klar war warum sie es taten oder sie nur Befehle ausführten. Sistermon Ciel schritt an ihnen vorbei und trat vor Sanzomon. „Die Äbtissin beauftragte mich damit, Euch mitzuteilen, dass wir alle kritischen Werke verbrannt haben. Es wird Wochen oder Monate dauern, bis sie wieder hier hergestellt sind. Sollte jedoch der Verdacht erneut bestehen, dass diese Werke eine Bedrohung für den Orden und seine Mitglieder darstellt, so sollen sie wieder verbrannt werden, bis zu dem Tag, an dem sie nicht mehr wiederkehren. Zum Schutze der Ordnung.“ „Der Ordnung!“, salutierten die Sistermon. Nur Sanzomon stand wie weggetreten da und starrte ins Feuer. Dass Schriften verbrannt wurden, die eigentlich so wichtig erschienen konnte sie kaum mitansehen, doch ihr Blick war wie gefesselt von den Flammen und den schwarzen Resten der Seiten. Von den Büchern, die Einzigen auf diesem Stück Land die mehr erzählten, wie der Orden preisgab verbrannten vor ihr und wurden zu Asche. Das war die Antwort der Äbtissin. Sanzomon hatte nicht einmal wirklich dagegen reagieren können. Die Sistermon stürmten herein und nahmen alles mit und ehe sie sich versah glühte die ganze Nacht in rot. Worte hatten nichts gebracht. Ihre Versuche etwas zu unternehmen wurden unterbunden. Einige Sistermon hatten sie angegriffen, jedoch nicht schwer. Erwartungsvoll stand Sistermon Ciel weiter vor Sanzomon. Der Mund des Mönch-Digimon öffnete sich zwar, aber ihre eigenen Worte hallten nicht im ihrem Kopf wieder. „Ich gehe!“ Die die ganze Zeit komplett resignierte Sistermon Ciel stutzte plötzlich. Ihre blauen Augen blinzelten schnell hintereinander. Auch die anderen Sistermon schauten auf, verwundert und verwirrt. „Wie bitte?“ „Ich sagte, ich gehe“, zischte Sanzomon erneut, nur diesmal hörte sie ihre Worte und ihr Verstand begriff ihre Bedeutung, wurde sogar erst stutzig, aber nun, da sie es ausgesprochen hatte, war sie noch überzeugter und sicher, dass es richtig war. Sanzomon setzte sich endlich wieder in Bewegung und es fühlte sich erst so steif und ungewohnt an wieder zu laufen. Erst drehte sie sich nur um und statt dem Feuer erstreckte sich der Wald vor ihr und die Wege zwischen den Bäumen wirkten schon so einladend, so motivierend. „I-Ihr könnt nicht gehen!“, schrie Sistermon Ciel ihr nach, nachdem Sanzomon die ersten Schritte zurücklegte. „Ihr seid Teil dieses Ordens. Eure Aufgabe ist es Digimon an Eurer Weisheit teilhaben zu lassen und den Weg zur Erleuchtung zu finden!“ „Für Weisheit braucht man Wissen. Und hier finde ich keines.“ Sanzomon lief weiter. Ihre Schritte wurden flüssiger und schneller. „Wie bitte?! I-Ihr wagt es -“ „Lass sie gehen, Sistermon Ciel.“ Zuerst hörte man Babamons Stimme nur, sah sie aber nirgendwo doch dann trat sie aus dem Schatten des Waldes. Ohne ihre Worte hätte man denken können, sie wollte Sanzomon den Weg versperren, dem war aber nicht so. „Aber Äbtissin...“ „Sie will gehen? Dann soll sie gehen. Unruhe und Chaos brauchen wir hier nicht. Sie wird eines Tages begreifen, was sie davon hat.“ „Äbtissin, ich bitte Euch, das -“ Doch Sistermon Ciel verstummte, als Sanzomon weiter ging. Die Sistermon tuschelten, doch ihre Worte wurden vom dem Knistern des Feuers überdeckt. Ihr Schatten ragte über Babamon hinweg und dann standen sich die beiden Digimon gegenüber. Babamon war zwar alt und kleiner, dennoch strömte sie anders wie Sanzomon die stärkere Autorität aus. Doch selbst Sanzomon wirkte merkwürdig überzeugt und insbesondere stur. „Na los. Hau ab. Lass dich hier nicht mehr blicken, wenn du glaubst, die Digiwelt dort draußen gebe dir mehr Antworten wie das hier.“ „Wollt Ihr etwa, dass ich gehe?“, fragte Sanzomon sie und Babamon verstummte verdächtig. Sie hatte verstanden, was das Mönch-Digimon ihr sagen wollte und sie nicht die Entscheidung an sich hinterfragte, sondern die eigentliche Motivation der Äbtissin. „Mach was du willst. Wir haben unsere Regeln und Prinzipen, denen wir folgen. Du hingegen scheinst erst Dinge begreifen zu müssen.“ „Vielleicht muss ich das wirklich...“ Mit diesen letzten Worten lief Sanzomon auch an Babamon vorbei und ließ sie hinter sich. Sie hörte, wie Sistermon Babamon fragten, ob sie das wirklich für richtig hielt, ob sie nichts dagegen tun oder Sanzomon aufhalten wollte. Doch sie schwieg, während Sanzomon von der Dunkelheit des Waldes verschluckt wurde. Dank ihrer helle Kleider konnten ihr die Sistermon lange hinterher sehen und Sanzomon spürte ihre Blicke im Rücken, doch je weiter sie ging, um so schwerer war es ihr zu folgen. Dann irgendwann verlor der Wald seinen Rotstich und zeitgleich war Sanzomon nicht mehr für die aufgewühlten Sistermon zu sehen. Adrenalin, oder eine digitale Form davon strömte durch ihren Körper und ließ sie ignorieren, dass sie über Stöcke und spitze Steine lief. Sie lief weiter. Sie wurde schneller. Äste blieben an ihr hängen, die ignorierte Sanzomon aber. Die Bäume änderten sich. Auch wenn es durch die Dunkelheit schwer zu erkennen war, wurde das Holz der Bäume immer dunkler, die Blätter verloren ihre Farbe. Sie ließ den Protokollwald hinter sich. Aber sie lief weiter. Und wurde schneller und irgendwann rannte sie schließlich. Die spitzen Steine ließ sie unbeachtet, dass Äste ihr fast ins Gesicht schlug und sich in ihrer Robe und ihren Haaren verfingen war ihr gleich, dass sie einige Male fast hinfiel war ihr egal. Sie rannte aus dem Wald und dann war ihr Weg abrupt zu Ende. Sanzomon trat aus den Bäumen und direkt vor ihr tat sich ein Vorsprung auf. Er war nicht besonders tief, mehr wie einen Meter wäre sie nicht nach unten gefallen, sie hätte sich vermutlich auch nicht verletzt, dennoch erschrak sie und durch den Schreck verlor Sanzomon zuerst den Halt. Nun saß sie auf den Boden und bekam Zeit sich zu sammeln und zu realisieren, wo sie war. Sie sah über Wälder hinweg, ihre Kronen nicht in Rot sondern in grün. Es war noch Nacht, doch am Horizont färbte sich der Himmel bereits in Pastell und ein silberner, funkelnder Steifen deuteten das Meer wie auch den Sonnenaufgang an. Hatte die Nacht nicht erst begonnen? Wie weit und wie lange war sie gelaufen? Sanzomon sah über ihre Schultern zurück. Sie sah die Spitze des Mount Boot, doch die Tempel und Ruinen waren kaum mehr von Felsen zu unterscheiden. Der Berg schimmerte nicht mehr rot, doch eine dicke, schwarze Wolke stieg neben ihm in den Himmel. Ihr zu Hause wirkte so weit weg und bei dem Gedanken an zu Hause wurde Sanzomon klar, was sie eigentlich getan hatte. Sie war gegangen. Sie war wirklich gegangen. In der Absicht nicht mehr wiederzukehren. Um selbst Dinge zu lernen, zu begreifen und Antworten zu finden. Vielleicht sogar Lösungen. Wieder zum Horizont schauend tat sich vor ihr die Digiwelt auf und die ersten Sonnenstrahlen hießen sie Willkommen, doch der sichere Hafen war verschlossen und wirkte so fern. Sie war gegangen. Sie konnte hinaus in die Welt und selbst sehen wie sie war, aber der Weg zurück war versperrt. Was würden die Sistermon den Ausbildungs-Digimon und den Rookies sagen, wenn diese fragen sollten wo Sanzomon war? Sie sollte und wollte sich freuen, doch bei der Erkenntnis, dass Sanzomon ihre Heimat den Rücken kehrte, sowie Digimon, die sie aufgezogen und beschützt hatten und wie gerne sie das auch für die Jüngeren Digimon getan hätte, stiegen ihr doch die Tränen in die Augen. Sie konnte gehen wohin und tun was sie wollte. Aber Sanzomon konnte ihre Freiheit nicht genießen.   * * * *   Sanzomons Augen öffneten sich rasch bei ihrem Erwachen, doch ihr Verstand taumelte noch hinterher und registrierte nicht, wo sie sich befand. Sie richtete sich auf, aber noch im Halbschlaf fiel ihr das schwer. Ein paar mal kniff sie ihre Augen zusammen, dann nahm ihr Verstand wieder ihre Umgebung war. Sie saß in der Bibliothek und es war mitten in der Nacht. Für ihre Arbeit hatten man ihr Tisch, Stuhl und Schreibutensilien zur Verfügung gestellt. Ein Turm aus Büchern erstreckte sich vor ihr in die Höhe, einige lagen vor ihr aufgeschlagen. Sie hatte gehofft in diesen eine Möglichkeit zu finden Myotismon mit dem Amulett zu helfen, aber dann hatte sie sich so sehr in die Schriften vertieft, dass sie die Zeit vergaß. Bei diesen schaurigen Dingen war es kein Wunder, dass sie schlecht schlief. Die Bücher unterschieden sich kaum von denen, die die Äbtissin aufbewahrte. Auch sie waren voll mit Zaubersprüchen in verschiedenen Sprachen, Weissagungen und Prophezeiungen. Sie las von einer gefürchteten Gottheit, die an einen Ort verband wurde, wo es nichts außer schwarzes Wasser gab. Von sieben sehr mächtigen Dämonen, die irgendwann das Ende Welt bringen würden. Von einem Wesen mitten in der dunklen Zone, geboren aus Verzweiflung und sich nichts sehnlicher wünscht, wie sich selbst mitsamt der gesamten Galaxie in de Luft zu lagen, bis es nur noch Asche gab. Von einem abtrünnigen Digimon, das von mächtigen Kriegern verbannt wurde. Und von einem riesigen Digimon-König, der alles zu Chaos verschmelzen und verschlingen würde. Einerseits war Sanzomon fasziniert davon, einerseits entsetzt und angewidert. Die Tatsache, dass die Dämonen-Digimon genauso borniert wie die heiligen Digimon waren beruhigte und belustigte sie zugleich. Die Bücher der Äbtissin sprachen davon, wie herzlos und gewalttätig die Dämonen seien, diese wie ignorant, kaltherzig und neidisch die heiligen Digimon waren. Sie schüttelte den Kopf darüber. Das Amulett mit dem Wappen lag noch unberührt vor ihr. Sie hatte nichts erreicht. Auf mehreren Papieren hatte Sanzomon sich Zauber und mathematische Formeln notiert, aber sie alle halfen nicht, weder um festzustellen um was für einen Typ Daten es sich dabei handelte, noch um das Volumen dessen zu bestimmen. Irgendwas übersah sie und überfragt und müde rieb sie sich den Nacken. Dann seufzte sie. Das war schon der dritte Abend ohne ein Ergebnis. Die Kerze vor ihr ging aus, dem Sanzomon jedoch erst keine Beachtung schenkte, doch die Atmosphäre in diesem Raum hatte sich verändert. Sie fühlte sich beobachtet und nicht mehr allein. Jemand war bei ihr und auch wenn sie nichts hörte, spürte sie dass derjenige immer näher kam und näher und schließlich direkt hinter ihr stehen blieb. Zuerst kam sie auf den Gedanken, dass dies vielleicht eines der Bakemon sein könnte, doch so direkt hinter ihr und auch wenn sie keinen Schatten sah, war ihr klar, dass dies eigentlich nur Myotismon selbst sein konnte, was sein Lachen auch bestätigte. Wer sonst sollte es auch sein? „Seid Ihr weiter gekommen?“ „Noch nicht...“, seufzte Sanzomon deprimiert und lehnte sich weiter und tiefer in den Stuhl. „So viele Zahlen... Ich mochte Mathematik nie. Hätte man mir eher gesagt, wie viel Mathematik in Magie steckt, hätte ich vielleicht eher gelernt zu rechnen.“ „Lasst Euch Zeit und hetzt Euch nicht. Ihr benötigt dafür viel Energie. Und Eure Belohnung wird nicht wegrennen.“ „Belohnung...?“ Ihr Körper kippte zur Seite, aber Myotismons Hände umfassten ihre Schultern und Sanzomon blieb gerade so aufrecht sitzen. „Ja. Eine Belohnung, für Eure Mühen.“ Myotismons Hände, die anfangs noch nur ihre Schultern hielt fuhren etwas weiter nach oben, streichelten über ihre Haut, fuhren sachte die Konturen ihres Halses nach und wieder ihre Schultern hinab. Erst erschrak Sanzomon. So viel Nähe war sie nicht gewohnt und sie hätte Myotismon weit distanzierter eingeschätzt. So etwas sah ihm nicht ähnlich. Aber sie gab zu, auch wenn es im ersten Moment etwas merkwürdig war, fing es doch an ihr zu gefallen. Ihre Haut fing an zu Kribbeln und ihre Schultern entspannten sich. „Aber ich brauche so etwas nicht. Ich tu das hier als Dank für Eure Gastfreundlichkeit...“ Ein müdes Grinsen huschte Sanzomon über die Lippen. „Oh, ich bestehe aber darauf. Und ich habe mir gut überlegt, wie ich Eure Mühen würdigen könnte. Ihr liebt es doch, neue Erfahrungen zu machen. Da wüsste ich genau das Richtige.“ Seine Hände verschwanden unter ihrem Schal. Der schwere Stoff rutschte von ihrem Gesicht und hing lose von den Schultern. So ohne den schweren Stoff fühlte sich Sanzomon fast schon nackt. Kalte Luft kitzelte ihren Nacken. Hatte sie das Fenster auf gelassen? Doch dieser Geruch. So schwer. So merkwürdig. Sie kannte diesen Geruch. Das war kein Wind und dass, was ihre Haut berührte nicht die Luft dieser düsteren, frostigen Nacht. Myotismons Finger berührten Sanzomons Kinn, dann, fast sinnlich ihren Hals und ein sanfter Druck in ihrer Halsbeuge raubte Sanzomon für einen Moment den Atem. „Es wird Euch gefallen...“ Sanzomon wollte schreien, brachte aber nichts heraus. Der Schock der Kälte an so einer empfindlichen Stelle ihres Halses und dem krampften Gefühl in ihrem Unterleib, wissend dass das kein Hunger war raubten ihr die Worte in der Kehle. Sie schnappte nach Luft. Und wachte auf. Vom schnellen Atem war ihr Mund trocken und die Zeit, in der sie ihre Lippen wieder befeuchtete nutzte Sanzomon um sich umzuschauen. Die Kerze war an. Ihr Halstuch saß immer noch auf ihren Schultern, wenn auch nicht mehr all zu ordentlich. Von Myotismon keine Spur. Gar nichts. „Was war das denn?“, fragte sie sich selbst, fast schon beschämt darüber, was sie da geträumt hatte und dass sie sogar immer noch ein Kribbeln an Schultern und im Bauch spürte. Sie fuhr mit ihren Händen über ihr Gesicht. Es war ganz rot und warm. Noch benommen von dem plötzlich Wechsel zu Traum und Realität ging oder viel mehr taumelte Sanzomon zum Fenster, riss dieses auf und wurde von der kalten Luft regelrecht erschlagen. Aber sie half gegen die Hitze in ihrem Gesicht, nicht aber gegen die Gänsehaut und das Kribbeln. War er wirklich da gewesen? Oder nicht? Es wirkte so real. Und lag das wirklich nur an dem Karma dieses Schlosses? Es hatte ihr gefallen. Es hatte ihr wirklich gefallen. „Ich muss mehr schlafen... Das ist nur die Übermüdung“, sagte sie zu sich selbst und um sich zu beruhigen. Sie kam auf allerlei merkwürdige Gedanken, seit sie in diesem Schloss war. Es war nur einer von vielen unkontrollierbaren Gedankengänge in ihrem Kopf, dem sie keine Beachtung schenken sollte. Ein letztes Mal holte Sanzomon tief Luft, ließ die kalte Nachtluft in ihre Lungen fahren und blies sie wieder aus, ehe sie sich vornahm das Fenster zu schließen um endlich schlafen zu gehen, doch etwas im Augenwinkel wurde für die erkennbar. Da war Schutz am Fenster, den sie nur sah, weil das Licht der Kerze im richtigen Winkel auf das Glas traf. Doch dieser Schmutz sah mehr nach einem Abdruck aus. Wie Pfoten. Und wie sie feststellte, als sie mit den Fingern über dieses Glas fuhr war dieser Schmutz außen. Statt das Fenster nun zu schließen öffnete Sanzomon es wieder, atmete aber noch einmal Luft ein. Ihr Körper erholte sich von der Aufregung zuvor, ihr Puls war langsam und gleichmäßig. Sie schloss die Augen und hörte in die lautlose Nacht hinein. Gruselig, wie ruhig es hier war, waren doch die Mehrheit der Bewohner des Schlosses nachtaktiv, aber um so deutlicher, als bei Tage spürte man die negativen Energien, deren Quelle vermutlich Myotismon persönlich war. Und doch hörte Sanzomon inmitten dieser Stille das schwache Läuten von Glocken. Sie öffnete die Augen wieder und sah hinauf. Genau über ihr war ein Fenster und es schien sogar auf zu sein. „Ich weiß, du magst mich nicht besonders“, rief Sanzomon hinaus, hoffend, ihr heimlicher Beobachter, von dem sie genau wusste wer es war, war noch in Reichweite. „Aber auch wenn du kein Untotes-Digimon bist, würde ich mich gerne auch mit dir unterhalten. Ich würde mich über etwas Gesellschaft von meinesgleichen sehr freuen. Ich bekomme schon etwas Heimweh, wenn ich deinen Heiligen Ring höre. Vielleicht sind wir uns sogar sehr ähnlich.“ Verträumt blickte Sanzomon in die Nacht hinaus. Sie erkannte einen Schwarm Fledermäuse in der Dunkelheit. „Trinkst du nächstes Mal etwas Tee mit mir? Die Bakemon bringen mir ohnehin immer zu viel und meistens vergesse ich ihn, weil ich so in meine Arbeit vertieft bin.“ Sie erhielt keine Antwort, doch hörte sie, wie das Fenster über ihr geschlossen wurde. Ihr blieb nichts wie zu hoffen, dass dieses Digimon es sich anders überlegte. Als sie das Fenster nun endgültig schloss hörte Sanzomon die Glocken aber immer noch. Das war jedoch nicht das Läuten eines Heiligen Ringes, sondern dass des Amulettes, dem sie sich angenommen hatte. Allmählich kam ihr dieses Glockenläuten regelrecht aggressiv vor und sich davon angespornt, setzte sich Sanzomon doch noch einmal an den Tisch, statt einmal einen Schritt in ihr Gästezimmer zu wagen um richtig zu schlafen. Sanzomon lehnte sich mit beiden Ellenbogen auf dem Tisch nach vorn und starrte auf das Amulett. Die Reflexion der Kerze spiegelte sich im rosafarbenen Wappen mit dem Tifaret und immer noch fragte Sanzomon sich, wie Myotismon an so etwas heran gekommen war. Und für so ein kleines, schlichtes Schmuckstück war das Glockenläuten unerträglich laut. Diese Intensität kannte man nur von hochrangigen Engel-Digimon. Dabei war sie sich immer noch nicht sicher, was dieses Ding war oder aus was es Bestand. Solange sie die Daten nicht verstand, konnte sie diese auch nicht ordnen und sie auch nicht kopieren. Und irgendwie war Sanzomon sogar, als sei dieses Läuten nur so laut weil dieses Ding ihr etwas mitteilen wollte. „Was bist du?“, flüsterte Sanzomon. Sie nahm das Amulett in ihre Hände und lauschte weiter, hoffend, in den Klängen die Antwort zu finden. Dieses Läuten war nur positives Karma und Karma war eine Energie aus bestimmten, gleichwelligen Datenströmen, die beim zusammentreffen mit ihren Daten dieses Geräusch erzeugten. Mehr nicht. Ihre Datenströme waren sich so ähnlich, eine Verbindung musste möglich sein. Die lauschte weiter dem Läuten. Summte im Ton mit. Zählte die Takte mit und je länger es dauerte, so tiefer verfiel Sanzomon in eine Trance, die ihr erlaubte mehr zu hören, wie nur das Läuten. Babamon lehrte sie, dass ihre Art in die tiefsten Tiefen der Herzen blicken könnte, solange ihr Geist offen dafür war. Sie horchte weiter dem Läuten. Der Ton war ein anderer wie der, den Sanzomon bisher von heiligen Digimon kannte, der aber einem nicht gleich auffiel. Das Läuten übertönte das wichtigste von allen, der Kern dieser Energie in diesem unscheinbaren Ding. Es war kein Läuten. Es war ein Rufen. (H̴̻̥̺͋͂͜͝i̵̝̓̀̚k̷͉̙͇̑ả̷͓̀̔̕ŕ̶̛̥̫̦̀̋͒͝ï̸̛͔̽̋) „Licht?“ Sanzomon kam zu schnell aus ihrer Trance, aber ihre Verwunderung über das, was sie glaubte gehört zu haben ließ sie die Tatsache, dass ihr eigentlich hätte davon schlecht werden müssen vergessen. Aber sie hatte es ganz klar gehört, aber etwas war merkwürdig. Es klang nicht wie ein Wort. Die Betonung, dieses Läuten war zu seltsam, nicht wie ein Wort, es war fast wie bei einem Namen. (Namen ja aber keine Digimon-Namen sie wollen dass du denkst dass es welche wären aber es sind keine was ist der logische Schluss wenn diese Namen keine Digimon-Namen sind aber alle Digimon doch Digimon-Namen haben? Was ist Montag was sind die in diesen Büchern was deine Äbtissin dir nicht sagt denk nach Sanzomon sie wollen nicht das du es siehst aber du siehst es) „Menschen... namen...“ Ihr Kopf hob sich und Sanzomon sah nichts vor sich außer das Fenster und die Vorhänger und doch schien sie, als sehe sie mehr als nur das. Im ihren Kopf sprach sie es noch einmal aus. Menschen. Ein komisches Wort, aber sie hatte dieses Wort oft in Sorcerymons Büchern gelesen, aber sich nie darum geschert, was Menschen waren. Als hätte ihr Kopf das einfach ausgeblendet. Als sei sie blind gewesen. War es das,was Myotismon erwähnte? Das die Digiwelt nicht möchte, dass die Digimon gewisse Dinge begriffen? Gab es einen Zusammenhang zwischen Menschen und den Digimon? Standen diese Lebensformen, von denen die Bücher erzählten mit den Digimon in Verbindung? Wollte Babamon deswegen nie darüber reden oder hatte gar Angst, dass es Chaos bringen könnte? Von ihrer eigenen Erkenntnis übermannt starrte Sanzomon wieder das Amulett in ihren Händen an. „Du bist nicht wie das, was ich kenne. Dieses Karma geht über die Digiwelt hinaus. Du bist auch nicht rein digital. Natürlich, darum bringen auch meine ganzen Berechnungen gar nichts. Du bist -“ Sie wagte es kaum auszusprechen. Es wirkte immer noch so absurd, aber mit den Geschichten von Sorcerymon im Hinterkopf machte alles so erschreckend viel Sinn. Und Myotismon hatte so viele mehrdeutige Bemerkungen gemacht. Ahnte er es? Ihre Müdigkeit war vergangen. Sanzomon blieb sitzen, das Amulett in der Hand und ihre Sutras sprechend. Es würde eine sehr lange Nacht werden. Sie würde viel meditieren und sich viele Glocken anhören müssen. Aber sie glaubte es endlich begriffen zu haben. Sie musste über die Grenzen hinaus. Kapitel 5: Amygdala ------------------- „Dieses Mönch-Digimon ist immer noch da?“ „Ja, schon drei Wochen.“ „Wie lange will der Meister sie denn noch hierbehalten? Das sieht ihm gar nicht ähnlich, dass er Gäste so lange dabehält.“ „Geschweige denn sie unberührt lässt...“ „Ihr kennt den Meister, das hat sicher einen Grund. Früher oder später wird sie mit den anderen das gleiche Schicksal teilen.“ „Meinst du?“ „Irgendwie schade... Für so einen heiligen Serum ist sie ganz in Ordnung. Stellt nur zu viele Fragen.“ „Lasst diese Gefühlsduselei. Früher oder später wird es so kommen. Sie ist doch selbst schuld. Sie wusste von Anfang an, was auf sie zukommen könnte.“ „Auch wahr. Dennoch schade.“ „Man merkt schon, wie ungeduldig der Meister wird. Lange wird das nicht mehr gehen. “   *   Etwas in Sanzomon sagte ihr, dass es morgens war und sie aufstehen müsse, als sie aber die Augen aufschlug war sie sich nicht mehr so sicher ob es wirklich Morgen war. Nicht nur dass das Schloss immer noch nicht anders wirkte wie sonst, sie könnte schwören morgens war bereits gewesen, nämlich kurz bevor sie weg nickte. Vielleicht hatte sie ja nur ein paar Stunden geschlafen? Vielleicht auch den halben Tag, schwer zu sagen an diesem Ort. Es lag noch alles da wie am vergangenen Abend, auch das Amulett lag vor ihr, ohne dass es verändert schien. Verärgert kräuselten sich ihre Lippen und Sanzomon schob ein paar lose Haarsträhnen hinter ihr Ohr. „Und ich dachte, ich hätte es begriffen.“ Vor ihr erstreckte sich das Chaos. Sanzomon war nie so ordentlich, wie man es stets von ihr erwartet hätte, aber wenn sie etwas Ordnung hineinbringen würde, würden sich vielleicht zeitgleich ihre Gedanken ordnen. Außerdem würde Myotismon nicht erfreut über dieses Durcheinander sein (er liebte schließlich Ordnung). Sie griff als erstes nach den Schreibutensilien, aber obwohl sie eigentlich noch nach Kohlestift und Feder griff, hielt sie nun stattdessen das Wappen in der Hand. Die Schnur hatte sich zwischen ihren Fingern verheddert. Sie schnaubte genervt und zog an der Schnur, sich fragend wie das passieren konnte und kaum, dass Sanzomon sich davon löste legte sie es wieder auf den Tisch – neben das andere Wappen. Sanzomon blieb starr. Blinzelte. Sah sich erst das Wappen in ihrer Hand, dann das auf den Tisch an. Optisch konnte sie nicht sagen, was davon das Original und was die Kopie war. Kopie... Kopie! „Bei Shakamons -“ , schrie sie auf, aber ihr Jubel blieb ihr im Halse stecken. Sie sprang aus ihrem Stuhl, der hinter ihr umfiel. Doch gebannt von der Faszination hatte Sanzomon einzig und allein Augen für die beiden Amulette. Sie hatte es wirklich geschafft, dabei hatte sie nicht viel getan außer gelauscht. Und genau hingehört, auf das, was hinter dem lag, was man sonst hörte. Ob sie... Eines der Amulette legte sie ab. Das andere, dessen Hauch an Energie stärker war und ihr sagte, dass dies wohl das Original sein musste, schloss sie in ihre Hände. Wie am Abend zuvor lauschte Sanzomon wieder den Glockenschlägen, aber diesmal war es leichter diesen eigenartigen Ton zu hören, der nicht von dieser Welt zu sein schien. In ihrem Gedanken summte sie den Takt mit, bis sie und dieser Ton vollkommen synchron waren. Durch die geschlossenen Lider nahm sie das Licht wahr und zeitgleich mit ihren Augen öffneten sich ihre Hände. Sie hielt zwei Amulette in der Hand. „Das... das ist es! Ich hab's geschafft!“, jubelte Sanzomon laut, dann schnappte sie sich alle drei Amulette und verstaute sie in ihrer Robe. Sie musste Myotismon davon berichten und aufgebracht, mit klopfendem Herzen rannte sie aus dem Raum. Ihr erster Anhaltspunkt war der große Speiseraum, wo sie tatsächlich Myotismon ab und an antrafen, vermutlich weil er kontrollierte ob sie wirklich aß, oder ob sie das mal wieder in ihrem Eifer und ihrem Arbeitswahn vergessen hatte. Doch er war nicht hier, nicht einmal der lange, schmale Speisetisch war gedeckt, aber zwei Bakemon putzen die Oberfläche und kehrten den Boden. Sie unterbrachen ihre Arbeit, als sie die aufgeregte Sanzomon bemerkten. „Wo ist euer Meister?“, fragte sie außer Atem, ehe eines der Geist-Digimon etwas sagen konnte. Mit offenen Münder starrten sich die Bakemon gegenseitig in die runden Augen. „Wir denken, er ist beschäftigt.“ „Meister Myotismon ist immer beschäftigt.“ „Sagt ihm, dass ich ihn sprechen möchte, es ist wichtig!“, forderte sie aufgebracht auf, bis sie etwas hinter sich hörte, was nach Flügelschlägen klang. Als Sanzomon über die Schultern schaute sah sie noch Umrisse von DemiDevimon, der gerade am Speiseraum vorbeiflog und Sanzomon rannte ihm nach. „DemiDevimon! DemiDevimon!“, rief sie im hinterher. DemiDevimon blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Das kleine, dämonische Digimon schlug wild mit seinen Flügeln und war mit Sanzomon auf Augenhöhe. „Geehrte Sanzomon, was gibt es denn?“, fragte DemiDevimon fast übertrieben höflich. „DemiDevimon, weißt du, wo dein Meister ist? Ich muss ihn etwas sehr, sehr wichtig mitteilen!“ „Oh, gerade ist das etwas ungünstig. Der Meister hat Besuch.“ „Besuch?“, fragte Sanzomon nach. Ihr Atem beruhigte sich allmählich wieder. „Ja, manchmal führt er wichtige Gespräche und Vereinbarungen mit anderen erhabenen Digimon aus den umliegenden Regionen“, erklärte DemiDevimon weiter und Sanzomons Verwunderung löste sich auf. Natürlich. Er war ein König und König taten nun mal auch wichtige Dinge, gerade in Zeiten wie diesen. Sie würde gerne zusehen oder zuhören, aber vermutlich würde sie mehr stören und die Kultur und die soziale Struktur Servers war Sanzomon noch nicht klar genug, um bei wichtigen politischen Gesprächen mitreden zu können. Geschweige denn würde sie vielleicht nicht einmal alles verstehen. Sie würde nur stören. Schade war es dennoch. „Weiß du, wie lange er noch braucht?“ „Tja, das kann ich schwer sagen. Diesmal ist nur ein Digimon hier, aber diese Besprechungen nehmen sehr viel von Meister Myotismons Zeit ein. Und nicht selten ist er nach so etwas nicht besonders gut gelaunt, insbesondere bei... solchen Gästen“, erklärte DemiDevimon. Sein Gesicht wirkte geradezu schmerzverzerrt. „Könntest du ihm dennoch mitteilen, dass ich ihn sprechen muss. Ich bin sicher, er weiß, um was es geht. Vielleicht hebt dies auch seine Laune.“ „Na schön. Sobald ich ihn sehen sollte, richte ich es ihm Euer Anliegen aus.“ Mit nachdenklichen Blick sah Sanzomon DemiDevimon hinterher. Ihre Freude war wieder abgeflacht. Dabei hatte sie sich so sehr darauf gefreut Myotismon diese Nachricht zu übermitteln und sein Gesicht zu sehen. In ihre Schwärmerei vertieft lief Sanzomon nun den Korridor entlang, in den DemiDevimon zuvor verschwand und fand sich nach wenigen Schritten in den verworrenen Gängen wieder. Brücken erstreckten sich kurz und quer und jede von ihnen hatte seinen eigenen physikalischen Regeln. Oben und Unten war hier im wahrsten Sinne des Wortes subjektiv. Myotismon hatte sie zwar schon früh darüber aufgeklärt, wie sie sich zurechtfand, dennoch stand sie verwirrt da und wusste nicht wohin. Vielleicht sollte sie in die Bibliothek zurück, aber wie kam man nochmal dahin? Der Weg, der sie erst an ihren aktuellen Standort brachte führte nicht automatisch auch zurück. Nachdenklich legte Sanzomon ihre Finger auf die von Stoff bedeckten Lippen und sah sich die Gänge und Brücken an und versuchte sich zu erinnern, wie genau man sich in diesem Labyrinth orientierte. Sie blies Luft aus ihrer Nase. Sie meinte, es hatte etwas mit den Fackeln zu tun. Doch sie sah keine, die brannte. Gerade als sie sich fragte, was sie nun tun sollte hörte sie Schritte. Sie hörte wie sich zwei Digimon unterhielten. Eine Stimme klang sehr deutlich nach Myotismon. Die andere jedoch war ihr fremd. Ihre Stimmen kamen näher. Sanzomon lief an die Brüstung und sah erst nur Myotismons Schatten, der auf die Wand traf, dann sah sie einen Teil des hohen Kragen seines Umhangs. Von dem anderen Digimon – sein Besuch offensichtlich – erkannte sie so gut wie nichts. Die beiden liefen zwei Brücken unter ihr vorbei, doch liefen sie, aus Sanzomons Sicht kopfüber. „ - und Etemon -“ „Ich sagte bereits, dass mir Etemon, oder welche Digimon die du dir noch an der kurzen Leine hältst nicht kümmern. Ich werde ihnen keine Soldaten zur Verfügung stellen. Bei deinen waghalsigen Aktionen verliere ich bereits zu viele Soldaten und Ressourcen.“ Myotismon klang schlecht gelaunt. Sanzomon kannte ihn nur mit seinem ruhigen Ton und einer eher langsamen Art zu reden. Ihn so laut, so gereizt zu hören machte ihr fast Angst, dennoch hätte sie gerne gewusst, was ihn so sehr missfiel, dass es seine Fassade zum bröckeln brachte. Lag es an seinem Besucher? „Zum Krieg gehört Kampf, zu Kampf gehört Opfer. Das solltest gerade du am besten wissen, zumal auch du von unseren Siegen profitierst“, sagte dieser. Seine Stimme klang maskulin, aber sie hatte einen merkwürdigen Unterton. Einerseits verspielt und als würde er Myotismon nicht so ernst nehmen (vermutlich brachte ihn genau das in Rage). „Zudem scheint du doch ausreichend Soldaten zu haben. Ich höre, du rekrutierst sehr fleißig.“ „Irgendwie muss ich ja meine Verluste ausgleichen, die du zu verschulden hast“, baffte Myotismon zurück. Man hörte ihm an, dass er alles andere als erfreut war und er versuchte seinen Ärger zu unterdrücken. Ihr fiel auch auf, dass sie sich per du waren. Waren die beiden mehr wie nur Bekannte? Aber sagte Myotismon nicht zu ihr, er pflegte keine engeren sozialen Bindungen? „Warum so viele, verschiedene Digimon?“, fragte sein Besuch weiter. Er klang nicht nur verspielt, es hatte etwas unheimliches an sich. „Da sind ein paar sehr raue Gesellen dabei. Bist du sonst nicht lieber unter deinesgleichen?“ „Was geht dich das an?“ „Sei doch nicht gleich so gereizt. Ihr Untoten seid immer so empfindlich...“ Ihre Schritte entfernten sich von Sanzomon und nur die Spitze ihrer Schatten zeigten ihr, wohin sie liefen. Sanzomon wollte ihnen nachlaufen, bis ihr wieder klar wurde, dass es so gar keinen Sinn hätte, da sie nicht wusste, wie die Gänge verliefen. Die beiden Digimon verschwanden und sie wartete ab, ob sie sie irgendwo wieder zu sehen bekam. Sie hatte Glück, die Stimmen kamen näher. Noch näher wie zuvor, aber die Anspannung war etwas gelöst. Die beiden unterhielten sich normal, doch wer Myotismons Besucher war, konnte sie immer noch nicht sagen. Sie waren direkt unter ihr und liefen davon. Sanzomon beugte sich weiter über die Brüstung und streckte ihre Arme nach unten, um die Unterseite (oder obere Seite) der Brücke zu erreichen. Ihre Finger hielten sich an den Steinen fest, während sie langsam nach unten rutschte. Irgendwo zwischen dieser Brücke war die Verzerrung und wenn sie diesen Punkt erreichte, könnte sie sich auf die andere Seite ziehen. Aber sie musste den richtigen Punkt auch erreichen, ansonsten würde sie in die Tiefe stürzen und dort unten sah sie außer Schwärze nichts, genauso wie über ihr. Konzentriert wie Sanzomon war, bekam sie kaum etwas von dem Gespräch der beiden Digimon mit. Nur einzelne Fetzen von Sätzen und Worten. „- ritter könnten -„ „ Devimon hat -“ „- Dunkelheit zu-“ „- die Wappen -“ Sanzomons Füße berührten den Boden nicht mehr. Ihr Körper balancierte auf der Brüstung, wippte hin und her wie eine Schaukel. Weiter streckte sie ihre Arme nach unten und versuchte mit ihren Händen die einzelnen Ziegelsteine der Brücke zu fassen zu kriegen. Sie brauchte guten Halt. Und dann musste sie schnell sein. Als sie gerade glaubte nach vorne zu fallen gingen ihre Beine in die Höhe, als hob sie jemand hoch, doch ihre Haare und Falten ihrer Kleider fielen zurück. Sanzomon hatte den Punkt der Verzerrung erreicht und baumelte nun wie das Pendel einer Uhr an der Brücke und sie merkte schon, wie ihr Gewicht sie nach unten zog. Weit hatte sie es aber nicht. Mit aller Kraft zog Sanzomon ein Bein an, stieg mit diesen auf einen der Steine und mit diesem Halt konnte sie sich das letzte Stück nach oben ziehen. Ächzend zog sie sich über die Steine, erst ihren Oberkörper, dann langsam ihre Beine. Erschöpft ließ sie sich fallen, hielt sich aber die Hand vor den Mund, als sie anfing laut nach Luft zu schnappen. Myotismon und seinen Besucher sah sie nicht mehr, hörte aber ihre Schritte noch. Sie stand auf und rannte die Brücke entlang, die in einen der Türme führte. Die stand vor den Torbogen, wo sie erst nur Schwärze sah, doch plötzlich stoppte sie abrupt. In diesem Turm war zwar Raum, dass ein Digimon darin Platz hatte, aber sonst waren nur Wände um Sanzomon herum. Keine Türe, keine Treppe. Und von den beiden Digimon keine Spur. Verständnislos tastete Sanzomon die Steinwand vor ihr ab, ob sie vielleicht etwas damit auslöste oder ob es nur eine Illusion war. Aber die Steine waren kalt und hart. Hier war nichts. „Ich versteh das nicht. Sie sind doch hier entlang...“ Sanzomon stützte sich von der Wand ab und drehte sich, noch immer verwirrt, um. Sie schüttelte ihre Kopf, schaute geradeaus zur anderen Seite der Brücke. Hatte sie sich vielleicht einfach vertan? Aber sie hatte es doch gesehen. „Verehrteste...“ Sanzomon entwich ein Schrei und erschrocken presste sie ihre Hände an ihre Brust. Schockiert sah sie zurück. Myotismon stand hinter ihr, mit einem völlig resignierten Ausdruck. Verwirrt starrte Sanzomon ihn an, dann hinter ihn, wo immer noch nur der Torbogen und die Wand war. Unauffällig versuchte sie auszumachen, ob es noch andere Möglichkeiten gab wie er hierher kam, aber erkannte nichts dergleichen. „Man sagte mir, Ihr wolltet mich sprechen?“, fragte Myotismon, ohne auf Sanzomons Schreck einzugehen. Auf Sanzomon wirkte er müde und ausgelaugt. Sie erinnerte sich an DemiDevimons Worte. Wichtige Besprechungen waren sicher Kräfte zerrend. Vor allem bei solchen Gästen... Was genau hatte er damit gemeint? War dies mehr wie nur eine Besprechung gewesen? Mit wem auch immer Myotismon gesprochen hatte, ihr Umgangston untereinander wirkte sehr vertraut, mehr wie nur eine politische Beziehung. „DemiDevimon sagte, es sei sehr wichtig“, sagte Myotismon nach einer kurzen, schweigsamen Pause. Sanzomon blinzelte ein paar Mal schnell hintereinander. „Ähm – Ja, ja ist sehr wichtig! Seht!“ Voller Stolz holte Sanzomon die drei Wappen hervor und hielt sie hoch. Myotismons ermüdeter Blick klarte auf und plötzlich schien er gar nicht mehr abgeschlagen. Er musterte das Wappen und die beiden Kopien erst ungläubig, sein Mund klappte auf, aber es kam kein Wort über seine Lippen. „Es tut mir Leid, das ich so lange gebraucht habe um die Daten zu analysieren. Aber jetzt scheine ich sie begriffen zu haben und sie lesen zu können. Ich habe zur Probe noch eine zweite Kopie gemacht, aber sie unterscheidet sich nicht von der ersten. Sicherlich lassen sich noch mehr machen, wenn es denn nötig wäre“, erklärte Sanzomon. Sie klang stolz, dass war sie auch, doch traute sie sich nicht Myotismon in die Augen zu schauen. „Ich gebe zu, Ihr erstaunt mich“, sagte er und Sanzomons Gesicht wurde rot. Sie zog ihren Schal hoch, damit man es nicht sah, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass es half. „Verzeiht, dass ich Eure Fähigkeiten erst in Frage stellte.“ „Ihr müsst Euch nicht entschuldigen, ich habe schließlich anfangs auch gezweifelt. Vielleicht bin sogar ich überraschter darüber, als Ihr“, lachte sie gezwungen. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, von dem Sanzomon nicht wusste, ob es gut war, dass man es nicht so offensichtlich sah oder nicht. Ihre leuchtenden Augen sahen auf und auch wenn Myotismon ihr weniger Beachtung schenkte als den Wappen, klopfte ihr Herz warm und angenehm. „Es ehrt mich, dass ich Euch helfen durfte.“ „Und ich weiß Eure Hilfe zu würdigen. Dank Eurem Einsatz bin ich mit meiner Arbeit und meinen Zielen ein großes Stück weiter gekommen.“ Myotismons müde Erscheinung schwindete dahin. Sein charismatisches, selbstsicheres Selbst blickte ihr stattdessen wieder in die Augen, dass Sanzomon immer so schnell um den Finger wickelte. Eine angenehme Gänsehaut fuhr über ihre Haut, als Myotismons über ihre Wange strich, um Sanzomon anschließend in einer fließenden Bewegung die Hand zu reichen. „Würdet Ihr mir daher das Amulett wieder überreichen? Und die Kopien?“, forderte Myotismon sie auf, gerade als Sanzomon ihre Hand in seine legen wollte. Für einen Moment war sie ganz verlegen, bemühte sich aber nichts anmerken zu lassen und legte stattdessen die Amulette in Myotismons Hand. In dem Augenblick jedoch, als sie die Schnüre losließ und die Amulette in seine Hand fielen, drängte sich Sanzomon eine Frage auf, die sie, wie sie erschreckend feststellen musste eher hätte fragen sollen. „Für was... braucht ihr dieses Amulett überhaupt?“ Von ihrer Schwärmerei war nichts mehr übrig. Ihr Lächeln war aufgesetzt, aber Sanzomon war wirklich nach lachen. Es war absurd. Und so sehr geirrt konnte sie sich doch nicht haben. „Aufbewahren, bis sein wahrer Besitzer sich zeigt. Es ist unhöflich Fragen zu stellen, deren Antwort man schon kennt.“ „Und... wenn der wahre Träger auftaucht, was macht Ihr dann?“ „Wenn ich Euch verrate was ich vor habe, schließlich kennt ihr ja die alten Märchen über meinesgleichen - was gedenkt Ihr zu tun?“ Myotismon schaute sie an, schloss kurz die Augen und mit ihren hoben sich auch seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Sanzomons hingegen verschwand nun endgültig und auch von ihrem Drang zu Lachen, dass sie sich so alberne Gedanken machte war nichts mehr übrig. Ihre erst angenehme Gänsehaut wurde zu einem kalten Schauer. „Was ist los? Ihr seid plötzlich so blass. Hat Euch Eure Arbeit zu sehr beansprucht?“ „Ähm... ja. Ich schätze schon. Es hat mich sehr viel an Energie gekostet. Ich sollte schlafen gehen. Und danach sollte ich vielleicht wieder zu meiner Reise aufbrechen.“ „Ihr wollt schon gehen?“, fragte Myotismon künstlich enttäuscht, aber Sanzomon schwor, er habe nur sein Lachen zu unterdrücken versucht. Er trat einen großen Schritt nach vorn, als Sanzomon dabei war zu gehen. Der Weg war frei, aber dass Myotismon ihr so nah trat, gerade nach so einem Gespräch hinderte sie daran zu gehen. „Habe ich Euch gekränkt? Oh, denkt Ihr etwa ich habe nur deswegen...“ Er lachte gedrückt, doch das Echo in diesem Gewölbe war gut hörbar und es machte Sanzomon klar, wie einsam und verlassen sie hier war. Sonst war gerade zur Dämmerung so viel los im Schloss. Überall waren Geist-Digimon oder eben nicht-untote Digimon, die ihre Tagwache hielten, während ihr Meister schlief. Aber nun, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, zu dieser Situation war kein Digimon hier weit und breit. „Seid nicht wütend. Meine Gastfreundlichkeit hat nichts damit zu tun. Das Ihr gewisse Eigenschaften mit Euch bringt, die mir aktuell sehr nützen war Zufall. Ihr seid und bleibt dennoch mein Gast. Und ein sehr angenehmer Gast dazu. Mein Angebot bleibt. Ihr dürft solange hier bleiben, wie Ihr möchtet“, erklärte ihr Myotismon ruhig und sacht und doch klang er so falsch dabei. Vorsichtig griff er nach ihrer Hand, ihre Fingerknöchel berührten seine Lippen, aber statt sich angenehm anzufühlen, meldete sich nur mehr Sanzomons Drang wegzurennen. Sie zog an ihrer Hand, ihre Finger glitten aus Myotismons heraus. „I-Ich weiß das sehr zu schätzen. Aber ich muss weiter. Ich bin schon viel zu lange hier.“ „Es macht mir doch nichts aus, dass ihr hier verweilt. Es gibt noch genug Bücher, die Ihr lesen könnt. Und ich habe noch sehr viele Geschichten, die Euch interessieren könnten. Wenn Ihr sie hören wollt, erzähle ich sie Euch gerne.“ „Aber... Ich muss weiter und die unbekannten Winkel der Digiwelt für mich entdecken, so sehr ich Eure Gastfreundlichkeit zu schätzen weiß. Spätestens morgen“, sagte sie nervös, während ihre Hand über die kalte Haut strich. „Außerdem bin ich ein Mönch und kein Schmarotzer. Ich kann mich nicht ewig hier durchfüttern lassen.“ „Zu schade. Ich treffe selten ideale Gesprächspartner und Zeitgenossen. Ich habe Eure Gesellschaft sehr genossen. Zudem habe ich mich für Eure Hilfe noch gar nicht ausreichend bedankt.“ „Das macht nichts. Ich brauche nichts und verlange nichts. Aber auch ich danke.“ Sanzomon lächelte sogar vor Erleichterung und atmete auf, auch wenn sie sich nicht viel sicherer fühlte. Doch da Myotismon kein Anschein erweckte, dass er sie festhalten oder zu etwas zwingen sollte, machte sie sich weniger Sorgen. Die Dunkelheit in dem Gewölbe und die Einsamkeit erdrückten sie nicht mehr so sehr. Myotismon war ein unheimlicher Zeitgenosse, schon die ganze Zeit, aber sicher nicht, wie in den alten Geschichten. Er hatte Gründe. Bestimmt. Er war nicht so, wie es immer hieß. Wäre es so, wäre sie doch schon längst... Warum aber dann diese Skepsis in ihrem Hinterkopf, eine Stimme die wie eine Mischung aus Sistermon Ciel, der Äbtissin und ihrer alten Freundin Salamon klang, als Myotismon so direkt vor ihr stand und ihr in die Augen sah. (denk daran was er ist) War sie sich wirklich so sicher? (denk daran was er ist) „Ich bestehe jedoch darauf, Euch Eure Belohnung zu überreichen. Ihr habt Zeit und Energie dafür verbraucht. Und schließlich habe ich es versprochen.“ „Belohnung?“ Ein Schauer lief ihr über den Rücken, den Sanzomon erst nicht einzuordnen wusste. Ihre Haut kribbelte. Ihre Schultern. Und ihr Hals. Dieser ganz leichte Druck, der genau die empfindlichste Stelle traf und diesen Schmerz in etwas verwandelte, von dem sie wollte, dass er nicht so schnell endete. „Dann seid Ihr doch -“, murmelte Sanzomon entgeistert. Ihre Finger legten sich vor ihren Mund und überrascht, verstört, verängstigt von ihm und irgendwo auch von sich selbst ging sie einige Schritte zurück. Doch Myotismon folgte ihr. „Hat mein Besuch Euch verschreckt? Ich wollte nur sicher gehen, dass Ihr Euch nicht überarbeitet. Meinen Gästen soll es schließlich gut gehen. Oder habe ich etwas missinterpretiert? War es doch nicht so angenehm, wie Ihr anfangs dachtet? Oder schämt Ihr Euch zu sehr davon, es zu genießen?“ Die Verwirrung war zu groß für Sanzomon, als dass sie antworten konnte, genauso wie die Scham. Nicht nur dass sie ihm bei irgendetwas geholfen hatte, was sicherlich mehr als nur verwerflich war, sie hatte sich tatsächlich... für einen kurzen Moment vorgestellt... mit diesem Digimon... Sie ging noch einen Schritt zurück, diesmal jedoch einen größeren, als Myotismon die Hand nach ihr ausstreckte und es für Sanzomon erschien, als wollte er nach ihr schnappen, doch er griff ins Leere. Verwirrt und erfüllt von Scham presste Sanzomon ihre Hände an ihre Brust. Sie zitterte, obwohl sie sich dagegen wehrte. „Ich sehe schon. Ihr habt Angst“, stellte Myotismon letztlich fest und klang darüber sogar überaus deprimiert und enttäuscht. Überrascht horchte Sanzomon auf. Ihr Zittern erstarb. „Gut, ich verstehe es durchaus. Digimon wie ich haben einen mehr wie nur schlechten Ruf. Digimon meiden diesen Wald nicht umsonst. Und dass ich Euch nicht komplett über meine Motive aufgeklärt habe kränkt Euch zurecht. Für Eure Angst und Euer Misstrauen habe ich Verständnis.“ „Nein, das... Das ist es wirklich nicht. Ich bin auch nicht gekränkt.“ „Warum wirkt Ihr dann so nervös? Oder als würdet Ihr Euch für etwas schämen?“ Sanzomon fehlten die Worte. Las er ihre Gedanken? Sah man es ihr so sehr an? Sie sah Myotismon in die Augen, aber sie wusste immer noch nicht, was sie empfinden sollte. So eindringlich, wie sein Blick war empfand sie einerseits wirklich Angst, bis ihr wieder ihre verruchten Gedanken einfielen. Myotismon streckte ihr seine Hand entgegen, höflich und fast grazil, aber an Sanzomon deutete nichts an, dass sie bereit war sich dieser Geste anzunehmen. Aber sie starrte Myotismon weiter in die Augen, vielleicht um sich zu beweisen, dass sie keine Angst zu haben brauchte, so tief sie konnte, bis ihr der Gedanke kam, dass sie vielleicht gar nicht mehr davon wegkam – und schließlich den Punkt erreichte, wo sie das auch gar nicht mehr wollte. „Mir scheint, Ihr habt doch Angst vor mir. Welch ein Bedauern.“ „Nein. Ich habe keine Angst vor Euch...“ „Wirklich nicht?“ „Nein... Niemals...“ Kraftlos, fast schon gespenstisch hob Sanzomon ihre Hand und legte sie schließlich doch in Myotismons. Sie fühlte sich auf einmal so schwach. Vielleicht überkam sie nun doch die Erschöpfung. Diese Kopien anzufertigen hatte sie schließlich Energie gekostet, nur hatte sie dies in ihrer Euphorie vermutlich nicht bemerkt. Ihr wurde schwindlig und dieser Schwindel zog ihr regelrecht den Boden unter den Füßen weg, um schließlich in Myotismons Armen zu landen. Die Kraft in ihrer Gliedern schien fort, nur ihren Kopf konnte sie anheben, nur um Myotismon weiter in die Augen sehen zu können. An alles andere dachte sie nicht mehr. Es gab nur noch ihn und und seine blauen Augen hinter der Maske, in denen sich Sanzomon immer mehr verlor. „Wie wäre es dann mit einem kleinen Vertrauensbeweis Eurerseits, im Austausch für Eure Belohnung?“ Seine Worte drehten sich in Sanzomons Kopf wie in einem Karussell. Ihre Welt wirkte schummerig, Farben verliefen in sich und schwarze Flecken verschlangen die Konturen der Gemäuer. Ihr war kalt. Schrecklich kalt, während sich um Sanzomon alles zu drehen schien und sie sich an Myotismon festhalten musste. Er war das Einzige, dass sie ganz klar sehen konnte. Er sah zu ihr herab und er hielt ihren Kopf, der sich zur Seite neigte, ohne aber auch nur für einen Moment den Augenkontakt abzubrechen. Nur Myotismon war für sie klar zu erkennen, aber statt sich zu fragen, warum sich abgesehen von ihm alles um sie herum drehte und woher diese Benommenheit kam, fragte sich Sanzomon nur, was für einen Vertrauensbeweis sie darbringen sollte. Auch diese Frage erübrigte sich schnell, als ihr Blick für einen Moment Myotismons Augen verließ und auf seine Lippen sah. Stattdessen fragte Sanzomon sich vielmehr nun, wie sich diese wohl anfühlten und was passieren würde, wenn sie diese küssen würde. Dass Myotismon schließlich ihr Halstuch herunterzog, sich ihre eigenen, roten und warmen Lippen offenbarten und seinen schwarzen, schweren Umhang um Sanzomons zierlichen Körper legte verstärkte nur die Hitze, die sich in ihrem Bauch sammelte. Sie glaubte, sein Gesicht kam ihrem langsam näher und Myotismon küssen zu wollen schien nun nicht nur einfach nur eine Idee, sondern auch eine doch ganz gute sogar zu sein, wie auch ein idealer Vertrauensbeweis. Küssen. Das klang in Sanzomons Kopf nach einer mehr wie nur guten Idee. Leicht spitzten sich ihre Lippen. Sanzomons Augenlider schlossen sich und sie ließ sich von dem Schwindelgefühl und dieser Neugierde tragen, die sich anders anfühlte wie die Art Neugierde, die sie sonst kannte, vollkommen ungeachtet, dass sich Myotismon Lippen nicht ihren, sondern ihrem entblößten und freien Hals näherten und damit auch seine langen, spitzen Eckzähne. Erwartungsvoll stand Sanzomon vor ihm, auf eine sinnliche Berührung wartend und Myotismon leckte sich die Lippen bei dem Gedanken an ihrem Blut, sicher das Daten eines solchen Digimon mehr wie nur schmackhaft sein würden. Doch irgendwas gummiartiges streifte ihn und beraubte Myotismon seiner Konzentration. Er sah auf. Luftballons umkreisten sie. Sofort war ihm klar, wessen Werk das war, und sein Umhang legte sich um ihn und Sanzomon, gerade als die Ballons mit einem immensen Knall zerplatzten. Rauch verteilte sich, es stank nach Schießpulver und Zuckerwatte. Was für Myotismon ein ohrenbetäubender Krach war, klang für Sanzomon in ihrem benebelten Zustand mehr, als sei dieser Knall irgendwo tief unter Wasser. Obwohl Myotismon sich nicht mehr auf die konzentrierte, hielt die Hypnose und sie bekam nichts mit vom Ärger des Schlossherren mit und dass sie beide nicht mehr alleine waren. Buntes Konfetti flog umher, aber Sanzomon hatte nur Augen für die roten Flocken. „Wieso störst du immer beim Essen?“, keifte Myotismon den Eindringling an. Sanzomon hörte seine Stimme, sie hörte auch wie wütend Myotismons Stimme war, während er sie weiter festhielt, aber ihr sedierter Geist verstand nicht warum, geschweige denn was er überhaupt sagte. „Denkst du, ich lass es auf mir sitzen, dass du mich einfach hinauswirfst? Es ist noch nicht alles besprochen worden.“ „Für mich durchaus. Und nun sieh zu, dass du mein Land verlässt!“ Doch der Eindringling kam stattdessen näher. Sanzomon hörte seine Schritte kaum, dafür sein Gekicher. Ihr Blick war gesenkt und ihr fehlte die Kraft aufzuschauen, aber in ihren Sichtfeld erschienen gelbe Stiefel. „Und was haben wir denn da?“ Zwei Finger legten sich unter Sanzomons Kinn und hoben ihren Kopf an. Keine kalten Finger, also konnte es nicht Myotismon sein. Was für ein Digimon es war erkannte Sanzomon nicht, aber die Stimme erinnerte sie an etwas. War das Myotismons Besuch von zuvor? Ihre Sicht war trüb, aber Sanzomon erkannte den roten Anzug des Digimon. So rot wie die Baumkronen in ihrer Heimat. Sie konnte sein Lächeln sehen. Rot wie sein Anzug. Ein Lächeln ohne jeden Funken Freude dahinter. Ein falsches Lächeln... „Das ist aber ein hübsches Digimon, dass du dir da diesmal geschnappt hast. Eine von der unscheinbaren Sorte. Die magst du doch am liebsten.“ „Nimm deine Finger von ihr. Ich brauche sie noch.“ Mit ihr im Arm ging Myotismon einen Schritt zurück. Sein Umhang legte sich um sie. Sanzomon sah nur Dunkelheit. „Keine Sorge, ich nimm sie dir nicht weg. Ich stehe nicht auf diese biederen Dinger. Was aber ist der Grund, warum du dir so ein Digimon hier hältst? Das ist doch ein heiliges Digimon. Spielst du wieder mit deinem Essen, oder -“ Der Griff um sie wurde enger. Wieder ging Myotismon einen Schritt zurück, als dieses andere Digimon erneut versuchte einen genaueren Blick auf Sanzomon zu werfen. Doch Myotismons schwerer Umhang hüllte sie komplett ein, wie ein schwarzer Kokon. „Was hast du vor? Du planst doch keine krummen Dinger, mein Freund? Hast du unseren Waffenstillstand vergessen? Und unseren Deal? Ich habe dir das Schloss nicht aus Nettigkeit überlassen.“ Sie hörte Schritte. Hörte ein verärgertes Knurren. Myotismon zog sie weiter zurück. Die beiden unterhielten sich, aber die Worte erreichten Sanzomons Kopf nicht einmal annähernd. Dieses fremde Digimon kam näher. Sein Karma war merkwürdig, geradezu chaotisch. Wer war das? „Wir bereden das woanders.“ Der rote Anblick verschwand vor ihr. Myotismons Umhang legte sich komplett um sie und hüllte sie in Schatten, der sich aber kurz darauf wieder lichtete. Sie war in irgendeinem Zimmer, von dem sich sich nicht sicher war, ob sie es kannte. Myotismons Kraft auf ihren Schultern zwang sie zum sitzen. Der Untergrund war weich. Er hob ihr Kinn, damit sie in das Gesicht des Schlossherrn sehen konnte, das Einzige, dass vor ihren Augen noch klar zu erkennen war. „Ihr wartet schön brav hier, bis ich wiederkomme. Dann machen wir dort weiter, wo wir aufgehört haben. Verstanden?“, sagte Myotismon zu und sie nickte. „Gut. Träumt so lange etwas Schönes.“ Er gab ihr nur einen leichten Schubs, doch es reichte um Sanzomons bereits erschlafften Körper umzuwerfen und müde und benebelt wie sie war, blieb sie auf dem weichen Untergrund liegen. Sie befand sich in einem Dämmerzustand. Sie hörte wie Myotismon davonging, aber hätte nicht sagen können wohin, geschweige denn wo sie war. Sie schlief nicht, aber träumte dennoch, wie von ihm befohlen. Rote Flecken wirbelte noch vor ihren Augen umher. Ob es rote Blätter waren? Sie hoffte es. Sie vermisste das Gefühl von zu Hause doch irgendwo. Einen sicheren Hafen zu wissen, zu dem man wiederkehren konnte und wo jemand auf einen wartete. Ein Gleichgesinnter. Ein Seelenkamerad, der mit ihr unter den roten Baumkrone saß. Ach, wäre das schön, so wunderschön... (wünscht du dir das? Komm für einen Moment hast du dir das mit ihm vorgestellt und lüg mich nicht an) Saß jemand bei ihr? Die Stimme – das war definitiv nicht Myotismon. Aber vertraut. „Sorcerymon...?“ Zwei gelbe Kugeln leuchteten über ihr. Waren es Augen? Um sie herum war alles schwarz. War das ein Kopf? Eine Kutte... Und wieder war alles so rot. (dein Drang nach Wissen ist wie eh und je nicht zu bändigen und selbst vor einem wie ihm schreckst du nicht zurück? Aber sieh an in was für eine tödliche Falle es dich getrieben hat) „Falle...?“ Das viele Rot vor ihren Augen tat weh und bereiteten ihr Kopfschmerzen. Die Farbe war nicht mehr angenehm, sondern brannte regelrecht auf ihrer Netzhaut. Es war so grell. Waren das wirklich noch die Bäume? Es schien so hell und so heiß. Es war wie Feuer, je lauter Sorcerymons Stimme wurde. Und sie hörte etwas in der Ferne. Ein vertrautes Geräusch, dass immer lauter wurde. (Aber zur Neugierde gehört auch über Grenzen und Hürden zu gehen und es gibt kaum eine größere Hürde als die eigene Angst und die Scham) „Scham...?“ Das Geräusch wurde unerträglich. Läuten. Es war Glockenläuten. Es war so laut, dass es Sanzomon aus ihrem Tagtraum riss. Schreiend und sich die Ohren haltend richtete sie sich auf und hielt sich dabei die Ohren zu. Es fühlte sich an, als explodierte ihr Kopf, wie damals, kurz nach ihrer Ultra-Digitation. Doch statt penetrant weiter zu Läuten, bis es sie fast in den Wahnsinn trieb, hörte es auf, kaum dass sie aufrecht saß. Ihr Tunnelblick löste sich auf und Sanzomon nahm wieder ihre Umgebung wahr. Was war das für ein Raum? Sie saß auf einem Bett und sie meinte diesen Raum einmal gesehen zu haben, aber sie wusste nicht mehr wann genau. Wie spät war es? Ihren verrutschten Schal zog Sanzomon stramm und den Stoff wieder über Mund und Nase. Wieder ertönte das sachte Klingeln. Sanzomon schaute zur Seite. Gatomon saß neben ihr und schaute sie streng an, während ihr Schwanz mit dem Heiligen Ring hin und her peitschte. Das hatte sie also geweckt. „Dafür, dass Ihr angeblich so schlau sein sollt, fällt Ihr leicht auf sein Gerede rein“, schimpfte Gatomon überaus tadelnd. Fast erinnerte sie Sanzomon an Sistermon Ciel. „Was... was ist passiert?“, fragte Sanzomon. Sie war immer noch etwas neben sich. Sie rieb sich über die Augen und richtete ihre Krone. „Meister Myotismon hat Euch hypnotisiert. Er versucht das schon die ganze Zeit, hatte aber bis jetzt nie Erfolg. Habt Ihr das nie bemerkt?“, erklärte Gatomon. Sie klang vorwurfsvoll, oder als würde sie Sanzomon für dämlich halten. Hypnose... Und schon die ganze Zeit? Die Schwindelanfälle... Ging es ihr deswegen manchmal nicht so gut und war so müde? „Mit seinem Süßholzraspeln hat er Euch wohl dann doch um den Finger gewickelt.“ „I-Ich dachte, er -“, stammelte sie, aber eigentlich wusste sie selbst nicht, was sie wirklich gedacht hatte. Gatomon sprang vom Bett und stellte sich aufrecht hin, ihre Arme verschränkt vor ihrer Brust. „Das Spielchen treibt er immer mit Digimon, die ihm gefallen. Er spielt mit ihnen, ehe er sie beißt. Sie alle fallen drauf herein, selbst auf diesen fliegenden Flohbeutel, der sie hierher lockt.“ „Hierher locken? Du redest von DemiDevimon? Aber er wurde doch -“ „Von Devidramon angegriffen? Ja. Von des Meisters Devidramon. Er hält sie sich wie Haustiere.“ Zuerst glaubte Sanzomon sie erhörte sich, dann kam der säuerliche Geschmack der Übelkeit in ihren Mund und ihr Magen drehte sich. Sie sah DemiDevimon vor sich, an dem Tag als sie ihn umzingelt von den Devidramon fand und erst nun wurde ihr Details klar. Devidramon waren trotz ihrer Brutalität gerissene Jäger, sie nahmen es sogar mit Ultra-Digimon auf, warum also, warum sollte eine Dreiergruppe Devidramon ihre Kräfte für ein kleines, mageres DemiDevimon aufopfern, das nicht mal eines von ihnen sättigen würde? Sie hätte es wissen müssen, aber sie hatte nur Augen für das verängstliche Rookie-Digimon. „Die Nummer bringt DemiDevimon nicht zum ersten Mal“, erklärte Gatomon weiter. „Digimon meiden die Gegend, aber wenn ein schwächeres Digimon um Hilfe schreit kommen sie doch meistens angerannt. DemiDevimon bezahlt sogar andere Digimon, damit sie solche wie Euch in unsere Gegend locken und legt sich auf die Lauer, in der Hoffnung es kommt eines, dass dem Geschmack des Meisters entspricht, um sich selbst so bei ihm einzuschleimen.“ Sanzomon schluckte. Der säuerliche Geschmack verschwand, aber übel war ihr immer noch. Gatomon sprang derweil vom Bett hinunter. „Jetzt seht zu, dass Ihr verschwindet, ehe er wiederkommt.“ „Warum hilfst du mir?“, fragte Sanzomon sie. Gatomon sah über ihre Schultern zu ihr zurück, wich aber dann ihren Blicken aus. „Mir sind die meisten Digimon, die er für seine Spielchen hier anschleppt zu arrogant, also ist es mir auch egal, was er mit ihnen macht. Ihr jedoch scheint ganz in Ordnung zu sein, für ein Digimon das nicht mehr ganz richtig tickt.“ „Wirst du aber dann nicht bestraft?“ „Lasst das mal meine Sorge sein“, und selbstsicher (wenn auch Sanzomon dieser Hauch von Zweifel und, ja, Scham nicht entging) sprintete sie an die Türe. „Jetzt geht. Entkommen müsst Ihr selbst. Ich kann nur die Wachen für eine gewisse Zeit beschäftigen.“ Sanzomon nickte ihr zu. Gatomon erwiderte es mit derselben Geste. Sie ließ die Türe einen Spalt offen und hörte auch schon Digimon näherkommen. Der Grund, warum sie hier waren war egal, dass sie hier waren traf sich gut. „Hey, was macht Ihr zwei hier?“, keifte Gatomon die Digimon an. Sanzomon hörte sie ächzen. Die Digimon klangen nach Bakemon. „Der Meister hat befohlen, dass wir auf das Mönch-Digimon aufpassen, solange er beschäftigt ist.“ „Ich übernehme das bereits. Also kehrt auf euren Posten zurück!“ „Aber... der Meister sagte“, warf eines der Bakemon ein, wurde aber von Gatomon sofort unterbrochen: „Jetzt denkt mal nach. Das ist ein Serum-Digimon. Und ihr seid Viren. Sie verkörpert Heilige Energie. Wenn sie zu sich kommt und versucht zu fliehen, wer denkt ihr hat die besseren Karten bei einem Zusammentreffen?“ Sanzomon hörte nichts mehr von den Bakemon. Die meisten von ihnen waren zwar keine besonders guten Denker, aber dieses Prinzip verstanden sie durchaus. Schließlich war es auch überlebenswichtig. Sie hörte sie irgendwas brummen, dann flogen sie davon und Sanzomon hörte nichts außer das schwache Läuten von Gatomons Heiligen Ring. Vorsichtig spähnte Sanzomon in den Gang, um zu sehen wie Gatomon ihr Fell in Unordnung brachte. „Geht“, forderte das Katzen-Digimon sie auf. „Ich bleibe hier liegen. Wenn er kommt, behaupte ich, Ihr hättet mich überrumpelt.“ Mit ausgestreckten Armen und Beinen legte sie Gatomon zu Boden. Ein Auge hielt sie offen und als Sanzomon ihr zunickte, erwiderte sie dieses. Ohne die Tür zu schließen rannte Sanzomon in die andere Richtung, hoffend, dass Gatomons Plan sich eine Weile halten würde. Und ihr nichts zustieß. Myotismon würde schließlich nicht erfreut sein, wenn er merkte, dass sie fort war. Ihr Weg blieb eine Weile gerade und stetig hinunter, bis sich die ersten Winkel und Ecken zeigten. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hin sollte. Hier und da blitzen manchmal die weißen Laken der Bakemon auf, aber Sanzomon konnte sich schnell genug hinter den Ecken verstecken, ehe man sie bemerkte. Wo war nur der Ausgang? Sie war damals durch ein großes Tor gelaufen, aber in all den Tagen und Wochen, in denen sie hier war und umhergewandert war, hatte sie dieses Tor nie wieder zu Gesicht bekommen. Das Schloss hätte seine Launen, hatte Myotismon erzählt. Seine Energie war überall und er deutete mehrmals an, dass es Räume gab, die man nur schwer finden konnte. Und Sanzomon beschlich der grauenhafte Verdacht, dass sie den Ausgang vielleicht gar nicht finden konnte, solange Myotismon das nicht wollte. Sanzomon schüttelte ihren Kopf. Sie durfte so nicht denken. Es gab sicher einen Weg. Ein Gefühl, gleich eine entfernten Donnergrollen ertönte durch die Korridore und übermannte Sanzomon regelrecht und erschütterte selbst die kleinste Datei in ihr. Es war eine große Menge an geladener, negativer Energie, die ihr Innerstes erschütterte und ihr schließlich eiskalt den Rücken runterlief. Das konnte nur Myotismon gewesen sein. Er hatte bemerkt, dass sie fort war. Hoffentlich bemerkte er nicht, dass Gatomon da mit drin steckte. Nun aber schlich Sanzomon nicht mehr, die beschleunigte ihr Tempo. Die immer gleich aussehenden Gänge aber verwirrten sie nicht nur, sondern machten sie zudem nervös. Manchmal war sie sich auch nicht sicher, ob sie in diesem Gang nicht schon einmal war oder nicht. Sie kam an so vielen verschlossenen Türen vorbei, alle mit einem dicken Hängeschloss davor. Sie sah Bakemon aufgebracht durch die Gänge fliegen, während Sanzomon sich hinter den Ecken versteckte. Bestimmt suchte das ganze Schloss nach ihr. Zwei Bakemon flogen weiter und Sanzomon rannte in die entgegengesetzte Richtung, schaute noch einmal über ihre Schultern zurück um zu prüfen, dass ihr kein Digimon folgte. „Hey, da ist sie!“, rief eine Stimme, die nach DemiDevimon klang. Er war in Begleitung von zwei weiteren Bakemon. Von DemiDevimons unschuldigen Erscheinungsbild, das einen glauben ließ er könne kein Wässerchen trüben war nichts anzumerken. „Keinen Schritt weiter. Entweder Ihr kommt freiwillig mit oder wir zwingen Euch dazu!“, drohte DemiDevimon mit gefletschten Zähnen. Unter den Laken der Bakemon kamen ihre klauenhaften Hände zum Vorschein. Die beiden Geist-Digimon flogen auf DemiDevimons Befehl hin auf Sanzomon zu. Sie legte ihre Hände ineinander, ihre Mala-Kette erschien in ihrer Hand und augenblicklich formten ihr Lippen die Worte einer alten Sprache und diese Worte bildeten sich zusammen zu einem Gebet. „To Shishun-Kyou!“ Das Sutra und das Karma, was sie freisetzten lähmte erst die Bakemon und zerstörte ihren Impuls und den Willen, den Befehl zu folgen. Es erreichte auch DemiDevimon, dem plötzlich der Befehl seines Meister nicht mehr so wichtig erschien. Die drei Digimon segelten vorsichtig zu Boden. Ihre Münder standen auf und die Worte des Sutra hallten in ihrem Kopf, während sie mit einem fast friedfertigen Gesicht vor sich hin träumten. Sanzomon lief an ihnen vorbei. Wenigen Meter später, an einer Gabelung sah sie Phantomon auf sich zukommen, doch eher er sie bemerkte, rannte sie um die Ecke. Sie lief eine Treppe hinunter. Eine Abzweigung tat sich auf und Sanzomon bog nach rechts. Lange lief sie diesen Weg stur gerade aus, ohne einen anderen Weg zu sehen, ohne überhaupt ein Fenster zu erkennen und als sie gerade anfing zu glauben im Kreis zu laufen, sah sie eine Türe. Eine ohne Schloss, eine die vielleicht sogar auf war. Vielleicht ein Raum, in dem sie sich kurz Verstecken und nachdenken konnte. Sie riss die Tür regelrecht auf und sprang in den Raum, aber schloss sie sachte, um keine unnötigen Geräusche oder ein Echo zu erzeugen, dass sie verraten könnte. Erleichtert seufzte sie, als die Tür zu war. Sie schnaufte. Ein paar Haare klebten in ihrem Gesicht. Mit der Hand fuhr Sanzomon die Strähnen aus den Gesicht, richtete sich auf und sah sich den Raum an, in den sie geflüchtete war. Sie stellte entsetzt fest, dass sie diesen Raum kannte. Die Bücher, mit diesen unheilvollen Schriften, der Tisch in der Mitte des Raumes, die schweren Vorhänge, die das Fester komplett verdeckten – das war Myotismons Arbeitszimmer. „Wie bin ich denn jetzt hierhergekommen?“ Plötzlich hörte sie Fledermäuse in der Ferne. Vor Schreck sprang Sanzomon von der Türe und jeder Laut, der den hinausschreien wollte, unterdrückte sie damit, dass sie sich beide Hände vor den Mund schlug. Sie hörte die Tiere näher kommen, doch Sanzomon rührte sich nicht, traute sich nicht einmal zu atmen, betend, dass der Türknauf sich nicht rührte, bitte ging diese Tür nicht auf, bitte - Sie ging nicht auf. Es war nicht einmal sicher, dass die Fledermäuse an genau dieser Tür vorbeiflogen, geschweige denn ob sie ihren Meister dabei hatten, aber als Sanzomon das nächste Mal ihr Pfeifen hörte, klang dieses nicht mehr all zu nahe. Sie entfernten sich von ihr. Sanzomon atmete auf, traute sich aber erst nicht ihre Hand vom Mund zu nehmen. Sie hatte etwas Zeit gewonnen. Die Frage war nur wie viel. Hektisch sah sie sich um und da es außer einem Tisch und Büchern nichts gab, war das Fenster die einzige Option, die Sanzomon blieb. Vielleicht hatte sie Glück und dieses Zimmer war nicht so weit oben und sie könnte hinausklettern. Riskant, aber vielleicht waren alle damit beschäftigt sie im Inneren zu suchen, als dass sie auf diese Idee kämen. Hoffnungsvoll packte Sanzomon den schweren, violetten Saum des Vorhangs, zog ihn zur Seite und sah im ersten Moment nichts als absolute Schwärze und ihre Spiegelbild. War es etwa schon Nacht und so dunkel? Einige Male presste Sanzomon die Augen zusammen, starrte wieder hinaus, aber sie sah immer noch nur schwarz. Nicht einmal irgendwelche Konturen des Schlosses, keine schemenhaften Wolken, dort war absolut nichts. War dieser Raum etwa unterirdisch? Aber dann müsste sie doch Steine, Kies oder Sand sehen. Aber sie sah nur das absolute Nichts. War dieser Raum etwa in einer so starken Verzerrung verwickelt? Sagte Myotismon deswegen, er wäre so schwer zu finden und darum war der Weg dorthin bei ihrer Flucht ein anderer? Hieß das auch, sie käme von hier nicht weg? „Nein...“ Missmutig stützte Sanzomon ihre Stirn gegen die Glasscheibe. Ihre Finger berührten das Glas. Es war kalt. Sie dachte darüber nach, was sie tun sollte, aber sie fand keine Lösung, als sich doch irgendwie durchzuschlagen. Gegen ein oder zwei mehr Bakemon käme sie an und sie außer Gefecht zu setzen wäre nicht schwer. Gegen Phantomon könnte es schwieriger werden, aber wenn sie schnell genug war konnte sie es schaffen. Aber gegen Myotismon...? Sie hatte ihn zwar schon einmal in die Flucht geschlagen, aber reichte das wirklich aus, um von hier zu fliehen? Sie schaffte es ja nicht einmal den Ausgang zu finden. „Was mache ich jetzt...?“ Sanzomon betrachtete ihre Finger und das Spiegelbild. Die Finsternis vor ihr ließ ihr Spiegelbild so dunkel erscheinen. Bis sie merkte, dass die Finger ihres Spiegelbildes viel zu breit und zu lang waren, um ihre zu sein und die Robe war auch nicht ihre. Eine tiefrote Robe. Als sie ihren Kopf hob, starrten sie zwei gelbe Kugeln an, genau wie vorhin und der schwarze Kopf war nur dank der weißen Kapuze erkennbar. Das war ein Digimon vor ihr. Ein Wisemon. „Sorcerymon...?“ Wisemons Hand entfernte sich vom Glas. Er streckte seinen Finger aus und deutete auf etwas hinter Sanzomon. Die Bücherregale... Sie trat vom Fenster fort und sah sich die Reihen der Regale an. Bücher. Über und über mit Büchern und im gedämmten Licht übersah sie das Offensichtlichste fast. In einem der Bücherregale war eine Steinplatte. Sanzomon erinnerte sich, dass sie diese im Augenwinkel zwar bemerkt hatte, aber die Bücher und dass, was Myotismon ihr erzählte ihre ganze Aufmerksamkeit an sich zogen, dass sie dieser Steinplatte mit dem Zirkel wenig Achtung schenkte. Sie hielt es sogar für einen Moment für Dekoration. Ob sie... Ihre Hände umklammerten je eine der Stäbe des Zirkels. Sie waren beweglich. Zuerst bewegte Sanzomon den rechten Stab so weit nach oben, wie es möglich war, dann wieder halb zurück, dann wieder nach oben, bis sie ein Knacken hörte. Das Geräusch, als hätte ich ein Schloss geöffnet. Mit dem linken Stab war sie etwas vorsichtiger. Auch sie bewegte ihn, so weit sie es möglich war nach oben, jedoch langsamer und lehnte ihr Ohr gegen die Steinplatte, um besser hören zu können, ob sie das Schloss traf. Sie brauchte länger wie beim ersten Mal, doch dann ertönte das Geräusch erneut und das Bücherregal vor ihr ging zur Seite. Vor Sanzomon tat sich eine Gang auf und die Treppe führte hinunter ins Dunkle. Verunsichert sah sie zum Fenster zurück, doch von Wisemon war nichts zu sehen. Hatte sie es sich eingebildet? Noch einmal schaute Sanzomon zur Türe zurück, dann in den Gang hinunter, der wo weiß wohin führte. Aber es war besser als in diesem Raum auf Myotismon oder auch einen seiner Schergen zu warten. Was immer dort war, es war besser als ihr aktueller Aufenthaltsort. Vielleicht käme sie von dort aus auch weiter. Sanzomon ging ein paar Schritte in den Gang hinein. Nach etwas drei, vier Stufen, die sie hinter sich ließ schloss sich die Wand hinter ihr wieder, doch es war hell genug, dass sie dennoch sah, wohin sie lief. Die Treppen ging wirklich weit in die Tiefe. Es erinnerte sie ein wenig an die Ruinen zu Hause, deren Gänge tief in den Berg Mount Boot führten. Das Echo ihrer Schritte verfolgte sie. Ihre Nervosität und ihre Anspannung spielten ihrem Verstand Streiche und während sie lief, war sie sich kurz unsicher darüber, ob das wirklich nur ihre Schritte waren oder ob sie noch etwas hörte. Sie hoffte wirklich, dass es einen Ausgang gab. Es war kalt in dieser Höhle, aber sie spürte keinen Wind. Kein gutes Zeichen. Stattdessen aber spürte Sanzomon etwas anderes. Chaos. Aber nicht die Art von Chaos die sie von der Dunkelheit gewohnt war. Es wirkte einfach ungeordnet, als würden viele verschiedene Ströme versuchen ineinander zu verlaufen, aber es nicht konnten. Und die Quell dieser Macht offenbarte sich Sanzomon, als sie ganz unten angekommen war. Dieser Gang führte nicht einfach nur in eine schlichte Höhle, einen Hohlraum im Berg, auf dem das Schloss stand. Dieser Raum glich mehr einem Altarraum, den sie ähnlich auch aus ihrer Heimat kannte, nur war dieser düster und unheimlich. Devidramon-Statuen schauten zu Sanzomon hinab und sie hatten etwas erschreckend lebendiges an sich. Und dann war da vor ihrer dieses riesige Eisentor. Instinktiv ahnte sie bereits, dass dieses Tor nicht hinaus führte. Man konnte es nicht sehen, rein optisch wirkte es wie jedes andere Tor auch. Doch die Energie strömte heraus und durch den ganzen Raum, ein Wirrwarr aus verschiedenen Energien, pulsierend und ständig in Bewegung. Ein Chaos verbarg sich dahinter und wäre die schwere Tür nicht, vielleicht hätte sie alles wie ein Vakkuum oder wie ein Schwarzes Loch in sich eingesogen. Hinter diesem Tor steckte eine Macht. Eine, die weder dunkel, noch heilig war. Sie erinnerte sich. Diese Energie hatte sie schon an ersten Tag gespürt, aber Myotismons eigene dunkle Aura überdeckte sie. Die Felswand um das Tor herum wirkte wie geschmolzen, aber je weiter der Abstand zum Tor wurde, um so gleichmäßiger wirkte sie wieder. Ob das an der chaotischen Energie lag? Vielleicht bewirkte dieses auch, dass sich die Räume und Gänge im Schloss so merkwürdig verhielten und ständig veränderten. Meinte Myotismon das damit, das Schloss hätte seine Launen? Mit großen Augen, die vor Erstaunen glänzten ging Sanzomon weiter in den Raum. In der Mitte stand ein Steintisch in den mehrere Felder eingraviert waren, doch welchen Sinn diese haben sollte wurde Sanzomon nicht klar. Sterne waren an der Seite abgebildet. Das Sternbild des Löwen, des Schützen und des Affen waren über ihnen abgebildet. Ob hier okkulte Rituale gehalten wurden? Bei einem Digimon wie Myotismon, der sich mit solcher Magie auskannte und aufgewachsen war wäre es nicht überraschend. Nur was das Tor dabei für eine Rolle spielte war ihr nicht klar. Es war fest verschlossen, hatte weder Riegel noch Türschloss, dennoch strömte so viele verschiedene Datenströme heraus, oder was auch immer sich dahinter verbarg. Je länger sie dieses Tor ansah, um so sicherer war Sanzomon sich, dass diese Energien der Grund für die Verzerrungen war. Daten, die von diesem Tor ausgingen veränderten die Daten in der Nähe und brachten sie durcheinander. Daten, die mit nichts kompatibel zu sein schienen. Normalerweise nutze Sanzomon ihr eigenes Karma um eine Verbindung zu einem Digimon aufzubauen und je nach Typ und Art war es leichter oder schwerer. Aber das hier war etwas komplett anderes. Als kämen sie von ganz wo anders her. (wenn das Namen sind aber alle Digimon doch Digimon-Namen haben was ist der logische Schluss?) „Wenn alles in dieser Welt eine Reihe von Daten sind... Aber diese Daten mit nichts kompatibel sind. Und sich nicht ordnen lassen..“ Dieser Raum. Der Steintisch... Dieses Tor, mit solch einer Aura, so fremdartig und gewaltig, dass es Sanzomons Karma fast erschütterte. Gleich wie von einer anderen Welt. „Du... du hattest Recht, Sorcerymon... Du hast Recht. Ich sehe es. Das ist der Beweis...“ Ergriffen von dieser Erkenntnis, lief Sanzomon einige Schritte zurück, ohne darauf zu achten wohin genau, um das Tor vor sich, der Beweis, dass es doch andere Welten gab, die vielleicht sogar direkt mit der Digiwelt verbunden waren voll und ganz betrachten zu können. Sie lief zurück, ohne über ihre Schultern zu schauen, ihre Augen und alle ihre anderen Sinne komplett auf diese Entdeckung fixiert. Bis sie gegen etwas stieß. „Was treibt Ihr hier?“ Ihr Atem stoppte. Jegliches Körpergefühl ging verloren. Sanzomons Herz fing irgendwann an deutlich zu pochen, aber sie wünschte sich, es würde still stehen. Ihr war, als fiel sie jeden Moment um. Stattdessen wagte Sanzomon, mit ihrem letzten bisschen Mut sich umzudrehen und blickte direkt in Myotismons erbostes Gesicht. Ihr eigenes wurde klamm, ihr Körper zitterte. „Habe ich Euch nicht gesagt, dass Ihr auf mich warten sollt? Solche schlechten Manieren hätte ich Euch nicht zugetraut.“ Sie konnte Abstand zu ihm gewinnen, aber nicht so schnell wie Sanzomon es gerne gehabt hätte. Ihre Beine zu zwingen sich in Bewegung zu setzen glich einem Versuch sich von engen Ketten loszureißen. Sanzomon lief rückwärts von ihm fort, Myotismon aber lief ihr nach. „Ich frage mich ja, wie Ihr es aus der Trance geschafft habt. Und dann führt Euch Euer Weg ausgerechnet hierher.“ „W-Was ist das für ein Tor?“, rief Sanzomon erschüttert. „I-Ist es das, was ich denke?“ „Die Information nützt Euch nicht mehr. Euer Reise endet hier.“ Ein Blick, kälter als eine Winternacht und ohne jeden Hauch von Mitgefühl. Nichts weiter als ein Loch, in dem jedes Licht verloren ging, aber fest auf sie fixiert. Nur die bedrohlichen, langen Eckzähne blitzen auf, Vorboten dessen, was passieren würde. In diesem Moment glich Myotismon seinen Artgenossen, die Sanzomon aus den Erzählungen der Sistermon kannte bis ins letzte Detail. Wieder ging er einen Schritt auf sie zu. Das Echo dieser Schritte und die knirschenden Steine unter Myotismons Stiefeln weckten Sanzomon aus ihrer Starre. Statt aber diesmal wieder einen Schritt zurück zu gehen, festigte sie ihren Stand. Sie ließ ihre Hand kreisen und da erschien ihre rote Perlenkette, die sich um ihre beteten Hände wickelte. „Shushi-“ „Albtraumkralle!“ Der erste Schlag der roten Peitsche traf sie direkt und brachte Sanzomon nicht nur dazu ihr Sutra abzubrechen, sondern auch ihre Halt zu verlieren, der zweite Schlag schlug ihr ihre Malakette aus der Hand, die durch die Luft flog und laut klirrend zu Boden fiel. Sanzomons stand der Mund offen, starrte verwirrt auf ihre Hand, wieder zur Kette und dann zu Myotismon, dem ihre Energie und ihr Sutra plötzlich gar nichts ausmachte. „I-Ihr habt mich reingelegt!“, stellte sie schockiert fest. „Bitte. Ich bin mehrere hundert Jahre alt. Denkt Ihr, ich hätte so lange überlebt, wenn ich mich nicht gegen meinen natürlichen Feind durchzusetzen wüsste?“ „Also seht Ihr mich doch als Feind?! Alles war nur eine Farce?“, schrie Sanzomon erneut, aber diesmal deutlich wütender. Ihr Hals schnürte sich zu. „Ihr seid nicht an geistigen Fortschritt interessiert. Ihr seid also genauso wie die Meister der Dunkelheit! Zerstören, statt versuchen irgendwas an dieser Welt zu verändern!“ „Nun werdet nicht beleidigend“, warf Myotismon ein, weiter emotionslos und unbeeindruckt, auch wenn sie wohl einen wunden Punkt traf. „Die Beziehung zwischen mir und den Meister der Dunkelheit ist komplex. Mir ist egal was sie treiben. Ich will nur meine Ruhe vor ihnen. Doch für Frieden braucht es Kompromisse. Und letztlich sind wir alle dunkle, bösartige Digimon. Wir sind alle gleich. Überrascht Euch das so sehr?“ Mit seinen Schritten kam auch sein Schatten näher. Dieser wurde länger, bis Sanzomon fast komplett von ihm verdeckt wurde, als wollte er sie wirklich verschlingen und abschotten vom Licht dieser Welt. Sie fühlt ihn und die Dunkelheit sogar auf ihren Schultern. „Hat es Euch etwa nicht missfallen, was Ihr gehört habt? Seid Ihr nicht angewidert? Könnt Ihr die Meister der Dunkelheit denn nicht ausstehen, obwohl Ihr nie einen von Ihn getroffen seid? Ihr lebt eine andere Philosophie, aber Ihr unterscheidet Euch kaum von anderen Digimon Eurer Art. Digimon wie wir beide sind von Natur aus Feinde. Licht hasst die Dunkelheit, wie umgekehrt und ihre Beziehung besteht allein darin, sich gegenseitig aufzufressen. Ihr seid selbst Schuld, wenn Ihr so blind in meine Falle lauft. Ich habe Euch gewarnt – Träumer, Naivlinge, Pazifisten – sie werden als Erste in dieser unbarmherzigen Welt untergehen. Vielleicht lehrt Euch diese Erfahrung das in Eurem nächsten Leben. Gruselflügel!“ Eine Schar Fledermäuse flogen aus den Schatten seines Umhangs und stürzten sich direkt auf Sanzomon. Von dem Anblick der zahllosen, schwarzen Tiere übermannt blieb ihr Körper starr. Doch als ihr Pfeifen so erschreckend nah war, kehrte die Kraft in ihrem Armen zurück. Ihre Hände falteten sich zu einem Gebet und auch ohne ihre Malakette fing Sanzomon an mit geschlossenen Augen zu beten. Die Fledermäuse stoppten. Sanzomon hörte sie, ihr Fauchen und ihr Flügelschlagen war nah. Sie zitterte, aber sie konzentrierte sich ihre Energie zu bündeln. „Ihr versucht es weiter?“, fragte Myotismon und er klang mehr danach, als müsste er lachen. Aber Sanzomon ignorierte ihn. Sie sprach weiter ihre heiligen Worte, voller Überzeugung und tiefen Glauben. Die Fledermäuse wichen weiter von ihr. Sie zischten und fauchten, aber trauten sich kein Stück näher an sie heran, zu sehr schreckte diese Macht sie ab. Myotismon trat näher. Er stand zwischen den Fledermäusen. Im Schatten wirkte es fast, als sei er mit ihnen verschmolzen. Von Sanzomons Schutzsutra war er weniger beeindruckt. Sanzomon stierte ihn an, murmelte immer weiter, aber der Schweiß an ihren Schläfen und ihre Fingernägel, die sich in ihre Haut krallten verrieten ihre Angst. „Ihr seid hier in meiner Welt. Meine Fledermäuse und meine Diener könnt ihr Euch mit Euren Stoßgebeten vielleicht vom Leib halten -“ Mit diesen Worten lief er an seinem Fledermäusen vorbei, die noch immer verschreckt von Sanzomon fern blieben. Und nun, da sie sahen wie ihr Meister die für sie unüberwindbare Grenze einfach überschritt, klang ihr Fauchen für Sanzomon, als lachten sie sie aus. „Doch gegen mich seid Ihr machtlos.“ Entsetzt sah Sanzomon zu, wie Myotismon ihr näher kam. Die Fledermäuse tauchten in die dunklen Schatten ein und wurden damit regelrecht unsichtbar. Sie lief zurück und stieß schließlich gegen die Wand. Und Myotismon stand direkt vor ihr und nichts an ihm zeigte an, dass ihr Sutra irgendeinen Effekt auf ihn hätte. Sie war eingekesselt. Ihr Puls stieg an. Vor Angst konnte sie kaum atmen und begann zu stottern. Aber Sanzomon versuchte weiter zu sprechen, leise, aber deutlich. Irgendetwas musste es bringen. Es musste. Sie durfte es nicht aufgeben. Sie machte weiter, so sehr Sanzomon ins Straucheln kam bei Myotismons Anblick. Der Geruch von Tod umhüllte sie. Seine kalte Hand strich ihr über die Wange, aber Sanzomon versuchte so zu tun, als kümmerte sie es nicht. „Ihr seid eben doch noch zu jung, zu leichtgläubig, gutmütig und zu unerfahren. Früher oder später rächt sich dies. Seid froh, dass ich es bin, der Euch dies klarmacht.“ Entsetzt beobachtete Sanzomon, wie Myotismon seine Hand nach ihr ausstreckte, doch nur ihren Schal packte, um ihn schließlich ihr von den Schultern und dem Gesicht zu reißen und warf ihn zu Boden. Sanzomons rote Lippen zitterten und es fiel ihr schwer, ihre Worte deutlich auszusprechen. Wie ausgeliefert stand sie mit dem Rücken zur Wand, in Myotismons Schatten, der sie verschlang. „Und wenn es nichts gibt, was Ihr angeblich fürchtet, dann können wir ja weiter fortfahren. Ihr schuldet mir noch einen Vertrauensbeweis und ich Euch eine Belohnung. Gänzlich undankbar bin ich nicht. Und Ihr habt schließlich mein Wort, dass es Euch gefallen wird...“ Myotismon packte ihre ineinander gefalteten Hände, riss sie auseinander und fixierte Sanzomon an die Wand. Er packte ihre Handgelenk so fest, dass es weh tat. Aber Sanzomon hörte nicht auf ihr Sutra zu sprechen. Weiter und weiter und weiter und versuchte sich darauf zu konzentrieren. Nur darauf. Auch wenn sein Atem ganz dicht an ihrer Haut war. Sie zog die Schultern an, aber ihr Gebet verstummte nicht. „Hör auf Euch zu wehren. Ihr zögert es nur hinaus. Ich weiß, dass ihr es wollt. Denkt Ihr, ich habe nicht bemerkt, wie Ihr mich anstarrt?“ Die Scham über diesen Vorwurf (wenn auch nicht unbegründet) machte Sanzomons erst sprachlos, bis sie seine Lippen auf ihrer Schulter fühlte und versuchte, ihrem Hals näher zu kommen. Doch sie zog ihre Schultern weiter hoch und ihren Kopf ein, um ihren Hals zu schützen. Myotismons Versuche, ihre Muskeln durch Streicheln oder Küsse zu entspannen scheiterte. Entweder verkrampfte sich Sanzomon noch mehr oder sie versuchte, obwohl er sie weiter von ihm festgehalten wurde von sich zu drücken. Und sie betete weiter. „Hört damit auf. Es nützt Euch nichts. Gibt Euch einfach hin. Das wolltet Ihr doch schon die ganze Zeit. Ihr wollt wissen, wie das hier ist.“ Aber Sanzomon betete weiter. Sie flüsterte nur, aber in ihrem Kopf waren die Worte laut. Sie war sich sicher, es nützte etwas. Helle und dunkle Mächte verursachten immer eine Reaktion, trafen sie aufeinander. Immer. Und musste mehr geben wie nur Zerstörung. „Hört. Endlich. Auf.“ Ihr Sutra verstummte nicht. Sanzomon betete inbrünstig weiter, zwar leise, zwar nervös und von Angst gehemmt, aber dennoch verlor die Kraft dessen nicht ihre Intensität. Sie sprach weiter, hoffend, dass etwas geschah, etwas das ihr half. Etwas was nicht zum Tod eines oder beider Seiten führte. Sie machte weiter. Und weiter. Weiter. Weiter weiter wei- „Schluss damit!“ Seine Faust schlug neben Sanzomon in die Wand ein. Der Knall hallte durch die Höhle und Sanzomon rührte sich keinen Millimeter mehr, nicht einmal ihre Lippen. Sie starrte nur die Faust an, wartend, was passieren würde. Doch es geschah nichts. Sekunden verstrichen ohne dass weder sie, noch Myotismon sich rührten. Irgendwann nahm sie ihren Mut zusammen und sah in sein Gesicht und daraufhin trafen sich wieder ihre Blicke. Seine Augen war zornig und vorwurfsvoll. Zwar betrachtete Myotismon noch immer ihren blanken Hals doch man sah ihm an, dass ihm der Hunger vergangen war und diese Tatsache verstimmte ihn noch mehr. Blut und Furcht war vergleichbar mit einer versalzenen Suppe, doch das diese bekam man durchaus noch hinunter. Blut aber ohne jeden Hauch von Leidenschaft und des Wollens war ungenießbar. Und in dieser Situation empfand Sanzomon weder Hingabe, noch Wollen. Und Myotismons Sinn für Ästhetik war zu groß, wie auch sein Stolz, um darüber hinwegzusehen, geschweige denn um sich auf so ein niedriges Niveau zu begeben. Unsanft packte Myotismon ihr Kinn, als Sanzomon versucht wegzusehen. Die Manie und die Bosheit war erloschen. Sie würde nicht sagen, dass sein Blick sanft war, aber zumindest weniger furchteinflößend. „Euer Glück ist, dass ich im Gegensatz zu gewissen anderen Exemplaren meiner Art noch ein Hauch Ehrgefühl besitze. Und ich keine Pazifisten angreife“, sagte er mit zusammengepressten Zähnen. Er ließ Sanzomon los und trat schließlich einen großen Schritt von ihr zurück. Ungläubig stand sie da. Hatte sie ihn mit ihren Sutra doch erreicht und zurück zur Besinnung gebracht? Oder waren ihm seine Prinzipen so wichtig, dass er sich ganz aus freien Stücken entschied? „Geht. Packt Eure Sachen und verschwindet von hier. So schnell wie möglich. Bevor ich es mir anders überlege.“ Etwas geschockt stand Sanzomon immer noch da und letztlich setzte sie sich langsam in Bewegung. Wenn auch nur für ein paar Schritte. Sanzomon blieb stehen, eigentlich nur um ihren Schal aufzuheben der auf dem Boden zwischen ihr und Myotismon lag. Ihre Beinen zitterten. Sie war dem Tod gerade so entkommen, oder vielleicht einem schlimmeren Schicksal als dieses, doch trotz dieser Angst sah sie doch auf. Vor Wut presste Myotismon die Lippen zusammen, sein Blick, geradezu tödlich, starr auf sie gerichtet. Obwohl sie gerade aus einer tödlichen Situation entkam schämte Sanzomon sich ein wenig. Sie wollte ein Danke herauspressen, weil er sie doch verschonte, aber seine Wut schüchterte sie ein. Und auch wenn es eine Falle war, hatte Sanzomon nie das Gefühl, auch nach dem hier nicht, dass Myotismon schauspielerte. Von seinen Essgewohnheiten abgesehen mochte er nicht das sympathischste Digimon sein, aber dafür ein interessantes Digimon. Ein sehr interessantes. Sie wollte nicht so mit ihm verbleiben. Sie wollte nicht wieder einfach gehen, wie es damals in ihrer Heimat war. Und sie weiß immer noch so wenig über ihn. Viel zu wenig. Dann brachen Sanzomons aufgestaute Gefühle, die sie seit gut drei Wochen in sich bündelte und zu unterdrücken versuchte aus. In dem Augenblick, als Myotismons Lippen kein Strich mehr waren, sondern sich wieder in ihrer ganzen Fülle zeigten versiegte jeder Hauch von Vernunft wie Überlebenstrieb in Sanzomon. Ihren eben erst aufgehobenen Schal ließ sie wieder fallen, ihre Armen breiteten sich aus, nur um sich dann in Myotismons Nacken wieder zu umfassen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, musste sogar etwas hochspringen um schließlich das zu tun, was sie schon eine ganze Weile tun wollte. Seine Lippen waren wirklich so kalt, wie sie es erwartete. Dadurch fühlte sich dieser Kuss erst ziemlich merkwürdig an. Steif, fast leblos, bis sich ihre Lippen bewegten und seine mit ihren. Sanzomon spürte seine Zungenspitzen, dann die Zähne, die an ihren Lippen nagten. Vielleicht ein Test, vielleicht um sie einzuschüchtern, aber Sanzomon unterbrach den Kuss nicht, erst als sie glaubte, die Wärme in ihrem Gesicht raubten ihr die Vigilanz und die Kraft in ihren Gliedern. Myotismon war im Gegensatz zu ihr schlicht perplex, wenn dieses Gesicht auch etwas humoristisches an sich hatte, wenn man sonst nur seine steife, arrogante und eher emotionslose Mimik kannte. Sanzomons Gesicht hingegen glühte in einer Mischung aus Scham und Erregung. Ihre Augen leuchteten, ihre Lippen kribbelten. Gerade, als Sanzomon sich jedoch einen Schritt von ihm entfernen wollte, packte Myotismon sie an den Schultern und hielt sie an Ort und Stelle fest. „Glaubt Ihr wirklich, Ihr könntet mich damit besänftigen?“, knurrte er. Ihre Gesichter waren sich so nah, dass sich fast ihre Nasenspitzen berührten. „Es...“ Sanzomon bekam kein Wort heraus. In ihrer Brust hämmerte es und ihr Hals war immer noch trocken. Ein paar Mal versuchte sie unauffällig mit ihrer Zunge über ihre Lippen zu lecken, die sich wieder danach sehnten Myotismon nochmal zu küssen und hätte Sanzomon nicht doch noch etwas Angst, hätte sie es vielleicht sogar getan. „... es kam einfach über mich. Ich wollte nicht gehen, ohne zu wissen, wie sich... -“, Sanzomon warf einen verstohlenen Blick auf Myotismons Lippen, dann wieder in sein Gesicht, „- das anfühlt.“ „Habe ich Euch nicht gewarnt? Habe ich Euch nicht gesagt, dass das Verlangen, insbesondere Neugier ins Verderben führt, wenn man es nicht unter Kontrolle behält?“ Myotismon drückte sie zurück, bis Sanzomon mit ihrem Rücken wieder die Wand berührte. Sie war regelrecht eingezwängt zwischen diesen Digimon und der Steinwand und traute sich kaum tief nach Luft zu schnappen. Myotismon sah ihr tief in die goldenen Augen, die umringt waren von langen, schwarzen Wimpern und Sanzomon starrte in seine. Er versuchte diesmal nicht sie hypnotisieren. Kein Schwindel, keine Müdigkeit. Er schien erzürnt, doch irgendetwas war anders als zuvor und es gab ihr die Sicherheit, dass er sie nicht versuchen würde umzubringen. Sie konnte nicht sagen, was er als nächstes tun würde. Umso mehr wollte sie es wissen und mit jeder Sekunde, die schweigend an ihnen vorging stieg Sanzomons Aufregung in ihrem Körper an. Dieses Digimon war so undurchsichtig wie eh und je. Aber umso mehr wollte sie ihn. Sie wollte ihn. „Und wie ich sehe, scheint Ihr Euch nicht zu schämen.“ „Kein bisschen“, hauchte Sanzomon und atmete dabei flach und zitternd, aber weiter in seine Augen starrend. Ihr Brustkorb hob sich, sank wieder und bei jedem Mal spürte sie das warme Ziehen in ihrem Unterleib. Die Luft erschien ihr plötzlich so dünn und ihr Kleider empfand sie als lästig. Myotismons Gesicht kam ihrem noch ein Stück näher. Sie zuckte, wich aber nicht aus oder wandte ihren Blick ab. Sie konnte immer noch nicht klar aus ihm lesen, was er empfand oder dachte. Aber er würde sie nicht töten, da war sie sich sicher. Aber was würde er tun, oder was wollte er nun mit ihr machen? Aber was immer es war, sie wollte es wissen. Sie wollte. Sie wollte es so sehr, dass sie die Spannung kaum mehr aushielt. Im Gegensatz zu Myotismon war Sanzomon ein offenes Buch. Er sah, wie sehr sie es wollte und ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. „Ihr überrascht mich immer wieder“, lachte er. Das letzte bisschen Distanz zwischen ihnen ging vollständig verloren und er flüsterte ihr ins Ohr: „Ich frage mich ja, wie weit ihr für Eure Neugierde gehen würdet.“ Seine Hände auf ihren Schultern lösten sich, fuhren jedoch ihren Körper hinab, dann verschwanden sie unter ihrer Robe und und griff nach ihren Brüsten. Sanzomon blieb erst starr, unsicher was sie tun oder wie sie reagieren sollte. Myotismons Hände waren kühl, aber anfangs blieb er sanft, strich ihre Rundungen nach, aber stetig wurde sein Griff fester. Und gerade als Sanzomon anfing es dennoch, trotz der Unsicherheit, trotz des es ein wenig weh tat zu genießen, fuhr er weiter hinab. Seine schmalen Finger wanderten ihren Bauch hinab und streichelten sie genau dort, wo sie dieses Ziehen spürte. „Hört nicht auf damit... Bitte...“ „Ganz wie Ihr wollt.“ Wieder packte er Sanzomon an den Schultern, diesmal jedoch um sie umzudrehen. Ihre Krone rutschte vom Kopf und fiel und während sie sich gegen die Wand lehnte, hörte sie, wie der schwere Stoff von Myotismons Umhang zu Boden ging. Dann auch seine Handschuhe, ehe er Sanzomons Oberwand herunterriss und ihre weiße Robe weit genug öffnete, bis ihre Oberweite gänzlich entblößt war. Nun ohne die Handschuhe war der Griff um ihre Brust geradezu eisig. Die andere Hand jedoch legte Myotismon auf ihrem Schenkel ab und fuhr langsam nach oben, unter den Stoff und zwischen ihre Schenkel. Ihre Beine öffneten sich fast von selbst. Ihre Selbstkontrolle schien wie aufgelöst und Sanzomons Verstand taumelte zwischen der immer stärker werdenden Wollust und der Scham, gerade weil es ihr so sehr gefiel. Ihr Körper wandt sich, eingezwängt zwischen Myotismon und der Steinwand, seine Finger glitten immer wieder in sie und wieder heraus und brachte sie dazu, dass Laute ihre Hals verließen, die Sanzomon nie zuvor von sich selbst hörte. „Klingt ganz danach, als gefällt Euch das“, hauchte Myotismon ihr zu. Sein Griff um ihre Brust wurde fester, seine Finger schob er tiefer in sie hinein. Er sog ihre Haut in den Mund, roch an ihrem Haar und sachte biss Myotismon in ihre Haut. Nicht direkt in den Hals, nicht zu fest, aber auch nicht zaghaft. Zwar überkam Sanzomon Angst, als sie seine Zähne spürte – doch gleichzeitig erregte dieser Schmerz sie noch mehr. „Ihr seid grob...“ „Ihr sagtet nicht, dass ich aufhören soll. Und so wie Ihr Euch anfühlt, wollt ihr das auch gar nicht.“ Sanzomon versuchte zu antworten, um nicht einfach das letzte Wort zu überlassen, aber mehr wie ein Stöhnen kam nicht aus ihr heraus. Abrupt ließ er jedoch von ihr ab. Keuchend lehnte sich Sanzomon gegen die Wand und lauschte, wie Myotismon seine Gürtelschnallen öffnete und dann wieder ihre Hüften packte. „Bevor man in die Welt hinausgeht, sollte man zuerst sich selbst gut genug kennen. Es gibt viel über sich zu erfahren, aber nur zwei Dinge, denen man sich wirklich im Klaren sein muss. Seine höchsten Prioritäten und seine niedersten Triebe. Eines scheint Ihr ja bereits gut genug zu kennen. Und was das andere betrifft, so helfe ich Euch gerne, es zu begreifen.“ Seine Hüfte presste sich an ihre – dann war er in ihr. Im ersten Moment erschrak Sanzomon sein dem stechenden Schmerz. Sie biss sich auf die Unterlippen, konnte aber ein Wimmern nicht gänzlich unterdrücken. Sie hörte Myotismons Atem direkt hinter sich und auch er klang nicht mehr so gefasst und so ruhig, wie sie ihn eigentlich kannte. „Bereut Ihr es etwa schon?“ „Niemals würde ich das...“ Sanzomon hörte sein Lachen, dann, mit einem zweiten, kräftigen Stoß war er vollständig in ihr, begleitet von einem tiefen und leisen aufstöhnen. Myotismons Hände hielten Sanzomon in ihrem Griff, als er langsam begann sich aus und wieder in sie zu bewegen. Schmerz überkam Sanzomon, sie biss sich auf die Lippen, ihre zu Fäusten geballten Hände so stark verkrampft, dass die Knöchel weiß wurden. Er hatte kein Mitleid mit ihr. Myotismon hatte zwar vorsichtig begonnen, aber seine Stöße wurden nach kurzer Zeit härter, erregt von Sanzomons Zittern, dass er in seinem Schoss spüren konnte und ihrer Enge, die sich so warm und feucht um ihn schloss. Aber, wenn auch hart und schmerzlich, so musste Sanzomon sich schnell eingestehen, dass es ihr gefiel. Mit dieser Erkenntnis verging der Schmerz mit jedem Mal mehr. Es gefiel ihr, obwohl sie nie daran gedacht hatte so etwas zu tun, die Vernunft beiseite zu legen und der körperliche Neugierde zu verfallen, geschweige denn mit einem Digimon dieser Sorte. Es war nicht nur das spüren eines anderen Digimon in ihren Innersten, über eine der intimsten Grenzen hinaus, auf eine gewisse Weise spürte sie sich selbst und einen Teil von sich, der ihr bisher unbekannt gewesen war. Ein Teil, der das wollte. Myotismon in sich zu spüren fühlte sich gut an und ihr Körper entspannte sich, erlaubte ihr die Augen zu schließen, um sich von den Bewegungen treiben zu lassen. „Myotismon...“, keuchte sie, doch ihr Mund war so trocken und als Sanzomon noch ein weiteres Mal nach ihm schreien wollte, ging dies in einem Stöhnen verloren. Wieder hörte sie ihn leise lachen. „Hört nicht auf. Ruft immer schön weiter nach mir, dann gebe ich Euch alles was Ihr und Eure schreckliche Neugierde so sehr brauchen.“ Sie versuchte es, konnte aber nicht. Sanzomon verlor die Kontrolle über sich, ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr, der sich nach mehr Stößen und Berührungen sehnte und dies durch rasches Keuchen und Atmen zeigte. Sanzomon hob ihre Zehen an, schreckte ihren Rücken durch, um Myotismon entgegen zu kommen, ihn tiefer in sich spüren zu können. Seine rechte Hand ließ ihre Hüfte los, packte Sanzomons Brust, strich mit den Finger über die Haut ihres Oberkörpers, während die andere ihr Becken näher zu sich zog. Sein eigener Atem streifte ihren Nacken, als er sein Tempo beschleunigte, kräftiger in sie stieß und die Luft in den Raum, in dem kein Digimon sah oder hörte, was sie taten, mit ihren Stöhnen füllten. „Myotismon, ich.. ich will Euch küssen...“ Er antwortete ihr nicht, sie sah ihn nicht und doch spürte Sanzomon, wie Myotismon auf sie blickte und langsamer wurde. „Ich will – ich will in Euer Gesicht gesehen. Ich will Euch küssen, Euch dabei in die Augen sehen, ich brauch das, bitte, ich brauch Eure Lippen so sehr!“ „Küssen wollt Ihr mich...“, hauchte Myotismon ihn ins Ohr und fast schon provokant berührten seine kalten Lippen ihre Schulter, wanderten dann zu ihren Nacken. Wieder kam ein Zittern über sie, diesmal ausgelöst durch die Erregung, die sie bei dieser kühlen, aber zarten Berührung empfand. „Habt Ihr das denn verdient?“ „Bitte... Ich...“ - ihre Stimme versagte wieder kurz, als seine Zungenspitze ihren Nacken berührte - „... brauche das.“ „Wenn Ihr weiter so schön bettelt, überlege ich es mir vielleicht.“ Sein Atem streifte ihre Wange kurz. Sanzomon versuchte ihren Kopf zur Seite zu drehen, um so seinem Gesicht und damit seinen Lippen entgegenzukommen. Doch Myotismon wich ihr aus, die Lippen weiter auf ihrer Haut. „Ich... bitte Euch, Meister... Bitte, Meister Myotismon, küsst mich...“ „Gut. Braves Mädchen...“ Dann, gänzlich unerwartet, ließ Myotismon von ihr ab, ließ Sanzomon für einen winzigen Moment auf wackligen Knien stehen, ehe er sie packte und ihren Körper zu sich drehte. Sie sah direkt in seine Augen und er in ihre, während Sanzomon sich an ihm festhielt, da sie allein kaum mehr fähig war ihr Gleichgewicht zu halten. Myotismons Hände packten sie unter ihren Schenkel und hob Sanzomon damit hoch, presste ihren Körper gegen die kalte Wand hinter ihr und drang wieder in ihr warmes Inneres ein. Alles unter Sanzomons Blicken, ihre goldenen Augen sahen ihn direkt an, starrten auf die blauen Lippen, ehe Sanzomon einen Kuss auf diese legte, von Myotismon erwidert, der mit seinen Bewegungen fortfuhr, als hätte es diese kleine Unterbrechung gar nicht gegeben. Sanzomons Arme legten sich um seinen Körper, ihr Beine hingen in der Luft. Was sie hielt war einzig Myotismon, dessen Fingernägel sich in ihre Schenkel vergruben und dessen Körper ihren gegen die Wand drückte, während sie sich dem Rhythmus ihre Hüften hingaben, den Geschmack fremden Speichels und den Geruch seiner Haare genoss, durch die ihre Hände fuhren. Sanzomon schnitt sich ihre Lippen an Myotismons Eckzähnen, dennoch ließ sie seine Zunge in ihren Mund. Ihr Rhythmus änderte sich, die Stöße wurden schneller und so tief, genau gegen die empfindlichste Stelle in ihrem Inneren, der Sanzomon endgültig in Ekstase verfallen ließ, zusammen mit der Vibration ihres Körpers, jedes Mal wenn sie gegen die Wand gedrückt wurde. Die Härte und die Tiefe ließen Sanzomon keine andere Wahl als den Kuss zu lösen, sich noch für einen Augenblick dem Gefühl in ihrem Bauch hinzugeben, bis sie schließlich, ihr Kopf von Lust benebelt und mit einem lauten Stöhnen kam. Ihre Finger krampften, ihr Inneres zog sich zusammen und umfasst von dem Beben dieses zierlichen Körpers, der plötzlichen Enge und der Nässe, die ihm noch einen letzten, tiefen Stoß erlaubte, erreichte auch schließlich Myotismon seinen Höhepunkt. Als Sanzomon die Wärme spürte, die in ihr zerfloss, entspannte sich ihr Unterleib wieder. Für einen Moment verharrten sie in dieser Haltung und nur lautes Atmen war zu hören. Ganz langsam lösten sich die angespannten Muskeln wieder, genauso wie die Kraft, die Myotismon noch auf den Beinen hielt und mit Sanzomon in seinen Armen rutschten beide zu Boden. Sie war erschöpft. Ihr war noch etwas schummrig, aber gleichzeitig fühlte sich Sanzomon so leicht. Ihre Beine und Finger zitterten, die sich noch an Myotismon festklammerten. Sein Gesicht blieb in ihrer Halsbeuge vergraben. Mit seinen Zähnen in ihrem Hals. Sanzomon wehrte sich jedoch nicht. Sie hörte was Myotismon tat, sie hörte ihn schmatzen und roch den Geruch ihrer eigenen Daten, die in ihrer Vorstellung genauso rot waren wie die ihr vertrauten Wälder. Aber sie genoss es, während ihr Bewusstsein dahin schwamm. Rotes Flackern vor ihren Augen. Dann verliefen die Farben vor ihr.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)