Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 35: Von hölzernen Blasen und zu vielen Zähnen ----------------------------------------------------- Die Kabinentür der Toilette krachte mit ohrenbetäubendem Lärm ins Schloss. Vermutlich hätte mich das kümmern sollen, aber ich war zu beschäftigt damit, Julius’ T-Shirt aus seiner Hose zu zerren, um endlich an mehr von ihm heranzukommen. Mehr von seiner Haut, mehr von seinem Körper, mehr von allem. Ihm schien es nicht anders zu gehen, denn auch seine Finger wanderten bereits zielstrebig unter meine Klamotten. Trotzdem nahm er sich die Zeit, mich anzuzischen. „Sch, wir müssen leise sein. Wenn Marco uns hört …“ „Weniger reden, mehr küssen.“   Er lachte und ich ließ mich einfach fallen. In den Kuss, in den Moment. Was kümmerte mich irgendein Koch von irgendeinem dummen Restaurant, wenn ich Julius haben konnte. Ihn berühren, ihn schmecken, seine Hände auf meinem Körper fühlen, wie sie mich streichelten und ihren Weg langsam aber sicher tiefer fanden. Ganz kurz zuckte der Gedanke durch meinen Kopf, dass ich doch heute Morgen unter der Dusche erst … aber meinem Schwanz war das egal. Er wollte angefasst werden. Jetzt, jetzt, JETZT!   Instinktiv presste ich mich enger an Julius und genoss den Druck, der so viel mehr versprach und doch nicht genug war. Gleichzeitig versuchte ich, unsere Münder noch näher aneinander zu bekommen. Was im Grunde genommen unmöglich war. Unsere Lippen klebten bereits aneinander und Julius’ Zunge streichelte jeden Quadratzentimeter meiner Mundhöhle mit einer Ausgiebigkeit, die mir sofort zwischen die Beine schoss. Aber ich wollte ihn noch intensiver spüren. Noch näher bei ihm sein. „Ich will mit dir schlafen“, murmelte ich, als wir uns einen kurzen Moment zum Luftholen gönnten.   „Jetzt?“, fragte Julius und lachte leicht. „Ja. Nein. Ich weiß nicht. Ich …“   Ich lehnte den Kopf zurück gegen die Toilettenwand und sah ihn an. Sein Gesicht war ebenso gerötet wie meines es wohl war, seine Augen dunkel in der spärlichen Beleuchtung. Hier gab es keine Bewegungsmelder, nur einen Lichtschalter, den wir beim Hereinkommen nicht betätigt hatten. Unter anderem weil unsere Hände anderweitig beschäftigt gewesen waren.   Ich schlang meine Arme um seinen Nacken. „Ich wünschte, wir könnten das hier öfter haben.“   „Ich auch.“ Er lächelte und küsste mich erneut, wenngleich auch unendlich zärtlicher. „Obwohl ich es vorziehen würde, dich das nächste Mal auf einem Bett liegen zu haben. Nackt.“   Julius’ Stimme ließ die Glut wieder auflodern. Es zog in meinem Schritt. „Und dann?“, fragte ich atemlos. „Was würdest du dann mit mir machen?“   Er lächelte wieder. „Oh, viele schöne Sachen. Zum Beispiel würde ich dich gerne mal …“   Er sprach nicht weiter, sondern ließ seine Zunge erneut in meinen Mund gleiten. Obwohl wir uns vorher schon geküsst hatten, war das hier ungleich obszöner. Die sanfte Bewegung suggerierte mir etwas ganz anderes, das mich unwillkürlich aufkeuchen ließ. Scheiße, war das heiß. Wenn er das noch ein bisschen weitermachte, würde er mich kaum mehr berühren müssen, bevor etwas passierte. Ich wollte aber, dass er mich anfasste. Jetzt sofort.   Ungeachtet dessen, was vielleicht der Etikette entsprach – nicht, dass ich das gewusst hätte, so viel Erfahrung hatte ich ja noch nicht – nahm ich seine Hand und schob sie in die Richtung meiner bereits schmerzhaft harten Erektion. Er verstand zum Glück sofort und ließ mich nicht erst noch lange betteln, sondern öffnete einfach nur meine Hose und kümmerte sich um das Problem.     Mit zitternden Knien lehnte ich danach an der Wand und war froh darum, dass Julius da war, um mich zu stützen. Himmel, war das heftig gewesen.   Julius’ Lippen streiften meine schweißnasse Stirn. „Warte kurz, ich muss mir mal eben die Hände waschen.“   Er verschwand, ich hörte den Wasserhahn und schon Augenblicke später war er wieder bei mir und zog mich in seine Arme. Ich hätte jetzt viel dafür gegeben, mich einfach mit ihm in ein weiches Bett fallen lassen zu können. Diese warme Schwere, die meinen ganzen Körper erfasst hatte, schrie förmlich danach. Langsam klärte sich mein Geist jedoch wieder und mir wurde bewusst, dass wir immer noch in dieser verdammten Kabine feststeckten, wo wir uns mangels anderer Möglichkeiten hin verzogen hatten. Es war einfach nicht fair.   Apropos fair …   „Was ist mit dir?“, fragte ich und schob meine Hand auf seinen Bauch. „Soll ich …?“   „Nein, nicht notwendig. Ich kann auch noch warten.“ „Und wenn ich will?“ „Dann würde ich dich nicht aufhalten.“   Ich lächelte und stahl mir noch einen Kuss, bevor ich begann, Julius’ Hose zu öffnen, und mich vor ihm auf die Knie sinken ließ. Er wollte zwar entgegen seiner Ankündigung doch protestieren, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. Stattdessen zog ich ihm einfach Hose und Unterwäsche nach unten und machte mich ans Werk. Es war wahnsinnig erregend zu hören, wie sich sein Atem beschleunigte. Zu sehen, wie er sich auf die Lippen biss, um nur ja kein verräterisches Geräusch von sich zu geben. Zu fühlen, wie sich seine Hände in meine Haare krallten und er zunehmend Schwierigkeiten hatte stillzuhalten, während ich ihm einen blies. Ich meine, ich war sicherlich noch weit entfernt von der Zungenfertigkeit, die er an den Tag legte, aber ich gab mir Mühe und das Ergebnis ließ nicht sehr lange auf sich warten. Von daher konnte ich es wohl nicht so verkehrt gemacht haben.   Als er mich danach zu sich nach oben zog und mir ohne zu Zögern einen tiefen Kuss gab, wurde ich ein bisschen rot. „Ist das nicht … eklig für dich?“ „Warum sollte es das sein? Weil du mich gerade im Mund hattest?“ „Ja, mhm … schon irgendwie.“ „Findest du es andersrum eklig?“ „Nein.“ „Warum sollte ich es dann tun?“   Ich zuckte mit den Schultern. Irgendwie war es mir jetzt doch unangenehm, dass ich das gemacht hatte. Das war ja schon ein bisschen geschmacklos, oder? Ganz schön notgeil auch. Immerhin war das mit ziemlicher Sicherheit nicht das, was Julius im Sinn gehabt hatte, als er mir heute die Nachricht geschickt hatte, ob ich ein bisschen früher ins „Monopoly“ kommen wollte, damit wir noch ein bisschen ungestört sein konnten. Aber als er mir dann die Tür geöffnet hatte in diesen engen, schwarzen Klamotten, war bei mir irgendeine Sicherung durchgeknallt und ich hatte nur noch daran denken können, wie ich ihn so schnell wie möglich aus dem Fummel wieder rausbekam. „Hey, was ist los?“ „Weiß nicht. Ist einfach doof, dass wir nur hier und so.“   Er strich mir durch die Haare. „Wir können immer zu mir nach Hause.“ „Ja, aber nicht heute.“ „Nein, heute nicht. Aber morgen. Wenn du möchtest.“   Ich lächelte. Ja, morgen war gut. Meine Mutter war zwar zu Hause, aber ich würde ihr einfach sagen, dass ich morgen arbeiten musste. Sie hatte ohnehin irgendwas mit Diana wegen der Hochzeit vorzubereiten, da würde sie mich schon nicht vermissen. So hätten Julius und ich einen ganzen Nachmittag für uns und könnten machen, wonach uns der Sinn stand.   „Wollen wir auch noch was anderes machen außer …?“ Ich grinste. Julius lachte. „Das werden wir wohl müssen. Oder hast du so eine Kondition?“ „Keine Ahnung. Wir könnten es ausprobieren.“ „Lustmolch.“ „Alter Mann.“ „Hey!“   Er versetzte mir einen leichten Stoß und seufzte. „Ich fürchte, ich muss dann mal. Nicht, dass uns doch noch jemand erwischt. Die schmeißen mich noch raus.“   „Okay, also keine heimlichen Handjobs mehr auf dem Klo.“ „Auch keine Blowjobs!“ „Was ist mit Küssen?“ „Das sollte wohl drin sein.“   Er zog mich noch einmal an sich und küsste mich. „Ich vermisse dich jetzt schon.“ „Dabei bin ich doch noch hier.“ „Du weißt, was ich meine.“ „Ja.“   Natürlich wusste ich das. Wenn wir diese Kabine jetzt verließen, würde die Scharade wieder losgehen. Der Maskenball, auf dem wir nicht mehr als normale Freunde waren. So langsam hatte ich das wirklich satt. Am liebsten hätte ich mir ein Schild umgehängt. „Schwul und verknallt“. Vielleicht sollte ich es wirklich machen.   „Also los, auf geht’s“, sagte Julius und schloss die Tür auf. Ich folgte ihm und seufzte innerlich. Ade du kleine Blase aus lackiertem Holz. War nett mit dir und auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal. Bis zu dem Tag, wo ich endlich den Arsch in der Hose hatte, es der Welt wirklich öffentlich zu machen.     Der Gedanke daran, wie es wohl wäre, wenn ich „geoutet“ wäre, ließ mich auch den Rest des Tages nicht los. Beim Training fragte ich mich, ob David, mein aktueller Trainingspartner, wohl anders reagieren würde, wenn er wüsste, dass ich schwul bin. Normalerweise war das hier kein Problem. Niemand hier, ob männlich oder weiblich hatte ein Problem mit Berührungen. Es war klar, dass das hier Sport war. Es gab Regeln, es wurde miteinander trainiert; manchmal kam es mir sogar so vor, als wenn die Mädchen, die hier mitmachten, dadurch eher lockerer mit so was umgingen. Nicht eine von ihnen würde auf die Idee kommen, einen Griff durch die Beine oder ein Fassen der Hose als sexuelle Anspielung zu verstehen. Der Dojo war einfach kein Ort, wo so etwas eine Rolle spielte. Aber sähe das bei einem Homosexuellen genauso aus? Würden sich meine männlichen Mitsportler dabei unwohl fühlen? Immerhin galten Schwule ja als wandelndes „ich poppe alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist“. Würden sie mich vielleicht nicht mehr ernst nehmen? Oder im Gegenteil umso härter agieren, um sich abzugrenzen? Und mein Trainer? Würde er vielleicht aufhören, mich wegen der Wettkämpfe zu nerven, weil ich ja „so einer“ war? Eigentlich schätzte ich ihn so nicht ein, aber wer wusste schon, wie jemand im Fall der Fälle reagierte.     Dementsprechend in Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht, dass meine Mutter nach dem Training bereits auf dem Parkplatz stand, als ich die Turnhalle verließ. Erst, als sie meinen Namen rief, hob ich den Kopf. „Hey Schatz, was machst du denn für ein Gesicht? Hast du dir wehgetan?“   „Nein, alles bestens, Mama“, log ich und schmiss die Sporttasche und meinen Rucksack hinten auf den Sitz. „Aber du bist früh dran. Ist bei dir denn alles in Ordnung?“   Dass sie daraufhin ein wenig nervös lachte, hätte mich wiederum stutzig machen sollen, aber ich begriff erst, was los war, als sie zu mir sagte: „Na ja, Andreas hat sich gemeldet. Mein Laptop ist fertig. Wir können es heute abholen und ich dachte, wo ich doch schon mal hier bin …“   Natürlich. Sie wollte, dass ich ihren Lover kennenlernte und hatte sich gedacht, wir könnten das ja mal eben auf neutralem Boden erledigen. Schien also was Ernsteres zu sein. Na gut, dann spielte ich doch mal den lieben Sohn. „Klar, kein Problem.“ „Fein, dann schnall dich an. Wir müssen uns beeilen, bevor die schließen.“     Gehorsam taperte ich also kurz darauf vom Parkplatz Richtung Elektrogroßgeschäft. Ganz ehrlich, ich glaube, ich war da noch nie drin gewesen. Das Ding lag etwas außerhalb in einer Art Gewerbegebiet und da meine Mutter solcherlei Dinge ähnlich oft kaufte wie Hundefutter – nämlich gar nicht – hatte ich den Markt noch nie von innen gesehen. Drinnen erwartete uns das, was einen eben so in einem Geschäft dieser Art erwartete. Ein buntes Sortiment von allem, was einen Stecker brauchte in der Größe von Smartphone bis Waschmaschine. Überall hingen Werbeschilder, die von dem allergünstigsten Angebot sprachen, und wo die nicht die Sicht versperrten, verzierzen große Parabolspiegel die Decke, damit auch jeder bezahlte, was er haben wollte, und nicht etwa einfach so durch die breiten Schiebetüren nach draußen stapfte. Auf Dutzenden von Fernsehern flimmerten die tollsten Testbilder und aus den Lautsprechern plärrte irgendein Hit, den man mit Sicherheit in der großen CD-Abteilung erstehen konnte. Eigentlich hätte ich mich lieber dorthin verzogen, aber ich war ja zum Freund-Angucken hier und nicht zum Musik abgreifen.   Innerlich seufzend folgte ich meiner Mutter bis ganz zum anderen Ende des Ladens, wo plötzlich wie aus dem Boden gewachsen ein Strahlemann vor uns stand. Alter Falter, der sah ja mal gut aus. Und wie es schien, war er auch noch derjenige, zu dem wir wollten, denn er begrüßte meine Mutter jetzt mit Küsschen links und Küsschen rechts. Oha.   „Hey, ich hab deine Nachricht bekommen. Darf ich vorstellen, dass ist mein Sohn Benedikt.“   Strahlemann sah mich an und strahlte noch mehr. Hatte mal bitte jemand ne Sonnenbrille für mich? Ich glaube, ich war gerade geblitzdingst worden.   „Hallo, Benedikt, ich bin Andreas. Freut mich, dich kennenzulernen.“   „Ja, ich mich auch“, krächzte ich und bekam die Hand geschüttelt, ohne es wirklich zu wollen.   Okay, erster Eindruck schon mal vergeigt. Wahrscheinlich hatte er das Gefühl gehabt, einen toten Fisch anzufassen. Er wiederum hatte genau den richtigen Druck benutzt. Fest, warm, nicht zu kräftig. Ebenso wie der Rest von ihm, wenn ich das so auf die Schnelle beurteilen konnte. Gute Figur, Dreitagebart, modische, leicht nach hintengekämmte Frisur, braune Augen und eben dieses blendende Lächeln. Outfit war auch okay. Braune Schuhe, hellgraue Hose und ein hellblaues Hemd, das vermutlich zur Arbeitsuniform gehörte, da das hier jeder trug. „A. Holzbaum“, stand auf dem Etikett an seiner Brust.   „Wo hast du denn das gute Stück?“, fragte meine Mutter.   Sogleich ließ Andreas von mir ab und richtete das waffenscheinpflichtige Lächeln wieder auf das eigentliche Objekt seiner Begierde. Äh, okay, falsche Wortwahl. Allerdings kam ich bei dem Kerl nicht umhin, an so was zu denken. Der war mit Sicherheit nicht nur auf Händchenhalten und Spaziergänge im Abendsonnenschein aus. Ziemlich ungewollt tauchte das Bild von ihm in Boxershorts am Frühstückstisch vor mir auf. Und daneben meine Mutter, die ihn verliebt anlächelte und … Nein, nein, nein, das würde ich mir jetzt definitiv nicht vorstellen. Es reichte mir schon, dass ich mir die Light-Version davon gerade live und in Farbe anschauen durfte. Ich meine, meine Mutter hatte wirklich schöne Zähne, aber musste sie die denn nun wirklich jedem vorführen? Noch dazu alle auf einmal? Und konnte dieser Andreas nicht ein bisschen Abstand halten? Da war man ja versucht, mit dem Wasserwerfer dazwischen zu gehen. Also gleich …   Ich stockte, als mir auffiel, was ich da gerade machte. Ich benahm mich ja wie ein kleiner, kläffender Köter, der meinte, dem neuen Rüden im Revier erst mal ans Bein pinkeln zu müssen. Da stand ich doch drüber, oder nicht? Na gut, nicht wirklich, aber ich konnte mich ja immerhin bemühen, das Ganze möglichst zivilisiert ablaufen zu lassen. Obwohl ich nicht versprechen konnte, nicht einen Auftritt à la „Du hast mir gar nicht zu sagen“ hinzulegen, sollte der Kerl irgendwann versuchen, einen auf „neuer Papa“ zu machen. Wobei er vermutlich eher zum Typ „bester Kumpel“ gehörte. Hoffentlich wollte der nicht mit mir angeln gehen oder so was. Das hatte ich in der Grundschule mal mit nem Klassenkameraden und seinem Vater zusammen versucht und … na sagen wir mal, es war ganz lustig gewesen bis zu dem Zeitpunkt, als ich von dem rutschigen Fähranleger ins Wasser gefallen war. Mama und Diana hatten sich trotzdem über den halben Eimer voller Heringe gefreut.   Mir schwanten gerade noch ein paar super-männliche Tätigkeiten, zu denen mich Mister Strahlemann wohl schleppen wollen würde, als ich auf einmal daran denken musste, wie er wohl reagieren würde, wenn er mitbekam, dass ich schwul war. Wie das Zahnpasta-Lächeln einfror und der feste Händedruck zu einem laschen Getätschel wurde. Wie er auf einmal nicht mehr mit mir allein in einem Raum sein wollte, nicht mehr vorbeikam, nicht mehr anrief und dann vollkommen verschwand. Natürlich wäre er dann ein intolerantes Arschloch, aber weg wäre er halt auch und meine Mutter würde wieder mit Ekel-Möller rumhängen.   Ich seufzte leise. Wenn ich noch ein bisschen weiter überlegte, fielen mir sogar noch mehr Dinge ein, die durch ein Outing meinerseits jetzt nicht unbedingt besser wurden. Dianas Hochzeit zum Beispiel. Wenn es dann nicht hieß: „Oh, hast du gesehen, Diana ist ja schon ganz schön fett geworden“ sondern stattdessen „Hast du schon gehört, Benedikt ist ja neuerdings schwul“. Oder wenn auf Mini-Dianas Babyfotos später mal „Onkel Benedikts erster Freund“ zu sehen war oder irgendsoein Mist. Weil natürlich meine Mutter sehr bemüht sein würde, alles richtig zu machen. Ebenso wie Diana, und Björn und ich und alle wären so furchtbar bemüht um alles, dass ich vom Darübernachdenken schon Kopfschmerzen bekam. Und hätte es denn wirklich so enorme Vorteile für mich gehabt, wie ich mir immer ausmalte? Vermutlich wäre meine Mutter auch nicht unbedingt begeistert gewesen, wenn sie gedacht hätte, dass ich mit einem Mädchen … Dinge machte. Auch wenn die Vorstellung ziemlich gruselig war. Der Stress, wenn sie sich darüber Gedanken machte, dass ich mit einem Jungen Sex haben könnte, war vermutlich nur umso größer. Womöglich würde sie mir sogar verbieten, mich allein mit Julius zu treffen.   Natürlich wäre es toll gewesen, wenn ich einfach so hätte sagen können: Ja, der da gehört zu mir. Aber andererseits wusste Julius das doch und ich wusste es auch. Ich hatte sogar noch Anton, mit dem ich darüber reden konnte. Mussten denn unbedingt noch mehr Menschen Kenntnis davon haben? Reichte es denn nicht, wenn es im kleinen Kreis blieb? Dann hatten wir eben in einer Toilette rumgemacht. Na und? War doch eigentlich ganz aufregend irgendwie. Und in der Schule kam ich mit Sicherheit besser klar, wenn niemand davon erfuhr. Wer wusste denn, was Oliver sich sonst noch einfallen ließ und ob er so nicht noch mehr Leute auf seine Seite ziehen würde? Dann würde ich womöglich noch öfter meine Sachen suchen oder mir dumme Sprüche anhören müssen. Also beließ ich es am besten in dem Status, in dem es jetzt war. Dem Leben die Zähne zeigen konnte ich später immer noch.     Abends im Bett nahm ich mir mein Handy zur Hand und schrieb Julius von dem Zusammentreffen mit Mamas vielleicht Zukünftigen. Er antwortete sofort.   'Wie ist er denn so?“   'Keine Ahnung. Außer dass er gut aussieht, kann ich dir nicht viel sagen.' 'Er sieht gut aus?'   'Na ja, so zahnpastareklamemäßig gut.'   'Modelmaße?'   'Keine Ahnung, so genau hab ich ihn mir nicht angesehen.'   'Nicht?'   'Nein.'   'Warum nicht?'   'Weil ich mir dann vorgekommen wäre, wie jemand, der die Insassen eines Altersheims bespannt. Der Typ ist … keine Ahnung. Über 40 auf jeden Fall.'   'Dann muss ich also keine Angst haben, dass du abends im Bett an ihn denkst?'   'Igitt.' Ich schüttelte den Kopf und schickte hinterher: 'Abends im Bett denke ich nur an einen.'   'Und an wen?'   'Channing Tatum!' (Ich hatte mir am Wochenende „Magic Mike“ reingezogen und das war der erste Name, der mir einfiel.) 'Was? Urgs. Der Typ hat einen Kopf wie ne Bowlingkugel und abstehende Ohren. Geht gar nicht. Außerdem ist der auch schon fast 40. Dann nimm wenigstens Ryan Gosling.'   Ich lächelte und tippte mit der Zunge zwischen den Zähnen: 'Oder ich denke einfach an dich.'   Es dauerte ein bisschen, bis Julius wieder antwortete. Was er dann jedoch schrieb, ließ meinen Atem schneller werden.   'Hab gerade die Tür abgeschlossen und mich aufs Bett gelegt. Vielleicht magst du mir ja erzählen, was genau du dir so vorstellst.'   Schnell versicherte ich mich, dass meine Mutter schon im Schlafzimmer verschwunden war, bevor ich es mir auch bequem machte und meine Hand in Richtung Süden schob. Es war zwar nicht ganz einfach, nur mit links zu tippen, aber mit der Zeit bekam man ja Übung in so ziemlich allem. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)