Der eine zählt des anderen Tassen von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 15: Still! ------------------ „Bitte verzeihen Sie mein ungebührliches Verhalten auf Ihr Erscheinen“, ließ sich Jakob vernehmen, als er ihr den Stuhl am Frühstückstisch zurechtrückte. „Ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist.“ Sie sahen sich in die Augen und um Lenes Mund zuckte ein kleines Lächeln. „Das kann jedem passieren. Was meinen Sie, wie oft mir das schon geschehen ist, dass einfach gar nichts mehr ging …“ „Ach ja?“, erwiderte Jakob und sah sie erstaunt an. Noch immer stand er neben ihr. Seine Hand lag auf der Lehne ihres Stuhls. „Aber ja“, sagte sie und nahm Platz. „Was stellen Sie sich denn vor?“ Sie sah zu ihm auf, lächelte und bedeutete ihm, doch ebenfalls Platz zu nehmen. Er deutete eine kleine Verbeugung an, ging dann um den Tisch herum und setzte sich ihr gegenüber, nicht ohne sie weiterhin interessiert zu betrachten. Und so sah sie sich genötigt, ihr Nähkästchen zu öffnen, um daraus zu plaudern. Im Grunde hatte sie das gar nicht vorgehabt, meinte sie doch, dass es ihm zu peinlich sei, dieses Vorkommnis zu vertiefen. Er jedoch schien anderer Ansicht, denn während er nach der Kaffeekanne griff, um erst ihr, dann sich einzuschenken, forderte er sie auf, ihre Andeutungen weiter auszuformulieren. Sie versuchte sich indes an einem schelmischen Grinsen. „Nun“, wiederholte er, „ich höre …“ „Tja, ich …“, begann sie, ein wenig aus dem Konzept gebracht und wenn sie ehrlich war, fiel ihr auf die Schnelle gar nichts ein – abgesehen davon, dass sie sich als kleines Mädchen eine Weile vor Besuchern, ob bekannten oder unbekannten, versteckt hatte, weil sie eine nicht unerhebliche Aufregung in sich gespürt hatte, mit der sie nur schwer zurechtgekommen war. Nur, ob ihn das allerdings darin bestärkte, normal gehandelt zu haben … Sie schwieg und senkte den Blick. Ihr, als Lehrerin, fiel partout nichts ein. Jakob indes ließ nicht locker. „Lene, erzählen Sie … “ Sie sah auf und wurde von einem kleinen Zähnefletschen empfangen. „Ich möchte es hören … ich möchte im Übrigen noch viel mehr von Ihnen hören … wenn ich ehrlich sein darf …, dann …“ „Wie bitte?“ Lene räusperte sich. „Ja“, erwiderte Jakob nickend, neigte sich plötzlich etwas nach vorn und berührte ihre Hand – und dessen nicht genug – ergriff er sie auch. „Alles möcht ich von Ihnen wissen, Lene.“ Lene wusste im ersten Moment nicht, wie reagieren, zumal ihr Jakob wie ein gerade erwachter Wieselflink vorkam. Nichtsdestotrotz begann ihr Herz schneller zu schlagen, als sie den leichten Druck seiner Hand spürte und ihn erwiderte. So schnell geht das also, schoss es ihr durch den Kopf und, um sich nicht der Röte, die unter seinem Blick von ihrem Gesicht Besitz ergreifen wollte, anheimzugeben, wandte sie sich ihrer Kaffeetasse zu, jedoch ohne die Berührung zu lösen. „Lene“, hörte sie da Jakob wieder, „bitte sagen Sie doch etwas.“ Sie holte tief Luft, sah auf ihrer beider Hände, sah, wie er die ihre umschlossen hielt, biss sich auf die Unterlippe, dann sah sie auf und hörte sich sagen: „Ich würde auch gern mit Ihnen tanzen, Jakob.“ „So, wie in meinem Traum?“, fragte er da prompt und sie wusste, dass nun sie ihn erstaunt ansah, erwiderte jedoch: „Ich weiß ja nicht, was konkret Sie geräumt haben … Das müssten Sie mir schon erzählen …“ „Nichts da“, kam’s von ihm, „zuerst sind Sie dran.“ „Womit denn?“ Er schwieg, jedoch meinte sie, ein kleines Lächeln in seinem Gesicht zu erkennen, als er den Blick senkte. Und eben dieses Lächeln traf sie wieder, als sie sich später auf einer der Fennen, nahe des Sommerdeichs wiederfanden und er sie leise fragte: „Möchten Sie tanzen?“ Sie nickte nur. Dass ihr all das beinahe zu schnell ging, wollte sie sich selbst kaum eingestehen. Stattdessen nahm sie Jakobs Hände. Er reagierte sofort, kam einen Schritt auf sie zu. Beide sahen sich wieder in die Augen. „Lene“, flüsterte er, „ich möchte Sie kennenlernen.“ „Dann tun Sie’s doch“, erwiderte sie, löste sich von ihm und wandte sich ab. Sofort war er bei ihr. „Wenn ich wüsste, wie ich es anstellen soll“, hörte sie ihn sagen. „Haben Sie keine Scheu.“ „Darf ich Sie berühren?“ „Warum fragen Sie?“ Einen Moment lang sahen sie sich beide in die Augen. Er schwieg, sie auch. Dann senkte er den Blick. „Ich weiß nicht. Ich hatte …“ „Jakob?“ Wieder sahen sie sich an. Er wirkte plötzlich wieder etwas verunsichert, senkte auch den Blick und begann sich am Ohr zu zupfen. „Jakob?“ Er holte Luft, ehe er wieder aufsah. „Ich bin nicht sehr erfahren, müssen Sie wissen.“ „So? Dafür stellen Sie sich allerdings recht geschickt an.“ „Wie?“ „Ja, immerhin bin ich mit Ihnen hier“, erwiderte sie. „Ja, das sind Sie“, bemerkte er. „Dennoch habe ich Angst.“ „Jakob, kommen Sie her.“ Sie streckte ihre Hand nach ihm aus. Er ergriff sie, kam ihr allerdings nicht näher. Dafür tat sie einen Schritt auf ihn zu – und dann noch einen, dabei wollte sie einfach nur wissen, was das mit ihr anstellte. Wie sich das anfühlte, ihm so nah zu sein. So nah, dass sie die vielen kleinen Bartstoppeln an seinem Kinn erkennen konnte und es nur eines Geringen bedurft hätte, um ihn … Sein Mund war leicht geöffnet und obwohl sie die Reizung seiner Lippen deutlich erkennen konnte … Sie könnte ihn doch – ganz schnell, ganz sacht … um sich ihm dann ebenso schnell wieder zu entziehen. „Ich kann nicht sagen, dass das eine vollkommen neue Erfahrung für mich wäre, hier mit Ihnen zu stehen, aber …“, begann Jakob plötzlich, doch Lene schüttelte den Kopf, auch um sich selbst wieder zur Ordnung zu rufen. „Still, Jakob!“ „Aber ich möchte es dir …“ „Nicht jetzt“, flüsterte sie und nahm auch seine andere Hand, weil sie seine Unruhe spürte. „Aber …“, begehrte er auf. „Später.“ „Aber ich möchte doch nur …“ „Jakob, bitte …“, erwiderte sie, senkte den Blick, schloss die Augen und hörte sich selbst wie von Ferne sagen: „Ich saß einmal in einem Konzert – es wurde Händel gespielt und der Dirigent, der tanzte diese Musik mit, während er sein Orchester leitete. Es war so wundervoll, ihm zuzusehen, so … aber als die Musik auf ihren Höhepunkt zuging, senkte er plötzlich seinen Dirigentenstab, hielt in der Bewegung inne und neigte sich leicht nach vorn. Es schien so, als durchdringe ihn diese wunderbare Musik, als werde er eins mit diesen Tönen, die ihm da entgegenströmten. Gleichzeitig wirkte seine Geste so demütig, so ergeben, er, so klein gegen diese überwältigende Musik.“ Sie holte tief Luft, öffnete die Augen wieder, wusste Jakobs Blick auf sich gerichtet. „Und ich glaube, er verneigte sich hernach auch – nicht nur vor seinem Orchester, sondern auch vor Händels Kunst und der Musik an sich, dieser wundervollen …“ Ihre Lippen begannen zu beben. „Jakob, ich möchte damit nur sagen, dass man manchmal stillhalten und schw …“ „Ich weiß“, unterbrach er sie sanft und neigte sich zu ihr hinab, sein Mund war leicht geöffnet. Sie sah seine Lippen, die Reizung auf ihnen, die sich im Vergleich zum Vortag tatsächlich nicht gebessert hatte. Sicher schmerzte es ihn. „Aber nun möchte ich wissen, was für ein Konzert das war und wie der Dirigent geheißen hat“, entfuhr es ihm und er zwinkerte einige Male. „Später.“ „Aber, Lene, ich möchte Sie kennenlernen … möchte alles …“ „Wir werden uns kennenlernen“, entgegnete sie, löste sich etwas von ihm. „Wann denn?“ „Jetzt.“ „Wie? Ich dachte, Sie wollten …“ Sie nahm wieder seine Hand und sagte: „Schließen Sie die Augen.“ „Was?“ „Ja, schließen Sie die Augen.“ Er sah sie leicht zweifelnd an. „Vertrauen Sie mir“, entfuhr es ihr. „So? Also …“ Wieder zeigte er ein kleines Zähnefletschen, tat jedoch, wie ihm geheißen, und sie hielt einen Moment inne, betrachtete den nur notdürftig ruhiggestellten Mann an. Das also war Gottfried-Jakob Praetorius, den sie erst seit eineinhalb Wochen kannte. Nun, von kennen konnte nicht die Rede, aber … und ehe sie es sich versah, war sie bei ihm, flüsterte: „Die Augen geschlossen halten, ja?“, erntete dafür ein winziges Schmunzeln und berührte ihn mit Hand an der Wange, ganz sacht zuerst, spürte seine Hautunebenheiten, seine Narben an der Schläfe mit den Fingerkuppen, sah dazu, wie er noch immer schmunzelte, die Augen jedoch geschlossen hielt, und so stupste sie ihn leicht an die Nasenspitze. „Oh“, machte er und sie hüpfte weiter zu seinem Kinn, umfasste es leicht, ehe sie ihm ihre Hand einfach wieder auf die Wange legte. „Jakob“, murmelte sie und reckte sich dann, um ihm, so, wie am Abend zuvor, einen Kuss auf die Wange zu geben. Nur, dass sie diesmal keinerlei Widerwillen in sich spürte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)