Der eine zählt des anderen Tassen von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 13: Wenn es eines wäre ... ---------------------------------- „Jakob, das ist eine in höchstem Maße unangebrachte Frage“, stieß sie hervor und zog die Augenbrauen zusammen. Doch er sah es schon nicht mehr, denn er hatte wiederum den Blick gesenkt. „Jakob“, rief sie deswegen. „Jakob, sehen Sie mich an. Was sollte das?“ Er schwieg einen Moment, doch dann hob er den Kopf. „Wieso?“, fragte er leise. „Wieso? Wieso es eine unangebrachte Frage ist?“, erwiderte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Er nickte, wich aber ihrem Blick erneut aus. „Diese Frage stellt man einfach nicht – und schon gar nicht in dieser Direktheit. Ist Ihnen das nicht bewusst?“ Ihr war klar, dass sie ihn zu belehren begann. Und wenn schon, sie war erregt. Was bildete er sich ein? „Aber ich dachte“, bemerkte er, „dass die Frage in diesem Rahmen zulässig sei. Dass sie zur rechten Konversation gehöre, dass …“ Er unterbrach sich, senkte den Kopf. Sie meinte zu sehen, wie er errötete. „Jakob“, begann sie deswegen von neuem, nun etwas sachter. Er aber kam ihr zuvor: „Ich war bisher davon überzeugt gewesen, dass man diese Frage bei einem – wie nennen Sie es? Date? …“ „Ich nenne es nicht Date“, entfuhr es ihr. „Aber auch bei einem Date stellt man diese Frage nicht. Das schickt sich einfach nicht.“ Er sah sie wieder an. Tatsächlich war er rot, zumindest seine Wangen waren es. Und seine Stirn nahm rosa Züge an. „Ach so?“, fragte er leise und sah wieder auf seine Hände, die er unter dem Tisch barg. „Tut man das nicht?“ „Jakob …“ „Dann hat man mich Falsches gelehrt …“ „Wie?“ Sie war verwirrt, versuchte zu verstehen, doch es gelang ihr kaum. „Ich war bisher davon ausgegangen“, fuhr er fort, „dass diese Frage angemessen sei …“ Er unterbrach sich erneut, holte tief Luft, sah auf. Sein Gesicht glühte. Kein Zweifel, ihm war all das äußerst peinlich. Und auch wenn sie im ersten Moment am liebsten an die Decke gegangen wäre und es nur ihrer Routine als Lehrerin zu verdanken hatte, dass sie zumindest äußerlich Ruhe bewahren konnte, so schlug ihre Empörung sogleich in eine große Verblüffung um. Konnte es tatsächlich sein, dass er … unmöglich … Oder? „Jakob“, versuchte sie es daher behutsam, doch unterbrach er sie neuerlich. „Ein Date, so sagte man mir, lebt von …“ „Wer sagte Ihnen das?“, fragte sie dazwischen, biss sich jedoch sogleich auf die Unterlippe, denn sie spürte, dass sie nun ihrerseits drauf und dran war, eine Grenze zu überschreiten. Deswegen schob sie nach: „Bitte vergessen Sie es. Sie müssen mir darauf nicht antworten. Fakt ist jedoch, dass diese Frage nicht gestellt werden sollte, ob nun bei einem Date oder … bei einem gemeinsamen Abendessen. Und um es klarzustellen: ich betrachte dieses Abendessen als das, was es ist, eben als ein Abendessen.“ In diesem Moment, da sie es sagte, hätte sie mit allem gerechnet, nicht jedoch damit, dass er noch einmal tief Luft hole und sie dann anlächle – oder zumindest den Mund verziehe – und ein: „Da bin ich erleichtert“ ausstoße. „Sie können sich nicht denken, wie aufgeregt ich …“ „Doch“, unterbrach sie ihn, „das kann ich – sehr gut sogar. Denn, obwohl dies hier ein Abendessen nach einem zugegebenermaßen ungewöhnlichen Zusammentreffen ist, bin ich auch etwas aufgeregt. Doch das liegt …“ sie hielt inne, überlegte kurz, wollte die richtige Formulierung finden. „Ja, das liegt an Ihrer meisterlichen Art zu spielen und Sie haben mich dadurch sehr glücklich gemacht.“ „Wieso?“, wollte er wissen, noch immer ziemlich rot im Gesicht, doch deutlich gelockerter als zuvor. „Weil … nun ja, mir war es nicht so gut gegangen und dann …“ „Oh, ich darf Ihnen versichern, dass ich das in Ihnen geschaffene Hochgefühl nicht durch anstößige, den Kontext sprengende Fragen zerstören wollte. Darüber hinaus ist es mir umso wichtiger, da auch Sie mich glücklich machen. Und daher möchte ich Sie vielmals um Verzeihung bitten. Wie Sie unschwer erkennen können, ist es meiner Unwissenheit geschuldet, dass ich diese Frage stellte.“ Sie nickte und wunderte sich zugleich, wie offen er über seine Unkenntnis hinsichtlich des Dating-Verhaltens sprach, wollte jedoch nicht nachhaken und so drohte das Gespräch wieder zu ersterben. „Was haben Sie eigentlich eben damit gemeint, als Sie sagten, Ihnen sei es nicht gut gegangen?“, unterbrach er da ihre Gedanken. Sie sah ihm in die Augen, schwieg einen Moment, öffnete langsam den Mund und zuckte dann mit den Schultern. „Jedem Menschen geht es einmal nicht gut. Das kommt vor, oder?“ „Sie meinen psychisch?“ Sie nickte. „Dann bin ich umso glücklicher, Sie glücklich gemacht zu haben, Helena.“ „Bitte“, warf sie ein, „Lene.“ „Warum eigentlich? Warum Lene?“ War sie zuvor davon ausgegangen, dass dieser Abend recht schweigsam vergehen würde, spürte sie nun, dass das Gespräch nicht nur in Gang zu kommen schien, sondern sich auch in eine Richtung zu neigen drohte, die sie nicht mochte. Also sagte sie einfach: „Es ist so. Ich mag den Namen Lene lieber.“ Das dies auch zur Hälfte stimmte, sie den anderen Teil jedoch nur mühsam unter Kontrolle halten konnte, das wollte, das konnte sie Jakob nicht sagen – nicht jetzt, nicht hier. Und so, als spürte er ihr Zaudern, ließ er von ihr ab und sagte: „Wenn Sie so begeistert sind, von dem, was ich da tue, dann frage ich Sie ganz offen, warum Sie selbst nicht spielen.“ Er hielt den Kopf leicht schrägt, sah sie aus diesem Winkel an und ihr fiel – nicht zum ersten Mal an diesem Abend – sein äußerst wacher, kluger Blick auf. Kein Zweifel, sie mochte diesen Blick, der nun nicht mehr verhangen wirkte, wenn auch noch immer sehr müde. Und so begann sie zu lächeln und er reagierte, indem er wieder den Mund verzog – seine Art, auf sie zu reagieren, ohne die Zähne zu blecken. Und sie ertappte sich dabei, wie sie den Blickkontakt gern noch länger aufrechterhalten hätte, doch schließlich kam es ihr selbst etwas seltsam vor, ihm so lang in die Augen zu sehen. Also wandte sie sich ab und ergriff ihr Weinglas. Und auch er hob sein Glas, nickte ihr zu und sie flüsterte: „Danke für diesen Abend, Jakob.“ „Der Dank gebührt Ihnen“, erwiderte er, hob das Glas noch einmal, ohne es jedoch an ihres zu schlagen, sagte: „Aufs Leben“ und nahm einen Schluck. Das tat auch sie – und wie gut der Wein plötzlich schmeckte … „Also, warum spielen Sie nicht, wenn Sie doch so begeistert davon sind?“, fuhr er fort, neigte sich dazu etwas nach vorn und sah sie gespannt an. Sein Mund war nur leicht verzogen. Sie erwiderte das Lächeln und sagte: „Ich werde es wohl zugeben müssen, dass ich als Kind begann – wahrscheinlich so, wie Sie, aber mitnichten dieses Talent hatte und nach einem Jahr aufhörte …“ Sie unterbrach sich, nahm noch einen Schluck Wein, sah ihn dann an. Er hatte sich zurückgelehnt und seine Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte, anders, als noch vor Minuten, entspannt und sie erahnte, dass er lächeln wollte, jedoch nur wieder den Mund verzog. Aber das störte sie nicht. Sie erwiderte es und sagte: „So schaut es aus.“ „Ja“, ergriff er das Wort und neigte sich wieder etwas nach vorn. „Das ist schade. Aber vielleicht wollten Sie es dann gar nicht?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Doch, doch, ich wollte, aber als man sah, dass ich kein Talent hatte, wurde die Geige verkauft.“ „Das ist schade“, entgegnete er, sie nickte und dann, sie wusste nicht, was sie gepackt hatte, deutete sie auf seinen Geigenkasten, den er neben sich auf die Sitzbank gelegt hatte, und sagte: „Aber vielleicht könnten Sie sie mir einmal zeigen? Ich mag Geigen sehr …“ „Aber sicher“, beeilte er sich zu erwidern, erhob sich leicht, um den Kasten zu öffnen und die Geige zu entnehmen. „Es ist keine besonders gute Geige, aber auch keine schlechte“, fuhr er fort und reichte ihr sein Instrument. „Oh“, machte sie und war verblüfft, dass er sie ihr so unvermittelt übergab. Aber, als sie sie berührte und das Holz spürte sowie das filigrane Schnitzwerk des Steges sah, da wusste sie tief in sich eine Sehnsucht erwachen, die sie schon lang vergessen geglaubt hatte. Ja, es war damals schlimm gewesen, als ihr die Eltern das Instrument genommen hatten, schlimm, weil sie ihre Geige geliebt hatte – auch wenn sie auf ihr nur hatte herumkratzen können. „Schlimmer als Katzengeschrei“, hatte ihr Vater gesagt. Ja, daran erinnerte sie sich jetzt genau. Sie mochte wohl fünf oder sechs gewesen sein, jedenfalls noch nicht schulpflichtig. „Kein Talent“, hatte es geheißen. „Kein Talent.“ Und nun saß sie hier und hielt nach so vielen Jahren wieder eine Violine in der Hand und wusste, dass ihr so wundervolle, bezaubernde Töne zu entlocken waren, wenn man sie nur richtig behandelte, wenn man wüsste, wie den Bogen halten, wenn man das rasche Fingerspiel beherrschte und wenn … wenn … wenn … Sie strich mit einem Finger über das glatte, fast weiche Holz, legte sich die Geige auch an die Schulter, schloss kurz die Augen und spürte einen Moment später den Bogen in ihrer anderen Hand. „Nun könnten Sie spielen“, hörte sie Jakob sagen. „Könnte“, erwiderte sie und öffnete die Augen, „kann es aber nicht.“ „Na ja“, sagte er hierauf und zuckte mit den Schultern. Er hatte sich erhoben, stand nun vor ihrem Stuhl. Auch sie wollte auf, tat es und so standen sie sich, sie mit der Geige auf der Schulter und dem Bogen in der Hand, gegenüber. Er verzog wieder den Mund zu einem Strich und sie wusste, dass er sich um ein Lächeln mühte. Seinen Augen war es zumindest gelungen, denn sie leuchteten. „Ich würde gern …“, entfuhr es ihr. „Dann tun Sie es doch.“ „Es lernen.“ „Was hindert Sie? Ich bin hier.“ „Sie? Sie wollen mir ...?“ Er nickte. „Warum denn nicht?“ „Darüber muss ich erst einmal nachdenken …“, erwiderte sie leicht ausweichend, denn sie spürte, dass das Angebot zwar seinen Reiz besaß, sie jedoch hierhergekommen war, ohne sich irgendwelchen Verpflichtungen hinzugeben. Und das Violinspiel wäre eine solche. Dennoch hielt sie das Instrument weiter in der spielgerechten Haltung und auch den Bogen senkte sie hinab, bis er die Saiten berührte, wobei sie sich gleichzeitig fragte, was diese Violine von ihr halten würde, vorausgesetzt, sie hätte ein Bewusstsein. Zuerst hatte sie diese feinen, klaren Töne spielen dürfen und jetzt käme wohl nur ein Gekratz heraus? Wie hatte ihr Vater dereinst gesagt? „Du tust dem Instrument weh.“ Ja, es hatte auch sie geschmerzt, dass sie es nicht vermochte, gut zu spielen. „Dann denken Sie nach, Lene, denken Sie. Aber nicht zu lang, denn irgendwann ist mein Urlaub vorbei …“ Er verzog den Mund wieder zu einem Lächeln, als er auf sie hinabsah. Sie nickte und hätte doch gern einen Ton gespielt oder zumindest einmal über die Saiten gestrichen, doch plötzlich traute sie es sich nicht mehr. Nicht, weil das Restaurant voll besetzt gewesen wäre, nein, weil … weil … Ach, sie wusste nicht warum. Vielleicht, weil sie sich so wie damals, als sie noch Kind gewesen, schon wieder unter Druck setzte? Sie liebte die Geige, liebte ihre gewundenen, feinen Formen, liebte am allermeisten den kleinen Steg, der allein durch den Druck der Saiten an seiner Stelle gehalten wurde. Wie zerbrechlich dieses Instrument doch war … Und noch einmal schloss sie die Augen und plötzlich war’s ihr so, als hörte sie Jakob ganz leis sagen: „Es ist die einzige Sprache, die ich ein wenig beherrsche.“ „Wie lang bleiben Sie noch?“, flüsterte sie und öffnete die Augen wieder. „Anderthalb Wochen“, erwiderte er ebenso leise. Nickend löste sie sich von seiner Violine und murmelte ein: „Ich auch. Und danke.“ „Wofür?“ Statt einer Antwort lächelte sie ihn nur an. Und er fragte daraufhin, wieder leicht errötend: „Ist das wirklich kein … Date?“ „Und wenn es eines wäre, dann wüssten Sie es“, erwiderte sie und ertappte sich dabei, wie sie ihm zuzwinkern wollte und es dann doch nicht tat. Später standen sie beide vor dem Restaurant, das sich auf ihrer Warft befand, und wussten nicht recht. „Also dann“, begann er. „Ja, also dann …“, erwiderte sie. „Es ist schon spät, fast Schlafenszeit“, bemerkte er hierauf und sie konnte sich ein leises Schnauben nicht verkneifen. „Was?“ Sie schüttelte den Kopf und dann hörte sie sich sagen: „Dann empfiehlt es sich, recht rasch das Bett aufzusuchen.“ „So?“, erwiderte er, „ja, dann empfiehlt sich das …“ Er reichte ihr die Hand. „Also, Lene, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht“, kam’s dazu recht gespreizt von ihm und sie reckte sich plötzlich, einem inneren Drang folgend, und küsste ihn hastig auf die Wange. Kaum spürte sie seine Haut, gar seine Bartstoppeln. Es war eher ein Stolpern als ein Kuss. „Oh“, machte er trotzdem ganz leis. „Darf dann auch ich?“ Sie sah ihm kurz in die Augen, nickte, ein „Ja“, flüsternd, obwohl sie gar nicht wusste, ob sie es wollte. Dennoch begann ihr Herz zu rasen, als er sich ihr näherte. Doch statt sie zu küssen, strich er ihr mit dem Handrücken über die Wange. „Wann sehen wir uns wieder?“ „Ich weiß nicht“, nuschelte sie und strich ihm ebenfalls über die Wange, dann auch über die narbige Schläfe, weil es ihr plötzlich so leidtat, ihn vorhin gemustert und solche Gedanken gehabt zu haben. Zugleich aber schämte sie sich dafür, dass sie sich doch dazu hatte überwinden müssen, ihn zu berühren. Und als sie sah, dass er die Augen geschlossen hatte und all das ganz offensichtlich genoss, da musste sie hart schlucken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)