1820 von Kikki_Sheep (Schatten hinter dem Schrank) ================================================================================ 1820 – Hamburg Die Industrialisierung Deutschlands war im vollen Gange. Riesige Fabriken schossen aus dem Boden, wie Unkraut das nicht vergehen wollte. Die Luft die wir atmeten wurde dunkel und schwer. Nur noch außerhalb der Stadt konnte man einen tiefen Luftzug nehmen ohne das die Lunge anfing zu brennen. Plötzlich führten Eisenbahnschienen durch das ganze Land, schwere Stahlkolosse brachten einen von A nach B. Und wer es sich leisten konnte, reiste in der ersten Klasse um bei einem feinen Glas Champagner oder Wein die Aussicht zu genießen die einem geboten wurde. Die Welt befand sich im Wandel, alles wurde fortschrittlicher. Und selbst so banale Dinge wie Wäsche waschen, begannen sich zu verändern. Aber eines blieb leider nach wie vor gleich. Es war noch immer eine Welt die von Männern regiert wurden. Als Weibsbild hatte man lediglich die Aufgabe ein nettes Accessoire zu sein und Kinder in die Welt zu setzen. Die Damen der höheren Gesellschaftlichen Schicht jedoch hielten es nicht einmal für nötig den Nachwuchs selbst groß zu ziehen. Für die Kindererziehung und den Haushalt hatte man schließlich Angestellte. Ich kam aus einer gutbetuchten Familie. Mein Vater hatte sein Geld mit dem Abbau und dem Verkauf von Eisenerz gemacht. Ein teures Gut das in der heutigen Zeit wichtiger denn je geworden war. Und seinem Wohlstand verdankte ich es, das er in der glücklichen Position war meinen Ehemann aussuchen zu können. Ich war die Erbin eines großen Imperiums und politische oder geschäftliche Hochzeiten waren keine Seltenheit. Vater wählte für mich den Geschäftsführer von Global Transfers Unlimted. Der weltweit führender Hersteller von Dampfbetriebenen Zügen der Luxusklasse. Sein geschätztes Vermögen belief sich auf mehrere Millionen Mark. Und zu dem sagte man ihm nach ein wahrer Gentleman zu sein. Ob ich das jedoch glauben konnte, würde ich wohl noch früh genug erfahren. Richard war Anfang vierzig. Er hatte gepflegtes Haar, das vereinzelnd bereits graue Strähnen aufwies und seine Kleidung entsprach seinem Stand. Und auch wenn ich es nur ungern zugab, er hatte tatsächlich das charmante Lächeln vor dem mich meine Freundin Marie gewarnt hatte. Aber ich nahm mir fest vor nicht auf seine Höflichkeit herein zu fallen. Zu meiner Überraschung respektierte er meine Wünsche. Er blieb auch wenn wir alleine waren Höflich und Respektvoll. Unsere Hochzeit war für den Sommer angesetzt, damit man ein eindrucksvolles Gartenfest ausrichten konnte. Doch schon jetzt sollte ich bei ihm einziehen um mir einen Eindruck von seinem Leben zu machen, mich daran zu gewöhnen ihn um mich zu haben. Und als die gute Tochter zu der ich erzogen wurde, leistete ich den Anweisungen Folge. Richard besaß ein Herrenhaus etwas außerhalb der Stadt. Und schon bei meiner Ankunft dort merkte ich wie viel reiner und wohlduftender die Luft dort war. Es war kein Vergleich zu der Stadt aus der wir kamen. Auch wenn Hamburg eine durchaus reizvolle Stadt war. Nach einem kurzen, aber dafür reichhaltigem Mahl führte man mich herum und zeigte mir alle Räume von denen ich wissen musste, ehe man mich zu einem Zimmer im oberen Stockwerk brachte. Meine Kleidung war bereits fein säuberlich im Schrank verstaut worden. Und ein erster flüchtiger Blick verriet mir das sich auch das ein oder andere Neue Kleidungsstück in den Schrank verirrt hatte. Vermutlich musste ich nun gewisse Standards erfüllen. Aber mit meinen gerade einmal achtzehn Jahren war mir die Jugend noch hold. Ich hatte langes, gewelltes blondes Haar, grelle blaue Augen und eine zierliche Statur. Genau das wovon viele Männer gewiss zu träumen wagten. Auch wenn ich mir die Details dieser Träume sicherlich nicht genauer ausmalen wollte. Rasch erklärte man mir noch wann ich mich zum Frühstück hinunter begeben sollte, dann wurde ich bereits alleine gelassen. Und hier stand ich nun, in mitten eines fremdes Hauses, umgeben von fremden Gesichtern und sollte mich zu Bett legen. Nervös schlug mein Herz ein wenig schneller als ich mich entkleidete. Eine kleine Stimme in meinem Kopf riet mir wachsam zu sein und auf Schritte zu achten, sollte jemand unangekündigt herein platzen. Ich wusste genau das kein Angestellter sich das erlauben würde, Richard würde ihn gewiss ohne zu zögern vor die Tür setzen, dennoch blieb diese Furcht bestehen bis ich mich in mein Nachthemd gehüllt hatte und nun unter die Decke kuschelte. Ich löschte noch das Licht und zog die Decke bis zu meinem Kinn hoch, fast wie eine Art Schutzpanzer. Noch immer hatte sich mein Herz nicht wirklich beruhigt. Alles hier war so anders wie daheim. Es roch gänzlich anders, von draußen klang ein leises Klackern und Poltern in der Ferne von den Eisenbahnschienen die selbst zu dieser unchristlichen Stunde noch befahren wurden. Der Raum wirkte wie eine Todesfalle auf mich, bedrohlich, unnachgiebig und bereit mich jederzeit zu verschlingen. Mein Blick schweifte über die Möbelstücke hier. Handarbeit, gewiss und teuer waren sie, aber sie ließen den Raum nicht weniger bedrohlich für mich erscheinen. Die feinen Schnitzereien auf den Schranktüren wirkten fast wie lachende Fratzen die mich anstarrten. Aber ich redete mir ein das da nur meine Fantasie mit mir durchging. Ich hatte schon immer eine lebhafte Fantasie. Mutter pflegte stets zu sagen das ich ein Schriftsteller geworden wäre, wäre ich nur ein Mann geworden. Durch die Scheiben des Fenster drang schwach das Licht des Mondes, das immer wieder von Wolken verdeckt wurde und über dem Schreibtisch am anderen Ende des Zimmers, thronte ein Bild das ich im Dunkeln nicht mehr erkennen konnte. Es wirkte fast wie ein schwarzes Loch, dort mitten an der Wand. Aber alles in allem war es doch harmlos, oder? Fremd...und noch ein wenig unbehaglich, aber hier war nichts was mir gefährlich werden konnte. Kurz zeichnete sich ein Lächeln auf meinen Lippen ab. Wie kindisch ich doch war, sich im dunkeln zu fürchten. Noch einmal ließ ich rasch meinen Blick durch das Zimmer schweifen, als Bestätigung das sich dort niemand außer mir befand, dann schloss ich meine Augen. Aber....Moment, hatte ich da nicht eben etwas aus dem Augenwinkel heraus gesehen?! Von der Panik getrieben riss ich meine Augen sofort wieder auf kaum das ich sie geschlossen hatte und blickte zu dem Schrank herüber. Er stand unverändert dort aber...ich traute meinen Augen kaum. Hinter dem Schrank schien etwas hervor zu blicken. Eine dunkle Gestalt, mit grellen weißen Augen. Mein Herz schlug augenblicklich ein wenig schneller, während ich meinen Atem stoppte in der Angst damit etwas heraufzubeschwören was ich nicht zu kontrollieren vermochte. Das musste Einbildung sein, sicher spiegelte sich dort nur etwas an der Wand. Vielleicht die Vorhänge....oder dort hing ebenfalls ein Gemälde. Verzweifelt versuchte ich mir einzureden das ich überreagierte. Das hier eben noch alles Fremd war für mich und das es keinerlei Grund für mich gab mich zu fürchten. Und gerade als ich meine eigene Lüge fast glauben wollte, bewegte sich der Schatten hinter dem Schrank. Mein Herz schlug mittlerweile so schnell das ich seinen Takt in meinen Ohren spürte, ich spürte wie das Blut in meinen Adern floss und selbst das kleine rascheln der Bettdecke wirkte auf mich wie Ohrenbetäubender Lärm. Schatten bewegten sich nicht! Schatten hatten keine Augen! Wie erstarrt sah ich weiter zu dem Schatten herüber, der sich nun weiter aus seinem Versteck traute. Der Raum wurde zunehmend dunkler und selbst der Mond vermochte ihn nicht mehr zu erhellen. In meinem Kopf rauschte es. Sollte ich nicht irgendetwas tun? Sollte ich nicht schreien, kämpfen oder vielleicht einfach die Flucht ergreifen? Ich klammerte mich in die Decke die ich nun bis zu meiner Nase hoch gezogen hatte. Unfähig den Blick abzuwenden starrte ich auf den Schatten, sah zu wie er immer näher kam. Wie diese grellen weißen Augen mich fixierten wie ein Raubtier seine Beute fixierte. Und als ich dann einen Arm in der Dunkelheit ausmachen konnte der nach der Decke griff, konnte ich nicht länger ignorieren was hier vor sich ging. Hektisch und wenig elegant sprang ich auf, spürte den kalten Holzboden unter meinen Füßen und rannte in den schmalen Flur hinaus. Mein Schlafzimmer befand sich zusammen mit einem kleinen Badezimmer und Richards Büro auf einer Ebene. Ich rannte daher den Flur entlang, vorbei an der Treppe die vielleicht meine sichere Flucht bedeutet hätte und hämmerte panisch gegen Richards Bürotür. Ich spürte eine Eises Kälte in meinem Nacken, als wenn etwas an mir zerren würde. Ein rascher Blick über meine Schultern verriet mir das sich der Schatten nun ebenfalls aus dem Zimmer bewegte. Mir lief die Zeit davon! Ich hämmerte also um so energischer gegen die Tür, ehe Richard mir endlich öffnete und ich fast in seine Arme fiel. Er hatte wohl wütend eine Rede halten wollen wer ihn zu solch später Stunde noch störte, aber mein angsterfülltes Gesicht hinderte ihn daran. Mit einer fast schon unwirklich sanften Stimme fragte er mich was passiert sei. Ich kam mir dämlich vor ihm davon zu berichten, aber ich wusste was ich gesehen hatte. Und ich war bei klarem Verstand gewesen, es war kein Traum! Ich konnte an der Veränderung in Richards Stimme deutlich hören das er ein wenig genervt von mir schien. Da rettete mich auch nicht mein jugendliches Aussehen. Er versuchte mich zu beruhigen, erklärte mir das hier nur alles ungewohnt für mich sei und das ich mich wieder schlafen legen sollte. In ein paar Nächten hätte ich mich an alles gewöhnt. Und damit war das Thema für ihn dann im Grunde auch beendet. Und da ich keine weiteren Umstände machen wollte und im Flur nichts mehr von dem Schatten erblicken konnte, willigte ich ein. Er wünschte mir noch eine gute Nacht und schloss die Tür. Kurz war ich versucht erneut zu klopfen, ihn zu fragen ob er mich in mein Zimmer begleiten könnte. Aber...was für einen Eindruck würde das machen? Sicher zweifelte er jetzt schon daran ob ich die Richtige für ihn war. Ein leises Seufzen verließ meine Lippen, bevor ich mich wieder umdrehte um zurück zu meinem Zimmer zu gehen. Ich blickte direkt in ein tiefschwarzes Gesicht. Dort wo sich die Augen befinden sollten, waren zwei grelle weiße Löcher, die mich trotz der Leere darin zu fixieren schien. Ein finsteres Grinsen lag auf der Lederähnlichen Haut des Schatten, die ich zuvor nicht als Haut ausgemacht hatte. Lange, dürre, knochige Finger streckten sich nach mir aus und noch ehe ich zu einem Schrei ansetzen konnte, legten sie sich bereits um meinen Hals. Panisch schnappte ich nach Luft, aber je verzweifelter ich wurde, desto fester drückte dieses....Ding, mir die Kehle zu. Mit nur einer einzigen Hand die es fest auf meine Haut presste. Ich spürte die Panik immer größer werden in mir. Ich bekam keine Luft und wenn ich versuchte nach dem Ding zu greifen um mich von ihm zu befreien, griff ich ins Leere. Wie sollte man etwas bekämpfen das man nicht berühren konnte? Mir verschwamm die Sicht. Alles drehte sich und mein Kopf fühlte sich unendlich schwer an. Zu schwer als das mein Hals ihn tragen konnte. Und dann....wurde alles schwarz um mich herum. Ich spürte eine Kälte die ich zuvor noch nie gespürt hatte. Sie fuhr in meine Glieder und ließ mich nicht mehr los. Aber trotz all der Kälte die ich spürte, fühlte ich mich so leicht wie noch nie. Es war als hätte man alle Last von mir genommen. Als ich mich traute meine Augen wieder zu öffnen, erkannte ich auch wieso ich mich so leicht fühlte. Man hatte mir tatsächlich eine Last abgenommen. Die Last meinen eigenen Körper zu tragen. Denn mein Körper....lag dort auf dem Boden, regungslos. Während ich in dem Flur stand und den Schatten in meinem Zimmer verschwinden sah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)