Der eine zählt des anderen Tassen von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 23: Hitze ----------------- „Was? Was soll das?“, stammelte sie und wandte sich um. Er stand in einigem Abstand hinter ihr, sah sie an. Sie schüttelte den Kopf, als er keine Anstalten machte zu antworten. In der Schule, da hätte sie … ja, da hätte sie …, aber hier und jetzt? Sie holte tief Luft und versuchte überdies die Erschöpfung niederzuringen. Doch das gelang ihr nicht, zu lang war sie schon nicht mehr gelaufen und zu sehr hatte sie sich in diesen wenigen Momenten verausgabt. Sie keuchte leise und wollte sich schon wieder abwenden, als sie ihn sagen hörte: „Ich habe mich in dich verliebt.“ „Was?“ Es durchzuckte sie mit solcher Heftigkeit, dass sie wieder nach Luft schnappte. Er nickte, tat einen Schritt auf sie zu. „Ja …“ „Ja … und …?“, stieß sie hervor. „Denkst du, dass es das ist …?“ Sie unterbrach sich und fuhr sich mit der Hand über den Mund. „Darf ich das nicht sagen?“, entgegnete er. „Klar darfst du …“ „Du musst mir glauben, dass ich das noch nie erlebt habe.“ „Ach“, machte sie nur, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, und starrte ihn nur wieder an, ehe sie sich abwandte. „Ich verstehe, wenn du …“, setzte er neuerlich an, „… wenn du meine Gefühle nicht teilst, doch wollte ich sie dir mitteilen. Meine Mutter sagte immer wieder – zuletzt noch auf dem Krankenbett vor zwei Jahren …“ Wieder unterbrach er sich und sie spürte irgendwie, dass er hinter sie getreten war. Sie zwang sich indes, nicht zu reagieren und ihren Blick einfach über das weite Land jagen zu lassen. Dabei holte sie einige Male tief Luft, ehe Jakobs Stimme wieder an ihr Ohr drang: „… Sie ist gestorben, ohne, dass ich ihr diesen Wunsch hätte erfüllen können … Junge, sagte sie, wenn du eine Frau findest, für die du meinst,etwas zu empfinden, dann lass sie nicht wieder gehen.“ „Sagte sie das?“, schnappte Lene und wandte sich abrupt um. Beider Blicke trafen sich. „Sie ist gestorben“, wiederholte er und sah sie unverwandt an. „Es war Lymphdrüsen …“ „Es reicht“, unterbrach sie ihn und fuhr sich mit der Hand über den Mund. „Es reicht!“ Er schwieg tatsächlich, rührte sich auch nicht. Stand nur da, den Blick gesenkt, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Beinahe demütig wirkend. Lene wusste nicht, was sie von all dem halten sollten, wusste noch viel weniger, wie damit umgehen. Und so betrachtete sie ihn nur. Schweigend. Auf der Stelle verharrend. Schließlich: „Mir tut es leid, dass deine Mutter gestorben ist.“ „Ja“, erwiderte er knapp, hob kurz den Kopf, sah sie an, senkte ihn wieder. „Jakob.“ Er reagierte nicht. „Jakob, sieh mich an.“ „Tut mir leid … Es tut mir leid“, setzte er an, den Blick noch immer zur Erde gerichtet, „… dass ich es gesagt habe …“ „Dass du …“ „Dass … dass ich etwas für dich empfinde …“, stammelte er. Sie kratzte sich am Kopf, biss sich auf die Unterlippe, tat einen Schritt auf ihn zu, berührte ihn sogar am Arm. „Das muss dir nicht leidtun“, entgegnete sie so sanft, wie sie konnte, doch sie spürte, dass die Worte in ihrer Kehle kratzten. „Nicht?“ Er sah sie wieder kurz an. Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich muss dir sagen, dass mich dein Verhalten im Watt … ja, es hat mir nicht gefallen … es war …“ Sie unterbrach sich, weil sie nicht wusste, wie sie ihm, einem erwachsenen Mann, sagen sollte, dass ihr sein Verhalten nicht gefiel. Sollte sie es ihm überhaupt sagen? Ja? Warum denn? „Ja“, hörte sie ihn da schon sagen, „ja, das … nun … das ist wohl nicht mit einem einfachen Geigenspiel zu …“ „Vor allem möchte ich wissen, warum“, entfuhr es ihr da plötzlich. Und dann: „Jakob, das war gefährlich da draußen und du hast … hast ...“ Sie schnappte nach Luft, schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Seiten. „Und dann dieser Hass … Jakob … Und nun kommst du an, sagst mir, dass …“ „Bitte“, unterbrach er sie leise. „Bitte …“ Lene runzelte die Stirn, schüttelte dann wieder den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich davon zu halten habe. Du bist … Nein. Wenn du nur begreifen würdest, dass …“ „Aber das tue ich doch. Ich weiß doch … Ich …“, stammelte er, dann hob er den Blick. „Ich bin hier, um es dir zu erklären. Jedenfalls möchte ich es versuchen. Ich würde es gern …“ Lene schwieg einen Moment, fuhr sich dann wieder über den Mund, wich seinem Blick aus. Wollte sie das? Wollte sie von ihm erfahren, was er zu sagen hatte? Oder wollte sie nicht eher … ja, wollte sie nicht ihre Ruhe haben? Der Hass in seinem Blick hatte sie verschreckt, seine Reaktion war unangemessen und gefährlich gewesen. In ihm, so ahnte sie, lauerten unausgesprochene, ja, noch schlimmer, unterdrückte Emotionen. Und wie er hier so vor ihr stand – noch immer die Haltung eines demütigen, gar reuigen Beters angenommen – das war … kam doch einem Schauspiel, fast eine Posse gleich. Er kroch zu Kreuze. Und sie? Sie wusste nicht. Wollte sie? Wollte sie das? Und dazu noch sein Geständnis. Auch das wirkte wie eine Inszenierung. Eine Selbstinszenierung. „Jakob“, setzte sie wieder an, „ich denke, dass wir an dieser Stelle …“ Sie unterbrach sich. Warum? Sie wusste doch plötzlich die Kraft in sich, ihm zu sagen, was sie dachte. Doch sie schwieg, sah ihn nur wieder an, ihn diesen komischen Mann, der sie mit seinem Geigenspiel bezauberte, mit seinem Verhalten jedoch so sehr abstieß. Und dabei: noch vor wenigen Tagen hätte sie es sich vorstellen können, Gefühle für ihn zu entwickeln. So, sie sie nicht bereits in sich getragen hatte. Gefühle. Für ihn, diesen falschen Geiger. Hatte er sich nicht die ganze Zeit selbstinszeniert? War nicht alles an ihm ein Schauspiel? Sie biss sich wieder auf die Unterlippe und ließ ihren Blick über die Weite jagen. Am liebsten hätte sie sich umgedreht, wäre gegangen. Doch das, so wusste sie, war unmöglich. Sie hatte den Satz begonnen, den einen, der es endgültig gemacht hätte. Sie hätte sich von ihm verabschiedet. Vielleicht hätte sie ihm die Hand gereicht. Vielleicht hätten sie sich sogar umarmt. Vielleicht. Wer sollte das wissen? Nur, eines wusste sie, sie hätte ihn nicht noch einmal an der Wange berührt, auch nicht an der Schläfe. Sie wäre gegangen, ohne sich nach ihm umgesehen, und hätte das Kapitel für sich geschlossen. Ja, hätte. Dass sie all das nicht tat und ihm stattdessen bedeutete, sie zum Strandkorb zu begleiten, war, so wusste sie, eine Ungeheuerlichkeit sich selbst gegenüber, die sie ebenso wie sein hasserfüllter Blick verschreckte. Dennoch nahm sie im Strandkorb Platz und wartete, bis auch er sich neben sie gesetzt hatte. „Jakob“, sagte sie dann, „ich kann mit deinem Verhalten nichts anfangen. Absolut nichts.“ Er sah sie einen Moment an, nickte dann, schlug den Blick nieder. „Ich weiß doch.“ „Und?“ Sie spürte in sich wieder die Lehrerin hochkommen, die, die alles zu überblicken vorgab und dabei … Lene zitterte nicht nur innerlich. Sie zitterte und rang nach Luft und dann, von einem Moment zum anderen, packte sie die Hitze. Sie spürte, wie sie sich von ihrem Magen aufsteigend zu ihrer Brust, zum Hals, in ihren Kopf ausbreitete, ohne, dass sie etwas dagegen hätte tun können. Sie schnappte nur wieder nach Luft, versuchte, sich zusammenzunehmen, sich ruhig zu halten, aber auch das gelang ihr schlecht. Noch dazu begann ihr Herz zu rasen begann, so sehr, dass sie meinte, alles um sie her löse sich in ein graues Rauschen auf. Nur mit Mühe konnte sie sich bewusstmachen, dass sie in einem Strandkorb saß. Schon packte sie wieder die Hitze und sie begann zu schwitzen, stand augenblicklich unter Wasser und wäre am liebsten aufgesprungen und hätte sich die Kleider vom Leib gerissen. Es war fürchterlich und das umso mehr, da Jakob plötzlich sagte: „Du bist ganz rot im Gesicht.“ Sie nickte, erwiderte: „Mir ist heiß.“ „Und warum?“ Sie sah ihn einen Moment lang an, fixierte ihn fast, spürte sogar, wie sie ihre Augen zu Schlitzen verengte, während es in ihr bohrte und hämmerte. Ja, die Emotionen hatten sie gepackt und suchten nur nach einem Grund, einem winzigen, um hervorbrechen zu können. Endlich … Und hätte er sich auch nur den kleinsten Anschein gegeben, seinen Mund verziehen zu wollen, gar die Zähne zu fletschen, hätte sie … wäre sie … Sie hätte … So aber … Er sah sie nur an, fragend, weil nicht wissend und schließlich hinzufügend: „Seltsam, mir ist kalt.“ „Ja“, schnappte sie, „so unterschiedlich sind die Menschen.“ „Ja, das stimmt wohl. Aber dir muss wirklich sehr heiß sein. Du schwitzt ja sogar …“ „Ja“, versuchte sie so ruhig wie möglich zu erwidern und dem Drang, endlich aufzuspringen, hemmend entgegenzuwirken. Und das vor allem, da er sie noch immer ansah, fragend, nicht wissend. Und dann sah sie, wie er in seiner Jackentasche zu suchen begann, ohne den Blick von ihr abzuwenden, sah auch, wie er ihr einen Moment später ein Taschentuch reichte und spürte dann, wie er sie an der Wange berührte. Ganz leicht nur, doch sie zuckte. Er aber begann sie zu streicheln, auch an der Schläfe. Und sie blinzelte, als er ihren Augen näherkam. „Hab keine Angst“, murmelte er. „Hab keine“, erwiderte sie und begann sich den Schweiß abzuwischen. Und so, als sei das nicht genug, fügte er hinzu: „Lene, ich mag dich. Auch, wenn du schwitzt, finde ich dich schön.“ Beinah hätte sie laut aufgelacht, gab diesem Drängen jedoch nicht nach und wischte sich stattdessen weiterhin den Schweiß ab. Und er betrachtete sie dabei – ernst, ganz ernst mit seinem klugen, wachen Blick. Und dann sagte er: „Schwitzen gehört dazu, oder?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)