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Ich, er und die Liebe

von

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Von gemeinsamen Hausaufgaben und gefüllten Teigtaschen

Mit Montagen ist das ja so ne Sache. Wie schon Kater Garfield wusste, sind Montage die schlimmen Finger unter den Wochentagen. Die Igitt-Tage. Die, die man eigentlich aus dem Kalender streichen müsste, wenn dann nicht mit Sicherheit irgendein anderer Tag auf den Platz des Wochenbösewichts nachrücken würde. Der Mittwoch zum Beispiel, weil er einem vorgaukelt, man hätte es schon fast geschafft, nur um dann doch noch Donnerstag und Freitag hinterherzuschieben, bevor endlich Wochenende ist. Ich bedauere Leute, die an Samstagen arbeiten und somit einen Tag länger auf ihre verdiente Freizeit warten müssen. (Ganz zu schweigen natürlich von denen, die auch sonntags arbeiten und irgendwie gefühlt nie freihaben.) Inzwischen gehörte ich zwar gewissermaßen dazu, aber für mich war das ja mehr so „bezahlte Freizeitaktivität“ und nichts, mit dem ich für meine Miete und ähnliches aufkommen musste. Aber sei es, wie es ist. Montag gefällt eigentlich fast niemandem und ist daher lediglich in der Version „Pfingstmontag“ oder „Rosenmontag“ zu ertragen, wobei letztere bei uns hier oben auch irgendwie flachfällt. Bleibt halt nur noch zu hoffen, dass möglichst viele andere Feiertage auf diesen ersten aller Wochentage fallen und dass außerdem der Jahresanfang günstig liegt, sodass es insgesamt nur 52 dieser gemeinen Scheußlichkeiten gibt.

 

Heute allerdings führte kein Weg daran vorbei. Es war Montag und ich gähnte mir vor dem Physiksaal einen ab, weil ich vielleicht eventuell möglicherweise gestern Abend noch ein bisschen zu lange wach war. Eigentlich hatte ich nur noch ein winziges Stündchen zocken wollen und auf einmal hatte die Uhr dann eine Zeit mit ner Null vorne und ner ziemlich großen Zahl dahinter angezeigt. Dementsprechend hingen meine Augenlider heute Morgen auf Halbmast mit Tendenz nach unten.

 

„Weckst du mich, wenn Physik vorbei ist?“, fragte ich Anton. Ich brauchte echt noch ne Mütze voll Schlaf. Im Bus hätte ich ja gerne, aber ich war in so eine Schar kreischende Kiddies geraten, die sich auch von meiner extrem erwachsenen Ausstrahlung nicht hatten abschrecken lassen. Diese Jugend von heute. Echt mal, ging gar nicht. Allein die Tonfrequenz. Brr.

 

„Du solltest auf ausreichend Nachtschlaf achten“, gab Anton zurück.

 

Ich verzog das Gesicht. „Vielen Dank, Dr. Wischnewsky. Da wäre ich ja nie drauf gekommen.“

 

„Gern geschehen.“

 

Manchmal prallte Sarkasmus echt an ihm ab wie ein frisch ausgepackter Tennisball.

 

Während ich noch überlegte, ob ich Anton wohl ungestraft als Kopfkissen benutzen konnte, fiel mein Blick auf Theo. Der sah heute auch nicht gerade frisch aus. Na, das konnte ja was werden heute Nachmittag mit uns zwei Schlaftabletten. Ich hatte nämlich mitbekommen, dass wir wohl mal wieder zusammen Schicht hatten. Das ließ mich darüber nachdenken, ob wir eventuell die Zeit bis dahin zusammen verbringen konnten. Schließlich waren von Schulschluss bis Arbeitsantritt noch fast zwei Stunden rumzubringen. Ich beschloss, ihn nachher einfach mal danach zu fragen. War doch nichts dabei. Er war schließlich auch nichts Besonderes und ich hätte ebenso jeden anderen aus der Klasse danach fragen können. Warum also nicht ihn? Alles ganz easy.

 

 

Dass es nicht ganz so einfach werden würde, zeigte sich, als ich Theo tatsächlich nach dem Sport darauf ansprach. Er sah eigentlich ganz erfreut aus und wollte wohl gerade antworten, als ihm plötzlich Jo in die Parade fuhr.

 

„Warum sollte er denn mit dir rumhängen wollen?“

„Äh …“

 

Für einen Moment war ich echt sprachlos. Was ging ihn das denn an. Da sah ich auf einmal Oliver, der sich im Hintergrund einen abgrinste und mir war klar, woher Jos angestachelte Meinung kam. Man, den Kerl würde ich mir irgendwann mal zur Brust nehmen müssen. Jetzt jedoch hatte ich nicht vor, das Testosteron hier so hochkochen zu lassen. Deswegen setzte ich einfach ein Lächeln auf und sah Jo so freundlich wie möglich an.

 

„Na weil ich ein netter Typ bin. Ebenso wie du. Außerdem arbeiten wir nachher zusammen, warum also sollten wir nicht miteinander abhängen?“

„Aber …“

 

Jo wollte wohl noch irgendwas erwidern, aber Theo kam ihm zuvor.

 

„Man Jo, jetzt komm mal wieder runter. Du bist nicht meine Mutter und ich kann rumhängen mit wem ich will. Oder verbiete ich dir, dich mit irgendwelchen Leuten zu treffen, selbst wenn sie den geistigen IQ einer rechtsradikalen Amöbe haben?“

 

Mir war natürlich klar, auf wen er damit anspielte, und offenbar wusste Jo das auch. Er warf mir noch einen finsteren Blick zu und brummelte irgendwas Unfreundliches, bevor er sich verzog. Ich hätte mich ja gerne über seine Schlappe gefreut, aber als ich Theos Gesicht sah, war mir nicht mehr nach Feiern zumute. Hinter den randlosen Brillengläsern tobte ein Sturm und er musste sich sichtbar zwingen, mir wenigstens ein halbes Lächeln zu schenken.

 

„Klar machen wir nachher was zusammen. Bücherei oder Pausenhalle?“

„Pausenhalle klingt gut.“

„Okay, machen wir so.“

 

Ich nickte ihm nochmal zu, während ich mich an meinen Platz verzog und dort erst einmal meine Sachen vom Boden klauben musste. Wäre ja kein Problem gewesen, wenn nicht meine Hose gefehlt hätte. Suchend sah ich mich um, konnte sie aber nirgends entdecken. Voll unguter Vorahnungen wanderte mein Blick in Richtung Waschräume. Da drinnen lief eine Dusche.

 

Die Vorahnungen verdichteten sich, als ich die Tür aufschob und unter dem prasselnden Wasserstrahl ein nasses Stoffbündel auf dem Boden lag. Es brauchte nicht viel um sich auszurechnen, dass das meine Jeans war. Na prima. Würde ich also in Shorts den Tag bestreiten müssen, nur weil Oliver oder Jo oder beide sich auf den Schlips getreten fühlten. Na meinetwegen. War ja nur Wasser. Würde schon wieder trocknen.

 

„Was ist los?“, hörte ich da plötzlich eine Stimme neben mir. Theo. Er schob sich an mir vorbei und besah sich die Sauerei.

 

„Diese …“ Er ballte die Hand zur Faust, bevor er mich entschuldigend ansah. „Ich red mit ihm, okay?“

 

Es war wirklich verlockend, meine anscheinend gerade neu gewonnene Position auszunutzen und Jo eine Lektion zu erteilen, aber irgendwie … nein.

 

„Lass gut sein“, winkte ich ab. „Ich hab doch noch die Sporthose und wenn sie meinen, dass ich mich auf das Niveau herablasse, haben sie sich geschnitten. Dafür müsste ich mir nämlich erst mal ne Schaufel besorgen.“

 

Theo sah mich einen Augenblick irritiert an, bis er die Anspielung kapierte und anfing zu grinsen.

 

„Für Oliver bräuchtest du da vermutlich einen Bagger.“

„Bohrinsel womöglich.“

„Aber wenn du auf Öl stößt, will ich beteiligt werden.“

 

Ich schüttelte den Kopf und versuchte ein möglichst ernstes Gesicht zu machen.

 

„Keine Chance. Wenn ich tatsächlich damit reich werde, geht das ganze Geld an eine Stiftung für unterbelichtete Jugendliche. Wenn ich mir das hier so ansehe, gibt es da echt Bedarf.“

 

Wir lachten beide und auch wenn ich nicht so recht wusste, wo ich meine quatschnasse Hose jetzt lassen sollte, und mich einige belustigte Blicke trafen, als ich in den nicht ganz so schicken Shorts meinen restlichen Unterricht antrat, war ich mir dennoch sicher, dass dieser Montag unter einen der besseren fiel. Deswegen zog ich es wohl auch vor, Julius nach Schulschluss nichts von dem Vorfall zu schreiben, sondern erkundigte mich stattdessen nur bei ihm, wie seine Klassenarbeit gelaufen war. Er war zuversichtlich und schickte mir ein paar dankbare Smileys. Ich war gerade dabei, eine Antwort zu tippen, als sich jemand auf den Stuhl gegenüber fallen ließ. Es war Theo.

 

„Lass dich nicht stören“, meinte er und deutete auf mein Handy.

 

„Bin gleich fertig“, antwortete ich und schickte Julius noch einen Kuss und das Versprechen, dass wir uns morgen im „Monopoly“ sehen würden. Danach legte ich es auf den Tisch.

 

Theo musterte mich, als würde ihm eine Frage auf den Lippen brennen.

 

„Was?“, machte ich und fing an, meine Mathesachen rauszuholen. Herr Schrader hatte es heute gut mit uns gemeint. Eine ganze Reihe lecker Aufgaben wartete auf uns.

 

„Deine Freundin?“, meinte Theo plötzlich und deutete in die Richtung meines Handys.

 

Ich verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke. Wie war er denn jetzt darauf gekommen? Mist. Ich musste auf der Stelle aufhören, so ertappt auszusehen. War doch normal, dass man eine … Freundin hatte. Alles ganz cool.

 

„Ich … du sahst so aus“, murmelte Theo, als ich weiterhin schwieg, und holte nun ebenfalls irgendwelche Hefte aus seinem Rucksack.

 

„Ja, ja, das war meine Freundin“, beeilte ich mich zu versichern und schickte eine gedankliche Entschuldigung an Julius. „Also wir arbeiten zumindest daran.“

 

Warum sagte ich das jetzt?

 

Theo runzelte die Stirn. „Aber ich dachte …“

 

„Na ja, ist ein bisschen komplizierter. Da war zunächst noch jemand anderes und das … also …“

 

Man, was laberte ich denn da? Das war ja fast, als wollte ich, dass er mich erwischte. Ich musste echt damit aufhören. Also schloss ich den Mund und lächelte einfach nur ein bisschen nichtssagend. Theo sah mich noch einen Augenblick lang komisch an, bevor er sein Heft aufklappte. Mit aufgeblasenen Backen besah er sich die Gleichungen.

 

„Meinst du, du kannst mir das gleich noch erklären? Ich brauch immer Stunden dafür.“

„Klar, mache ich. Wo hast du denn am meisten Probleme?“

„Such dir irgendeine Stelle aus. Es kann nur die richtige sein.“

 

Ich grinste und dann machte ich mich daran, den Stoff so einfach wie möglich in Theos Kopf reinzukriegen. Es dauerte eine ganze Weile, aber irgendwann schien es tatsächlich 'Klick' zu machen und er löste die letzten Aufgaben ohne meine Hilfe. Als er damit fertig war, lehnte er sich auf dem Stuhl zurück, nahm die Brille ab und rieb sich über die Augen.

 

„Man, der Scheiß nervt vielleicht.“

 

Ich sah ihn ganz fasziniert an. Das letzte Mal ohne Brille hatte ich ihn an dem Tag gesehen, als er sie in dieser Mathestunde zerbrochen hatte. Als ich mich in ihn … Das schien schon eine Ewigkeit her zu sein.

 

„Du kommst schon noch dahinter.“

 

Er setzte die Brille wieder auf und seufzte. „Ich hoffe es. Momentan … ach, nicht so wichtig.“

 

Er begann, seine Sachen einzupacken, aber ich war mir sicher, dass da noch was war, über das er gerne geredet hätte. Aber sollte ich ihn einfach danach fragen? Vielleicht …

 

„Was ist denn nun eigentlich mit Mia?“

 

Er stockte kurz, bevor er weiter einpackte.

 

„Nichts.“

„Wie nichts?“

„Na nichts. Was soll mit ihr sein?“

 

Alles klar, mein Lieber. Dass du mich gerade nicht ansiehst und drei Ewigkeiten brauchst, um ein lächerliches Heft in deinen Rucksack zu friemeln, ist natürlich ganz klar nichts.

 

„Ich dachte, du bist in sie verknallt.“

 

Es war fast lustig zuzusehen, wie er krampfhaft versuchte, mir auszuweichen.

 

„Und?“

„Warum sprichst du sie dann nicht mal an?“

Er schnaubte. „Wegen Jo?“

 

Ich verkniff mir gerade noch so ein Augenrollen. „Der hat doch eh keine Chance bei ihr.“

 

„Na ja, aber …“ Theo zuckte mit den Schultern.

 

Einen Augenblick lang versuchte ich mir ernsthaft vorzustellen, wie es wäre, an seiner Stelle zu sein. Leider klappte das mit Anton so gar nicht. Der war ja anscheinend weder an weiblicher noch an männlicher Gesellschaft interessiert. Also anders. Was wäre, wenn … äh … Timo ein Computerspiel hätte, das Anton unbedingt haben wollte, Timo aber nur mir ausborgen wollte. Gut, das Beispiel hinkte auch, weil man so ein Spiel natürlich hätte zusammenspielen können und hinterher weiterverleihen und … Argh, ganz falsche Richtung. Menschen waren doch keine Gegenstände. Aber vielleicht …

 

„Warum besorgst du ihm nicht einfach ne andere Freundin?“

 

Theo sah mich an, als wäre ich gerade vom Mond gefallen mit nichts als einem rosa Tutu am Leib.

 

„Und wie soll ich das anstellen?“

„Keine Ahnung. Vielleicht machst du ihm ne Schleife um den Hals und versteigerst ihn auf dem Jahrmarkt. Oder du lässt ein paar Mädels Lose ziehen. Wer die Niete bekommt, hat dann Jo an der Backe.“

 

Ja, gut, der Seitenhieb war fies, aber Theo schien das nur halb zu bemerken. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und das Kinn auf die Hand gestützt. Klassische Denkerpose. Ein bisschen wie diese berühmte Statue.

 

Anscheinend hatte ich irgendein verräterisches Geräusch von mir gegeben, denn Theo sah plötzlich auf und mir direkt in die Augen.

 

„Was?“

„Ach nichts?“

„Sag schon?“

„Du sahst grad aus wie diese Statue. Du weißt schon 'Der Denker' oder wie die heißt.“

„Die von Rodin?“

„Äh … ja?“

 

Kunst? Theo kannte sich mit Kunst aus? Na ja, wer Gedichte schrieb …

 

„Was hältst du von einer Party?“, fragte er plötzlich. „Ich könnte ja ein paar Leute einladen und vielleicht bekomme ich ja Jo so dazu, mit jemand anderem anzubandeln. Ich glaube, Anne wäre nicht uninteressiert. Du weißt schon, Mias beste Freundin.“

„Klingt gut.“

„Würdest du auch kommen?“

 

Ich?

 

„Ich?“

 

Er schob einen Mundwinkel nach oben. „Na ja, du kennst Mia doch und ich dachte, du könntest sie vielleicht fragen, ob sie kommt.“

 

Ich sah ihn noch einen Augenblick mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor ich vehement den Kopf schüttelte.

 

„Vergiss es. Das wäre viel zu … keine Ahnung. Du und Jo habt doch schon mit ihr gesprochen. Lad sie selber ein. Ist doch nichts dabei. Außerdem ist es deine Party.“

„Ja, wahrscheinlich hast du recht. Aber …“

 

Er wollte offenbar noch etwas sagen, entschied sich dann jedoch um. Schwupp und zu das Schneckenhaus. Keine Ahnung, warum er überhaupt eins hatte und warum er sich nun ausgerechnet mir gegenüber so gab. Obwohl … laut Mia-Marie wirkte ich doch so tolerant. Vielleicht war es das, was ihn mir gegenüber offener machte. Kochte eben auch nur mit Wasser der Herr von und zu. Ein bisschen sticheln musste ich dennoch.

 

„Vielleicht schreibst du Mia ja ein Gedicht, in dem du ihr deine Liebe gestehst. Das findet sie bestimmt toll.“

 

Oh-oh. Der Blick, der mich gerade traf, war ganz und gar nicht amüsiert.

 

„Ich schreib keine Gedichte.“

„Aber du hast doch gesagt …“

„Es sind Songtexte.“

 

Einige verblüffte Momente lang starrte ich ihn nur an und auch ihm schien zu dämmern, was er da gerade gesagt hatte. Prompt lief er um die Nase herum ein bisschen rosa an.

 

„Das … äh … am besten vergisst du das einfach wieder, okay?“

 

Ihm schien das echt unangenehm zu sein. Er wusste auf einmal nicht mehr, wohin mit seinen Händen und wich schon wieder meinem Blick aus.

 

„Warum sollte ich es vergessen?“, hakte ich vorsichtig nach. „Das ist doch voll cool.“

„Nicht, wenn die Lieder schlecht sind.“

„Und wer sagt, dass sie das sind?“

„Na ich.“

 

Plötzlich hatte er es ziemlich eilig, noch den Rest seiner Sachen in seinen Rucksack zu werfen und wollte sich wohl gerade vom Acker machen, als er mitten in der Bewegung anhielt, hörbar ausatmete und sich mit der Hand durch die Haare fuhr.

 

„Tut mir leid. Das … ist nichts gegen dich. Ich … ich will nur einfach nicht, dass …“

„Es jemand erfährt?“

 

Er nickte und sah mich ein bisschen unsicher an. Ich lächelte leicht.

 

„Du hast ziemlich viele Geheimnisse.“

„Mhm.“

„Ich würde mir gerne mal was von dir anhören. Egal wie schlecht es ist.“

 

Er schüttelte den Kopf. „Das ist wirklich nur eine Spielerei.“

„Eine Spielerei, die dir ziemlich wichtig zu sein scheint.“

 

Er öffnete den Mund und wollte wohl gerade das nächste Nein von sich geben, als er es sich anders überlegte.

 

„Ich … mal sehen. Vielleicht auf der Klassenfahrt. Wenn kein anderer zuhört.“

„Okay.“

„Okay.“

 

Er zeigte mit dem Daumen in Richtung Ausgang. „Ich … ich geh schon mal vor. Wir sehen uns unten.“

„Klar, bis dann.“

 

Ich sah ihm noch eine Weile nach und wurde nicht so recht schlau aus der Sache. Theo schien so ganz anders zu sein, als ich immer gedacht hatte. Menschlicher irgendwie. Ich meine, er war wirklich manchmal ne fiese, überhebliche Lästertasche, aber auf der anderen Seite war er so … verletzlich. Als wäre die schöne, lässige Fassade nur eine dünne Schale, unter der sich ein empfindliches Weichtier verbarg.

 

Als mir bewusst wurde, was mein Gehirn da gerade wieder für Schwachsinn fabrizierte, schloss ich die Augen und stöhnte.

 

„Erst Katzen, jetzt Schnecken. Theo, du wirst immer unattraktiver.“

 

Ich ignorierte meinen inneren Anton, der gerade anfangen wollte, mir einen Vortrag über Schalen- und Krustentiere zu halten, stopfte das uralte Biologie-Wissen wieder dahin, wo es gehört, und machte mich auch endlich auf den Weg runter zum Sportgeschäft. Immerhin würde ich heute meinen ersten Lohn bekommen und je nachdem, wie der ausfiel, würde ich Julius damit irgendwohin einladen. Mal sehen, wofür es reichen würde.

 

 

Bei Friedrichsen angekommen, erwartete mich das gewohnte Bild. Theo, der locker-flockig drauf war und nicht aus dem Rahmen fiel. Er arbeitete, wechselte ab und an ein Wort mit mir und gab sich ansonsten unbeteiligt. Vermutlich war das seine Art mir zu zeigen, dass er über das Thema von vorhin nicht mehr reden wollte, aber das war mir auch ganz recht. Mich ging die ganze Sache ja im Grunde genommen auch nichts an.

 

Gegen Viertel vor sechs, als wir schon anfingen, die Waren von draußen reinzuräumen, entdeckte ich auf einmal eine höchst bekannte Gestalt, die mit einem strahlenden Lächeln auf mich zukam.

 

„Hey!“

„Julius? Was machst du denn hier?“

„Dich überraschen?“

 

Wir wussten beide, was wir jetzt am liebsten machen würden, aber natürlich beließen wir es bei einer kurzen Umarmung und einem flüchtigen Streifen seiner Lippen auf meiner Wange, das niemand sehen konnte. Statt einer innigen Begrüßung hielt Julius mir eine Stofftasche entgegen.

 

„Hab dir was mitgebracht.“

„Oh, was denn?“

„Schau rein.“

 

Ich nahm ihm den Beutel ab und fand darin eine Plastikdose. Als ich sie öffnete, entströmte ihr ein wunderbarer Geruch, der meinen Magen sofort zum Knurren brachte. Er stammte von einem Haufen kleiner, dreieckiger Teigtaschen.

 

„Samosas“, erklärte Julius. „Hab heute welche gemacht und … na ja. Morgen sind sie nicht mehr so gut, deswegen wollte ich dir lieber heute welche vorbeibringen. Als Dankeschön für die Nachhhilfe und so.“

„Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen.“

„Natürlich ist es das.“

 

Er grinste und ich griff einfach mal zu und probierte, was er mir da gebracht hatte. Es war köstlich. Außen eine knusprige Teighülle und innen eine weiche, würzige Masse, von der ich lediglich die Erbsen identifizieren konnte. Ich biss gleich nochmal ab und versuchte den Geschmack einzuordnen.
 

„Oberlecker. Was ist da drin?“, wollte ich mit vollem Mund wissen.

Julius lächelte. „Kartoffeln, Erbsen und Zwiebeln. Der Rest sind Gewürze. Garam Masala, Kreuzkümmel, Koriander, Ingwer und Chili.“

„Chili? Merkt man gar nicht.“

„Ich hab nicht so viel genommen.“

 

Mir war natürlich klar, dass er die Dinger nicht einfach so gemacht hatte und noch dazu durch die halbe Stadt gelaufen war, nur um mir für die Englisch-Sache zu danken. Als ich ihn darauf ansprach, schmunzelte er.
 

„Na gut, hast mich erwischt. Ich wollte dich sehen.“

„Spinner.“

 

Das musste ich natürlich sagen, aber es war irgendwie toll. Mein Vielleicht-Fast-Beinahe-Freund, der sich extra für mich solche Mühe machte und das, obwohl ich eigentlich gar keine Zeit für ihn hatte. Das war so … süß von ihm.

 

Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung hinter uns. Theo, der jetzt allein die Displays verräumen musste. Prompt bekam ich ein schlechtes Gewissen.

 

„Äh, oh. Sorry!“, rief ich ihm zu. „Kommst du klar oder soll ich noch helfen?“

„Nein, geht schon.“

 

Er nickte mir zu und nahm den letzten Korb mit rein. Julius beobachtete ihn aus schmalen Augen.

 

„Ihr arbeitet also zusammen hier?“

„Ja, ich und noch ein paar aus unserer Klasse. Hab ich dir doch erzählt.“

„Nicht, dass er auch hier ist.“

 

Julius’ verletzter Ton versetzte mir einen Stich. Es war ja nicht so, dass ich ihn absichtlich angelogen hatte. Ich hatte es einfach nur vergessen zu erwähnen. Um es wieder gutzumachen, nahm ich trotz der exponierten Position seine Hand.

 

„Hey, keine Sorge. Das hat sich erledigt, okay? Wir sind nur Freunde. Eigentlich noch nicht mal das.“

 

Einen Moment lang sah Julius noch so aus wie ein Teich, in den jemand einen Stein geworfen hatte, doch dann glätteten sich die Wogen ebenso schnell wieder, wie sie gekommen waren. Im nächsten Moment lächelte er mich wieder an.

 

„Natürlich, wie dumm von mir. Ihr seid ja auch in einer Klasse. Selbst wenn ich wollte, könnte ich wohl nicht verhindern, dass ihr euch seht. Das wäre ja, als würde ich dir verbieten, dich mit Anton zu treffen.“

 

Ganz kurz musste ich daran denken, dass er heute schon der Zweite war, der über Umgangsregelungen sprach, aber Julius mit Jo zu vergleichen wäre in etwa so, als würde man eine Rassekatze und ein Warzenschwein nebeneinanderstellen. Es ging einfach nicht zusammen.

 

„Du musst dir keine Sorgen machen“, sagte ich leise. „Für mich gibt es nur noch einen Mann in meinem Leben.“

 

Natürlich war das fürchterlich pathetisch, aber es zauberte ein so wunderbares Lächeln auf Julius’ Gesicht, dass ich mich beinahe vergessen und ihn geküsst hätte. Erst im allerletzten Moment fiel mir ein, dass das nicht ging und wieder einmal musste ich feststellen, dass geheime Beziehungen doch echt kacke waren. Ich musste mir das mit dem Coming Out wirklich nochmal überlegen. So, wie die Dinge im Moment lagen, hätten die Vorteile augenscheinlich überwogen. Andererseits war der Weg bis zur vollkommenen Bekanntgabe lang, angefangen bei meiner Mutter, von der ich immer noch nicht ganz sicher war, wie sie darauf reagieren würde.

 

Julius hatte anscheinend erraten, wie es in mir aussah. Er lächelte wieder. „Hey, keinen Stress. Ich … ich hätte dich vielleicht hier nicht so überfallen sollen. Das war nicht gut überlegt.“

 

„Ach was“, winkte ich ab. „Ich komme doch auch bei dir bei der Arbeit vorbei. Gleiches Recht für alle, nicht wahr?“

 

Julius schenkte mir noch einen letzten warmen Blick, bevor er in Richtung Geschäft nickte.

 

„Ich glaube, sie warten auf dich.“

 

Tatsächlich standen Holger und Theo schon vor der Tür. In Theos Hand baumelte mein Rucksack.

 

„Äh ja, ich muss dann los. Wir sehen uns morgen.“

„Okay, bis dann.“

 

Ich sprintete los und nahm Theo schnell meine Tasche ab.

 

„Hier ist noch euer Geld, Jungs“, meinte Holger und drückte jedem von uns einen Umschlag in die Hand. Da ich ihn nicht auf der Straße aufmachen wollte, steckte ich ihn einfach in die Tasche und trottete dann hinter Theo her zum Fahrradständer.

 

Während wir unsere Räder aufschlossen, fühlte ich förmlich Theos Blick in meinem Nacken kribbeln. Ob es ihm auch immer so gegangen war, wenn ich hinter ihm saß? Nachdenklich sah ich die Dose mit den Samosas an.

 

„Willst du mal probieren?“ fragte ich plötzlich und hielt sie Theo hin. „Sind ganz frisch.“

 

Ein bisschen zögernd griff er tatsächlich nach einer der Teigtaschen und biss vorsichtig hinein. Sein Gesicht hellte sich auf.

 

„Die sind gut.“

„Mhm, Julius ist ein ziemlich begnadeter Koch.“

„Julius … heißt er so?“

„Ja.“

„Kumpel von dir?“

„Jupp.“

 

Es fühlte sich falsch an, das zu sagen, aber … welche Wahl hatte ich denn?

 

„Er ist Antons Cousin.“

„Ach so.“

 

Anscheinend klärte dass hinlänglich, warum er hierauf einmal mit einer Portion indischer Snacks vor der Tür stand. Schließlich war Anton mein Freund, also war es nicht verwunderlich, dass ich auch Mitglieder seiner Familie kannte. Ganz einfach. So einfach wie es nur eben ging, wenn man seine Beziehung nicht offen ausleben konnte.

 

„Ich fahr dann mal“, meinte Theo und stieg auf sein Rad. „Danke für die …“

„Samosas.“

„Alles klar, dann danke dafür.“

 

Er lächelte mir noch einmal zu und ich … ich lächelte zurück. Einfach weil er freundlich war und ich auch und weil wir zusammen in eine Klasse gingen. Alles ganz cool und easy.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Snowprinces
2020-08-04T06:58:19+00:00 04.08.2020 08:58
Na du
wieder ein super und lustiges Kapitel 😀
und Kaffee hat irgendwie recht 😊
Ben und Jul passen besser zusammen
ich freue mich auf das nächste Kapitel

liebe grüße da lass und ein große Tasse Kaffee zu schieben ,
Antwort von:  Maginisha
04.08.2020 10:47
Huhu!

Freut mich, dass dir Benedikt und Julius so gut zusammen gefallen. Sie sind sich beide in vielen auch wirklich ähnlich. Es sieht gut aus für die beiden.

Kaffee nehme ich liebend gern. :)

Zauberhafte Grüße
Mag
Von:  z1ck3
2020-08-03T13:02:38+00:00 03.08.2020 15:02
Man eigentlich finde ich Julius ja ganz nett, aber Eifersucht ist ungefähr so sexy wie ein Tripper... Das mit den Tomaten hatten wir ja schon!
Antwort von:  Maginisha
03.08.2020 15:38
Hey z1ck3!

Julius ist,tatsächlich ein wenig anfälliger für dieses Gefühl. Er hat halt auch so seine Unsicherheiten. Er bemüht sich aber, sie nicht so raushängen zu lassen.

Und wer hat dieses Mal Tomaten auf den Augen?
Antwort von:  z1ck3
04.08.2020 02:31
Nach wie vor Benedikt haha. Vielleicht irre ich mich aber auch...

Du bist eine gute Autorin, dass du deine Figuren verteidigt :)
Antwort von:  Maginisha
04.08.2020 06:44
Ach na ja. Ich sehe mich schon in einer gewissen Distanz zum Werk. Und ich muss auch nicht alles gut finden, was die da machen. Eifersucht ist definitiv eine von Julius’ schlechten Eigenschaften.

Trotzdem weiß ich nicht so ganz, warum du meinst, dass Benedikt was übersieht? Dass Julius nicht begeistert von Theos Anwesenheit ist, hat er ja mitgekriegt.
Von:  KaffeeFee
2020-08-03T10:04:43+00:00 03.08.2020 12:04
Sei gegrüßt liebe Mag! Ich hoffe, man liest meinen immer noch vorhandenen, grausamen und mutierten Kater nicht aus meinem Kommi raus... ich werd echt zu alt zum nächte durchmachen... schlimm...

Ach Benedikt... lass doch mal den ollen Theo weg! Du hast Julius! Der ist toll, kann kochen und ist bis zum Stehkragen in dich verschossen!
Allerdings wird Theo für mich immer undurchsichtiger... ja, schon klar, ist beabsichtigt, aber ey! Der soll bei der Mia bleiben!
Ein schönes Kapitel. Und die Vergleiche etc hab ich echt gefeiert😅

Bis zum nächsten Kapitel

Koffeeinhaltige Grüße, die KaffeeFee ☕☕
Antwort von:  Maginisha
03.08.2020 14:05
Hey liebste KaffeeFee!

Ach, von Kater lese ich hier nichts. ;)

Benedikt soll Theo weglassen? Aber warum das denn? Der ist doch nett und außerdem vollkommen harmlos. Der tut doch nichts, der will nur spielen. ^_~

Aber du hast natürlich recht damit, dass Julius ein ganz Lieber ist. Er und Benedikt tun sich gegenseitig sehr gut. Wie gut, sehen wir dann nächstes Kapitel. :D

Zauberhafte Grüße
Mag
Von:  aceri
2020-08-03T08:46:24+00:00 03.08.2020 10:46
Hallo!
Nachdem ich Angelo gelesen habe muss dein Nickname bei mir hängen geblieben sein. Deswegen habe ich auf diese Fanfic geklickt und was soll ich sagen? Ich habe alles innerhalb eines Tages gelesen (zum Glück ist auf Arbeit gerade tote Hose...) und ich bin völlig hin und weg! Und begeistert!! Und süchtig!!!
Zum Glück lädst du so regelmäßig hoch sonst würde ich glaube ich durchdrehen xD

Oh, und ich bin übrigens Team Manuel! ;)
Hoffentlich gibt der sich noch einmal die Ehre.

Liebe Grüße und eine schöne Woche!
aceri
Antwort von:  Maginisha
03.08.2020 14:02
Hey Aceri!

Fein, dass Angelo in so guter Erinnerung geblieben ist. Und natürlich auch, dass dir die neue Geschichte so gut gefällt. Ich spoilere jetzt mal, dass Manuel sich nicht nochmal in persona die Ehre geben wird, er wird aber nochmal eine Rolle spielen. Ich hoffe, du liest auch ohne ihn noch weiter gerne mit.

Zauberhafte Grüße
Mag


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