Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Epilog: Von bekannten Mustern und neuen Zielen ---------------------------------------------- Ein Jahr später     Ach, ihr seid ja immer noch da. Hätt ich jetzt nicht gedacht. Ich meine, die Geschichte ist zu Ende, die Prinzessin hat ihren Märchenprinz und der Frosch ist wieder zurück in den Teich gehüpft. Alles prima, oder? Was?   Ich hab noch was vergessen?   Was denn nur?   Oliver?   Ach, du meine Güte, ja. Den Knilch hab ich wohl echt verdrängt. Also gut, ich geb euch nochmal die Schnellzusammenfassung. Nachdem wir von der Klassenfahrt wiedergekommen waren, hielt der gute Oliver erstaunlicherweise seine Füße still. Keine Ahnung, ob es daran lag, dass Jo ihm quasi die Freundschaft gekündigt hatte oder an meinem neuen, selbstsicheren Auftreten. (Haha!) Aber nachdem das mit Julius ausgestanden war, hatte ich für Oliver eigentlich nur noch ein müdes Lächeln übrig. Was wollte er denn machen? Mich vor der Schule outen? Sollte er doch. Mir war das inzwischen relativ egal. Außerdem hörte ihm sowieso keiner mehr so wirklich zu. Tja und zwei Tage vor Ferienbeginn kam er dann plötzlich nicht mehr. Warum erfuhren wir erst im neuen Schuljahr. Er war klebengeblieben und durfte jetzt den Leuten eine Stufe unter uns auf die Nerven gehen. Ich war, wie fast alle anderen auch, in die Oberstufe aufgestiegen und durfte daher einen neuen Platz in der Pausenhalle beziehen, sodass sich selbst in den Zeiten zwischen den Unterrichtsstunden unsere Wege nur noch selten kreuzten. Irgendwann ist er dann mitten im Schuljahr vollkommen von der Bildfläche verschwunden. Ganz kurz kam zwar mal das Gerücht auf, er hätte sich was angetan, aber der Grund für sein Wegbleiben war wohl sehr viel simpler. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen und er war mit seiner Mutter irgendwo zu ihrer Familie nach Süddeutschland gezogen. Ich hoffe, dass er sich dort jetzt ein bisschen besser benimmt.   Was noch …?   Die Hochzeit. Ja, das war schon so ganz nett. Nicht meine Art von Veranstaltung, aber meine Schwester sah toll aus, mit dem Caterer hat fast alles geklappt, es ist keiner betrunken in den Gartenteich gefallen und am Ende waren sie und Björn verheiratet und das ist ja nun irgendwie der eigentliche Sinn des Ganzen gewesen. Ich hatte mir Anton als seelische Unterstützung miteingeladen und wir haben uns irgendwann zum Zocken in mein Zimmer verzogen. War also erträglich.   Kurz nach Weihnachten kam dann auch das Baby. Etwas zu früh, war aber wohl nicht schlimm und nach ein paar Tagen durfte ich mir dieses schrumpelige Bisschen Mensch dann auch aus der Nähe angucken. Ein Mädchen war es geworden. Warum meine Schwester sie nun unbedingt Josephine nennen musste, geht mir zwar immer noch nicht in den Kopf, aber Josie und ich kommen so ganz gut miteinander klar, wenn sie nicht gerade schreit oder stinkt oder am Busen ihrer Mutter hängt. Inzwischen kann man sie auch schon auf den Arm nehmen, ohne gleich irgendwas abzubrechen, und wenn sie mich dann mit ihren mittlerweile schon anderthalb Zähnchen anlächelt und vergnügt quietscht, bevor sie mir den Finger ins Auge bohrt, dann ist das schon so ganz niedlich.     Der eine oder andere fragt sich vielleicht auch, was aus Julius geworden ist und bis vor ein paar Wochen hätte ich gesagt, dass ich euch das leider nicht sagen kann, aber dann sind meine Mutter und ich ihm Pfingsten auf einem Kunsthandwerks-Markt über den Weg gelaufen. Das war total seltsam, weil wir da eine ganze Strecke mit dem Auto hingefahren sind und ich so gar nicht mit ihm gerechnet hatte, aber dann stand er auf einmal da zwischen Töpferkram und handgewebtem Schurwollsachen und strahlte von einem Ohr zum anderen. An seiner Seite hatte er nämlich einen Mann und – und nun haltet euch fest – ein kleines Mädchen. Die Lütte war vielleicht vier und streckte gerade die Arme aus, um von Julius hochgehoben zu werden. Der andere Mann, von dem ich vermute, dass es der Vater des Mädchens war, da die beiden die gleichen, dunklen Haare hatten, drohte ihr spielerisch mit dem Zeigefinger, woraufhin sich Julius mit ihr gegen ihren Papa verbündete und sie schließlich doch eine der Tonpfeifen bekam, die an dem Stand verkauft wurden, vor dem sie standen. Just in dem Moment, in dem Julius dem Mädchen das wie ein Vogel geformte Instrument in die Hand gedrückt hatte, sah er hoch und unsere Blicke begegneten sich. Er guckte erst ein wenig komisch, bevor er sich bei seinem Begleiter entschuldigte und doch tatsächlich zu mir rüberkam. Da meine Mutter gerade die Nase in irgendwelchen rostigen Gartendekorationen vergraben hatte, nutzte ich die Gelegenheit, um mich von ihr loszueisen und ihm entgegenzugehen. Tja, und da standen wir nun inmitten der Mengen und schauten uns an. „Hallo Benedikt“, sagte er irgendwann. „Hallo Julius“, antwortete ich. Es war eigenartig, ihn wiederzusehen nach all der Zeit. Ich sah ihm an, dass ihm das Ganze auch unangenehm war, weswegen ich hinter ihn deutete. „Ist das dein neuer … äh … Freund?“   Er lächelte. „Ja, ist er. Wir … wir wohnen zusammen.“   Ich schluckte das „so schnell“ herunter, das mir auf der Zunge lag. Es wäre nicht richtig gewesen, ihn das zu fragen. Zumal der Typ aussah, als hätte er Kohle. Keine Ahnung, wie ich darauf kam, aber er wirkte so … gediegen. Im Grunde genau so, wie ich mir Julius’ Ex immer vorgestellt hatte. Der, der ihm damals Frau und Kinder verschwiegen hatte. Anhand des Alters der Kleinen konnte es jedoch nicht derselbe Mann sein. Er musste jemand neuen kennengelernt haben, der aber wie es aussah, zu seiner Homosexualität stand. Immerhin war er mit Julius hier oder nicht?   „Was macht die Ausbildung?“, fragte ich, um das Gespräch nicht vollkommen einschlafen zu lassen. „Mache ich jetzt im Fernstudium. Ich arbeite in Rafaels Büro und … na ja. Das willst du bestimmt alles gar nicht wissen.“ Ich lächelte. „Ich denke mal, es geht mich wohl auch nichts an.“ Er nickte und wollte sich schon umdrehen, als ich ihn noch einmal aufhielt. Er sah mich ein wenig irritiert an, also ließ ich seine Hand schnell los und steckte meine zur Sicherheit gleich in die Hosentasche.   „Ich … ich freu mich für dich“, sagte ich und er nickte nur, bevor er wieder zurückging zu seiner kleinen Familie. Die, die er sich so lange gewünscht hatte.     Ich selbst habe inzwischen noch keine neue Beziehung gehabt. Es mangelt irgendwie ein wenig an Angebot und außerdem … na ja. Da ist immer noch Theo. Dass Theo und Mia das neue Traumpaar waren, muss ich vermutlich nicht unbedingt erwähnen. Sie waren allerdings nicht die einzigen, die zueinander gefunden hatten, und so durfte man seit den letzten Ferien auch Ben und Sandra beim Händchenhalten (und Streiten) beobachten. Jo führte nach Nele und noch irgendwem inzwischen ein Mädchen aus der ehemaligen 10c spazieren und dann gibt es noch einige andere, die ich euch jetzt mal erspare, weil ihr euch die sowieso nicht alle merken könnt. Es wird also heftig geturtelt – jetzt nicht so, dass sich da wer in aller Öffentlichkeit die Zunge in den Hals steckt, aber man merkt halt, wenn zwei zusammen sind – und ich beobachte das Ganze eher misstrauisch aus der Ferne, weil ich dieser ganzen Sache mit der Liebe immer noch nicht so recht traue.   Nur manchmal, wenn ich nachts wachliege, denke ich darüber nach, was wohl passiert wäre, wenn ich Theo damals gesagt hätte, was Sache ist. Was ich für ihn empfand und vielleicht immer noch empfinde. Denn warum sonst würde es mir so einen Stich versetzen, wenn ich ihn und Mia zusammen sehe. Oder warum hab ich so grinsen müssen, als unser Deutschlehrer letztens sagte: „Von Hohenstein ist schlecht? Aber den habe ich doch gerade noch in der Mittagspause mit seiner Freundin in der Stadt gesehen. Na ja, da würde mir auch schlecht werden.“   Aber die Gelegenheiten, zu denen Theo und ich uns über den Weg laufen, sind akut weniger geworden. Dank des Kurssystems haben wir kaum noch Stunden zusammen. Sogar in unterschiedliche Sportkurse sind wir eingeteilt worden und wenn ich irgendwann endlich Erdkunde abwählen kann, haben wir noch ganz genau Deutsch und Geschichte zusammen. Wobei das auch eher daran liegt, dass es keinen Deutschleistungskurs gibt, den er wohl eigentlich gerne gewählt hätte, wie ich mal mitbekommen habe, aber es haben sich nicht genug Leute dafür zusammen gefunden. Die einzige andere Gelegenheit, die sich dann noch ergibt, ist, wenn er Mia vom Französisch abholt, denn meinen Job im Sportladen habe ich inzwischen geschmissen. Ich wollte einfach nicht mehr so viel Zeit mit Theo allein verbringen. Wir haben uns zwar nicht gestritten, aber das ständige Lächeln, während er mir von Mia vorschwärmt, war doch etwas anstrengend. Wobei es wirklich echt schwierig ist, sie nicht zu mögen, aber gleichzeitig ist sie halt die, die das Rennen gemacht und sich noch nicht mal dafür angestrengt hat. Es gibt eben so Leute, die alles schaffen, nur weil sie existieren. Die perfekt sind, ohne jemals etwas dafür zu tun. So jemand ist Mia und ich glaube, dass sie Theo sehr glücklich macht.   Wobei … ganz manchmal erwische ich ihn dabei, dass er noch zu mir rübersieht. Bilde ich mir wenigstens ein. Er kommt auch ab und an zu mir und beginnt ein Gespräch über irgendetwas total Belangloses, fast so als wäre er mit der Entscheidung, die er damals gefällt hat, doch nicht so hundertprozentig zufrieden. Aber vermutlich ist das mal wieder nur meine blühende Fantasie, die mir da einen Streich spielt. Inzwischen meide ich Gelegenheiten, wo wir uns über den Weg laufen können, auch tunlichst. Ich will nicht noch Öl ins Feuer gießen, denn, wenn ich ehrlich bin, bin ich noch nicht so wirklich über ihn hinweg. Anton hat gesagt, es gäbe einen sehr passenden, englischen Ausdruck dafür. „The one that got away“. Der oder die eine, der wie für dich geschaffen schien und den das Schicksal dir wieder entrissen hat, ohne dich nach deiner Meinung zu fragen. Es hat nicht gepasst, warum auch immer. Und im Nachhinein fragt man sich dann wieder und wieder, was wohl daraus geworden wäre. Man idealisiert und romantisiert und betrachtet denjenigen durch eine ganz furchtbar rosarot gefärbte Brille und ist der Meinung, dass man vermutlich viel glücklicher wäre, wenn man nur diese eine Beziehung hätte retten können. Aber es hat eben einfach nicht sollen sein und vielleicht war es am Ende besser so. Versuche ich mir zumindest immer einzureden.   Bei Theo muss ich inzwischen wohl davon ausgehen, dass er halt doch einfach nicht auf Kerle steht, obwohl … wie gesagt … manchmal da denke ich, dass da … Ach lassen wir das. Es hat ja doch keinen Sinn. Theo ist mit Mia zusammen und ich bin nur der Typ, den er gut leiden kann und irgendwann mal geküsst hat und den er aus welchen Gründen auch immer auch dieses Jahr wieder zu seiner Party eingeladen hat. Wobei auch das nichts heißen muss, denn, wie ich schon beim ersten Mal orakelt habe, hat sich das Ganze zu einem jahrgangsweiten Sache entwickelt, sodass eben heute einfach jeder hier ist. Leider konnte Anton nicht kommen, denn er muss morgen zu irgendeinem Tanten-Geburtstag in Hintertupfingen. Seine Mutter hat darauf bestanden und, obwohl er sich inzwischen schon nicht mehr so viel von ihr sagen lässt, hat er gemeint, dass er da wohl mitmüsse. Des lieben Friedens willen. Also sind sie heute direkt nach der Schule losgefahren und mich hat meine Mutter alleine hier abgesetzt.   Aber ich komme klar, ja wirklich. Ich hab mir eine der Flaschen geschnappt, die dieses Mal schon öffentlich auf dem Tisch stehen – immerhin sind wir ja jetzt schon ein ganzes Jahr älter und reifer – und hab mich damit in eine Ecke des Strohbodens verzogen. Ist so ganz nett hier zu liegen und das duftende Heu zu riechen, das Gekicher und Geraschel der knutschenden Pärchen und wenn ich jetzt nicht mal müsste, würde ich wohl hier liegenbleiben und irgendwann einpennen. Aber das geht ja nun wirklich nicht, also werde ich mich mal aufmachen und drüben das Örtchen aufsuchen. Ihr wisst schon. Das in der Diele, wo die Treppe nach oben führt in Theos Zimmer. Und vielleicht gucke ich mir das doch mal an. Wird schon keiner mitkriegen. Ich meine, irgendwie ist er mir das doch schuldig, oder? Dass ich wenigstens einmal das Bett sehe, in dem ich nie liegen werde, weil er sich für Mia entschieden hat. Ich finde schon.   Also dann: Macht’s gut. Ich gehe jetzt nämlich mal dahin, wo auch der Kaiser zu Fuß hingeht, und da müsst ihr ja nun wirklich nicht mitkommen. Von daher wünsche ich euch noch ein wundervolles Leben und vor allem mehr Glück als ich mit dieser seltsamen Sache namens Liebe. Denn denkt immer an meine Worte: Die Liebe ist saugefährlich aber irgendwie auch wunderschön. Deswegen lasst sie euch nicht entwischen und haltet sie fest, wenn ihr sie mal gefunden habt. Manche Gelegenheiten kommen nämlich einfach nicht wieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)