Vom Fuchs und Raben (NEU!) von Momo_Author ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel 4: Wenn Rabe den Fuchs rettet ------------------------------------------------ Kapitel 4: Wenn Rabe den Fuchs rettet Am Morgen saß Kisuna alleine im Bett, ließ die letzt Nacht noch einmal Revue passieren. Ihr Verstand war wie eine Krankheit, die sie Tag für Tag mit sich schleppte. Wie einen Schatten, nur viel schlimmer. Sie konnte sich an alles erinnern. An den Alptraum, die Schreie, den Schwindel, Yomos starke Brust und seine wärmende Hand. Es fiel ihr wirklich schwer zuzugeben, dass sie, anders als sonst, bei diesem Mann mit ihrem Latein am Ende war. Wo steckte der eigentlich? Kisuna erhob sich aus der Matratze. Grelles Licht, es schien aufgrund der Morgensonne in den Raum, blendete sie, weshalb sie sich ihre Hand als Schutz vor die Augen hielt. Ihre Sicht war noch etwas benebelt und ihr Gang wacklig. Wie spät es wohl war? Plötzlich konnte die Ghula Geräusche, sie schienen aus dem Wohnbereich zu kommen, vernehmen. Neugierig, jedoch auch vorsichtig, pirschte sie zur Tür. Kurz zögerte sie, ließ ihre Hand auf der Klinke ruhen. Was, wenn ihr männlicher Mitbewohner wieder nur leicht bekleidet durch die Wohnung ran? Wie würde sie reagieren, wenn sie ihm nun in die Augen sah? Sie schüttelte den Kopf. Für Schamgefühl war nun kein Platz mehr, das hatte er ihr ebenfalls bereits gestern klarmachen wollen. Außerdem hatte sie mit ihrem kleinen Unfall vom Vorabend dem Ganzen gefühlt schon die Krone aufgesetzt, wenn man das so sagen konnte. Mit hektischer Entschlossenheit drückte sie das Stück Metall nach unten und trat durch die Schwelle. Sofort schoss ihr wieder der vertraute Duft von Kaffee in die Nase. Es war derselbe Geruch wie auch im Antik in der Luft lag. Träumerisch sah sie sich um, wollte die Quelle des aufsteigenden Aromas ausfindig machen. Am Küchentresen stehend, baute sich Yomo vor dem Filter auf. Er trug ein weißes Shirt, so eines wie das, das er wegen ihr vollgeblutet hatte und graue Jeans. Augenblicklich musste Kisuna wieder an die Situation denken und fragte sich, wie er sie trotzdem in seinem Heim aufnehmen konnte? Doch sie war auch beruhigt über die Tatsache, dass er überhaupt Kleidung trug, richtig? Sie trat einen Schritt näher. Ohne sich ablenken zu lassen oder umzudrehen, führte der silberhaarige Ghul sein Handwerk präzise und nonchalant fort. „Morgen“. Nicht einmal jetzt, da sie mit ihm sprach, bemühte er sich ihr zuzuwenden, antwortete lediglich mit einem stumpfen „Mhm.“ So nahm sie also einfach am Tisch Platz, wartete auf eine Geste seinerseits, und schwieg. Überrascht durfte sie feststellen, dass dieser bereits gedeckt war, für genau zwei Personen. Leichte Freude stieg in der Ghula auf. Was war dieses Gefühl der Begeisterung bloß? Vielleicht wollte er doch auch zu ihr durchdringen, bemühte sich doch mehr, als sie dachte? Es würde ihr auf jeden Fall eine Menge Aufwand ersparen, wenn er sich offener zeigen würde. Als Yomo sich unerwartet umdrehte, erschrak sie leicht und zuckte auf. Wortkarg wie gewohnt, stellte er den Kaffee, den er eben zubereitete hatte, vor ihr ab. Sie beobachtete ihn genau. Er sah sie an. Sofort spielte sich die Szene vom Tag davor erneut vor ihrem inneren Auge ab und die Röte, sie konnte es deutlich spüren, schoss ihr ins Gesicht. Warum nur? Hastig wandte Kisuna ihren Blick ab. „Danke. Für den Kaffee.“ Yomo nickte nur als Antwort. „Und für gestern.“ Nun sahen sich beide wieder an. Stille. Dann ertrug sie es nicht mehr. „Hast du auch… Fleisch?“ „Wieso?“ Entgeistert sah sie zu ihm. „Zum Essen.“ „Nein.“ „Nicht so schlimm, dann gehe ich später selbst jagen.“ „Wirst du nicht.“ Yomo nahm gemächlich einen Schluck aus seiner Tasse. „Wieso nicht?“, fragte sie empört. Dann stand er auf, zog seinen Mantel an und blickte wieder zu ihr. „Wir gehen ins Antik.“ „Nein.“ Gereizt ruhte ihr Augenmerk auf ihrem männlichen Gegenüber, das wie immer schwieg, wenn es um entscheidende Fragen ging. „Was soll das?“ Als Yomo das sich langsam bemerkbar machende Kakugan in ihrem Ausdruck festmachte, wusste er, wie dringend es war. Blitzschnell jagte er auf sie zu, packte sie an den Armen. Gerade noch konnte der Ghul einem Ausfall entgehen, er war flink wie eh und je. Kisuna, ihr Auge hatte sich durch den Schreck zurückgezogen, sah ihn einige Minuten betreten an. Er hielt sie nur, versuchte wieder in Ruhe überzugehen. Dann stemmte sie ihren Kopf gegen ihn. Es sollte eine Geste der Nachsicht sein. „T‘schuldige.“ Yomo platzierte seine Hand auf ihrem Haupt. „Du musst dich besser zurückhalten können.“ „Ich weiß“, sie sah ihm betrübt in die Augen. „Aber ich habe so enormen Hunger.“ Es war das erste Mal, dass sie ihn leicht schmunzeln sah. Herr Yoshimura begrüßte beide sofort mit einem Lächeln, als Yomo und Kisuna das Antik betraten. Der Kaffeegeruch schien ihr Nase nicht mehr zu verlassen, aber damit konnte sie sich leicht abfinden. „Schön, euch zu sehen.“ Er wandte sich an Kisuna: „Wie ging es dir in der ersten Nacht in deinem neuen Zuhause?“ Das Gesicht der dunkelhaarigen Schönheit nahm wieder rötliche Töne an. „Ganz gut. Danke“ Kurz und knapp fasste sie es zusammen. Oder versuchte es zumindest. Den Vorfall konnte sie trotzdem nicht so schnell vergessen, warum auch immer. Yoshimura sah zu Yomo, dieser nickte. „Warum bin ich hier?“, frage sie, nichtsahnend, dass sie in wenigen Minuten ihrem zukünftigen Job nachgehen würde. „Du fängst heuet mit deiner Arbeit für das Antik an. Ich hoffe, du findest dich schnell gut zurecht. Deine Aufgabe wird es sein, Yomo bei der Nahrungsbeschaffung zu helfen.“ „Nahrungsbeschaffung.“ Irritiert blickte sie zwischen Chef und dessen rechte Hand hin und her. „Soll das ein Witz sein?“ „Keineswegs.“ Yoshimura lächelte erneut. „An Kellnern fehlt es uns nicht, das wäre unnötig. Yomo hingegen kann gut Hilfe gebrauchen.“ „Und was genau bedeutet Nahrungsbeschaffung genau? Jagen?“ „Nein, nein. Das wird dir Yomo schon noch näher erläutern.“ Kisuna überlegte kurz. Mit dem Chef wollte sie sich sicher nicht anlegen, es stünde zu viel auf dem Spiel. „Na gut. Von mir aus.“ Sie wollte ihre Einsicht zeigen. Im selben Moment waren plötzlich stampfende Geräusche zu hören. Bis sie sich umsehen konnte, wurde die Tür, die das Kaffee und den Wohnbereich voneinander trennten, unangemeldet und schlagartig aufgerissen. Aufgeschreckt wich Kisuna nach hinten, prallte dabei gegen Yomos Brust. Dieser hielt sie reflexartig fest, ihr Herz raste. Doch das war lediglich aufgrund des Schrecks der Fall. Oder? Sie musste sich eingestehen, es fühlte sich seltsam zärtlich an. „Chef, Chef! Hinami!“, rief die Person, die heraus gestürmt kam. Der Ausdruck in ihrem Gesicht war aufgebracht und fassungslos. Schweiß brach von der Stirn aus, kullerte in kleinen Massen über ihr Gesicht und vermischte sich anschließend mit ihren bangenden Tränen zu einem Gemisch, das Panik und Heidenangst wiedergab. Kisuna erkannte in dem Mädchen, die blauhaarige Kellnerin, die sie gestern so schroff angefaucht hatte. „Touka, beruhige dich erst mal. Was ist denn vorgefallen?“ Yoshimura versuchte sie zu beschwichtigen, doch das schien keinerlei Wirkung zu zeigen. „Hinami! Sie ist weggelaufen!“ „Weggelaufen?“ Die Blauhaarige fuhr sich energisch durchs Haar. „Ich wollte mit ihr raus gehen, aber sie wollte lieber etwas essen. Als ich ihr nicht erlaubt habe, sich an den Vorräten zu bedienen, sie aber trotzdem wollte, habe ich sie konfrontiert. Ich hab`aus Versehen gesagt: „Was denkst du, würde Ryoko zu deinem Verhalten sagen?“ Dann ist sie wütend mit Tränen in den Augen weggerannt. Es ist meine Schuld.“ Die andere Ghula war völlig zerstreut. Angespannt schob Yomo Kisuna zur Seite. „Ich gehe sie suchen“, meinte dieser. „Yomo, ich vertraue dir diese Aufgabe an. Bring sie heil nach Hause zurück. Und du Touka, beruhigst dich erstmal. Das, was du gesagt hast, hat Hinami zwar verletzt, aber ihr beiden versteht euch so gut, sie wird dir vergeben, das weiß ich. Es war schließlich keine böse Absicht.“ „Danke Chef. Ich helfe Yomo.“ Die Sorge stand Touka immer noch ins Gesicht geschrieben. Der alte Herr überlegte kurz, legte dann fürsorglich die Hand auf Kisunas Schulter, lächelte wieder sanft. „Würdest du ihm bitte helfen. Ich brauche Toukas Arbeitskraft heute hier im Antik. Eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass wir dir vollstes Vertrauen schenken können.“ „Was?! Chef! Wieso SIE?!“ Touka platzte wütend hervor. „Das ist nicht fair! Wir kennen sie nicht einmal richtig! Am Ende bringt sie Hinami noch mehr in Gefahr!“ Empört über diese harschen Worte, richtete sie die schwarzhaarige Schönheit aus Yomos, er hatte sie bis jetzt noch festgehalten, sicheren Griff. „Hör mal, ich weiß ja nicht, was du denkst welch` ein Monster ich bin, aber das hier ist ab jetzt genauso mein Heim, wie es auch deines ist. Also lass diese Anschuldigungen sein und wir können gemeinsam versuchen, den anderen besser kennen zu lernen.“ „Ich stimme ihr zu. Touka, du zeigst doch sonst immer Vernunft. Bedrückt dich etwas?“ Yoshimura bemühte sich weiterhin, sie zur Ruhe zu bringen. Vergebens. „Ihr versteht mich alle doch sowieso nicht! Was mich bedrückt? Was los ist?“, zornig stemmte sie die Hände in die Hüfte. Ihr Blick fokussierte Kisuna. „Ich bin nicht diejenige, die Yomo gestern ein Loch in den Bauch gerissen hat!“ Wütend stapfte sie an ihr vorbei, riss energisch die Eingangstür auf und verschwand. Stille kehrte ein. Ein Kopfschütteln vom Chef folgte, er schien betrübt und besorgt dabei. Dann sah er zu dem silberhaarigen Ghul, sie nickten sich beide wie immer zu, worauf Yomo sie am Arm nahm und mitzog. „Hey, Moment!“ Doch das war umsonst. Lange ging es nicht so, denn kaum waren die beiden draußen angekommen, stemmte sich Kisuna gegen den festen Griff und blieb auf der Stelle stehen. „Yomo, warte bitte kurz.“ Reumütig blickte sie zu Boden, krampfte sich an seiner athletischen Brust fest. Leicht schlug sie dagegen, blickte ihm dann doch tief in die Augen. „Yomo, ich…“ Vorsichtig legte sie ihre freie Hand auf die Stelle des Shirts, wo sie ihn verletzt hatte. „Das tut mir Leid. Wirklich.“ Yomo, verwundert über das, was sie da gerade tat, erfasste beide ihre Hände und drückte diese. Ihr kam es so vor, als wolle er sie beruhigen, denn Worte, wen wunderte es noch, kamen nicht aus seinem Mund. Er drehte sich um, ließ ihre Hand aber nicht los und schritt weiter voran. Sprachlos und verwirrt ließ sich die Ghula darauf ein und folgte ihm, seine Hand haltend. So gingen die zwei eine Weile dahin, auf der Suche nach der entlaufenen Hinami. Doch diese nahm in Kisunas Gedanken den kleineren Teil ein. Die Tatsache, dass Yomo ihre Hand hielt und mit ihr so durch die Straßen schlenderte, war ihr weniger unangenehm. Im Gegenteil, es fühlte sich sogar herzlich an, war nur etwas ungewohnt. Umso mehr störend und unangenehm empfand sie die vielen Menschen. Aussagen wie „Sieh mal, dieses Pärchen sieht so gut zusammen aus“ oder „Hat die Glück, so einen schönen Freund zu haben“ irritierten sie viel zu sehr. Der Fakt, dass ihr extremer Hunger sich ebenfalls wieder anmeldete, unterstützte das Ganze keinesfalls. Es machte nur noch alles unerträglich schwer für sie. Die Erschöpfung aufgrund ihres Drangs nach Nahrung wurde mit jedem Schritt, jedem Atemzug immer stärker und stärker. „Was ist?“, fragte Yomo, wodurch sie aufschrak. Im selben Moment knurrte ihr Magen wir verrückt, es war ungeheuerlich laut. „Muss ich dazu noch etwas sagen?“, seufzte sie vor sich hin. „Wenn wir Hinami gefunden haben, besorgen wir gleich etwas zu Essen.“ „Sie ist dir ziemlich wichtig, hab` ich da Recht?“ „Sie hat ihre Mutter und ihren Vater durch die Tauben verloren.“ Entsetzt riss sie ihre Augen auf. „Das wusste ich nicht…“ Yomo nickte. Die restliche Zeit herrschte wieder Stille. Peinliche Stille. Ihre Aussage kam Kisuna einfach nur dumm vor und ihr Hunger stieß sie immer weiter an die Grenzen des Ertragens. „Ich hab`so verdammt Hunger, ich höre schon Schmatzen.“ „Das ist keine Einbildung“, unterbrach er sie. „Wie? Was denn dann?“ Der männliche Ghul legte seinen Finger auf die Lippe, wollte Schweigen symbolisieren. Sie bogen, er hatte ihre Hand nicht losgelassen, gemeinsam abrupt in die nächste Gasse. Das Geräusch wurde immer lauter und lauter, bis sie stehen blieben. Sie trauten ihren Augen kaum. Eine kleine Ghula, sie fraß genüsslich vor sich hin, war der Auslöser dieser penetrant schmatzender Laute, die sie wahrgenommen hatten. Ohne Regung, starr wie ein Klotz, stellte sich Yomo ihr gegenüber, ließ Kisunas Hand los und verschränkte die Arme vor der Brust. Er betrachtete sie durchdringend. Man konnte die Spannung in seinem muskulösen Körper deutlich erkennen, fand sie. Es war definitiv nicht zu übersehen. Doch es war keine zornige Anspannung, nein, vielmehr eine bewusstgewordene, ausdruckstarke Spannung, die rein seine Präsenz unterstreichen sollte. Und genau diese ließ das begeisternd fressende Mädchen auch im nächsten Moment aufschrecken. Das Blut tropfte ihr aus dem Mund, über die Lippen, bildete schließlich eine tiefrote Lache auf dem grauen Teerboden. Perplex blickte Kisuna zwischen den beiden hin und her, wollte die Stimmung, die in der Luft lag, begreifen. Dann regte sich etwas in ihr, ein Gefühl, tief aus der Magengegend ausgehend. „Nein, bitte nicht jetzt den Verstand verlieren“, bitte sie ihr inneres Ich. Das Rot des Blutes strahlte sie an. Herrlich leuchtendes, sattes Rot, musste sie feststellen. Es wickelte sich um ihre Nerven, umschlang ihre Wahrnehmung, entriss ihr die Kontrolle wie aus dem Nichts. War es der Hunger? Ohne Zweifel. „Hinami! Kisuna!“ Yomos bestimmende Männerstimme brach ihre Trance. Beide weiblichen Ghula sahen zu ihm, erschrocken, ertappt. Seine ernste Miene verstärkte sich um ein Vielfaches und das schlechte Gewissen machte sich in ihr breit. Schuldbewusste strich sich Kisuna das Blut von den Mundwinkeln. Als das Schwarz-Rot aus ihren Augen fuhr, wünschte sie sich nichts mehr, als im mit Blut überlaufenen Boden zu versinken. Eigentlich war nur schweres Atmen zu vernehmen. Immer wieder ein tiefer Seufzer, doch nur von ihrer Seite aus. Yomo, er saß mit verschränkten Armen auf dem Sofa ihr gegenüber, hatte seine Anspannung nicht für eine Sekunde verloren. Es war einschüchternd, fand Kisuna und doch wollte sie sich behaupten. Auch, wenn ihr durchaus bewusst war, dass sie einen Fehler begangen hatte. Sie wollte etwas sagen, doch aus ihrem Mund kamen, anders als gewohnt, keine Worte. Kein einziges. Nur der Geschmack von menschlichem Blut klebte noch an ihren Nerven. Es war eine seltsame Stimmung, die dort im Raum lag wie ein toter Fisch. Genauso fühlte sich Kisuna nämlich gerade: plattgedrückt, auf der Oberfläche treibend, verloren. Wäre sie nicht vom Antik und Yomo abhängig, wäre es ihr egal gewesen, hätte sie nicht gekümmert, sie wäre einfach abgehauen. Doch diese Option gab es nun nicht mehr. Nun stand ihr Unterhalt auf dem Spiel, eine ganz andere Liga. „Nun, Kisuna. Willst du uns erklären, was denn genau vorgefallen ist?“ Die Ghula schrak auf. Yoshimura stand in der Tür, sein Ausdruck freundlich wie gewohnt. Geschwind wandte sie sich ab. „Ich weiß, dass es falsch war.“ „Ich verurteile dich auch nicht.“ Sie schnellte zurück. „Warum bin ich dann hier?“ Aufgewühlt von ihren eigenen Worten, senkte sie den Kopf. Wütend auf sich selbst verschränkte sie ebenfalls die Arme und ließ sich mit einem dumpfen Ton in den Stoff der Couch, auf der sie saß, zurückfallen. Yoshimura kam ein wenig näher. Ein leises Klirren schwirrte durch den Raum, als eine Tasse gefüllt mit schwarzer Flüssigkeit vor ihr platzierte. „Kaffee?“ „Danach wird es dir sicher besser gehen.“ Sie nahm einen großen Schluck. „Schmeckt gut.“ Deutlich stach der Geschmack von Mensch hervor. „Das freut mich.“ „Und jetzt?“ Der Chef nickte Yomo zu. Das machten die beiden ständig. Irgendwie störte es sie. „Yomo hat mir erzählt, was sich zugetragen hat.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich kann nachvollziehen, dass dein Verstand und Trieb aufgrund des enormen Hungers mit dir durchgegangen ist. Gut, dass er dich noch einmal daran gehindert hat, diesem imposanten Gefühl nachzugeben.“ Wie? Sie verstand nicht ganz. Doch ehe sie antworten konnte, ergriff der andere Ghul das Wort. Eine Seltenheit. „Schon gut.“ Er begutachtete sie wieder strengen Blickes, als wolle er verdeutlichen: „Sag bloß nichts Falsches, ich warne dich.“ Kisuna konnte immer noch nicht nachvollziehen, was genau sich gerade vor ihr abspielte. Er hatte sie gedeckt. Aber warum? Wieso sollte er? Was hatte er davon? All diese Fragen schwirrten durch ihren Kopf, darauf wartend, beantwortet zu werden. Von keinem geringeren als Yomo selbst. Sie wollte ihn konfrontieren, sobald die beiden alleine waren. Zuvor interessierte sie jedoch noch etwas anderes. „Wie geht es Hinami?“ Ihre Stimme gewann wieder an Sicherheit. „Soweit gut. Ihr ging es wie dir, der Hunger und der Frust hatten sie übermannt.“ „Verstehe… und Touka? Ist sie noch sauer?“ Yoshimura lächelte erneut sanft. Seine Ruhe war unglaublich ansteckend. Schon seit der ersten Begegnung mit dem kauzigen, älteren Herrn, fühlte sie sich sofort verstanden und akzeptiert. Allein durch seine Ausstrahlung und die Art wie er sich formulierte. „Touka ist eine Person von temperamentvoller, aber verantwortungsvoller Natur. Sie braucht nur ihre Zeit, neue Kontakte zu knüpfen und Vertrauen aufzubauen. Nachvollziehbar in unserer Welt, findest du nicht auch?“ Kisuna nickte konzentriert. „Ich verstehe.“ „Wenn du ihr diese Zeit gibst und somit entgegenkommst, wird sie ihr schroffes Verhalten ganz gewiss abschalten.“ „In Ordnung.“ Sie konnte das blauhaarige Mädchen vollends verstehen. Sie selbst wusste nur allzu gut, wie sie sich fühlte. Wie schwer es sein konnte, mit befremdlichen Personen und Situationen, die einen selbst auf die Probe stellten, zurechtkommen zu müssen. Doch man konnte auch daraus lernen, so wie sie es getan hatte. „Ich würde mich gern etwas hinlegen, um ehrlich zu sein.“ Der ganze Vorfall hatte auch die Ghula selbst Energie und Kraft in hohem Maße gekostet, die nun aufzuladen waren. Der alte Ghul gab Yomo ein Zeichen. „So seltsam, diese beiden“, dachte sie sich. „Komm, ich begleite dich.“ Yomo, er hatte sich aus dem Sofa erhoben und seine Spannung war verflogen, hielt ihr die Tür zum oberen Stockwerk auf. Nacheinander spazierten sie hindurch, ließen Yoshimura und die damit verbundene Aussprache hinter sich. Doch Kisuna fühlte sich immer noch schuldig. Der junge Mann hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, ihrer beiden Chef angelogen, nur um sie und ihre miserablen, unvernünftigen Taten zu decken. Wieso nur? „Yomo, warum hast du mich nicht verraten? Ich hätte es verstanden, es war unklug von mir. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Wie immer.“ „Genau deshalb.“ Was? Sie war nur noch verwirrter. „Wie meinst du das?“ Er blieb stehen, wandte sich zu ihr. Seine silbernen Pupillen glänzten als sie direkt in ihre Augen blickten. „Ich bin enttäuscht.“ Das kränkte sie etwas. „Genauso gut kenne ich aber dieses Gefühl, das du heute hattest. Ich habe ihm selbst schon zu oft nachgegeben.“ „Deshalb nimmst du mich in Schutz?“ Er nickte. „Ja.“ „Danke. Glaube ich. Ja doch.“ Verlegen sah sie zur Seite. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann jemand zuletzt so etwas Nettes, abgesehen der Wohnmöglichkeit über dem Antik, für sie getan hatte. Dann stapften beide weiter Stufe für Stufe hinauf, sie folgte ihm stets dicht auf. Seine Worte ließen ihre Gedanken hin und her kreisen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und schon verlor sie das Gleichgewicht, drohte nach hinten die Treppe wieder hinunter zu purzeln. Doch ihre Rettung, es war eine männliche Hand, die nach ihr griff und an sich zog, reagierte schneller als der Blitz. So befand sich Kisuna zum zweiten Mal an diesem Tag in den armen ihres muskulösen Mitbewohners. „Du zitterst. Alles OK?“, fragte dieser mit besorgtem Unterton in der Stimme. „Ja, denke schon.“ Sie lachte gequält. „Heute scheint einfach nicht mein Tag zu sein.“ Sie zuckte erneut auf, als Yomo seine Hand auf ihre Stirn legte. „Du hast Fieber.“ „Nein, das kann nicht sein. Ich werde so gut wie nie krank.“ Als hätte der beinahe Sturz eben nicht schon gereicht, verließen die Ghula allen Anschein nach nun auch die letzten Kräfte, sie sackte in Yomos Armen zusammen. Dieser ließ jedoch keine Sekunde vergeudet. Gekonnt packte er sie, hob sie in seine Arme, in denen er sie die Treppe weiter hochtrug. Hilflos krallte sich Kisuna an seine Brust. Zu erschöpft war sie, um auch nur ein Wort zu äußern. „Wieso lande ich nur immer wieder in seinen Armen?“, dachte sie für sich, bevor alle Kraft dahinschwand und sie endgültig zusammenklappte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)