Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 23: Von verkappten Helden und klärenden Worten ------------------------------------------------------ „Mhm“, machte meine Mutter, während sie einen Schluck Tee nahm. Vor ihr auf dem Frühstückstisch lag ein Block, auf dem sie immer wieder herumkritzelte. Ich überlegte gerade, ob ich wohl abräumen müssen wollen sollte, als sie seufzte, sich zurücklehnte und sich über die Augen fuhr.   „Es hilft ja nichts. Wir werden eben das Beste draus machen müssen“, sagte sie und sah mich an. „Dianas Hochzeit ist jetzt für Ende August geplant. Aufgrund der geringen Zeit und des etwas mageren Budgets, werden wir die Feier wohl hier im Garten abhalten müssen. Ich werde mich morgen gleich mal mit einem Zeltverleih in Verbindung setzen. Bis nächstes Wochenende müssen wir die Einladungen verschicken, einen Caterer brauche ich auch noch und … Ach, das wird alles nicht so einfach. Vielleicht machen wir das Essen doch lieber im Dorfkrug, auch wenn es ein bisschen spießig ist. Dann wäre nicht so viel Platz vom Buffet besetzt.“   Ich nickte nur, während sie einfach weiterredete.   „Du brauchst auch noch einen Anzug. Obwohl Diana schon überlegt, ob sie nicht einfach eine zwanglose Sommer-Party daraus macht, aber ich habe ihr gesagt, sie soll nicht zu viele Kompromisse machen, sonst ärgert sie sich später. Man heiratet schließlich nur einmal im Leben.“   Ich verkniff mir zu sagen, dass der Spruch wohl heutzutage nicht mehr so ganz zutraf. Ich wusste ja, was sie meinte. Außerdem war ich gedanklich noch bei der Sache mit dem Anzug. Ich in so einem Piguindress? Auweia. Manuel würde sich bestimmt kaputtlachen, wenn er mich so sah.   Unauffällig schielte ich auf mein Handy. Ich hatte ihm heute morgen geschrieben, dass ich mich auf unser nächstes Treffen freute, von dem ich insgeheim hoffte, es vielleicht doch schon heute stattfinden lassen zu können, aber er hatte die Nachricht noch nicht gelesen. Wahrscheinlich schlief er noch.   Meine Mutter seufzte erneut, bevor sie sich einen frischen Tee einschenkte und sich erhob, um die Teller in die Küche zu tragen.   „Ich werd mich dann mal an die Arbeit machen. Lass ruhig alles stehen."   Ich wollte mich schon innerlich jubelnd verziehen, als mich der nächste Satz daran erinnerte, das schöne Sachen zumeist einen Preis hatten.   „Ach und Benedikt? Kann ich vielleicht nachher nochmal deinen Computer benutzen? Ich weiß natürlich, dass das nicht so toll ist. Es wird wirklich höchste Zeit, dass ich mir einen eigenen Laptop oder so ein Tablet zulege, aber du kennst deine Mutter ja. Was Technik angeht, bin ich ein Dinosaurier.“   Ich lachte ein wenig gequält. „Mindestens. Aber ja, geht klar. Ich mach meine Hausaufgaben einfach jetzt gleich.“   Sonntagmorgen mit Hausaufgaben zu verbringen, war zwar nicht so der Traum meiner schlaflosen Nächte, aber es half ja nichts. Und vielleicht konnte ich Manuel tatsächlich zu einem spontanen Treffen heute Nachmittag überreden. Da war es ohnehin besser, alles schon erledigt zu haben.   Ich pflanzte mich also im Schlafanzug an meinen Schreibtisch und versuchte mich zu motivieren, endlich anzufangen. Während ich die Sachen für Deutsch rausholte, kam mir der Zettel des Sportgeschäfts unter. Ich klappte ihn auf und betrachtete ihn. Eigentlich waren es nur ein paar Zeilen. Name, Adresse, Telefonnummer und eben die Einverständniserklärung der Eltern gemäß Paragraph Blubb. No Big Deal, wie man so schön sagte. Mit einem Seufzen klappte ich den Zettel wieder zu und ließ ihn im Papierkorb unter dem Schreibtisch verschwinden. Hermann Hesse und sein toller Roman warteten auf mich. Mathe musste ich auch noch machen. Und Geschichte. Würg. Das erinnerte mich daran, dass ich mich noch mit Mia-Marie verabreden wollte. Am besten für Dienstag bevor ich zum Sport musste. Vielleicht schrieb ich ihr gleich mal, damit sie sich nichts anderes vornahm. Wozu hatten wir schließlich Nummern ausgetauscht?   Nachdem ich die Nachricht abgeschickt hatte, rief ich erneut den Chat mit Manuel auf. Am Status meines Morgengrußes hatte sich nichts geändert. Die Nachricht war noch nicht mal bei ihm angekommen, wie das einfache Häkchen neben dem Text zeigte. Ich legte mein Handy beiseite. Irgendwie ahnte ich, dass er sich heute nicht mehr melden würde. Na ja. Mehr Zeit für wunderbare Hausaufgaben. Ich freute mich sehr. (Das war ein Witz!)     Montag früh erwartete mich eine Überraschung. Nicht unbedingt, dass Musik mal wieder ausfiel, wie der Zettel am Schwarzen Brett verkündete. Das war ja mittlerweile fast schon Standard. Dass allerdings auch Frau Bertram fehlte, war ungewöhnlich.   „Hey, das ist cool. Heute nur vier Stunden.“ Mia-Marie stand neben mir und wirkte begeistert. „Meinst du, wir könnten das mit Geschichte vielleicht schon heute machen? Dann könnte ich morgen mit meiner Mutter einkaufen gehen.“   Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Gut, von mir aus. Die anderthalb Stunden sollten ja eigentlich reichen, oder?“   „Bestimmt. Na los, jetzt haben wir erst mal Physik.“   Ich folgte ihr, während ich – mal wieder – mein Handy rausholte und den Messenger öffnete. Wie es aussah, hatte Manuel seit Samstag sein Handy ausgeschaltet, denn meine Nachrichten waren immer noch nicht bei ihm eingegangen. Weder die von Sonntag noch die, die ich ihm heute Morgen geschickt hatte. In dem Fall durfte ich mich wohl nicht wundern, wenn er nicht antwortete. Er wusste ja schließlich nichts von seinem Glück.   Ein wenig enttäuscht steckte ich das Handy wieder weg und beschloss, mir nicht allzu viel dabei zu denken. Vielleicht war ja einfach nur der Akku leer und er hatte vergessen, es wieder aufzuladen. Oder das Ladegerät war kaputt und er musste erst noch ein neues besorgen. Heutzutage hatte ja jeder Hersteller sein höchst persönliches Ladekabel zwecks Umsatzmaximierung. Sobald er wieder Saft hatte, würde er sich schon melden.   Ich absolvierte den restlichen Schultag und traf mich nach dem Umziehen vom Sportunterricht mit Mia-Marie in der großen Pausenhalle. Wir hatten mal wieder ein wunderbares Völkerballspiel hinter uns gebracht. T hatte mich dieses Mal nicht schnell genug in seine Mannschaft gewählt, sodass ich auf der Gegenseite gelandet war, wo es mir ein innerer Reichsparteitag gewesen war, ihn mit einem ziemlich gekonnten Wurf aus dem Spiel zu befördern. Nicht mal der Blick, den er mir danach zugeworfen hatte, hatte mich noch großartig tangiert. Ich hatte ihn einfach links liegen lassen und weitergespielt, ohne mich darum zu kümmern. Mit dem war ich so was von fertig.   Mia-Marie und ich stürzten uns in die Arbeit und kamen ziemlich gut voran. Wir notierten die Eckdaten, machten eine Übersicht über die verschiedenen Mitglieder und Aktionen der „Weißen Rose“ von den Anfängen bis hin zu ihrer Verhaftung und der anschließenden Hinrichtung. Als wir damit fertig waren, ließ ich mich in meinem Stuhl zurücksinken. Mia-Marie hingegen sah ein wenig nachdenklich auf unsere Zusammenfassung herab.   „Ist schon komisch“, sagte sie, „dass so wenige Leute sich getraut haben, was gegen diesen Irrsinn zu unternehmen. Ich meine, das muss doch eigentlich mehr Leuten aufgefallen sein, dass da was nicht mit rechten Dingen zugeht.“ „Vielleicht haben sie es einfach nicht sehen wollen. Das ist ja alles unter Strafe gestellt worden damals. Sie hatten vermutlich eine Heidenangst, dass sie die nächsten sind.“   Mia-Marie brummte unzufrieden.   „Aber trotzdem gab es doch welche, die es geschafft haben. Die nicht einfach den Kopf in den Sand gesteckt, sondern sich für die richtige Sache eingesetzt haben. Das hätten nur viel mehr sein müssen. Wer weiß, vielleicht wäre es dann gar nicht so weit gekommen.“   Ich nickte nur und schloss die Augen. So bekam ich nicht mit, dass Mia-Marie mich offenbar schon eine Weile beobachtete, bevor sie sagte:   „Du wärst bestimmt damals auch so einer gewesen.“ „Mhm?“ „Na einer, der anders ist. Der nicht einfach zusieht.“   Jetzt öffnete ich doch wieder die Augen und sah sie an. Sie hatte den Kopf auf die Hände gestützt und musterte mich intensiv.   „Ja, ich glaube, du wärst auch dabei gewesen, wenn es gegen die Nazis gegangen wäre.“ „Ich?“ „Ja.“   Ich blinzelte ein paar Mal, um ihre Beurteilung sacken zu lassen. Ausgerechnet ich? Ich war doch eher jemand, der sich aus allem raushielt und keinen Ärger haben wollte. Mia-Maries Meinung schmeichelte mir zwar, aber so ganz korrekt konnte ich sie nicht finden.   „Ich glaube, du irrst dich. Ich wäre bestimmt voll der Mitläufer gewesen.“ „Na, ich weiß nicht. Wenn ich so sehe, dass du dir zum Beispiel von Oliver nichts gefallen lässt und einfach dein Ding machst, ohne dich um die Meinung von irgendwem anders zu scheren, das ist schon beeindruckend.“   Ich? Beeindruckend? Ich war kurz davor mich umzusehen, ob sie nicht doch mit jemand anderem sprach. An mir war doch nichts Besonderes. Und das, was sie da gerade sagte, klang irgendwie auch nicht gerade nach mir. Wirkte ich echt so auf andere?   „Außerdem siehst du auf niemanden herab. Du respektierst die Menschen, so wie sie sind. Ich finde, das ist eine tolle Eigenschaft für einen Anführer.“   Als sie das sagte, wurde sie mal wieder ein bisschen rot. Und mir wurde das langsam ein bisschen unangenehm. Ich tat doch gar nichts, um so eine Beurteilung zu rechtfertigen. Schon gar nichts Heroisches. Und ich war bestimmt kein Anführer. Wollte ich gar nicht sein. Viel zu stressig.   „Na ist ja auch egal“, sagte Mia-Marie plötzlich und begann, eilig ihre Sachen zusammenzupacken. „Ich muss dann los und du willst doch deinen Bus bestimmt auch nicht verpassen.“   „Was? Nein, will ich nicht.“   Ich sammelte ebenfalls meinen Kram ein und beeilte mich, um zum Bus zu kommen. Dabei spukten mir die ganze Zeit Mia-Maries Worte im Kopf herum. Benedikt, der verkappte Held. Klang ja super, aber wirklich realistisch war das nicht. Ich war definitiv nicht wie dieser Scholl und die anderen. Was sollte ich denn schon ausrichten? Vielleicht für die Umwelt demonstrieren und mich an einen Baum ketten? Oder für die Rechte von Schwulen eintreten? Ja genau. Sonst noch was? Ich hatte ja nicht mal den Arsch in der Hose, es meiner Familie zu beichten. Also nein, Mia-Maries Bild von mir entsprach definitiv nicht der Realität. Da biss die Maus keinen Faden ab. Die Helden dieser Welt mussten sie leider woanders suchen.     Als ich abends meine Hausaufgaben machte und dafür meinen Bleistift spitzen wollte, fiel mein Blick auf den gefalteten Zettel im Papierkorb. Ich nahm ihn heraus und betrachtete ihn.   Eigentlich war es ganz schön feige von mir, einfach so den Schwanz einzuziehen. Gut, ich hatte nicht mehr vor, T nahezukommen, aber auf diese Gelegenheit zu verzichten, nur weil er sich so blöd verhalten hatte, war im Grunde genommen genauso dumm gewesen. Und mit dem Geld, das ich da verdiente, konnte ich Manuel vielleicht doch mal ins Kino einladen. Oder tatsächlich eine Reise machen, wie ich T vorgeschwärmt hatte. Es musste ja nicht gleich Japan sein. Plus, dass ich durch den Job immer mal eine Ausrede parat hatte, warum ich nachmittags nicht nach Hause kam. Je länger ich darüber nachdachte, desto besser klang es.   Entschlossen packte ich den Wisch und ging zu meiner Mutter, die im Wohnzimmer saß und strickte. Waren das etwa Babysocken? Sah tatsächlich so aus. Sie hatte bereits beim Abendessen rumgestöhnt, dass nach der Hochzeit nicht mal mehr ein halbes Jahr Zeit war, bis das Baby kam, und dass Diana das wirklich ein bisschen besser hätte timen können. Nichtsdestotrotz war klar, dass sie sich auf beide Ereignisse freute. Mir war das ja eigentlich ziemlich schnuppe. Hauptsache ich musste nicht auf den kleinen Wurm aufpassen. Ich würde womöglich noch das falsche Ende in die Windel packen.   „Hey Mama, ich wollte dich fragen, ob du was dagegen hättest, wenn ich mir einen Job suche. Ein paar aus meiner Klasse arbeiten nachmittags im Sportgeschäft am Kuhberg. Du weißt schon, wo wir immer meine Anzüge kaufen. Ich hab gedacht, ich könnte da vielleicht auch anfangen.“   Meine Mutter ließ ihr Strickzeug sinken. „Ein Job? Aber warum das denn? Brauchst du Geld?“   „Ja … nein. So ein bisschen extra Kohle ist doch nie verkehrt. Ich könnte mir mal was leisten und außerdem gibt es bestimmt Rabatt, wenn man da arbeitet. Meine Turnschuhe geben demnächst nämlich mal wieder den Geist auf.“   Eigentlich stimmte das nicht, aber das Argument war mir gerade spontan eingefallen. Immerhin saß das Geld im Moment noch ein bisschen weniger locker als sonst und Schuhe kaufen war immer so ein Thema für sich. Ihr wisst ja: Große Hunde, große Pfoten.   Meine Mutter nickte langsam. „Na gut, wenn du meinst. Aber ich möchte nicht, dass du denkst, dass ich jetzt wegen Dianas Hochzeit bei dir sparen muss. Wenn du was brauchst, kannst du immer Bescheid sagen.“ „Weiß ich doch, Mama. Also? Unterschreibst du?“ „Natürlich, Schatz. Gib her, dann mache ich es gleich.“   Sie setzte ihren Namen auf die Unterschriftenzeile und ich nahm den Zettel wieder an mich.   „Danke, den Rest fülle ich selber aus. Ich gebe es dann morgen gleich ab, ja? Nicht, dass mir noch jemand den Job wegschnappt.“ „Der ist wohl begehrt?“ „Bisschen.“   Ich ließ Mutter und Strickzeug im Wohnzimmer zurück und trollte mich wieder in mein Zimmer. Es war ein gutes Gefühl, dass ich vielleicht wirklich bald dort arbeiten würde. Nicht nur, weil ich damit mein erstes, eigenes Geld verdienen würde. Ich musste zugeben, dass mir die Vorstellung von Ts dummem Gesicht, wenn ich doch dort auftauchte, eine gewisse Genugtuung verschaffte. Ich würde ihm, Jo und den anderen zeigen, dass man mich nicht so einfach vertreiben konnte. Ich hatte genauso ein Recht in dem Laden zu arbeiten wie sie. Bei näherer Betrachtung war das zwar ein ziemlich mickriger Widerstand gegen das System war, aber immerhin besser als sich weiter von den Nappeln vorschreiben zu lassen, wie mein Leben auszusehen hatte.     Tatsächlich wirkte der Typ, den ich am nächsten Tag in dem Laden aufsuchte, ein wenig überrascht mich zu sehen. Um uns herum standen Stapel von Kartons mit Turnschuhen, Ständer voll greller Sportklamotten, Regalwände mit Fahrradhelmen, Surfausrüstung, Tennisschlägern, Bowlingkugeln, Badeanzügen und und und. Es war eine wahre Farbexplosion. Da bildete der Mann im dunkelblauen Poloshirt, der sich als Holger vorgestellte, eine erfreulich wenig augenkrebserregende Abwechslung.   „Du bist also Benedikt. Ich dachte, du hättest abgesagt“, meinte er, als ich ihm den Erlaubnisschein über den Verkaufstisch reichte. „Meine Mutter hat sich doch noch erweichen lassen.“ „’kay.“ Er heftete den Zettel in einen Ordner. „Wann kannst du denn anfangen?“ „Jederzeit.“ „Wie sieht’s diesen Donnerstag aus?“   Ich schluckte innerlich. Ausgerechnet Donnerstag? So ein Mist. Aber wenn ich den Job wollte, musste ich wohl in den sauren Apfel beißen. Ich nickte tapfer.   „Fein, dann kann Theo dich selber einarbeiten. Er kommt an dem Tag auch.“   Ach … Na gut, dann würde meine Überraschung wenigstens gleich einschlagen. Ich unterdrückte ein Grinsen. Natürlich würde ich T, oder besser Theo, vorher nichts sagen. Die Reaktion würde dadurch nur umso besser ausfallen.   „Super, dann also bis Donnerstag. 15 bis 18 Uhr.“ „Alles klar, bis dann.“   Als ich wieder draußen stand, fühlte ich mich großartig. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich hatte einen Job, ich hatte einen Freund, der zwar augenscheinlich eine echt schlechte Beziehung zu seinem Ladegerät hatte, aber irgendwann würde er sich schon melden, und ich hatte jetzt noch jede Menge Zeit, bis mein Training anfing.   Mein Blick fiel auf das Schild vom „Monopoly“ auf der anderen Straßenseite. Warum nicht die Gelegenheit nutzen, um Julius die tollen Neuigkeiten zu erzählen? Dabei konnte ich ihn gleich fragen, wie der Geburtstag seiner Mutter gewesen war. Er hatte schließlich meinetwegen diese komischen Schoten kochen müssen, da war ein wenig Interesse doch das Mindeste, was ich aufbringen konnte. Außerdem wollte ich ihm von meinen Fortschritten mit Manuel berichten. Entschlossen machte ich mich auf den Weg in das Restaurant.   Julius war gerade dabei, zwei Mädels einen Salat zu servieren. Und wenn ich einen Salat sage, dann meine ich auch einen Salat. Für zwei Leute. Wie albern.   „Hey“, machte ich und grinste Julius breit an. „Hast du auch was, was nicht auf der Diät-Karte steht?“ Er lachte. „Heiße Schokolade mit Sahne?“ „Ich hatte eher an Eis gedacht.“ „Kannst du kriegen.“   Kurz darauf hatte ich einen Eisbecher vor mir stehen. Ich sah auf das Gebilde herab und warf anschließend einen finsteren Blick auf die andere Seite des Tresens, wo Julius sich einen abgrinste.   „Was denn? Gefällt dir meine Biene Maja nicht? Hättest du lieber den Pinocchio-Becher gehabt?“ „Blödmann.“ „Ich kann auch einen Schneemann.“ „Doppel-Blödmann.“ „Ich hab dich auch lieb.“   Ungefragt schnappte er sich einen Löffel und befreite die Eisbiene von einem Gutteil ihres Hinterteils. Während er sich das bunt bestreuselte Vanilleeis in den Mund schob, blitzten seine Augen mich schelmisch an.   „Ey!“, protestierte ich und zog den Teller näher heran. „Das ist meine Biene.“ „Ich dachte, du wolltest sie nicht.“ „Das hab ich nicht gesagt.“   Ein bisschen trotzig löffelte ich der Biene die Smarties-Augen vom Kopf. Es schmeckte ziemlich gut. Julius grinste immer noch.   „Und, was führt dich her?“, wollte er wissen. „Wieder Stress mit irgendwelchen fiesen Ladenbesitzern?“ „Nee, im Gegenteil. Hab mir gerade einen Job besorgt. Bei Friedrichsen hier um die Ecke.“ „Das Sportgeschäft?“ „Jupp.“   Ich steckte noch was von dem Eis in den Mund und Julius überlegte demonstrativ.   „Also da muss ich doch echt mal sehen, ob ich nicht doch wieder mit Tischtennis anfange. Oder lieber Wasserski? Vielleicht sollte ich mir Rollerblades kaufen. Gibst du auch Unterricht?“   Ich lachte. „Vermutlich werde ich erst mal nur Kisten stapeln und so was.“ „Ich seh gerne starken Männern bei der Arbeit zu.“   Wieder funkelte er mich an und ich streckte ihm die Zunge raus.   „Verarschen kann ich mich alleine.“ „Was denn? Bist du etwa kein starker Mann?“ „Bestimmt nicht stärker als du.“ „Wollen wir wetten?“   Jetzt war es an mir zu grinsen.   „Also wenn du versuchen willst, mich auf die Matte zu schicken, könnte das allerdings schwierig werden. Schon vergessen? Ich kann Judo.“ „Und ich Mikado.“   Wir hätten uns bestimmt noch ein bisschen weiter gekabbelt, aber es kamen neue Gäste und Julius musste sich zuerst um deren Bewirtung kümmern. Nachdem er ihnen ihre Getränke gebracht und die Bestellung an die Küche weitergegeben hatte, setzte er sich wieder zu mir. Ich erkundigte mich endlich nach dem Geburtstag und er schilderte mir in schillernden Farben, wie der Tag abgelaufen war.   „Aber ich rede schon wieder zu viel. Wie war denn nun eigentlich dein Date? Du hast noch gar nichts erzählt.“   Ich rührte ein bisschen in den Resten meines Eisbechers herum. Von Maja war inzwischen nur noch eine bunte Pfütze übriggeblieben.   „Ich glaube, es war ganz gut. Wir hatten erst ein bisschen Anlaufschwierigkeiten, aber dann ging es auf einmal wie geschmiert.“   Ich grinste und sah Julius nicht an, aber er verstand auch so, was ich meinte.   „Ihr habt echt …? Im Freien? Ist nicht dein Ernst!“ „Doch, irgendwie schon.“ „Und habt ihr auch noch was anderes gemacht?“   Die Frage beziehungsweise der Tonfall, in dem Julius sie gestellt hatte, ließ mich aufhorchen. Das hatte schon wieder so was eisköniginnenmäßiges.   „Wir haben uns auch unterhalten“, gab ich ein wenig defensiv zurück. So langsam wurde ich das Gefühl nicht los, dass Julius was gegen Manuel hatte. Was natürlich albern war, weil er ihn ja gar nicht kannte und ich ihm noch nicht mal was von dessen Hintergrund erzählt hatte. Oder zumindest nicht besonders viel.   Sofort hob Julius beschwichtigend die Hände. „Tut mir leid, war dumm von mir. Es geht mich ja im Grunde genommen auch gar nichts an. Ich hoffe nur, ihr hattet wenigstens Kondome dabei.“ "Ja hatten wir", murmelte ich und zog dir Stirn kraus. Das gefiel mir alles nicht. „Sag mal, warum reagierst du immer so komisch, wenn es um Sex geht. Was ist da los?“   Julius sah sich ein wenig ängstlich nach seinen Gästen um, die aber zum Glück alle in ein Gespräch vertieft waren.   Er kam ein Stück näher und wisperte: „Bist du irre hier so laut rumzuschreien? Ich arbeite hier.“   „Dann erklär’s mir halt“, gab ich genauso leise zurück. Ich hatte keinen Bock mehr auf dieses Versteckspielchen.   Er seufzte und strich sich durch die dichten Locken.   „Ich … ich mach mir einfach ein bisschen Sorgen um dich. Dieser Kerl scheint mir … er scheint mir einfach nur auf Sex aus zu sein und du steigst da auch noch voll drauf ein. Ich will einfach nicht, dass er dir wehtut.“   Julius’ Geständnis ließ mich einen Augenblick lang ziemlich sprachlos zurück. Diesen Eindruck hatte er von Manuel erhalten? Und was sollte das eigentlich heißen 'ich stieg da voll drauf ein'? Dass ich ein schwanzgesteuerter Idiot war? Ich kam jedoch nicht dazu, eine entsprechende Frage zu stellen, denn Julius sprach bereits weiter.   „Ich hab mich einfach gewundert, dass ihr nach so kurzer Zeit schon so weit gegangen seid. Ich hatte damals überhaupt nicht das Bedürfnis danach, aber ... mein Ex halt schon. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mich beinahe von ihm dazu hab überreden lassen, wird mir heute noch ganz übel. Ich will oder besser gesagt wollte nicht, dass es dir auch so geht.“ „Dann hast du also noch nie …?“   Ich kam nicht weiter, denn Julius erhob sich mit einem Schnauben.   „Das ist das Einzige, was dir dazu einfällt? Ich glaube, ihr beide habt euch echt verdient.“   Er musste zum Glück die fertigen Gerichte ausliefern und noch die Getränkebestellung einer großen Runde aufnehmen und ausgeben, bevor wir uns weiter unterhalten konnten. Bis dahin hatte ich genug Zeit gehabt, mir zu überlegen, wie ich darauf reagieren sollte. Nicht, dass ich das wirklich gewusst hätte, aber ich wollte wenigstens, dass er erfuhr, dass er mit Manuel Unrecht hatte. Und dass es zwischen uns nicht nur um Sex ging. Natürlich spielte das eine ziemlich große Rolle, aber … ich wollte das doch auch. Ich fand es geil, wenn Manuel mich anfasste oder ich ihn und ich konnte nicht verstehen, was daran so schlecht sein sollte. Er hatte mich doch zu nichts gezwungen. Maximal ein bisschen überredet.   Als ich geendet hatte, seufzte Julius leise.   „Du hast ja Recht. Ich reagiere wahrscheinlich einfach noch zu empfindlich auf das Thema. Klar könnt ihr machen, was euch beiden gefällt. Und es ist wirklich toll, wenn du Spaß daran hast. Das freut mich für dich. Ganz ehrlich.“   Er fing an, irgendwelche Strohhalme zu sortieren und Servietten zu ordnen und schaute mich dabei nicht an. Als ich ihn so sah, wurde ich nochmal so richtig sauer auf den Scheißkerl, der ihm das angetan hatte. Ich konnte wirklich verstehen, dass er da so seine Bedenken hatte, aber …   „Manuel ist nicht dein Ex“, sagte ich leise. Julius zuckte etwas zusammen. „Er kommt zwar ziemlich tough rüber, aber er hat halt auch kein so tolles Leben gehabt. Er … er wohnt in so einem Wohnheim für Jugendliche. Seine Familie ist ziemlich daneben, aber er ist anders.“   Julius lachte bitter. „Sagen sie das nicht immer.“   „Aber es stimmt. Manuel ist … er hat’s halt nicht so mit dem Reden über Gefühle. Das heißt ja aber nicht, dass er keine hat. Vielleicht … vielleicht hat ihm einfach auch schon mal jemand sehr wehgetan.“   Julius sagte zunächst nichts. Er musste auch arbeiten. Das Restaurant füllte sich so langsam, selbst wenn es noch lange nicht voll besetzt war. Als die zweite Bedienung erschien, musste ich eigentlich schon los, aber Julius hielt mich noch kurz auf.   „Ich … es tut mir leid, was ich gesagt habe. Ich kenne deinen Freund nicht und wahrscheinlich tue ich ihm wirklich total Unrecht. Es war nicht okay, mich da so einzumischen. Ich wollte nicht aufdringlich sein.“   Er wirkte ehrlich zerknirscht und ich gab ihm einen Stüber mit der Faust gegen die Schulter.   „Hey, nun mach dir mal nicht ins Hemd. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du dich in Manuel täuschst.“ Ich sah nochmal zur Uhr und dann wieder zu Julius. „Was hältst du davon, wenn wir wirklich am Wochenende mal was zusammen unternehmen. Ich muss ihm sowieso für Donnerstag absagen, da kommt es bestimmt gut, wenn ich ihm dafür den Freitagabend anbieten kann. Und meine Mutter hat bestimmt nicht dagegen, wenn ich mit Antons Cousin weggehe.“   Ich zögerte kurz, bevor ich hinterherschob: „Ich hab ihr übrigens von dir erzählt. Auch dass du schwul bist. Ich hoffe, das war okay?“   Julius sah mich ein bisschen erstaunt an, aber dann lächelte er. „Klar ist es. Ich meine, ich binde es jetzt nicht jedem auf die Nase, aber ich mache auch kein Geheimnis daraus.“   Ich hätte mich an der Stelle wirklich gerne noch weiter mit ihm unterhalten, aber seine Kollegin warf uns schon giftige Blicke zu und ich musste wirklich zum Training, wenn ich nicht ebensolche Blicke oder Schlimmeres von meinem Trainer riskieren wollte.   „Mach’s gut, Julius. Wir sehen uns Freitag.“ „Ich freu mich.“   Am Ende musste ich doch tatsächlich die Beine in die Hand nehmen und sogar bei Rot über die Straße rennen, um noch pünktlich zur Begrüßung zu kommen. Mein Trainer beließ es jedoch zum Glück bei einem bissigen Kommentar, bevor er mich zum Aufwärmen schickte. Ich zog den Kopf ein und dachte sehnsüchtig an mein Handy, auf dem ich schon lange nicht mehr nachgesehen hatte, ob Manuel mir endlich geantwortet hatte. Immerhin musste ich unsere Verabredung noch verschieben. Aber dafür war nach dem Training schließlich immer noch Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)