Der eine zählt des anderen Tassen von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 20: Glücklich --------------------- Eine Weile blieben sie noch liegen – er hinter ihr und sie, die Augen geschlossen und auf seinen Atem achtend, der ab und an über ihre Schulter strich. Wie schnell hätte sie sich umdrehen und über sein Kinn streichen und ihn auf die Wange küssen können, um ihm zu zeigen, wie sehr sie all das mochte. Hätte, aber sie tat es nicht, denn sie fand, dass diese Ruhe, das Stillhalten viel schöner, viel erquicklicher waren, als das Suchen, Tasten, das Artikulieren und Drängen … Ihr Herz schlug schnell, ja – und das vor allem, da sie noch immer seine Hand auf ihrem Bauch und sich von ihm gehalten wusste. Ja mehr noch, als sie ihre Hand auf die seine legte und er nach ihrer griff. Später, es war bereits in der Abendstunde, als sie sich schon längst wieder getrennt hatten, nicht ohne sich für den kommenden Tag wieder zu verabreden, fragte sie sich immer und immer wieder, wie all das so hatte kommen können. Jedoch nicht, um sich zu schelten, sondern, weil sie froh darüber war, solche Gefühle endlich wieder zulassen zu können und nicht, wie so oft schon, davor wegzulaufen. Und das, so meinte sie zu wissen, lag wohl vor allem an Jakob, der ihr bisweilen verletzlich und gleichzeitig doch so … ja, von ihm ging eine Erotik aus, der sie sich nicht verschließen konnte. Und gerade weil ihm nicht bewusst zu sein schien, wie er wirkte, er stattdessen immer wieder fragte, ob er ihre Hand nehmen und sie berühren dürfe, war er ihr so lieb. Kein Macho ging da neben ihr her über den Sommerdeich, niemand, der es sich selbst beweisen wollte, sondern einfach er, Jakob, ein Mann, der ebenso unsicher war wie sie selbst. Jedenfalls erschien er ihr so. Aber warum sollte er ihr etwas vorspielen? Nein, er wirkte nicht so, als würde er spielen können. Natürlich versuchte er sich, probierte sich aus, wenn er abrupt stehenblieb, ihre Hände nahm, ihr in die Augen sah und den Mund zu einem Lächeln verzog. Das war kein Spiel. Und gerade deswegen verlangte es sie immer wieder danach, ihn zu berühren, ihn zu streicheln, ihm mit den Fingern schließlich auch über die leicht geöffneten Lippen zu gleiten, kurz innezuhalten und seinen Atem zu spüren, ihm näher zu kommen, so nah sogar, dass er seine Arme um sie legte und sie ihren Kopf an seiner Schulter barg. Was war das für ein wunderschönes Gefühl, so gehalten zu werden. „Jakob“, murmelte sie ganz leise, gegen den Stoff seines Hemdes gepresst und holte tief Luft, weil sie seinen Duft in sich aufnehmen wollte. Da war wieder dieses leichte, unaufdringliche Parfum. Sie hatten sich an diesem Tag nicht geküsst, aber darauf war es Lene auch gar nicht angekommen. Sie mochte es einfach, neben Jakob herzugehen, seine Hand zu halten und ab und an auf die nun ebbende Nordsee zu schauen. Ihn einfach neben sich zu wissen, war schön. Miteinander geredet hatten sie nicht viel, aber das störte Lene ebenso wenig. Es war ja nicht immer das Wort, das Menschen einander näherbrachte. Vielmehr war es eine Geste, ein Lächeln oder eben eine Umarmung. Und Jakob nahm sie gern in den Arm, so wie sie ihn so gern an der Wange streichelte – auch an der Schläfe, bis hinauf zu den Augenbrauen. Auch fuhr sie ihm über den nun nicht mehr so akkurat sitzenden Scheitel, hatte ihm sogar einmal das Haar in die Stirn gestrichen und darüber lachen müssen, wie er so vor ihr stand – eben wie ein kleiner, unbeholfener Junge. Und dann hatte er sie einfach wieder an sich gezogen und sie hatte sich an ihn geschmiegt. Und als er ihr dann noch einmal gesagt hatte, dass er so etwas noch nie erlebt, dass er gar nicht gewusst habe, dass es das gebe, musste sie zustimmen. „Jede Begegnung, jede Beziehung, besitzt ihren eigenen … ist einzigartig …“ Sie hatte zu ihm aufgesehen und er hatte gelächelt. Und, auch wenn er dabei wieder die Zähne gefletscht hatte, meinte sie dahinter doch ihn zu erblicken und sie stupste ihn an die Nase, ehe sie weitergegangen waren. Der Tag mit ihm war schön gewesen, schön, da erfüllend. Lene hatte gespürt, dass sich in ihr etwas regte. Ob’s nun Verliebtheit war - … nun ja … das wusste nur die Zeit. Und wenn es das nicht war, dann eben dieses Gefühl der Verbundenheit im Augenblick. Zwei Menschen, die sich im Urlaub über den Weg gelaufen und sympathisch waren. Daraus konnte etwas werden – musste es aber nicht. In jedem Fall freute sie sich darauf, Jakob wiederzusehen, mit ihm Dinge zu unternehmen – und wenn es nur ein gemeinsamer Spaziergang war oder er ihr wieder etwas auf seiner Geige vorspielte, so wie am Nachmittag dieses Tages. Und sie hatte tatsächlich tanzen können. Ja, warum denn auch nicht? Schließlich fühlte sie sich gut, frei, beschwingt. Und so hatte sie zuerst Jakobs Musik gelauscht – er hatte Bach gespielt – und war dann den Tönen gefolgt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob sie diesen oder jenen Schritt richtig setzte. Darauf kam es ja auch nicht an. Vielmehr wollte sie einfach bei sich und Jakob sein und der Musik Ausdruck verleihen, indem sie zu hüpfen und springen begann, sich Jakob bisweilen tänzelnd, bisweilen schleichend näherte und ihn, dabei nie aus den Augen lassend, musterte, das jedoch nicht, weil sie an ihm zu kleben, sondern, weil sie seine Hingabe zur Musik fast körperlich zu spüren meinte. Wann immer er den Bogen über die Saiten tanzen ließ, neigte er sich leicht nach hinten, um Schwung zu holen – für die nächsten Töne. Und, was sie bei all dem so sehr einnahm, war, dass er keinerlei Verrenkungen tätigte – wie dereinst, als er neben der Orgel gestanden. Seine Bewegungen waren ruhig, ausgeglichen. Er selbst hielt die Augen geschlossen – auch das ein Zeichen dafür, dass er bei sich war – ganz bei sich und der Musik. Das gefiel ihr, gab es ihr doch die Freiheit, das zu tun, wonach ihr der Sinn stand. Ja, sie konnte die Töne mit ihrem Körper nachempfinden, einen Fuß vor den anderen setzen, geziert, gespreizt, so, wie ihr die Musik gerade im Moment erschien. Bisweilen meinte sie sich wie eine Balletttänzerin zu fühlen und, auch wenn ihr bewusst war, dass ihre Regungen wohl auf einen Außenstehenden befremdlich wirken mussten, nahm sie sich nicht zurück. Sie schwebte einfach um Jakob herum, umkreiste ihn, immer und immer wieder, so als wäre er eine Statue, ließ ihren Blick auf ihm ruhen – und schloss dann selbst die Augen – zu schön war all das, dass sie schließlich das Verlangen danach verspürte, es durch keinen Sinneseindruck zu verfälschen. Sie lauschte dann wieder nur der Musik, den Tönen, die sich dieser Geige entwanden und stellte sich sogar vor, dass sie, einfach in der Luft schwebend, spielte … Es war einfach wunderbar. Wunderbar, da so anregend und dennoch entspannend. Reizvoll, leicht zwickend, glücklich machend. Am Abend dann, als sie daheim an ihrem Tisch in der Ferienwohnung saß und Percy neben sich wusste, griff sie nach ihrem Handy und schrieb ihrer Freundin Petra, dass sie wohl drauf und dran war, sich zu verlieben. - Wirklich?, fragte diese. - Ja, ich habe jemanden kennengelernt, der mir wirklich gefällt. - Das klingt gut. Hast du dir verdient. Wie heißt er? Wie alt ist er? Was tut er? - Jakob, 55, Physiker und Mathematiker, wohnt auch in Berlin, spielt Geige, aber so wunderbar, dass man meinen könnte, er sei Musiker. … Und ich habe getanzt. - Mit ihm? - Er spielte, ich tanzte … und wir waren zusammen baden und lagen beisammen im Gras. - Ach … und? - Nichts - Wie, nichts? - Nur so. - Aha … nur so … - Ja … - Lenchen, Lenchen … was bist du nur für ein Lenchen …, hatte ihre Freundin gewitzelt und ihr am Ende noch ein Küsschen-Smilie geschickt. Lene spürte, dass sie all das erst einmal verdauen und Ruhe finden musste. Bis zum nächsten Morgen. Und sie musste sich immer wieder sagen, dass sie nicht zu viele und zu hohe Erwartungen an ein viertes Treffen haben sollte. Allerdings … wenn sie es sich recht überlegte, war sie keinem ihrer vorherigen Dates bereits bei dritten Mal so nah gekommen. Noch nie. Selbst Franz damals nicht. Franz … Er hätte ihr Mann werden sollen. Hätte. War es aber nicht geworden. Nun ja … sie wollte darüber nun nicht nachdenken. Und so zündete sie sich die Kerze an und begann in die leicht flackernde Flamme zu sehen. Ruhe, die brauchte sie jetzt. Aber sie konnte es dann doch nicht lassen, ganz leise Jakobs Namen zu murmeln und mit ihm in Gedanken später auch zu Bett zu gehen, während sie Percy neben sich wusste und ihn streichelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)