Ich, er und die Liebe von Maginisha ================================================================================ Kapitel 15: Von warmen Höhlen und kalten Füßen ---------------------------------------------- Im Monopoly war es dunkel. Natürlich nicht total dunkel. An den in dunklem Orange gestrichenen Wänden brannten dreieckige Wandleuchten und über den Tischen verbreiteten verschieden geformte Glaskuppeln ein weiches, gelbes Licht. Nicht zu vergessen, dass durch die Fenster einiges an Helligkeit hereinströmte, auch wenn draußen beständiges Nieselgrau herrschte. All das wurde jedoch fast vollständig von den ausschließlich dunklen Holzmöbeln geschluckt, die im schummrigen Licht beinahe schwarz wirkten. Auch die Rahmen der vielen Bilder waren schwarz ebenso wie die Treppe, die in den oberen Gastraum hinaufführte, und die Menutafel, die an der Wand hing und mit weißen Kreidestrichen irgendeinen Salat mit Putenstreifen und Spargel als Saisongerichte ankündigte. Sogar beim Fußboden, der eigentlich eine helle Terrakottafarbe aufwies, hatte man sich bemüht, diesen mit dunklen Fußmatten zu verstecken. Das Einzige, was aus dieser dunklen Höhle der Gemütlichkeit ein wenig herausstach, war die Bar, an der neben einem beleuchteten, bunt sortierten Flaschenregal die großen, goldglänzenden Zapfsäulen standen. Drei Stück gab es und hinter einer von ihnen mühte sich gerade Julius damit ab, der Masse an Schaum Herr zu werden, die ihm daraus entgegenspritzte.   „Scheiße“, hörte ich ihn fluchen, bevor er abtauchte und irgendwo unter der Theke weiter rumrumorte. Als er wieder zum Vorschein kam, wischte er sich mit der Hand über die Stirn und sah auf. Mir direkt ins Gesicht.   „Äh, hi“, machte ich, weil mir sonst nicht so wirklich was einfiel.   Für einen Moment musterte er mich verblüfft, bevor sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, das mit den goldenen Metallflächen um die Wette strahlte.   „Benedikt! Was machst du denn hier?“   Okay, er wusste noch, wer ich bin. Das war schon mal gut. Was allerdings seine Frage anging … Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Bin zufällig hier vorbeigekommen und naja …“   Oh man, das klang ja mal selten dämlich. Als wäre es mir total egal, dass ich hier war.   Moment, war es das etwa nicht? Also klar, es war warm und trocken hier im Gegensatz zu diesem Pisswetter da draußen, aber wenn Julius mir nicht gesagt hätte, dass er hier arbeitete, wäre ich bestimmt nicht hier reingegangen. In ein Restaurant. Ich ging nie in Restaurants. Warum auch? Was sollte ich da? Also war ich eigentlich nur hier, weil er hier war. Irgendwie. Aber wenn ich ihm das jetzt sagte, klang das selbst in meinen Ohren nach was anderem, als es wirklich war.   Während ich so daran rumdachte, hatte er sich schon längst die Hände abgewischt und war um den Tresen herum gekommen. Heute war er weniger farbenfroh unterwegs. Er trug ein schwarzes Poloshirt und eine dazu passende, schwarze Jeans. Gekrönt wurde das ganze von einer schwarzen Schürze, die er sich um die Hüfte gebunden hatte. Eigentlich hätte er damit wohl aussehen müssen, als wenn er zu einer Beerdigung ginge, aber das tat er nicht. Er sah … gut aus. „Meine Güte, du bist ja total durchnässt.“ „Ja, es … regnet draußen.“   Argh! Geht’s noch ein bisschen dümmer? Ich fummelte am Tragegurt meines Rucksacks herum.   „Hast du denn keinen Schirm?“ Julius schien die Frage wirklich ernst zu meinen, wartete aber meine Antwort gar nicht erst ab, „Los, raus aus den nassen Sachen. Ich häng sie auf die Heizung.   Er streckte die Hände aus und ich konnte gar nicht anders, als meine Tasche auf den Boden zu stellen und ihm meine Sweatjacke auszuhändigen. Sein Blick glitt ganz kurz zu meiner Hose, die ebenfalls ziemlich nass war, aber bevor ich in die Verlegenheit kam herumzustotttern, dass ich die lieber anbehalten würde, hattet er sich schon herumgedreht und war mit der nassen Jacke zu einem der niedrigen (und braunen) Heizkörper gegangen und hatte sie dahinter gestopft. „So, die trocknet erst mal. Und du? Willst du was trinken?“   Ich sah mich um. Es waren noch keine Gäste da und bei dem Wetter draußen würde vermutlich um diese Uhrzeit auch nicht unbedingt jemand vorbeikommen. Dafür lag das Monopoly einfach zu weit ab vom Schuss.   „Ja, gerne, ich …“ „Kaffee, Tee, heiße Schokolade? Bei der Kälte brauchst du was Warmes. Und bei dem Gesichtsausdruck auch.“   Ich merkte, wie ich ein bisschen rot wurde. War das so offensichtlich oder war Julius einfach nur ein guter Beobachter?   „Ich nehm ne Schokolade“, murmelte ich, während ich mich auf einen der Barhocker gleiten ließ. Von da würde ich wenigstens schnell wieder verschwinden können, wenn das hier zu peinlich wurde. „Einmal heiße Schokolade, geht klar. Mit Sahne?“   Julius sah mich an und legte dabei den Kopf ein bisschen schief. Ich guckte an mir runter. „Vielleicht lieber ohne.“   Er wirkte einen Augenblick lang als, als wolle er dazu noch etwas sagen, aber dann drehte er sich um und begann an einem Vollautomaten herumzudrücken. Da ich nicht sehen konnte, was er da genau machte, wanderte mein Blick unwillkürlich ein bisschen tiefer. Uff. Die Hose, die er anhatte, war ganz schön eng. Und das, was ich da sah, ganz schön … schön.   Man, Benedikt. Krieg deinen Kopf wieder aus der Gosse! Du kannst doch nicht jedem Kerl auf den Hintern starren, selbst wenn der Kerl, der an dem Hintern dranhängt, indem Fall wirklich schwul ist. Es war echt zum Mäusemelken mit diesen dämlichen Hormonen. Ich fuhr mir mit den Händen über das Gesicht und als ich die Augen wieder öffnete, stand ein weißer Becher mit dampfend heißer Schokolade vor mir. Mit Sahne. „Ich hatte doch gesagt …“ „Dass du keine Sahne willst. Ich hab’s gehört. Aber manchmal muss ein guter Kellner dem Gast eben bringen, was er braucht, und nicht das, was er bestellt.“   Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass so ein Kellner nicht viel Trinkgeld bekommen würde, aber ich nahm die Tasse trotzdem.   „Danke“, nuschelte ich, während ich mir an meinem ersten Schluck fast die Zunge verbrannte. Himmel, war das heiß. Ich pustete auf die Sahne, was vermutlich gar nichts brachte, aber immerhin verhinderte, dass ich Julius ansehen musste. Warum hatte ich nochmal was zu trinken bestellt? Nun saß ich hier fest, bis ich die Tasse wenigstens anstandshalber zur Hälfte geleert hatte. Außerdem musste ich sie auch noch bezahlen. Am besten erledigte ich das gleich. Ich griff nach meinem Rucksack. „Was bekommst du?“, fragte ich, während ich nach meinem Geld suchte. „Geht aufs Haus“, bekam ich zur Antwort und sah Julius daraufhin dümmlich an. „Wie jetzt?“ „Na ich lade dich ein. Oder ist dir das nicht recht?“   Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und ich ließ meinen Rucksack wieder sinken. Was sollte ich jetzt tun? Mich einfach einladen lassen? Oder darauf bestehen, das Getränk zu bezahlen? Das war vermutlich albern. Immerhin kostete ihn das Ganze ja nichts. Also beschloss ich, es dabei bewenden zu lassen. „Okay, danke“, bekam ich in einem einigermaßen neutralem Ton heraus. Er strahlte mich wieder an. „Kein Ding. Möchtest du noch einen Schuss rein? So zum Aufwärmen? Oder musst du noch fahren?“   Ich schüttelte den Kopf und wollte gerade sagen, dass ich keinen Alkohol mochte, als mir klarwurde, was er da gerade gefragt hatte. Ich und fahren? So mit dem Auto und so? „Ich hab noch keinen Führerschein.“ „Ach, ich hab meinen auch noch nicht so lange. Kostet ja auch ein bisschen was, der Spaß.“ „Mhm, ja“, machte ich nur und sah wieder auf die Sahne, die langsam in sich zusammenfiel. Mit dem Finger strich ich über den Rand, der sich an der Tasse abgesetzt hatte und steckte ihn mir in den Mund. Als ich nach oben guckte, bemerkte ich, wie Julius’ Blick für einen Moment an meinen Lippen hängenblieb, bevor er mir wieder in die Augen sah. Er lächelte. „Und? Was führt dich her?“   Er lehnte sich auf den Tresen und musterte mich neugierig. Äh … ähm … mussten Barkeeper nicht irgendwie beschäftigt tun? So das obligatorische Glas putzen oder so, statt sich voll und ganz auf ihren einzigen Gast zu konzentrieren und dem Löcher in den Bauch zu fragen? „Eigentlich hätte ich jetzt Sport“, erklärte ich trotzdem. „Aber ich hab meine Sachen in der Schule vergessen und ohne Anzug kann ich nicht mitmachen. „Anzug?“ „Äh, ja. Ich mach Judo.“ Wieder antwortete mir ein Strahlen. „Wirklich? Cool. Ich war mal ne Weile beim Wing Tsun. An der Volkshochschule. Das ging allerdings auch mit normalen Sachen. War so ein Selbstverteidigungskurs.“   Er schwieg plötzlich und guckte runter auf seine Finger, die ziemlich ordentlich zurechtgemacht waren. Meine sahen nicht so aus. Also nicht, dass da jetzt Dreck drunter war, aber seine Finger wirkten irgendwie... zart. Hatte Anton nicht gesagt, er wäre mal Gärtner gewesen? Das konnte ich mir gerade so gar nicht vorstellen. Und dann war da ja noch die andere Geschichte. Das mit dem Mobbing und so. War er deswegen in dem Kurs gewesen?   „Brauchtest du denn so einen Kurs?“, höre ich mich plötzlich fragen.   Er schreckte hoch, als hätte er gerade an was anderes gedacht. Das Lächeln, dass er danach auf sein Gesicht legte, wirkte nicht vollkommen echt. „Ach, na ja. Wer kann das nicht brauchen? Gibt ja so viele Bekloppte heutzutage. Da ist es gut, wenn man vorbereitet ist.“   Plötzlich begann er doch, einen auf beschäftigter Kellner zu machen. Er holte sich einen Stapel Servietten und faltete sie zu kunstvollen Gebilden. Mit diesen Fingern, die angeblich mal in der Erde herumgewühlt hatten. Ich sah ihm eine Weile zu, bis ich beschloss, dass ich jetzt einfach mit der Wahrheit herausrücken würde. Ganz kurz musste ich an Manuel denken und was mir das das letzte Mal eingebracht hatte, aber einfach weiter schweigen wollte ich auch nicht. Allerdings sollte ich dieses Mal vielleicht etwas geschickter vorgehen und vor allem am Anfang der Geschichte anfangen.   „Ich bin übrigens in einer Klasse mit Anton. Anton Wischnewsky.“ Julis hörte auf Servietten zu falten und runzelte stattdessen die Stirn. „Mit Anton? Aber dann bist du ja erst …“ „Ich bin 16.“ Als er nichts sagte, fragte ich einfach: „Und du?“ „21.“   Oh. Na das war ja mal ne Hausnummer. Ich glaube, ich guckte ungefähr so intelligent wie ein Hund, der gerade an einen Elektrozaun gepinkelt hatte. Julius war fünf Jahre älter als ich? Also das sah man ja mal so gar nicht. Gut, wegen der Sache mit dem Auto war klar, dass er schon 18 sein musste, aber das? Der Hammer.   „Hast dich aber gut gehalten“, versuchte ich einen Scherz und nahm zur Sicherheit einen Schluck von der Schokolade, die inzwischen eine trinkbare Temperatur hatte. „Ich dachte, ab 20 kriegt man Falten und Haarausfall.“ „Nee, erst mit 25, aber auch nur, wenn man dann schon Oil of Olaz benutzt.“ „Und das hilft gegen Haarausfall?“ „Wenn man es lange genug einwirken lässt.“   Er grinste und ich grinste zurück. „Ich hab dich für älter gehalten“, gab er dann zu. „Das dachte ich mir, deswegen wollte ich das gleich mal richtig stellen.“ „Aber schwul bist du schon, oder?“   Ich verschluckte mich an meiner Schokolade. Ein Blick in sein Gesicht verriet mir, dass er gerade nicht ganz so locker drauf war, wie ich gehofft hatte. Irgendwo hinter der fröhlichen Fassade lag ein Schatten, den ich mir nicht so recht erklären konnte. Das Wing Tsun fiel mir wieder ein.   „Ja, ich denke schon“, antwortete ich ein bisschen verspätet. „Also ich meine, ich finde Männer scharf und wenn es da nicht noch mehr Kriterien gibt, die man erfüllen muss, dann bin ich es wohl.“   Er lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube, das reicht. Ich wollte mir nur sicher sein, weil … na ja. Schlechte Erfahrungen halt.“   Sein Lächeln wurde kurz ein bisschen traurig, bevor es wieder genauso strahlte wie zuvor. „Aber genug von mir. Erzähl mir doch mal was von deinem süßen Mitschüler. Wenn ich gewusst hätte, dass bei euch so heiße Typen rumlaufen, hätte ich mich bei euch eingeschmuggelt.“   Ich grinste und versuchte, nicht allzu sehr an T zu denken und wie er mit der Frau in dem Laden umgegangen war. Es hatte ausgesehen, als würde er mit ihr flirten und sie war schließlich hin und weg von ihm gewesen. Er sprach mit Jo ständig über Mädchen, gab ihm Tipps und war der totale Schwarm sämtlicher weiblicher Wesen in 10 km Umkreis. Der konnte gar nicht schwul sein, sonst wären die doch gar nicht alle so auf ihn abgefahren.   „Ach, da ist Hopfen und Malz verloren. Der ist und bleibt hetero.“ Julius machte ein mitleidiges Gesicht. „Wie tragisch. Aber manche Dinge sollen eben nicht sein. Und sonst? Ist da kein anderer Kandidat in Sicht?“ Ich räusperte mich und guckte ein bisschen dumm in meine Schokolade.   „Na ja“, gestand ich langsam. „Ich … also … da ist schon jemand, aber … ach ich weiß nicht. Ich glaube, es passt nicht so richtig zusammen.“ „Und wieso nicht?“ „Weil …“   Ich merkte, wie ich rot anlief. Konnte ich Julius jetzt einfach so erzählen, dass ich Angst hatte, mit Manuel zu schlafen, obwohl der das so gerne wollte. Und dass ich außerdem noch total feige war und es nicht mal meiner Mutter gebeichtet hatte, dass ich vom anderen Ufer war. Immerhin war er ja geoutet. Andererseits hatte Anton erzählt, dass das nicht gerade gut gelaufen war. Wenn jemand dafür Verständnis hatte, dann doch bestimmt er. Er wusste schließlich, wie das war. „Es ist kompliziert“, sagte ich schließlich, weil Julius immer noch darauf wartete, dass ich weitersprach. „Wegen dir oder wegen ihm?“ „Wegen beiden?“   Julius nahm sich ein Glas, schenkte sich eine Fanta ein und nahm einen Schluck, bevor er mich wieder ins Visier nahm.   „Willst du drüber reden?“   Ich weiß nicht. Wollte ich? Eigentlich schon. Aber ich kannte ihn ja kaum. Andererseits … vielleicht war es ganz gut, mal jemandem davon zu erzählen. Also fing ich an. Ich schilderte ihm, wie ich Manuel im Bus getroffen hatte, wie er mich auf dem Spielplatz angegraben hatte, von unserem zweiten Treffen, wie ich wieder zum Spielplatz gegangen war …   „Und da …“ Ich kam ins Stocken, fühlte die Hitze in mein Gesicht schießen und verstummte. Julius ließ mir einen Augenblick Zeit, bevor er fragte: „Was ist dann passiert?“ „Er … er hat … erhatmireinengeblasen.“   Julius blinzelte. Und blinzelte noch einmal. Und ich kam mir plötzlich vor wie eine totale Schlampe. Warum hatte ich überhaupt davon angefangen? Warum hatte ich nicht erzählt, dass er aus völlig anderen Verhältnissen stammte und meine Mutter mir den Umgang mit ihm verboten hatte? Stattdessen rückte ich mit diesem Mist raus. Gott, ich war so dämlich. „Wow“, machte Julius irgendwann. „Im Ernst? Also, du meinst, er hat … so richtig?“ „Ja.“ „Bis zum Schluss?“ „Ja … also nein. Am Schluss hat er es mit der Hand gemacht. Er steht nicht so drauf, glaube ich.“ „Mhm, kann ich mir vorstellen. Das mögen nicht alle.“   Ich lief schon wieder rot an und Julius grinste plötzlich viel zu wissend. „Du schon, was?“   Ich stöhnte auf und ließ den Kopf auf meine Arme sinken. „Warum genau führen wir dieses Gespräch?“ „Weil wir beide schwul sind?“   Ich schielte von unten herauf zu ihm hoch.   „Reicht das als Grund?“ „Na ja, es tut manchmal gut, mit jemandem zu reden, der sich in einer ähnlichen Lage befindet. Oder kennst du sonst noch jemanden, der das mit dir teilt?“   Ich schüttelte den Kopf. „Wenn du möchtest, kann ich dich ja mal zum Stammtisch mitnehmen. Also nicht, dass das jetzt ne Riesenrunde wäre, aber neue Gesichter sind immer willkommen. Allerdings sind die meisten dort schon älter als du.“ Er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Eigentlich auch älter als ich. Ich … naja … Die sind alle wirklich cool drauf, aber manchmal wünschte ich mir, das eher jemand in meinem Alter da wäre, mit dem ich …“   Er zuckte mit den Schultern und ich verstand. Es war so leicht, mit Julius zu reden. Ich wusste einfach, was er sagen wollte und umgekehrt.   Unser Gespräch wurde jäh unterbrochen, als sich plötzlich die Tür öffnete und ein älteres Pärchen hereinkam. Sie fragten in gebrochenem Deutsch, ob sie wohl einen Kaffee bekommen könnten, und Julius machte sich gleich ans Werk. „Urlauber aus Dänemark“, erklärte er mir, während er das Tablett vorbereitete. „Die trinken zu jeder Tages- und Nachtzeit Kaffee.“   Er packte noch einige Kekse auf einen kleinen Teller und brachte das Ganze dann zusammen mit zwei dampfenden Tassen an den Tisch. Die beiden bedankten sich und regierten erfreut, als er etwas zu ihnen sagte, dass ich nicht verstand. Als er zurückkam, fragte ich, ob er Dänisch spräche. Er schüttelte den Kopf. „Nur so ein paar Brocken, um die wichtigsten Sachen auf der Speisekarte zu übersetzen. Ansonsten bin ich, was Sprachen angeht, eine totale Niete.“   Er warf noch einen Blick zu seinen Gästen, beugte sich dann vor und flüsterte: „Und? Wie ging es dann mit euch beiden weiter?“ Ach ja, die Geschichte mit Manuel. Plötzlich kam es mir doch komisch vor, Julius diese ganzen Details zu erzählen. Das ging ihn ja eigentlich nichts an. Ich räusperte mich. „Na ja, ich hab ihn dann nochmal zu mir eingeladen, und … also wir hatten einen Streit. Er ist danach abgehauen und seitdem reden wir nicht mehr miteinander.“ „Und wer war schuld?“ „Woran?“ „An dem Streit.“   Ich überlegte. Irgendwie war es wohl mehr oder weniger meine Schuld. Ich hatte Manuel zu etwas gedrängt, zu dem er nicht bereit war. Als ich Julius das sagte, nickte er langsam. „Ja, das kenne ich. Das kann böse nach hinten losgehen.“ „Wieso? Was ist passiert?“   Jetzt war es Julius, der plötzlich herumdruckste. Er nahm noch einen Schluck Fanta, bevor er sich zu einem dieser traurigen Lächeln durchrang, die ich jetzt schon ein paar Mal gesehen hatte.   „Als ich so alt war wie du, war ich mit einem aus meiner Parallelklasse zusammen. Heimlich, keiner wusste davon. Das war total belastend, weil wir immer aufpassen mussten, dass auch ja keiner was merkt. Ich wäre so gerne einfach mal mit ihm Hand in Hand durch die Stadt gelaufen oder hätte ihn mit einer Umarmung oder einem Kuss begrüßt. Stattdessen gingen wir immer auf Abstand zueinander, wenn wir in der Öffentlichkeit waren. Das war … belastend. Na ja und an einem Tag, wir in die Klassen gingen, da hab ich einfach nicht dran gedacht. Ich hab ihn zum Abschied auf den Mund geküsst. Wahrscheinlich war ich so in Gedanken, weil wir an dem Tag ne total schwere Arbeit vor uns hatten. Natürlich hat das jemand gesehen, die haben uns zur Rede gestellt und da … da hab ich einfach gesagt, dass wir ein Paar sind. Ich hab ihn gar nicht gefragt.“ „Und wie hat er reagiert?“   Julius atmete kurz durch, bevor er fortfuhr.   „Nicht so gut. Er hat … er hat gesagt, dass das nicht stimmen würde, dass ich mir das alles nur ausgedacht hätte. Zuerst dachte ich ja, wir könnten das klären, aber er hat mich total abgeblockt. Zwei Tage später hatte er ne Freundin, mit der er öffentlich auf dem Schulhof rumgemacht hat. Als ich versucht habe, deswegen mit ihm zu sprechen, ist alles nur noch schlimmer geworden. Er hat die anderen aufgestachelt, hat Gerüchte über mich verbreitet. Einmal hat er sogar meine Telefonnummer an alle Klowände geschmiert. Du glaubst nicht, was da für Nachrichten reinkamen. Es war teilweise echt eklig. Ich hab mir dann ne neuen Nummer geholt, aber …“   Er verstummte und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Das war echt krass. Dass der Kerl in dem Moment kalte Füße gekriegt hatte, konnte ich ja noch verstehen, aber die Aktion danach ging gar nicht.   „Bist du deswegen von der Schule gegangen?“ Als Julius mich erstaunt ansah, hob ich entschuldigend die Schultern. „Anton hat’s mir erzählt. Ich hab dich bei ihm zu Hause auf einem Foto gesehen und ihn nach dir gefragt.“   Er lachte. „Es erstaunt mich, dass Anton sich das gemerkt hat. Wir haben nämlich nicht so viel miteinander zu tun. Ich hatte eigentlich gedacht ...“ „Antons Kopf ist ein Computer. Der merkt sich alles. Ein Elefant ist ein Scheißdreck dagegen.“ Wieder lachte Julius und dieses Mal klang es fröhlich. „Na wenn Anton das gesagt hat, dann wird es wohl stimmen. Ich bin tatsächlich abgegangen und hab eine Lehre als Zierpflanzengärtner gemacht. Aber das war irgendwie nicht das Richtige. Als ich anfing, mehr und mehr im Laden der Gärtnerei zu arbeiten und dort die Bestellungen und am Schluss sogar die Buchhaltung zu machen, hat meine Chefin gemeint, ich solle unbedingt nochmal zur Schule gehen. Also hab ich das gemacht. Im Sommer bin ich endlich fertig und dann will ich ne Ausbildung zum Versicherungskaufmann machen.“ „Du willst Versicherungen verkaufen?“ Das konnte ich mir bei ihm noch viel weniger vorstellen. „Jaa, ich weiß“, antwortete er gedehnt. „Das klingt total dämlich, aber meine Mutter macht so was nebenberuflich und ich finde das sehr interessant. Beraten, den Leuten helfen. Man bekommt da echt viel von ihrem Leben mit und ein guter Berater ist in meinen Augen einfach wichtig. Viele gehen ja heutzutage in Internet und schließen da mal eben eine Versicherung ab, aber wenn dann was passiert, hängen sie ewig in irgendwelchen Hotlines in Timbuktu und sitzen am Ende mit dem Ärger allein da.“ Ich guckte immer noch nicht überzeugt. „Aber Versicherungsvertreter, das ist so … keine Ahnung. Ich würde das nicht machen wollen.“ Er seufzte. „Ich würde ja auch lieber sexy Feuerwehrmann werden, aber ich fürchte, dazu habe ich leider nicht die Statur.“ Er warf sich in Pose und winkelte die Arme an, um seine nicht vorhandenen Muskeln zu zeigen.   „Oder was meinst du? Hätte ich ne Chance?“ Ich lachte. „Als Maskottchen vielleicht.“ „Julius, der Feuerwehrhund?“ „Klingt doch prima. Du bekämst bestimmt auch so einen ganz niedlichen, kleinen Helm und dürftest am offenen Fenster sitzen, wenn die ausrücken.“ „Vor allem dürfte ich aber mit in die Dusche, wenn sie sich nach dem Einsatz den Ruß und den Dreck runterwaschen. Große, starke Männer vollkommen nackt unter prasselnden Wasserstrahlen.“   Er grinste anzüglich und wackelte mit den Augenbrauen. Ich grinste ebenfalls und versuchte, die nicht ganz jugendfreien Bilder in meinem Kopf zu ignorieren. Nackte Feuerwehrmänner … Oh man.   Um mich zu beruhigen, trank ich den letzten Rest meiner Schokolade. Dabei fiel mein Blick auf die Uhr. Was? So spät war es schon? Meine Mutter würde mich in zehn Minuten beim Sport abholen. Ich musste sie anrufen, damit sie mich nicht aus Versehen verpetzte. „Shit, ich muss los.“   Ich sprang von meinem Hocker und wollte meine Jacke holen, aber Julius war schneller. Mit einem breiten Lächeln hielt er sie mir ausgebreitet hin, damit ich hineinschlüpfen konnte.   Ach was soll’s, dachte ich mir und nahm dankend an. Während ich den Reißverschluss schloss, blieb er neben mir stehen. „Also dann“, sagte ich und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. 'Es war nett mit dir' oder 'Lass uns das mal wiederholen' oder so was klang total abgedroschen. Er lächelte und wirkte mit einem Mal ebenfalls verlegen. „Ja, also dann … war nett mit dir.“ Ich grinste. „Lass uns das mal wiederholen?“ Sein Lächeln wuchs in die Breite. „Du findest das gerade genauso bescheuert wie ich, oder?“ „Allerdings.“   Er lachte und im nächsten Moment hatte er mich in eine kurze Umarmung gezogen, die aber so schnell vorbei war, dass ich gar nicht reagieren konnte.   „Komm mal wieder vorbei und erzähl mir, wie das mit dir und diesem Kerl weitergegangen ist. Vielleicht kriegt ihr es ja noch hin.“ „Ja, okay, das mache ich. Bis dann.“ „Bis dann, Benedikt.“   Ich winkte noch mal zum Abschied, bevor ich mich endgültig umdrehte und zurück in die nasse Wirklichkeit zurückkehrte. Noch im Laufen zog ich mein Handy heraus und schickte meiner Mutter eine Nachricht, dass sie mich heute woanders abholen sollte. Da sie eh immer zu spät war, würde ich dort zwar bestimmt ne Weile warten müssen, aber immer noch besser, als meinem Trainer in die Arme zu laufen. Als ich die Nachricht versendet hatte, drehte ich mich noch mal zum Monopoly um. Drinnen herrschte immer noch die gleiche, anheimelnde Atmosphäre, deren Reste mich wie eine wärmende Decke umgaben. Dass es nicht mehr nieselte, trug zwar sicherlich auch dazu bei, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das nicht alles war, was mich ein wenig zuversichtlicher in die Weltgeschichte blicken ließ. Mit Julius zu reden war definitiv etwas gewesen, dass sich gelohnt hatte. Und das ich bei Gelegenheit mal wiederholen würde.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)