Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 27: Von bunten Vögeln und schwulen Pinguinen ---------------------------------------------------- Halten wir mal fest: Bollywood-Filme sind bunt, laut und lang. Sehr lang. Zwei Stunden saßen Julius und ich im Kino, bevor das Spektakel sein dramatisches und tränenreiches Ende fand. Obwohl ich zugeben muss, dass Teile des Films wirklich fesselnd waren, ließ er mich doch unbefriedigt zurück.   „Das ist doch Mist“, beschwerte ich mich dementsprechend bei Julius, als wir wieder vor dem Kino standen. „Ihre große Liebe wurde ermordet? Während sie dabei zusieht? So ein Käse.“ „Aber sie hat doch ihren Ehemann und die beiden können jetzt endlich glücklich miteinander werden“, wand Julius ein. „Er liebt sie schließlich ebenfalls.“ „Ja, aber nur, weil seine große Liebe auch abgenippelt ist. Also echt mal. Dann doch lieber Hollywood. Da sterben wenigstens nur die Bösen.“ „Titanic?“ „Ach, leck mich!“   Ich stapfte ein wenig ziellos drauf los, während Julius leise lachend zu mir aufschloss. Als ich ihn fragte, warum, grinste er.   „Na weil wir die Frage am Schluss offenbar beide verschieden beantworten. Du siehst nur, was sie verloren hat, währen dich sehe, was sie gewonnen hat. Eine Liebe, die sie ein Leben lang tragen wird, statt einer Liebe, die sie zerstört hätte. Immerhin war sie eine verheiratete Frau und eine Affäre hat doch eigentlich erst zu dem ganzen Schlamassel geführt. Ich finde, ihre Wahl war gut.“   „Pfrrt“, machte ich und stopfte meine Hände in die Hosentaschen. „Der andere sah trotzdem besser aus.“   Julius lachte erneut, diesmal lauter. „Ja oder? Wäre auch eher mein Typ gewesen trotz der geschminkten Augen. Obwohl ihr Mann auch was hatte. Vor allem war der größer.“ „Am besten schreiben wir das Drehbuch um, schmeißen die Tante raus und lassen die beiden Kerle was miteinander anfangen. Das wäre doch ein viiieel besserer Film gewesen.“   Ich wackelte mit den Augenbrauen und Julius lachte schon wieder. Der bunte Streifen hatte ihm anscheinend wirklich gefallen. Seine Augen strahlten richtig, auch wenn ich eigentlich erwartet hatte, sie ein wenig gerötet vorzufinden. Das Schniefen neben mir war nämlich nicht zu überhören gewesen.   „Und jetzt?“, fragte Julius plötzlich. „Wollen wir noch was essen gehen?“   Ich sah auf mein Handy, das mir bestätigte, dass es schon ganz schön spät geworden war. Mit einem Seufzen deutete ich auf das Parkhaus hinter mir, in dem ich mein Fahrrad angeschlossen hatte. „Nee, ich muss los. Ein anderes Mal, ja?“   Er nickte eifrig. „Klar. Wann immer du willst.“   Hinter ihm an einem Laternenpfahl entdeckte ich ein Plakat des Jahrmarkts. Ob ich ihn fragen sollte, ob wir da hingehen wollten? Die Sache war nämlich die, dass ich Jahrmarkt mochte. Sehr sogar. Der Trubel, die Menschen, die Gerüche und … okay, ich geb’s ja zu. Ich fuhr einfach gerne Karussell. Also nicht die Kinderversion, sondern was Schnelleres. Aber alleine hingehen war doof, von daher war ein Besuch in Juliuuss’s Begleitung doch nicht die schlechteste Idee.. Als ich gerade den Mund öffnete, kam Julius mir zuvor.   „Wenn du Dienstag noch nichts vorhast … Ich treffe mich mit ein paar Leuten. Letzter Dienstag im Monat und so. Mittwoch ist ja frei und … vielleicht hast du ja Lust, auch zu kommen? Das Ganze findet in 'Teufels Küche' statt. Da spielt dieses Mal abends auch ne Band. Wird bestimmt lustig.“   Ich überlegte. Mit Leuten meinte er sicherlich die vom Regenbogen-Stammtisch, von dem er mir erzählt hatte. Wenn wir da zusammen hinkamen, war denen somit bestimmt klar, dass ich … naja. Auf Kerle stand halt. Die Vorstellung war einerseits komisch, andererseits war ich auch neugierig. Immerhin kannte ich noch nicht besonders viele Leute, die auf der gleichen Uferseite angelten. Warum sich also nicht mal ansehen, was das so für welche waren. Wenn es mir nicht gefiel, konnte ich ja immer noch abhauen.   „Du musst auch nicht, wenn du nicht willst.“   Julius hatte mein Schweigen anscheinend missgedeutet. Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, ist schon okay. Ich würde gerne mitkommen. Aber musst du nicht arbeiten?“ „Nur bis 19 Uhr, danach gehe ich hin. Du könntest nach deinem Training zu mir ins 'Monopoly' kommen und ich nehme dich mit?“ „Klar, klingt gut.“   Ich nickte Julius zu und deutete nochmal in Richtung meines Fahrrads.   „Ich geh dann mal.“ „Ja, okay. Fahr vorsichtig.“ „Klar, immer doch.“   Ein wenig unschlüssig standen wir beide da, ein jeder wohl überlegend, was wir jetzt tun sollten. Schließlich war es Julius, der auf mich zukam und mich umarmte. Nichts auffälliges, nur ein kurzes, kumpelhaftes Drücken. Klar. Wir standen ja auch mitten auf der Straße.   „Mach’s gut, Benedikt. Ich … es war toll mit dir.“ „Fand ich auch.“ „Dass es toll mit dir war?“ „Spinner!“   Ich lachte und winkte ihm noch einmal, bevor ich mich endlich in Bewegung setzte. Das hier war schließlich kein Bollywoodfilm, sonst hätten wir vermutlich noch ein Abschiedslied singen – und tanzen – müssen. Aber das war natürlich albern. Immerhin würden wir uns in ein paar Tagen schon wiedersehen und ich musste jetzt wirklich nach Hause. Meine Mutter wunderte sich bestimmt schon, wo ich blieb.     „Hey Mama, bin wieder da“, rief ich, als ich zu Hause reinkam. Es roch nach Abendessen, aber ich hatte gar keine großen Hunger. Lag wohl am Popcorn. „Hallo Schatz, wir schreiben gerade die Einladungen.“ Ah, das erklärte, warum Dianas Auto schon wieder vor der Tür stand. Ich grüßte beide, als ich ins Esszimmer kam. Der Tisch lag voller Papier in weiß und flieder.   „Hey, Brüderchen, wo kommst du denn jetzt erst her?“   Diana war gerade dabei, eine Karte in einen Umschlag zu stecken. Vor ihr lag schon ein kleiner Stapel und es sollten wohl noch eine ganze Reihe mehr werden.   „War im Kino.“ Ich zögerte kurz, bevor ich hinzusetzte: „Mit Julius.“   Ich weiß nicht, was mich da ritt. Wollte ich eine Reaktion auf diese Eröffnung? Und wenn ja, was für eine?   „Wer ist Julius?“, wollte Diana prompt wissen und sah mich neugierig an.   „Antons Cousin“, antwortete meine Mutter an meiner statt.   „Ach so“, machte Diana, während sie nach der nächsten Einladung griff.   „Essen steht übrigens auf dem Herd“, fuhr meine Mutter fort. „Du kannst heute mal in deinem Zimmer essen. Hier ist ja alles voll.“   „Mhm“, machte ich nur. Ich hatte wirklich keinen Hunger. „Soll ich euch helfen?“   „Du?“ Diana lachte. „Nein danke, deine Sauklaue hält sich bitte fern von meinen Einladungen. Du kannst dann beim Zelt aufbauen helfen oder so was.“   „Klar, mache ich.“   Ich blieb noch einen Moment unschlüssig im Türrahmen stehen, bevor ich mich dann doch umdrehte und in mein Zimmer trollte. Hier störte ich doch sowieso gerade nur. War vielleicht auch ganz gut so. Eigentlich … eigentlich wollte ich ja auch nicht, dass sie mich ausfragten. Ich meine, sie hatten doch jetzt eh zu tun. Die Hochzeit, ein Baby, da musste ich ja nicht auch noch unbedingt mit meinen Problemen um die Ecke kommen. Zumal es ja eigentlich kein Problem gab. Nicht wirklich. Es war ja schließlich nicht so, dass ich vorhatte, in nächster Zeit mit einem Typen hier aufzukreuzen oder gar zu fragen, ob ich ihn mit zur Hochzeit bringen durfte. Das nun wirklich nicht. Dianas Hochzeit würde gänzlich ohne schwules Pinguinpaar stattfinden können.   „Benedikt, du denkst Schwachsinn“, murmelte ich, stopfte mir meine Kopfhörer in die Ohren und schloss die Augen. Dieser Tag hatte ganz schön müde gemacht. So müde, dass ich irgendwann einschlief und erst mitten in der Nacht wieder aufwachte, als mich meine Blase nochmal ins Bad und mein Magen zum Kühlschrank schickte. Im Licht der offenen Kühlschranktür löffelte ich einen Joghurt in mich hinein und ging dann wieder ins Bett. Immerhin musste ich morgen früh raus. Zumindest für einen Samstag. Ein Hoch auf die Vorzüge der Arbeitswelt.       „Was machst du denn hier?“ Leon sah mich höchst erstaunt an, als ich am Samstagmorgen vor dem Sportgeschäft auftauchte. Er stand bereits vor der geschlossenen Tür und wartete auf Holger.   „Ich arbeite hier.“ „Ach echt? Seit wann?“ „Seit vorgestern.“ „Hat mir keiner erzählt.“   „Tja“, machte ich in Ermangelung einer adäquaten Antwort. Was sollte ich darauf auch sagen? Dass er wohl doch nicht so gut mit Theo dran war, wie er gedacht hatte? Das wäre erstens dumm und zweitens unnötig gewesen. Leon war nett und nur, weil er mit Jo befreundet war und die beiden im selben Fußballverein spielten, musste ich ihn ja nicht gleich angiften. Außerdem wäre es nur ein Ausdruck dafür gewesen, dass diese Tatsache ziemlich offensichtlich auch auf mich zutraf. Das sah man schon ganz allein daran, dass Theo mir nicht erzählt hatte, dass ich seine Schicht übernehmen würde, wie mir Holger kurze Zeit später eröffnete. Theo würde heute also nicht kommen und ich den Vormittag mit Leon verbringen. Was okay war. Wir arbeiteten normal miteinander, gingen normal miteinander um, alles entspannt. Aber insgeheim hatte ich wohl gehofft, dass ich heute wieder mit Theo zusammenarbeiten würde, und dass das nicht so war, hinterließ auf meiner Tätigkeit einen leichten Schleier der Enttäuschung.   Während ich ein paar Kartons, die von einem Schuhverkauf übriggeblieben waren, wieder zurück an ihren Platz stellte, wanderte mein Blick durch das Geschäft. Einige Kunden liefen zwischen den Regalen hindurch und bei dem Anblick der verschiedenen Menschen begann ich darüber nachzudenken, was mich wohl am Dienstag für Leute erwarteten. Ganz unauffällige Typen oder eher bunte Paradiesvögel? Eine Mischung aus beidem? Womöglich jemand, den ich kannte? Aus einem Geschäft oder gar einer der Lehrer? Mein Englischlehrer zum Beispiel hatte schon manchmal eine etwas seltsame Art. Very British, wie man so schön sagte, obwohl er von hier stammte. Aber der war seit ungefähr dreihundert Jahren mit seiner Frau verheiratet, also schied er wohl aus. Oder Herr Vogel? Der war, soweit ich wusste, nicht liiert. Oder vielleicht doch? Heimlich? Mit einem Mann? Die Vorstellung ließ mich ein bisschen grinsen.   Unwillkürlich nahm ich die Anwesenden genauer aufs Korn und überlegte, ob einer von denen wohl schwul oder lesbisch war. Oder noch was anderes. Gab da ja noch zig andere Möglichkeiten. Vielleicht waren die beiden Typen, denen Leon gerade einen hautengen Neoprenanzug von einer Puppe schälte, ja ein Paar. Eine nette Vorstellung, wie ich zugeben musste, obwohl sie vermutlich falsch war. Oder das Mädchen da mit den schulterlangen, blonden Haaren. Vielleicht hatte sie ja eine Freun...   „Mia?“ Ich blinzelte, als sich das Mädchen umdrehte und mich verwundert ansah.   „Benedikt? Was machst du denn hier?“ „Ich arbeite hier.“   Wie oft musste ich das heute eigentlich noch wiederholen? Ich meine, ich trug doch schließlich das T-Shirt. Da war es doch offensichtlich, dass ich hier nicht nur einkaufte. „Ach, das wusste ich gar nicht. Sonst habe ich immer nur Leon, Jo und Theodor hier gesehen.“ „Ich bin auch ganz neu.“   Sie lachte und strich sich das Haar hinters Ohr. „Na gut, Neuer. Dann verrate mir doch mal, ob ihr auch Bikini-Oberteile einzeln verkauft.“   Da ich das nicht wusste, ging ich zu Leon und fragte ihn. Seine Kunden waren offenbar ohne den extra für sie herabgeholten Anzug wieder verschwunden, denn er bemühte sich gerade, das Ding wieder auf den Plastikkörper zu ziehen, was anscheinend schwieriger war als gedacht.   „Wieso?“, schnaufte er und schien kurz davor, der Puppe einen kräftigen Tritt zu verpassen. „Was willst du denn mit einem Bikini?“ „Doch nicht für mich. Für Mia.“   Leon lugte an mir vorbei und pfiff leise durch die Zähne. „Na, wenn Jo gewusst hätte, dass die heute kommt, hätte er sich die Chance sicher nicht entgehen lassen. Noch dazu, wenn sie einen Bikini kaufen will.“   Ich verkniff mir ein Augenrollen. Allein die Vorstellung, wie Jo sich vor Mia aufplusterte und ihr womöglich noch anbot, ihr beim Anprobieren zur Hand zu gehen, ließ mich mich schütteln. Das hätte ich echt nicht mitansehen müssen. „Also was ist?“, fragte ich daher, um das Bild vor meinem inneren Auge wieder loszuwerden. „Haben wir so was nun oder nicht?“ „Was weiß ich denn. Müsst ihr halt mal bei den Badesachen gucken.“   Okay, das war jetzt hilfreich. Ich ging zu Mia zurück und lächelte sie entschuldigend an. „Leon weiß es auch nicht, aber er hat gemeint, wir sollen einfach mal gucken. Wenn, dann hängen sie bei den Badesachen.“ „In Ordnung.“   Ich begleitete Mia zu dem Ständer mit den bunten Bikinis und stand dann etwas unschlüssig herum. Sollte ich hier jetzt eigentlich mitsuchen oder sie selbst machen lassen oder wie? Was für eine seltsame Situation. Was Theo in meinem Fall wohl gemacht hätte? Er wäre vermutlich total souverän damit umgegangen und hätte Mia zu diesem oder jenem geraten. Oder wie ging es den Jungs damit, die wirklich auf Mädchen standen, wenn sie auf einmal mit der Vorstellung konfrontiert wurden, eines in wirklich wenig Stoff vor sich zu haben?   „Hier, ich hab eins“, verkündete Mia und hielt etwas in schwarz und weiß hoch. Es sah aus, als hätten sich ein Tiger und ein Zebra ein bisschen zu lieb gehabt. „Wie findest du es?“   „Mhm, nee. Aber wie wäre es mit dem hier?“   Ich schnappte mir etwas in Pink und wedelte damit herum. Mia lachte. „Das ist viel zu klein. Siehst du das denn nicht?“ Öhm … Nein, sah ich nicht. Und das wiederum sah man mir wohl an meinem Gesichtsausdruck an. Mia lachte wieder. „Du bist ein Spaßvogel, Benedikt.“   Mit zwei Teilen – eines davon die schwarz-weiße Scheußlichkeit – ging sie zu den Umkleidekabinen und ließ mich mit den bunten Bänder- und Ösenteilen zurück. Ich seufzte und sortierte meinen pinken Fund wieder zwischen die anderen. Ich hätte den besser gefunden, aber ich sollte ihn ja auch nicht anziehen.   „Du hast echt Glück, dass Jo nicht hier ist“, unkte da plötzlich Leon neben mir. „Der hätte dir eine verpasst, weil du so mit ihr flirtest.“   Ich? Flirten? Mit Mia?? Aber ich hatte mich doch nur ganz normal mit ihr unterhalten. Beinahe wäre mir herausgerutscht, dass mich Mädchen sowieso nicht interessierten, aber ich beherrschte mich gerade noch so. Das war doch echt nicht normal, dass mir das so weit vorn auf der Zunge lag und bei jeder Gelegenheit drohte herauszurutschen. Ich war noch nicht soweit. Ich wollte nicht, dass alle Welt es wusste. Allein die Vorstellung des Spießrutenlaufens in jeder Sportstunde reichte aus, um das unfreiwillige Geständnis wieder ganz tief nach unten zu schlucken. Coming Out verschoben auf 2035 oder so. „Ich gehe mal nachsehen, ob sie was gefunden hat“, murmelte ich, um von Leon wegzukommen. Der meinte nur mit einem fetten Grinsen: „Ist klar“ und trollte sich wieder. Natürlich hatte er das falsch verstanden. Na meinetwegen, sollte er. Dann kam er wenigstens nicht auf die Idee, dass ich hinter seinem Hintern her sein könnte. Was ja nicht stimmte. Der interessierte mich nämlich nicht die Bohne. Gut, wenn er damit vor mir rumgewackelt hätte, hätte ich bestimmt mal hingeguckt, aber ansonsten ließ mich Leon ziemlich kalt.   Ich lief zu den Umkleidekabinen und wollte Mia gerade fragen, wie es aussah, als mir auffiel, dass das vielleicht komisch kam. Oder es wäre komisch gekommen, wenn ich hetero wäre. Immerhin konnte Mia nicht wissen, dass mich ihre nackte Erscheinung ungefähr so sehr interessierte wie ein kahlrasierter Dackel. Von daher war es wohl zu auffällig, wenn ich jetzt einfach zu ihr ging, als wäre ich … ja was auch immer. Also blöd, definitiv blöd. Wahrscheinlich war es also besser, wenn ich in einiger Entfernung wartete, bis sie wieder herauskam. Diskret und so. Das war bestimmt die richtige Wahl.   Ich schnappte mir also irgendwelche T-Shirts und fing an, sie der Größe nach zu sortieren, als die Ladenglocke ertönte. Ich sah auf und wurde mit einem höchst unerwarteten Anblick belohnt. Es war Theo, der freudestrahlend auf mich zukam. „Hey, wie ich sehe, ist meine Vertretung schon fleißig. Ist viel los?“ „Es geht.“ Was zur Hölle wollte der hier? Er hatte doch zu Holger gesagt, dass ihm was dazwischen gekommen war. Warum also stand er dann trotzdem hier und grinste mich an?   „Ich hab dir was mitgebracht?“ „Mir?“ „Ja, ich war in der Nähe und dachte mir, ich bring dir noch eins von meinen Shirts vorbei, damit du nicht wieder hauteng durch die Gegend laufen musst.“   Irrte ich mich oder glitt sein Blick bei diesem Satz tiefer? Vielleicht sogar noch etwas tiefer, als notwendig war, um mein Shirt zu betrachten? Weia. Ich kurz davor, Schnappatmung zu kriegen. Theo, was machst du?   „Also … willst du dich umziehen oder bleibst du so?“ „Ähm …“   Ich blinzelte das Shirt an, das er mir entgegenhielt und das ich ihm immer noch nicht abgenommen hatte. Wann war er bitte so nahe gekommen, dass ich nur die Hand ein wenig hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren? Es prickelte an meinem ganzen Körper, als würde er unsichtbare Wellen aussenden, die jedes einzelne Haar auf meinem Körper zum Vibrieren brachten. Eine Gänsehaut lief meine Arme hoch und meine Knie begannen langsam aber sicher sich zu verflüssigen. Wenn er mich weiter so ansah, würde ich gleich zu einer nicht besonders attraktiven Pfütze auf dem Ladenboden werden. „Benedikt?“ Eine weibliche Stimme unterbrach unsere traute Zweisamkeit. Mia. Theodor wich von mir zurück, als hätte er sich verbrannt. Hallo? Was sollte das denn jetzt? Ist ja nicht so, dass ich ihm gesagt hatte, dass er mir so auf die Pelle rücken sollte. Im Gegenteil. Ein gewisser Sicherheitsabstand war durchaus zu begrüßen. Wir wollten doch nicht, dass der arme Leon hier nachher wischen musste. „Mia?“ Theo klang ein bisschen fassungslos.   Sie lächelte vorsichtig. „Ja, ich … äh … will gerade einen Bikini … Benedikt?“   Ich? Warum denn jetzt ich? Ach so ja. Weil ich hier gerade der Verkäufer war. „Hast du dir einen ausgesucht?“, fragte ich in möglichst sachlich professionellem Ton. „Ja, ich nehm den dunkelblauen.“ „Aber dir hat doch der schwarz-weiße so gut gefallen.“ „Ja, ähm … der ist doch zu auffällig.“ Ich lachte. Alles, um mich von Theo abzulenken, war mir recht. „Stimmt, was Auffälliges brauchst du sicherlich nicht. Du fällst auch so genug auf.“   Oh kacke, was redete ich denn da? Ich hörte mich ja echt an, als würde ich mit ihr flirten. Jetzt wurde Mia ein bisschen rot und Theo guckte unbehaglich. Wer bitteschön hatte denn das Drehbuch für diese behämmerte Szene geschrieben? Mein Text war ja zum Heulen. Und wo war eigentlich der Kerl, der „Cut!“ in so was reinbrüllte, sodass man einfach zurück auf Anfang gehen und nochmal von vorne anfangen konnte. Den hätte ich jetzt wirklich gerade gerne hier gehabt.   Das Ganze wurde von Minute zu Minute bizarrer. Mia guckte in die eine Richtung, Theo in die andere und ich stand wie ein räudiger, einäugiger Teddybär zwischen Barbie und Ken und … oh. OH!   Plötzlich fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren. Die beiden standen aufeinander. Also zumindest Theo auf Mia, wenn ich das richtig deutete. Immerhin hatten wir es hier mit Mister Souverän zu tun, der sie alle locker gegen die Wand quatschte. Nur Mia nicht. Die Einzige, bei der es ihm anscheinend wirklich wichtig war, was sie von ihm dachte.   Ich ignorierte den Stich der Eifersucht, den ich bei dieser Erkenntnis spürte, und atmete innerlich tief durch. Nur nichts anmerken lassen.   „Soll ich dir den abziehen?“, fragte ich Mia höflich und sie nickte, als wolle sie sich den Kopf von den Schultern schütteln. „Ja, das wäre superlieb, wenn du das machen könntest, weil …“   Schon klar, Schätzchen, brich dir keinen ab. Cinderella ist dem Prinzen gerade in Sack und Asche begegnet und jetzt erhofft sie sich Hilfe von der guten Fee, die alles wieder ins Reine bringt. Ich hab die Story schon immer doof gefunden. Zumal gläserne Schuhe bestimmt voll unbequem waren. „Na klar, mache ich. Du brauchst mich ja jetzt nicht mehr, oder Theo?“   Die Formulierung troff geradezu vor Gift. Zumindest in meiner Vorstellung. Meinem Ton war zum Glück nichts anzumerken.   Theo zuckte zusammen und warf mir einen undefinierbaren Blick zu.   „Nein, ich … muss dann auch wieder.“ „Alles klar, dann mal schönes Wochenende. Das T-Shirt kannst du übrigens wieder mitnehmen. Ich behalte das hier an.“ „Äh ja, okay. Bis Montag dann.“   Ich bemühte mich, ihm bei seiner Flucht nicht nachzusehen. Ich lächelte und kassierte Mias neuen Bikini ab und stellte mir vor, wie sie Theo damit in irgendeinem Pool an der Côte d'Azur bezirzte. Barbie und Ken. Das perfekte Traumpaar. Es war zum Kotzen. Aber ich lächelte weiter und winkte Mia, als sie den Laden verließ, denn das war es schließlich, was lustige Nebenfiguren so machten. Lächeln und winken. Einfach stur lächeln und winken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)