Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 45: Von wunderbaren Gefühlen und klaren Ansagen ------------------------------------------------------- Theos Mund war fest und warm. Ich merkte, wie er die ungewohnte Berührung erst einen Augenblick lang auskostete, bevor er sie erwiderte. Ganz leicht und vorsichtig, so als könnte tatsächlich irgendetwas Schlimmes passieren. Ich passte mich ihm an. Strich nur ganz sacht mit meinen Lippen über seine und ließ ihn das Tempo bestimmen. Eigentlich konnte man es kaum einen Kuss nennen und doch war es das Beste, was ich je gefühlt hatte. „Siehst du“, sagte ich leise, nachdem ich die Berührung wieder beendet hatte. „Es ist ganz einfach.“   Er leckte sich über die Lippen. Sah mich an.   „Ich … ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich es verstanden habe. Könntest du es nochmal machen?“   Ich lächelte   „Klar.“   Wieder lehnte ich mich vor und dieses Mal küsste ich ihn richtig. Es war, als würden über mir die Sterne explodieren. Wie oft hatte ich mir diesen Moment vorgestellt? Wie oft davon geträumt, ihn tatsächlich einmal zu küssen? Ihn in meinen Armen zu halten und einfach nur mit ihm zusammen sein zu können. Und plötzlich schien es, als wäre jeder Zentimeter, der zwischen uns lag, zu viel.   Er entknotete seine Beine und ich meine und ich weiß nicht, wie wir es hinkriegten, dabei den Kuss kaum zu unterbrechen, aber im nächsten Moment saß er halb auf meinem Schoß und meine Hände fuhren seinen Rücken hinab während unsere Münder sich wieder und wieder zu einem Kuss nach dem nächsten fanden.   In einem seltsam abgetrennten Winkel meines Hirns stellte ich fest, dass er sich wirklich keine Sorgen hätte zu machen brauchen, denn er küsste absolut wundervoll, aber der Rest von mir war viel zu beschäftigt damit, jede noch so kleine Kleinigkeit in sich aufzusaugen. Das Gefühl seines Gewichts auf meinen Beinen, die Berührung unserer Lippen und das leise Keuchen, als ich irgendwann ganz sanft mit meiner Zunge um Einlass bat. Seine Hände, von denen mittlerweile eine in meinem Nacken lag, während die andere sich in meine Jacke krallte. Meine Hände, die noch etwas kecker und vorwitziger waren und an einer Stelle unter sein Sweatshirt schlüpften, um dort die warme Haut seines unteren Rückens zu streicheln. Sein Geruch, der über dem des Meeres fast nicht wahrnehmbar war und mich fast den Kuss unterbrechen ließ, damit ich meine Nase tief an der Stelle zwischen seiner Schulter und seinem Hals vergraben konnte, um diesen wunderbaren Duft einzuatmen und nie wieder etwas anderes riechen zu müssen. Es war so groß, so gigantisch, dass mein Herz kaum hinterherkam, all das zu fühlen, was in diesem Moment über mir zusammenschlug. Das hier war alles, was ich je gewollt hatte, und es war perfekt.     Nach einer gefühlten Ewigkeit unterbrach Theo den Kuss und sah mich an. Seine sonst so hellen Augen waren dunkel und sturmumwölkt. Ich hörte, wie er schluckte und offenbar nach Worten suchte. Ein Lächeln zuckte über mein Gesicht. Anscheinend konnte er ebenso wenig wie ich begreifen, was gerade geschehen war. Ich fühlte mich genötigt, irgendetwas zu sagen.   „Ich glaube, du hast es begriffen.“ „Ja?“   Es klang atemlos, als wäre er zu schnell gerannt.   „Ja, wirklich. Das war ausgesprochen gut.“ „O-okay.“   Wieder schwiegen wir, als könnte jedes Wort, jede Bewegung das zerbrechliche Gebilde zwischen uns in tausend Stücke zerspringen lassen. Ich war sogar versucht die Luft anzuhalten, nur um es noch ein wenig länger andauern zu lassen. Dabei wusste ich, dass es nicht für immer sein würde. Ich wusste es, bevor er es aussprach. „Es ist spät. Wir … wir sollten vielleicht langsam zurückgehen.“ „Ja, das sollten wir.“   Aber ich will nicht, fügte ich in Gedanken hinzu. Am liebsten wäre ich ewig hier sitzengeblieben, um ihn die ganze Nacht lang zu halten und zu küssen. Einen ganz kurzen Moment huschte der Plan durch meinen Kopf, uns ins Zelt der Mädchen zu legen. Inzwischen hatte sich der Gestank bestimmt verzogen, und dort könnten wir … Dinge tun. Ich. Mit Theo. Oh mein Gott! Die Bilder in meinem Kopf waren viel zu gut, um nicht wenigstens kurz mal darüber nachzudenken. Nackte Haut und feuchte Küsse. Meine Hand, die sich tastend über seinen gesamten Körper schob. Seine Brust, seinen Bauch und schließlich in die Region, die jenseits der Gürtellinie lag. Seine Finger, die dasselbe bei mir taten. Wie wir uns anstrengten, leise zu sein, damit es auch ja niemand mitbekam. Theo, dessen Atem ganz dicht an meinem Ohr immer schneller wurde, bis er schließlich mit einem erstickten Laut auf den Lippen kam. Wie er mich daraufhin ebenfalls zum Höhepunkt brachte und wie wir danach einander in den Armen lagen und langsam wegdämmerten, bis uns dann am nächsten Morgen irgendwer fand. Eng umschlungen, die untrüglichen Spuren unseres Tuns noch deutlich sichtbar, doch es wäre uns egal, weil wir uns endlich hatten. Aber natürlich würde es so nicht laufen. Ich wusste das, auch wenn die Vorstellung sich mehr als real anfühlte.   Stattdessen kletterte Theo ein bisschen umständlich wieder von meinem Schoß herunter und ordnete seine Kleidung. Ich reichte ihm die Gitarre und gemeinsam gingen wir nebeneinander zum Strand zurück. Niemand sagte ein Wort.   Vor dem Zelt angekommen blieben wir schließlich stehen. Ich denke, uns war beiden klar, dass es hier erst einmal enden würde. Stumm standen wir da und sahen uns an. Ich hätte ihn nur zu gerne noch einmal geküsst, aber vermutlich war das hier weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt. Also griff ich nur irgendwann nach der Zeltleinwand und zog sie beiseite, sodass Theo ins Innere schlüpfen konnte. Ich folgte ihm und wusste in dem Moment, in dem ich mich in meinem Schlafsack zusammenrollte, dass ich sowieso nicht würde schlafen können. In meinem Kopf kreisten kleine, rosarote Sterne und die ganze Zeit über konnte ich nur noch daran denken, was gerade geschehen war. Ich hatte ihn geküsst. Ich hatte ihn wirklich geküsst. Und er mich. Der absolute Wahnsinn!     Der nächste Morgen kam viel zu früh und ich bekam meine Augen kaum auf, als Timo mich an der Schulter rüttelte und mir sagte, dass ich endlich aufstehen musste, wenn ich noch Frühstück haben wollte. Mühsam erhob ich mich und schaute sofort rüber zu Theos Schlafplatz. Auch er schlief noch. Mit dem Rücken zu mir lag er da, den blonden Schopf fast völlig im Schlafsack vergraben. Es saß süß aus und ich hätte ihm noch ewig beim Schlafen zusehen können. Leider machte mir Timo einen Strich durch die Rechnung und weckte auch ihn. Ebenso schlaftrunken wie ich setzte Theo sich auf und strich sich die Müdigkeit aus dem Gesicht. Ganz kurz fiel sein Blick auf mich, bevor er den Kopf abwandte und hörbar ausatmete.   Ich zwang mich, ebenfalls woanders hinzugucken. Ich wollte ja nicht, dass wir auffielen. Also zog ich mich an und sagte nichts, während er sich aus seinem Schlafsack schälte und es mir nachtat. Meine Klamotten rochen nach Feuer und Rauch, aber das würde jetzt erst mal so gehen müssen. Zumal … das hier hatte ich angehabt, als Theo mich das erste Mal geküsst hatte. Vermutlich würde mich der Geruch ewig daran erinnern.   „Kommst du mit zum Frühstück?“, fragte ich in möglichst neutralem Ton. „Ja.“   Ich merkte gleich, dass die Stimmung eigenartig war. Die Art, wie er meinem Blick auswich und ein Stück weit von mir entfernt über den Rasen ging. All das schrie förmlich danach, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich hätte ihn am liebsten gefragt, aber die Gelegenheit ergab sich nicht und so beobachtete ich nur, wie er sich an einen der massiven, hölzernen Picknicktische setzte, die wir hier mangels Speisesaal zu unserem Frühstücksplatz umfunktioniert hatten. Sie standen direkt vorne am Wasser und von hier aus hatte man an einigen Booten vorbei eine tolle Aussicht auf den Steg, auf dem Theo und ich heute Nacht gesessen hatten. Auf dem wir uns geküsst hatten.   Mit Gewalt wandte ich mich ab, setzte mich an den zweiten Tisch und nahm mir eines der Brötchen. Kaum hatte ich es jedoch auf meinen Teller gelegt, verging mir schon wieder der Appetit. Ich wusste, dass ich mich beeilen musste, denn schon bald würde Herr Wilkens die Sachen wieder in seinem Zelt verstauen und dann würde ich das Ding trocken essen müssen. Ein Umstand, der mir in Anbetracht dessen, was mir gerade durch den Kopf ging, vollkommen egal war.   Ich hatte Theo geküsst und es war toll gewesen. Der Wahnsinn. Aber jetzt? Jetzt stand dieses Schweigen zwischen uns, das von Minute zu Minute lauter wurde. Es verdrängte alles. Den Sonnenschein über dem rauschenden Meer, das fröhliche Kinderlachen, das vom nahen Spielplatz zu uns herüberwehte, die neckende Kabbelei zwischen Sandra und Ben, die bereits dabei waren, Material für das Hindernisrennen zusammenzusuchen, die Unterhaltung zweier Camper, die irgendwas an ihrem Boot herumwerkelten und auf Dänisch vermutlich darüber schwadronierten, wo sie heute wohl hinfahren würden. Zum Baden oder Angeln oder sonst irgendwas. All das ging unter in diesem übermächtigen Schweigen, das in meinen Ohren dröhnte und mich schwindeln ließ. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich schnappte mir meinen Teller und ging rüber zu Theo.   „Ist da noch frei?“, fragte ich und deutete auf die Bank neben ihm. „Ja. Ich wollte eh gerade gehen.“   Noch bevor ich reagieren konnte, erhob er sich, nahm seinen Teller und ging zu dem Spülbecken, das hier ganz in der Nähe der Mülltonnen als Abwaschplatz diente. Ich sah zu, wie er den Teller kurz unter Wasser hielt, bevor er ihn tropfend und vermutlich nicht gerade sauber mit in Richtung Zelt nahm. Ich folgte ihm mit den Augen und spürte einen Stich in meinem Magen. Denn die Botschaft dahinter war klar. Rühr mich nicht an und sprich nicht mit mir. Es schmerzte mich, dass er so war, aber ich würde ihm wohl Zeit geben müssen. Viel Zeit. Dabei wollte ich nichts lieber, als wieder mit ihm zusammen zu sein. Nur war ich, wie es aussah, mit diesem Wunsch allein. Theo brauchte Abstand und mir blieb nichts anderes übrig, als diesen Wunsch zu respektieren. Aber je länger der Tag dauerte, desto schwerer wurde es, diesem Vorsatz gerecht zu werden.   Nach dem Frühstück wurden wir eingeteilt, die Vorbereitungen für den Parcours zu treffen. Ich landete mit Theo bei denen, die die Baumstämme des Lagerfeuers zu Hindernissen umschichteten. Einige wurden längs, andere quer aufgereiht, zum Balancieren, Darüberhocken oder -springen. Ben hatte irgendwo ein paar alte Autoreifen aufgetrieben und versuchte mit zwei anderen Jungs etwas daraus zu bauen, während die Mädchen Stecken für einen Slalom in die Erde bohrten und sich darüber beratschlagten, ob man das Ganze wohl noch mit einer Art Eierlaufen verbinden sollte. Mangels Eiern wurde die Idee wieder verworfen und es gab stattdessen ein Gebilde aus verschieden hohen Stangen und Seilen, unter denen man hindurchkriechen musste. Unnötig zu sagen, dass ich mich auf diese Station am wenigsten freute.   Zum Mittagessen hatten unsere Lehrer für belegte Brote gesorgt und ich sah zu, wie Theo sich mitten unter das schmausende Volk mischte, während ich mit meinem Essen ein wenig abseits saß. Er hatte bereits den ganzen Vormittag über dafür gesorgt, dass wir nie allein miteinander waren, und inzwischen war ich mir sicher, dass das Absicht war. Er wollte nicht mit mir reden. Und ich versuchte, mich damit abzufinden. Ich lenkte mich ab. Strengte mich bei diesem dämlichen Rennen richtig an und kam sogar unter die ersten fünf. Wohnte der Siegerehrung bei und schleppte am Schluss alles wieder zurück an seinen Platz. Doch erst, als ich danach duschen gehen wollte, fiel mir mal wieder mein anderes Problem ein. Oliver.   Er hatte schon einen halben Aufstand gemacht, als es am Mittag geheißen hatte, dass wir für die letzte Nacht die Zeltbelegung nicht mehr ändern würden und das inzwischen ausgelüftete Zelt der Mädchen als Gepäcklager dienen sollte, damit wir am nächsten Morgen alles zügig verladen konnten. Als ich jedoch nach meinem Handtuch und meiner Waschtasche griff, um mich wie alle anderen nach dem anstrengenden Nachmittag zum Duschen zu begeben, verstellte Oliver mir den Weg. „Die Dusche bleibt schwuchtelfreie Zone, ist das klar?“   Ich blieb stehen und sah ihn nur an. An anderen Tagen hätte ich ihn vielleicht einfach ignoriert oder mit einem Spruch gekontert, aber heute …. heute war ich einfach nicht in der Stimmung dazu, mich mit seinen Kindereien auseinanderzusetzen.   „Wie du meinst“, sagte ich daher nur, drehte mich um und setzte mich wieder auf meinen Schlafsack. Ich hörte förmlich, wie er in meinem Rücken unschlüssig herumstand. War das jetzt ein Geständnis gewesen? Ich wusste es nicht und es war mir auch egal. Mir war eigentlich alles egal. Das Einzige, was mich interessierte, war Theo und die Tatsache, dass er nicht mit mir reden wollte.   „Kommst du jetzt?“, rief Jo von draußen und natürlich meinte er damit Oliver.   „Ja“, antwortete der. Ich hörte, wie die Zeltplane zurückgeschlagen wurde, danach war es still. Nun, nicht ganz still. Man konnte von draußen noch die Geräusche der spielenden Kinder hören, das Gespräch mehrerer Leute, die eben vorbeigingen, und irgendwo bellte ein Hund.   Plötzlich raschelte es und das Zelt öffnete sich erneut. Erstaunt drehte ich mich um und blickte direkt in Theos sturmgraue Augen. Er schenkte mir ein verlegenes Lächeln.   „Hi“, sagte er, als hätten wir uns den ganzen Tag nicht gesehen.   „Hi“, erwiderte ich. Mein Herz hatte angefangen, schneller zu klopfen. Er war zurückgekommen. Meinetwegen? „Ich hab mein Duschgel vergessen“, folgte jedoch sofort die Erklärung, die meine Hoffnung wieder zunichtemachte. Er ging zu seiner Tasche, kniete sich daneben und begann darin herumzuwühlen.   Ich saß da und sah ihn an. Lange. Und lange suchte er nach dem Duschgel. Als er es irgendwann fand, zögerte er mit der Flasche in der Hand. Ich überlegte. Sollte ich ihn ansprechen? Ich meine, wir hatten uns geküsst. GEKÜSST! Und es hatte ihm gefallen, dessen war ich mir sicher. Warum sagte er denn nur nichts dazu? Warum wich er mir aus? „Ich muss dann mal wieder“, murmelte er leise und zog den Reißverschluss seiner Reisetasche zu. Ich holte tief Luft und sah ihn an. Ganz kurz begegneten sich unsere Blicke, bevor er wieder auf die Flasche in seinen Händen sah. Sie war grün. Keine Ahnung, warum mir das auffiel, aber vielleicht, weil die meisten Duschgele irgendwie blau waren. Seines nicht. Seines war grün.   Als ich immer noch nichts sagte, wandte er sich zum Gehen. Ich wusste, dass ich kurz davor war, meine Chance zu vertun, also gab ich mir einen Ruck und öffnete endlich den Mund. „Theo?“ Er blieb stehen, sah mich aber nicht an.   „Ja?“   Ich schluckte. Das hier war so schwer. „Wegen gestern Nacht. Ich … sollten wir darüber reden?“   Zuerst erwartete ich, dass er den Kopf schütteln und einfach gehen würde. Doch er tat es nicht. Er stand einfach nur da mit hängenden Schultern und abgewandtem Gesicht und plötzlich ahnte ich, was passieren würde. Ich wusste es, bevor er es aussprach. Trotzdem hätte mich ein Schlag in die Magengrube nicht tiefer treffen können.   „Ich glaube, da gibt es nicht viel zu reden. Es war schön, aber … Ich bin in Mia verliebt und du hast doch … Julia, nicht wahr?“   Ganz kurz traf mich ein unsicherer Blick und in dem Moment verstand ich. Er wusste Bescheid. Ob er es gleich kapiert hatte oder ob es ihm erst später klar geworden war, dass es zwischen meiner „Freundin“ und Julius, der mir die Samosas vorbeigebracht hatte, einen Zusammenhang gab, wusste ich nicht. Aber Theo hatte zwei und zwei zusammengezählt und war dabei nicht auf fünf gekommen. Zum ersten Mal im Leben wünschte ich mir, er wäre noch ein bisschen schlechter in Mathe gewesen.   Wie betäubt nickte ich. „Am besten vergessen wir die Sache einfach.“   Wieder nickte ich. Zu mehr war ich gerade nicht in der Lage. Ich meine, was hätte ich auch sonst tun sollen? Ihm meine Liebe gestehen? Mich ihm zu Füßen werfen und ihn anflehen nicht zu gehen? Einfach aufstehen, ihn nehmen und ihn noch einmal küssen, damit er verstand, was ich für ihn empfand? Aber was hätte das bringen sollen? Er hatte es doch gerade noch einmal deutlich gesagt. Er war in Mia verliebt. Diesbezüglich war er von Anfang an ehrlich gewesen und nur ich war derjenige, der sich etwas vorgemacht hatte. Und außerdem … er hatte recht. Ich hatte Julius. Julius, an den ich heute kaum zwei Gedanken verschwendet hatte, weil ich so damit beschäftigt gewesen war, auf irgendeine Reaktion von Theo zu hoffen. Ich war ein Arsch. Und ein Dummkopf. Und eigentlich wusste ich nicht, was davon wohl überwog.   Theo stand immer noch am Zeltausgang und sah aus, als wolle er noch etwas sagen, doch dann nickte er mir nur zu. „Wir sehen uns.“   Damit war er fort und ich starrte immer noch auf die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. Es war aus. Vorbei. Endgültig vorbei, noch bevor es begonnen hatte. Er hatte mir einen Korb gegeben, wie man so schön sagte. Ein Teil von mir weigerte sich schlichtweg, das zu begreifen. Heute Nacht das war so … so einzigartig gewesen. Da war etwas zwischen uns. Etwas Großes. So wie in diesem Lied, das er mir vorgesungen hatte. Etwas, das ganz sicher nicht nur ich gespürt hatte. Etwas, das mein Herz immer noch aus dem Takt brachte, wenn ich nur daran dachte. Aber jetzt war es, als hätte mich jemand in einen Fahrstuhl gestellt und den Knopf für die Tiefgarage gedrückt. Hilflos musste ich zusehen, wie die Türen zugingen und die Kabine sich langsam in Bewegung setzte. Immer tiefer und tiefer ging die Reise und alle Hoffnung, jemals wieder das Tageslicht zu erblicken, war dahin. Hinfortgefegt von einem einzigen Satz. Am besten vergessen wir die Sache einfach.   „Benedikt?“   Ich hatte nicht gemerkt, dass jemand ins Zelt gekommen war. Es war Timo, der mich fragend ansah. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ „Ja, ich … ja. Ich wollte gerade duschen gehen.“   Ich floh aus dem Zelt und wusste, dass ich mich damit nur noch verdächtiger machte, aber das war nun nicht mehr zu ändern. Ich würde mich in den Griff kriegen und einfach weitermachen müssen. Denn was blieb mir schon anderes übrig? Theo hatte mir gegenüber eine klare Ansage gemacht. Er wollte nichts, was über diese eine Nacht hinausging. Warum er dem Ganzen überhaupt zugestimmt hatte, darüber konnte ich nur spekulieren. Vielleicht war er einfach neugierig gewesen. Hatte mal ausprobieren wollen, wie es war, einen Jungen zu küssen. Hatte Anton nicht gesagt, dass so etwas häufiger vorkam? Es hatte also nichts zu bedeuten. Eine rein … körperliche Angelegenheit. Zumindest versuchte ich mir das einzureden. Dabei hatte es sich nach so viel mehr angefühlt.   Ich duschte. Stand unter dem warmen Wasserstrahl zwischen den Duschabtrennungen und fragte mich, warum ich sie nicht einfach auf kalt stellte. Dann hätte es wenigstens zu dem gepasst, wie es in mir aussah. Kalt, nass, grau und dunkel. Aber ich schaffte es irgendwie mich zu waschen, abzutrocknen und anzuziehen. Zum Abendessen zu erscheinen. Am Lagerfeuer zu sitzen und Theos Anblick zu ertragen, wie er zwischen all den anderen saß und lachte, als wäre nie etwas passiert. Ich ertrug, dass er mir ab und an einen Blick zuwarf, so als wolle er sehen, dass ich auch ja nichts verriet. Wann immer ich seine verstohlenen Blicke erwiderte, drehte er schnell den Kopf weg. Ich wusste, was er gesagt hatte, und doch setzte mein Herz jedes Mal einen Schlag aus, wenn er mich ansah. Tief in mir wusste ich, was das hieß, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte. Darum tat auch ich, als wäre nichts gewesen. Als hätte diese Nacht nie stattgefunden. Als hätten wir nie dieses ganz besondere Gefühl miteinander geteilt. Ich tat, als wäre alles in bester Ordnung, und es brachte mich fast um. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)