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Ich, er und die Liebe

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Weil Sonntag ist und ich so viel Zeit hatte. ^_~ Komplett anzeigen

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Von hartnäckigen Heteros und veränderten Voraussetzungen

Wisst ihr, was der häufigste Tipp ist, den das Internet ausspuckt, wenn man sich als Schwuler in einen Hetero verliebt hat? Nein? Ich verrate es euch. HALTE DICH VON IHM FERN! Lösch seine Nummer, verbrenn seine Fotos und zieh um nach Weitweitweg. Am besten alles gleichzeitig.

 

Nun hatte ich zwar weder Theos Nummer, noch hatte ich es je gewagt, ein Foto von ihm zu schießen, und da mir das mit dem Umziehen dann doch ein bisschen übertrieben erschien, hätte das mit dem Fernhalten ja theoretisch gesehen kein Problem darstellen sollen. Nur leider gab es dabei eben doch ein Problem und das hieß Theo. Theo, der anscheinend wild entschlossen war, sich so überhaupt und gar nicht von mir fernzuhalten, sondern mir im Gegenteil jetzt erst recht nahekommen wollte. Und er war wirklich, wirklich hartnäckig.

 

Zuerst versuchte er, mich morgens vor der Schule abzufangen. Ich sah ihn schon von weitem am Eingang des Fahrradkellers stehen und nach mir Ausschau halten. Zumindest nahm ich an, dass er das tat. Zu meinem Glück hatte unser Fahrradkeller jedoch zwei Eingänge und ich war gewitzt genug, um den zu nehmen, an dem er nicht stand. Tja, Pech gehabt, Junge. Als er dann erst nach dem Läuten zur ersten Stunde vor dem Physiksaal auftauchte, wurde er zum Glück gleich von Jo in Beschlag genommen und da er sich nicht traute, sich einfach neben mich zu setzen, hatte ich volle 45 Minuten Ruhe, während er irgendwo von hinten Löcher in meinen Rücken starrte. Und nein, ich würde den Zettel, den er mir noch schnell zugesteckt hatte, nicht lesen. Was sollte denn da schon großartig draufstehen? „Willst du mit mir gehen? Ja/Nein/Vielleicht“ würde es wohl nicht sein. Also lass mich in Ruhe!

 

Auch in Mathe ignorierte ich die Blicke, die er mir quer durch die Klasse zuwarf und in der großen Pause verkroch ich mich bei Anton in der Bibliothek. Der fragte nicht, sondern musterte mich nur kurz, bevor er seine Brille nach oben schob, sich umwandte und weiter an seiner Datenbank rumprogrammierte. Man hätte denken können, dass dieser Code der reinste Porno war, so wie er sich da immer draufstürzte. Ich war sogar so vorsichtig, dass ich es nicht mal wagte, zur Toilette zu gehen, obwohl wir von denen nun wirklich ein paar in der Schule hatten. Ich hatte nämlich echt Angst, dass Theo mir da auflauern und mich in eine der Kabinen zerren würde. Denn was immer mir auch sagen wollte, ich wollte es nicht hören. Also ich wollte schon, aber ich wollte es nicht wollen, also blieb ich immer auf größtmögliche Entfernung bedacht. So sehr, dass ich doch glatt Herrn Vogel bat, mich doch noch mal eben schnell auf die Toilette zu entschuldigen, bevor die Deutschtstunde anfing. So würde ich für den Rest des Tages bestimmt ohne aushalten und kein weiteres Risiko eingehen müssen.

 

„Aber es war doch gerade Pause“, meinte mein Lehrer kopfschüttelnd.

 

„Hab’s vergessen“, murmelte ich und scherte mich nicht die Bohne darum, dass Oliver ein gemurmeltes „Bettnässer“ als Husten tarnte und zwar so laut, dass es alle in der Klasse mitkriegten. Und natürlich lachten einige, weil man bei so was eben lacht. Isso.

 

„Ich müsste auch nochmal weg“, sagte da auf einmal Theo und fing sich dafür einen sehr irritierten Blick von Jo ein. Daraufhin grinste er und ergänzte: „Mein Buch liegt noch im Schließfach.“
 

„Dann guckst du bei Johannes mit rein und du, Benedikt, beeilst dich bitte ein bisschen. Hier ist der Schlüssel für die Lehrertoilette hier auf dem Gang. Aber hinterher wieder abschließen.“

„Ich … äh … danke.“

 

Herr Vogel nickte nur und war damit einem Reiher ähnlicher denn je, während Theo sich wohl oder übel geschlagen geben und mit den anderen ins Klassenzimmer gehen musste. Als ich wieder kam, saßen schon alle mit den Köpfen über ihren Büchern.
 

„Nun, wer kann mir denn sagen, wie es um die Beziehung zwischen Hans und Emma bestellt ist?“

 

Ich schnaubte innerlich. Die Alte hatte ich ziemlich gefressen, wenn ich ehrlich war. Erst hatte sie Hans in sich verliebt gemacht und dann war sie einfach abgereist, ohne ihm ein Wort zu sagen. Ach, das kommt euch bekannt vor? Mir auch. Ich sagte ja, dass es kein besonders gutes Buch war.
 

„Theodor?“

 

Theo schreckte aus seinen unterrichtsfremden Gedanken hoch, bei denen Herr Vogel ihn offenbar zielsicher erwischt hatte. Tja, wer so auf dem Präsentierteller saß, musste die Kunst beherrschen, mit interessierter Miene zu schlafen. Dummer Anfängerfehler, Herr von Hohenstein.

 

Theo räusperte sich. „Äh, also … Hans hat sich in Emma verliebt, ist aber von der Situation überfordert. Er weiß nicht, was er machen soll, als sie ihn küsst und später versucht, ihn zu verführen.“

 

„Schlappschwanz“, ließ sich Oliver vernehmen und erntete schon wieder einige Lacher dafür. Unter anderem von Jo. Ich hingegen konnte nicht darüber lachen. Zum einen, weil die Bemerkung von Oliver kam, und zum anderen, weil ich Theos Gesichtsausdruck gesehen hatte. Er hatte ausgesehen wie ich, wenn ich die nächste Frage nach Emmas Weggang und dessen Folgen hätte beantworten müssen. So als wüsste er, wovon er sprach.

 

Kennt ihr Katzenvideos? Seid ehrlich. Ihr habt schon mal eins geguckt, oder? Da gibt es ja zig verschiedene. Zum Beispiel das von der Katze, die den Alligator verscheucht. Oder diese fette Katze, die sich immer in irgendwelche Kisten quetscht. Es gibt Katzen, die gegen Fensterscheiben springen oder von Tischen fallen, welche die miteinander reden, sich vor Gurken erschrecken und ungefähr 12.735 Videos, auf denen sie einfach nur schlafen. Aber wisst ihr, welche wirklich so total und überhaupt gar nicht gehen? Die mit Katzenbabys. Natürlich gibt es da draußen Menschen, die kleine, flauschige Katzenbabys nicht niedlich finden. Weil sie allergisch sind oder lieber Hunde mögen oder eben einfach generell keine Katzen leiden können. Soll’s ja geben. Aber alle anderen können diesen kleinen Fellbündel nicht widerstehen und ich verrate euch jetzt mal ein kleines Geheimnis: Zu denen gehörte ich auch. Theo wiederum sah genauso aus wie ein knuddeliges Katzenbaby, das gerade jemand quer durch die Turnhalle gekickt hatte. Und damit hatte er mich.

 

 

Als wir uns zum Sport umzogen, machte ich extra langsam und ahnte, dass Theo es mir gleichtat. Spätestens als Jo herumnörgelte, weil er immer noch nicht fertig war, war ich mir dessen sicher.
 

„Ich krieg den Schnürsenkel nicht auf. Geh schon mal vor, ich komm gleich“, meinte Theo nur und ich zweifelte echt kurz an Jos Intelligenz, dass er darauf wirklich hereinfiel. Aber er tat es und kurz darauf waren Theo und ich allein in der Umkleide. Ich atmete noch einmal tief durch und ergab mich dann dem Unvermeidlichen. Kätzchen-Theo, der sich mir in den Weg stellte.
 

„Ich … wollte mal mit dir reden. Wegen Samstag.“

„Ich höre?“

 

Nur weil ich ihn scharf fand, hieß das ja noch lange nicht, dass ich es ihm einfach machen musste.

 

„Ich … also … wegen Mia … äh …“
 

Meine Güte, das war ja nicht zum Aushalten. Der war ja schlimmer als ich. Ich kam ein Stück näher und legte den Kopf schief.
 

„Du stehst auf sie, oder?“
 

Das anschließende Nicken hätte er sich sparen können, denn er sah so ertappt aus, als hätte ich ihn mit der Hand in der Keksdose erwischt. Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich auf eine der Bänke sinken. Auf den ersten Blick schien seine Reaktion keinen Sinn zu machen, aber wozu hatte ich jetzt Bollywood-Erfahrung? Ich hatte mir schließlich nicht umsonst den halben Sonntag über die Sache den Kopf zerbrochen und war zum einzig logischen Schluss gekommen.
 

„Und jetzt hast du Schiss, dass Jo meinetwegen davon Wind bekommt.“
 

Wieder nickte er und sah mich von unten herauf an, während ich vor ihm stand und nur mit dem Kopf schütteln konnte. Da ich mir so ziemlich dumm vorkam, setzte ich mich neben ihn auf die Bank und zwar so dicht, dass sich unsere Körper mehr als streiften. Wenn schon, denn schon. Er hatte dieses Treffen gewollt, das hatte er nun davon. Und vielleicht half bei mir ja auch Aversionstherapie. Wenn ich ihn berührte und dabei mit ihm darüber sprach, dass er auf Mädchen stand, müsste das doch helfen, mich zu entlieben, oder nicht?
 

„Und warum sollte ich das tun?“, fragte ich nun wieder gedanklich bei seinem Problem.

 

Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Um Jo eins reinzuwürgen? Oder mir?“
 

Am liebsten hätte ich ihn genommen und geschüttelt. Meine Güte, ich mag dich, du Vollpfosten. Mehr als gut für mich ist. Am liebsten würde ich … ach lassen wir das. Es half ja eh nichts. Er stand nun mal auf Mädchen. Auf Mia, um genau zu sein. Was ihm irgendwie nicht zu verdenken war, denn Mia sah wirklich gut aus. So ganz objektiv. Nicht attraktiv für mich, aber halt echt hübsch und sie war nett. Immer freundlich. Sportlich. Und schlau. Es gab also keinen Grund, sich nicht in sie zu verlieben, auch wenn ich wirklich gerne der Grund dafür gewesen wäre. Zumindest für Theo.

 

„Ich sag’s keinem. Bin doch nicht Oliver.“

„Danke.“ Er klang echt erleichtert.

 

Ich spürte, wie er den Kopf bewegte. Mich ansah. Er saß so dicht neben mir, dass, wenn ich mich jetzt auch umwandte, ich ihm direkt in die Augen geschaut hätte. Und für einen winzigen Augenblick war ich in Versuchung, es wirklich zu tun. Mich einfach umzudrehen, ihn anzusehen und zu küssen. So nahe waren wir uns noch nie gewesen und ich … okay, damit war es wohl ziemlich amtlich. Ich war noch nicht über ihn hinweg.
 

„Komm, lass uns gehen. Die suchen sonst noch nach uns.“

 

Theo stand auf und hielt mir die Hand hin. Ich hätte sie ergreifen können. Sie nehmen, ihn an mich ziehen und ihm zeigen, was ich für ihn empfand. Durch den Überraschungsmoment wäre mir das bestimmt gelungen. Aber was sollte das bringen, außer einem scharfen Schnitt durch das gerade erst so zart geflochtene Band unserer Freundschaft? (Sorry für die Ausdrucksweise, aber wenn ich vorher Deutsch hatte … Ihr wisst ja. Bin halt ein Sprachchamäleon.) Also stand ich auf, ohne seine Hand zu nehmen. Stattdessen gab ich ihm einen kumpelhaften Stüber gegen die Schulter.
 

„Mach dir mal nicht ins Hemd. Ich halte dicht. Aber frag mich bitte nicht nach Tipps, wie du sie rumkriegst. Da kann ich dir nämlich wirklich nicht weiterhelfen.“
 

Theo sah mich für einen Augenblick sehr, sehr komisch an, bevor er sich umdrehte und mit mir zusammen den Gang entlang zum Sportunterricht ging. Puh, Glück gehabt. Das Ganze war ohne Schläge und ohne Küsse abgegangen und jetzt waren wir …. enger befreundet als je zuvor. Ach man, Benedikt. Das hast du ja mal wieder ganz großartig hinbekommen.

 

 

Jetzt hätte es der Katastrophen für einen Tag ja genug sein können, aber nein. In der nächsten Stunde stand schließlich Französisch auf dem Stundenplan und das bedeutete, dass ich nun mit der anderen Hälfte von Tristan und Isolde konfrontiert wurde. Ihr wisst? Das Liebespaar, das sich nicht haben durfte, weil sie eigentlich dem König versprochen war, dem er als Ritter die Treue geschworen hatte. Und bevor ihr euch wundert, das war letztens mal Thema bei „Wer wird Millionär“.

 

Mia-Marie und ich packten gerade unsere Sachen aus, als „nur Mia“ in den Raum geschwebt kam. Als sie sich setzte, sah sie zu mir rüber und lächelte.
 

„Hallo Benedikt.“

„Hi Mia.“

 

Damit war das Gespräch beendet und ich wollte schon aufatmen, als Mia-Marie mich scheel von der Seite ansah. Ich versuchte, ihren Blick zu ignorieren, aber es ging nicht. Schließlich gab ich auf.
 

„Was?“, zischte ich zu ihr rüber.

„Seit wann begrüßt dich Mia denn persönlich?“

„Seit ich ihr Samstag einen Bikini verkauft habe.“

„Oh là là. Gleich einen Bikini.“

 

Ich verdrehte die Augen. „Da kann ich doch nichts dafür. Sie hat halt einen gesucht und ich arbeite seit letzter Woche bei Friedrichsen. Es hätte genauso gut Leon treffen können. Reiner Zufall.“

 

Mia grinste. „Kein Grund, gleich in Verteidigungshaltung zu gehen. Selbst wenn, hast du doch eh eine Freundin.“

„Eben. Außerdem steht Mia nicht auf mich.“

„Auf wen denn dann?“

„Verrate ich dir nicht.“

„Aber du weißt es.“

 

Oh Mist. Ohmistohmistohmist.

 

Ich sah zu Mia-Marie rüber, die mich triumphierend angrinste. Scheiße, wie hatte sie das hingekriegt? Es war noch nicht mal eine Stunde her, dass ich Theo geschworen hatte, sein Geheimnis für mich zu behalten, und jetzt plauderte ich es bei der erstbesten Gelegenheit gleich aus? Das hatte ja prima geklappt. Und jetzt kam auch noch Frau Bertram rein, sodass mir keine Zeit mehr blieb, das Ganze überzeugend zu leugnen. Also beschränkte ich mich darauf, Mia-Marie mit einem Kopfschütteln abzuspeisen, das sie mit einem belustigten Schnauben quittierte.

 

„Du bist ein echt schlechter Lügner.“
 

Danach war das Thema erst mal vom Tisch und wir schickten wieder das Geschichtsbuch auf reisen. Trotzdem blieb die Angst, dass Mia-Marie irgendwelche Gerüchte in die Welt setzen würde, weswegen ich sie nach der Stunde beiseitenahm.

 

„Hör mal, wegen dem vorhin … Wäre schön, wenn du das niemandem erzählst. Die Sache ist ein bisschen … kompliziert. Es gibt jemanden, der in Mia verliebt ist, aber derjenige will nicht, dass sie es weiß, und deswegen … na ja.“

„Ist es Anton?“

Was?“

„Anton.“

„Äh, nein.“

 

Doch nicht Anton. Wie kam sie denn darauf? Ich war mir nicht mal sicher, ob Anton überhaupt auf irgendwas stand, was keinen Bildschirm hatte. Hoffnungsloser Fall von Computerliebe sozusagen.
 

„Aber Mia steht auch auf ihn?“

 

Gute Frage. Wusste ich ja eigentlich gar nicht. Woher auch. Ich konnte sie ja schlecht zu einem vertraulichen Pläuschchen in der Umkleidekabine auffordern. Womöglich noch mit Prosecco. Ahahahaha. Nicht lustig.

 

So langsam wurde das Ganze echt unangenehm. Warum musste Mia-Marie auch so neugierig sein? Ich atmete tief durch und sah sie geradeheraus an.
 

„Ich habe demjenigen versprochen, dass ich nichts erzähle und daran würde ich mich gerne halten. Also hör bitte auf, mich danach zu fragen, ja? Und … spionier auch nicht herum, okay? Das Ganze ist demjenigen echt unangenehm.“

 

Zuerst hatte Mia-Marie noch ausgesehen, als wolle sie protestieren so von wegen, dass sie doch keine Klatschbase war oder was auch immer, doch dann nickte sie nur.
 

„Okay. Ich bin zwar urneugierig, um wen es geht, aber ich würde das schließlich auch nicht wollen, wenn ich heimlich in jemanden verliebt wäre. Wer auch immer es ist, kann sich glücklich schätzen, dass er dich zum Freund hat.“

 

Sie lächelte mir zu und machte sich dann auf den Weg in den Musikraum. Ich folgte ihr und wir holten uns gemeinsam einen Rüffel ab, weil wir zu spät waren, aber das machte nichts. Das hier war wichtiger als der Unterschied zwischen Blues und Jazz.

 

 

Nach diesem ganzen Spießrutenlaufen war ich nur noch froh, endlich nach Hause zu kommen. Ich machte mir einen faulen Nachmittag bis kurz vor sechs. Dann breitete ich schnell meine Hausaufgaben auf dem Schreibtisch aus und machte einen auf fleißiger Sohn, als ich meine Mutter an der Tür hörte. Kurz darauf klopfte sie an meiner Zimmertür und trat, nachdem ich sie hereingebeten hatte, ein.

 

„Hey Schatz, du bist ja schon wieder beim Lernen.“

„Ja, hab einen Erdkundetest morgen.“

 

Sie nickte und blieb neben dem Tisch stehen. Ihr Blick glitt über meine Schulsachen, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie wirklich sah, was ich dort liegen hatte. Als sie sich schließlich räusperte, sackte mir mein Herz in die Hose. Oh Fuck. Jetzt kam irgendwas Unangenehmes. Verdammt. Hatte sie etwa doch was gemerkt? Wegen meiner Verabredung mit Julius? Würde sie mich jetzt fragen, ob ich schwul war? Und was würde ich antworten? Ja. Ich würde ja sagen. Einfach so. Das war doch okay. Musste mir nicht peinlich sein. Sie würde cool bleiben.

 

„Also, Benedikt, ich … ich muss da mal was mit dir besprechen.“

 

„Ach ja?“ Wieso kiekste meine Stimme denn so? Der Stimmbruch war schließlich schon ne Weile her.

 

„Ja, ich … also ich wollte mir doch ein Tablet kaufen. Erinnerst du dich? Und, na ja … Ich war letztens in einem Geschäft, um mich beraten zu lassen. Der Verkäufer war wirklich sehr freundlich und hatte deiner alten Mutter alles ganz genau erklärt …“

 

„Aber Mama, du bist doch nicht alt“, warf ich ganz charmant ein. So was musste man als netter Mensch und Sohn, der ab und an Extra-Taschengeld wollte, einfach manchmal tun.

 

Sie lächelte. „Danke, Schatz. Zumal das genau der Punkt ist, auf den ich hinauswollte. Also weißt du, es ist so. Ich … ich habe morgen eine Verabredung. Mit dem Verkäufer.“

 

Sie schwieg und sah mich an, während in meinem Gehirn gerade irgendwas ausgehakt war. Anscheinend war für „Meine Mutter hat tatsächlich ein Date und zwar nicht mit Ekel-Möller, der sowieso nicht zur Verfügung steht, sondern mit irgendeinem anderen Kerl“ kein Speicherplatz vorgesehen. Mein Körper griff daher auf das bewährte Rezept zurück: Lächeln und winken.

 

„Das ist ja … toll“, brachte ich hervor. „Wo wollt ihr denn hin?“

 

„Er hat gesagt, dass in der 'Teufels Küche' morgen Live-Musik gespielt wird. Wir wollen dort etwas essen und danach vielleicht noch zum Tanzen. Am Mittwoch ist ja der erste Mai, wie du weißt. Es könnte also etwas später werden. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.“

 

„Klar, kein Ding“, krächzte ich, während mein gestopptes Hirn bereits wieder in hektische Betriebsamkeit ausgebrochen war.

 

Meine Mutter hatte ein Date. Ein echtes Date. So mit Flirten und Küssen und … nein, das würde ich mir jetzt nicht vorstellen. So weit waren die sicherlich noch nicht. Aber was noch viel schlimmer war: Sie würde sich dort mit ihrem potentiellen Lover treffen, wo ich mit Julius auftauchen würde. Um mich mit einem Haufen Homosexueller an einen Tisch zu setzen. Das würde auf keinen Fall stattfinden. Nicht in diesem Leben.

 

Sie sah ein wenig unglücklich aus. „Wahrscheinlich mache ich gerade alles falsch, wenn ich dir jetzt schon davon erzähle, aber ich wollte dich einfach nicht anlügen und sagen, dass ich mit Kollegen weggehe oder so. Du bist schließlich keine drei mehr. Und deine Mutter ist eben … halt noch nicht so ganz alt. Ich weiß nicht, ob ich den Rest meines Lebens allein verbringen möchte, nur weil ich Kinder habe. Kinder, von denen eines bald heiratet und selbst eine Familie gründet.“
 

„Nein, natürlich nicht.“

 

Ich schwankte zwischen Panik und Erleichterung und brach sicherheitshalber mal ein wenig in Schweiß aus. Einerseits war ich noch nicht unfreiwillig geoutet. Das war schon mal nicht schlecht. Andererseits wollte meine Mutter mir anscheinend gerade klar machen, dass ich in nächster Zukunft vielleicht nicht das einzige männliche Wesen am Frühstückstisch sein würde. Das war eigenartig. Und nicht zuletzt hatte ich gerade das ganz konkrete Problem, dass ich meine Verabredung für morgen wohl absagen musste. Was mir so gar nicht passte, denn ich hatte vorgehabt, mich bei Julius mal so richtig über diesen ganzen Liebesschlamassel in der Schule auszuheulen. Außerdem hatte ich mich gefreut, was mit ihm zu unternehmen. Und jetzt sollte ich ihm absagen, weil meine Mutter ihr blödes Date ausgerechnet ins gleiche Lokal verlegte? Das war einfach nicht fair.

 

„Ich … wollte morgen übrigens auch ausgehen. Wäre das okay?“

Sofort hellte sich die Miene meiner Mutter auf. „Aber natürlich Schatz. Wo willst du denn hin?“

„Weiß ich noch nicht. Disse vielleicht.“

„Mit Anton?“

 

Ich lachte ein bisschen nervös. „Ach Mama, du weißt doch. Anton ist gegen so ziemlich alles allergisch, was Spaß macht. Nein, ich wollte mit Julius gehen. Der hat auch ein Auto und bringt mich dann bestimmt danach nach Hause.“

 

„Verstehe. Na dann wünsche ich euch beiden viel Spaß. Aber keinen Unsinn anstellen, ja?“

„Natürlich nicht, Mama. Würde mir nie einfallen.“

 

Ich ahnte ja nicht, wie Unrecht ich mit diesem Satz haben würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Rentierchan
2020-07-19T19:22:06+00:00 19.07.2020 21:22
Entdeckt und mich festgesaugt wie eine Zecke.
Du schreibst sooo toll!
Ich könnte mich kaum bremsen.
Ich glaube und hoffe ja das Manu noch mal erscheint. Ihm wird auf kurz oder lang sicher bewusst werden was er da hatte. Vielleicht ist es dann schon zu spät, aber vielleicht ja auch nicht.
Bei Theo weis ich nicht ganz wo ich bin, liegt aber wohl daran das man von ihm noch nicht viel weis.
Julius ist schon ein süßer, aber ist es das was zu Benedikt passt?

Ich bin gespannt wie es weiter geht.
Antwort von:  Maginisha
20.07.2020 10:09
Hey Rentierchan!

Freut mich, dich an Bord begrüßen zu dürfen. Ich glaube, auf Manuel dürfen wir nicht mehr unbedingt hoffen. Ich bin zwar am Überlegen, ob ich ihm (und auch den jeweils anderen Jungs) noch eine eigene Geschichte gönne, aber dazu müsste ich mir erst noch einen Plan machen, damit nicht allzu viel doppelt ist, man aber trotzdem die jeweilige Geschichte auch eigenständig lesen kann. Mal sehen.

Ob und wer zu Benedikt passt...na schauen wir mal. Deswegen werde ich jetzt mal fleißig weiter tippen. Die einen schönen Start in die Woche!

Zauberhafte Grüße
Mag
Von:  z1ck3
2020-07-19T16:05:42+00:00 19.07.2020 18:05
Aaahrgh fieser Cliffhanger!

Ach das ist mir gerade alles zu viel. Theoooo, wiesoooo wiesoooo..... Ich gehe jetzt Schokolade essen meh
Antwort von:  Maginisha
19.07.2020 18:33
Aber nur welche mit extra viel Kakao. Die hilft. :)
Antwort von:  z1ck3
19.07.2020 19:47
Die mit 70% mag ich zum Glück eh am liebsten!
und du bist Schuld, so!
Von:  KaffeeFee
2020-07-19T10:02:15+00:00 19.07.2020 12:02
Aaargh, Theo, ich möchte dich hauen! Und kratzen und beißen und an den Haaren ziehen! Du bist echt ein Ken... Trottel!
Bei diesen Liebesbriefen hab ich immer ein viertes Kästchen gemalt mit "wohin"... was stand denn nun eigentlich in dem Brief drin?!

Den letzten Satz von Benedikts Mutter feier ich! Sowas ähnliches hat meine Oma auch immer zu meiner Mama gesagt😅
Und ich bin jetzt wahnsinnig gespannt, welchen Unsinn der liebe Benedikt anstellt!

Bis dahin, koffeeinhaltige Grüße, die KaffeeFee ☕☕ <-- damit du noch genug Koffein für die nächsten Kapitel hast😉
Antwort von:  Maginisha
19.07.2020 12:56
Och, der arme Theo. Der kann doch auch nichts dafür, in wen er sich verliebt. ;P

Was in dem Brief stand, weiß ich nicht. Benedikt hat den im Mülleimer versenkt, bevor ich gucken konnte. Aber vermutlich sowas wie "wir müssen reden" und drei Totenköpfe. :D

Und deine Oma hat das zu deiner Mama gesagt? Nun komme ich mir alt vor. *rofl* Den Unsinn bekommst du natürlich dem nächst brühwarm serviert Wozu habe ich schließlich Uuuurrrlauuub?

Vielen Dank fürs Käffchen und den lieben Kommentar!

Zauberhafte Grüße
Mag
Antwort von:  KaffeeFee
19.07.2020 12:57
Ja, Oma hat immer gesagt " und macht keinen Blödsinn!" Das sagt sie heute noch zu mir😅 also keine Sorge, du bist nicht alt!
Urlaub... was ist das? Genieße ihn!


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