Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 29: Von wechselnder Garderobe und spontanen Bestellungen ---------------------------------------------------------------- „Und es macht dir wirklich nichts aus?“   Ich ging mit Julius zusammen die Straße zu seinem Zuhause entlang. Wir hatten gerade eine Gruppe von Leuten passiert, die offenbar zum Rathausplatz wollten. Auf dem Weg hatten wir gesehen, dass dort Tische und Bänke sowie eine kleine Bühne aufgebaut worden waren, auf der wohl irgendeine Schlagergröße ihres Sangeskunst zum Besten geben würde.   „Wie oft denn noch?“, fragte Julius lachend. „Ich mache heute Abend lieber was mit dir, als zum Stammtisch zu gehen. Ganz ehrlich.“   „Aber …“ Ich kam mir immer noch schlecht vor. „Ich meine, es ist ja nicht so, dass ich was gegen die Leute hätte. Wirklich nicht. Wäre ja auch albern, weil … na ja. Ich gehöre ja schließlich dazu und das ist auch vollkommen in Ordnung. Aber wenn meine Mutter …“   Julius ließ mich nicht ausreden. „Es ist kein Problem. Wirklich nicht. Ich verstehe das. Zumal das erste Date deiner Mutter sicherlich nicht gerade der beste Ort für ein Outing wäre. Von mir wirst du diesbezüglich keinerlei Vorwürfe hören. Jeder in seinem Tempo.“   Ich atmete tief durch. „Okay. Aber dafür hast du was gut bei mir.“   Er lachte. „Wofür? Dafür, dass ich den Abend in netter Gesellschaft verbringe?“   Er zwinkerte mir zu und ich grinste zurück. Na gut. Ich würde aufhören, mich zu entschuldigen. Immerhin hatte Julius wirklich schnell eingewilligt, als ich ihm von dem Dilemma mit meiner Mutter erzählt hatte. Er hatte gemeint, die Runde träfe sich schließlich jeden Monat und er würde den anderen einfach Bescheid sagen, dass er heute nicht käme.   „Ich will mir nur schnell was anderes anziehen, dann können wir los.“   Ich fand zwar nicht, dass das notwendig war – das schwarze Shirt und die enge Jeans standen ihm ausnehmend gut und es war ja nicht so, dass er damit wie ein Kellner aussah – aber Julius hatte gemeint, dass er sich damit wie bei der Arbeit vorkam. Ich hatte mich heute tatsächlich auch ein wenig zurecht gemacht und beim Sport sogar geduscht und mir frische Sachen angezogen. Eine helle Jeans, ein bedrucktes dunkelblaues T-Shirt und ein dazu passendes kurzärmliges Hemd, das ich offen darüber trug. Das hatten wir mal für irgendeinen Geburtstag gekauft und seit dem lag es mehr oder weniger im Schrank. Meine Mutter war immer der Meinung, damit sähe ich „angezogen“ aus, was immer das auch hieß. Julius hingegen hatte nicht gezögert mir zu versichern, dass ich heute Abend „heiß“ aussähe und er mich unbedingt ausführen müsse. Der Plan bestand daher aus Essen gehen (sicherheitshalber in einer anderen Stadt, um auch ja keiner unserer Mütter zu begegnen) und dem anschließenden Besuch einer recht beliebten Großraumdisco, die zwischen hier und dem Ort unseres Restaurantbesuchs auf halber Strecke mitten in der Wallapampa lag.   „Es sollte nicht lange dauern. Willst du hier warten?“ „Klar.“   Ich stand also in dem engen Flur mit dem hässlichen Bild herum, während Julius nach oben verschwand, als ich plötzlich etwas klappen hörte. In der Küche erklangen Schritte und im nächsten Moment stand eine Frau in der Türöffnung. Sie sah mich erstaunt an.   „Oh, hallo! Wer bist du denn?“ „H-hallo. Ich, äh … bin Benedikt.“   Das Gesicht der Frau, bei der es sich vermutlich um Julius’ Mutter handelte, hellte sich schlagartig auf.   „Ach, du bist Benedikt. Freut mich, dich mal kennenzulernen. Ich bin Ilona.“   Sie reichte mir ihre zugegebenermaßen recht massive Hand und ich schüttelte sie. Dabei wurde meine Aufmerksamkeit nahezu sofort von ihrer mit großen Blumen bedruckten Bluse angezogen. Es waren ziemlich viele Blumen, was sicherlich daran lag, dass auch ziemlich viel Frau darin steckte. Also um es kurz zu machen: Julius’ Mutter war nicht ganz schlank und ihr Kleidungsgeschmack ungefähr genauso erlesen wie ihre Wohnungseinrichtung. Aber sie hatte die gleichen, lustig funkelnden Augen wie Julius und obendrein knallrot gefärbte Haare, die sich wunderbar mit der ebenfalls roten Plastikperlenkette bissen, die sie sich um den Hals gehängt hatte.   „Ich dachte, ihr wolltet heute Abend zum Stammtisch gehen“, sagte sie in einer Weise, die das Ganze wie eine Frage klingen ließ.   Ich schluckte kurz. Hieß das, dass sie wusste, dass ich … Was hatte Julius erzählt??   „Na ja, wir … haben uns umentschieden.“   Erneut kam mir der Gedanke, dass es vielleicht fairer gewesen wäre, Julius schon gestern über mein Problem zu informieren, aber ich hatte ihm das irgendwie lieber persönlich sagen wollen, damit es nicht so nach Ausrede klang. Durch die Planänderung standen wir jetzt hier, weil er gemeint hatte, dass er ganz bestimmt nicht mit den Sachen, die er für den Stammtisch mitgehabt hatte, in eine Disko gehen würde. Im Grunde genommen war es also meine eigene Schuld, dass ich jetzt hier stand und nicht wusste, was ich sagen sollte.   „Ach so“, meinte sie jedoch leichthin. „Ich bin heute Abend nämlich auch verabredet, aber wenn ihr noch was essen wollt, könnte ich euch noch was machen, bevor ich losmuss.“ „Nein, danke, wir wollten Essen gehen. Julius zieht sich nur eben schnell um.“   Ilona lachte laut auf. „Oh, dann solltest du lieber mal nachsehen gehen. Julius und 'schnell umziehen' ist ein Phänomen, das in diesem Haushalt noch nicht vorgekommen ist.“   Sie schmunzelte, während ich noch kurz zögerte, bevor ich meine Turnschuhe von den Füßen streifte und ebenfalls die steile Treppe nach oben erklomm. Am Ende der knarrenden Stiege erwartete mich ein winziger Treppenabsatz und drei Türen. Eine davon war nur angelehnt und ich hörte Geräusche von drinnen. Als ich sie aufschob, stand Julius mit nacktem Oberkörper vor mir und sah mich erschrocken an.   „Oh, was ist los? Hab ich zu lange gebraucht?“ „Nein, aber deine Mutter hat gemeint, ich solle mit hochgehen.“ „Meine Mutter? Ist die noch da?“ „Ja, sie war unten und …“   Julius machte ein zerknirschtes Gesicht. „Das tut mir leid. Ich dachte, sie wäre schon weg, sonst hätte ich dich natürlich vorgestellt.“   „Ach, kein Ding. Wir haben das schon selbst geschafft.“ „Na gut, ich beeile mich, ja?“ „Nur kein Stress.“   Während Julius sich wieder der Wahl eines geeigneten Oberteils zuwandte, sah ich mich in seinem Zimmer um. Es war klein, geradezu winzig mit einer Dachschräge, die Antons noch um Längen schlug. Aber wo Antons Zimmer trotz der Enge nüchtern gewirkt hatte, war Julius’ Reich … verspielt. Anders konnte man das irgendwie nicht nennen. Er hatte an der Wand ohne Schräge ein Bett stehen, daneben einen schmalen Schreibtisch unter dem kleinen Fenster und die Wand mit der Schräge wurde von einem halbhohen Metallregal beherrscht, an dem Bambusrollos hingen. Diese waren jetzt hochgezogen und gaben den Blick auf eine Flut von Klamotten frei.   „Mein, äh … Kleiderschrank“, erklärte Julius, als er mein Erstaunen bemerkte. „Es war kein Platz für einen richtigen Schrank, deswegen habe ich mir das da ausgedacht. Wenn die Rollos unten sind, ist es nicht ganz so unaufgeräumt.“   Er grinste und ich musste ebenfalls lachen, denn von ordentlich konnte vermutlich selbst dann nicht die Rede sein. Das lag unter anderem daran, das Julius unheimlich viel Kram besaß. Oder um es anders zu sagen: Julius hatte Deko. Da gab es hier mal einen Kerzenleuchter, dort eine Porzellanfigur, eine Ecke, in der verschiedene Flakons standen, die wohl das eine oder andere Parfum enthielten, eine Schale mit etwas Schmuck, zwei durchaus als üppig zu bezeichnende Zimmerpflanzen und auf dem vollgestopften Bücherregal stand sogar eine Schneekugel. Die Wand war verziert mit Fotos in verschiedenfarbigen Rahmen, daneben hingen einige bunte Tücher, die ich spontan nach Indien eingeordnet hätte, und auf dem Bett lagen ebenso farbenfrohe Kissen und eine lichtblaue Tagesdecke. Eine kleine Stereoanlage belagerte ein Tischchen, unter dem ein nahezu leeres CD-Regal stand. Der Inhalt lag zu verschieden hohen Stapeln aufgetürmt auf dem Fußboden.   „Ich bin leider ein bisschen unordentlich“, entschuldigte er sich auch gleich und begann doch tatsächlich aufzuräumen. Ich stoppte ihn lachend.   „Julius, ich will hier nicht übernachten. Also keine Panik und zieh dir endlich was an.“   Er sah an sich herab. „Oh, ja, sorry, das … äh.“   Abrupt wandte er sich ab und dem Kleiderregal zu. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und überlegte anscheinend angestrengt. Bei der Menge an Möglichkeiten überraschte mich das nicht.   „Ich hab zu dieser Hose einfach nichts Gescheites“, verkündete er, nachdem die Inspektion schon einige Minuten dauerte.   „Dann zieh halt ne andere an“, schlug ich vor und lehnte mich an den Türrahmen.   Er zögerte. „Ähm, ja … könnte ich machen, aber dann dauert es ja noch länger.“ „Wenn du so bleibst, kommen wir aber auch nicht voran.“ „Aber ich …“ „Jul~ius! Zieh jetzt einfach irgendein T-Shirt an und nimm ne Jacke mit und fertig.“   Er blinzelte mich an, bevor ein Lächeln auf seinem Gesicht erschien. „Das ist eine gute Idee. Ich weiß auch schon, welche.“   Innerhalb kürzester Zeit stand er doch tatsächlich in einem engen, weißen T-Shirt mit einem kleinem V-Ausschnitt und einem Sakko vor mir. Ich hob nur beide Augenbrauen.   „Was?“, fragte er und bediente sich noch kurz an einem der Fläschchen.   „Jetzt komme ich mir schon wieder underdressed vor.“ „Quatsch. Du siehst gut aus. Sehr sogar. Ich werde aufpassen müssen, dass dich nicht irgendwer wegschnappt.“   Ich rollte nur mit den Augen. Als wenn mich irgendjemand ansprechen würde. Nein wirklich nicht.   „Zieh dir wenigstens ne normale Jeans dazu an, sonst siehst du aus, als würdet du einen Anzug tragen." „Du willst doch nur, dass ich mich wieder nackig mache.“ „Oh ja, unbedingt.“   Er grinste und machte doch tatsächlich Anstalten, seine Hose zu öffnen, während er mir glühende Blicke zuwarf.   „Hilfe, meine Augen“, schrie ich, bedeckte besagte Körperteile und flüchtete aus dem Zimmer. Im nächsten Augenblick segelte eines der bunten Kissen an mir vorbei die Treppe runter.   „Alles klar bei euch, Jungs?“, kam es ein wenig besorgt aus der Küche.   „Ja, alles bestens“, rief Julius zurück und stand doch tatsächlich kurz darauf neben mir im Flur, allerdings immer noch in der schwarzen Jeans.   „Die, die ich wollte, ist in der Wäsche “, entschuldigte er sich, bevor wir beide unsere Schuhe anzogen und endlich das Haus verlassen konnten.     Auf dem Weg zum Restaurant unterhielten wir uns über alles Mögliche. Julius erzählte von den Klausuren, die er demnächst schreiben musste und dass ihn Englisch in den Wahnsinn triebe.   „Ich bin zwar kein Überflieger, aber vielleicht kann ich dir ja die Grammatik beibringen“, bot ich an. „Das wäre wirklich super.“   Über seine Klausuren kamen wir zu meiner Schule und natürlich unweigerlich auch irgendwann zum Thema Theo. Nachdem ich die ganze, unrühmliche Geschichte vor ihm ausgebreitet hatte – wobei ich meinen Eindruck, dass Theo sich mir gegenüber ein wenig eigenartig benahm, lieber ausgeklammert hatte, weil das vermutlich eh alles nur meiner Einbildung entsprang – wiegte Julius nachdenklich den Kopf hin und her.   „Das heißt, du bist jetzt Mitwisser bei seiner heimlichen Liebschaft mit diesem Mädchen?“ „Liebschaft würde ich es nun nicht unbedingt nennen. Die beiden sind ja nicht zusammen.“ „Aber er wäre es gern?“ „Sieht so aus. „Und was wirst du tun?“ Ich zuckte mit den Achseln. „Was soll ich denn tun? Er ist in Mia verknallt und ich bin raus. End of story.“ „Sicher?“ „Klar. Was soll denn die Frage?“   Julius antwortete nicht, sondern konzentrierte sich darauf, einen Parkplatz am Straßenrand zu finden. Das Thema Theo war damit vom Tisch und wir betraten kurz darauf ein hübsches, kleines China-Restaurant, von dem Julius gemeint hatte, dass es sich wirklich lohnen würde, den Weg dorthin zu fahren. Tatsächlich war das Essen sehr gut und ich daher etwas erstaunt, als Julius nach dem ersten Teller sein Besteck beiseite legte. Als ich ihn danach fragte, grinste er.   „Na ich will doch nachher noch mit dir tanzen und nicht nur vollgefuttert in irgendeiner Ecke herumliegen.“   Tanzen? Oh weh. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich war, ehrlich gesagt, noch nie tanzen gewesen. Ob ich das hinkriegte?   Meine Verunsicherung war mir offenbar anzusehen, denn Julius lächelte mich beruhigend an.   „Hey, ich habe nicht gemeint, dass du dich in einen der Käfige stellen und ne Show abziehen sollst, sondern nur, dass ich mich gerne mit dir zusammen ein bisschen rhythmisch auf der Tanzfläche bewegen würde.“ Ich grinste. „Rhythmisch bewegen? Du Schelm.“ „Quatschkopf.“ „Du hast doch damit angefangen.“ „Dann kannst du jetzt ja damit weitermachen.“   Julius funkelte mich belustigt an, während wir unser Essen zurückgehen ließen, um die Reste einpacken zu lassen, und die Kellnerin die Rechnung zusammen mit zwei kleinen Gläsern brachte, in denen eine bräunliche Flüssigkeit schwamm. Als ich Julius danach fragte, erklärte er mir, dass das Pflaumenwein sei.   „Schmeckt gar nicht schlecht. Kannst ja mal probieren.“   Ich kostete und musste zugeben, dass das Zeug wirklich gar nicht so übel war. Nachdem ich mein Glas bereits geleert hatte, sah ich, dass das von Julius noch unberührt war.   „Ich fahre doch“, sagte er ernst. „Ist zwar nicht viel drin, aber ich bin da ziemlich straight.“   Wir grinsten uns beide an ob des Insiders und bekamen uns anschließend in die Haare, weil Julius unbedingt die Rechnung bezahlen wollte. Irgendwann gab ich mich geschlagen.   „Na gut, aber dann zahle ich den Eintritt und bekomme deinen Pflaumenwein.“ „Die Regel kannte ich noch gar nicht.“ „Ist ja auch neu. Hab ich gerade erst erfunden.“ Er lachte. „Na schön, du Schwerenöter. Dann komm und lass mich deinen Hüftschwung bewundern.“ „Mit dem größten Vergnügen.“   Ich reichte Julius geziert meine Hand und er nahm sie doch tatsächlich und hauchte einen winzigen Kuss darauf, als wäre ich die Prinzessin auf der Erbse. Ich lachte und verpasste ihm eine mit der anderen Hand, während er mich die ganze Zeit nicht aus den Augen ließ. Das änderte sich auch nicht, während wir zum Auto gingen, wo er sich dann zum Glück endlich wieder auf die Straße konzentrieren musste. Nach einigen Minuten des Schweigens erdreistete ich mich, das Radio aufzudrehen, und als dann ausgerechnet „Born this way“ kam, musste ich wohl oder übel lauter machen. Julius lachte und wir beide sangen ziemlich laut und ziemlich falsch mit genauso wie die folgenden Hits, bis wir endlich bei der Disko ankamen.     Vor der großen Halle, die in bestechend unauffälligem Wellblechdesign daherkam, stand tatsächlich schon eine nicht gerade geringe Anzahl Autos.   „Sind wohl noch mehr Küken unterwegs“, stichelte Julius und erinnerte mich mal wieder daran, dass uns so einige Jahre trennten. Während er bereits in allen Ländern dieser Erde als volljährig galt, war ich nicht mal alt genug, um länger als bis 24 Uhr in der Disko bleiben zu dürfen. Umso erstaunter war ich, als ich an der Kasse ohne Probleme einen vollwertigen Stempel erhielt. Ich hatte gesehen, dass zwei Mädchen vor mir einen mit Leuchtfarbe bekommen hatten, was laut Julius dazu diente, die unter 18-Jährigen bei Kontrollen leichter rauszufiltern.   „Ich sagte ja, dass du älter aussiehst“, meinte er und legte mir die Hände auf die Schultern, nachdem er sein Jackett an der Garderobe abgegeben hatte, um mich nun endlich in Richtung Tanzfläche zu schieben. Und was für eine Tanzfläche! Das Ding hatte Ausmaße eines Basketballfeldes und war vermutlich sogar noch größer, wenn man die ganzen Ebenen drumherum mit dazu nahm, die bereits voller Leute waren. Auf einer Empore thronte der DJ, der das Ganze aus einer luftigen Höhe von bestimmt drei Metern überblickte. Davor war noch eine kleine Bühne aufgebaut, an der rechts und links zwei Metallkäfige angebracht waren.   „Für die Gogos“, rief Julius anhand der bereits herrschenden Lautstärke direkt in mein Ohr.   Es gab weiter hinten noch einen Sitzbereich, dem man über eine Treppe erreichen konnte, und obendrein zwei riesige Bars, von denen die größere offenbar dem gewöhnlichen Feld-Wald-und-Wiesen-Trinker gewidmet war, während die andere direkt an der Tanzfläche gelegene auch Getränke mit Obst und Schirmchen und so was allem anbot. Ziemlich lecker aussehende Getränke.   „Vergiss es“, wehrte Julius ab, als er meinen sehnsüchtigen Blick bemerkte, der an einem gut gefüllten Cocktailglas klebte. „Du bist noch keine 18.“ „Na und?“ „Das heißt, dass du keinen harten Alkohol trinken darfst.“ Ich grinste und hielt meine Hand mit dem Stempel in die Höhe. „Der hier sagt was anderes.“ „Benedikt …“ „Julius!“   Ich machte einen Schmollmund und die besten Hundeaugen, die ich zustande brachte. „Du willst doch mit mir tanzen und ohne trau ich mich nicht. Och bitte, nur einen.“   Er seufzte. „Du bist furchtbar.“ Und mit einem Lachen setzte er hinzu: „Furchtbar niedlich, wenn du so guckst. Da muss man ja schwach werden.“   Ich grinste und in meinem Übermut – ganz ehrlich, die mussten da irgendwas in die Luft gesprüht haben oder es lag an den wummernden Bässen, die so ziemlich alles in meinem Inneren zum Vibrieren brachten – schlang ich meinen Arm um ihn und setzte ihm einen Schmatz direkt auf die Wange. Er guckte erst komisch, dann lächelte er.   „Schleimer. Na los, was willst du?“   Ich grinste zufrieden und studierte die Karte. Die meisten Namen sagten mir nichts, aber als ich ganz unten den „Sex on the beach“ entdeckte, wusste ich, dass es der sein musste. Und wenn es nur war, damit Julius ihn bestellen musste.   „Oh man, wie pubertär“, spottete Julius, nachdem ich ihm das mit einem zuckersüßen Lächeln mitgeteilt hatte. Er orderte das Getränk trotzdem für mich.   „Aber nicht alles auf einmal runterkippen“, ermahnte er mich noch.   „Natürlich nicht“, versicherte ich, musste aber feststellen, dass das leichter gesagt war als getan. Wenn man nicht tanzte und sich eigentlich auch nicht unterhalten konnte, süffelte sich so ein Cocktail irgendwie ziemlich schnell weg. Allerdings war ich tatsächlich mit jedem Schluck mehr geneigt, meine sprichwörtliche Bande loszulassen und mich auf das schlüpfrige Eis der Tanzfläche zu begeben. Da hüpften schon einige Mädels herum, ein paar Typen standen mit den Köpfen wippend an der Seite und eigentlich hätte es mir wohl peinlich sein müssen. Aber der Alkohol und eine gute Portion Diskonebel, der alles mehr oder weniger unkenntlich machte, gaben dann den Ausschlag.   Ich stellte mein mittlerweile leeres Glas ab – man soll ja schließlich keine offenen Getränke irgendwo rumstehen lassen, gibt ja schlimme Leute und so – und stürzte mich ins Getümmel. Julius war direkt neben mir und dann tanzten wir. Wenigstens hoffte ich, dass es so aussah, als wenn ich das tat. Immerhin bemühte ich mich redlich, mich möglichst gleichmäßig in dem Rhythmus zu bewegen, der mit Nachdruck aus den Boxen gepumpt wurde, und dabei keinem meiner Nebenmänner und – frauen auf die Füße zu treten oder ihnen meinen Ellenbogen irgendwohin zu rammen. Natürlich war es auch möglich, dass mein Gehampel eigentlich total Panne aussah, aber ich konnte mich ja schließlich nicht sehen und die meisten der anderen Tänzer achteten vermutlich eh nicht auf mich, also konnte mir das doch eigentlich auch egal sein. Es war sowieso alles gerade so herrlich egal. So wunderbar herrlich egal.   Die Tanzfläche wurde merklich voller, als tatsächlich die Gogo-Show anfing, die zu meiner großen Enttäuschung zwar keinen leichtbekleideten Mann beinhaltete, dafür aber eine Menge lecker Kerle vor den Käfigen versammelte. Julius stieß mich an.   „Willst du noch was trinken?“, brüllte er mir ins Ohr. „Ja, aber ich gehe selbst.“ „Gut, dann bin ich mal eben weg.“   Er deutete mit der Hand irgendwo in Richtung Toiletten und ich nickte nur zum Zeichen, dass ich ihn verstanden hatte. Danach kämpfte ich mich bis zu der kleineren Bar durch, die unserem Standort am nächsten lag. Dort angekommen musste ich erst ein bisschen anstehen, bevor ich endlich einen Platz an der leicht klebrigen Theke ergattern konnte. Während ich wartete, dass eine der Bedienungen mir ihre Aufmerksamkeit schenkte, wanderte mein Blick nochmal zur Cocktailkarte. Einen, hatte Julius gesagt. Schließlich hätte ich eigentlich nicht mal den haben dürfen. Aber meine Zeit hier neigte sich dem Ende entgegen, nur noch eine halbe Stunde bis Mitternacht, dann war der Spaß vorbei. Und musste man das dann nicht noch ausnutzen? So ein bisschen wenigstens? Ja, oder? Völlig logisch, dass man das Beste aus dem herausholen musste, was man hatte.   „Und, was willst du?“, fragte mich plötzlich die blonde Tresenkraft. „Sex?“, blubberte ich. Sie lachte. „Ich hoffe, du meinst den Cocktail. Ansonsten sieht’s schlecht aus. Ich bin vergeben.“ „Ich auch“, log ich und grinste sie an. „Na dann mixe ich dir mal was zurecht.“ „Klasse und noch ne Cola bitte.“   Nur wenige Augenblicke später stand ich mit zwei Gläsern in einer ruhigeren Ecke. Erst dort wurde mir bewusst, dass ich gerade dabei war, einen ganz dummen Fehler zu begehen. Ich hatte mir nicht nur illegal Alkohol besorgt, ich hatte auch noch das Versprechen gebrochen, das ich Julius gegeben hatte. So mehr oder weniger zumindest. Wenn er jetzt sah, dass ich mir noch einen Cocktail geholt hatte, würde er vermutlich ausrasten. Er war doch immer so pingelig. Aber was sollte ich tun? Ich hatte das Ding ja nun mal in einem Anfall geistiger Umnachtung gekauft und es war auch nicht gerade billig gewesen. Daher tat ich das Einzige, was mir einfiel, um diese missliche Lage möglichst elegant aus der Welt zu schaffen. Ich vernichtete das Beweisstück. Auf Ex. Was ziemlich schade war, weil es wirklich gut schmeckte. Vom Alkohol merkte man eigentlich gar nichts. Dachte ich jedenfalls, bis ich Julius auf dem Rückweg fast vor die Füße stolperte.   „Ups“, machte ich und grinste blöde. „Isch hab deine Cola stehn lassen.“ Er sah mich ein bisschen fassungslos an. „Und was hattest du in der Zwischenzeit?“ „Isch? Gar nix!“   Man, mein Mund gab aber auch echt einen Schwachsinn von sich, das war ja nicht zum Aushalten. Ich glaube, ich nuschelte auch ganz schön. Scheiße. So viel zu meinem Plan, Julius nicht merken zu lassen, dass ich noch mehr getrunken hatte. Er sah ganz und gar nicht begeistert aus, bevor er seufzte und mich am Arm packte.   „Dich kann man auch nicht alleine lassen.“   „Allein is ja auch doof“, gab ich kalauernd zum Besten und lehnte mich noch ein wenig mehr zu ihm rüber. „Bissu böse?“ „Ein bisschen.“ „Och, nich böse sein. Komm schon, Julius. Isch hab dich doch so lieb.“   Er lachte und schüttelte den Kopf. „Ich dich auch, aber jetzt ist es echt an der Zeit, dich nach Hause zu bringen.“ „Is aba noch nich swölf.“ „Doch, für dich schon, Prinzesschen. Also Abmarsch.“ „Schpielverderba.“   Meine Aussprache wurde wirklich immer schlimmer, daher beschloss ich, einfach mal die Klappe zu halten und mich auf meine Füße zu konzentrieren. Die brauchten nämlich dringend ein bisschen Hilfe, um in der Spur zu bleiben. Rechts, links, rechts, links. Also entweder vertrug ich echt nichts oder die blonde Schnalle hatte es mit dem Wodka zu gut gemeint. Oder beides. Haha, warum sich entscheiden, wenn man auch beides haben konnte? Voll die gute Idee, die ich Julius sofort mitteilen musste. Der rollte aber irgendwie nur mit den Augen und würdigte meine Genialität nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit. Als ich mich darüber beschwerte, seufzte er schon wieder. Dabei klang er wie Anton. Anton, den ich auch voll lieb hatte, auch wenn er ein bisschen aussah wie ein Erdmännchen mit Brille. Dieser Meinung war Julius anscheinend nicht. Zumindest antwortete er nicht, als ich ihn danach fragte. Stattdessen setzte er mich ins Auto und schnallte mich an. Als wenn ich das nicht selber gekonnt hätte. Das blöde Anschnallding hatte nur einfach nicht stillgehalten, als ich es versucht hatte. Aber jetzt, nachdem ich es müde gejagt hatte, hatte Julius natürlich leichtes Spiel. So wie in diesem Witz mit der Olive. Den Julius entweder schon kannte oder nicht lustig fand. Zumindest lachte er nicht, als ich ihn erzählte, sondern startete nur den Wagen und fuhr los.   Ich lehnte meinen echt wirklich schweren Kopf an die kühle Fensterscheibe und zählte diese schwarz-weißen Dinger, die am Straßenrand stehen. Ihr wisst welche? Die, damit man die Straße auch im Dunkeln findet. Gab echt viele von denen, wenn ich das mal so sagen darf. Drei, vier, fünf, sieben …     Irgendwann musste ich bei der Zählerei wohl eingeschlafen sein. War ja auch kein Wunder. Immerhin hatte ich schon einen ganzen Schultag und mein Training hinter mir, da durfte man ja wohl mal einnicken. Genau dass teilte ich Julius dann auch mit zusammen mit einer Entschuldigung, dass ich ihm den Abend ruiniert hatte. Er seufzte. Schon wieder.   „Hast du nicht. Und jetzt mach dich mal ein bisschen leichter, damit ich dich aus dem Auto bekomme.“   Natürlich ließ ich ihn mich nicht tragen. Also ich wollte, aber er weigerte sich, weil ich angeblich zu schwer war. Also echt mal. Ich bin nicht dick, ich bin nur dick angezogen. Eine Tatsache, die ich zu ändern gedachte, doch wieder hielt Julius mich auf.   „Erst, wenn wir drinnen sind, Hase.“ „Hilfst du mir?“ Schon wieder ein Seufzen. „Natürlich.“   Wir kamen unbeschädigt an unserer Haustür an und das obwohl Julius nicht nur mich sondern auch noch meinen Rucksack und meine Sporttasche zu bugsieren hatte. Er war halt doch stärker, als er aussah. Drinnen war noch alles dunkel, also war meine Mutter wohl noch nicht zu Hause. Ein Glück. Die hätte mir jetzt gerade noch gefehlt.   „Wo ist der Hausschlüssel?“, wollte Julius wissen. „Hosentasche?“ „Welche?“ „Weiß nicht. Musst suchen.“   Ich grinste, als er begann, die vorderen Taschen abzutasten.   „Kalt“, informierte ich ihn und unterdrückte ein höchst unmännliches Kichern. Ich wusste nämlich, dass sich der Schlüssel in keiner der Taschen befand, aber Julius war halt vollkommen ahnungslos. Das war lustig. Vor allem, als er jetzt um mich herumgriff und doch tatsächlich seine Hand in meine hintere Hosentasche steckte. Ich nutzte die Gelegenheit, um meine Arme um seine Taille zu legen und ihn noch ein Stückchen näher zu ziehen. Er wehrte sich nicht.   „Da ist nichts“, sagte er mit leicht belegter Stimme. „Vielleicht in der anderen?“   Er schob seine zweite Hand in die andere Tasche. „Da ist auch nichts.“ „Sicher?“ „Ganz sicher.“ „Komisch. Ich hätte schwören können, dass ich ihn da hingesteckt habe.“   Wieder spürte ich, wie Julius seine Hände in den Taschen bewegte. Dabei kam mir sein Körper noch näher. Ich lehnte mich vor und meine Nase streifte das Stück nackte Haut, das von seinem T-Shirt freigelassen wurde. Mhm, das roch gar nicht schlecht. Ein bisschen nach Diskonebel, aber man konnte auch noch deutlich das Parfum riechen, das er früher am Abend aufgetragen hatte. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Nein, wirklich gar nicht schlecht. Bevor ich wusste, was ich da genau tat, schmiegen sich meine Lippen an die glatte Haut. Ich fühlte, wie er schluckte.   „Was machst du da?“ „Du riechst gut.“   Das tat er tatsächlich. Am ganzen Hals und auch hinter dem Ohr und dass meine Lippen bei dieser Inspektion eine Spur von Küssen hinterließen, war eigentlich auch ganz nett. Ja wirklich. Sehr nett sogar. Es fühlte sich gut an, Julius zu küssen. So gut, dass im nächsten Moment meine Lippen auf seinen lagen. Hingebungsvoll küsste ich ihn und bemerkte dabei so ganz nebenbei etwas ziemlich Erstaunliches. Nämlich das Julius mich zurückküsste. Ganz schön energisch sogar. Mit Zunge und allem. Oh là là, wie Mia-Marie wohl gesagt hätte. Das war … mhm. Mehr! Noch viel mehr! Küss mich. Jetzt! Hör nicht auf. Bitte, hör bloß nicht auf.   „Hör nicht auf!“   Oh Mist. Hatte ich das jetzt echt laut gesagt? Es schien zumindest so, denn Julius unterbrach erschrocken den Kuss. Er holte tief Luft und im nächsten Moment hörte ich ein aus tiefster Seele stammendes „Scheiße!“ von ihm.   Scheiße? Warum denn das jetzt? Er küsste doch ziemlich gut. War ich so schlecht oder warum fluchte er hier herum?   Julius lehnte schwer atmend seine Stirn gegen meine. „Tut mir leid, das wollte ich nicht.“ Was? Mit Küssen aufhören? Ich lachte. „Dann mach doch weiter.“ „Ich … nein, das geht nicht. Du musst ins Bett.“ „Kommst du mit?“, fragte ich so suggestiv, wie es mir in meinem Zustand möglich war.   Für einen Moment pressten Julius’ Hände meinen Unterleib gegen seinen. Ich war mir zwar nicht ganz sicher, wie es ihm ging, aber ich war trotz der beträchtlichen Menge Cocktails, die ich intus hatte, hart. Nach Sex im Glas wollte ich jetzt echten Sex. So richtig. Mit Julius. Julius mit dem süßen Hintern, den er so absolut fantastisch zu „Hips don’t lie“ bewegen konnte. Julius, dessen Finger immer noch auf meinem eigenen Hintern lagen trotz seiner anscheinend vorherrschenden Meinung, dass wir beide das hier nicht tun sollten. Armer Julius. Ich zog ihn an mich.   „Der Schlüssel ist unter der Fußmatte“, wisperte ich in sein Ohr und er nickte, bevor er sich von mir losmachte, um den Schlüssel zu holen und aufzuschließen. Ich fühlte eine Hand in meiner und Julius schob mich nach vorn. Wahrscheinlich damit ich ihm zeigte, wo mein Zimmer war. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich rannte fast durch den Flur, stieß die Zimmertür auf, zog ihn mit mir, und verschloss die Tür im nächsten Moment wieder, indem ich Julius dagegen drückte. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass er so schlüpfrig sein würde. Kaum hatte ich ihn noch einmal geküsst und eine Hand unter sein Shirt geschoben, war er mir auch schon ausgekommen und raufte sich mitten in meinem Zimmer stehend die Haare.   „Ich muss gehen, Benedikt. Das hier … du bist betrunken. Lass uns morgen darüber reden. Bitte.“   Ich wollte aber nicht reden. Ich wollte ihn küssen und ausziehen und nachsehen, was unter dem sexy Outfit noch so alles steckte. Ich wollte seinen Schwanz in die Hand oder am besten gleich in den Mund nehmen und ihm zeigen, dass Sex nichts Schlimmes war. Wollte, dass er meinen Namen stöhnte, wenn er kam. All solche Dinge wollte ich, aber momentan gingen mir echt die rhetorischen Fähigkeiten ab, ihm das mitzuteilen. Also versuchte ich einfach noch einmal, ihn zu küssen, aber er hielt mich zurück. Eine Hand strich zärtlich über meine Wange.   „Morgen. Ich verspreche es.“   Ganz zart streiften seine Lippen noch einmal die meinen, dann war er plötzlich fort. Ich dachte ziemlich angestrengt nach, wie es dazu kommen konnte, als ich die Haustür ins Schloss fallen hörte. Er war also tatsächlich gegangen. Das fühlte sich blöd an und ich … ich ließ mich einfach in mein Bett fallen, strampelte noch meine höchst widerspenstigen Klamotten vom Leib und schlief fast sofort ein, während ich noch Julius’ Hände auf meinem Hintern spürte und seinen Geschmack auf den Lippen hatte. Julius. Was für ein hübscher Name. Ich wünschte wirklich, er wäre nicht gegangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)