Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 41: Von erzwungener Gemeinschaft und wahren Lügen --------------------------------------------------------- Den Rest des Tages bis zum Abendessen bekamen wir doch tatsächlich „frei“, um uns mit den Begebenheiten der Umgebung vertraut zu machen, wie Herr Wilkens es ausdrückte. Ach ja, und Baden war verboten, wenn keine Aufsichtsperson dabei war. Eigentlich hätte er das wohl nicht erwähnen müssen, denn hier an der Küste war es durch den Wind deutlich kühler als noch bei uns zu Hause und das Meer, das nur einen Steinwurf entfernt auf der anderen Seite der Straße lag, lud mit seinem von Seetang übersäten Kiesstrand halt auch nicht gerade zum Reinsteigen ein. Trotzdem machte ich mich zusammen mit einigen anderen auf den Weg dorthin. Am Strand angekommen stürmten die ersten natürlich sofort auf den hölzernen Steg, der ein ganzes Stück weit ins Meer hineinragte, während andere zur Wasserlinie liefen, um wenigstens mal die Hand oder auch einen Fuß reinzuhalten, nur um dann kreischend das Weite zu suchen. Natürlich waren auch welche dabei, die rumnölten, dass hier ja nichts los sei, aber als dann jemand vorschlug, dass man ja abends ein Lagerfeuer am Strand machen könnte, waren wieder alle dabei. „Wir müssen aber fragen, ob das erlaubt ist“, warf Sandra ein und lief mit Nele zusammen los, um unsere Lehrer zu suchen, während alle anderen sich aufmachten, um schon mal Steine und Holz zusammenzusuchen. Auch ich ging los, um unter den Bäumen, die neben der Straße herumstanden, nach trocknen Ästen Ausschau zu halten. Natürlich war nichts mehr zu finden. „Das brennt ja nicht mal ne halbe Stunde“, kommentierte Ben unseren mickrigen Haufen. „Dann müssen wir eben mal drüben im Wald gucken, ob wir da was finden.“ Leons Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung und so bewegte sich der Großteil der Gruppe zu dem kleinen Wäldchen, das ein Stück weit die Straße entlang lag, während der Rest dablieb, um eine Grube auszuheben und mit Steinen zu umfrieden. Ich entschloss mich, am Strand zu bleiben und beim Graben zu Helfen, als Sandra zurückkam. Ihr Gesicht versprach nichts Gutes. „Wird wohl nichts mit Lagerfeuer“, klärte sie uns auch gleich auf. „Die Campingplatzbesitzer haben zwar gesagt, dass es okay ist, aber Herr Wilkens war dagegen. Außerdem soll es heute Abend regnen.“ Tatsächlich sollte unser Lehrer recht behalten. Wir hatten uns gerade in einem Gemeinschaftsraum versammelt, in dem wir gemeinsam zu Abend essen sollten, als bereits die ersten Tropfen an die Scheiben klatschten. Noch während wir die mitgebrachten Würstchen mit Kartoffelsalat austeilten, wurde daraus ein ausgewachsener Platzregen, der dazu führte, dass Corinna wie von der Tarantel gestochen aufsprang, weil ihr einfiel, dass sie das Zelt nicht zugemacht hatte. Als sie wiederkam, sah sie aus wie eine ertränkte Maus und bekam erst mal einen ordentlichen Rüffel, weil sie nicht an wetterfeste Kleidung gedacht hatte. „Das gilt übrigens für alle von euch“, verkündete Herr Wilkens gleich weiter. „Ich hatte gesagt, dass ihr Regensachen braucht. Wir werden morgen einen Ausflug in die nahegelegene Stadt machen, dort könnt ihr euch umsehen und einkaufen. Es wird jeden Tag ein gemeinsames Frühstück geben, für die anderen Mahlzeiten seid ihr selbst verantwortlich. Und damit meine ich nicht, dass ihr euch einfach nur von Chips und Schokoriegeln ernährt. Es gibt hier im Haus eine Küche, die benutzt werden darf und soll.“ „Ich kann aber nur Fertigpizza“, kam es von irgendwo. Herr Wilkens seufzte ergeben. „Pizza könnt ihr natürlich auch machen, wenn es euer Budget hergibt. Wer die Herde benutzen will, muss sich dafür allerdings vorher Münzen für die Stromzähler beim Kiosk kaufen. Vergesst das nicht, sonst müsst ihr eure Pizza roh mümmeln. Nach der Benutzung werden alle Plätze ebenso sauber hinterlassen, wie ihr sie vorfindet. Gegessen werden kann dann hier im Raum, zum Spülen gibt es draußen eine Reihe Waschbecken, an denen ihr alles wieder sauber bekommt. Auch dort erwarte ich, dass ihr alles so hinterlasst, dass es für den nächsten problemlos benutzbar ist. Ebenso müsst ihr daran denken, euch Duschmünzen zu kaufen, wenn ihr morgens warmes Wasser haben wollt. Für morgen haben wir für jeden von euch eine besorgt, danach seid ihr selbst dafür verantwortlich. Auch dort gilt natürlich Rücksichtnahme auf die anderen Gäste.“ „Duschen wird eh überbewertet“, raunte jemand am anderen Jungstisch viel zu laut, woraufhin an den Mädchentischen eindeutige Igitt-Rufe laut wurden. Ich selbst saß mit Ben, Jonas und meinen Zeltpartnern am zweiten Tisch, der meiner Meinung nach der zivilisiertere war. Zumindest der mit der häufigeren Duschfrequenz, wie es aussah. Es folgten noch jede Menge andere Belehrungen über die Öffnungszeiten des Kiosks, generelle Dinge wie Nachtruhe, die Benutzung des Gemeinschaftsraums und so weiter, denen ich nur noch mit halbem Ohr zuhörte. Die Sache mit den Duschmünzen hatte mich wieder darauf gebracht, dass ich mir noch keine wirkliche Strategie dafür zurechtgelegt hatte. Umziehen und so würde sicherlich kein Problem werden, denn unser Zeltpalast bot da ja genug Möglichkeiten, das diskret zu erledigen, aber duschen? Ich beschloss, mir das nach dem Essen mal anzusehen. Während also die meisten dem gemeinschaftlichen Abwaschen frönten, machte ich mich unauffällig auf den Weg, um mir das Sanitärgebäude anzusehen. Da gab es zwei Türen, von denen die eine zu den Toiletten führte, während hinter der anderen die Duschen lagen. Vorsichtig öffnete ich die zweite und schlüpfte hinein. Der Geruch von abgestandenem Wasser schlug mir entgegen, während ich einen gekachelten Gang entlangging, an einigen Waschbecken vorbei und dann … sah ich das Schönste, was ich mir wohl hatte erhoffen können: Duschkabinen. Mit Tür. Mir fielen mindestens drei Steine vom Herzen. Einigermaßen beruhigt trat ich den Rückweg an. Es hatte zwar aufgehört zu regnen, aber durch den Guss während des Essens war die Luft merklich abgekühlt. Ich zog meine Kapuze über den Kopf und steckte die Hände in die Taschen. Die Abwaschplätze waren inzwischen verwaist und drinnen wischten nur noch zwei Mädchen die Tische ab, während der Rest wohl bereits zu den Zelten zurückgegangen war. Ich wollte mich gerade ebenfalls auf dem Weg dahin machen, als ich plötzlich Stimmen hörte. Es klang eindeutig nach unseren Leuten. Nach einem kurzen Zögern ließ ich das Zelt Zelt sein und machte mich stattdessen auf zur anderen Seite des Hauptgebäudes, von wo der Lärm zu kommen schien. Wie sich herausstellte, gab es neben dem Kiosk, vor dem zwei momentan ziemlich nasse Tischtennisplatten im Regen vor sich hinglänzten, einen offenen Unterstand, in dem ein uralter Billardtisch und ein noch älterer Kicker standen. Und natürlich waren beide von einer dichten Traube von Leuten umlagert. „Na los, mach ihn rein“, johlte Ben gerade und meinte damit Jonas, der offenbar am Kicker in Ballbesitz war. Mia-Sophie und Pia auf der anderen Seite gaben sich jedoch nicht so schnell geschlagen und wehrten die beiden mit allen Mitteln ab. Am Billardtisch ging es nicht weniger laut zu, nur dass dort gerade Leon erfolglos versuchte, Theo auszustechen. „Beim nächsten Mal bilden wir aber Teams“, maulte Jo, der offenbar dazu verdammt worden war, die erste Runde auf der Ersatzbank zu verbringen. „Dann bin ich mit T in einem“, verkündete Leon und raufte sich die Haare. „Der zieht mich hier ab.“ Theo grinste nur, lehnte sich mit dem Queue über den Tisch, kniff ein Auge zusammen und maß die Richtung ab, die die Kugel nehmen würde. Offenbar unzufrieden mit dem Ergebnis kam er wieder hoch, ging um den Tisch herum, lehnte sich vor und zielte erneut. Er wirkte dabei hochkonzentriert. Mit offenem Mund verfolgte ich, wie er schließlich den Queue ansetzte, die Augenbrauen leicht furchte und zustieß. Die weiße Kugel schoss über den Tisch, prallte an der Bande ab und versenkte mit lauten Klackern die schwarze im Eckloch.Theo ballte die Hand zur Faust und grinste breit in die Runde. Dann fiel sein Blick auf mich. Für einen Moment blieb mein Herz stehen. Hatte ich ihn gerade echt beobachtet? Ich kam mir ein bisschen vor wie ein Stalker. Immerhin stand ich hier draußen im Halbdunkeln, den Kapuzenpullover über den Kopf gezogen, und hatte gehofft, dass mich niemand bemerkte. Dafür war es jetzt allerdings zu spät, denn Theo rief laut und deutlich meinen Namen. Ich sah, wie Oliver das Gesicht verzog und Jo etwas zuflüsterte. Der warf mir daraufhin einen finsteren Blick zu. Langsam trat ich einen Schritt zurück. Ich wollte da nicht reingehen. Also … ich wollte schon, aber ich hatte keinen Bock, mich blöd anlabern zu lassen. Theo hingegen schien wild entschlossen, mich dabei haben zu wollen. Er kam zu mir raus und nickte in Richtung Billardtisch. „Na, was ist? Hast du Lust mitzumachen?“ „Ich hab noch nie Billard gespielt.“ „Echt nicht? Das ist ganz leicht.“ „Mhm, hab ich ja bei Leon gesehen.“ „Ich zeig’s dir, wenn du willst.“ Ich schaute an Theo vorbei zu den anderen, die bereits eine neue Runde aufbauten. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Nee, lass mal. Vielleicht ein anderes Mal.“ „Versprochen?“ „Okay.“ Er lächelte. „Dann komm wenigstens mit rein. Es regnet.“ Dass ich tatsächlich schon wieder im Nieselregen stand, war mir gar nicht aufgefallen. Wenn ich hier weiter wie angewurzelt stehen blieb, würde ich nass werden bis auf die Haut. Also entweder rein oder ins Zelt. Ich gab mir einen Ruck und nickte. „Na schön, ich seh mir mal an, wie du sie fertigmachst.“ „So gefällt mir das.“ Tatsächlich war es ziemlich cool, Theo beim Billard zuzusehen. Ich ließ mir von Leon die Regeln erklären und konnte bald schon mitreden und mitlachen. Nur einmal kam es zu einer blöden Szene, als Jo mich angiftete, dass ich mich gefälligst hinter ihm verziehen sollte, während er spielte. Ich verkniff mir einen Kommentar und verzog mich einfach rüber an den Kicker, an dem sowieso mehr Action war. Ich versuchte mich sogar selbst an dem Ding und schaffte es doch tatsächlich, ein Tor zu schießen. Jubelnd klatschte ich mit Maja ab, die mir ein High Five anbot, bevor sie verkündete, dass sie jetzt dringend mal eine rauchen müsste. Heimlich natürlich. Wie ein schwarz gekleideter Schatten verschwand sie nach draußen. „Benedikt ist doch eigentlich weiter. Wer spielt denn jetzt mit ihm?“ „Ich“, hörte ich und bevor ich wusste, wie mir geschah, stand Theo neben mir. Er grinste mich an. „Musste den Queue mal abgeben. Sie haben drauf bestanden.“ „Na los, die schaffen wir mit links“, verkündete Sandra und warf die kleine Kugel aufs Spielfeld. Sie und Nele waren echt harte Gegner und ließen sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen. Am Ende schossen die Mädchen das entscheidende dritte Tor und waren weiter, während Theo und ich ausschieden. Lachend machte ich den Tisch für die nächsten beiden frei und stand plötzlich mit Theo zusammen zwischen den Spielergruppen. „Und jetzt?“, fragte er. Ich sah mich nach Jo und Oliver um. Die beiden waren gerade beim Billard dran und somit auf die bunten Kugeln fixiert. Unentschieden zuckte ich mit den Schultern. „Weiß nicht. Ich werd vielleicht mal ins Zelt gehen. War ein langer Tag.“ „Mhm, keine schlechte Idee. Ich komm mit.“ Nochmal sah ich zum Billardtisch rüber. „Willst du den beiden nicht Bescheid sagen?“ „Wieso? Sind die etwa meine Mutter?“ Ich entgegnete nichts darauf, aber ich kam nicht umhin zu denken, dass die Strategie vielleicht nicht die klügste war. Allerdings war Theo schon raus in den Nieselregen getreten und hielt sich seine Jacke über den Kopf. „Kommst du?“ „Klar.“ Gemeinsam trabten wir in Richtung Zeltplatz, wo ich meinen Augen nicht so ganz traute. Unser Zelt war doch tatsächlich beleuchtet. Wie es schien, hatte Timo von seinem Bruder noch ein bisschen mehr praktische Ausrüstung mitbekommen. Drinnen im Zelt konnte man verschiedene Stimmen hören. Schatten geisterten über die weiße Leinwand. Anscheinend hatten wir Besuch. Ich hörte Theo leise neben mir lachen. „Siehst du, ich sag doch, eures wird das Partyzelt.“ Er sah mich an und ich … ich wusste nicht so recht, was ich jetzt tun sollte. Sollte ich mich von ihm verabschieden oder ihn fragen, ob er mit zu mir kommen wollte. Uns! Äh … „Äh …“ „Ja?“ „Willst du … ich mein …“ Ich gestikulierte ein bisschen hilflos in Richtung Zelt. Gott, was für ne bescheuerte Situation. Ich hatte ja keine Ahnung, wer da drin war und ob ich überhaupt wen mitbringen durfte. Andererseits war das ja irgendwo auch mein Zelt und wenn die anderen beiden Besuch haben konnten, warum dann nicht auch ich? Oder? „Klar komme ich mit.“ Natürlich kam er mit. Was auch sonst? Ich atmete tief durch, trat zum Zelt und schlug die Plane zurück. Drinnen erwartete uns eine nicht ganz so illustere Runde wie die, die wir gerade verlassen hatten. Dafür hatten sie es deutlich gemütlicher. Auf dem Boden hatte jemand eine Decke ausgebreitet und darauf saßen eine ganze Reihe Leute. Unter anderem Corinna, Charlotte und Vanessa, die letzte im Bunde der nicht so coolen Mädchen, die nie viel sagte, aber so ganz nett zu sein schien. Neben den dreien saß Mia-Marie und noch jemand, den ich hier nicht erwartet hatte. Meine Augenbrauen wanderten gen Haaransatz. „Frau Kuntze!“ Sie grinste und winkte fröhlich. „Ja~ha. Ich muss doch hier schön aufpassen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Nicht, dass wir nachher mit mehr Kindern nach Hause kommen, als wir losgefahren sind.“ Ich blinzelte und verstand nicht. „Hä, wieso mehr? Müssten Sie nicht eher aufpassen, dass keiner verlorengeht?“ Gekicher antwortete mir und Theo stieß mich in die Seite. „Man, Benedikt. Mädchen und Jungen in einem Zelt. Klingelt da was bei dir?“ Theo sah mich erwartungsvoll an, aber in meinem Kopf tat sich immer noch nichts. Bis mich endlich das Gepruste der Mädchen und Elias’ etwas peinlich berührter Gesichtsausdruck darauf brachte, um was es ging. Oh … man. Ich lief knallrot an und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Manchmal stand ich aber auch echt auf dem Schlauch. Ich sollte erwägen, Elektriker zu werden mit so einer langen Leitung. „Tja, Benedikt ist zwar schlau, aber manchmal eben doch nicht der Schnellste“, lachte Mia-Marie. Als ich sie böse anfunkelte, grinste sie nur noch breiter und rutschte dann ein Stück, damit ich mich neben sie setzten konnte. Für Theo war eigentlich kein Platz mehr, aber er quetschte sich trotzdem noch dazwischen. Frau Kuntze strahlte in die Runde. „Und, machen wir jetzt weiter? „Womit?“ wollte Theo wissen. „Wir spielen Wahrheit oder …“ Oh Gott, wenn sie jetzt „Pflicht“ sagte, sterbe ich. „…Lüge.“ „Wie geht das?“ „Nun, jeder erzählt drei Dinge von sich. Zwei davon müssen die Wahrheit sein und eines eine Lüge. Die anderen müssen dann rausfinden, was es ist. Aber man muss sich schon Mühe geben und nicht so was wie 'Superman ist mein Großvater' oder etwas in der Art behaupten.“ „Ah, okay.“ Ich sah Theo an, dass er bereits im Kopf durchging, was er wohl erzählen würde. Zuerst war allerdings Mia-Marie dran. Sie überlegte kurz und legte dann los. „Ich stehe total auf Delfine, ich hatte mal einen Hund namens Charlie und ich mag keine Marschhmellows.“ „Das letzte ist bestimmt gelogen“, rief Theo gleich und erntete von Mia-Marie einen etwas säuerlichen Blick. „Nein, das stimmt. Das mit den Delfinen ist die Unwahrheit.“ Ich sah im Licht der Laterne, die Timo an einen Haken an unserem Zeltmast gehängt hatte, dass Theo tatsächlich ein bisschen rot wurde. Er nuschelte eine Entschuldigung und hielt für die nächsten Runden erst mal die Klappe. So erfuhren wir so spannende Sachen wie dass Elias keine Artischocken mochte, Timo von Grünkohl schlecht wurde, Vanessa Angst vor Clowns hatte, Charlotte als Baby blond war und Corinna sich mal auf ihren Hamster gesetzt hatte. Ach ja, und Frau Kuntze war großer Simon & Garfunkel Fan. „Die machen ja auch gute Musik“, meinte Theo dazu nur und sah mich auffordernd an. Ich war nämlich der Nächste und hatte mir schon die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, was ich jetzt wohl sagen konnte. Am Ende hatte ich mich für was Harmloses entschieden, das vermutlich total langweilig war, aber lieber safe than sorry. „Also ich …“, begann ich, „lese gerne Fantasy, ich esse gerne Erdbeerkuchen und …“ Ich schwöre, ich hatte sagen wollen „Ich hab schon mal was geklaut“, aber als ich Theo ansah, kam plötzlich irgendwas in meinem Kopf durcheinander und ich hörte meinen Mund stattdessen von sich geben: „Und ich bin als Kind mal als Schmetterling verkleidet zum Fasching gegangen.“ „Das mit dem Schmetterling war gelogen. Aber das war zu einfach“, nörgelte Timo sofort. Ich nickte nur doof und dirigierte meine Augen schnell mal woanders hin. Warum bittesehr hatte ich jetzt drei Sachen erzählt, die stimmten? Und noch dazu so was Peinliches? Das hatte doch nie, nie, nie jemand erfahren sollen. Wobei sie ja alle sofort angenommen hatten, dass es nicht stimmte. Von daher war ich wohl einigermaßen gut raus. In meiner eigenen Peinlichkeit gefangen merkte ich gar nicht, dass Theo jetzt dran war. Das Letzte, was ich mitkriegte, war: „… und ich hab als Kind echt übel geschielt.“ „Ha, das ist auch zu einfach“, rief Mia-Marie sofort. „Dass du schlecht in Mathe bist, wissen wir alle, und dass du Gitarre spielst wie ein junger Gott, kannst du dann ja gleich morgen unter Beweis stellen.“ Theo lächelte nur. „Wenn du das sagst.“ Er schlug die Augen nieder und ich sah, dass er sich schon wieder auf die Lippe biss. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Hatte er etwa auch … „T!“ Von draußen kam plötzlich lautes Rufen. Anscheinend hatte Jo das Fehlen seines Busenkumpels endlich bemerkt und war auf der Suche nach ihm. Theo hob den Kopf und lächelte charmant in die Runde. „Mein Typ wird verlangt. War nett bei euch.“ Er stand auf und stieg umständlich über mich hinweg, während ich mich nur zurücklehnte, weil ich gar nicht schnell genug hochkam, ohne ihn dabei zu Fall zu bringen. Im nächsten Moment schlug er schon die Zeltplane zurück und war verschwunden. Ich glotzte noch einen Augenblick lang auf die jetzt theoleere Stelle an der Zelttür, bis Frau Kuntze auf einmal in die Hände klatschte. „So, ihr Lieben, ich glaube, es wird langsam Zeit zum Schlafen. Wir haben ja morgen noch viel vor. Also schlaft gut und lasst euch nicht von den Bettwanzen beißen.“ Damit erhob auch sie sich und scheuchte dabei gleich noch die Mädchen nach draußen. Ohne die vielen Leute hatte das Zelt gleich wieder ganz andere Ausmaße. Elias stand ebenfalls auf und streckte sich. „Ich geh Zähne putzen. Kommt jemand mit?“ Timo schloss sich an, aber ich hatte irgendwie so gar keine Motivation, nochmal durch den inzwischen wieder stärker gewordenen Regen zu latschen. Also wartete ich, bis die beiden weg waren, um endlich mal mein Handy herauszukramen. Ich schaltete es an – Anton hatte mir den Tipp gegeben, es einfach tagsüber auszulassen, um den Akku zu schonen – und rief meinen Messenger auf. Julius hatte mir bereits um die Abendbrotzeit herum geschrieben, ob wir gut angekommen waren und wie der Campingplatz sei und noch einiges mehr. Ich lächelte und fing an, eine seiner Fragen nach der anderen zu beantworten. Leider dauerte die Tipperei so lange, dass Timo und Elias schon zurückkamen, bevor ich fertig war. Die beiden meinten, ich würde sie nicht stören, aber als dann das Licht gelöscht war und alle bereits in ihren Schlafsäcken lagen, wollte ich auch nicht mehr so lange das Display anlassen. Also setzte ich unter meine Antwort einfach noch einen Kuss-Smiley und schaltete das Handy dann wieder aus. Im Dunkeln ließ ich mich in meinen Schlafsack sinken und starrte an die Zeltdecke, auf die jetzt ohne Unterlass der Regen herabrauschte. Sonst war nichts mehr zu hören und obwohl das Geräusch echt einschläfernd war, kriegte ich nicht so wirklich ein Auge zu. Diese Sache mit Theo ging mir immer noch im Kopf herum. Nicht nur, dass er sich tatsächlich zur „Looser“-Truppe mit ins Zelt gesetzt hatte, nein, er hatte auch noch das blöde Spiel mitgespielt. Aber warum? Und warum wurde ich das Gefühl nicht los, dass irgendwas an seinen Antworten nicht stimmte? Ich grübelte und grübelte, aber es wollte mir einfach nicht einfallen. Über die Nachdenkerei musste ich dann wohl doch eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal blinzelte, war es bereits wieder hell und Herr Wilkens klopfte von draußen an unser Zelt, dass es Zeit zum Aufstehen sei. Murrend drehte ich mich auf die andere Seite und wünschte mir zum ersten Mal auf dieser Fahrt, dass ich auch eine Allergie gegen Fahrräder hätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)