Ein Chef zum Verlieben von Mitternachtsblick (Mann mit Kind sucht Mann mit Saldenlisten) ================================================================================ Kapitel 5: Zahlliste für dich ----------------------------- „Und jedenfalls glaube ich, dass ich gerade am Rand eines Nervenzusammenbruchs bin“, beendete Kai seine Ausführungen und trank noch einen Schluck zwölf Jahre alten Whiskey. „Und ihr könnt jetzt aufhören, mich auszulachen, ich weiß, dass es lächerlich ist. Aber ihr habt nicht gesehen, wie heiß er ist.“ Hiromi hielt sich eine Hand vor den Mund, während Takao alle Sutbtilität schon längst aufgegeben hatte und herzhaft lachte, ehe er Kai fest genug auf die Schulter schlug, dass der sich beinahe am Whiskey verschluckte.  „Bitte sag‘ uns nochmal, wie heiß der Buchhalter ist“, sagte er amüsiert. „So heiß“, sagte Kai prompt, „so heiß wie ein Meteorit, der in die Atmosphäre eingetreten ist.“ „Oh mein Gott“, sagte Hiromi undeutlich hinter ihrer Hand hervor, aber das Gelächter stand deutlich in ihren dunklen Augen. Kai nahm noch einen Schluck Whiskey. Sie hatten es sich auf seiner Terrasse gemütlich gemacht und Gou war bereits im Bett, weshalb er es sich erlaubte, sich absolut gehen zu lassen. Es war ein sonniger Abend und die Terrakottafliesen unter seinen nackten Füßen hatten sich genug aufgewärmt, dass er die Zehen gerne dagegen presste. Es war angenehm, seine Freunde bei sich zu haben. Es war auch angenehm, dabei ungehemmt Japanisch zu sprechen, was er selten tun konnte. Sein einziger Wermutstropfen war, dass Takao und Hiromi seinen Schmerz absolut nicht ernst nahmen. „Du kannst nicht deinen Buchhalter flachlegen“, sagte Hiromi nun einigermaßen seriös, „das ist echt bedenklich vom Machtgefälle her.“ Kai gab ein unwilliges Stöhnen von sich, lehnte sich in seiner Sonnenliege zurück und warf den Arm über seine Augen. „Du würdest das nicht sagen, wenn du seine Schlüsselbein gesehen hättest.“ „Seine Schlüsselbeine“, wiederholte Takao. Kai nickte langsam. „Das sind Schlüsselbeine zum Niederknien. Die Hände sind auch zum Niederknien. Und der Akzent-“ „Zum Niederknien?“, half Hiromi aus. „Ja!“, sagte Kai enthusiastisch und warf den Arm zurück, um sich wieder etwas aufzusetzen. „Dieses rollende R, als er ‚befriedigt‘ gesagt hat …“ Er seufzte. Takao und Hiromi wechselten einen Blick.  „Ich sag‘s nur ungern“, sagte Takao dann, „aber kann es sein, dass du einfach mal wieder ein bisschen Liebe brauchst?“ „Ja“, sagte Kai überzeugt, „russische Liebe. He, ist es weniger verwerflich, wenn er mich flachlegt?“ „So funktioniert das nicht“, lachte Hiromi und legte eine Hand auf seine. „Ist eine Weile her, seit du von jemandem so begeistert warst. Ich würde jetzt echt gerne ein Foto von dem Kerl sehen.“  „Ich würde dir gerne den Kerl selbst zeigen“, murmelte Kai, „dann würdest du nicht so blöd reden.“ Er seufzte tief. „Was soll ich nur machen?“ „Ihn fragen, ob er Single ist“, schlug Takao umgehend vor. „Muss er nicht sowieso wegen irgendwas mit Zahlen zu dir?“  „Zahllisten, ja“, sagte Kai, „die bekomme ich in ein paar Tagen von ihm … was mache ich, wenn er inkompetent ist?“ Er hielt inne. „Auf der anderen Seite, wenn er inkompetent ist und ich ihn feuere, dann ist es nicht mehr moralisch verwerflich, ihn nach einem Date zu fragen.“ „Kai, ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber das ist schon leicht psychopathisch“, sagte Takao entschieden, „außerdem bin ich mir relativ sicher, dass er dann nichts mehr mit dir anfangen wollen wird. Normalerweise ist es eher ein Lustkiller, wenn man auf einmal ohne finanzielle Sicherheit dasteht.“ „Das Leben ist so schwierig“, seufzte Kai und rieb sich die Schläfe. „Es ist vor allem sowieso eine dumme Vorstellung. Ich meine, ich bin Vater eines Fünfjährigen und sein Vorgesetzter, was sollte ihn an mir reizen?“ „Der Arsch“, sagte Hiromi sofort. „Die Arme“, sagte Takao beinahe in der gleichen Sekunde. Sie sahen sich beide mit einem wissenden Grinsen an, dann fuhr Takao fort: „Jedenfalls gibt es so einige Gründe, warum jemand auf dich stehen sollte.“ Kai konnte nicht leugnen, dass das sein Ego streichelte. Dennoch seufzte er erneut und trank einen Schluck Whiskey. „Glaubt ihr wirklich?“ „Aber natürlich“, sagte Hiromi und tätschelte seinen Kopf. „Es gibt für jeden Topf einen Deckel. Du musst nur daran glauben.“   Kai glaubte eigentlich nicht an sehr vieles. Er glaubte an sich selbst. Das reichte normalerweise aus. Er glaubte meistens nicht an andere Leute, und das war oft ein Problem. Ayaka und er hatten unter anderem deswegen nicht langfristig funktioniert, weil sie in dieser Hinsicht viel zu ähnlich waren und selbst ein gemeinsames Kind änderte daran nicht besonders viel. Weder Ayaka noch er glaubten an die Liebe, was im Endeffekt auch nicht besonders förderlich für ihre Beziehung gewesen war.  Nicht, dass er dachte, dass die Sache mit dem Buchhalter Liebe war. Er kannte den Mann ja nicht einmal. Er hatte einen Blick auf ihn geworfen und war durstig genug geworden, dass er ihn augenblicklich hatte erklimmen wollen wie Reinhold Messner den Mount Everest. Und Kai war erwachsen genug, um zu wissen, dass Lust nicht gleich Liebe bedeutete. Die Zahl der Menschen, die er liebte, hielt sich stark in Grenzen. Er liebte seine Mutter. Er liebte seinen Sohn. Auf schwierige Art und Weise liebte er auch seinen Vater und Großvater. Es war einfach, Hiromi und Takao zu lieben, weil diese ihm keine andere Wahl dazu gelassen hatten. Aber ansonsten war er immer gut damit gefahren, andere Menschen - besonders potenzielle Partnerinnen und Partner - eher auf Abstand zu halten. Anziehung lag zu einem Großteil an Hormonen, die vermutlich auch schuld daran waren, dass er sich in den nächsten paar Tagen immer wieder bei dem Gedanken erwischte, mit Mr. Schlüsselbein in einer Sushibar zu sitzen und seine Hand zu halten wie ein verliebtes Schulmädchen, oder mit ihm durch die Straßen von London zu schlendern und ihm kitschige Geschenke zu machen. Schrecklich. Kitschig und absurd. Der Mann arbeitete vielleicht in seiner Firma, aber er wusste nichts über ihn, außer dass seine Augen hell und klar waren wie Gletschereis und er einen Undercut hatte, über den er mit seinen Fingerspitzen streichen wollte. Und dass er das R auf eine Weise rollte, die in Kai den Wunsch aufkommen ließ, Dinge mit ihm zu tun. Am Ende war er noch ein gesuchter Verbrecher - doch nein, da gingen die Pferde mit ihm durch. Fernandez hatte ihn mit seiner Arbeit bisher noch nie enttäuscht, was die Sorgfalt bei der Evaluierung einer Person anging. Er ließ sich dennoch am Tag der Zahllisten vor dem Treffen mit Mr. Hot And Handsome von Wyatt die Personalakte bringen.  Immerhin hatte er als Chef ein Anrecht darauf, seine Angestellten zu kennen. Und viel würde vermutlich sowieso nicht drin stehen, darauf stellte er sich schon einmal ein. Aber er wollte einfach mehr wissen und die Google-Suche, die er gestern Abend durchgeführt hatte, hatte relativ wenig ergeben außer einem Facebook-Profil, das auf privat gestellt war. Er musterte die Personalakte, dachte um Zeit zu gewinnen darüber nach, dass man das alles endlich endgültig auf digitale Ablage umstellen sollte, und schlug sie dann auf. Wie zu erwarten gab es nicht viel. Da war die Bewerbung mit Lebenslauf, bei dem Kai ein wenig länger hängenblieb, weil das Foto darauf seinen heißen Buchhalter zeigte, der mit geradezu herausforderndem Blick und ohne zu lächeln in die Kamera starrte. Keine Auskunft über die Eltern oder den Familienstand. Das Design war sehr klar, geradlinig und auf das Wesentliche beschränkt. Der Lebenslauf gab immerhin Auskunft darüber, dass er fast zwei Jahre älter war als Kai und in Moskau geboren worden war. Der Schulabschluss war erst mit - Kai rechnete rasch nach - zwanzig gemacht geworden, was erstaunlich war. Er hatte nicht studiert, in Moskau aber eine mehrjährige Stelle in der Finanzabteilung einer Firma innegehabt, was immerhin für ihn sprach. Auch die Stellen danach waren zumindest durchschnittlich zwei Jahre lang ausgeübt worden, alle in einem ähnlichen Sektor und sogar in internationalen Firmen. Außerdem gab die Personalakte Aufschluss darüber, dass er vor nicht ganz zwei Jahren nach Großbritannien gekommen war und eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung besaß. So weit, so gut.  Was er nicht sah, waren britische Buchhalterzertifikate. Kai runzelte die Stirn und ging noch einmal Dokumente durch, aber er hatte nichts übersehen. Das war in der Tat seltsam. Hatte Fernandez am Ende doch den erstbesten Buchhalter eingestellt, nur damit die Position besetzt wurde? Er griff nach dem Telefon, um Fernandez zu sich zu zitieren, dann hielt er inne und zögerte. Einen Moment lang überdachte Kai rasch und reglos seine Optionen. Dann griff er doch zum Telefon, wählte aber die Durchwahl seines Assistenten. „Schicken Sie den Buchhalter mit den Zahllisten hinauf“, sagte er. Dann legte er auf, lehnte sich in seinen ledernen Bürostuhl zurück und drehte sich damit um, bis er mit übereinander geschlagenen Beinen und nachdenklich aneinander getippten Fingerspitzen auf die glitzernde Themse blicken konnte. Er stellte fest, dass er Mr. Gletscheraugen nicht feuern wollte, schon gar nicht über ein paar fehlende Referenzen. Und das hatte - vermutlich - nichts damit zu tun, dass er heißer war als die Wüste Gobi, was die monatlichen Besprechungen so viel besser machen würde als jene mit dem bisherigen Buchhalter. Mr. Prettyhands ließ sich immerhin nicht lange bitten und klopfte schon nach etwa zehn Minuten an, was bei den besetzten Aufzügen um die Uhrzeit eine durchaus beachtliche Leistung war. „Herein!“, rief Kai. Er wartete, bis der Buchhalter den Schritten zu urteilen etwa in der Mitte des Büros angekommen war, dann drehte er sich schwungvoll um - schwungvoll, aber nicht schwungvoll genug, um sich zu weit zu drehen und lächerlich zu machen. Die präzise Bewegung, mit der er sich Mr. Iwanov zudrehte und mit dem Schreibtischstuhl genau so zum Stehen kam, dass er in einer fließenden Bewegung die Ellbogen auf der Tischplatte abstützen und die Personalakte darauf schließen konnte, was hundertmal von ihm geprobt worden. Gott, aber der Mann sah im Sonnenlicht der oberen Etagen gleich noch viel besser aus. Und er hatte neben einem mitgebrachten Ordner ein Klemmbrett.  „Mr. Iwanov“, sagte Kai und verfluchte sich ein wenig für seinen trockenen Mund, der deutlich etwas von der Coolness des Moments wegnahm. „Ich habe Sie erwartet.“ Der Buchhalter blieb stehen und starrte ihn an. „Haben Sie das extra geübt?“ „Ich weiß nicht, wovon Sie reden“, erwiderte Kai und nickte zu dem Stuhl ihm gegenüber. „Bitte, nehmen Sie Platz. Sie haben meine Zahllisten?“ „Natürlich, fix und-“ Beim Herantreten fiel der Blick des Buchhalters auf die Personalakte, die Kai bewusst nur zugeschlagen, aber nicht weggeräumt hatte. Augenblicklich verhärtete sich sein Kiefer. Er schien einen Moment lang zu überlegen, dann richtete er den Blick auf Kai, der sich wie elektrisiert von dem direkten Augenkontakt fühlte. Einen Moment lang starrten sie sich stumm an, dann fragte Mr. Iwanov: „Gibt es einen Grund, warum Sie sich meine Personalakte durchlesen?“ Ein Mann, der offensichtlich keine Konflikte scheute. Kai hielt sich davon ab, die Mundwinkel in die Höhe zu ziehen, sondern schulte seinen Gesichtsausdruck zu einer sorgfältigen Maske der Neutralität. Er beobachtete Mr. Iwanovs Reaktion sehr genau, als er schließlich erwiderte: „Ich wollte mir noch einmal ansehen, mit wem ich hier zusammenarbeiten soll. Und dabei konnte ich nicht umhin, als festzustellen, dass Sie keine britischen Buchhalterzertifikate aufweisen.“  Einen Moment lang sagte Mr. Iwanov nichts. Dann machte er einen tiefen Atemzug und fixierte Kai mit einem derart intensiven Blick, dass ihm einen Moment lang beinahe das Herz aussetzte. „Sie haben Recht“, sagte er ruhig und sein Akzent war dabei noch ein wenig stärker als zuvor, was einen lustvollen Schauer über Kais Rücken jagte. „Ich besitze keine. So wie ich das sehe, haben Sie jetzt zwei Optionen, Mr. Hiwatari.“ Bevor er sich selbst aufhalten konnte leckte Kai sich über die Lippen. Ihm entging nicht, dass der Buchhalter der Bewegung mit brennenden Augen folgte, die seinen eigenen Blutdruck in die Höhe trieben. Kai räusperte sich, dann fragte er: „Und welche Optionen wären das Ihrer Meinung nach, Mr. Iwanov?“ „Nun“, sagte Mr. Iwanov, „Sie können mich natürlich rauswerfen, weil ich kein Stück Papier besitze, das bestätigt, was ich Ihnen gleich beweisen werde, nämlich, dass ich weiß, was ich tue. Das wäre Option eins. Option zwei-“ Er nahm den mitgebrachten Ordner mit, dessen Rücken sogar mit einem ausgedruckten Etikett statt nur handschriftlich beschriftet war, und stellte ihn zwischen sich und Kai auf den Schreibtisch. „Option zwei wäre, dass Sie einen Blick in diesen Ordner werfen und zu dem Schluss kommen, dass ich die ideale Besetzung für diesen Job bin, ob mit Zertifikat oder ohne.“ Kai sah ihn an. Mr. Iwanov sah ohne zu blinzeln zurück. Gott, er wollte ihm das Jackett vom Leib reißen und ihn reiten wie einen Mustang beim Rodeo. Stattdessen griff er nach dem Ordner und schlug ihn auf, nur um unwillkürlich den Atem anzuhalten. Der Mann hatte ein Inhaltsverzeichnis für den Ordner erstellt.  Die Trennkarten folgten einem strengen farblichen Schema, das sich von selbst erklärte. Er hatte nicht nur die Zahllisten perfekt formatiert, sondern auch die erläuternden Belege für die größeren Eingangsrechnungen als Kopie im Anhang beigefügt. Kai blätterte stumm durch und dachte sich, dass er lange schon nicht mehr so nahe an einem trockenen Orgasmus gewesen war, was wiederum vermutlich einiges über sein Liebesleben aussagte.  Er sah auf. Mr. Iwanov hob eine verwegene rote Braue. Kai hielt den Ordner fest und räusperte sich, dann sagte er möglichst neutral: „Ich will, dass Sie dieses Zertifikat so schnell wie möglich nachmachen, haben Sie mich verstanden?“ „So schnell wie möglich“, wiederholte Mr. Iwanov, „glasklar verstanden.“ Kai biss sich auf die Innenseite seiner Wange, dann konnte er sich nicht helfen und fragte: „Warum haben Sie es bis jetzt nicht gemacht?“ Mr. Iwanov war einen Moment ruhig und blickte hinab auf das Klemmbrett, während er mental mit sich zu debattieren schien. Dann hob er in plötzlicher Entschlossenheit den Kopf und sagte, in vollkommen neutralem Tonfall, der die Hitze in seinem Blick Lügen strafte: „Mr. Hiwatari, wenn Sie Einzelheiten über mein Leben wissen wollen, dann müssen Sie mit mir essen gehen.“ Kai klappte der Unterkiefer herunter. Zumindest innerlich. Äußerlich war er zu einer Salzsäule gefroren, die seinen Buchhalter wortlos anstarrte.  Was zum Teufel, sagte eine kleine Stimme in seinem Kopf plötzlich, was soll‘s. „Schön“, sagte er schließlich in ebenso neutralem Tonfall, „passt Ihnen dieser Freitag, Mr. Iwanov? Um acht vielleicht?“ Nun war es an dem Buchhalter, ihn anzustarren. Dann aber breitete sich langsam, aber deutlich ein Lächeln auf seinen Zügen aus, das irgendwo zwischen heller Ekstase und leichtem Wahnsinn lag. „Ich hole Sie von der Arbeit ab, Mr. Hiwatari. Gibt es etwas, das Sie nicht essen?“ „Ich bin entgegen der gängigen Meinung nicht anspruchsvoll.“ „Ich werde es gut für Sie machen“, versicherte Mr. Iwanov in einem Tonfall, der Kai stumm darum beten ließ, dass es sich nicht nur auf das Essen bezog. „Aber sicher doch“, sagte er mit trockener Kehle und blickte dann auf den Ordner, „dann lassen Sie uns doch jetzt mal ein paar Zahlen durchgehen.“ „Mit Vergnügen“, schnurrte Mr. Iwanov und zückte das Klemmbrett. Er hatte sogar an einen Kugelschreiber gedacht. Freitag, dachte Kai. Die Woche hatte sich noch nie so lange angefühlt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)